Zwischenbericht - Aufarbeitungskommission

Für Deutschland liegen bislang kaum Erfah- rungen mit der gesamtgesellschaftlichen Aufar- bei tung von sexueller Gewalt an Kindern und. Jugend lichen vor. Mit der Einrichtung der Unab - hängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuel- len Kindesmissbrauchs wurde folglich Neuland betreten: Sie signalisiert die ...
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GESCHICHTEN

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München

ZWISCHENBERICHT JUNI 2017

ZWISCHENBERICHT JUNI 2017

INHALTSVERZEICHNIS

1. EINLEITUNG

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2. DIE KOMMISSION 2.1 Historie 2.2 Mitglieder der Kommission 2.3 Ständige Gäste der Kommission 2.4 Büro der Kommission 2.5 Aufgaben der Kommission 2.6 Ziele der Kommission 2.7 Finanzierung der Kommission 2.8 Arbeitsweise der Kommission 2.9 Anhörungs- und Untersuchungsformate 2.10 Forschung 2.11 Infotelefon Aufarbeitung 2.12 Datenschutz 2.13 Handlungsleitfaden zum Umgang mit akuten Kindeswohlgefährdungen 2.14 Kurzviten der Mitglieder und ständigen Gäste der Kommission

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3. ANHÖRUNGEN UND BERICHTE 3.1 Ablauf der Anhörungen 3.1.1 Anmeldung 3.1.2 Terminvergabe und Einladungsmanagement 3.1.3 Vor der Anhörung 3.1.4 Ablauf der Anhörung 3.1.5 Nach der Anhörung 3.2 Welche Erfahrungen wurden mit dem Format der Anhörungen gesammelt? 3.2.1 Bedeutung der Anhörungen 3.2.2 Rückmeldungen von Betroffenen zu den Anhörungen 3.2.3 Rückmeldungen der Kommission zu den Anhörungen 3.3 Wer hat sich gemeldet? 3.3.1 Vertrauliche Anhörungen 3.3.2 Schriftliche Berichte 3.3.3 Bewertung 3.4 Welche Schlüsselthemen lassen sich ableiten? 3.4.1 Einleitung 3.4.2 Kontextübergreifende Schlüsselthemen 3.4.3 Schlüsselthemen im Kontext Familie 3.5 Vier Betroffenengeschichten 4. ERSTES ÖFFENTLICHES HEARING KINDESMISSBRAUCH IM FAMILIÄREN KONTEXT

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5. WERKSTATTGESPRÄCHE 5.1 Werkstattgespräche I - Gestaltung der Anhörungen 5.1.1 Erste Gesprächsrunde: Fachberatungsstellen 5.1.2 Zweite Gesprächsrunde: Betroffene mit Anhörungserfahrungen 5.1.3 Dritte Gesprächsrunde: Aufarbeitungsinitiativen zum Kontext DDR

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5.2 Werkstattgespräche II - Information und Recherche 5.2.1 Erste Gesprächsrunde: Betroffene und Zeitzeugen 5.2.2 Zweite Gesprächsrunde: Sexueller Kindesmissbrauch in der Jugendbewegung 5.2.3 Dritte Gesprächsrunde: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Berlin 5.2.4 Vierte Gesprächsrunde: Archiv- und Informationswissenschaften

6.

FORSCHUNGSPROJEKTE DER KOMMISSION 6.1 Welche Erwartungen haben Betroffene an die Aufarbeitungskommission? 6.2 Erkenntnisse aus Anhörungen für die Zukunft bewahren 6.3 Organisationsstrukturelle und konstitutive Bedingungen von Tätersystemen und Täternetzwerken in institutionellen Kontexten 6.4 Professionelle Begleitung von Menschen, die sexuelle Gewalt und Ausbeutung, im Besonderen organisierte rituelle Gewalt, erlebt haben 6.5 Lebensführung nach Erfahrungen sexuellen Missbrauchs und Misshandlungen in Institutionen

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7. VERNETZUNG UND AUSTAUSCH 7.1 Austausch mit Betroffenen 7.1.1 Sitzung des Betroffenenrates 7.1.2 14. Treffen ehemaliger DDR-Heimkinder in der Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau 7.1.3 Kongress MitSprache 7.1.4 Weiterer Austausch mit Betroffenen 7.1.5 Perspektive der ständigen Gäste aus dem Betroffenenrat 7.2 Treffen der Kommission mit der Independent Inquiry  into Child Sexual Abuse (IICSA) in London 7.3 Vorsitzende der Kommission und Betroffene zu Gast beim Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend des Deutschen Bundestages 7.4 Fachforum auf dem 16. Deutschen Kinder- und Jugendhilfetag

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8. PRESSE- UND ÖFFENTLICHKEITSARBEIT

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9. FAZIT, AUSBLICK UND EMPFEHLUNGEN AN DIE POLITIK

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10. ANLAGEN

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11. QUELLENVERZEICHNIS

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12. ABBILDUNGSNACHWEIS

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„IM ZENTRUM DER ARBEIT STEHEN DIE BETROFFENEN UND IHRE ERLEBNISSE IN DER KINDHEIT. DIE KOMMISSION WILL SICHERE RÄUME ÖFFNEN, DIE DAS ERZÄHLEN ÜBER ERFAHRUNGEN SEXUELLEN MISSBRAUCHS IN DER FAMILIE, IM SPORTVEREIN, IN EINEM HEIM ODER EINEM INTERNAT MÖGLICH MACHEN.“ Prof. Dr. Sabine Andresen, Vorsitzende der Kommission

1. EINLEITUNG

1. EINLEITUNG

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1. EINLEITUNG

Für Deutschland liegen bislang kaum Erfah­ rungen mit der gesamtgesellschaftlichen Aufar­ ­bei­tung von sexueller Gewalt an Kindern und Jugend­lichen vor. Mit der Einrichtung der Unab­­­­­ hängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs wurde folglich Neuland betreten: Sie signalisiert die Bereitschaft der Gesellschaft, Verantwortung für die Versäumnisse in der Vergangenheit zu übernehmen. Die Arbeit der Kommission kann dabei jedoch systematisch an die Arbeit von Betroffenen, einzelnen Institutionen, Fachberatungsstellen, Medien, der Frauenbewegung, der Forschung, dem Runden Tisch Sexueller Kindesmissbrauch und anderen wichtigen Akteu­ rinnen und Akteuren anknüpfen. Nach eineinhalb Jahren Arbeit legt die Kommission ihren ersten Bericht vor, der den Arbeitsprozess dokumentiert, konkrete Vorgehensweisen bei den Anhörungen sowie die Kommunikation mit Betroffenen und der Öffentlichkeit beschreibt. Vorgestellt werden zudem zentrale Schlüssel­ themen aus den Anhörungen und schriftlichen Berichten sowie Botschaften der Betroffenen an die Gesellschaft. Der Unabhängige Beauftragte für Fragen sexu­el­ len Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, bestärkt durch den bei ihm angesiedelten Betroffenenrat und Beirat und unterstützt durch den Deutschen Bundestag im Sommer 2015, hat die Einsetzung der Kommission auf den Weg gebracht. Ihre sieben Mitglieder ebenso wie ihre ständigen Gäste waren sich darin einig, mit der Arbeit auch ohne die gewünschte gesetzliche Grundlage, zum Beispiel für die Akteneinsicht, sowie mit beschränkten finanziellen und personellen Ressourcen zu beginnen. Die Kommission versteht sich als lernende Kommission, die Erfahrungen sammeln, Prozesse und Herangehensweisen regelmäßig überdenken und sich Anregungen und Kritik stellen will. Die Aufarbeitungsformate Das zentrale Anliegen der Kommission ist es, zuzuhören. Das hierfür notwendige Vertrauen ­ muss sie sich erarbeiten. Den Anliegen und Bedürfnissen der Betroffenen will sie mit ihrer konkreten Arbeit und Haltung gerecht werden. Im Zwischenbericht werden die vier Aufarbeitungsformate – vertrauliche Anhörungen, öffentliche

Hearings, schriftliche Berichte sowie Werkstattgespräche – ausführlich vorgestellt. Diese vier Aufarbeitungsformate zielen auf die Möglichkeit, Zeugnis abzulegen, spezifisches Wissen einzubringen und Überlegungen für den gesellschaftspolitischen Umgang mit sexuellem Kindesmissbrauch zu artikulieren. Sie bilden eine wesentliche Grundlage für die Berichterstattung und sind die Grundlage für vertiefte Auswertungen. Der Zwischenbericht enthält zudem vier Geschichten von Betroffenen, die einen Einblick in ihre Lebenswirklichkeit geben. Sie stehen exemplarisch dafür, was Betroffene der Kommission gegenüber berichten. Die Geschichten beziehen sich vor allem auf Erfahrungen sexueller Gewalt in der Familie, den ersten Arbeitsschwerpunkt der Kommission. Damit jede Geschichte zum Tragen kommt, hat die Kommission im ersten Jahr viel Zeit und Sorgfalt in die Gestaltung der Anhörungsformate investiert. Hierdurch will sie ihre Wertschätzung gegenüber den Berichtenden und ihr Interesse an den Geschichten, am Wohlergehen sowie an den Kenntnissen und Botschaften der Betroffenen zum Ausdruck bringen. Die Kommissionsmitglieder und die Anhörungsteams hören Betroffenen stellvertretend für die Gesellschaft zu. Das ist eine besondere Verantwortung, die darin begründet liegt, den einzelnen Menschen und ihren Lebenswegen in der Gesprächssituation gerecht zu werden. Darüber hinaus trägt die Kommission die Verantwortung dafür, dass die Erfahrungen von Betroffenen vor allem hinsichtlich der Versorgung und Unterstützung sowie der Anerkennung deutlich herausgearbeitet und an die Politik kommuniziert werden. Anerkennung von Unrecht Anerkennung erlittenen Unrechts ist ein grundlegendes Ziel von Aufarbeitungsprozessen. Wie und durch wen diese Anerkennung erfolgt, ob sie an materielle Entschädigung gekoppelt ist oder ob es primär um eine ideelle Anerkennung geht, sind Fragen, mit denen sich auch die Kommission beschäftigt. In ihrem ersten Jahr hat sie sich auf die Frage konzentriert, wie die Anhörungen und die Art ihrer Gestaltung einen Beitrag zur Anerkennung leisten können.

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Die Kommission zielt auch darauf, die Gesellschaft für das Unrecht durch sexuellen Kindesmissbrauch weiter zu sensibilisieren und dadurch einen Beitrag zur Anerkennung zu leisten. Aus diesem Grund ist die Öffentlichkeitsarbeit zentral für die gesamte Arbeit und wichtiger ­Bestandteil des Zwischenberichts. Ein Erfolgskriterium ist die Präsenz der Thematik sowie der Kommissionsarbeit in allen Medien vor allem auch in den Fernseh- und Rundfunkmedien. Dies ist für die Sensibilisierung unterschiedlicher Menschen und Milieus in Deutschland unverzichtbar. Im Anschluss an die mediale Aufmerksamkeit für das erste Öffentliche Hearing der Kommission am 31. Januar 2017 hat sich die Wirkung öffentlicher Sensibilisierung deutlich gezeigt: Vor allem in den zwei Wochen nach diesem Hearing haben sich sehr viele Betroffene für eine vertrauliche Anhörung angemeldet. Im Mai 2017 waren es bereits etwa tausend Betroffene, die von der Kommission angehört werden wollen, und diese Zahl steigt ständig weiter. Hierfür ist die Kommission dankbar. Denn dies zeigt, dass es notwendig und wichtig war, eine gesamtgesellschaftliche Aufarbeitung zu beginnen. Diese Zahl bringt aber zugleich große Herausforderungen mit sich. Auf der Grundlage der ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen hatte die Kommission geplant, etwa fünfhundert Anhörungen in ihrer gesamten Laufzeit von Mai 2016 bis März 2019 durchzuführen. Sie musste daher weitere finanzielle Mittel beantragen und zusätzliche Möglichkeiten für Anhörungen schaffen. Lange Wartezeiten für einige Betroffene ließen sich leider trotzdem nicht vermeiden. Dies betrifft vor allem Betroffene in Gebieten, in denen die Kommission zunächst keine Anhörungsbeauftragten finden konnte. Familie als Tatkontext Seit den 1980er-Jahren wird sexueller Kindesmissbrauch in der Familie thematisiert. Die Erkenntnisse über Ausmaß, Bedeutung und Folgen für betroffene Menschen finden aber erst allmählich die notwendige Beachtung. Nach wie vor ist eine Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Verantwortung für den oft ausbleibenden Schutz betroffener Mädchen und Jungen nötig. Die Kommission hat sich zu Beginn ihrer Arbeit mit Familie als Tatkontext befasst. Dieser Schwerpunkt ist ein besonderes Anliegen von Betroffenen, auch stammt die Mehrheit der Meldungen für vertrauliche Anhörungen aus diesem Kontext.

Das System Familie ist für eine gesamtgesellschaftliche Aufarbeitung besonders herausfordernd: Die Frage nach gesellschaftlicher Verantwortung und Verantwortungsübernahme stellt sich hier im besonderen Maße. Diese spezifischen Herausforderungen wurden in vergleichbaren Kommissionen anderer Länder bislang kaum bearbeitet. Empfehlungen an die Politik Zum jetzigen Zeitpunkt möchten wir bereits zwei Handlungsfelder ausweisen und Empfehlungen an Politik und Gesellschaft aussprechen: 1. B  etroffene Menschen haben das Recht auf eine deutliche Geste der Politik und klare politische Entscheidungen, die die Verantwortungsübernahme des Staates für mangelnden Schutz und unzureichende Hilfen in der Vergangenheit zum Ausdruck bringen. 2. E  ine gesamtgesellschaftliche ­ Aufarbeitung muss über 2019 hinaus ­gewährleistet sein. Dank Mit diesem Zwischenbericht können sich alle einen Eindruck von der Arbeit der Kommission in ihrem ersten Jahr sowie ihren weiteren Plänen und Vorhaben machen. Die Kommission ist ein gutes Stück vorangekommen. Dies hätte sie nicht geschafft ohne das Vertrauen und Engagement der über tausend Betroffenen sowie Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die sich gemeldet haben, um an einer vertraulichen oder öffentlichen Anhörung teilzunehmen oder ihre Geschichte in anderer Form mitzuteilen. Ihrem Mut und ihrem der Kommission entgegengebrachten Vertrauen gebühren große Anerkennung und Dank!

„WIR HABEN ALS BETROFFENE LANGE IN DEUTSCHLAND UM EINE AUFARBEITUNGSKOMMISSION GEKÄMPFT. DIE GESCHICHTEN DER BETROFFENEN WERDEN ETWAS BEWIRKEN.“ Matthias Katsch, ständiger Gast der Kommission und Mitglied im Betroffenenrat des Unabhängigen Beauftragten

2. DIE KOMMISSION

2. DIE KOMMISSION

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2. DIE KOMMISSION

2.1 HISTORIE Die Einrichtung einer Kommission zur unabhängigen Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs war seit Jahren eine zentrale Forderung von Betroffenen. Nachdem der Runde Tisch Sexueller Kindesmissbrauch 2011 keine Empfehlung zur Einrichtung einer unabhängigen Aufarbeitung abgebeben hatte 1, formulierte der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-­Wilhelm Rörig, im For­ de­ rungs­ katalog anlässlich eines Hearings zur Auf­arbei­tung bereits 2013 erste konkrete Vorschläge, wie eine unabhängige Aufarbeitungskommission in der Bundesrepublik Deutschland verankert werden könnte. 2 Auf der Basis der Vereinbarung im Koalitionsvertrag 2013 3, dass eine unabhängige Aufarbeitung sicherzustellen sei, gelang es gemeinsam mit Betroffenen und weiteren Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis, die Politik für das Thema Aufarbeitung zu sensibilisieren: Mit Beschluss vom 2. Juli 2015 begrüßte der Deutsche Bundestag die Absicht des Unab­hängigen Beauftragten, ­eine unabhängige Auf­arbeitungskommission Kin­des­ missbrauch für die Dauer seiner Amtszeit einzurichten. Die Bundesregierung wurde zugleich auf­ gefordert, den Unabhängigen Beauftragten im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten zu unterstützen, eine unabhängige Aufarbeitung weiterzuführen. 4 Auf Grundlage dieser Beschlussfassung des Deutschen Bundestages wurden sieben Mitglieder vom Unabhängigen Beauftragten am 26. Januar 2016 in die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs berufen. 5 Ihre Laufzeit endet nach aktuellem Stand am 31. März 2019.

2.2 MITGLIEDER DER KOMMISSION Die Mitglieder der Kommission kommen aus unterschiedlichen Berufsfeldern. Sie alle setzen sich seit vielen Jahren für einen besseren Schutz von Kindern ein und engagieren sich seit Jahren stark für die gesellschaftliche Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch. Die ehrenamtlichen Mitglieder sind:

• Prof. Dr. Sabine Andresen, Erziehungswissenschaftlerin, Vorsitzende der Kommission • Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend a. D. • Prof. Dr. Jens Brachmann, Bildungshistoriker • Prof. Dr. Peer Briken, Sexualwissenschaftler und Psychotherapeut • Prof. Dr. Barbara Kavemann, Sozialwissenschaftlerin • Prof. Dr. Heiner Keupp, Sozialpsychologe • Brigitte Tilmann, Präsidentin des Oberlandesgerichts Frankfurt/M. a. D. Die Kommission ist in ihrer Arbeit unabhängig. Das bedeutet: Sie legt Inhalte und Schwerpunkte entsprechend ihrer fachlichen Überzeugung fest. Sie unterliegt keinen Weisungen und keiner Fachaufsicht.

2.3 STÄNDIGE GÄSTE DER KOMMISSION Als ständige Gäste der Kommissionssitzungen entsandte der Betroffenenrat beim Unabhängigen Beauftragten die beiden Mitglieder Tamara Luding und Matthias Katsch. Informationen zu Rolle und Auftrag des Betroffenenrats des Unabhängigen Beauftragten sind auf der Internetseite des Unabhängigen Beauftragten zu finden. 6 Weitere ständige Gäste sind der Unabhängige Beauftragte, Johannes-Wilhelm Rörig, und die Leiterin des Arbeitsstabes des Unabhängigen Beauftragten, Dr. Manuela Stötzel.

2.4 BÜRO DER KOMMISSION Die Kommission wird durch ein Büro unterstützt, das organisatorisch beim Unabhängigen Beauftragten angesiedelt ist. Das Referat besteht aus acht Mitarbeiterinnen sowie der Leiterin, Susanne Fasholz-Seidel.

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2.5 AUFGABEN DER KOMMISSION Die Kommission untersucht sämtliche Formen sexueller Gewalt gegen Kinder in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR. Es haben sich bereits Menschen bei der Kommission gemeldet, die vor 1949 Missbrauch erlebt haben; auch sie werden angehört. Die Kommission ist international die erste Aufarbeitungskommission, die Missbrauch sowohl in institutionellen Einrichtungen als auch in der Familie in den Fokus nimmt. Zu ihren Aufgaben gehören: • Ausmaß, Art, Ursachen und Folgen von sexuellem Missbrauch aufzuzeigen; • Strukturen aufzudecken, ­ die sexuellen Missbrauch ermöglichen; • herauszufinden, was Aufarbeitung in der Vergangenheit verhindert hat; • Wege zur Anerkennung des Unrechts aufzuzeigen; • eine breite politische und gesellschaftliche Debatte anzustoßen; • Bedarfe in der Forschung zu benennen; • modellhaft Eckpunkte der Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs zu entwickeln und zu empfehlen. Die Kommission hat davon ausgehend Schwerpunkte für ihre jetzige Laufzeit gesetzt, die aus ihrer Sicht besonders dringlich sind. Schon die Beauftragung weist die Vielzahl der generell anstehenden Aufgaben und deren zeitliche Spannbreite aus. Im vorliegenden Bericht wird deshalb auch auf weiter zu bearbeitende Schwerpunkte und Themenfelder über März 2019 hinaus verwiesen.

2.6 ZIELE DER KOMMISSION Menschen, die in ihrer Kindheit oder Jugend sexuell missbraucht wurden, sollen die Möglichkeit erhalten, auch nach Jahren über das erlebte Unrecht zu sprechen und eine Anerkennung ihres Leids zu erfahren. Die Taten sind oft strafrechtlich verjährt, aber im Leben der Betroffenen auch viele Jahre später häufig noch sehr präsent. Darum ist die Möglichkeit, zu sprechen, wichtig. Gemeinsam mit der Kommission brin-

gen Betroffene ihre Botschaften in die gesellschaftliche Debatte ein. Wenn die Gesellschaft die Strukturen sexuellen Missbrauchs erkennt, kann sie Mädchen und Jungen besser schützen. „WAS ABER GESCHEHEN MUSS, IST, DASS DIE GESELLSCHAFT SICH IHRER ­VERPFLICHTUNG STELLT, FEHLER UND VERSÄUMNISSE IN DER VERGANGENHEIT KLAR BENENNT UND AUS DEM WISSEN, DAS IN DEN LETZTEN JAHREN GESAMMELT WURDE, GRÜNDLICH LERNT.“ Grußwort des damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck zum Hearing Aufarbeitung in 2013

2.7 FINANZIERUNG DER KOMMISSION Für die Arbeit der Kommission stehen jährlich rund 1,2 Millionen Euro aus Mitteln des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) bereit. Zudem finanziert das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) die Stellen für zwei juristische Referentinnen im Büro der Kommission. Die Kommissionsmitglieder arbeiten ehrenamtlich.

Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs

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2. DIE KOMMISSION

In den vergangenen Monaten sind bei der Kommission schon etwa tausend Anmeldungen für vertrauliche Anhörungen eingegangen. Die Kommission möchte auch im Jahr 2017 so viele Betroffene wie möglich anhören. Um das zu realisieren, hat sie für das Jahr 2017 nachträglich eine weitere finanzielle Unterstützung in Höhe von 450.000 Euro durch das BMFSFJ erhalten.

3. Werkstattgespräche 4. Öffentliche Anhörungen (Hearings)

PERSPEKTIVE Auch für das Jahr 2018 wird eine Aufstockung der Mittel im laufenden Haushaltsaufstellungsverfahren 2018 angestrebt, um alle Betroffenen anhören zu können, die sich für eine vertrauliche Anhörung gemeldet haben bzw. melden werden. Es wurden bereits weitere Anhörungsbeauftragte ausgewählt, um zukünftig mehr Anhörungen durchführen zu können.

Die ersten vertraulichen Anhörungen fanden Ende September 2016 statt. Die Anhörungen ­ werden durch Kommissionsmitglieder vor allem in Berlin oder bundesweit durch Anhörungsteams in größeren Städten durchgeführt. Die Anhörungsteams wurden in einem mehrwöchigen öffentlichen Ausschreibungsverfahren ausgewählt. Mitglieder dieser Teams sind über­ wiegend Rechts­anwältinnen und Rechtsanwälte sowie weitere Personen, die nach ihrer Eignung und Erfahrung im Umgang mit Betroffenen ausgewählt wurden. Sie haben als Berufsgeheimnisträger ein Zeugnisverweigerungsrecht (§ 53 Strafprozessordnung – StPO). Dies berechtigt sie – als Zeugen vor Gericht oder anderen staatlichen Stellen – die Auskunft in Bezug auf das, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt anvertraut oder bekannt wurde, zu verweigern.

2.8 ARBEITSWEISE DER KOMMISSION In den ersten Monaten ihrer Amtszeit hat die Kommission die notwendige und möglichst passgenaue Infrastruktur für ihre Arbeit aufgebaut und den Arbeitsplan für das erste Jahr aufgestellt. Sie hat sich zudem darüber verständigt, wie der Aufarbeitungsprozess gestaltet werden soll. Die Teams für das Büro der Kommission und das Infotelefon Aufarbeitung wurden eingerichtet. Am 3. Mai 2016 stellte die Kommission in einer Pressekonferenz ihre Ziele und ihr Arbeitsprogramm der Öffentlichkeit vor. Gleichzeitig ging die Internetseite der Kommission online. 7 Schon wenige Stunden später trafen die ersten Anmeldungen für vertrauliche Anhörungen ein.

2.9 ANHÖRUNGS- UND UNTERSUCHUNGSFORMATE Der Kommission hat beschlossen, zunächst folgende Anhörungs- und Untersuchungsformate durchzuführen: 1. Vertrauliche Anhörungen 2. Schriftliche Berichte

Zu 1. Vertrauliche Anhörungen Im Zentrum der Arbeit der Kommission stehen vertrauliche Anhörungen von Betroffenen sexueller Gewalt in der Kindheit und Jugend sowie Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, wie etwa Angehörige von Betroffenen.

„IM ZENTRUM DER ARBEIT STEHEN DIE BETROFFENEN UND IHRE ERLEBNISSE IN DER KINDHEIT. DIE KOMMISSION WILL SICHERE RÄUME ÖFFNEN, DIE DAS ERZÄHLEN ÜBER ERFAHRUNGEN SEXUELLEN MISSBRAUCHS IN DER FAMILIE, IM SPORTVEREIN, IN EINEM HEIM ODER EINEM INTERNAT MÖGLICH MACHEN.“ Prof. Dr. Sabine Andresen, Vorsitzende der Kommission Die Kommission hat sich dabei an internationalen Vorgehensweisen orientiert und sich im Vorfeld auf folgende Punkte geeinigt: • Anhörungen sind die zentrale Methode, um Erkenntnisse über sexuellen Kindesmissbrauch gewinnen zu können. • Anhörungen sollen zugleich einen Weg der Anerkennung für Betroffene eröffnen können. • Anhörungen sind ein offenes Format,

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das Betroffenen ermöglicht, ihre Geschichte zu erzählen. • Anhörungen basieren auch auf einem thematischen Leitfaden, um Strukturen und Dimensionen sexueller Gewalt gegen Kinder rekonstruieren und die Gesellschaft darüber informieren zu können. Zum genauen Ablauf der Anhörungen, siehe Ausführungen im Kapitel 3.1.

PERSPEKTIVE Auf der Grundlage der ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen hat die Kommission geplant, etwa fünfhundert Anhörungen in ihrer gesamten Laufzeit von Mai 2016 bis März 2019 durchzuführen. Bis Mai 2017 hatten sich allerdings schon fast tausend Betroffene für eine vertrauliche Anhörung angemeldet. Die Kommission hat Maßnahmen ergriffen, um weitere Anhörungen durchzuführen. Es wurden unter anderem zusätzliche finanzielle Mittel beantragt (siehe Kapitel 2.7) und das Anhörungsteam ausgebaut. Lange Wartezeiten für einige Betroffene ließen sich leider trotzdem nicht vermeiden. Betroffene werden auf der Internetseite über die aktuelle Situation der Wartezeiten hingewiesen. Fachberatungsstellen wurden ebenfalls informiert.

Zu 2. Schriftliche Berichte Neben den vertraulichen Anhörungen können Betroffene sowie Zeitzeuginnen und Zeit­zeugen ihre Geschichte der Kommission in Form eines schriftlichen Berichts mitteilen. Zur Unterstützung hat die Kommission auf ihrer Internetseite Fragen formuliert, die dafür eine Orientierung bieten. 8 Die Betroffenen können selbst entscheiden, ob sie diese Orientierungsfragen nutzen und welche Fragen sie für wichtig halten bzw. beantworten wollen. Zu 3. Werkstattgespräche Einige Themen der Aufarbeitung müssen aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden. Dazu ist es wichtig, die konkreten E ­ rfahrungen Betroffener sowie weiterer Expertinnen und Ex­perten einzubeziehen, die an Projekten zur A ­ uf-

arbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch ­be­­tei­ligt waren. So sprach die Kommission beispielsweise zur Vorbereitung der vertraulichen An­ hörungen mit unterschiedlichen Akteuren u. a. im Rahmen eines zweitägigen Werkstattgesprächs. Auch zu weiteren Themen fanden Werkstattgespräche statt (siehe Kapitel 5). Da die Inhalte der Gespräche besonders sensibel sind, finden diese in einem vertraulichen Rahmen statt. Die Ergebnisse fließen in die Berichte der Kommission ein. Sie dienen als Grundlage für eine Vertiefung bestimmter Themenkomplexe durch weiterfüh­ rende Recherchen, Empfehlungen für Forschungsprojekte oder in öffentlichen Hearings. Zu 4. Öffentliche Hearings Die vertraulichen Anhörungen bringen Themen ans Tageslicht, die in der Gesellschaft wenig bekannt sind. Die Kommission hat sich aus diesem Grund entschlossen, zu bestimmten Themen ­öffentliche Anhörungen durchzuführen. Betroffene und andere Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sprechen in diesen öffentlichen Hearings über ihre Erfahrungen. Eingeladen sind Betroffene, Gäste aus Politik, Verantwortliche aus Institutionen, Medienvertreter und alle, die sich für das jeweilige Thema interessieren. Das erste Öffentliche Hearing fand am 31. Januar 2017 zum Thema Sexueller Kindesmissbrauch in der Familie in Berlin statt (siehe Kapitel 4). Für das zweite Hearing am 11. Oktober 2017 in Leipzig wird die Kommission das Thema Sexueller Kindesmissbrauch in der DDR in den Mittelpunkt stellen.

2.10 FORSCHUNG Die Kommission hat den Auftrag, herauszufinden, welche Themen vertieft und wissenschaftlich aufgearbeitet werden müssen. Auch Universitäten sollen sich mit dem Thema sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche beschäftigen und die Ergebnisse in die Gesellschaft tragen. Einige Mitglieder der Kommission haben bestimmte Themenschwerpunkte für die Auswertung übernommen und arbeiten an ihren jeweiligen Standorten der Aufarbeitung zu. Die detaillierten Projektbeschreibungen sind in Kapitel 6 des Berichts und auf der Internetseite der Kommission zu finden.9 Die Ergebnisse werden veröffentlicht und fließen in die Berichte der Kommission ein.

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2. DIE KOMMISSION

2.11 INFOTELEFON AUFARBEITUNG Die Kommission hat ein Infotelefon eingerichtet. So können Betroffene sowie Zeitzeuginnen und Zeitzeugen anonym unter der kostenfreien Nummer 0800 40 300 40 ihre Fragen zur Kommission und den Anhörungen stellen. Die Fach­ kräfte des Infotelefons sind psychologisch und pädagogisch ausgebildet und haben langjährige berufliche Erfahrung im Umgang mit sexueller Gewalt an Mädchen und Jungen. Sie bieten an, das Anmeldeformular gemeinsam auszufüllen, da dies mitunter belastend sein kann. Das Infotelefon hilft auch dabei, eine gute Unterstützung vor Ort zu finden. Die Fachberatungsstelle N.I.N.A. e. V. trägt die fachliche Verantwortung für das Infotelefon. 10

2.12 DATENSCHUTZ Die Kommission ist dem Schutz personenbezogener Daten verpflichtet. Sie erhebt, speichert und verwendet Daten nur nach vorheriger Zustimmung der anzuhörenden Personen und informiert darüber, warum Daten erhoben und wie sie verwendet werden. Es besteht zudem die Möglichkeit, ohne Nennung von Namen oder anderen persönlichen Daten, also anonym, mit der Kommission in Kontakt zu treten oder angehört zu werden. Wenn Betroffene zitiert werden, zum Beispiel in diesem Bericht, geschieht das nur mit ihrem ausdrücklichen Einverständnis.

2.13 HANDLUNGSLEITFADEN ZUM UMGANG MIT AKUTEN KINDESWOHLGEFÄHRDUNGEN Es ist nicht auszuschließen, dass die Kommission im Rahmen ihrer Arbeit Kenntnis davon erlangt, dass aktuell eine minderjährige Person sexuellem Missbrauch ausgesetzt oder konkret gefährdet ist. In so einem Fall handelt es sich um eine akute Kindeswohlgefährdung. Es kann auch sein, dass die Kommission von geplanten Straftaten Kenntnis erlangt. Die Kommission hat vor Beginn der Anhörungen einen Handlungsleitfaden für solche Fälle entwickelt. Dieser stellt eine Orientierung dar, erfor-

dert aber dennoch eine sorgfältige Abwägung im Einzelfall. Die Kommission steht dabei vor der besonderen Herausforderung, in Zweifelsfällen zwischen zwei hohen Gütern – Datenschutz und Kindeswohl – abzuwägen und eine Entscheidung zu treffen. Das von der Kommission entwickelte Vier-Stufen-­ Konzept beruht auf den Grundsätzen des § 4 des Gesetzes zur Information und Kooperation im Kinderschutz. Es ist mit seinen allgemeinen Grundsätzen auf der Internetseite der Kommission abrufbar. 11 Erfährt die Kommission von Straftaten, die in der Vergangenheit liegen, informiert sie hingegen die Strafverfolgungsbehörden nicht. Der Schutz der Vertraulichkeit der Angaben der Betroffenen überwiegt hier gegenüber dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse.

PERSPEKTIVE Die Grundvoraussetzungen für die Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs wurden im ersten halben Jahr erarbeitet und werden ge­ gebenenfalls auf der Basis der Erfahrungen modifiziert. Diese Elemente bilden den ersten Grundstock modellhafter Eckpunkte zur Auf­ arbeitung von sexuellem Missbrauch, die die Kommission entwickeln und Anfang 2019 veröffentlichen will.

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2.14 KURZVITEN DER MITGLIEDER UND STÄNDIGEN GÄSTE DER KOMMISSION

MIT DER AUFARBEITUNG HOFFE ICH, DASS WIR LERNEN, SCHUTZ UND SELBSTBESTIMMUNG VON KINDERN BESSER GEWÄHRLEISTEN ZU KÖNNEN.

Prof. Dr. Sabine Andresen (Vorsitzende) ist Professorin für Sozialpädagogik und Familienforschung an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Die Kindheitsforscherin publiziert regelmäßig zu sexuellem Missbrauch in Institutionen und Familien, Kinderarmut und Wohlbefinden von Kindern. Von 2010–2012 gehörte sie der Expertenkommission des 14. Kinderund Jugend­berichts der Bundesregierung an. Als Mitglied im Beirat und ­Sprecherin der Konzeptgruppe Aufarbeitung des Unabhängigen Beauftragten setzte sie sich seit 2012 für eine auf Bundesebene angesiedelte Kommission zur systematischen Aufarbeitung von Kindesmissbrauch ein. Sie hat den Weg von den ersten Forderungen an die Bundespolitik beim Hearing Aufarbeitung des Unabhängigen Beauftragten im April 2013 bis zur Bundestagsentscheidung über die Einsetzung der Kommission im Juli 2015 maßgeblich mitgestaltet. Sabine Andresen ist Vizepräsidentin des Deutschen Kinder­ schutzbundes Bundesverband e. V.

Dr. Christine Bergmann war von 1998–2002 Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Die Pharmazeutin wurde im Mai 1990 zur Vorsteherin/Präsidentin der Berliner Stadtverordneten­ versammlung von Berlin-Ost gewählt. Von 1991–1998 war sie Bürger­ meisterin von Berlin und Senatorin für Arbeit, berufliche Bildung und Frauen. 2010 wurde Christine Bergmann von der Bundesregierung zur Unabhängigen Beauftragten zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs berufen. Sie richtete die erste bundesweite ­Anlaufstelle für Betroffene von sexuellem Missbrauch ein und legte 2011 einen umfassenden Bericht mit Empfehlungen an die Politik vor. Christine Bergmann ist Mitglied im Beirat des Unabhängigen Beauftragten.

ICH BIN GEGEN MANIFESTES ­ USSCHWEIGEN PÄDOSEXUELLER A GEWALT UND FÜR: WISSEN WOLLEN, UNRECHT ANERKENNEN, SCHULD BENENNEN, WIEDERGUTMACHEN, ERINNERND GEDENKEN.

WIR MÜSSEN NOCH VIEL MEHR ERFAHREN. VOR ALLEM VON DEN BETROFFENEN, UM SEXUELLEN MISSBRAUCH BESSER VERHINDERN ZU KÖNNEN.

Prof. Dr. Jens Brachmann ist Professor für Allgemeine Pädagogik und Historische Wissen­schaftsforschung an der Universität Rostock. Der Bildungshistoriker leitete von 2011–2014 ein Forschungsprojekt zur Institutionengeschichte der Vereinigung deutscher Landerziehungsheime, wobei er ausgehend von intensiven Archivrecherchen insbesondere die kulturgeschichtliche Dimension der Vorkommnisse sexueller Gewalt an reformpädagogischen Internaten untersuchte. Seit 2014 forscht er im Rahmen eines Teilprojektes zur Aufarbeitung der Missbrauchsfälle an der Odenwaldschule zur öffentlichen Wahrnehmung sexueller Gewalt sowie zur Entstehung und Vernetzung der Tätersysteme.

18 Prof. Dr. Peer Briken ist Direktor des Instituts für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie sowie Mitglied des Direktoriums des Instituts für Psychotherapie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Ein ­Schwerpunkt seiner sexualwissenschaftlichen Forschung sind Studien, die sich mit der Entstehung, dem Verlauf und der Prävention von sexueller Delinquenz und Gewalt befassen. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und forensische Psychiater und Sexualwissenschaftler war von 2010–2016 erster Vorsitzender der Deutschen ­Gesellschaft für Sexualforschung und von 2012–2016 Vizepräsident der International Association for the Treatment of Sexual Offenders. Peer Briken ist verantwortlicher Herausgeber der Zeitschrift für Sexualforschung.

MIR IST WICHTIG, DASS UNSERE GESELLSCHAFT NEBEN DEM LEID UND UNRECHT AUCH DIE STÄRKE UND ÜBERLEBENSKRAFT VIELER BETROFFENER ANERKENNT.

Prof. Dr. Barbara Kavemann ist Honorarprofessorin an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin und Mitarbeiterin des Sozialwissenschaftlichen FrauenForschungsInstituts Freiburg. Seit den frühen 1980er-Jahren forscht die Soziologin zu sexueller Gewalt gegen Kinder, zu Präventionskonzepten gegen Missbrauch sowie zu Gewalt in Geschlechter­ verhältnissen. Sie ist eine ausgewiesene Kennerin der spezialisierten Fach­beratungs­angebote für Betroffene sexuellen Missbrauchs gegen Kindes­ missbrauch und hat in Studien den Bedarf an weiterer Entwicklung der Beratungs­­stellen aufgezeigt. Als Mitglied im Beirat und Sprecherin der Konzept­ gruppe Forschung des Unabhängigen Beauftragten setzt sie sich seit 2012 für die Implementierung des Themas Kindesmissbrauch in Forschung und Lehre ein. Barbara Kavemann wurde 2005 für ihr Engagement im Kampf gegen Gewalt an Frauen und Kindern u. a. mit dem Berliner Frauenpreis ausgezeichnet.

Prof. Dr. Heiner Keupp war bis 2008 Professor für Sozial- und Gemeindepsychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seit 2001 ist er Gastprofessor an der Universität Bozen. Von 2007–2010 übernahm Heiner Keupp den Vorsitz der Experten­kommission für den 13. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung. Zwischen 2011 und 2015 leitete er für das Institut für Praxisforschung und Projektberatung München im Auftrag des Benediktinerordens zwei Aufarbeitungsstudien zu den Missbrauchsfällen im Kloster Ettal und Stift Kremsmünster. Die Studien beschäftigten sich vor allem mit der Frage, welche institutionellen und gesellschaftlichen Hintergründe zu den Taten führten und warum Aufklärung verhindert wurde. Seit 2014 leitet Heiner Keupp ein Teilprojekt der interdisziplinär angelegten wissenschaftlichen Studie über sexuelle Gewalt an der Odenwaldschule.

VON SEXUELLEN MISSBRAUCH BETROFFENE MENSCHEN WERDEN OFT ALLEIN GELASSEN. ICH MÖCHTE IHNEN ZUHÖREN, DAS IHNEN WIDERFAHRENE UNRECHT SICHTBAR MACHEN.

MIT DER ARBEIT IN DER KOMMISSION MÖCHTE ICH HELFEN, DIE STRUKTUREN FÜR BERATUNG UND THERAPIE VON BETROFFENEN ZU VERBESSERN.

ES GILT DIE SCHWEIGERINGE UM SEXUALISIERTE GEWALT ZU DURCHBRECHEN. FÜR MICH ALS SOZIALWISSENSCHAFTLER SEHE ICH HIER EINE BESONDERE VERANTWORTUNG.

Brigitte Tilmann war von 1998–2006 Präsidentin des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main. Zuvor war sie lange Jahre als Strafrichterin tätig. Zwischen 2010 und 2012 erstellte sie gemeinsam mit der Rechtsanwältin Claudia Burgsmüller die ersten Aufarbeitungs­ berichte über sexuellen Missbrauch an der Odenwaldschule. Bis heute engagiert sie sich als Ansprechpartnerin der betroffenen ehemaligen Schülerinnen und Schüler. Zusammen mit Claudia Burgsmüller wurde Brigitte Tilmann 2015 vom Hessischen Kultusministerium mit der ­umfassenden Aufarbeitung der sexuellen Missbrauchsfälle an der ­Elly-Heuss-Knapp-Schule in Darmstadt beauftragt.

STÄNDIGE GÄSTE DER KOMMISSION Die folgenden Personen nehmen als ständige Gäste an den Kommissionssitzungen teil:

Tamara Luding ist Initiatorin und Vorsitzende des Vereins Schutzhöhle e. V. – Verein zur Aufklärung und Prävention von sexuellem Missbrauch an Kindern. Seit 2016 ist sie Referentin bei der Bundeskoordi­ nierungsstelle der spezialisierten Fach­beratungsstellen, die zum Thema sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend arbeiten. Als Dozentin unterrichtet sie an einer Fachakademie für Sozialpädagogik ein Wahlfach zum Thema Prävention und Intervention im Kinderschutz. Tamara Luding ist seit 2015 Mitglied im ­Betroffenenrat beim Unabhängigen Beauftragten und seit 2016 ständiger Gast in der Aufarbeitungskommission.

Matthias Katsch ist Mitgründer der Initiative Eckiger Tisch e. V., die sich seit Februar 2010 für die Interessen der Betroffenen von sexuellem Missbrauch an Jesuitenschulen engagiert. Der Management­ trainer und Berater (MBA) arbeitete bereits am Runden Tisch Sexueller Missbrauch der Bundesregierung mit und ist seit 2011 Mitglied im Beirat des Unabhängigen Beauftragten. Als ­Sprecher der dortigen Konzeptgruppe Aufarbeitung hatte der Philosoph und Politikwissenschaftler maßgeblich den politischen Weg bis zur Einsetzung der Kommission im Juli 2015 mitgestaltet. Matthias Katsch ist seit 2015 Mitglied des Betroffenenrates beim Unabhängigen Beauftragten.

Johannes-Wilhelm Rörig ist seit Dezember 2011 Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM). Der Diplom-Betriebs­ wirt (FH) und Volljurist war von 1991–1993 Leiter des Büros der Bürgermeisterin von Berlin und Senatorin für Arbeit und Frauen sowie anschließend von 1993–1998 Richter am Arbeitsgericht in Berlin. Im Herbst 1998 übernahm er die Leitung des Büros der Bundesministerin Dr. Christine Bergmann und der Leitungsgruppe im Bundesfamilienministerium (BMFSFJ). Von 2000–2009 war er Leiter der dortigen Zentralabteilung. Zwischen 2009 und 2011 wurde Johannes-­Wilhelm Rörig die Leitung einer Unterabteilung in der Abteilung Kinder und Jugend des BMFSFJ übertragen.

Dr. Manuela Stötzel ist Leiterin des Arbeitsstabes des Unabhängigen Beauftragten. Als Dipl.-Psychologin und Fachpsychologin für Rechtspsychologie hat sie viele Jahre als Sachverständige in Gerichtsverfahren u. a. zu Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs gearbeitet und sich wissenschaftlich und ehrenamtlich für die Interessen­ vertretung von Kindern und Jugendlichen im Familiengericht eingesetzt. Seit 2006 ist sie für das Bundesfamilienministerium zu Fragen des Kinderschutzes tätig und leitet seit 2012 den Arbeitsstab des Unabhängigen Beauftragten.

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„DIE ERFAHRUNGEN, DIE ICH IN DEN ANHÖRUNGEN MACHE, GEHÖREN ZU DEN INTENSIVSTEN, DICHTESTEN, ABER AUCH BESONDERS SINNSTIFTENDEN BEGEGNUNGEN MIT MENSCHEN IM LAUFE MEINES BISHERIGEN LEBENS“ Prof. Dr. Peer Briken, Kommissionsmitglied

3. ANHÖRUNGEN UND BERICHTE

3. ANHÖRUNGEN UND BERICHTE

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3. ANHÖRUNGEN UND BERICHTE

Im Folgenden wird dargelegt, wie die vertraulichen Anhörungen ablaufen, welche Erfahrungen mit dem Format gesammelt wurden und welche ersten Ergebnisse sich aus den Anhörungen und schriftlichen Berichte ergeben.

3.1 ABLAUF DER ANHÖRUNGEN Eine vertrauliche Anhörung setzt sich aus mehreren Teilen zusammen: einer umfassenden Vorbereitung, der Anhörung selbst und einer Nachbereitung. 3.1.1 Anmeldung Wer an einer vertraulichen Anhörung durch die Kommission oder ihr Anhörungsteam teilnehmen möchte, kann sich telefonisch, online über die Webseite oder mit einem Brief anmelden. Hier werden einige Basisinformationen abgefragt, um die Anhörung gut vorbereiten zu können (siehe auch Anlage 4). Auch Wünsche und Bedürfnisse in Bezug auf die Anhörung können hier genannt werden. Die Kommission und ihr Anhörungsteam bemühen sich, so weit wie möglich auf diese einzugehen. Nicht notwendig ist, dass Betroffene ihren Namen oder andere Daten angeben, die ihnen zugeordnet werden können. Wichtig ist nur sicher­ zustellen, dass das Büro der Kommission die Person errei­chen und die Anmeldung einer Person zuordnen kann. Dies ist zum Beispiel durch eine Anmeldung über eine Vertrauensperson oder durch ein selbst gewähltes Pseudonym möglich. 3.1.2 Terminvergabe und Einladungsmanagement Sobald Termine für Kommissionsanhörungen feststehen oder die Anhörungsbeauftragten freie Termine haben, lädt das Büro der Kommission Betroffene zu den Anhörungen ein bzw. weist diese den Anhörungsbeauftragten zu. Die Auswahl erfolgt nach den Kriterien der örtlichen Erreichbarkeit des Anhörungsortes für die Betroffenen und dem Zeitpunkt der Anmeldung. Die Anhörungsbeauftragten führen die Terminvergabe und Organisation selbständig durch, orientieren sich dabei aber an der Vorgehensweise des Büros der Kommission. Aufgrund der unterschiedlichen örtlichen Gegebenheiten und des jeweiligen Büroablaufs gibt es dabei Abwei-

chungen zu dem nachfolgend geschilderten Vorgehen. Bei einer Anhörung durch die Kommission übersendet das Büro der Kommission zunächst ein Einladungsschreiben, das neben einem Terminvorschlag erste Informationen zum Ablauf der Anhörung enthält und darüber hinaus Hinweise zur Erstattung von Reise- und Übernachtungskosten. Über ein beigefügtes Antwortformular können die Betroffenen unter anderem mit­ teilen, ob sie den vorgeschlagenen Termin in Anspruch nehmen wollen, ob sie durch eine ­ Anhörungsbeauftragte oder einen An­ ­ hörungs­ beauftragten in ihrer Nähe angehört werden wollen, ob und in welchem Umfang sie vor, während und/oder nach der Anhörung durch eine Fachberatungsstelle begle­i­tet werden möchten und ob eine Person ihres Vertrauens bei der Anhörung dabei sein soll. Sobald der vorgeschlagene Termin durch die Betroffenen bestätigt wurde, erhalten diese ein weiteres Schreiben, in dem der genaue Anhörungsort genannt und der Ablauf der Anhörung beschrieben wird (siehe Anlage 5). Gleichzeitig erhalten die Betroffenen Informationen zu ihrem Anhörungsteam. Die Anlagen enthalten zudem eine Weg­be­schreibung, Fotos und eine Beschreibung des Anhörungsortes, einen Flyer der betreuenden Fach­beratungsstelle und Informationen zum Datenschutz. 3.1.3 Vor der Anhörung Falls gewünscht, findet zur Vorbereitung auf die Anhörung ein Telefonat mit einer Mitarbeiterin oder einem Mitarbeiter einer Fachberatungsstelle statt. Zudem kann ein persönliches Vorgespräch direkt vor der Anhörung geführt werden. 3.1.4 Ablauf der Anhörung Die Anhörungen der Kommission werden von einem Team aus zwei Personen durchgeführt. Auf Wunsch der oder des Betroffenen kann eine Vertrauensperson teilnehmen. Die einzelne Anhörung dauert etwa zwei Stunden. Die Betroffenen entscheiden, was sie der Kommission mitteilen möchten. Sie geben den Inhalt und das Tempo vor. Die Anhörenden stellen einzelne Nachfragen, die dem eigenen Verständnis und nicht etwa der Überprüfung des Wahrheitsgehalts des Berich-

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teten dienen. Es kann jederzeit auf Wunsch eine Pause gemacht oder die Anhörung ganz abgebrochen werden. Wenn Betroffene sich an etwas nicht erinnern, ist das in Ordnung. Betroffene müssen der Kommission nichts beweisen. Mit Einverständnis der oder des Betroffenen wird die Anhörung aufgezeichnet. Außerdem machen sich die Anhörenden Notizen, die in eine schriftliche Zusammenfassung eingehen. 3.1.5 Nach der Anhörung Nach der Anhörung besteht wiederum in einem separaten und geschützten Raum die Möglichkeit, mit der Mitarbeiterin oder dem Mitarbeiter der Fachberatungsstelle ein Nachgespräch zu führen. Diese bieten außerdem ein Telefonat mehrere Tage nach der Anhörung an. Falls Hilfebedarf besteht, der über die Betreuung rund um die Anhörung hinausgeht, werden Hinweise auf weiterführende Unterstützungsmöglichkeiten in der Nähe des Wohnortes der oder des Betroffenen gegeben. Die Niederschriften und die Zusammenfassungen der Anhörungen werden im Büro pseudonymisiert, das heißt, auf die angehörte Person zurückführbare Daten (wie zum Beispiel Namen) werden entfernt. Eine erste inhaltliche Auswertung findet durch die Referentinnen des Büros in enger Zusammenarbeit mit den Kommissionsmitgliedern statt. Eine vertiefte inhaltliche Auswertung wird unter anderem nach Weitergabe der pseudonymisierten Unterlagen in den Projekten der Kommissionsmitglieder erfolgen. Nähere Angaben zu diesen Projekten erhalten die Betroffenen vor der Anhörung. In die Berichte der Kommission fließen die Erkenntnisse aus den Anhörungen ohne Nennung von Namen und Orten ein.  

3.2 WELCHE ERFAHRUNGEN WURDEN MIT DEM FORMAT DER ANHÖRUNGEN GESAMMELT? 3.2.1 Bedeutung der Anhörungen Nahezu alle internationalen Aufarbeitungskommissionen führen Anhörungen mit Betroffenen und Zeitzeuginnen und Zeitzeugen durch. Wenn eine gesetzliche Grundlage vorliegt, können auch Verantwortliche in Institutionen, etwa eines ­Jugendamtes, zu Anhörungen vorgeladen oder ergänzend Akteneinsicht verlangt werden. Eine

solche gesetzliche Grundlage hat die deutsche Kommission nicht. Die Arbeit der Kommission in Deutschland basiert auf Anhörungen, zu denen sich Menschen freiwillig melden. Jede einzelne Geschichte hat ihre ganz individuelle Seite, aber es zeigen sich auch Überschneidungen zu den Anhörungen anderer Betroffener. Die Aufgabe der Kommission ist es, die Anhörungen auszuwerten und dabei so­ wohl die Einzigartigkeit als auch die Ge­ meinsamkeiten zu identifizieren. So kann sie die Strukturen, die sexuelle Gewalt ermöglichen, aufdecken und für die Spuren, die die Gewalt­ erfahrungen in jeder Biografie hinterlassen, sensibilisieren. Somit bilden die Anhörungen die Grundlage für die wissenschaftlich orientierte Aufarbeitung und sie eröffnen Perspektiven für die Anerkennung von Unrecht gegenüber Kindern und Jugendlichen sowie für den Umgang mit ­Betroffenen sexuellen Kindesmissbrauchs in der Gesellschaft. 3.2.2 Rückmeldungen von Betroffenen zu den Anhörungen Aus den Rückmeldungen einzelner Betroffener nach den Anhörungen sowohl durch Anhörungsbeauftragte als auch durch Kommissionsmitglieder hat die Kommission erfahren, dass die Betroffenen die Vorbereitung der Anhörungen, die Rahmenbedingungen und die zuhörende und annehmende Haltung der sie anhörenden Personen als sehr wohltuend empfinden. Betroffene erleben diese Form des Zuhörens als Anerkennung des Unrechts, das ihnen geschah, und sind oft stolz darauf, durch ihre Berichte einen wesentlichen Beitrag zur Aufarbeitung zu leisten – und das zu Recht. Sie sind froh, sich – anders als in vielen anderen Situationen – nicht rechtfertigen zu müssen und erzählen zu können, was sie möchten, ­ohne dass dies angezweifelt wird. Auch das Angebot der Betreuung durch die Mit­arbei­terin oder den Mitarbeiter einer Fachberatungsstelle wird gerne angenommen und als hilfreich empfunden. Viele Betroffene melden zu­rück, dass die Anhörung sie emotional sehr beschäftigt hat – teilweise mehr als erwartet – und sie im Nachgang über einzelne Punkte intensiv nachgedacht haben. Auch tritt in Einzelfällen eine psychische De­ stabilisierung ein. Wichtig ist deshalb, dass Betroffene für sich selbst vorsorgen, zum Beispiel

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3. ANHÖRUNGEN UND BERICHTE

zeitnah zu den Anhörungen Termine mit ihren Thera­peuten oder einer Fachberatungsstelle vereinbaren. „MIR GEHT ES GUT. SICHER IST ES FÜR MICH NICHT EINFACH ZU ERZÄHLEN, ABER AUCH GUT, DASS ES MENSCHEN GIBT, DIE MIR GLAUBEN SCHENKEN UND DIE ETWAS BEWIRKEN WOLLEN.“ „MEINEN BRÜDERN HABE ICH GESCHRIEBEN UND BEIDE HABEN ERINNERUNGEN, DIE DIE VON MIR ­GE­SCHILDERTEN UMSTÄNDE BE­STÄTIGEN. MEIN JÜNGERER BRUDER VERSTEHT NUN ENDLICH, WARUM ER SEINE TÖCHTER NICHT BEI MEINER MUTTER ALLEINE LASSEN DARF. DAS HABE ICH AUCH DER KOMMIS­SION ZU VERDANKEN, DASS VERTRAUEN UND ANNEHMEN DA IST. ICH WÜNSCHE DEM GESAMTEN TEAM WEITERHIN VIEL KRAFT, ES IST GUT, DASS ES SIE ENDLICH GIBT.“ 3.2.3 Rückmeldungen der Kommission zu den Anhörungen Auch die Kommission und ihr Anhörungsteam erleben die vertraulichen Anhörungen als eindrücklich und prägend. „WENN WIR ZUHÖREN UND UNS BEWEGEN LASSEN VON DIESEN IMMER EINZIGARTIGEN BERICHTEN, DANN SIND SIE FÜR IMMER UND UNVERGESSLICH IN DER WELT. SO WIRD AUCH

DEM UNRECHT UND LEID, DAS DEN KINDERN ZUGEFÜGT WURDE, EINE SPRACHE GEGEBEN. DER GESELLSCHAFT SOLL DADURCH BEWUSST WERDEN, WIE WICHTIG DAS ACHTSAME HIN­SEHEN UND HINHÖREN IST.“   Brigitte Tilmann „ICH HATTE ANFANGS GROSSE SORGE, DASS MICH DIE LEBENSGESCHICHTEN DER MENSCHEN, DIE WIR ANHÖREN, PSYCHISCH SEHR BELASTEN. DAS TUN SIE ZWEIFELSOHNE, ABER ICH SPÜRE VOR ALLEM DIE ENERGIE UND KRAFT DIESER MENSCHEN, DIE WEGE GEFUNDEN HABEN, DAS IHNEN ANGETANE UNRECHT ZU VERARBEITEN. DIESER MUT WIRKT ANSTECKEND.“ Prof. Dr. Heiner Keupp „DIE ERFAHRUNGEN, DIE ICH IN DEN ANHÖRUNGEN MACHE, GEHÖREN ZU DEN INTENSIVSTEN, DICHTESTEN, ABER AUCH BESONDERS SINNSTIFTENDEN BEGEG­NUNGEN MIT MENSCHEN IM LAUFE MEINES BIS­ HERIGEN LEBENS.“ Prof. Dr. Peer Briken

3.3 WER HAT SICH GEMELDET? Im Folgenden werden einige statistische An­gaben zu den Anmeldungen für vertrauliche A ­ nhörungen und den schriftlichen Berichten dargelegt.

Verteilung der Kontexte bei den Anmeldungen für vertrauliche Anhörungen Kontext*

Anzahl (Gesamt 1.007)***

Familie und/oder soziales Umfeld**

688

Institutionen (z. B. Heim, Schule)

159

rituelle Gewalt/organisierter sexueller Missbrauch

40

Fremdtäter/Fremdtäterinnen

86

keine Angabe zum Kontext

34

* Eine Begriffsbestimmung zu den Kontexten finden Sie in Anlage 7. ** Der Kontext Familie und soziales Umfeld kann nicht differenziert werden, da es bei der Online-Anmeldung nicht von Anfang an möglich war, Familie oder soziales Umfeld auszuwählen. Das Online-Formular zur Anmeldung für eine vertrauliche Anhörung finden Sie in Anlage 4. *** Viele Betroffene haben Missbrauch in mehr als einem Kontext erfahren, so dass die Summe der Kontextnennungen die Zahl der Anmeldungen übersteigt.

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3.3.1 Vertrauliche Anhörungen Bis zum Redaktionsschluss am 5. Mai 2017 haben sich 943 Personen für eine vertrauliche Anhörung angemeldet. Es wurden davon 190 Personen durch die Kommission und ihr Anhörungsteam angehört. Die nachfolgende Statistik basiert auf den 848 Anmeldungen, die bis 20. Februar 2017 bei der Kommission eingegangen sind. Bei der Anmeldung für eine vertrauliche Anhörung werden Betroffene oder Zeitzeuginnen und Zeitzeugen gebeten, einige Fragen zu beantworten, um die Anhörung gut vorbereiten zu können (siehe Anlage 4). Die Fragen sind – bis auf den jetzigen Wohnort und die Kontaktmöglichkeit – keine Pflichtfelder, so dass einige Personen hier keine Angabe gemacht haben. Aus den 848 Anmeldungen ergeben sich folgende Informationen: • Geschlecht: · 658 Frauen · 138 Männer · 52 keine Angabe

schriftlich zu erzählen, sehr gut angenommen. Bis zum Redaktionsschluss am 5. Mai 2017 wurden 163 Berichte eingereicht. Die folgende statistische Auswertung basiert auf den 144 Berichten, die bis zum 20. Februar 2017 eingegangen sind. Ausgewertet werden können nur die Angaben, die Betroffene in ihren Berichten machen. Es werden keine Pflichtangaben verlangt. Betroffene können zur Gliederung ihres Berichts die Orientierungsfragen nutzen, die auf der Webseite der Kommission zur Verfügung gestellt wurden (siehe Anlage 6).

Anmeldungen für vertrauliche Anhörungen nach Bundesländern Baden-Württemberg

82

Bayern

110

Berlin

88

Brandenburg

24

Bremen

6

Hamburg

33

Hessen

52

Mecklenburg-Vorpommern

14

Niedersachsen

66

Nordrhein-Westfalen

187

Rheinland-Pfalz

35

• Betroffene, Angehörige und Zeitzeuginnen und Zeitzeugen: · 804 Betroffene · 32 zumeist nahe Angehörige wie Mutter, Schwester, Bruder oder Großmutter · zwölf Zeitzeuginnen oder Zeitzeugen, insbesondere im Kontext ritueller Gewalt

Saarland

7

Sachsen

38

Sachsen-Anhalt

12

Schleswig-Holstein

30

Thüringen

8

keine Angabe

46

• Kontexte: · Die Mehrheit der Personen sind Betroffene aus dem Bereich Familie oder soziales Umfeld (506 Personen).

Ausland (Frankreich, Spanien, USA, England) -> Betroffene besitzen die deutsche Staatsbürgerschaft und/oder der Tatort liegt in Deutschland. Die Fälle werden von der Beauftragung der Kommission umfasst.

7

Ausland (Österreich und die Schweiz) -> Betroffene besitzen keine deutsche Staatsbürgerschaft und der Tatort liegt nicht in Deutschland. Die Fälle werden von der Beauftragung der Kommission nicht umfasst.

3

• Alter der Personen heute: · Betroffene sind zwischen 15 und 72 Jahre alt. · Am stärksten vertreten ist die Altersgruppe der 30- bis 50-Jährigen, dicht gefolgt von den Über-50-Jährigen. · Die Über-50-Jährigen berichten vor allem über sexuellen Missbrauch in Institutionen.

3.3.2 Schriftliche Berichte Neben den vertraulichen Anhörungen haben die Betroffenen die Möglichkeit, ihre Geschichte

3. ANHÖRUNGEN UND BERICHTE

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• Umfang und Art: · wenige Zeilen bis 50 Seiten ·u  nterschiedliche Formate: Berichte, Gedichte, Erzählungen, Lieder • Geschlecht: · 116 Frauen · 28 Männer • Alter der Personen heute*: · Betroffene sind zwischen 23 und 78 Jahre alt. · Am stärksten vertreten ist die Altersgruppe der Über-50-Jährigen, gefolgt von den 30- bis 50-Jährigen. * Etwa die Hälfte der Betroffenen haben ihr Alter angegeben.

• Betroffene, Angehörige sowie Zeitzeuginnen und Zeitzeugen: · 136 Betroffene · fünf Angehörige · eine ehemalige Mitschülerin · zwei sonstige Personen, die sich allgemein zum Thema sexueller Missbrauch in Schulen und sozialen Institutionen äußerten • Kontexte: · Fast zwei Drittel der Berichtenden benennt Mitglieder aus der Familie als Täter oder Täterinnen. · Als weitere Täter und Täterinnen werden Personen aus dem sozialen Umfeld, wie Nachbarn oder Freunde, genannt.

getroffen werden, da die Berichtenden in der Regel hierzu keinerlei Angaben gemacht haben. 3.3.3 Bewertung • Es haben sich insgesamt deutlich mehr Frauen als Männer und wenige Personen unter 30 Jahren bei der Kommission gemeldet. Daraus lässt sich jedoch weder ableiten, dass Männer weniger von sexuellem Missbrauch betroffen sind als Frauen, noch, dass die Fallzahlen bei jüngeren Personen zurückgegangen sind. • E s zeichnet sich ab, dass viele Berichtende mehrfachbetroffen sind. Sie erleben sexuelle Gewalt durch verschiedene Täter oder Täter­innen in verschiedenen Kontexten oder auch innerhalb eines ­Kontextes. So wird zum Beispiel von ­sexuellem Missbrauch in der Familie berich­­tet und parallel oder später statt­findendem Missbrauch im Heim oder in der Schule. Oder es findet Missbrauch in der frühen Kindheit durch den Großvater und in der späteren Kind­heit durch den Vater statt. Auch der Zugang zu rituellen oder organisierten Gewaltstruk­ turen erfolgt nicht selten über die Familie.

Aussagekräftige Feststellungen zur Herkunft der Berichtenden und zu den Tatorten können nicht

Konkrete Zahlen über die Dimension von Mehrfachbetroffenheit können zum jetzigen Zeitpunkt nur für die schriftlichen Berichte erhoben werden: Sie liegt in 43 von 144 Berichten vor. Bei den Anmeldungen für vertrauliche Anhörungen kann aktuell nur erhoben werden, wie oft Betroffene mehrere Kontexte angegeben haben. Dies ist in 159

Verteilung der Kontexte in den schriftlichen Berichten Kontext**

Anzahl (Gesamt 162)****

Familie

89

soziales Umfeld (z. B. Nachbarn, Freundeskreis)

32

Institutionen (z. B. Heim, Schule)

21

rituelle Gewalt/organisierter sexueller Missbrauch

8

Fremdtäter***

12

** Eine Begriffsbestimmung zu den Kontexten finden Sie in Anlage 7. *** Im Fall der schriftlichen Berichte gab es nur männliche Fremdtäter. **** Viele Betroffene haben Missbrauch in mehr als einem Kontext erfahren, so dass die Summe der Kontextnennungen die Zahl der Anmeldungen übersteigt.

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von 848 Anmeldungen der Fall. Diese Zahl ist nur ein Richtwert für das Ausmaß der Mehrfachbetroffenheit.

wie der schriftlichen Berichte waren. Einen besonderen Fokus richtet die Kommission dabei auf den Kontext Missbrauch in der Familie.

In mehreren Anhörungen hat die Kommission die Erfahrung gemacht, dass Betroffene, die in der Anmeldung ihre Mehrfachbetroffenheit nicht angegeben hatten, über diese im Gespräch berichten. Daran zeigt sich das Potenzial einer gut gerahmten und sicheren Anhörungssituation.

Im nächsten Bericht werden die Ergebnisse einer umfassenderen quantitativen und qualitativen Auswertung der Anhörungen und Berichte enthalten sein.

PERSPEKTIVE Damit die Kommission mit ihrer Arbeit mehr männliche Betroffene und Unter-30-Jährige ­erreichen kann, braucht sie mehr Zeit. Es müssen Zugänge geschaffen und Vertrauen gewonnen werden. Gleiches gilt für weitere Zielgruppen wie Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit verschiedenen religiösen Hinter­ gründen, Menschen in Armutslagen oder Menschen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen.

3.4 WELCHE SCHLÜSSELTHEMEN LASSEN SICH ABLEITEN? 3.4.1 Einleitung Mit den Auswertungen der vertraulichen Anhörungen und der schriftlichen Berichte steht die Kommission zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Berichts am Beginn ihrer Arbeit. Die Kommission und ihr Anhörungsteam haben zum Redaktionsschluss (20. Februar 2017) etwa 110 Anhörungen durchgeführt. Von knapp 60 dieser Anhörungen und 144 schriftlichen Berichten liegt eine erste vorläufige Auswertung vor. Aufgrund dieser begrenzten Anzahl können noch keine allgemeingültigen Aussagen getroffen werden. Daher hat sich die Kommission entschlossen, in diesem Zwischenbericht – neben einigen statistischen Angaben zu den vertraulichen Anhörungen und den schriftlichen Berichten – erste markante Themen zu benennen, die immer wieder Gegenstand der durchgeführten vertraulichen und öffentlichen Anhörungen so-

3.4.2 Kontextübergreifende Schlüsselthemen Die folgenden Themen ziehen sich durch viele vertrauliche Anhörungen und schriftliche Berichte – unabhängig davon, ob der Missbrauch in der Familie, im Heim oder in einem anderen Kontext stattgefunden hat. Die hier genannten Schlüsselthemen finden sich alle in der vorliegenden Forschung. Die Befunde der Kommission vertiefen, untermauern und bringen neue Akzente. Bei den kontextübergreifenden Schlüsselthemen hat sich die Kommission auf die aus ihrer Sicht wichtigsten beschränkt, nämlich auf die, die Betroffenen gewissermaßen unter den Nägeln brennen. Die Auflistung ist somit nicht abschließend. Die Schlüsselthemen werden im Folgenden dargestellt und mit Zitaten von Betroffenen unterlegt. Glauben schenken Fast alle Betroffenen berichten eindrücklich, dass ihnen in ihrer Kindheit oder Jugend nicht geglaubt wurde. Sie schildern auch, dass Erwachsene Anzeichen und Hinweise auf den Missbrauch hätten wahrnehmen und erkennen können. Oft wurde nicht hingesehen und die sexuelle Gewalt deshalb auch nicht beendet. Ein Teil der Betroffenen hatte das Gefühl, dass ihnen zwar geglaubt wurde, dies jedoch für die Täter und Täterinnen keine Konsequenzen hatte. Weder wurde der Zugriff auf das Kind unter­ bunden, noch wurde der Täter oder die Täterin bestraft oder zur Verantwortung gezogen. Fast nie wurde die Schuld des Täters oder der Täterin klar benannt. „ICH GLAUBE, DASS DIE GESELLSCHAFT, IN DER WIR LEBEN, RELATIV WEIT DAVON ENTFERNT IST, ZU VERSTEHEN, WAS EINEM KIND ZUGEFÜGT WIRD, DAS OHNE DIE ERFAHRUNG BLEIBT, SICH VERTRAUENSVOLL

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3. ANHÖRUNGEN UND BERICHTE

AN EINEN ANDEREN WENDEN ZU KÖNNEN. WER DIESE ERFAHRUNG NICHT EINWEBEN KANN IN DAS GEBILDE DER WELT, IST AUF EINE FURCHTBARE ART UND WEISE ALLEIN.“ Betroffene berichten, dass sich diese Erfahrung durch ihr Leben zieht und ihnen auch als Erwachsenen nicht geglaubt wurde. Wenn sie viele Jahre später von den Übergriffen berichteten, erfuhren sie Abwehr und Unglauben. Sie wurden immer wieder kritisch – auch von nahestehenden Personen – hinterfragt oder mussten beweisen, dass die Übergriffe stattgefunden haben. Viele Betroffene kritisieren in diesem Zusammenhang zudem die in aussagepsychologischen Gutachten herangezogenen Kriterien und Vorgehensweisen. „DURCH DIE ARBEIT IN DER SELBSTHILFEGRUPPE HABE ICH ERFAHREN MÜSSEN, DASS UNS ALLEN NICHT GEGLAUBT WURDE, WEDER VOR 40 JAHREN NOCH VOR FÜNF JAHREN, UND DASS IN ALLEN FAMILIEN BAGATELLISIERT UND VERTUSCHT WURDE.“ Besonders Opfer ritueller Gewalt berichten, dass ihnen nicht geglaubt wird. Als Grund dafür nennen sie häufig die Tatsache, dass sie unter einer Dissoziativen Identitätsstörung (DIS) leiden. Hinzu kommt, dass sie sehr exzessive Gewalterfahrungen schildern, die bis zu Tötungen reichen können. Betroffene sehen in der systematischen und massiven Gewalt auch eine Strategie der ­Täter und Täterinnen: Sie quälten, manipulierten und kontrollierten ihre kindlichen Opfer massiv und strategisch, um in ihnen gezielt ein der­ artiges Störungsbild zu erzeugen. Dieses trage maßgeblich dazu bei, dass die Täter und Täterinnen unentdeckt bleiben, weil die Betroffenen als unglaubwürdig gelten. Folgen anerkennen Die Anhörungen und Berichte belegen den aktuellen Forschungsstand, dass sexueller Missbrauch in Kindheit und Jugend einschneidende Folgen für die Betroffenen hat und häufig ihren gesamten Lebensweg beeinflusst. In vielen Fällen verläuft bereits ihre Schullaufbahn anders, als sie vermutlich bei einem gewaltfreien Aufwachsen verlaufen wäre.

„HÄTTE ICH NICHT DIESE KINDHEIT GEHABT, DANN WÄRE VIELLEICHT MEIN GANZES WEITERES LEBEN ANDERS VERLAUFEN.“ „ICH ZAHLE LEBENSLANG FÜR ETWAS, WAS ICH ÜBERHAUPT NICHT VERSCHULDET HABE.“ Die Betroffenen beschreiben sehr ausführlich, welche mittelbaren und unmittelbaren Auswirkungen der Missbrauch für sie hat. Neben körperlichen treten vielfach psychische Folgen auf. Exemplarisch können hier genannt werden: Selbstwertprobleme, Depressionen, Essstörungen, ein gestörtes Körpergefühl, ein gestörtes Sexualleben und eine eingeschränkte Bindungsfähigkeit. Die Betroffenen betonen, wie wichtig für sie ausreichend lange und geeignete Therapien sind. Sie fordern immer wieder, dass die ­Finanzierung dieser spezialisierten und indivi­ duellen Therapien gesichert werden und ausrei­ chend Therapieplätze zur Verfügung stehen. „DIE ‚GRÖSSTE FOLGE‘ WAR SICHERLICH MITUNTER, DASS ICH ES NIE GELERNT HABE, DASS ICH IRGENDWAS WERT BIN. DASS ICH NIE GELERNT HABE ‚NEIN‘ ZU SAGEN BZW. ERLEBT HABE, DASS MEIN ‚NEIN‘ IRGENDWAS BEDEUTET. ICH HABE GELERNT, DASS MAN SICH AUF NIEMANDEN VERLASSEN KANN UND DASS MENSCHEN SELBST KINDERN GEGENÜBER ZU GRAUENHAFTEN TATEN FÄHIG SIND.“ Viele Betroffene beschreiben auch, dass sie ihre persönlichen Kräfte über einen langen Zeitraum abrufen können. Sie schließen mit großer Anstrengung Ausbildungen oder Studium ab und durchschreiten einen erfolgreichen Berufsweg. Gelingt dies jedoch nicht, drohen Armut und sozialer Abstieg. Einzelne Betroffene weisen darauf hin, dass dadurch Kosten für die gesamte Gesellschaft entstehen und sich die Folgen sexueller Gewalt in Kindheit und Jugend auch auf nachfolgende Generationen auswirken. Gleichzeitig machen Betroffene in den Anhörungen und Berichten deutlich, dass sie nicht nur „Opfer“ sind. Sie haben sehr vielfältige Wege gefunden, mit dem Missbrauch in ihrer Kindheit und Jugend zurechtzukommen und ihr Leben

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nicht allein von dieser Erfahrung bestimmen zu lassen. „JEDER TRÄGT EINEN RUCKSACK MIT SICH. MEINER HAT MICH ALS KIND ERDRÜCKT. ICH HABE GELERNT, IHN SO UMZUPACKEN, DASS ICH IHN TRAGEN KANN.“ Viele Betroffene vermitteln in den Anhörungen und Berichten eine große Kraft und Stärke. Sie nehmen vielfältige Rollen in der Gesellschaft ein – bei der Arbeit, im Freundeskreis, in der ­Familie, in Selbsthilfegruppen, Betroffenenorganisationen oder in anderen Ehrenämtern – und wollen sich bewusst nicht auf ihre Opferrolle reduzieren lassen. Sensibilität in Institutionen und Behörden stärken In vielen Anhörungen und Berichten wird von unsensiblem, verletzenden Verhalten durch Vertreterinnen und Vertreter verschiedenster Berufe und Behörden berichtet. Genannt wurden unter anderem Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter in Versorgungs-, Sozial-, Jugend- und Arbeits­ ämtern sowie Polizeibehörden, weiterhin Staats­anwältinnen und Staatsanwälte, Richterinnen und Richter, Gutachterinnen und Gutachter, Ärztinnen und Ärzte, Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher sowie Therapeutinnen und Therapeuten. Diese erkennen häufig nicht, wenn ein Mensch von sexueller Gewalt betroffen ist, und wissen nicht, wie man mit Betroffenen umgeht. Unsensible mündliche und schriftliche Äußerungen verletzen die Betroffenen erneut und wirken unter Umständen retraumatisierend. „MIR GEHT ES IN MEINER GESCHICHTE AUCH UM DIE GERICHTSVERHANDLUNG, WIE ICH BEHANDELT WURDE, DASS ES VON DER RICHTERIN HIESS, ES HÄTTE EINE JAHRELANGE BEZIEHUNG ZWISCHEN DEM TÄTER UND MIR GEGEBEN, UND DASS ER UNTER ANDEREM DESHALB EINE MILDERE STRAFE BEKOMMEN HATTE. ES WAR KEINE BEZIEHUNG. ES WAR MISSBRAUCH. ICH HABE ES NICHT FREIWILLIG GETAN. ICH LEIDE SEHR UNTER DIESER BEHAUPTUNG DER RICHTERIN. ALS WÄRE MEINE KINDHEIT, MEINE JUGEND, NICHT SCHON SCHLIMM GENUG GEWESEN.“

Betroffene fordern, dass das Wissen über sexuellen Kindesmissbrauch sowie über den Umgang mit Betroffenen verstärkt in Aus- und Fortbildungen vermittelt wird. Darüber hinaus wird das Fehlen von Vernetzung und Austausch der vorgenannten Personen und Behörden beklagt. Betroffene müssen an jeder Stelle erneut ihr Leid erzählen. Sie berichten aber auch von positiven Erfahrungen, zum Beispiel dass ihnen Lehrkräfte in der Schule geholfen haben und Vernehmende bei der Polizei mit ihnen kompetent und behutsam umgegangen sind. Tabuisierung beenden Betroffene wünschen sich, dass sie über ihr Erleben sprechen können, ohne von der Gesellschaft stigmatisiert und ausgegrenzt zu werden. Einige beklagen zum Beispiel, dass sie sich im beruflichen Umfeld nicht als Opfer sexuellen Missbrauchs outen können, da ihnen sonst die Professionalität abgesprochen wird. „MEINE BOTSCHAFT AN DIE POLITIK UND DIE GESELLSCHAFT WÄRE, DEN BETROFFENEN DABEI ZU HELFEN, IHR ‚DOPPELLEBEN‘ AUFGEBEN ZU KÖNNEN: WENN BEI MIR ZUM BEISPIEL WIEDER ANGSTPHASEN ANSTEHEN, BIN ICH NICHT NUR DAMIT BESCHÄFTIGT, DIESE ÄNGSTE WIEDER UNTER KONTROLLE ZU BEKOMMEN, SONDERN AUCH, DIE UMWELT (DEN ARBEITGEBER, BEKANNTE ETC.) NICHTS DAVON MITBEKOMMEN ZU LASSEN UND MÖGLICHST UNAUFFÄLLIG WEITER ZU FUNKTIONIEREN. WENN MAN DIESBEZÜGLICH BETROFFENEN UNTERSTÜTZUNG ANBIETEN UND EINE MÖGLICHKEIT SCHAFFEN KÖNNTE, SICH ZU ZEIGEN/ZEIGEN ZU DÜRFEN, WIE MAN IST, DANN WÄRE DAS EINE ENORME HILFE.“ Die Tabuisierung verhindert auch, dass Betroffene Hilfe und Unterstützung bekommen. Betroffene fordern, dass der Umgang mit dem Thema besonnener und vorurteilsfreier werden muss. Die Gesellschaft muss lernen auszuhalten, dass es sexuellen Kindesmissbrauch gibt und dass dieses Thema in den öffentlichen Raum getragen wird. Betroffenen muss ohne Wertung zugehört werden.

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3. ANHÖRUNGEN UND BERICHTE

„GANZ FURCHTBAR SCHÄMT MAN SICH DAFÜR. MAN FÜHLT SICH EIN LEBEN LANG BESCHMUTZT UND BEDRECKT. DAS FÜHLT MAN ALS KIND AUCH SCHON. UND DIESEN DRECK KANN MAN KEINEM ANVERTRAUEN. MAN MÜSSTE IN DER GESELLSCHAFT OFFEN DARÜBER REDEN ­KÖNNEN, UND ZWAR AGGRESSIONSFREI, DAMIT DAS EIN THEMA WIRD WIE KAFFEE­ KOCHEN. DANN HÖRT ERST DIE SCHAM DER KINDER AUF, WENN SIE ALLE WISSEN: DAS PASSIERT AUCH ANDEREN, ICH BIN NICHT ALLEINE DAMIT, ICH MUSS MICH NICHT DAFÜR SCHÄMEN.“ Opferentschädigung erleichtern Das bisherige Verfahren im Rahmen des Opfer­ entschädigungsgesetz (OEG) wird ohne Ausnahme als große Belastung erlebt. Viele Betroffene stellen bewusst keinen Antrag und verzichten damit auf dringend benötigte Leistungen, um sich psychisch nicht weiter zu belasten. Andere wussten nicht von der Möglichkeit der Opferentschädigung. „NATÜRLICH KÖNNTE ICH DIE RENTE GUT GEBRAUCHEN, ABER ICH SAGE DANN IMMER: HALLO, ZUM EINEN MÜSSTE ICH DAFÜR DURCH DIE HÖLLE GEHEN UND ZUM ANDEREN KÖNNTE ICH ES GAR NICHT BEWEISEN. WIE SOLL ICH BEWEISEN, DASS ES STATTGEFUNDEN HAT? ICH WAR ALLEINE MIT IHM. WIE SOLL MAN DAS BEWEISEN IN DER FAMILIE?“ Die Verfahren dauern sehr lange bei unsicherem Ausgang. Viele wünschen sich eine sachkundige Begleiterin oder einen sachkundigen Begleiter an ihrer Seite, um das als schwierig, bürokratisch und nicht transparent empfundene Verfahren besser zu verstehen. Sie fühlen sich hilflos und ausgeliefert. „INZWISCHEN MUSS EIN ANTRAGSTELLER ZUSÄTZLICH DIE HILFE EINES FACHANWALTS IN ANSPRUCH NEHMEN, UM DIE MIT DEM ANTRAG VERBUNDENEN ‚TÜCKEN UND MÄNGEL‘ DES OEG WEITESTMÖGLICH ZU UMGEHEN. GERADE EIN GESETZ WIE DAS OEG DARF KEINE TÜCKEN UND MÄNGEL HABEN, DIE OPFER – GERADE VON SEXUELLER GEWALT – ERNEUT TRAUMATISIEREN.“

Die Betroffenen berichten, dass die Behörden sehr hohe Anforderungen an den Nachweis der sexuellen Gewalt und der Ursächlichkeit der ­sexu­ellen Gewalt für psychische (Spät-)Folgen stellen. Diese können nicht erfüllt werden. Die geforderte intensive Beschäftigung mit dem Geschehen wirkt oft retraumatisierend. Gleichzeitig werden Betroffenen ihre Überlebensstrategien häufig negativ angerechnet. Wenn jemand trotz der Übergriffe einen erfolgreichen beruflichen Weg beschritten hat, heißt das aber nicht, dass die Taten nicht erhebliche Ausmaße und Folgen hatten. Daran zeigt sich, dass es in der Gesellschaft einseitige Vorstellungen davon gibt, wie Opfer sein sollen. Diese Vorstellungen zu öffnen, ist weiterhin ein wichtiges Anliegen der Kommission. „SEIT DER ABLEHNUNG DURCH DAS OEG HABE ICH ANGEFANGEN, MICH NOCH WEITER ZURÜCKZUZIEHEN, DA ICH IN DEM GANZEN PROZESS DAS GEFÜHL BEKAM, ALLES NUR ERFUNDEN ZU HABEN UND DAMIT ZU LÜGEN … JA, MEINE VITA IST MIT TRAUMATA DURCHSETZT, JEDOCH DESWEGEN MIR SCHRIFTLICH MITZUTEILEN, DASS MEINE SEHR SCHWEREN BEEINTRÄCHTIGUNGEN NICHT DURCH DIE VORFÄLLE IM ELTERNHAUS KOMMEN, SONDERN DURCH VERSCHIEDENSTE EREIGNISSE IM LEBEN ERST ENTSTANDEN, IST EINE SCHALLENDE OHRFEIGE, DA SOMIT DIE TATEN HERUNTERGESPIELT WERDEN.“ Weiterhin wird die Regelung des § 10a OEG als sehr ungerecht empfunden. Danach können Betroffene, die vor dem 15. Mai 1976 in der Bundesrepublik Deutschland oder vor dem 2. Oktober 1990 in der DDR Opfer von sexuellem Kindesmissbrauch geworden sind, nur in besonderen Härtefällen Leistungen aus dem OEG erhalten. Änderungen im Strafprozess und Strafrecht herbeiführen Ähnlich negativ empfinden Betroffene Ermittlungs- und Strafverfahren. Viele von ihnen schrecken bereits vor einer Anzeige zurück, obwohl sie sich eine gerechte Bestrafung des Täters oder der Täterin und vor allem die Verhinderung weiterer Taten wünschen. Die Verfahren werden auch wegen ihrer Dauer von oft mehreren Jahren sowie der Mehrfachbefassung als äußerst belastend erlebt. Vereinzelt kritisieren Betroffe-

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ne auch aktuelle Missstände, wie zum Beispiel, dass betroffenen Kindern geraten werde, in der Zeit des Strafverfahrens keine Therapie zu beginnen und in der Familie nicht über den Missbrauch zu sprechen. Doch damit werde ihnen Hilfe verwehrt.

vier Berichten als Mittäterin des Vaters bzw. Stiefvaters angegeben wird. Hervorzuheben ist, dass es in den acht vorliegenden Berichten im rituellen Kontext jeweils Familienangehörige sind, die zum Täter oder zur Täterin werden (siehe Abbildung Seite 32).

Betroffene kritisiert in den Anhörungen und schriftlichen Berichten vor allem die derzeitigen Verjährungsfristen für Straftaten des sexuellen Missbrauchs. Betroffene wünschen sich eine Verlängerung oder auch eine vollständige Abschaffung. Auch zu milde Strafen werden häufig beanstandet.

Auffällig ist, dass für die Berichtenden nicht in erster Linie die missbrauchenden und/oder gewalttätigen Angehörigen im Mittelpunkt ihrer Geschichte stehen, sondern vor allem Aspekte, die Hilfe im Kindesalter verhindert oder erschwert haben. Auf einige für die Betroffenen besonders prägnante Punkte und wiederkehrende Schlüssel­ themen soll im Folgenden eingegangen werden.

„SEXUELLER MISSBRAUCH SOLLTE NICHT VERJÄHREN, ES IST MORD AUF RATEN. VIELE BETROFFENE KOMMEN ERST VIELE, VIELE JAHRE SPÄTER ZU WORT, WEIL IHNEN VORHER DER MUT DAZU FEHLTE. DANN HABEN DIE TÄTER OFT EINEN FREIBRIEF, WEIL ES VERJÄHRT IST.“ 3.4.3 Schlüsselthemen im Kontext Familie Die Kommission ist eine der ersten Aufarbeitungskommissionen, die jede Form des sexuellen Missbrauchs und damit auch den sexuellen Missbrauch in der Familie aufarbeitet. Aufgrund dieser Einzigartigkeit hat die Kommission zu Beginn ihrer Arbeit den sexuellen Missbrauch von Kindern in der Familie in den Mittelpunkt gestellt. Sie hörte mehrheitlich Menschen an, die von sexuellem Missbrauch in der Familie betroffen sind, und sie widmete ihr erstes Öffentliches Hearing dem Thema Familie. Die Bedeutung des Themas sexueller Missbrauch in der Familie zeigt sich auch darin, dass die Mehrzahl der Betroffenen, die sich bisher an die Kommission gewandt hat, über Missbrauch in der Familie oder im sozialen Umfeld berichtet (siehe Kapitel 3.3). Aus den schriftlichen Berichten lassen sich erste Aussagen über die Tätergruppen innerhalb der Familie treffen. In über der Hälfte der schriftlichen Berichte aus dem familiären Kontext werden der Vater oder Personen, welche die Vaterrolle übernommen haben, als Täter benannt. Sieben Betroffene beschreiben die Mutter als Täterin, wobei sie in drei Fällen als allein handelnd und in

Gründe für das Schweigen Überwiegend berichten Betroffene in den An­ hörungen und Berichten davon, dass sie in ihrer Kindheit den sexuellen Missbrauch nicht offenbarten. Dabei hat das Schweigen mehrere Ursachen. Ein Grund ist die auch im familiären Kontext greifende und von den Betroffenen be­richtete Täterstrategie, dem Kind das Schweigen aufzuerlegen, indem Täter oder Täterin von einem Geheimnis sprechen, das Kind bedrohen oder ihm suggerieren, dass es etwas Schlimmes und Verbotenes tut. „DA HAT ER MIR INS OHR GEFLÜSTERT: DAS IST JETZT UNSER GEHEIMNIS, DAS DARFST DU NIEMANDEM VERRATEN, AUCH DER OMA NICHT. SONST MÜSSEN WIR ALLE INS GEFÄNGNIS.“ „DENN EINES WUSSTE ICH GANZ GENAU: DAS DÜRFEN WIR NIEMALS DER MUTTI SAGEN! DIES BEDEUTETE EINE GROSSE LAST, HATTE ICH MICH DOCH AUF DIESE SACHE EINGELASSEN. ES GAB KEIN ZURÜCK UND ICH FÜHLTE SCHULD UND SCHAM!“ Viele Betroffene berichten davon, dass der Täter oder die Täterin in ihnen bewusst Schuldgefühle erweckt und ihnen vermittelt hat, selbst die Verantwortung für den Missbrauch zu tragen. „MIR WURDE SCHON IMMER EINGEBLÄUT, NICHTS ZU VERRATEN. DIE POLIZEI WÜRDE MICH MITNEHMEN MIT DEM, WAS ICH GEMACHT HATTE.“

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3. ANHÖRUNGEN UND BERICHTE

Neben Scham, Schuld und fehlenden Worten für das Geschehene benennen Betroffene als Gründe für ihr Schweigen den Schutz der Familie. Häufig haben sie als Kind das Geschehen nicht verstanden und konnten es deshalb nicht benennen. Nicht selten werden ambivalente Gefühle zum Täter oder zur Täterin beschrieben, die das Sich-Öffnen verhindert haben. So wird zum Beispiel der leibliche Vater nicht nur als ­Täter wahrgenommen, sondern auch als liebevoller Vater. Andere Betroffene hinderte der ­Gedanke „Du sollst Vater und Mutter ehren“ am Aussprechen des Tatvorwurfs. Viele berichten von überforderten Müttern, die mit Verlustängsten oder anderen Belastungen gerungen oder selbst Gewalt durch den Täter erfahren haben. Sie schwiegen, um die Mutter zu entlasten und zu schützen. „MEINE MUTTER ZOG SICH DANN MEHR UND MEHR IN SICH ZURÜCK. ICH DENKE, MEINE GRÖSSTE ANGST ALS KIND WAR, DASS MEINE MUTTER VERLOREN GEHT.“ Viele Betroffene erzählen, dass sich ihre Familie abschottete, sie nicht bei anderen Kindern spielen oder diese nicht mit nach Hause bringen durften. Es gab somit kein Entkommen aus der Abgeschiedenheit der Familie. „DIE ABGESCHIEDENHEIT DER FAMILIE. DA GAB ES FÜR ANDERE NICHT WIRKLICH EINBLICK. ABER AUCH BESTIMMTE FAMILIENWERTE/TABUS/REGELN:

WIR REDEN NICHT SCHLECHT ÜBER UNSERE FAMILIE. UNSERE ELTERN SIND DIE BESTEN. BESONDERS PAPA IST TOLL. BEI UNS GIBT ES KEINE GRENZEN, VOR DEN ELTERN KEINE GEHEIMNISSE. WIE WIR ES MACHEN, IST ES RICHTIG. ANDERE LEUTE MACHEN OFT WAS FALSCH, WIR NICHT. WAS FALSCH MACHEN, IST VERWERFLICH. WIR SIND MORALISCH BESONDERS GUT. DAS HAT DIE KOMMU­NI­ KATION NACH AUSSEN VERHINDERT. DAS HAT ABER AUCH VERHINDERT, DASS MEINE MUTTER (DIE DIESE WERTE BESONDERS HOCHHÄLT) GENAU HINSEHEN KONNTE.“ Sofern auch Geschwister missbraucht wurden, erzählen Betroffene fast nie davon, dass sie miteinander darüber geredet haben – zum Teil auch nicht als Erwachsene. Mitunter beschreiben sie sich und ihre Geschwister als „Leidensgemeinschaft“ oder „gemeinsam Ertrinkende“, die sich nicht hätten helfen können. Einige Menschen berichten, dass sie nicht gewusst haben, dass die Schwester oder der Bruder auch betroffen sind, was die Beziehungen zwischen den Geschwistern aufgrund der Schuldzuweisung einerseits und den Schuldgefühlen andererseits zum Teil bis ins Erwachsenenalter belastet. Die Rolle von Müttern und anderen Familienangehörigen Es geht in sehr vielen Anhörungen und Berichten vor allem um die Rolle der leiblichen Mutter. Die Reaktionen von Müttern sind unterschiedlich

Abbildung zu Kapitel 3.4.3 Täterstruktur im Kontext Familien - Verteilung in den schriftlichen Berichten 37 | Vater 12 | Bruder/Stiefbruder 10 | Stiefvater/Lebensgefährte der Mutter/Freund 10 | Sonstige Angehörige 09 | Großvater/Stiefgroßvater 08 | Onkel 07 | Mutter 03 | Cousin 01 | Patenonkel 01 | Pflegevater

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und ihre Rolle ist auch anhand der Geschichten genau zu betrachten. Mütter, die sich nicht ­eindeutig auf die Seite ihres Kindes oder ihrer Kinder stellen, werden in manchen Geschichten als gewaltbereite, aggressive Mütter und auch (Mit-)Täterinnen beschrieben. In anderen Anhörungen und Berichten gehen die Betroffenen auf die Ohnmachtserfahrungen der Mutter in der Par­t­ nerschaft oder ihre Rechtlosigkeit in der Familie des Mannes ein. Manche Betroffene beschreiben Missbrauchserfahrungen der Mütter in ihrer eigenen Familie oder durch andere Täter. Wieder andere Mütter litten unter gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder finanzieller Abhängigkeit. Meistens aber geht es um Mütter, die den Missbrauch geduldet haben. „MEINE MUTTER HAT UNS NIE GEGEN IHN GESCHÜTZT, MIT DER ZEIT WURDE AUCH SIE GEWALTTÄTIG. NACH AUSSEN WAREN WIR JEDOCH IMMER DIE VORZEIGEFAMILIE … BESONDERS MEINER MUTTER IST DIESER SCHEIN NACH AUSSEN WICHTIGER ALS ALLES ANDERE.“ „NACH MONATEN HABE ICH MEINEN MUT ZUSAMMENGENOMMEN UND MEINE MUTTER GEBETEN, DEM PAPI ZU SAGEN, DASS ER DAS BITTE NICHT MACHEN SOLL. MEINE MUTTER EXPLODIERTE UND NANNTE MICH EINE HURE UND SCHLAMPE, DIE NUR DIE EHRE DER FAMILIE IN DEN DRECK ZERREN WOLLTE UND SIE INS ELEND STÜRZEN WOLLTE.“ „ICH KANN MICH DARAN ERINNERN, WIE MEINE MUTTER GANZ WÜTEND NACH HAUSE KAM UND SAGTE, WAS FÄLLT DER LEHRERIN ÜBERHAUPT EIN. SIE WÜRDE FALSCHAUSSAGEN VERBREITEN UND ICH SEI EINE LÜGNERIN.“ Es werden aber auch Mütter beschrieben, die ­ihren Kindern glauben und ihnen das Überleben ermöglichen. In den Berichten, die die Kommission von Eltern betroffener Kinder erhalten hat, beschreiben diese ihren eigenen Schock angesichts der Gewalt, die ihrem Kind bzw. ihren ­Kindern widerfahren ist, ihre Gefühle etwa der Hilflosigkeit und ihre Bemühungen, dem Kind zu hel­fen und einen geschützten Raum zu bieten. Eine Mutter thematisiert ihre Schuldgefühle, welche sie an der Frage ihrer Tochter festmacht:

„WARUM HAST DU MIR SO EINEN PAPA GESUCHT, WARUM NUR?“ Auch Geschwister spielen für die Menschen in ihren Geschichten eine wichtige Rolle. Auf dem Öf­ fentlichen Hearing zum Thema Kindesmissbrauch in der Familie berichtet eine Frau, wie sich ihre jüngere Schwester an sie gewandt hatte. Sie kannte zu dieser Zeit keine Anlaufstelle oder Beratungsstelle, bei der sie hätte Hilfe suchen können. Obwohl die jüngere Schwester ihr ein Schweigegelübde auferlegte, entschloss sie sich später zu einer (erfolgreichen) Anzeige gegen den Täter. Betroffene berichten auch davon, dass Verwandte über lange Zeit etwas von den Übergriffen ahnten, sie aber nicht schützten. Erst der Tod des Täters oder der Täterin oder familiäre Auseinandersetzungen, wie Erbstreitigkeiten, geben Anlass, die Vermutungen auszusprechen. Soziale Stellung der Familie Die Geschichten der Berichtenden verdeutlichen, dass sexueller Missbrauch in Familien aller sozialen Schichten stattfindet. Sowohl die in der Gemeinde angesehene Unternehmer- oder Akademikerfamilie als auch die bildungsferne oder so­zial schwächere Familie kann zum Tatort werden. „DER SOZIALE STAND DER ELTERN, DER ÄUSSERE SCHEIN, DARF NICHT ALS MASS­ STAB FÜR STRAFTATEN GENOMMEN WERDEN. MISSBRAUCHSFAMILIEN HABEN MEISTENS DEN PERFEKTEN SCHEIN, SEHR VIEL PERFEKTER ALS GESUNDE FAMILIEN, ALLEIN SCHON AUS DER ANGST DER TÄTER HERAUS.“ Hilfe durch Schule und Jugendamt Die von den Berichtenden beschriebenen Zustände des Schweigens, der fehlenden Hilfe durch die Mutter oder durch andere Angehörige und der nach außen korrekt auftretenden Familie haben bei der Mehrheit der Betroffenen dazu beigetragen, dass Schule und Jugendämter nicht aufmerksam geworden sind. Andere Betroffene berichten, dass Schule und Jugendamt Signale und Verhaltensauffälligkeiten nicht wahrgenommen oder fehlinterpretiert haben. Das Wissen über sexuellen Kindesmissbrauch war früher wenig verbreitet und es gab so gut wie keine spezialisierten Angebote. Zum Teil wurde allerdings auch

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3. ANHÖRUNGEN UND BERICHTE

in Schule und Jugendamt weggeschaut und geschwiegen.

„MIT 14 GEHST DU ZUM ERSTEN MAL ZUM JUGENDAMT, DU WILLST NICHT MEHR ZU HAUSE WOHNEN. ABER DER ZUSTÄNDIGE SACHBEARBEITER NIMMT DICH NICHT ERNST. WENN DU WIRKLICH AUSZIEHEN WILLST, DANN KOMM MAL MIT DEINEN ELTERN WIEDER HER, MEINT ER UND SCHICKT DICH ZURÜCK IN DIE HÖLLE.“

Anlaufstelle haben, um selbst Hilfe holen zu können, sowie die Schwierigkeit der Familie, sich einer solchen fundamentalen Krise zu stellen. Diese Probleme und Schwierigkeiten bestehen zum Teil bis zum heutigen Tage fort, so dass Familien, in denen Missbrauch aktuell stattfindet, teilweise immer noch mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben. Damit stellt sich die Frage, wie den Familienmitgliedern aus diesem vermeintlich privaten Umgang mit Missbrauch in der Familie herausgeholfen werden kann. Die Kommission wird daran weiter arbeiten, damit praktische Anknüpfungspunkte für die öffent­ liche Verantwortung aufgezeigt werden können. Sexuelle Gewalt in der Familie hat eine zutiefst persönliche Seite, aber sie hat auch eine große politische Trageweite.

Ausgrenzung durch die eigene Familie Die Betroffenen, die sich der Familie geöffnet haben, berichten in den Anhörungen und Berichten häufig, dass sie als „Nestbeschmutzer“ angesehen wurden, die die Familie zerstören. ­Teil­weise kam es sogar zu Verleumdungsklagen durch die Täter oder Täterinnen, die von der Familie unterstützt wurden. Bei Aussagen vor der Polizei und Justiz wurden Betroffene von Familienangehörigen der Lüge bezichtigt. Selbst wenn ihnen geglaubt wurde, dass der Missbrauch stattgefunden hat oder eine Verurteilung vorlag, bleiben die Täter unter Umständen Teil der Familie und werden zum Beispiel zu Familienfeiern wie Hochzeiten eingeladen. Aus Selbstschutz distanzieren sich Betroffene daher häufig von ihren Familien oder brechen den Kontakt zu ihnen ganz ab.

PERSPEKTIVE Eine vertiefte inhaltliche Auswertung der v ­ er­­traulichen Anhörungen und schriftlichen Berichte wird unter anderem in den Projekten der Kommissionsmitglieder erfolgen. Dies gilt sowohl für den Tatkontext Familie als auch für weitere Arbeitsschwerpunkte der Kommis­sion. Allerdings sind nicht alle thematischen Schwerpunkte von den Forschungsprojekten der Kommission abgedeckt. Dies betrifft zum Beispiel sexuellen Missbrauch in den Kirchen, in sozialen Bewegungen und im Sport. Die Kommission verfügt nicht über ausreichend Mittel, um systematisch Forschungsaufträge vergeben und Forschung außerhalb der be­stehenden Förderrichtlinien voranbringen zu können.

„ICH HABE IN MEINER KINDHEIT SEHR DEUTLICHE SIGNALE AUSGESENDET, ZUM BEISPIEL DIE PLÖTZLICHEN SOZIALEN AUFFÄLLIGKEITEN, AUF DIE LEHRER UND ÄRZTE HÄTTEN REAGIEREN MÜSSEN.“

„BEI FAMILIENFESTEN BIN ICH‚ AUSSEN VOR‘, NICHT DER TÄTER!“ Diese ersten Einblicke in die Lebensgeschichten zeigen deutlich die Spannbreite familiärer Situationen und Hintergründe im Kontext sexuellen Kindesmissbrauchs. Die Betroffenen beschreiben die unterschiedlichen Rollen und Reaktionen. Auch gehen sie auf die Bedeutung der Biografien von Elternteilen im Kontext familiären Missbrauchsgeschehens ein. Ein Aspekt, der sich aus diesen Einblicken ableiten lässt, ist der Blick auf Macht- und Gewaltverhältnisse in Partnerschaften. Zudem wird das Problem sozialer Isolation deutlich, wenn Betroffene und Angehörige keine

In Vorbereitung auf die Themenschwerpunkte der kommenden öffentlichen Hearings werden vermehrt vertrauliche Anhörungen mit Be­ troffenen durchgeführt, die Missbrauch in den entsprechenden Kontexten erlebt haben. Am 11. Oktober 2017 findet in Leipzig das zweite Öffentliche Hearing zum Thema Sexueller ­Missbrauch in der DDR statt. Für das Jahr 2018 sind weitere öffentliche Hearings geplant, ­unter anderem zu den Kirchen. Dem Themenkomplex Sexueller Missbrauch in rituellen und organisierten Gewaltstrukturen wird sich die Kommission zunächst in einem nichtöffent­ lichen Werkstattgespräch widmen, das im ­November 2017 stattfindet.

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3. ANHÖRUNGEN UND BERICHTE

3.5 VIER BETROFFENENGESCHICHTEN Die folgenden Geschichten von Betroffenen stehen exemplarisch dafür, was Betroffene gegenüber der Kommission berichten. Die Geschichten beziehen sich vor allem auf Erfahrungen sexu­ eller Gewalt in der Familie, den ersten Arbeitsschwerpunkt der Kommission. Die Betroffenen haben der Veröffentlichung zugestimmt. Ihre Namen wurden geändert.

LEONIE

Leonie musste „manchmal Wache stehen“, während ihr Großvater ihre Zwillingsschwester missbrauchte. „Wenn meine Mutter kam, warnte ich ihn und er zog meine Schwester und sich an.“ Leonie – geboren Mitte der 1990er-Jahre – war sechs Jahre alt, als der Großvater seine Über­ griffe an beiden Mädchen begann. „ICH VERSTAND DAMALS NICHT, DASS ES ETWAS FALSCHES IST, ETWAS VERBOTENES, UND DESWEGEN HATTE ICH AUCH KEINE ANGST DAVOR. IN DER VIERTEN KLASSE HATTE ICH SEXUALKUNDEUNTERRICHT. DA BEGRIFF ICH, DASS DAS, WAS MEIN OPA MACHT, NICHT RICHTIG IST, UND SAGTE ES MEINER MUTTER.“ Die Mutter glaubte der Tochter sofort, weil sie selbst als Kind Opfer ihres Vaters geworden war. Damit endete dieser Missbrauch; Leonie war neun Jahre alt. Zwei Jahre später begann ihr ­Vater, sie zum Geschlechtsverkehr zu zwingen. Sexuelle und körperliche Gewalt dauerten bis zu ihrem 16. Lebensjahr. „Als mein Vater anfing, dachte ich, das alles sei nicht möglich. Ich schloss meistens meine Augen, weil ich es nicht ertrug, oder versuchte, mich weit weg zu denken. Manchmal wehrte ich mich auch, obwohl ich das Gefühl hatte, das macht alles nur noch schlimmer. Irgendwann mit 14 schrieb ich meiner Mutter Briefe darüber, was mein Vater mit mir macht und dass ich es nicht mehr aushalte. Ihre Reaktion war leider nicht die, die ich erwartet hatte. Sie glaubte mir nicht.“ Die Mutter und deren Freundin beschimpften Leonie: „Du machst die Familie kaputt“ und

„DENK DOCH MAL AN DEINE MUTTER!“ „Dann kam mein Vater von der Arbeit heim und sagte nur den einen Satz: ‚Leonie lügt nicht, es stimmt.’ Danach war Stille und ich hob mir die Hände vors Gesicht und rannte in den Keller. Ich musste mich umziehen, meine Hände haben gezittert und ich hatte das Gefühl, mich noch nie so leer gefühlt zu haben.“ Leonie blieb zurück mit dem Gefühl, die eigentliche Täterin zu sein. „Warum wurde ich nicht geschützt? Ich vermute mal, weil meine Mutter das alles nie verarbeitet hat.“ Ihre Eltern ließen sich scheiden und sie blieb zerrissen gegenüber dem Vater, der später eine Tätertherapie begann: „Gleichzeitig zu lieben und zu hassen, kann schwer sein. Die Bindung zum Vater kann man nicht einfach kappen; das können die wenigsten verstehen.“ Von einer Anzeige rieten Leonie das Jugendamt und eine Beratungsstelle ab. Später kontaktierte sie mehrere auf sexuelle Gewalt spezialisierte Fachberatungsstellen, mit deren Unterstützung sie unterschiedlich zufrieden war. Sie bedauert, keine Traumatherapeutin gefunden zu haben. „MIR FÄLLT ES SCHWER, MEINEN KÖRPER ÜBERHAUPT ANZUNEHMEN, DAMIT UMZUGEHEN. NÄHE ZUZULASSEN – WENIGSTENS BEI FREUNDEN MAL EINE UMARMUNG ANZUNEHMEN, OHNE DASS MAN PANIK BEKOMMT ODER DENKT, DIE HAUT ‚BRENNT’ INNERLICH.“ Leonie ist in eine andere Stadt gezogen, macht erfolgreich eine Ausbildung und genießt, „ein Stück weit funktionieren“ zu dürfen. „Die Leonie, die es ‚Teilzeit’ noch so gibt, die wird in der Berufsschule nicht gezeigt. Ich bin ein absolut lebensbejahender Mensch. Jemand, der eigentlich nur nullachtfünfzehn sein möchte. Normal.“

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PIA

„Für mich war ein Priester der Stellvertreter Gottes.“ So beschreibt Pia die Macht des Mannes, mit dem sie als Kind im selben Bett schlafen musste und der sie jahrelang sexuell missbrauchte. „ICH MUSSTE AUCH BEI IHM BEICHTEN. DAS WAR JA SÜNDE, WAS NACHTS PASSIERTE. WAS HATTE ICH FÜR EINE ANGST, DASS ICH VERUNGLÜCKE, OHNE GEBEICHTET ZU HABEN! DENN MAN KOMMT IN DIE HÖLLE, WENN MAN EINE TODSÜNDE BEGANGEN HAT. DAS WAR WIRKLICH GRAUSAM.“ Pia war sechs Jahre alt, als der Theologiestudent in den 1950er-Jahren in die ärmlich und beengt lebende Familie zog. Er schlief bei ihr, die zwei jüngeren Schwestern bei den Eltern. Deren Ehe war unglücklich, für die Mutter wurde der Priester zur Liebe ihres Lebens: „Man kann fast sagen: Meine Mutter hat mich stellvertretend ihm gegeben.“ Darum hat Pia ihrer Mutter erst spät von dem Missbrauch berichtet. Die Mutter konfrontierte daraufhin den Täter in Pias Beisein. „Meine Mutter sagte: ‚Pia, kommst du mal in die Küche?’ Da saß er auf der Eckbank und hatte den Kopf gesenkt. Und sie fragte ihn: ‚Das stimmt doch nicht, was Pia sagt?“ Da hat er den Kopf gehoben und Tränen in den Augen gehabt und den Kopf geschüttelt. Das war für mich ein solcher Schock. Dann haben die mich überredet, dass ich das geträumt habe.“ Der Priester beendete die Übergriffe, als die Eltern ihm ein Schlafsofa ins Wohnzimmer stellten. Pia war 12 oder 13. Der Täter gehörte 30 Jahre lang zur Familie. „Ohne ihn wäre ich nicht aufs Gymnasium gekommen. Ohne ihn hätten wir keinen Urlaub gemacht. Ohne ihn wäre unser Leben unglaublich düster gewesen, denn er war eine Frohnatur. Unsere Welt war eng. Er hat die Welt irgendwie groß für uns gemacht.“ Gleichzeitig bürdete die Mutter Pia die Verantwortung einer Erwachsenen auf, fragte sie um

Rat und ließ sie Streit schlichten. „Ich war ein Pfeiler in dieser Familie. Das war das Schlimmste.“ In der Pubertät bekam Pia psychische Probleme, Ess- und Schlafstörungen. „Ich war sehr früh sexualisiert. Ich habe viel mehr mit mir machen lassen als andere Frauen. Sexualität war zeitweise die einzige Möglichkeit, mich zu fühlen.“ Nachdem die Mutter einen Schlaganfall erlitt, half der Priester der Familie jahrelang, sie zu pflegen. Dann verließ er die Mutter urplötzlich. „Ich habe zu ihm gesagt: ‚Wir hatten eine Abmachung: Ich sage nichts über den Missbrauch und dafür kümmerst du dich um Mutter.’ Und dann hat er gesagt: ‚Ich weiß nicht, wovon du redest.’ Und dann ist er abgefahren. Das konnte ich ihm nie verzeihen.“ Nachdem der Missbrauch in der Katholischen Kirche 2010 öffentlich wurde, wandte Pia sich an einen Verantwortlichen des Ordens, zu dem der Täter gehörte. Sie erlebte ihn als „sehr verständnisvoll und entgegenkommend“ und erhielt eine Entschädigung von 10.000 Euro. Pia war Lehrerin und hat dann als Schauspielerin und Autorin gearbeitet. Sie würde ihre Geschichte gerne in einem Drehbuch oder einem Roman verarbeiten.

3. ANHÖRUNGEN UND BERICHTE

TIM

Die Übergriffe gehörten zu Tims Alltag wie Essen und Trinken. „ES IST ÜBERALL PASSIERT. WOHNZIMMER, DACHBODEN, BADEZIMMER, SCHLAFZIMMER DER ELTERN, KINDERZIMMER, SCHWIMMBAD, SAUNA, AUTO. NACHTS, WENN DIE MUTTER SCHLIEF, MITTAGS NACH DER SCHULE, ABENDS NOCH MAL. ES GAB KEIN ENTKOMMEN VOR IHM.“ Es war Mitte der 2000er-Jahre und Tim war zehn, sein Bruder wenige Jahre älter, als der Lebensgefährte der Mutter einzog. Die Mutter erwartete ein Kind von ihm. Der Täter begann mit Kuscheln und ging dann über zu Oral- und Analverkehr. Er verfolgte klare Strategien: „Mein Vater litt an vorzeitigem Samenerguss, und mein Stiefvater sagte: ‚Ich muss überprüfen, ob das bei dir auch so ist.’ So fing die erste Tat an. Dann hat er erzählt, dass er selbst missbraucht wurde, und ich hatte Mitleid mit dem. Er war der einzige Mensch in meinem Leben. Ich hatte keinen Kontakt zu meinem Vater, ein schwieriges Verhältnis zur Mutter und keine Freunde. Er hat mich isoliert.“ Der Stiefvater war gewalttätig und demütigte Tim, den Bruder und die Mutter. „Wir Jungs waren seine Knechte: ‚Knecht, komm mal her!’ Es war eine Terroratmosphäre.“ Für Freizeit oder Computerspiele musste Tim „zahlen“. „Ich konnte mir alles erkaufen. Das war so ein richtiges System. Für Analverkehr durfte ich das und das, aber für Oralverkehr nur das und das und für die Hand nur was Kleineres.“ Einmal offenbarte sich der ebenfalls betroffene Bruder der Mutter. „Da sitzt der heulende Bruder, direkt daneben der Stiefvater mit so einer Fresse, hier die Mutter, im Hintergrund das spielende Kind. Dann werde ich dazu gerufen. Meine Mutter fragt: ‚Tim, stimmt das?’ Ich gucke zu meinem Bruder, zu

meinem Stiefvater und der macht nur so. Da habe ich gesagt: ‚Nein. Stimmt nicht.’ Aus Angst.“ Als Tim 15 Jahre alt war, hörte die sexuelle Gewalt auf – wie Tim vermutet, weil er körperlich zu entwickelt, „nicht mehr der Knabe“ war. Mit 18 Jahren zog er aus, wenig später zeigte er den Täter an. Der wurde zu sieben Jahren Haft verurteilt und 100.000 Euro Schmerzensgeld, von dem Tim ein Fünftel bekommen hat. Seine Mutter warf ihm vor: „Gib doch endlich zu, dass du ihn geliebt hast und eifersüchtig auf mich warst!“ Tim fühlt sich bis heute schuldig. Tim leidet an einer Borderline-Störung, Depressionen und einem Reizdarm. Mit viel Mühe hat er die Anerkennung von 40 Grad Beeinträchtigung nach dem Opferentschädigungsgesetz erstritten. „SO VIELE OPFER SIND NICHT MAL ­ANSATZWEISE SO STARK WIE ICH. ICH HABE DAS NUR ALLES GESCHAFFT, WEIL ICH SO STARK BIN.“ Tim hat eine Ausbildung abgeschlossen und ist berufstätig – das wurde ihm von Polizei, Justiz und im OEG-Verfahren negativ ausgelegt: Wer so „funktioniert“, kann nicht schwer geschädigt sein. Tims Realität ist eine andere. „Keine Ahnung, wie ich das überhaupt schaffe, morgens aufzustehen. Ich wache in Trauer und Leid auf und schlafe mit Trauer und Leid ein, wenn ich überhaupt einschlafe. Ich bin unglaublich erschöpft. Ich habe keine Hoffnung, dass es mir irgendwann besser geht. Ich bin voll am Abgrund jeden Tag.“

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REGINE

„MEINE RICHTIGE MUTTER KAM INS ­GE­FÄNGNIS, WEIL SIE DREI GESUCHTE MÄNNER VERSTECKTE, UND WIR SECHS KINDER SIND INS HEIM GEKOMMEN. MIT DREIEINHALB JAHREN BIN ICH ADOPTIERT WORDEN. DIE MUSSTEN EIN KIND HABEN, UM GUT DAZUSTEHEN. MEIN VATER WAR IN DER PARTEI UND MEINE MUTTER WAR KINDERÄRZTIN.“

laubten Pfeifens in den sogenannten Fuchsbau. „Das war ein niedriges Kellerloch. Da wurdest du drei Tage eingesperrt. Nur hockend. Und dann kamen auch noch die Jungs … Die wollten das nicht, aber die mussten mich ... vergewaltigen, sonst wären sie bestraft worden. Und der Heimleiter auch noch drauf. Regelmäßig.“ Ebenfalls während ihrer Zeit im Heim nahm ein Bekannter Regine auf dem Motorrad mit.

Regine – geboren Mitte der 1960er Jahre in der DDR – ist herumgestoßen worden. Als sie zehn Jahre alt war, bekam sie eine zwei Jahre jüngere Adoptivschwester, die ihr fortan vorgezogen wurde. Über Regine sagen die Eltern bis heute: „Die kriegt nichts auf die Reihe.“ Vor den Gewalterfahrungen der Tochter schlossen sie die Augen.

„ER HAT MICH DANN IN DIESEM WALDGEBIET … VERGEWALTIGT UND MIR EIN MESSER IN DEN BAUCH GESTOSSEN UND MICH IN DEN TEICH GESCHMISSEN.“

Mit 14 Jahren wurde Regine bei einer Party in einem Arbeiterwohnheim von drei Männern vergewaltigt. Sie kehrte übersät mit blauen Flecken nach Hause zurück – ihrer Mutter fiel nichts auf.

Regine lebte später mehrere Jahre in psychiatrischen Kliniken. Seit einem Suizidversuch sitzt sie im Rollstuhl. Sie leidet unter Alpträumen und Platzangst, bekommt aber keine Traumatherapie, weil es keine freien Plätze gibt.

Ein Jahr später begann Regine eine Lehre und zog in ein Lehrlingswohnheim. „Da bin ich gezwungen worden, Alkohol zu trinken. Wenn ich nicht mitgetrunken habe, dann haben die Mädchen mich am Stuhl festgebunden und Schnaps hineingekippt.“ Nach der Lehre haben ihre Eltern Regine ins Heim abgeschoben. „Die sind nicht mit mir klargekommen angeblich. Da kam so ein weißer Transporter und drei solche Body Boys und Arme umgedreht und ab hinten rein. Meine Eltern standen an der Tür und ich hörte meinen Vater sagen: ‚Wieder ein Problem los.’“ Im Heim starb ihre schwangere Freundin durch einen Unfall mit einem Traktor, den Regine fuhr. „Die Mädchen haben mich dann in der Scheune vermöbelt und angebunden. Am nächsten Tag haben sie die Scheune angezündet. Während ich drin war.“ In dem Heim wurde die Geschichte ­unter den Teppich gekehrt und Regine vertraute sich niemandem an. Drei Monate verbrachte Regine auch in einem der Jugendwerkhöfe, den Disziplinierungsanstalten der DDR-Jugendhilfe. Hier kam sie wegen uner-

Die Wunde wurde im Krankenhaus versorgt, über die sexuelle Gewalt schwieg Regine.

Um das Jahr 2000 sperrte ein Mann Regine fünf Tage lang ein, vergewaltigte und misshandelte sie – die erste Gewalttat, die Regine anzeigte. „Aber es wurde natürlich eingestellt. Einer Rollstuhlfahrerin glaubt man ja nicht.“ Auch Regines Eltern glaubten ihr nicht, als sie ihnen schließlich von ihren Gewalterfahrungen erzählte: „Ich würde mich damit wichtigmachen, ich lüge.“ Regine hat wieder Kontakt zu ihrer leiblichen Mutter und besucht sie jetzt manchmal.

„GERADE FÜR MÄDCHEN UND JUNGEN, DIE IM FAMILIÄREN KONTEXT MISSBRAUCH ERLEBEN, BRICHT HÄUFIG IHRE WELT ZUSAMMEN – SIE VERLIEREN SCHLICHT IHR ZUHAUSE.“ Tamara Luding, ständiger Gast der Kommission und Mitglied im Betroffenenrat des Unabhängigen Beauftragten

4. HEARING FAMILIE

4. HEARING FAMILIE

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4. ERSTES ÖFFENTLICHES HEARING KINDESMISSBRAUCH IM FAMILIÄREN KONTEXT

Das erste Öffentliche Hearing der Kommission zum Thema Kindesmissbrauch im familiären Kon­ text fand am 31. Januar 2017 in der Akademie der Künste an einem zentralen Platz mitten in Berlin statt. Betroffene und Angehörige hatten in einem größeren öffentlichen Rahmen die Möglichkeit, ihre Geschichte zu erzählen. Der Schwerpunkt Kindesmissbrauch im familiären Kontext wurde für das erste Hearing gewählt, um ein Zeichen zu setzen und Familie als Tatkontext in das gesellschaftliche Bewusstsein zu bringen. „ES IST KEINE PRIVATSACHE, WENN ­MÄDCHEN UND JUNGEN GERADE DORT SEXUELLE GEWALT ERLEBEN, WO SIE LIEBE UND FÜRSORGE ERWARTEN UND BENÖTIGEN: IN DER FAMILIE.“ Prof. Dr. Sabine Andresen, Vorsitzende der Kommission Vorbereitung Zentral war bei der Vorbereitung die Expertise der ständigen Gäste aus dem Betroffenenrat, Tamara Luding und Matthias Katsch. Bei der ­Zusammensetzung der Anzuhörenden war es der

Prof. Dr. Barbara Kavemann und Prof. Dr. Heiner Keupp im Gespräch mit Maria-Andrea Winter und Sabrina Tophofen

Kommission wichtig, sowohl betroffene Frauen als auch Männer unterschiedlichen Alters zu Wort kommen zu lassen. Darüber hinaus sollte auch der Perspektive der Angehörigen Raum gegeben werden. Bei der Auswahl der Betroffenen stand im Vordergrund, dass die Betroffenen in der Öffentlichkeit sprechen wollten und genügend Stabilität mitbrachten, um mit den damit verbundenen Belastungen umgehen zu können. Mit den Betroffenen und Angehörigen wurden im Vorfeld mehrere Gespräche geführt, unter anderem um die Schwerpunkte und Fragen der Panels abzustimmen. Sie wurden ermutigt, sich von einer Fachberatungsstelle begleiten zu lassen, und hatten die Möglichkeit, eine Vertrauensperson zum Hearing mitzubringen. Auf dem Hearing selbst waren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hilfetelefons Sexueller Missbrauch vor Ort. Sie standen auch für unterstützende Gespräche mit Betroffenen und Angehörigen im Plenum zur Verfügung. Durchführung Rund 250 Menschen nahmen an dem öffentlichen Hearing teil, darunter zahlreiche Betroffene,

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Vertreterinnen und Vertreter von Betroffenen­ initiativen sowie des Betroffenenrates des Unabhängigen Beauftragten. Zu Gast waren außerdem Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Presse und Zivilgesellschaft sowie Fachkräfte aus der Praxis. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig be­ tonte in ihrem Grußwort, wie wichtig Aufarbeitung für den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt sei und dass sie die Arbeit der Kommission unterstütze. Die Ministerin unterstrich zudem, dass alles dafür getan werden müsse, um sexuelle Gewalt zu verhindern. Betroffenen müsse so gut es geht und so unbürokratisch wie möglich geholfen werden. In den anschließenden Panels standen die Geschichten von Betroffenen und Angehörigen im Mittelpunkt. Anders als in den vertraulichen Anhörungen setzten die Kommissionsmitglieder und die Gäste in ihren Gesprächen Schwerpunkte, die sich aus den vorbereitenden Gesprächen mit den Panelteilnehmenden ergaben. Auf dem ersten Panel berichteten zwei betrof­ fene Frauen von dem sexuellen Missbrauch und der körperlichen Gewalt in ihrer Kindheit. Ihre Biografien machten die Folgen des Missbrauchs deutlich, die bis heute anhalten und spürbar sind. Sie zeigten allerdings auch Auswege aus der Opferrolle auf und thematisierten die Fak­ toren und Rahmenbedingungen, die es ihnen ­ermöglichten, mit dem erlebten Leid umzugehen. „MEIN WUNSCH WAR ES, EIN TEIL DER GESELLSCHAFT ZU SEIN. DARAN HABE ICH GEARBEITET UND BIN AUCH EIN STÜCK WEIT DABEI GEWACHSEN. TROTZ ALLEM, HEUTE BIN ICH KEIN OPFER, SONDERN EMPFINDE MICH ALS STARKE FRAU.“ Maria-Andrea Winter, Betroffene An das erste Panel schloss sich ein Impulsreferat von Prof. Dr. Aleida Assmann an. Die Analyse und Gedanken der Expertin für Erinnerungskultur und Aufarbeitung ermöglichten es dem Publikum, das Gehörte zu reflektieren.12

Auf dem zweiten Panel kamen Angehörige zu Wort. Sie berichteten, wie sie den Missbrauch in ihrer Familie erlebt haben. In den vertraulichen Anhörungen hatte die Kommission bis dato wenig Gelegenheit, diese Perspektive einzubeziehen, da sich vor allem Betroffene an sie wandten (siehe Kapitel 3.3). „MÜTTER MÜSSEN KINDERN GLAUBEN. SIE MÜSSEN WISSEN WOLLEN, WAS PASSIERT IST.“ Margret Bartholomé, Mutter eines Betroffenen Die Botschaft von Betroffenen und Angehörigen war klar: Sexueller Kindesmissbrauch geht uns alle an. Niemand darf wegschauen. Und: Sexueller Missbrauch kann überall passieren – auch da, wo es vielleicht einige am wenigsten vermuten: in der Familie, in der Nachbarschaft, im Freundeskreis oder in der Schule. Zum Abschluss diskutierten Kommissionsmit­ glieder mit Betroffenen sowie mit Vertreterinnen von Fachberatungsstellen, Familiengerichten und Jugendämtern. Sie gingen der Frage nach, wie Mädchen und Jungen in Zukunft besser ­geschützt werden können. Offen blieb jedoch, wie Institu­tionen für das in der Vergangenheit entstandene Leid Verantwortung übernehmen und gleich­zeitig ihre Fortschritte in den letzten Jahren gewürdigt und weiterentwickelt sehen

Dr. Christine Bergmann im Gespräch mit Anne Kiefer

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4. ERSTES ÖFFENTLICHES HEARING KINDESMISSBRAUCH IM FAMILIÄREN KONTEXT können. An dieser Stelle hat das Hearing gezeigt, dass die Aufarbeitung öffentlicher Institutionen wie der Kinder- und Jugendhilfe noch in den Anfängen steckt und bearbeitet werden sollte. Reflexion Im überwiegenden Teil der Rückmeldungen wurde zum Ausdruck gebracht, dass mit dem ersten Öffentlichen Hearing ein guter Rahmen geschaffen wurde, in dem die Lebensgeschichten der Betroffenen und Angehörigen erzählt werden konnten. Das Format machte deutlich, welche Wirkung das öffentliche Sprechen und Hören fernab von Gerichtssälen und Therapieräumen haben kann. „ICH BIN SEHR AUFGEWÜHLT UND ­UNENDLICH FROH DARÜBER, DASS DIESES THEMA ENDLICH ÖFFENTLICH ANGEFASST WIRD. NUR WENN WIR WISSEN UND UNS NICHT VERSCHLIESSEN, KÖNNEN WIR ETWAS ÄNDERN!“ Eine Rückmeldung auf der Stellwand „Ihre Gedanken zum Hearing“ Viele Betroffene im Publikum meldeten sich während des Hearings zu Wort, um von ihren eigenen Erlebnissen zu berichten. Sie appellierten an die Politik, grundlegende Veränderungen ein­ zuleiten, etwa im Bereich der Verjährungsfristen oder des Opferentschädigungsgesetzes (siehe Kapitel 3.4.2). Positiv hoben die Teilnehmenden hervor, dass auch Angehörige im Rahmen des Hearings zu Wort kamen. Darüber hinaus wurden thematische weiße Flecken aufgezeigt, die es weiter zu beleuchten gilt. In der Diskussion ging es beispielsweise darum, dass die unterschiedlichen Rollen und Reaktionen von Müttern genauer untersucht werden müssten (siehe Kapitel 3.4.3). Außerdem sollte erforscht werden, wie sich der Missbrauch innerhalb von Familien auf die nachfolgenden Generationen auswirkt. Es gab allerdings auch kritische Stimmen zu dem Format und den Schwerpunkten des Hearings. So wurde zum Beispiel kritisiert, dass zu wenige männliche Betroffene auf dem Hearing zu Wort kamen. Auch die Länge und Emotionalität der

Panels wurden zum Teil als belastend für Betroffene, die im Publikum saßen, geschildert. Das Hearing verdeutlichte zudem die Herausforderung, die Betroffenen nicht auf ihre Opferrolle zu reduzieren, sondern ihre unterschiedlichen Rollen in der Gesellschaft aufzuzeigen. Die Kommission setzt sich mit diesem Feedback und den vielen konstruktiven Anregungen auseinander. Sie versteht sich als Teil des gesellschaftlichen Diskurses über sexuellen Kindesmissbrauch und hat den Anspruch, die Diskussion darüber weiterzuführen, welche Rahmenbedingungen Aufarbeitung braucht und wie sie gelingen kann. Sehr erfreulich war die breite mediale Berichterstattung über das Hearing, die viele Betroffene unmittelbar ermutigte, sich an die Kommission zu wenden (siehe Kapitel 8). Die große Resonanz zeigt, wie wichtig es für Betroffene ist, von der Gesellschaft wahrgenommen und gehört zu wer­ den und nicht zuletzt dadurch Anerkennung zu erhalten.

PERSPEKTIVE Das nächste öffentliche Hearing zum Thema Sexueller Kindesmissbrauch in der DDR findet am 11. Oktober 2017 in Leipzig statt. Weitere öffentliche Hearings sind im Jahr 2018 geplant, unter anderem zum Thema Kirchen.

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„VON SEXUELLEM MISSBRAUCH BETROFFENE MENSCHEN WERDEN OFT ALLEIN GELASSEN. ICH MÖCHTE IHNEN ZUHÖREN, DAS IHNEN WIDERFAHRENE UNRECHT SICHTBAR MACHEN.“ Brigitte Tilmann, Kommissionsmitglied

5. WERKSTATTGESPRÄCHE

5. WERKSTATTGESPRÄCHE

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5. WERKSTATTGESPRÄCHE

Die Kommission behandelt spezifische Herausforderungen von Aufarbeitung in nicht-öffent­ lichen Werkstattgesprächen. Dazu werden Er­fah­ ­rungen von Expertinnen und Experten ein­bezo­gen, die bereits Projekte zur Aufarbeitung sexu­ ellen Kindesmissbrauchs durchgeführt haben. Für 2016/2017 wurden Werkstattgespräche zu folgenden Aspekten festgelegt. 1. Gestaltung der Anhörungen 2. Information und Recherche 3. Analyse und Bericht 4. Anerkennung und Verantwortung Die ersten beiden Werkstattgespräche haben stattgefunden und werden nachfolgend skizziert.

5.1 WERKSTATTGESPRÄCHE I – GESTALTUNG DER ANHÖRUNGEN In den ersten Werkstattgesprächen am 12. und 13. Juli 2016 standen die bisherigen Vorberei­ tungen und Überlegungen der Kommission zur ­Gestaltung der vertraulichen und öffentlichen Anhörungen im Fokus und wurden in drei Ge­ sprächsrunden diskutiert. Teilnehmende waren Fachberatungsstellen, Betroffene und Initiativen zur Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit. 5.1.1 Erste Gesprächsrunde: Fachberatungsstellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Fachberatungsstellen gegen sexuellen Missbrauch ver­ fügen über jahrelange Erfahrung in Gesprächen mit Betroffenen und bei der Begleitung zu An­ hörungen, etwa vor Gericht. Ihre Expertise ist für die Arbeit der Kommission zentral. Einge­laden waren Fachberatungsstellen, die auch mit­erwachsenen Betroffenen von Kindesmissbrauch arbeiten, die geschlechtsspezifische Angebote vorhalten sowie in den alten und neuen Bundesländern aktiv sind. Folgende Leitfragen wurden behandelt: • An welche Erfahrungen der Fachberatungsstellen lässt sich systematisch anschließen? • Was sind Gelingensbedingungen für Anhörungen, was gilt es zu vermeiden? • Wie unterscheiden sich die Perspektiven der an den Anhörungen beteiligten Personen?

Die Diskussion zeigte, dass bei den Anhörungen auf jeden Fall psychosoziale Unterstützung durch Fachkräfte angeboten werden s­ ollte. Gleich­zei­ tig wurde dafür sensibilisiert, dass zu viel Fürsorge auch entmündigend wirken kann. Daher, so der Hinweis, müssten die Kommissionsmitglieder und das Anhörungsteam die Gespräche individuell vorbereiten und während des Gesprächs sehr wachsam sein. Die Anhörungen sollten unter klaren und transparenten Rahmenbedingungen statt­finden. So können sich Betroffene darauf einstellen und wissen, was auf sie zukommt, wenn sie sich dafür entschieden haben. Die Kommission muss kommunizieren, was genau nach der Anhörung mit den Berichten passiert. Auch über eventuelle Wartezeiten sollte offen informiert werden. 5.1.2 Zweite Gesprächsrunde: Betroffene mit Anhörungserfahrungen Betroffene sexuellen Missbrauchs, die sich der Aufarbeitung der eigenen Geschichte bereits gestellt hatten, berichteten über ihre Erfahrungen mit Interviews für Aufarbeitungsprojekte oder mit behördlichen Vernehmungen. Für diese Gesprächsrunde standen folgende Leitfragen im Vordergrund: • Was ist für die Gestaltung von Anhörungen wichtig? • Was ist unbedingt zu vermeiden? • Was hat vor, während und nach der Anhörung geholfen? Die Expertinnen und Experten in dieser Runde machten deutlich, wie viel Mut und Kraft es verlangt, sich fremden Menschen zu öffnen. Um vertrauen zu können, fordern Betroffene klare Informationen über die Kommissionsmitglieder und die jeweiligen Anhörungsteams sowie über das Vorgehen bei der Auswertung. Einerseits gehört zur Vertrauensbildung die Zusicherung, dass ihre Angaben und sie persönlich geschützt sind. Andererseits sollen die Berichte nicht hinter Aktendeckeln verschwinden, sondern die Inhalte aufbereitet und öffentlich gemacht werden. Die Betroffenen wünschen sich Menschen, die an sie glauben und für sie kämpfen. Sie erhoffen sich von der Kommission, dass ihre Geschichten gesellschaftlich etwas bewegen, auch wenn sie aufgrund der Verjährung nicht mehr strafrechtlich aufgearbeitet werden können.

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„ICH WILL, DASS MAN MIR ZUHÖRT. ICH MÖCHTE DAS GEFÜHL HABEN, DASS MAN MIR GLAUBT.“ Betroffener Zur Sprache kam außerdem die Hoffnung, dass die Kommission durch die Anhörungen Täterstruk­ turen analysieren, beschreiben und in die Öffentlichkeit bringen kann. Für Betroffene ist es wichtig dadurch zu erfahren, wie gezielt Täter vorgehen und dass sie davon nicht allein betroffen waren. „ES HAT EINE ART AMTLICHKEIT, WENN ES DA SCHWARZ AUF WEISS STEHT.“ Robert Köhler Die Kommission sollte ehrlich sein in dem, was für sie machbar ist und was nicht. Zur inhaltlichen Vorbereitung auf das Gespräch ist für Betroffene ein vorab kommunizierter Gesprächsleitfaden mit konkreten Fragen hilfreich. Das Gespräch über die Tat selbst sollte offen gestaltet werden. Die Betroffenen sollten selbst entscheiden können, was genau sie erzählen und was nicht. Dafür muss den Betroffenen auch signalisiert werden, dass sie das Gespräch jederzeit unterbrechen können. „UM SICH ZU KONZENTRIEREN, BENÖTIGT MAN EINE GUTE VORBEREITUNG. OHNE VORBEREITUNG GEHT AUS MEINER ERFAHRUNG MEHRHEITLICH VIELES DURCHEINANDER, JAHRESZEITEN, TÄTER, ...“ Betroffene Betroffene ritueller Gewalt erhoffen sich durch die Anhörungen, dass die Existenz dieser Form der sexuellen Gewalt anerkannt wird und dass sich die Gesellschaft damit auseinandersetzen muss. Hier sind besondere Schutzmaßnahmen bei den Anhörungen zu treffen. 5.1.3 Dritte Gesprächsrunde: Aufarbeitungsinitiativen zum Kontext DDR Im Beschluss zur unabhängigen Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs wies der Deutsche Bundestag ausdrücklich auf die Notwendigkeit der Aufarbeitung von sexueller Gewalt in Kinderheimen und Jugendwerkhöfen der DDR hin. Vertrauliche Anhörungen in diesem Kontext erfordern eine intensive Vorbereitung. Folgende Leitfragen wurden vorab gestellt:

• Welche Erfahrungen aus Anhörungen zur DDR-Heimerziehung sind wichtig für die Anhörungen zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs? • Welche Kenntnisse über DDR-spezifische Systeme (zum Beispiel Jugendhilfe und Umerziehungsheime) sind Voraussetzung? • Welche Rolle spielt das Thema Vertrauen/ Misstrauen gegenüber Vertretern des Staates und des Rechtssystems? Vertretungen von Initiativen zum Thema sexueller Missbrauch und politische Gewalterfahrungen in der DDR verdeutlichten im Gespräch, dass Kenntnisse über die DDR-Erziehungsstrukturen eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen der Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs in der DDR sind. Die Ebene der staatlichen politisch-gesellschaftlichen Umerziehung muss unbedingt mitgedacht werden: Verändert werden sollte immer das Verhalten des Kindes, nicht etwa das des Täters oder der Täterin. Oft bestand eine enge Verbindung zwischen Gewalt­ erfahrungen in der Familie und der staatlichen Heimeinweisung, bei der familiäre Missbrauchsbetroffene der anschließenden Bestrafung durch Heimerzieher ausgesetzt waren. Weiter wurde darauf hingewiesen, dass staatliche Institutionen oftmals in der Vergangenheit das Vertrauen der Betroffenen enttäuscht hatten. Auch die Kommission könnte als staatsnahe Institution mit Misstrauen aufgenommen werden. Daher ist hier ein sorgfältiger Aufbau von Vertrauen wichtig. „JETZT KOMMEN WIEDER FREMDE LEUTE, WARUM SOLL ICH AUSSAGEN? WAS BRINGT MIR DAS?“ Corinna Thalheim Psychosoziale Begleitung durch eine spezialisierte Beratungsstelle mit Kontextwissen über die DDR muss unbedingt angeboten werden, da DDR-Heimkinder gut trainiert sind, ihre Gefühle zu verbergen. „ICH GEHE IN DIE ANHÖRUNG UND BIN VIEL­LEICHT GANZ TAFF. ABER SIE SCHNEIDEN MIR INS HERZ UND ICH KOMME BLUTEND RAUS.“ Corinna Thalheim

5. WERKSTATTGESPRÄCHE

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Die Expertinnen und Experten dieser Gesprächsrunde stellten heraus, dass die Kommission auch Wege eröffnen könne, um das Thema Missbrauch in der DDR noch einmal neu und anders in der Gesellschaft zu verankern. Im Gespräch wurde vereinbart, dass die Kommission sich beim Jahrestreffen der ehemaligen Heimkinder in Torgau vorstellt. Das wurde am 10. September 2016 umgesetzt. 13 Die unterschiedlichen Sichtweisen und Erfahrungen der Teilnehmenden an den Gesprächsrunden waren ein großer Gewinn für die Kommission. Sie hat die Anregungen aufgenommen und in ihr Anhörungskonzept integriert.

Werkstattgespräch zum Thema Anhörungen mit teilnehmenden Gästen

PERSPEKTIVE Es besteht dringender Forschungsbedarf zu sexu­ellem Kindesmissbrauch in DDR-Heimen sowie im familiären Bereich in der DDR. Untersucht werden müssen auch hier die speziellen Strukturen, die unter den Rahmenbedingungen einer sozialistischen Gesellschaft Missbrauch begünstigten und Aufklärung verhinderten. Nur so sind spezifizierte Angebote zur Therapie und Lebenshilfe möglich, die den Betroffenen in den ostdeutschen Bundesländern weiter­ helfen, aber bisher oftmals fehlen.

Um für die Anhörungen von Betroffenen, die in der DDR aufgewachsen sind, ausreichend Hintergrundwissen zum Beispiel über das Erziehungssystem der DDR zu erlangen, hat die Kommission eine Expertise mit historischen, rechtlichen und psychologischen Informationen zu sexuellem Missbrauch in der DDR in Auftrag gegeben. Diese soll gleichzeitig einen ersten Einblick in das vorhandene Material in einschlägigen Archiven geben und der Auftakt für umfassende Forschungsarbeiten zur Aufarbeitung sein. Am 11. Oktober 2017 wird die Kommission in Leipzig ein öffentliches Hearing zu sexuellem Kindesmissbrauch in der DDR veranstalten, auf dem neben den Berichten der Betroffenen die Expertise vorgestellt wird.

5.2. WERKSTATTGESPRÄCHE II – INFORMATION UND RECHERCHE In den Werkstattgesprächen am 8. und 9. November 2016 informierte sich die Kommission über die Erfahrungen bei der Recherche zur Aufarbeitung in Archiven. In vier Gesprächsrunden diskutierten Betroffene, Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sowie Vertreterinnen und Vertreter von Aufarbeitungsprojekten und Archivwissenschaften die Möglichkeiten und Grenzen der Wissenssicherung in Archiven. Am Beispiel des Themen­schwer­ punkts sexueller Kindesmissbrauch in sozialen und poli­ tischen Bewegungen wurde erörtert, inwieweit Dokumente in Archiven zur Aufarbeitung sexu­ellen Missbrauchs beitragen können. 5.2.1 Erste Gesprächsrunde: Betroffene und Zeitzeugen Ein erster wichtiger Zugang der Kommission liegt auch bei dieser Thematik in den Erfahrungen von Betroffenen. Diesen wurden folgende Leitfragen gestellt: • Welche Erfahrungen gibt es in Bezug auf die Akteneinsicht für die eigene Aufarbeitung? • Wie sollten Archive mit Schriftgut und Abbildungen im Kontext von sexuellem Kindesmissbrauch umgehen? Bei der Aufarbeitung sexuellen Kindemissbrauchs im institutionellen Kontext führt die

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Recherche – über die Gesprächen mit Betroffenen und Zeitzeugen hinaus – in die Archive der jeweiligen ­Institutionen. Das oft umfangreiche Material muss gesichtet und auf Hinweise zum Umgang mit den Missbrauchsfällen durchsucht werden. Auch für Betroffene ist die Einsicht in Akten wichtiger Bestandteil der persönlichen Auf­ arbeitung. Dabei kann die Tatsache, dass Schriftgut und Bildmaterial in Archiven auch für Dritte prinzipiell zugänglich sind, sehr belastend sein. So beschrieb ein Betroffener wie erschüttert er war, als er seine Schülerakte zum ersten Mal las: 90 % der Akte waren von den Tätern geschrieben. Diese verzerrten Wahrheiten sollten nicht über seinen Tod hinaus im Archiv einsehbar sein. „ICH HATTE DAS BEDÜRFNIS ZURECHT­ZURÜCKEN UND SELBST ZU ENTSCHEIDEN, MIT WEM ICH MEINE GESCHICHTE TEILE.“ Betroffener Am Beispiel Berlin der 1970er- bis 1990er-Jahre wurden pädokriminelle Strukturen aufgezeigt, die weit über die bereits bekannten Verflechtungen im Umfeld des Berliner Landesverbandes von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hinausgingen. Bisherige Aufarbeitungsprojekte von den Berliner Grünen 14 oder dem Berliner Senat 15 sind erste gute Ansätze, reichen aber nicht aus. Daher wird gefordert, die Recherche in den Archiven auszuweiten und Betroffene von damaligen Täternetzwerken anzuhören, um die Zusammenhänge zu erfassen. „MAN MUSS DIE PUZZLETEILE ZUSAMMENSETZEN.“ Ingo Fock Eine Zeitzeugin beschrieb die aufgeweichten Grenzen zwischen erwachsener und kindlicher Sexualität in der alternativen Kinderladen­ bewegung der 1990er-Jahre in Berlin-Neukölln. Das grenzenlose Aufwachsen gab Kindern einerseits eine große Freiheit. Andererseits wird die Atmosphäre im Nachhinein auch als stark sexualisiert beschrieben: Nacktsein im Kuschelzimmer des Kinderladens, Kinderspiele, die sich „Fickmaschine“ nannten oder der Berufswunsch „Nutte“.

„DIE KINDER STANDEN NACKT AM LADENFENSTER, KLOPFTEN AN DIE SCHEIBE, WENN LEUTE VORBEIKAMEN, UND MACHTEN DABEI SEXUELLE BEWEGUNGEN.“ Zeitzeugin Erwachsene warnten zwar vor einzelnen Männern in der Nachbarschaft, diese waren als Pädosexuelle allgemein bekannt. Aber die Kinder sollten selbst auf sich aufpassen. Die Verantwortung wurde von den Erwachsenen zu den Kindern verschoben, was bei diesen oft zu einer vollkommenen Überforderung führte. „PASST EIN BISSCHEN AUF, ABER DAS IST EIGENTLICH EIN GANZ NETTER, ARMER MANN.“ Zeitzeugin Um weitere Betroffene sowie Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zu erreichen, sollte die Kommission Akteure der damaligen Szene aufrufen, sich an der Aufarbeitung zu beteiligen. Dabei könnte sich die Ansprache auch an ehemalige Sozialarbeiter oder frühere Initiativen zum Kinderschutz richten. Denn es gibt auch Hinweise darauf, dass die pädosexuellen Netzwerke teilweise noch bestehen. „DIE TÄTER NUTZEN HEUTE NOCH DIESELBEN STRATEGIEN. JETZT GEBEN SIE SICH GEGENSEITIG TIPPS, WIE MAN DIE VORMUNDSCHAFT FÜR UNBEGLEITETE MINDERJÄHRIGE FLÜCHTLINGE ERHALTEN KANN.“ Ingo Fock 5.2.2 Zweite Gesprächsrunde: Sexueller Kindesmissbrauch in der J­ ugendbewegung Nachdem sich seit 2010 vermehrt Opfer sexuellen Missbrauchs in der bündischen Jugend meldeten, gründete sich der Arbeitskreis Schatten der Jugendbewegung 16. Der Kulturwissenschaftler Sven Reiß ist einer der Mitinitiatoren und untersuchte im Rahmen seiner Promotion zu sexuellem Missbrauch in der Jugendbewegung auch Verbindungen zu pädokriminellen Bewegungen im Berlin der 1980er-Jahre. Leitfragen waren hierbei: • Wie können Recherche und Archivarbeit die Aufarbeitung unterstützen? • Wie gestaltet sich die Recherche

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5. WERKSTATTGESPRÄCHE

speziell in Privat- und Bewegungsarchiven? • Wie wird mit belastendem Material umgegangen? Reiß untersuchte die Wirkung des sogenannten „pädagogischen Eros“ als Leitbild der Jugendbewegung in die Gesellschaft hinein, wie zum Beispiel in Kunst, Literatur oder in die sozialen Bewegungen der Sub- und Alternativkultur. „DIE IDEALISIERUNG EINER ELITÄREN MENTOR-ZÖGLING-BEZIEHUNG WURDE AUCH ALS LEGITIMATIONSSTRATEGIE FÜR MISSBRAUCH GENUTZT UND WIRKTE IN DIE GESELLSCHAFT HINEIN.“ Sven Reiß Die Recherche in Privat- und Bewegungsarchiven sowie die Gespräche mit Betroffenen, Zeitzeuginnen und Zeitzeugen seien sehr ergiebig, aber auch belastend gewesen, so Reiß. Wünschenswert sei daher nicht nur regelmäßige Forschungssupervision, sondern auch eine bessere Vernetzung der Forschenden zum Thema Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch zur gegenseitigen Unterstützung. Auch die Täterstrukturen seien gut vernetzt, so dass rechtlicher Beistand unbedingt notwendig sei, um sich im Vorfeld einer Veröffentlichung vor Unterlassungsklagen zu schützen. 5.2.3 Dritte Gesprächsrunde: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Berlin Der Berliner Landesverband BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN veröffentlichte 2015 einen eigenen Bericht zur Aufarbeitung der pädophilen Vergangenheit. 17 Leitfragen an die Gäste waren: • Wie gestaltete sich die Recherche für die Aufarbeitungskommission der Grünen? • Was waren die persönlichen Erfahrungen und Erkenntnisse als Parteimitglied? • Gibt es weiteren Bedarf an Aufarbeitung, auch über die Partei hinaus? Der Grünen-Politiker Thomas Birk berichtete über den schwierigen Aufarbeitungsprozess der eigenen Partei. Der Berliner Landesverband hatte dazu eigens eine Kommission eingesetzt. Die Kommission befragte zahlreiche Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Sie recherchierte dazu in Parteiund Privatarchiven sowie in den Archiven des Abgeordnetenhauses von Berlin und des Schwu-

len Museums*. Die zahlreichen Dokumente in den Archiven über pädosexuelle Strukturen eröffneten immer neue Zusammenhänge, die sie jedoch nicht weiter verfolgen konnten, da diese nicht die unmittelbare Parteigeschichte betrafen. „ES GAB HEFTIGE ABWEHR UND E ­ MOTIONEN. ABER BEI DEN JUNGEN ­MITGLIEDERN IST DIE BEREITSCHAFT SEHR GROSS, DIE VERGANGENHEIT ­AUFZUARBEITEN.“ Thomas Birk Frauke Homann arbeitete von 1977–2004 als Sozialarbeiterin für den Jugendgesundheitsdienst und an Schulen mit Kindern und Jugendlichen in Berlin-Kreuzberg. Anfang der 1980er-Jahre erhielt sie erstmals gehäuft Meldungen von Missbrauchsfällen durch Schulen und Kitas. Schnell wurde sie im Bezirk die zentrale Ansprechperson für das Thema sexueller Missbrauch. 1992 erwirkte sie mit Kolleginnen das erste ressortübergreifende Kreuzberger Kinderschutzteam. Frauke Homann verdeutlichte im Gespräch das Ausmaß und die Strukturen der Szene der pädosexuellen Bewegung in Berlin-Kreuzberg und über den Bezirk hinaus und sprach über die vielschichtigen Verantwortlichkeiten. Nach der Maueröffnung hätten sich die pädophilen Netzwerke in den Ostteil Berlins verlagert. Dieser Teil der Geschichte der Berliner Kinder- und Jugendpolitik in den Bezirken muss über die bisher erfolgte Aufarbeitung hinaus näher beleuchtet werden. „IN EINER GRUNDSCHULKLASSE WAREN ZWÖLF MISSBRAUCHTE KINDER. ES WAR INSTITUTIONELLES VERSAGEN. EIGENTLICH WAREN ALLE ÜBERFORDERT.“ Frauke Homann Die Archivrecherche für die Grünen-Kommission ging Hand in Hand mit gleichzeitiger Zeitzeugenbefragung, für die ein Historikerteam den Leitfaden entwickelte. In sehr kurzer Zeit mussten Rechercheergebnisse für den Bericht strukturiert und geordnet werden. Die Aufarbeitung könnte allein anhand der Aktenlage für mehrere Jahre und über weitere Bereiche als die unmittelbare Parteigeschichte angelegt werden. Auch im Nachgang kamen immer wieder Hinweise auf relevante Bestände in weiteren Archiven, betonte der Historiker Sebastian Nagel.

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5.2.4 Vierte Gesprächsrunde: Archiv- und Informationswissenschaften In dieser Gesprächsrunde standen Erkenntnisse einschlägiger Archive und die Expertise der Informationswissenschaften im Mittelpunkt. Dabei ging es um folgende Leitfragen: • Welche Besonderheiten sind in Bezug auf Sperrfristen, Verschlusssachen und Datenschutz zu beachten? • Wie gehen Archive mit strafbaren ­ Materialien um, zum Beispiel mit Missbrauchs­abbildungen in Nachlässen? • Sicherung des Wissenstransfers – Wie kann das bereits vorhandene und zukünftige Aufarbeitungsschriftgut als kollektives Gedächtnis gesammelt und weitergegeben werden? Einen wichtigen Einstieg stellte die Diskussion über die Besonderheiten von Sperrfristen und Persönlichkeitsschutz dar. Im Bundesarchiv werden stets die Interessen des Einzelnen und der Forschung sorgfältig gegeneinander abgewogen. Das Bundesarchivgesetz über die Sicherung und Nutzung von Archivgut regelt genau, ob und wie Dokumente eingesehen werden können. 18 Vor einer speziellen Herausforderung stand das Hessische Staatsarchiv Darmstadt: Hier war es dem Thema sexueller Missbrauch geschuldet, den Bestand der Odenwaldschule vollständig ins Archiv zu übernehmen und einzupflegen, auch um sich nicht dem Vorwurf der Vernichtung von Akten auszusetzen. So wurden bereits 350 Meter Schriftgut eingepflegt. Darüber hinaus warten Bilder und Tonbänder sowie ca. 250.000 digitale Dateien auf ihre Erschließung. 19 Bei der Frage nach geeigneten Lösungen für das Dokumentenmanagement der Kommission wurde auch darüber diskutiert, bis zu welchem Ausmaß Erkenntnisse der Kommission für eine Langzeitarchivierung benötigt werden und wie ein Wissenstransfer für künftige Generationen verantwortungsvoll gesichert werden kann. „EIN ARCHIV WIRD ERST DURCH NUTZUNG LEBENDIG. SO ENTSTEHT EIN KULTURELLES GEDÄCHTNIS.“ Prof. Dr.-Ing. Peter Heisig

PERSPEKTIVE Sexueller Kindesmissbrauch im Kontext sozialer oder politischer Bewegungen ist ein komplexer und vielschichtiger Bereich der Aufarbeitung. Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sowie Betroffene verdeutlichten, dass sich in Berlin-­Kreuzberg, aber auch in anderen Teilen Deutschlands in den 1970er- bis 1990er-Jahre eine pädosexuelle Szene etabliert hatte, die weit über die bekannt gewordenen Fälle bei den Berliner Grünen (Alternative Liste) hinausging. Ein weiterer, bisher wenig beachteter Bereich ist in diesem Zusammenhang das Thema Jungen und Zwangsprostitution. Hier bedarf es einer umfangreichen Forschung, um die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten aufzuarbeiten und darüber aufzuklären, wie weit in die Gesellschaft hinein pädosexuelle Legi­ timationsstrukturen verharmlosend aufgenommen wurden. Die Recherche in Staats-, Privat- und Bewegungsarchiven durch bisherige Aufarbeitungsprojekte zeigt, dass dort umfassendes Material vorhanden ist. Mit Blick auf die Täterstrategien sind Schlussfolgerungen auf heu­tige Gefährdungslagen für Kinder und Jugendliche in prekären Situationen wie Flucht, Illegalität oder soziale Vernachlässigung zu ziehen. Die Kommission wird sich weiter damit auseinandersetzen müssen, welche Möglichkeiten für die Schaffung eines Archivs auf der Basis der Anhörungen bestehen. Dabei gilt es, sowohl das Wissen für künftige Generationen verantwortungsvoll zu sichern und weitere Auswertungen in Hinsicht auf neu aufkommende Fragestellungen zu ermöglichen als auch die Daten der Betroffenen zu schützen. Be­troffene selbst formulieren beide Positionen: Während die einen ein kollektives Gedächtnis fordern und sich als Zeitzeugen verstehen, die Zeugnis ablegen, möchten andere sicher sein, dass ihre Geschichten über die Arbeit der Kommission hinaus nicht archiviert werden. Hier sieht die Kommission weiteren Klärungsbedarf bis 2019.

„MIR IST WICHTIG, DASS UNSERE GESELLSCHAFT NEBEN DEM LEID UND ­UNRECHT AUCH DIE STÄRKE UND ÜBERLEBENSKRAFT ­VIELER BETROFFENER ­ANERKENNT.“ Prof. Dr. Barbara Kavemann, Kommissionsmitglied

6. FORSCHUNGSPROJEKTE

6. FORSCHUNGSPROJEKTE

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6. FORSCHUNGSPROJEKTE DER KOMMISSION

Im Folgenden werden die fünf Forschungsprojekte der Mitglieder der Kommission vorge­ stellt. Im Rahmen der Projekte werden zum Teil auch die vertraulichen Anhörungen und schriftlichen Berichte unter bestimmten Themen­ schwerpunkten ausgewertet. Die Projekte befinden sich zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses des Berichts in unterschiedlichen Forschungsphasen.

PERSPEKTIVEN Die Kommission wird auf ihrer Webseite, den Webseiten der jeweiligen Institute und in entsprechenden Fachzeitschriften regel­mäßig über die Ergebnisse der Projekte berich­ ten. Eine komprimierte Darstellung der Erkenntnisse ist für den Bilanzbericht im März 2019 geplant.

6.1 WELCHE ERWARTUNGEN ­HABEN BETROFFENE AN DIE AUFARBEITUNGSKOMMISSION? Sozialwissenschaftliches FrauenForschungsInstitut Freiburg (SoFFI F.) – Prof. Dr. Barbara Kavemann Laufzeit: 1. Juli 2016 bis 31. März 2019

Ziel dieses Forschungsprojektes ist es, heraus­ zufinden, welche Erwartungen Betroffene sexueller Gewalt in Kindheit und Jugend an gesellschaftliche Aufarbeitung und an die Kommission haben. Betroffene hatten die Möglichkeit, im Zeitraum vom 8. August bis 6. Dezember 2016 ­einen Online-Fragebogen auszufüllen. 316 Personen nahmen an der Umfrage teil. Sie waren zum großen Teil zwischen 31 und 60 Jahren alt (79,4 %). Die mehrheitlich weiblichen Betroffenen (80 %) haben sexuellen Missbrauch vor ­allem im familiären Bereich (64,9 %) oder im sozialen Umfeld (51,6 %) erlebt. Im Gegensatz dazu gaben 42 % der Männer an, dass der Missbrauch im institutionellen Kontext stattgefunden hat. Die Befragten wurden unter anderem gebeten, die Ziele der Kommission zu bewerten. Während über 90 % der Betroffenen die einzelnen Ziele sinnvoll finden, liegt die Einschätzung darüber, ob die einzelnen Ziele erreichbar seien, zwischen 47 und 67,5 %. Die Betroffenen unterstützen die Ziele der Kommission also sehr, sind aber zurückhaltend, ob diese umgesetzt werden kön­ nen. Die Befragten wurden darüber hinaus um ihre Einschätzung gebeten, woran der Erfolg der Kommission erkannt werden könne. Die meiste

Woran würde man erkennen, dass die Kommission ihre Ziele erreicht hat? (Auswahl der genannten Antworten mit über 60 % Zustimmung) Wenn Therapie und Beratung überall vorhanden, ausreichend finanziert und die Fachkräfte besser ausgebildet sind.

88,3 %

Wenn Kinder und Jugendliche auch bei Gewalt in Familien geschützt sind und nicht allein gelassen werden.

80,7 %

Wenn alle Arten von sexuellem Missbrauch ernst genommen und in der Öffentlichkeit zum Thema gemacht werden.

79,7 %

Wenn Betroffene nicht länger schräg angesehen und als Opfer ausgegrenzt werden.

74,4 %

Wenn Täter und Täterinnen konsequenter bestraft werden.

72,8 %

Wenn Kinder und Jugendliche in Schulen, Internaten und Heimen gut informiert und geschützt werden.

72,5 %

Wenn Institutionen Aufarbeitung ernst nehmen.

66,1 %

Wenn Betroffene Anerkennung und Entschädigung bekommen.

65,5 %

Wenn eine nachhaltige politische und breite gesellschaftliche Debatte geführt wird.

65,2 %

Wenn weniger Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht werden.

60,8 %

57

Was könnte die Kommission tun, um Leid und Unrecht anzuerkennen? Sie müsste … … die unmittelbaren und mittelbaren Folgen für die Betroffenen benennen.

87,7 %

… sich hinter die Betroffenen stellen.

67,1 %

… in ihren Berichten Täterstrategien und Täterverantwortlichkeit benennen.

66,1 %

… die Verantwortlichkeit der Institutionen und der Gesellschaft benennen.

64,2 %

… den Betroffenen das Gefühl geben, dass ihnen bedingungslos geglaubt wird.

63,9 %

… Betroffenen das Gefühl geben, dass das Unrecht anerkannt wird, indem klar gesagt wird: „Es war nicht deine Schuld.“

59,5 %

… Institutionen gegenüber Position beziehen und konstruktiv die Verantwortlichen zur Aufarbeitung einladen.

53,8 %

… das geschehene Unrecht in ihren Berichten benennen.

53,2 %

… sich für finanzielle Entschädigung einsetzen.

48,1 %

… im Anschluss an die Anhörungen das Leid und Unrecht in einem Schreiben an die Betroffenen oder in einer Urkunde anerkennen.

16,1 %

Zustimmung erhielt hier eine bessere Unterstützung für Betroffene. Es wurde weiterhin danach gefragt, was die Kommission tun könnte, um das Leid und das Unrecht anzuerkennen, das Betroffenen widerfahren ist. Die Anerkennung der Folgen von ­sexuellem Missbrauch wurde mit Abstand am häufigsten genannt. Überraschend niedrig fällt mit unter 50 % die Anzahl derjenigen aus, die den Einsatz der Kommission für finanzielle Entschädigung fordern. Deutliche Unterschiede zeigten sich in der Bereitschaft und Motivation, an einer vertraulichen oder öffentlichen Anhörung teilzunehmen (siehe Abbildungen Seite 59). Für eine öffentliche Anhörung würden sich Betroffene vor allem deshalb zur Verfügung stellen, weil es für ihre weitere Entwicklung wichtig ist, den Schritt in die Öffentlichkeit zu tun. Außerdem möchten sie, dass endlich gehört wird, was sie zu sagen haben. Gleichzeitig äußerten sie die Sorge, dass die öffentliche Anhörung sehr belastend sein könnte, und die Befürchtung, dass sich die Anstrengung nicht lohnen könnte, wenn sie zu keinem konkreten Ergebnis führt. Die Bereitschaft, an einer vertraulichen Anhörung teilzunehmen, liegt deutlich höher als für öffentliche Anhörungen. Betroffene nannten aber auch hier die Sorge, dass die Teilnahme sehr belastend sein könnte.

Schließlich wurden die Betroffenen gefragt, was sie sich persönlich erwarten, wenn sie an einer Anhörung teilnehmen. Überraschend ist die relativ geringe Anzahl derer, die sich für die klassischen Formulierungen „Anerkennung von Leid und Unrecht“ entschieden. Am häufigsten wurde die Erwartung genannt, dass ihnen geglaubt wird (69 %), dass die Kommission für sie kämpft (65,5 %) und dass ihnen zugehört wird (60,1 %). Weitere Informationen sind auf der Webseite des Forschungsprojektes zu finden. 20

6.2 ERKENNTNISSE AUS ANHÖRUNGEN FÜR DIE ZUKUNFT BEWAHREN Goethe Universität Frankfurt am Main, Fachbereich Erziehungswissenschaften, Institut für Sozialpädagogik und Erwachsenen­bildung – Prof. Dr. Sabine Andresen Laufzeit: 2. Februar 2016 bis 31. März 2019 Ziel des Projektes ist es, Wissen zu sammeln, von dem das Fach Erziehungswissenschaft und die Pädagogik lernen können und müssen. Seitdem die Gewalt in Heimen und Internaten 2010 öffentlich bekannt wurde, gibt es endlich auch in der Erziehungswissenschaft eine Debatte. Viele Fachvertreterinnen und Fachvertreter haben betont, dass es wichtig ist, zu untersuchen, welche Strukturen Gewalt in Familien ermöglichen und

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6. FORSCHUNGSPROJEKTE DER KOMMISSION

warum den betroffenen Kindern und Jugendlichen nicht geholfen wurde. Aber auch die Verantwortung der Erziehungswissenschaft und das Schweigen zum Thema sexuelle Gewalt gegen Kinder ist ein bisher ungelöstes Problem. Das Projekt soll dazu beitragen, dass das Thema nicht wieder in Vergessenheit gerät, und aufzeigen, was in Zukunft in der Erziehungswissenschaft getan werden muss. Die vertraulichen Anhörungen und Berichte zu sexuellem Kindesmissbrauch in Familien werden bei dem Projekt besonders berücksichtigt. Damit sollen Familien als Kontext sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche sichtbar gemacht werden, damit auch zu diesem Aspekt eine Auseinandersetzung in der Erziehungswissenschaft stattfinden kann. Im ersten Jahr wurde über das Format der Anhörungen und seine Bedeutung für die Aufarbeitung gearbeitet. Hierzu wurden die Erfahrungen in anderen Ländern ausgewertet und Teilergebnisse veröffentlicht. 21 Einen zweiten Schwerpunkt bildete eine Studie, die die seit 2010 in der Erziehungswissenschaft stattfindende Diskus­ sion zu sexueller Gewalt auswertete und prüfte, ob es eigene erziehungswissenschaftliche Ansätze der Aufarbeitung gab. 22 Die Befunde zeigen auf, dass Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs auch aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive erfolgen muss. Die Deutsche Gesell­ schaft für Erziehungswissenschaft e. V. (DGfE) ist zu ermuntern, unaufgeregt, aber entschieden die eigene Geschichte im Umgang mit sexueller Gewalt, mit der Verdrängung von Ursachen, der Bagatellisierung von Folgen sowie dem Weg­ sehen und Schweigen trotz vorhandenen Wissens aufarbeiten zu lassen. Drittens wurden die Auswertungen der Anhörungen und schriftlichen Berichte, die sich auf den Tatkontext Familie beziehen, methodisch vorbereitet. Hierfür ist auch die Zusammenarbeit mit Betroffenen vorgesehen. Schließlich wurden die schriftlichen Berichte zur Familie, die der Kommission bis Ende 2016 vor­ lagen, in einem ersten Schritt ausgewertet und zentrale Schlüsselthemen identifiziert. In den schriftlichen Berichten werden das Erleben und das innere Empfinden des einstigen Kindes ein-

drucksvoll geschildert. So berichten viele Betroffene, wie schwierig es für ein Kind ist, zu verstehen, was geschieht. Sie können die erlittenen Übergriffe und gewaltvollen Erfahrungen schwer einordnen und verfügen dementsprechend zunächst nicht über eine Sprache, mit der sich der sexuelle Missbrauch beschreiben ließe. Ein besonderer Fokus liegt auf der Analyse der Beschreibungen der Betroffenen, wie sie als Kinder in der scheinbaren Normalität ihres Alltags gefangen waren. Ein weiterer Forschungsaspekt ist die Beschreibung der Familienbeziehungen und insbesondere die Auseinandersetzung mit den Familienangehörigen, die nicht geholfen haben. Hier wird im nächsten Jahr intensiver die Rolle der Mutter untersucht werden.

6.3 ORGANISATIONSSTRUK­­­TU­ RELLE UND KONSTITUTIVE BEDINGUNGEN VON TÄTERSYSTEMEN, TÄTER­STRATEGIEN UND TÄTERNETZ­WERKEN IN INSTITUTIONELLEN KONTEX­­TEN. ANALYSE UND WISSEN­SCHAFT­LICHE AUFBEREITUNG DER ERGEBNISSE FÜR DIE AKADEMISCHE AUS­ BILDUNG VON FACHKRÄFTEN UND FÜR DIE PRÄVENTION Universität Rostock, Lehrstuhl für Allgemeine Pädagogik und Historische Wissenschaftsforschung – Prof. Dr. Jens Brachmann Laufzeit: 1. Juni 2016 bis 31. März 2019 Pädagogische Einrichtungen dienen dem besonderen Schutz, der Fürsorge und der Erziehung von Kindern und Jugendlichen. Wie wird sexueller Missbrauch junger Menschen aber gerade hier möglich? Diese Frage steht in der wissenschaftlichen Untersuchung besonders im Vordergrund. Besonders interessiert dabei das jeweilige Tat­ umfeld, denn selten werden die Taten von Einzel­ tätern verübt, sondern haben allzu häufig System und Methode. Für die Analyse wurden Interviews mit Betroffenen und Pädagogen der jeweiligen Institutionen und Archivrecherchen durchgeführt. Zudem wurden Transkripte der vertraulichen Anhörungen

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Abbildungen zu Kapitel 6.1 Können Sie sich vorstellen Ihre Geschichte in einer öffentlichen Anhörung zu erzählen? der Kommission berücksichtigt. Hierdurch konnten Gruppendynamiken und Tä­terstrategien rekonstruiert werden. Die Datenerhebungen sind noch nicht abgeschlossen. Es lässt sich allerdings bereits jetzt sagen, dass ein komplexes System aus mehreren Tätern und Täterinnen, weiteren Tatverantwortlichen sowie Duldern und Ermöglichern den institutionellen Tatkontext dominiert. Diese „tra­ gende Masse“ muss stärker in den Fokus wissen­ schaftlicher Untersuchungen rücken. Folgende Erkenntnisse zu Täterstrategien können bisher festgehalten werden: 1. Täter und Täterinnen bauen häufig Vertrauen zum Opfer auf. Mit dem Akt der Gewalt wird das Vertrauen jedoch so fundamental zerstört, so dass es ungleich schwerer fällt, sich einer anderen Person anzuvertrauen und Hilfe zu suchen. 2. Täter und Täterinnen betten ihre sexuellen Grenzverletzungen in Alltagsrituale ein und erweitern diese sukzessive. 3. D  ie anfängliche und intuitiv richtige ­Wahrnehmung einer Grenzverletzung als falsch (z. B. das gemeinsame Duschen mit Lehr­kräften), wird den Betroffenen abgesprochen. Denn nicht die Grenz­verletzung sei falsch, sondern derjenige, der das so sehe, sei verklemmt und damit falsch. 4. B  etroffene berichten immer wieder von der destruktiven Macht ihrer ­­Schuldund Scham­gefühle, welche auch die Suche nach Hilfe erschwert hätten. So wurde den Betroffenen nach der Manipulation ihrer Genitalien ein eigenes Lusterleben zuge­sprochen, oder ihnen wurde das Gefühl gegeben, die Tat selbst provoziert zu haben. 5. D  ie Duldung von Alkohol- und Drogen­miss­ brauch und die Animation zu entsprechendem Substanzmissbrauch müssen auch als eine Form von Täter­strategie gewertet werden. 6. Indem Gewalt zwischen Schülerinnen und Schülern scheinbar als normal b ­ ewertet

Ja 25,3 %

Nein 42,7 %

Weiß nicht 32,0 %

Gesamt: 100 %

Können Sie sich vorstellen, Ihre Geschichte in einer vertraulichen Anhörung zu erzählen? Ja 60,4 %

Nein 13,3 %

Weiß nicht 26,3 %

Gesamt: 100 %

wird, findet eine Gewöhnung und Abstumpfung gegenüber der sexuellen Gewalt der erwachsenen Täter statt. 7. E  s gibt konkrete Berichte Betroffener darüber, dass sie in eine Täterrolle g ­ ebracht wurden, indem Gewalt unter Jugendlichen im Rahmen von Ritualen delegiert wurde. Ein Curriculum für die Aus- und Weiterbildung pädagogischer Fachkräfte muss neben der Vermittlung allgemeiner Kenntnisse zu sexuellem Missbrauch auch das Verständnis für multikausale Zusammenhänge fördern. Kritisch berücksichtigt werden müssen dabei auch bisher vernachlässigte Aspekte über die Dynamiken von Peer-to-Peer-Gewalt.

60

6. FORSCHUNGSPROJEKTE DER KOMMISSION

6.4 PROFESSIONELLE BEGLEITUNG VON MENSCHEN, DIE SEXUELLE GEWALT UND AUSBEUTUNG, IM BESONDEREN ORGANISIERTE RITUELLE GEWALT, ERLEBT HABEN Institut für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie, Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf (UKE) in Kooperation mit der Spezialambulanz für Traumafolgestörungen, (UKE) – Prof. Dr. Peer Briken Laufzeit: 1. Januar 2017 bis 31. März 2019 Mit dieser Studie sollen über eine Online-Be­ fragung sowie Interviews Daten zur aktuellen Versorgungssituation, zu Vorkommen und spe­ zifischen Bedarfen nach sexueller Gewalt, im Be­ sonderen organisierter ritueller Gewalt, in Deutschland erhoben werden. Bisher gibt es für Betroffene kaum spezialisierte Angebote. Daher

geraten auch professionell Helfende in der Begleitung dieser Klientinnen und Klienten häufig in rechtliche, fachliche und ethische Grauzonen und an damit verbundene Grenzen, auch an kollegialer Unterstützung. Das Forschungsprojekt soll das Verständnis und die professionelle Unterstützung für Betroffene im Kontext ritueller Gewalt verbessern.

6.5 LEBENSFÜHRUNG NACH ERFAHRUNGEN SEXUELLEN MISSBRAUCHS UND MISSHANDLUNGEN IN INSTITUTIONEN Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Praxisforschung und Projektberatung – Prof. Dr. Heiner Keupp Laufzeit: 1. August 2016 bis 31. März 2019 In einem Internat oder in einem Heim Erfahrungen mit sexueller Gewalt gemacht zu haben, hat erhebliche Auswirkungen auf die gesamte weitere Biografie. Die Forschung hat gezeigt, dass viele der Betroffenen die erlebten Grenzüberschreitungen bis ins Erwachsenenalter nicht verarbeiten konnten. Es gibt aber sehr unterschiedliche Verarbeitungsformen des widerfahrenen Leids: Von schweren psychosozialen Beeinträchtigungen, positiven Perspektiven durch gelungene Bewältigung bis hin zur aktiven Handlungsfähigkeit und dem Engagement für eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem verdrängten Thema des sexuellen Kindesmissbrauchs. In dem Projekt sollen diese unterschiedlichen biografischen Muster der Auseinandersetzung mit den Missbrauchserfahrungen durch Auswertungen vorhandener Interviews und durch neue Interviews rekonstruiert werden. Das Projekt soll einen differenzierten Blick auf unterschiedliche Lebensverläufe, die von der Erfahrung sexueller Gewalt geprägt sind, ermöglichen. Im Rahmen dieses Projektes werden zudem die vertraulichen Anhörungen mit Betroffenen aus kirchlichen und pädagogischen Einrichtungen und Interviews mit ehemaligen Heimkindern ausgewertet.

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„PRÄVENTION VERLANGT AUFARBEITUNG: AUFKLÄRUNG VON FEHLVERHALTEN, ­BEDINGUNGSLOSE TRANS­PARENZ, BENENNEN VON PERSÖNLICHER VERANTWORTUNG UND INSTITUTIONELLEM VERSAGEN.“ Prof. Dr. Jens Brachmann, Kommissionsmitglied

7. VERNETZUNG UND AUSTAUSCH

7. VERNETZUNG UND AUSTAUSCH

64

7. VERNETZUNG UND AUSTAUSCH

7.1 AUSTAUSCH MIT BETROFFENEN Die Expertise von Betroffenen ist für die Arbeit der Kommission unabdingbar. Daher gibt es neben den beiden ständigen Gästen der Kommission aus dem beim Unabhängigen Beauftragten angesiedelten Betroffenenrat auch einen intensiven Austausch mit dem gesamten Betroffenenrat sowie weiteren Betroffenen zu bestimmten Themenschwerpunkten. 7.1.1 Sitzung des Betroffenenrates Auf der Sitzung des Betroffenenrates am 16. März 2016 diskutierten Kommission und Betroffenenrat gemeinsam über die zukünftige Arbeit der Kommission. Dabei schlug der Betroffenenrat der Kommission u. a. folgende Themen vor, die sie verstärkt in den Blick nehmen sollte: • gesellschaftliche, institutionelle und persönliche Widerstände in der Aufarbeitung; • Vertuschen der Taten durch das Umfeld und der spätere Umgang des Staates/ der Institutionen mit Betroffenen; • das Schweigen des Umfeldes; • massiver und struktureller Machtmissbrauch; • Überlebensstrategien von Kindern, die sexuellen Kindesmissbrauch erleben; • Befragung von Erwartungshaltungen Betroffener; • rituelle und organisierte Gewalt; • sexueller Missbrauch in der DDR; • sexuelle Gewalt und Genderfragen, trans- und intergeschlechtliche Betroffene; • Transparenz und gute Information über den Ablauf der Anhörungen. Außerdem wurde darüber beraten, wie die Kommission einen Beitrag dazu leisten könnte, das einseitige öffentliche Bild der Gesellschaft von Betroffenen sexueller Gewalt zu korrigieren. Weitere Treffen mit dem Betroffenenrat für 2017 sind geplant. 7.1.2 14. Treffen ehemaliger DDR-Heimkinder in der Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau Zu den Aufgaben der Kommission gehört es, Ausmaß, Art, Ursachen, Konstitutionsbedingun-

gen sowie Folgen sexuellen Missbrauchs auch in der DDR zu untersuchen (siehe Kapitel 2.5). Die Kommissionsmitglieder haben daher von ­Beginn an das Tatumfeld DDR-Kinderheime/­Jugendwerkhöfe in den Fokus ihrer Untersuchun­gen gestellt. Im Rahmen des ersten Werkstattgesprächs gaben Expertinnen und Experten der Kommission einen ersten Einblick in Organisation, Systematik, Ausmaß und Dimension des sexuellen Missbrauchs insbesondere in der DDR-Heimerziehung (siehe Kapitel 5.1.3). Anlass für Gespräche mit Betroffenen bot das 14. Treffen ehemaliger DDR-Heimkinder in der Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau 23 am 10. September 2016. Daran nahmen die Kommissionvorsitzende, Prof. Dr. Sabine Andresen, und die Kommissionsmitglieder ­Brigitte Tilmann und Prof. Dr. Jens Brachmann teil. Im Rahmen eines Podiumsgesprächs stellte die Kommission ihre Arbeit vor und ver­deut­lichte dabei besonders die Herausfor­de­rungen der Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs in der DDR bzw. in der DDR-Heim­erziehung. In den Gesprächen wurde auf sehr nachdrückliche Weise deutlich, dass viele Betroffene aus dem Umfeld der DDR-Heime negative Erfahrungen mit staatlichen Institutionen, aber auch mit Befragungen im Rahmen von Forschungsprojekten gemacht haben. Daher muss die Kommission in besonderem Maße um das Vertrauen der Betroffenen für eine Zusammen­arbeit werben. Noch während des Besuchs in Torgau meldete sich eine größere Anzahl von Betroffenen bei der Kommission für vertrauliche Anhörungen an. In den persönlichen Gesprächen vor Ort offenbarte sich vor allem die Mehrfachbetroffenheit der ehemaligen DDR-Heimkinder. Neben sexu­eller Gewalt erlebten sie physische und psy­chische Gewalt, Freiheitsbeschränkung sowie Zwangsarbeit. Oftmals hatten sie bereits in ihrer eigenen Familie sexuellen Missbrauch und Gewalt erlebt. Zudem wurden ihnen altersgemäße Entwicklungs- und Bildungsangebote vorenthalten, was eine Erwerbstätigkeit und finanzielle Unabhängigkeit systematisch verhinderte.

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„[...] WICHTIG FÜR DIE BETROFFENEN IST, DASS MAN EINE GLEICHSTELLUNG ZU ALLEN ANDEREN OPFERN DES DDR-REGIMES HERSTELLT. DIE SEXUELLE GEWALT IN DEN HEIMEN FINDET BISHER KEINE BZW. WENIG BEACHTUNG. MEHRFACHBETROFFENHEIT MUSS ENDLICH AUCH VON DER POLITIK ANERKANNT WERDEN. ES GIBT KEINE MÖGLICHKEIT, HILFE UND ANERKENNUNG DES LEIDES ZU BEKOMMEN. JEGLICHE MÖGLICHKEITEN, DIE GEGEBEN SIND, KÖNNEN WIR NICHT IN ANSPRUCH NEHMEN, DENN DIE RECHTSNACHFOLGE FEHLT FÜR DEN UNRECHTSSTAAT DDR.“ Corinna Thalheim, Betroffene Jugendwerkhof Torgau Dem Besuch in Torgau folgten die Teilnahme und ein Vortrag Prof. Dr. Jens Brachmanns an der Fachtagung Jahrhundertkind – Aufarbeitung der Heimerziehung der DDR. Erfolge, Herausforderun­ gen und Fragen des Deutschen Instituts für Heimer­ ziehungsforschung GmbH am 10. Dezember 2016 in Berlin. Weitere An­hörungen von Betroffenen in Torgau sind geplant. Der Besuch in Torgau und die anderen Initiativen sind auch wichtige Stationen in der Vorbereitung auf das zweite Öffentliche Hearing der Kommission im Oktober 2017 in Leipzig, das sich mit dem Schwerpunkt Sexueller Kindesmissbrauch in der DDR befassen wird. 7.1.3 Kongress MitSprache Am 18. und 19. November 2016 war die Kommission zu Gast bei der ersten öffentlichen Veranstaltung des Betroffenenrates. Im Workshop auf dem Kongress MitSprache stellte Dr. Christine Bergmann die Arbeit der Kommission vor und ging auf die Nachfragen der Teilnehmenden ein. Die Betroffenen forderten unter anderem: • mehr Sichtbarkeit der Kommission, zum Beispiel in sozialen Netzwerken; • mehr Informationen und regelmäßige Newsletter; • gezielte Ansprache von männlichen – vor allem jüngeren – Betroffenen; • Untersuchung struktureller Fragen und staatlicher Mitverantwortung; • gesetzliche Beauftragung der Kommission;

• klare Benennung der Grenzen der Arbeit und Defizite in der Aufarbeitung. 7.1.4 Weiterer Austausch mit Betroffenen Im Zusammenhang mit den Werkstattgesprächen wurden Betroffene als Expertinnen und Experten in eigener Sache zu unterschiedlichen Schwerpunktthemen aus folgenden Kontexten eingeladen: Familie, Internat, Schule, Heim, soziale und politische Bewegungen, Kirche, ritueller Missbrauch. Weitere Vorträge und Veranstaltungen der Kommissionsmitglieder wurden gemeinsam mit Betroffenen durchgeführt. 7.1.5 Perspektive der ständigen Gäste aus dem Betroffenenrat Die ständigen Gäste Tamara Luding und Matthias Katsch berichten über die Arbeit der Kommission aus ihrer Sicht. Tamara Luding „Das Ausmaß und die Zusammenhänge von sexuellem Kindesmissbrauch zu verstehen ist der Auftrag der Aufarbeitungskommission. Einzigartig ist dabei, dass die Kommission Missbrauch in den Familien betrachten möchte. Sie will so einen Einblick in einen Bereich erlangen, der durch den Staat zwar besonders geschützt ist, aber auch am häufigsten zum Tatort wird. Dabei ist sich die Kommission der besonderen Problemlage von Betroffenen bewusst, die im familiären Kontext sexuelle Gewalt erleben mussten und bleibt zu jedem Zeitpunkt feinfühlig dafür. Ich persönlich habe die Arbeit in und mit der Kommission als ausgesprochen intensiv erlebt. Betroffene, die im familiären Kontext sexuelle Gewalt erfahren haben und sich heute öffnen, befinden sich emotional in einer ähnlichen Situation wie damals als Kinder oder Jugendliche. Die gleichen Fragen tauchen auf, die gleichen Ängste. Über die in der Familie erlebte Gewalt zu sprechen, fordert alle Familienmitglieder immer wieder aufs Neue heraus und bringt sie bisweilen an ihre Grenzen. Sprechende Betroffene lau-

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7. VERNETZUNG UND AUSTAUSCH

fen so auch im Erwachsenenalter noch Gefahr, sich immer wieder den gleichen Angriffen aussetzen zu müssen. Nach dem Motto „Es muss doch endlich mal gut sein“ möchten andere Familienmitglieder mitunter nicht immer wieder konfrontiert werden. Ich bin beeindruckt davon, wie einfühlsam die Kommission mit diesen Umständen umgeht und es nicht zuletzt auch dadurch schafft, das Vertrauen von Betroffenen zu gewinnen. Gleichwohl es für Familien eine besondere Anstrengung ist, das geschehene Unrecht aufzuarbeiten, lohnt sich wie so oft ein tiefer gehender Blick. Die Kommission degradiert Familien­ mitglieder nicht per se zu Mitwisserinnen und Mitwissern oder Mittäterinnen und Mittätern, wie das in der Vergangenheit leider oft passiert ist. Vielmehr stellt sie sich die Frage, was ein­ zelne Familienmitglieder bewegt hat zu sprechen, den Missbrauch zu verhindern, zu helfen, zu glauben. Sie beschäftigt sich auch mit der Frage, was potenzielle Helferinnen und Helfer gebraucht hätten, um zu sprechen, zu helfen und hinzuschauen. Gerade dieser Punkt ist mir als ständiger Gast besonders wichtig. Ich würde mir wünschen, dass die Kommission das Bewusstsein für die Notwendigkeit behält, auf die protektiven und helfenden Faktoren zu schauen. Es ist für mich immer wieder beeindruckend, zu sehen, wie sehr die Mitglieder der Kommission mit den Geschichten der Betroffenen mitschwingen und sich einfühlen und dennoch immer auch auf der Suche nach den Rahmenbedingungen sind, die für betroffene Kinder und Jugendliche heilsam sein oder gar den Missbrauch verhindern oder beenden könnten. Als ständiger Gast der Kommission nehme ich an allen Sitzungen und den Werkstattge­sprä­ chen teil. Ich fühle mich nicht als „Gast“, sondern als ein Teil des Gremiums. Die Haltung der Kommissionsmitglieder ist es, die dieses Gefühl ermöglicht. Sie sehen Betroffene als die eigentlichen Expertinnen und Experten. Wir als Betroffene haben das, was die Kommission braucht: das Wissen darum, wie und warum Missbrauch passiert, was Betroffene brauchen, um sprechen zu können, und was den Missbrauch hätte verhindern können. Dabei werden Betroffene ­ von der Kommission in ihrer Ganzheit betrachtet

und wertgeschätzt. Es geht nicht um Zahlen und um vorgefertigte Fragen. Es geht um die Geschichten der Betroffenen selbst, um ihre Wahrheiten. Wenngleich auch alle Mitglieder der Kommission auf eine umfassende Expertise im Themenfeld zurückgreifen können, hinterfragen alle ihren Wissensstand immer wieder und sind offen für die vielen neuen Erkenntnisse, die in den Geschichten der Betroffenen liegen. Für die zukünftige Arbeit der Kommission würde ich mir wünschen, dass die Ergebnisse, die die Kommission erarbeitet, von politischer Seite noch mehr Gehör finden. Die wichtigen Erkenntnisse, die die Kommission erlangt, dürfen nicht versanden. Der Aufarbeitung müssen politische Konsequenzen folgen, andernfalls bleibt nur die Botschaft, die Betroffene bereits kennen: „Du überwindest dich und sprichst zwar, aber am Ende ändert es nichts.“ Diese Botschaft wäre fatal und ein Schlag ins Gesicht all jener Betroffenen, die ihre Geschichte erzählt haben.“

Matthias Katsch „Mit der Schaffung einer Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs im Frühjahr 2016 haben wir in Deutschland Neuland betreten. Angelsächsische Kom­ missionen wie die australische Royal Commission into Institutional Responses to Child Sexual Abuse taugen nur bedingt als Vorbilder, weil sie auf gesetzlicher Grundlage, in Vollzeit statt im Ehrenamt und auf gesicherter finanzieller Basis ihrem Auftrag nachkommen. Die deutsche Kommission hingegen ist zwar mit einem Auftrag des Bundestages versehen, arbeitet aber untergesetzlich und ehrenamtlich und ist zudem vergleichsweise knapp finanziell ausgestattet. Dennoch haben Betroffene, die seit 2010 für die umfassende Untersuchung der Ursachen und Verantwortlichkeiten für die seit Generationen andauernde, weit verbreitete sexuelle Gewalt in Familien und Institutionen gegen Kinder und Jugendliche kämpfen, dafür plädiert, diesen Versuch jetzt zu wagen. Darin fühle ich mich nach einem Jahr Mitwirkung als ständiger Gast der Sitzungen der Kommission bestätigt.

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Die ersten Monate der Arbeit der Kommission habe ich als einen Weg der Klärung des eigenen Selbstverständnisses und der Vorgehensweise erlebt. Dabei bin ich sehr beeindruckt vom hohen Ethos der ehrenamtlichen Kommissionsmitglieder und vom Engagement des professionellen Teams, das die Kommission bei ihrer Arbeit unterstützt. Die Kommission ist kein Tribunal und arbeitet nicht als Wahrheitskommission zwischen den Fronten verfeindeter Menschengruppen in unserer Gesellschafft. Sie versucht durch das Anhören von Betroffenen und Zeitzeugen Wahrheiten zu finden, Verantwortung zu klären und Anerkennung zu transportieren. Damit grenzt sie sich zugleich von reinen wissenschaftlichen Untersuchungen ab, die ihrem Gegenstand vergleichsweise neutral gegenüberstehen, und stellt sich in Unabhängigkeit von Parteiungen und Gruppierungen klar auf die Seite der Opfer. So erklärt sich auch die Rolle der ständigen Gäste aus dem Kreis des Betroffenenrats: Anstöße und Sichtweisen von Betroffenen in die Diskussionen der Kommissionsmitglieder einzubringen, Rückmeldungen zu Vorgehensweisen und Verfahren zu geben, Zusammenhänge aus Sicht von Betroffenen zu bewerten – ohne über Täter und Organisationen zu Gericht zu sitzen. Diese Mitwirkung ist wichtig für den Erfolg der Arbeit der Kommission. Ohne die aktive Rolle von Betroffenen gäbe es keine Aufarbeitung. In der kurzen Zeit, in der die Kommission bislang tätig war, wurde bereits deutlich, dass das zentrale Anliegen funktioniert, mit den Anhörungen auch Anerkennung zu vermitteln. Vielfache Rückmeldungen von Betroffenen zeigen, dass die in diesem Format gezeigte professionelle Zuwendung und der Respekt vor der Lebensgeschichte der Opfer als wohltuend empfunden werden. Die hohe Anmeldezahl, ohne eine längerfristig angelegte öffentliche Kampagne, lässt das Bedürfnis vieler Betroffener, Gehör zu finden, sichtbar werden. Als Gäste der Kommission nehmen wir nicht an den vertraulichen Anhörungen teil und erhalten auch keine Kenntnis von den Audiodateien und

Transkripten. Bei den sogenannten Werkstattgesprächen mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, Betroffenen und anderen Expertinnen und Experten wirken wir jedoch aktiv mit. Dabei w ­ urden bereits in beeindruckender Weise strukturelle Zusammenhänge deutlich, die dazu beigetragen haben, dass Kinder missbraucht werden konnten. Zugleich zeigten sich für mich auch die Grenzen der Arbeit der Kommission: Ohne ausreichende Ausstattung für eigene Forschungsaufträge und ohne einen eigenen Untersuchungsauftrag, der durch eine gesetzliche Grundlage gestützt werden müsste, erscheint es nur schwer möglich, die Verantwortlichkeiten für das Versagen von staatlichen und nichtstaatlichen Institutionen beim Schutz von Kindern und Jugendlichen aufzuklären. Ich erachte es für wichtig, dass auch soziale Bewegungen wie die Emanzipationsbewegung der Schwulen und Lesben eigene Anstrengungen zur Aufarbeitung ihrer Rolle bei sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche unternehmen. Bisher haben sich vergleichsweise wenige ­Betrof­fene aus dem Bereich der kirchlichen Einrichtungen und der Heimerziehung der alten Bundesrepublik bei der Kommission gemeldet. Dies liegt wahrscheinlich an der bisherigen Fokussierung in der Berichterstattung und der schrittweisen Vorgehensweise der Kommission und wird sich verändern, sobald klar ist, dass auch sexuelle Gewalt in Institutionen von der Kommission untersucht wird.

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7. VERNETZUNG UND AUSTAUSCH

Für mich repräsentiert die Kommission den ­Willen des Deutschen Bundestages, die Verantwortlichkeiten und Ursachen für das gesellschaftliche und institutionelle Versagen beim Schutz vor sexueller Gewalt von Kindern und Jugendlichen in der Vergangenheit und bis in die Gegenwart hinein endlich in den Blick zu nehmen. Damit ­käme den Opfern, die sich selbst um ihr Überleben kümmern mussten, endlich die Anerkennung und Unterstützung zu, die sie verdienen. Ich wünsche mir daher, dass diese stell­vertretende Funktion in dem Außenauftritt und der Wahrnehmung der Kommission noch deutlicher wird.“

7.2 TREFFEN DER KOMMISSION MIT DER INDEPENDENT INQUIRY INTO CHILD SEXUAL ABUSE (IICSA) IN LONDON Die Vorsitzende der Kommission, Prof. Dr. Sabine Andresen, und der Unabhängige Beauftragte, Johannes-Wilhelm Rörig, haben am 22. Juni 2016 die englische Aufarbeitungskommission Independent Inquiry into Child Sexual Abuse (IICSA) in London zu einem Erfahrungsaustausch besucht. Der Schwerpunkt der IICSA, die bereits im März 2015 ihre Arbeit aufgenommen hat, ist die Aufarbeitung von Missbrauch in Institutionen in England und Wales. Die Kommissionsmitglieder der IICSA, vertreten durch die damalige Präsidentin Dame Lowell Goddard DNZM sowie Ben Emmerson QC und Ivor Frank, berichteten Prof. Dr. Sabine Andresen und Johannes-Wilhelm Rörig über ihre Arbeit und machten deutlich, wie wichtig der Austausch mit anderen Kommissionen sei, um voneinander zu lernen und bei diesem sensiblen Thema den richtigen Weg zu wählen. Dame Lowell Goddard betonte, dass es große Relevanz habe, beim Prozess der Aufarbeitung so transparent und öffentlich wie möglich zu arbeiten, um Gesellschaft und Politik über die Arbeit der Kommission zu informieren und das Vertrauen von Betroffenen zu gewinnen. Bei ihrer Arbeit greift die IICSA auf die Erfahrungen der australischen Royal Commission into Institutional Responses to Child Sexual Abuse zurück, mit denen die Mitglieder im engen Kontakt stehen.

Die IICSA berichtete von verschiedenen Projekten: 1. Das Truth Project bietet Betroffenen die Möglichkeit, vor der englischen Kommission auszusagen, ähnlich den vertraulichen Anhörungen durch die Kommission in Deutschland. 2. Im Public Hearings Project geht es um bis zu 13 ausgewählte Fallstudien. Erste Hearings fanden Ende 2016 statt. 3. Im Research Project geht es um wissenschaftliche Fallstudien als Hintergrundmaterial für die Anhörungen und um die Auswertung der Anhörungen. Zudem sollen Forschungslücken durch neue Projekte geschlossen werden. Besprochen wurden auch Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung der Anhörungen. Wichtig war zudem der Austausch über Maß­ nahmen der Öffentlichkeitsarbeit. Auch der Austausch mit Institutionen wie der Polizei kam zur Sprache, die einen wichtigen Teil zu Erfahrungen und Fallzahlen beitragen können. Für die Arbeit der Kommission wurden insgesamt viele wich­ tige Impulse mitgenommen. Weitere Informationen über die IICSA sind auf der offiziellen Webseite zu finden. 24 „DER AUSTAUSCH MIT DER IICAS IST ­WERTVOLL FÜR UNSERE ARBEIT, DA WIR INSBESONDERE VON DEN ERFAHRUNGEN FÜR UNSERE GEPLANTEN ANHÖRUNGEN VIEL LERNEN KÖNNEN.“ Prof. Dr. Sabine Andresen, Vorsitzende der Kommission

7.3 VORSITZENDE DER KOMMIS­SION UND BETROFFENE ZU GAST BEIM AUSSCHUSS FÜR FAMILIE, SENIOREN, FRAUEN UND JUGEND DES DEUTSCHEN BUNDESTAGES Die Vorsitzende der Kommission, Prof. Dr. Sabine Andresen, und die ständigen Gäste der Kommis-

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sion, Tamara Luding und Matthias Katsch, haben sich am 14. Dezember 2016 mit den Mitgliedern des Ausschusses des Deutschen Bundestages für Familie, Senioren, Frauen und Jugend über die Arbeit der Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs ausgetauscht. Das Besondere: Zum ersten Mal hatten damit Betroffene sexueller Gewalt in der Kindheit die Gelegenheit, mit Mitgliedern des Ausschusses zu sprechen. Prof. Dr. Sabine Andresen stellte die Arbeit der Kommission vor und berichtete, was im ersten Jahr erreicht wurde. Matthias Katsch legte dar, wie wichtig die Arbeit der Kommission auch im internationalen Kontext sei. Die Kommission ­habe für andere Länder, die noch nicht mit der Auf­ arbeitung begonnen haben, eine wichtige Vorbildfunktion. Tamara Luding betonte insbesondere die Bedeutung von Aufarbeitung sexueller Gewalt im familiären Kontext. Sie hob zudem hervor, wie wichtig die Arbeit von Fachberatungsstellen für die Unterstützung der Betroffenen sei. Gemeinsam mit den Abgeordneten wurde diskutiert, was Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch bedeutet, warum sie wichtig ist und welchen Beitrag sie leisten kann, um Missbrauch an Mädchen und Jungen zukünftig zu verhindern. Es wurde von allen betont, dass die unabhängige Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch eine gesamtgesellschaftliche Auf­­gabe sei. Aufarbeitung und Prävention müssen stärker in die politische und gesellschaftliche Debatte integriert werden.

7.4 FACHFORUM AUF DEM 16. DEUTSCHEN KINDERUND JUGENDHILFETAG Am 29. März 2017 war die Kommission zu Gast auf dem 16. Deutschen Kinder- und Jugendhilfetag (DJHT). 25 Im Rahmen eines Fachforums zog die Kommission eine Bilanz der Arbeit ihres ersten Jahres und diskutierte mit Fachkräften. Die Vorsitzende, Prof. Dr. Sabine Andresen, berich­tete über die Arbeit der Kommission, beschrieb Herausforderungen und teilte erste Eindrücke und Ergebnisse aus den Gesprächen mit Betroffenen mit. Prof. Dr. Jens Brachmann erläuterte die

­ edeutung der Aufarbeitung sexuellen KindesB missbrauchs und die Erwartungen an Aufarbeitung im institutionellen Bereich. „DIE ENTWICKLUNG VON PRÄVENTIONS­ANGEBOTEN GEGEN MISSBRAUCH OHNE AUFARBEITUNG IST UNZULÄNGLICH.“ Prof. Dr. Jens Brachmann, Kommissionsmitglied Matthias Katsch stellte als ständiger Gast der Kommission und vor dem Hintergrund seiner ­eigenen Missbrauchsgeschichte dar, wie individuelle Bewältigung sowie institutionelle und gesamtgesellschaftliche Aufarbeitung sexueller Gewalt zusammenhängen. Im anschließenden Austausch mit dem Fachpublikum wurde erneut deutlich, wie wichtig es für pädagogische Einrichtungen im Zusammenhang mit Aufarbeitung ist, den Blick nicht nur nach innen, sondern auch auf das Umfeld zu richten, das zum Beispiel die Jugendämter, aber auch die Familien einschließt.

Treffen mit der englischen Kommission (v.l.n.r.): Ben Emmerson QC, Dame Lowell Goddard DNZM, Prof. Dr. Sabine Andresen und Johannes-Wilhelm Rörig

„DIE GESCHICHTEN DÜRFEN SICH NICHT WIEDERHOLEN, DESHALB BRAUCHEN WIR ÖFFENTLICHKEIT UND AUFKLÄRUNG.“ Prof. Dr. Heiner Keupp, Kommissionsmitglied

8. P  RESSE- UND ÖFFENTLICHKEITSARBEIT

8. P  RESSE- UND ÖFFENTLICHKEITSARBEIT

8. PRESSE- UND ÖFFENTLICHKEITSARBEIT

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Abbildungen: links Deutschlandkarte mit Claim rechts Pressekonferenz zum 1. Öffentlichen Hearing in der Akademie der Künste

Ziele Die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Kommission verfolgt drei Ziele: die Kommission bekannt zu machen, das Vertrauen Betroffener zu gewinnen sowie die Gesellschaft regelmäßig über die Arbeit der Kommission zu informieren und für das Thema sexueller Kindesmissbrauch zu sensibilisieren.

kumsmedien, aber auch in Fachmedien darüber informiert. Bis zum März 2017 fanden eine weitere Pressekonferenz und ein Pressegespräch statt. Es wurden sechs Pressemitteilungen veröffentlicht, zahlreiche Hintergrundgespräche ge­ ­­führt und Interviews gegeben. Bisher erschienen rund 200 Pressebeiträge, in denen über die Arbeit der Kommission berichtet wird.

Jede Geschichte, die der Kommission anvertraut wird, ist wichtig und zählt – das ist der zentrale Gedanke der Arbeit der Kommission. Um diesen Leitgedanken in die Öffentlichkeit zu tragen und Betroffene aufzurufen, der Kommission ihre Geschichten zu erzählen, wurde der Claim „Geschichten die zählen“ entwickelt. In Verbindung mit der Deutschlandkarte bildet der Claim neben dem Logo das zentrale Element des Erscheinungsbildes (Corporate Design) der Kommission.

Die Pressekonferenz am 31. Januar 2017 anlässlich des ersten Öffentlichen Hearings Kindesmiss­ ­brauch im familiären Kontext (siehe Kapitel 4) fand ebenfalls mit großer Medien­ beteiligung statt.

Medienarbeit Der Kommission ist es ein großes Anliegen, transparent und regelmäßig über ihre Arbeit zu informieren. Als die Kommission im Mai 2016 ihr Arbeitsprogramm in der Bundespressekonferenz öffentlich vorstellte 26, wurde deutschlandweit in über tausend Nachrichten- und Publi-

Etwa 40 Vertreterinnen und Vertreter der Print-, Online-, Hörfunk- und TV-Medien waren anwesend und berichteten in mehr als 50 Beiträgen über das Hearing. Die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ARD und ZDF sendeten an diesem Tag in allen Nachrichtenformaten Beiträge über das Hearing. Durch die breite Medienberichterstattung erfuhr eine große Öffentlichkeit von der Arbeit der Kommission. Das trug dazu bei, dass die Anmeldungen für vertrauliche Anhörungen innerhalb weniger Tage nach dem Hearing von 590 auf rund 850 stiegen.

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Internetseite, Newsletter, Twitterkanal und Flyer

Die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten und die größten deutschen Medienunternehmen wurden für eine Kooperation angefragt. Die Medien wurden aufgefordert, die Kommission bei ihren Aufgaben zu unterstützen, die Öffentlichkeit für das Thema sexueller Kindesmissbrauch zu sensibilisieren und eine breite gesellschaftliche Debatte für einen besseren Kinderschutz anzustoßen. Ausgehend vom Auftrag der Kommission wurden bestimmte Zielgruppen – wie zum Beispiel junge Eltern – über Medienkooperationen angesprochen. So kam es zu Gesprächen mit der Zeitschrift ELTERN/ELTERN family, mit der ZEIT sowie verschiedenen Magazinen der Hubert Burda Media Holding. In Pressegesprächen und im Rahmen von Interviews hat die Kommission stets auch versucht, die Medienvertreterinnen und Medienvertreter für eine differenzierte Berichterstattung über das Thema Missbrauch und über Betroffene zu sensibilisieren. Ziel ist es, eine Kommunikation in Wort und Bild zu erreichen, die Betroffene nicht nur als Opfer beschreibt und die die bestehende Distanz zum Thema sexueller Missbrauch nicht zusätzlich durch Gewaltdarstellungen in Fotografien oder Filmsequenzen vergrößert.

Öffentlichkeitsarbeit Die Kommission berichtete auch in ihren eigenen Medien fortlaufend über ihre Arbeit. Ein wichtiges Informationsmedium ist ihre barrierefreie Internetseite 27. In Ergänzung zur Internetseite informiert die Kommission in einem Flyer, einem Newsletter und auf ihrem Twitterkanal 28 über ihre Arbeit. Auf dem Twitterkanal verbindet die Kommission ihre Leitidee mit dem Hashtag #geschichtendiezählen.

8. PRESSE- UND ÖFFENTLICHKEITSARBEIT

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Anzeige im Fahrgastfernsehen Berliner Fenster

Um die Kommission vor allem bei Betroffenen bekannt zu machen und sie für eine vertrauliche Anhörung oder einen schriftlichen Bericht zu gewinnen, wurde weiterhin eine Anzeigenkampagne konzipiert. Die Kommission rief Betroffene auf, sich bei ihr zu melden und ihre Geschichten zu erzählen. Im Dezember 2016 und im Januar 2017 erschienen Anzeigen in ausgewählten Print-Medien, Banner in verschiedenen Online-­

Medien sowie ein Spot im U-Bahn-Fernsehen Berliner Fenster. Die Kampagne führte zu deutlich höheren Besucherzahlen auf der Internetseite. Außerdem meldeten sich im Zeitraum der Anzeigenschaltung deutlich mehr Personen für vertrauliche Anhörungen an.

Verlaufsdiagramm mit Anmeldezahlen für vertrauliche Anhörungen und Markierung einzelner Stationen 1000

860  720

800

600 389 300

410

434

465

504

537

585

267 180

195

Mitte Mai

Anfang Juni

200 0

Anfang Mai 2016 – Auftaktpressekonferenz

Anfang Juli

Anfang November

Ende September 2016 – Beginn der vertraulichen Anhörungen

Ende November

Anfang Dezember

Ende Dezember

Mitte Dezember bis Mitte Januar – Anzeigenkampagne

Anfang Januar

Mitte Januar

Ende Januar

Anfang Februar

Ende Januar – 1. Öffentliches Hearing

Ende Februar

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„WIR MÜSSEN NOCH VIEL MEHR ERFAHREN. VOR ALLEM VON DEN BETROFFENEN, UM SEXUELLEN MISSBRAUCH BESSER VERHINDERN ZU KÖNNEN.“ Dr. Christine Bergmann, Kommissionsmitglied

9. F  AZIT, AUSBLICK UND EMPFEHLUNGEN AN DIE POLITIK

9. F  AZIT, AUSBLICK UND EMPFEHLUNGEN AN DIE POLITIK

78

9. FAZIT, AUSBLICK UND EMPFEHLUNGEN AN DIE POLITIK

FAZIT UND AUSBLICK ERFAH­RUNGEN DER KOMMISSION MIT DER AUFARBEITUNG SEXUELLEN KINDESMISSBRAUCHS Die Kommission hat den Auftrag, sämtliche Formen sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR zu untersuchen. Sie ist international die erste Aufarbeitungskommission, die Missbrauch sowohl in institutionellen Einrichtungen als auch in der Familie in den Fokus nimmt. Darüber hinaus muss sie mit der Geschichte Deutschlands umgehen sowie Dimensionen und Ausmaß sexueller Gewalt in zwei politischen Systemen vor der Vereinigung Deutschlands aufarbeiten. Im Zentrum der Aufarbeitung stehen Berichte von Betroffenen sexuellen Missbrauchs. Bisher haben sich über tausend Personen bei der Kommission gemeldet, um im Rahmen einer Anhörung oder in schriftlicher Form von ihren Erfahrungen zu berichten. Ihre biografischen Geschichten ­bilden die Basis für die Schlussfolgerungen und Empfehlungen an die Politik. Dazu gehören ihre Erfahrungen mit sexueller Gewalt als Kinder und Jugendliche, die Reaktionen des Umfeldes sowie ihre Erfahrungen als Erwachsene bei der Suche nach geeigneter Versorgung, Therapie und sozialer Unterstützung. „BETROFFENE SEXUELLER GEWALT SIND KEINE HOMOGENE GRUPPE. WAS SIE ABER ALLZU OFT GEMEINSAM HABEN, SIND GESUNDHEITLICHE UND SOZIALE FOLGEN SOWIE DIE TATSACHE, DASS SIE MIT STRUKTURELLEN MÄNGELN BEI DER VERSORGUNG UND UNTERSTÜTZUNG KONFRONTIERT SIND. Prof. Dr. Sabine Andresen, Vorsitzende der Kommission Eine Aufgabe der Kommission besteht darin, stellvertretend für Betroffene zu sprechen und ihre Anliegen an die Gesellschaft und die Politik zu übermitteln. Das ist eine große Verantwortung, der die Kommission nur gerecht werden kann, wenn sie mit den Betroffenen kontinuierlich im Gespräch bleibt. Für die Haltung und Herangehensweise im Zuge des Aufarbeitungspro-

zesses ist wichtig, sich offenzuhalten, sich gege­benenfalls zu korrigieren oder bestimmte Vorgehensweisen zu modifizieren. Die Kommission versteht die Aufarbeitung als dialogischen Prozess mit einem kritischen Blick auf gesellschaftliche Verhältnisse und einem selbstkritischen Blick auf die eigene Vorgehensweise. Sie sucht daher auch kontinuierlich nach Wegen für die Zusammenarbeit mit Betroffenen, etwa in der Diskussion von Auswertungsergebnissen in Forschungsprojekten oder bei gemeinsamen Vorträ­ gen in der Öffentlichkeit. Schlussfolgerung aus dem bisherigen Vorgehen Das dialogische Prinzip von Aufarbeitung braucht Zeit und Raum, um auch unterschiedliche Positionen austauschen zu können. Diese zeitlichen Spielräume sind bei der Aufgabendichte der Kommission noch nicht ausreichend vorhanden und sollten bei zukünftigen Planungen der Kommissionsarbeit berücksichtigt werden. Gemeinsam gegen ein einseitiges Bild von betroffenen Menschen Betroffene sind oft mit einseitigen Erwartungen und einem unzutreffenden gesellschaftlichen Bild konfrontiert. Bereits während des ersten Treffens mit dem Betroffenenrat beim Unabhängigen Beauftragten im März 2016 wurde darüber beraten, wie die Kommission einen Beitrag dazu leisten könnte, das einseitige öffentliche Bild der Gesellschaft von Betroffenen zu korrigieren. Die geforderte kritische Perspektive hat die Kommissionsarbeit insgesamt vorangebracht und im Anschluss an die ersten Anhörungen und deren Auswertung dazu beigetragen, ein differenziertes Bild von Betroffenen aufzuzeigen. In allen Aufarbeitungsformaten, aber besonders in den vertraulichen Anhörungen, sind der Kommission ganz unterschiedliche Menschen begegnet. Sie waren bereit, den Anhörenden intime Er­ fahrungen und von der Gewalt bedingte Verletzt­heit mitzuteilen. Die Kommissionsmitglieder und die Anhörungsteams hat das in sie gesetzte Vertrauen sehr bewegt. Die Anhörungen zeigen unterschiedliche Verläufe und Biografien und dokumentieren eindrucksvoll die Lebenswege von Menschen, ihre Kraft und ihren Überlebenswillen, aber auch ihre Verzweiflung und ihren fami-

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liären und beruflichen Werdegang. Die Kommission ist sich bewusst, dass es viele Betroffene gibt, die den Missbrauch nicht überlebt haben oder die nicht die Kraft haben, ihre Geschichte zu erzählen. Einige sprechen von sich als Opfern, andere lehnen diese Bezeichnung für sich ab. Es muss deutlich artikuliert werden, dass Folgen sexueller Kindesmissbrauch auch davon abhängen, unter welchen sozialen Umständen Betroffene ihr Leben führen müssen und ob sie an strukturellen und finanziellen Hürden bei der Suche nach Hilfe und Unterstützung scheitern. Schlussfolgerungen aus den bisherigen Erfahrungen Die Kommission sieht es weiterhin als ihre Aufgabe an, darauf hinzuweisen, dass Betroffene nicht auf ihre Betroffenheit und eine Opferrolle reduziert werden dürfen. Ein großes und sehr bedrückendes Thema ist Armut als eine Folge sexuellen Kindesmissbrauchs und des gesellschaftlichen Umgangs damit. Es besteht längst noch kein Bewusstsein darüber in der Gesellschaft, in welchem Ausmaß sexueller Kindes­ missbrauch das spätere Erwerbsleben be­ein­träch­tigt und welche erheblichen sozio­ökono­mischen Einschränkungen damit verbunden sein können. Die Kommission wird sich weiter mit der Frage beschäftigen, wie es gelingen kann, gerade diejenigen Menschen zu erreichen, die sozial isoliert sind – sei es aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation, mangelhafter Versorgung, niedriger Bildungsabschlüsse sowie fehlender oder unterbrochener beruflicher Qualifikation oder aufgrund von Armutslagen. Hierfür soll ein intensiver Austausch mit dafür spezialisierten Organisationen auf den Weg gebracht werden.  ie Betroffenen, die sich bei der Kommission für D Anhörungen melden, haben Botschaften an die Gesellschaft. Dies lässt sich auch als Hinweis darauf lesen, dass sie an das Veränderungspotenzial und den -willen der Gesellschaft glauben. Doch was ist mit denjenigen, die sich von niemandem vertreten fühlen und auch nicht daran glauben, dass sich etwas verändert? Die Kommission wird sich Gedanken machen, wie sie diese Menschen erreichen kann.

Zum Aufgabenspektrum Mit dem Zwischenbericht liegen erste Erkenntnisse aus der Kommissionsarbeit vor. Die verschiedenen Aufgaben, die sich aus dem Auftrag der Kommission ergeben, konnten im ersten Jahr nicht gleichrangig behandelt und angegangen werden. Im Folgenden werden die Aufgaben dargelegt und ausgewählte Aspekte der bisherigen Bearbeitung aufgeführt: Ausmaß, Art, Ursachen und Folgen ­sexuellen Missbrauchs aufzeigen: Die in Kapitel 3 genannten Schlüsselthemen sind anschlussfähig an die vorliegende Forschungs­ literatur und bieten systematische Möglichkeiten der Vertiefung. Deutlich wurde, dass ein erheblicher Anteil der Betroffenen sexuelle Gewalt mehrfach und in unterschiedlichen Kontexten erlebt hat. Es zeigt sich, dass zum Ausmaß und den Folgen sexueller Gewalt gehören, wie sie als Kinder um Verstehen gerungen haben. Auch als Erwachsene kämpfen sie mit Schuldgefühlen und ge­gen die weitere Infragestellung ihrer Glaubhaftigkeit. Strukturen aufdecken, die sexuellen Missbrauch ermöglichen: Die Frage nach den Ermöglichungsbedingungen ist ein wichtiges Thema in den Anhörungen. Aus den Beschreibungen Betroffener geht hervor, dass Missbrauch auch als Prozess verstanden werden muss, dessen Verlauf immer auch davon abhing, wie das Umfeld reagiert hat, ob Kinder schutzlos blieben oder Hilfe bekommen haben. In den Anhörungen sind Strukturen zu unterschiedlichen Tatkontexten thematisiert worden. Besonders fällt auf, dass in den Geschichten Überschneidungen von Tatkontexten, zum Beispiel Fa­milie und Heimerziehung, auftreten. In manchen Anhörungen wird außerdem die Rolle von staatlichen und öffentlichen Institutionen bei der Sicherstellung von Schutz problematisiert. Herausfinden, was Aufarbeitung in der Vergangenheit verhindert hat: Diese Aufgabe zielt auf die Rekonstruktion von Ursachen, die zur Verschleierung sexuellen Missbrauchs beigetragen haben. Auf der individuellen Ebene von Aufarbeitung geben die Berichte und Anhörungen eine Vielzahl von Hinweisen,

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9. FAZIT, AUSBLICK UND EMPFEHLUNGEN AN DIE POLITIK

die im weiteren Verlauf ausgewertet werden müssen. Darüber hinaus stellt sich aber auch die Frage nach der Verhinderung einer gesellschaftlichen Aufarbeitung. Hierzu könnten vorliegende Aufarbeitungsberichte weiter ausgewertet werden. In den Werkstattgesprächen sind die Wege zur Aufarbeitung in bestimmten Kontexten thematisiert und aufbereitet worden. Wege zur Anerkennung des Unrechts aufzeigen: Anerkennung ist damit verbunden, dass Aufar­ beitung einen Resonanzboden für Betroffene darstellt. Die vertraulichen Anhörungen, die die Kommission bisher durchgeführt hat, wurden von den Betroffenen zum großen Teil als Wertschätzung und Anerkennung des ihnen widerfahrenen Unrechts empfunden. Für einige haben diese An­erkennung und die Hoffnung auf gesellschaftliche Veränderungen sogar ein größeres Gewicht als finanzielle Entschädigung. Doch die Kommission muss im Dialog darüber bleiben, was Anerkennung erlittenen Unrechts konkret heißen kann. Eine breite politische und gesellschaftliche Debatte anstoßen: Die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ist ein wichtiger und unverzichtbarer Bestandteil der Kommissionsarbeit. Darüber hinaus steht die Kommission im Austausch mit Politik, Wissenschaft, Fachpraxis und Zivilgesellschaft. Eine Herausforderung liegt darin, sowohl übergreifend in die Gesellschaft hinein zu kommunizieren als auch zielgruppenspezifisch zu arbeiten. Forschungslücken identifizieren: Die Kommission verfügt nur über beschränkte Ressourcen, Forschungsaufträge zu vergeben. Im Rahmen der Forschungsprojekte der Kommissionsmitglieder werden die Anhörungen und Berichte unter spezifischen Fragen der Aufarbeitung ausgewertet. Darüber hinaus sucht die Kommission das Gespräch mit den zuständigen Bundesministerien, um über Forschungsperspektiven zu sprechen. Modellhaft Eckpunkte der Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs entwickeln und empfehlen: Mit der Gestaltung der vertraulichen Anhörungen hat die Kommission einen sorgfältig durchdachten und kontinuierlich modifizierten Qualitäts-

rahmen geschaffen, der das Prinzip der gesamten Arbeit abbildet und auf die anderen Formate übertragen werden kann. Darüber hinaus stellen die Werkstattgespräche einen Diskurs- und Arbeitsraum her, in dem Personen mit unterschiedlichen Expertisen und Perspektiven ihr Wissen im Interesse der Aufarbeitung einbringen und mit der Kommission in fachlich engagierten Austausch treten. Die Kommission hat in den Anhörungen und Werkstattgesprächen die Erfahrung gemacht, wie bedeutsam dabei das persönliche und fachliche Wissen von Betroffenen ist. Schlussfolgerungen aus dem bisherigen Vorgehen Die Vielfalt der Aufgaben und Ziele ­erfordert ein Selbstverständnis der ­Kommission als lernende Kommission. Ihre Arbeit muss auf dem Anhören von Erlebtem und der Zeugenschaft von Betrof­ fenen und anderen Expertinnen und Experten basieren. Aus diesem Grund ist es wichtig, sich kontinuierlich damit zu befassen, was Anhörungen leisten können und was über sie hinaus erforderlich ist. ufarbeitungsprozesse müssen gestaltet und A strukturiert werden. Wichtig ist es, sich als Kom­ mission über Akzente und zeitlich begrenzte Schwerpunkte zu verständigen und diese öffentlich zu kommunizieren und zu begründen.  eutlich zeigt sich, dass die Kommission zur UmD setzung und vertieften Bearbeitung des Aufgaben­ ­spektrums auf längere Zeiträume und mehr Ressourcen angewiesen ist. Es erweist sich als notwendig, ­mit Institutionen in eine zur Aufarbeitung ermutigende und kritische Auseinander­setzung zu treten. Zum Schwerpunkt sexueller Gewalt in der Familie Für Betroffene aus dem familiären Kontext ist es besonders schwierig, eine Öffentlichkeit für die Taten und ihre Folgen, für den gesellschaftlichen Umgang und für die Situation in den Familien nach Offenlegung des sexuellen Missbrauchs herzustellen. Viele Betroffene waren dennoch bereit, sich bei der Kommission für eine Anhörung zu melden. Deshalb war es besonders wichtig, ihnen einen Zugang zu gesamtgesellschaft-

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lichen Aufarbeitungsprozessen zu öffnen und darauf einen ersten Schwerpunkt zu legen. In den Anhörungen und Berichten bestätigt sich der wissenschaftliche Befund, dass sexueller Kindesmissbrauch in allen Familientypen stattfindet. Doch bestimmte begleitende Umstände haben das Risiko für Kinder aktualisiert – zum Beispiel Suchtmittelkonsum, Erkrankungen von Betreuungspersonen oder Trennung. Diese Umstände dürfen allerdings nicht vorschnell als Ursachen für den Missbrauch betrachtet werden. Schlussfolgerungen aus den bisherigen Erkenntnissen Kindern und Jugendlichen wurde nicht oder erst spät geholfen, weil die Familie als Privatraum, in den nicht e ­ ingegriffen werden sollte, angesehen wurde. Aufarbeitung muss sich folglich mit der Wirkung gesellschaftlicher ­Vorstellungen von Familie und der Rolle von Eltern und anderen Angehörigen befassen. Zu klären ist auch, welche Bedeutung das Dilemma zwischen dem Schutz der Privatsphäre und der Aufgabe des staatlichen Wächteramtes hat. Die Anhörungen und Berichte zum ­ Tatkontext Familie werden 2017 und 2018 weiter ausgewertet und auch in den folgenden Berichten und anderen P ­ ublikationen vorgestellt. Es liegt ausgehend von unseren E ­ rkennt­nissen folgender vertiefter Aufarbeitungs- und Forschungsbedarf vor: • sexuelle Gewalt durch Geschwister in der Familie und die damit verbundenen Folgen für die Familie als System nach der Aufdeckung; • Mehrfachbetroffenheit von Menschen, die in der Familie und in anderen Kontexten sexuelle Gewalt erfahren haben bzw. neben sexueller Gewalt auch von körperlicher und/oder psychischer Gewalt und Vernach­lässigung betroffen waren; • Zusammenwirken von Missbrauch in der Familie und organisierter Kriminalität; • Machtverhältnisse in unterschiedlichen Familientypen und damit zusammenhängende Geschlechterrollen, hier vor allem die Rolle der Mütter; • Mütter als Täterinnen.

Weitere Arbeitsschwerpunkte Weitere Arbeitsschwerpunkte für 2017 und 2018 sind: Missbrauch in der DDR Im Beschluss über die Errichtung der Kommis­ sion wies der Deutsche Bundestag ausdrücklich auf die Notwendigkeit der Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in Kinderheimen und Jugendwerkhöfen der DDR hin. Dies erweitert die Kommission und will allen Betroffenen, die in der DDR aufgewachsen sind, die Möglichkeit geben, ihre Geschichte zu erzählen – ganz gleich, ob es sich um institutionellen oder familiären Missbrauch handelt. Dementsprechend ist im ­ Jahr 2017 die Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs in der DDR ein Schwerpunkt der Kommissionsarbeit. Hierfür hat die Kommission eine Expertise mit historischen, rechtlichen und psychologischen Hintergrundinformation zum sexu­ellen Missbrauch von Kindern und Jugend­ lichen in der DDR in Auftrag gegeben. Diese Expertise soll eine wichtige Grundlage für die Vorbereitung vertraulicher Anhörungen bilden und wird auf dem öffentlichen Hearing zum Thema Sexueller Kindesmissbrauch in der DDR im Oktober 2017 vorgestellt. Eine wichtige Voraussetzung für die Aufarbeitung ist es, das Vertrauen der Betroffenen, die Missbrauch in der DDR erfahren haben, zu gewinnen.

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9. FAZIT, AUSBLICK UND EMPFEHLUNGEN AN DIE POLITIK

Ritueller Missbrauch Betroffene haben von Anfang an die Kommission aufgefordert, sich mit rituellem Missbrauch zu befassen, vertrauliche Anhörungen durchzuführen und Expertisen einzuholen. Die Kommission hat damit bereits 2016 begonnen und auch im Rahmen eines Forschungsprojektes der Kommission (siehe Kapitel 6.4) wird seit Ende 2016 intensiver dazu gearbeitet. Im Herbst 2017 wird es zudem ein Werkstattgespräch zu dieser Thematik geben.

Analyse und Dokumentation Wichtiges Instrument der Aufarbeitung ist die Auswertung und Dokumentation der Untersuchungsergebnisse. Diese wird die Kommission in regelmäßigen Berichten veröffentlichen.

Missbrauch in sozialen Bewegungen Betroffene sowie Zeitzeuginnen und Zeitzeugen berichteten, dass sich in den 1970er- bis 1990er-­ Jahren in der Bundesrepublik eine pädosexuelle Szene etabliert hatte, die weit über die bekannt gewordenen Fälle bei den Grünen hinausging. Hier gilt es, die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten im Kontext sozialer Bewegungen aufzu­ arbeiten. Darüber hinaus ist aufzuklären, wie weit in die Gesellschaft und die Wissenschaften hinein pädosexuelle Legitimationsstrukturen verharmlosend aufgenommen wurden.

Die Einrichtung der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs war eine wichtige Entscheidung der Politik. Mit diesem Schritt hat sie signalisiert, dass die Gesellschaft bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Kindern und Jugendlichen geschieht immer wieder großes Unrecht, wenn ihnen sexuelle Gewalt angetan wird. Dieses Unrecht findet oft gerade dort statt, wo Mädchen und Jungen Zuwendung, Schutz und Fürsorge erwarten. Die Aufarbeitung schließt an Befunde aus Wissenschaft und Fachpraxis an, die aufzeigen, dass es für ein Kind eine existenziell bedrohliche Erfahrung ist, durch einen nahestehenden Menschen in der Familie oder eine Autoritätsperson wie einen Priester, einen Lehrer oder eine Trainerin sexuell missbraucht zu werden. Doch das Leid wird noch größer, wenn andere Erwachsene wegsehen, leugnen und dem Kind nicht geholfen wird. Dieser negative Prozess kann sich im Erwachsenenalter fortsetzen, wenn die Unterstützung und Versorgung bei der Bewältigung von gesundheitlichen und sozialen Folgen ausbleibt, wenn soziale Not eintritt, weil Betroffene ihrem Beruf nicht mehr nachgehen können und die Verfahren im Kampf um Anerkennung, Hilfe und Entschädigung zermürben und als entwürdigend erlebt werden.

Missbrauch in Institutionen Die Kommission wird sich außerdem verstärkt mit Missbrauch in Institutionen des Aufwachsens befassen. Bisher bekannt gewordene Kontexte im institutionellen Bereich sind u. a. evangelische Kirche, katholische Kirche, Zeugen Jehovas, H ­ ei­me, Pflege, Kindergarten, Schule, Internat, Sport, Jugendbewegung, Pfadfinder, Mu­sik, Park­eisen­ bahn, sonstiger Freizeitbereich, Gesundheitsbereich. Weitere bisher nicht bekannte Kontex­te sind einzubeziehen. Ermöglichung weiterer Zugänge Im Hinblick auf unterschiedliche Betroffenengruppen ist es notwendig, passgenau initiativ zu werden sowie eine geeignete Ansprache und Zugänge zu finden. Damit die Kommission mit ihrer Arbeit mehr männliche Betroffene und Unter30-Jährige erreichen kann, braucht sie mehr Zeit. Es müssen Zugänge geschaffen und Vertrauen gewonnen werden. Gleiches gilt für weitere Zielgruppen wie Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit verschiedenen religiösen Hintergründen, Menschen in Armutslagen oder Menschen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen.

EMPFEHLUNGEN AN DIE POLITIK – UNABHÄNGIGE AUFARBEITUNG SEXUELLEN KINDESMISSBRAUCHS NACHHALTIG SICHERN

Sexueller Kindesmissbrauch hat eine ganz persönliche Seite. Jede Geschichte, die Betroffene erleben und erzählen, ist einzigartig. Diese Einzigartigkeit bekommen wir in den Anhörungen eindrucksvoll vor Augen geführt. Sexueller Kindesmissbrauch ist aber zugleich eingebettet in soziale Strukturen und politische Kontexte. Der Staat trägt Verantwortung für den Schutz der Kinder und für die Arbeit von staatlichen Institutionen des Aufwachsens ebenso wie für not-

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wendige Hilfen für Betroffene, die unter den Folgen des Missbrauchs leiden. „DIE AUFARBEITUNG SEXUELLEN K ­ INDESMISSBRAUCHS MUSS ALS GESAMTGESELLSCHAFTLICHE AUFGABE ANGESEHEN WERDEN UND ERFORDERT EINE ANGEMES­ SENE REAKTION DURCH DIE POLITIK.“ Prof. Dr. Sabine Andresen, Vorsitzende der Kommission Die Unabhängige Kommission hat im Jahr 2016 die Arbeit aufgenommen. Wir, die Mitglieder der Kommission, sind davon überzeugt, dass es richtig und wichtig war, mit der gesamtgesellschaftlichen Aufarbeitung zu beginnen, obwohl Rahmenbedingungen, Reichweite und Ausstattung uns deutliche Grenzen setzen. Diese fallen besonders ins Gewicht, weil der Auftrag der Kommission sehr weit gefasst ist. Das Spektrum der Aufgaben repräsentiert die Komplexität von sexuellem Kindesmissbrauch: Alle Tatkontexte ­ sollen in den Blick genommen, zwei unterschiedliche politische Systeme und ihr Umgang mit sexueller Gewalt gegen Kinder aufgearbeitet ­ ­sowie Wege der Anerkennung von Unrecht aufgezeigt werden. Die Erwartungen an die jetzt begonnene gesamtgesellschaftliche Aufarbeitung sind groß. Es ist deutlich, dass diese Aufgabe verantwortungsvoll weitergeführt werden muss – und zwar über die Laufzeit März 2019 hinaus. Vor dem Hintergrund unserer intensiven und ­be­eindruckenden Erfahrungen mit Betroffenen in den Anhörungen, auf der Basis der schriftlichen Berichte und der Werkstattgespräche und des generierten Wissens möchten wir den Verantwort­ lichen in der Politik dringend empfehlen, weitere Schritte zu gehen. Wir wollen zwei Handlungsfelder ausweisen und Empfehlungen aussprechen, die zum einen auf den Umgang mit Betroffenen und zum anderen auf die Sicherstellung einer gesamtgesellschaftlichen Aufarbeitung zielen. 1. Betroffene Menschen haben das Recht auf eine klare Geste der Politik. In unseren

Anhörungen thematisieren sie enorme Belastungen, die vielfach strukturelle und/ oder bürokratische Ursachen haben. Diese können nur durch klare politische Entscheidungen behoben werden, wie zum Beispiel durch die längst überfällige Reform des OEG, die Institutionalisierung des Ergänzenden Hilfesystems und den Ausbau von spezialisierter Beratung und Therapie. Eine Geste an die Betroffenen sehen wir in der öffentlichen Anerkennung von Leid und Unrecht durch sexuelle Gewalt sowie in einem Bekenntnis zu einer Gedächtniskultur. E s muss darum gehen, dass Gesellschaft und Staat Unrecht benennen und anerkennen. Der Staat muss heute und in der Zukunft Verantwortung übernehmen für das Ausbleiben von Schutz und Hilfe in der Vergangenheit. 2. Gesamtgesellschaftliche Aufarbeitung braucht Zeit und einen langen Atem. Darum muss die Arbeit auch über 2019 hinaus gewährleistet sein. Die große Anzahl der Meldungen für vertrau­ liche Anhörungen bedingt einen deutlichen Nachsteuerungsbedarf bei den Ressourcen für die zeitnahe Durchführung von Anhörungen und bei der Sicherstellung der Infrastruktur auch bezogen auf die ehrenamtliche Tätigkeit von Kommissionsmitgliedern. Aufarbeitung erfordert darüber hinaus eigene Ressourcen für Forschung. Wir empfehlen dringend eine gesetzliche Verankerung von Aufarbeitung. Eine gesetz­ liche Grundlage wird benötigt, um einer umfassenderen Aufarbeitung den Weg zu bereiten, zum Beispiel durch die Möglichkeit, Akten über Täter und Täterinnen einzusehen oder Verantwortliche aus Institutionen zu einer Anhörung vorzuladen. Wir laden die Verantwortlichen der Politik ein, zu einem frühen Zeitpunkt im Jahr 2018 mit uns in den Austausch zu treten, um die unabhängige und gesamtgesellschaftliche Aufarbeitung über das Jahr 2019 hinaus sicherzustellen.

Zeitleiste Arbeitsprogramm

2016 Januar

Berufung der Kommission durch den Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs

konstituierende Sitzung der Kommission Feb

Start des Aufbaus des Büros der Kommission Start der ersten Forschungsprojekte der Kommissionsmitglieder

März

Einrichtung des Infotelefons Aufarbeitung

März

Austausch mit dem Betroffenenrat beim Unabhängigen Beauftragten

Mai

Auftaktpressekonferenz, Vorstellung des Arbeitsprogramms, Start der Internetseite

Juni

Treffen mit der englischen Aufarbeitungskommission in London

Juli

bundesweites Ausschreibungsverfahren zur Auswahl des Anhörungsteams

Juli

Werkstattgespräche I - Anhörungen (u. a. Schwerpunkt sexueller Missbrauch in der DDR)

Sept

Treffen mit ehemaligen DDR-Heimkindern in der Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau

Sept

Start der vertraulichen Anhörungen durch die Kommissionsmitglieder

Okt

Start der vertraulichen Anhörungen durch die Anhörungsteams an acht Standorten in Deutschland

Nov

Werkstattgespräche II - Archiv und Recherche (u. a. Schwerpunkt sexueller Missbrauch in sozialen und politischen Bewegungen)

Nov

Workshop beim Kongress MitSprache des Betroffenenrates

Dez

Pressegespräch „Ein Jahr Aufarbeitungskommission“

Dez

Gespräch mit dem Familienausschuss des Deutschen Bundestages

Dez

Austausch der Kommission mit dem Anhörungsteam

2017 Jan Januar

1. Öffentliches Hearing Sexueller Kindesmissbrauch im familiären Kontext und Pressekonferenz

April

Ausschreibungsverfahren zur Auswahl weiterer Anhörungsteams

Mai

Werkstattgespräche III – Analyse und Bericht (Schwerpunkt Kirchen)

Mai

Treffen mit dem Unabhängigen Beauftragten und dessen Gremien (Betroffenenrat, Beirat)

Juni

Veröffentlichung des Zwischenberichts und Pressekonferenz

Okt

2. Öffentliches Hearing Sexueller Kindesmissbrauch in der DDR, Veröffentlichung der Expertise und Pressekonferenz

Nov

Werkstattgespräch – Sexueller Missbrauch in rituellen und organisierten Gewaltstrukturen

2018 weitere Werkstattgespräche, u. a. zum Thema Anerkennung und Verantwortung

weitere öffentliche Hearings, u. a. zum Thema Kirchen Maßnahmen, um weitere Zielgruppen zu erreichen, zum Beispiel: männliche Betroffene, Unter-30-Jährige, Menschen mit Migrationshintergrund, mit verschiedenen religiösen Hintergründen, in Armutslagen oder Menschen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen

Hinweise/Erläuterungen Die Kommission tagt durchschnittlich alle sechs Wochen. Weitere Gespräche u.a. mit Vertretungen von Archiven, Opferinitiativen etc. fanden statt, die nicht alle hier aufgeführt werden können. Veröffentlichungen zu den Forschungsprojekten der Kommissionsmitglieder finden fortlaufend statt.

2019 Veröffentlichung von modellhaften Eckpunkten der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch

Die vertraulichen Anhörungen durch Kommission und die Anhörungsteams finden fortlaufend statt.

Vernetzung und Austausch

Veröffentlichung des Bilanzberichts und Pressekonferenz

Aufarbeitungsformate Meilensteine Kommissionsinterne Prozesse

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10. ANLAGEN

Anlage 1 Antrag der Fraktionen CDU/CSU und SPD Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch sicherstellen (Drucksache 18/3833)

 87

Anlage 2 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses des Deutschen Bundestages für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum Antrag Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch sicherstellen (Drucksache 18/4988)

 89

Anlage 3 Beauftragung der Kommission durch den Unabhängigen Beauftragen (UBSKM)

 94

Anlage 4 Online-Anmeldung für eine vertrauliche Anhörung auf der Internetseite der Kommission

 101

Anlage 5 Informationsblatt der Kommission für Betroffene über den Auflauf der Anhörung

 105

Anlage 6 Orientierungsfragen für schriftliche Berichte auf der Internetseite der Kommission

 106

Anlage 7 Begriffsbestimmungen: Kontexte von sexuellem Kindesmissbrauch

 111

ANLAGE S.87 87

Deutscher Bundestag

Drucksache 18/3833

18. Wahlperiode

27.01.2015

Antrag der Abgeordneten Marcus Weinberg (Hamburg), Christina Schwarzer, Ursula Groden-Kranich, Bettina Hornhues, Markus Koob, Katharina Landgraf, Dr. Silke Launert, Paul Lehrieder, Michaela Noll, Ingrid Pahlmann, Sylvia Pantel, Martin Patzelt, Eckhard Pols, Josef Rief, Dr. Peter Tauber, Astrid Timmermann-Fechter, Marian Wendt, Heinz Wiese (Ehingen), Gudrun Zollner, Michael Grosse-Brömer, Max Straubinger, Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Sönke Rix, Susann Rüthrich, Petra Crone, Birgit Kömpel, Ulrike Bahr, Dr. Fritz Felgentreu, Kerstin Griese, Petra Hinz (Essen), Christine Lambrecht, Dr. Carola Reimann, Dr. Dorothee Schlegel, Ursula Schulte, Stefan Schwartze, Gülistan Yüksel, Svenja Stadler, Thomas Oppermann und der Fraktion der SPD

Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch sicherstellen

Der Bundestag wolle beschließen: I.

Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Im Januar 2010 sandte der Rektor einer Bildungseinrichtung in Berlin einen Brief an ehemalige Schülerinnen und Schüler, die vornehmlich in den 70er und 80er Jahren Opfer von sexuellem Missbrauch geworden waren. Er entschuldigte sich für die jahrelangen, systematischen Übergriffe sowie dafür, dass zahlreiche weitere Personen, die eigentlich eine Schutzpflicht gegenüber den Opfern gehabt hätten, schlicht weggeschaut haben. Wenige Tage später wurde das Schreiben der Öffentlichkeit bekannt und löste eine breite gesellschaftliche und politische Debatte aus, in deren Zusammenhang weitere Vorwürfe sexueller Übergriffe laut wurden, Opfer sich meldeten und das Thema in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt wurde. Die Opfer haben durch ihren Mut, ihr Leiden auszusprechen, vielen anderen Opfern, den betroffenen Einrichtungen und der gesellschaftlichen und politischen Debatte einen großen Dienst erwiesen. Die Aufdeckung von Taten und der Anfang einer Aufarbeitung wurden so erst möglich, die Mauer des Schweigens gebrochen. In den letzten Jahren wurden bereits wichtige Maßnahmen zur Bekämpfung des sexuellen Kindesmissbrauchs realisiert, wie das Bundeskinderschutzgesetz, das Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs, das Ergänzende Hilfesystem für Betroffene sexuellen Missbrauchs sowie umfangreiche Forschungsprogramme. Zur Bekämpfung der Kinderpornografie hat der Deutsche Bundestag im November 2014 das Strafgesetzbuch verschärft. Weitere wichtige Vorhaben befinden sich aktuell in der Realisierungsphase.

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Drucksache 18/3833

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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Im März 2010 wurde durch die Bundesregierung der Runde Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich“ eingesetzt und Bundesministerin a. D. Dr. Christine Bergmann zur Unabhängigen Beauftragten zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs benannt. Für den Beginn der Aufarbeitung von Kindesmissbrauch war die Arbeit des Runden Tisches ein sehr wichtiger Beitrag ebenso wie die Fortführung des Amtes des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs. Zusätzlich stellt der Bund insgesamt 50 Mio. Euro für den „Fonds Sexueller Missbrauch“ zur Verfügung, an den sich von familiärem Missbrauch Betroffene, aber auch Mehrfachbetroffene (durch Fremdtäter / in Institutionen), wenden können. Berichte von Betroffenen machen deutlich, welch schreckliche Wunden sexueller Missbrauch hinterlässt und wie die Erfahrungen und Erlebnisse die Opfer manchmal ein Leben lang verfolgen. Es ist von großer Bedeutung, dass den Opfern, die berichten wollen, zugehört wird. Einerseits, um damit Beachtung für das ihnen angetane Leid zum Ausdruck zu bringen und andererseits, um mehr Erkenntnisse über die Strukturen und Bedingungen für sexuellen Kindesmissbrauch zu gewinnen. Eine Aufarbeitungskommission kann hierzu einen wichtigen Beitrag leisten. Dabei sollten auch der sexuelle Missbrauch in Kinderheimen und Jugendwerkhöfen der DDR sowie der sexuelle Missbrauch von Menschen mit körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung in den Blick genommen werden. Die gesellschaftliche Debatte, die durch den Mut der Opfer angestoßen wurde, darf nicht verstummen. Ohne die Sensibilisierung der Gesellschaft, ohne ein Hinsehen und Zuhören, ohne das Ernstnehmen der Opfer und das Erkennen der Täterprofile wird sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche nicht aufhören. II.

Der Deutsche Bundestag begrüßt,

dass der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs beabsichtigt, eine bei ihm angesiedelte Aufarbeitungskommission für die Dauer seiner Amtszeit einzurichten. Sie soll den Auftrag erhalten, bundesweit Betroffene anzuhören sowie deren Berichte und bereits erstellte und künftige Aufarbeitungsberichte von Institutionen auszuwerten, zu dokumentieren und in geeigneter Weise zu veröffentlichen. Doppelstrukturen bei der Aufarbeitung sollen nicht entstehen. III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, den Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten zu unterstützen, um eine unabhängige gesellschaftliche Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs der Vergangenheit weiterzuführen.

Berlin, den 27. Januar 2015 Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und Fraktion Thomas Oppermann und Fraktion

Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333

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Drucksache 18/4988

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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Bericht der Abgeordneten Christina Schwarzer, Susann Rüthrich, Norbert Müller (Potsdam) und Katja Dörner I.

Überweisung

Der Antrag auf Drucksache 18/3833 wurde in der 83. Sitzung des Deutschen Bundestages am 30. Januar 2015 dem Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zur federführenden Beratung und dem Innenausschuss, dem Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, dem Haushaltsausschuss, dem Ausschuss für Arbeit und Soziales, dem Ausschuss für Gesundheit und dem Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zur Mitberatung überwiesen. II.

Wesentlicher Inhalt der Vorlage

Im Antrag wird festgestellt, dass in den letzten Jahren bereits wichtige Maßnahmen zur Bekämpfung des sexuellen Kindesmissbrauchs realisiert worden seien, wie das Bundeskinderschutzgesetz, das Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs, das Ergänzende Hilfesystem für Betroffene sexuellen Missbrauchs und die Verschärfung der strafrechtlichen Vorschriften zur Bekämpfung der Kinderpornografie. Zusätzlich habe der Bund insgesamt 50 Mio. Euro für den „Fonds sexueller Missbrauch“ zur Verfügung gestellt. Durch den Runden Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und Machverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich, sei ein wichtiger Beitrag für den Beginn der Aufarbeitung von Kindesmissbrauch geleistet worden, ebenso wie durch die Fortführung des Amtes des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs. Berichte von Betroffenen machten deutlich, welch schreckliche Wunden sexueller Missbrauch hinterlasse, und wie die Erfahrungen und Erlebnisse die Opfer manchmal ein Leben lang verfolgten. Es sei von großer Bedeutung, dass den Opfern, die berichten wollten, zugehört werde. Einerseits könne damit Achtung für das ihnen angetane Leid zum Ausdruck gebracht werden und andererseits könnten mehr Erkenntnisse über die Strukturen und Bedingungen für sexuellen Kindesmissbrauch gewonnen werden. Eine Aufarbeitungskommission könne hierzu einen wichtigen Beitrag leisten. Dabei sollten auch der sexuelle Missbrauch in Kinderheimen und Jugendwerkhöfen der DDR sowie der sexuelle Missbrauch von Menschen mit körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung in den Blick genommen werden. Ohne die Sensibilisierung der Gesellschaft, ohne das Ernstnehmen der Opfer und das Erkennen der Täterprofile werde sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche nicht aufhören. Nach dem Antrag wird begrüßt, dass der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs beabsichtige, eine bei ihm angesiedelte Aufarbeitungskommission für die Dauer seiner Amtszeit einzurichten. Sie solle den Auftrag erhalten, bundesweit Betroffene anzuhören sowie deren Bericht und bereits erstellte und künftige Aufarbeitungsberichte von Institutionen auszuwerten, zu dokumentieren und in geeigneter Weise zu veröffentlichen. Doppelstrukturen bei der Aufarbeitung sollten nicht entstehen. Die Bundesregierung soll aufgefordert werden, den Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten zu unterstützen, eine unabhängige gesellschaftliche Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs der Vergangenheit weiterzuführen. III. Stellungnahmen der mitberatenden Ausschüsse Der Innenausschuss hat in seiner Sitzung am 20. Mai 2015 mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Fraktion DIE LINKE. die Annahme des Antrags empfohlen. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz hat in seiner Sitzung am 20. Mai 2015 mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE LINKE. die Annahme des Antrags empfohlen. Der Haushaltsausschuss hat in seiner Sitzung am 6. Mai 2015 mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE LINKE. die Annahme des Antrags empfohlen.

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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

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Drucksache 18/4988

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat in seiner Sitzung am 20. Mai 2015 mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Fraktion DIE LINKE. die Annahme des Antrags empfohlen. Der Ausschuss für Gesundheit hat in seiner Sitzung am 20. Mai 2015 mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Fraktion DIE LINKE. die Annahme des Antrags empfohlen. Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung hat in seiner Sitzung am 20. Mai 2015 mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Fraktion DIE LINKE. die Annahme des Antrags empfohlen. IV. Beratungsverlauf und Beratungsergebnisse im federführenden Ausschuss Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE LINKE. die Annahme des Antrags. Der Ausschuss hat die Vorlage in seiner 37. Sitzung am 20. Mai 2015 beraten. Die Fraktion der CDU/CSU machte auf die Erste Beratung des Antrags im Plenum Ende Januar 2015 aufmerksam, in der daran erinnert worden sei, dass vor genau fünf Jahren ehemalige Schüler des Canisius-Kollegs Berlin erstmalig darüber gesprochen hätten, dass sie in ihrer Schulzeit sexuell missbraucht worden seien. Es sei viel Mut erforderlich gewesen, um dieses Thema in die Öffentlichkeit zu bringen. Die Debatte dürfe nicht verstummen und die Aufarbeitung müsse fortgeführt werden. Mit dem vorliegenden Antrag übernehme man dafür Verantwortung. Es könne kaum gelingen, sich vorzustellen, was Menschen, die in ihrer Kindheit und Jugend missbraucht worden seien, durchgemacht hätten und noch durchmachten. Bei den Opfern sei die Angst vor Unverständnis, Bagatellisierung und Leugnung sehr groß. Deshalb hoffe man, dass der Antrag in deren Interesse möglichst von allen Fraktionen unterstützt werde. In den vergangenen fünf Jahren sei bereits viel getan worden. Es sei ein Runder Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich“ eingerichtet worden, der zu guten Ergebnissen geführt habe. Mit dem Ende Januar 2015 in Kraft getretenen „49. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht“ sei unter anderem der Anwendungsbereich der §§ 184b und 184c des Strafgesetzbuchs beim „Kinder-Posing“ erweitert worden. Nachdem Anfang des Jahres 2010 die Vorwürfe bekanntgemacht worden seien, seien über 16.000 Gespräche mit Betroffenen geführt worden und es seien knapp 5.000 Briefe geschrieben worden. In dem Antrag werde begrüßt, dass der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs beabsichtige, eine bei ihm angesiedelte Aufarbeitungskommission für die Dauer seiner Amtszeit einzurichten. Diese solle Antworten finden für das, was damals geschehen sei und – vor allem – warum es geschehen sei. Hierzu könnten Forschungsaufträge hilfreich sein. Die Arbeit einer solchen Kommission diene auch der Prävention, denn man wisse leider, dass sexueller Missbrauch auch heute immer wieder verübt werde. Die Aufarbeitung von Fällen aus der Vergangenheit trage dazu bei, zukünftiges Leid zu verhindern. Man müsse die richtigen Schlüsse aus der Aufarbeitung ziehen, um präventiv zu wirken. Die CDU/CSU-Fraktion danke dem Unabhängigen Beauftragten, Johannes-Wilhelm Rörig, für seine engagierte Arbeit und für den konstruktiven Dialog, den man mit ihm führe. Die Fraktion DIE LINKE. schloss sich dem Dank an Herrn Rörig an. Er mache als Unabhängiger Beauftragter eine ausgezeichnete Arbeit. Bei seinem außergewöhnlichen Engagement hoffe man, dass er ausreichend Kraft habe, seine erfolgreiche Arbeit in den kommenden Jahren – auch bei Rückschlägen – fortzusetzen. Aus Sicht der Fraktion DIE LINKE. sei sexueller Missbrauch kein Problem der Vergangenheit. Vielmehr gehe es darum, wie man in Zukunft präventive Instrumente schaffen könne, um ihn zu verhindern. Die Debatte über sexuellen Missbrauch in den vergangenen 50 Jahren und der Dialog mit Betroffenen zeige, dass man Prävention gesetzlich vorschreiben und entsprechende institutionalisierte Möglichkeiten schaffen müsse, wie dies z. B. mit der Einrichtung eines Betroffenenrats auch bereits geschehen sei. Allein durch die Aufarbeitung der Vergangenheit könne allerdings nicht verhindert werden, dass es künftig sexuellen Missbrauch womöglich in noch größerem Ausmaß geben werde.

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Drucksache 18/4988

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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Es sei ärgerlich, dass es bei dem Antrag kein gemeinsames Vorgehen aller Fraktionen des Deutschen Bundestages gegeben habe. Entsprechende Signale, einen interfraktionellen Antrag einzubringen, seien von den Koalitionsfraktionen nicht aufgegriffen worden. In der Vergangenheit habe es Beispiele für eine deutlich bessere Zusammenarbeit gegeben. Man werde zusammen mit der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einen Antrag einbringen, der einige Defizite des vorliegenden Koalitionsantrages aufzeigen werde. So fehle darin die Forderung nach einer gesetzlichen Grundlage für die Arbeit des Unabhängigen Beauftragten, was einen deutlichen Schritt nach vorne bedeuten würde – auch im Vergleich zu anderen europäischen Ländern. Ebenso sei für die Aufarbeitungskommission eine gesetzliche Regelung notwendig, in der ihr Auftrag und ihre Befugnisse umfassend festgelegt würden. Bezüglich der Finanzierung der Kommission sei kritikwürdig, dass es einen Haushaltsvorbehalt gebe. Dies sei dem Thema nicht angemessen. Die Koalition habe hier zu wenig Mut bewiesen, zumal es um durchaus überschaubare Beträge gehe. Vor diesem Hintergrund werde sich die Fraktion DIE LINKE. zu dem Koalitionsantrag der Stimme enthalten. Die Fraktion der SPD führte aus, dass nach den Ergebnissen, die der Runde Tisch vorgelegt habe, schon eine Reihe von Maßnahmen ergriffen worden seien. Allerdings sei die Forderung nach Einsetzung einer Aufarbeitungskommission noch nicht umgesetzt worden. Man begrüße es, dass dies heute im Ausschuss behandelt und auf den Weg gebracht werde. Es sei eine wichtige Aufgabe, dass den Opfern zugehört und das erlittene Leid anerkannt werde. Weiter sei es von Bedeutung, aus den Erfahrungen der Opfer Erkenntnisse über die Strukturen und Bedingungen für sexuellen Kindesmissbrauch zu gewinnen, um zukünftig verhindern zu können, dass in denselben Strukturen und mit denselben Mechanismen jungen Menschen erneut Leid zugefügt werde. Man müsse im Rahmen der Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs in der Vergangenheit Präventionsstrategien für die Gegenwart und Zukunft entwickeln. Das sei allerdings eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der sich nicht nur das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und der Familienausschuss stellen müssten. Daher würde es die Fraktion der SPD begrüßen, wenn der Antrag auf eine breite parlamentarische Zustimmung stoße und die Aufarbeitungskommission finanziell, organisatorisch, logistisch und personell von den anderen Bundesministerien volle Unterstützung erhalten würde. Mit den Erkenntnissen, die die Aufarbeitungskommission gewinnen werde, würden sich alle auseinandersetzen müssen. Das zeigten allein schon die tiefgreifenden Erkenntnisse, die man aus der Aufarbeitung einzelner Fälle in einigen Einrichtungen gewonnen habe. Die grundlegende Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in privaten und öffentlichen Einrichtungen werde voraussichtlich eine Debatte auslösen, in der gemeinsam Verantwortung übernommen werden müsse und in der man sich auch den Präventionsstrategien widmen müsse. Dem Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sei für ihre engagierte Arbeit zu danken. Man hoffe auf eine gute Zusammenarbeit mit der Aufarbeitungskommission. Die SPDFraktion sei zuversichtlich, dass diese Kommission durch ihre Arbeit die Forderungen des Rundes Tisches gut umsetzen werde. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betonte, dass sie sich den Ausführungen der Koalitionsfraktionen hinsichtlich der Bedeutung der notwendigen Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs in öffentlichen und privaten Einrichtungen und auch der Verantwortung des Parlaments anschließe. Vor diesem Hintergrund wäre jedoch ein dezidierterer Antrag wünschenswert gewesen. Wie bereits in der Ersten Lesung des Antrags in der 83. Sitzung des Deutschen Bundestages am 30. Januar 2015 ausgeführt, hätte man es begrüßt, wenn man einen interfraktionellen Antrag hätte auf den Weg bringen können. Dies sei von den Koalitionsfraktionen leider nicht gewünscht worden, was gegenüber der Öffentlichkeit ein falsches Signal sei, zumal man bereits bei vergleichbaren Themen interfraktionell gut zusammengearbeitet habe. Es bleibe zu hoffen, dass eine entsprechende Zusammenarbeit zukünftig wieder möglich sein werde. Obwohl man die inhaltlichen Forderungen des Antrags nicht für ausreichend halte, werde man ihm zustimmen, weil die Einsetzung der Aufarbeitungskommission ein wichtiger Schritt sei. Es sei auch ein wichtiges Signal für die Öffentlichkeit, wenn möglichst der gesamte Bundestag die Einsetzung der Aufarbeitungskommission befürworte. In einem gemeinsamen Antrag mit der Fraktion DIE LINKE. werde man jedoch auf die im Koalitionsantrag fehlenden Punkte hinweisen. Das sei zum einen die fehlende Verankerung in einem Gesetz, denn dies begrenze die Möglichkeiten der Aufarbeitungskommission, beispielsweise im Hinblick auf eine Akteneinsicht. Des Weiteren halte man die Befristung der Kommission für nicht richtig und wünsche daher, diese Aufgabe als dauerhaft zu definieren. Ebenso sei es wichtig, dass die Finanzierung dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe nicht allein aus dem Etat des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend bestritten werde. Den Äußerungen der Fraktion der SPD entnehme man, dass sich hierzu möglicherweise noch

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Drucksache 18/4988

eine andere Lösung finden lasse. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schließe sich dem Dank der anderen Fraktionen an den Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauch, Herrn Johannes-Wilhelm Rörig, für seine engagierte Arbeit an. Berlin, den 20. Mai 2015 Christina Schwarzer Berichterstatterin

Katja Dörner Berichterstatterin

Susann Rüthrich Berichterstatterin

Norbert Müller (Potsdam) Berichterstatter

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BEAUFTRAGUNG DER

UNABHÄNGIGEN AUFARBEITUNGSKOMMISSION KINDESMISSBRAUCH (KOMMISSION) DURCH DEN UNABHÄNGIGEN BEAUFTRAGTEN FÜR FRAGEN DES SEXUELLEN KINDESMISSBRAUCHS (UBSKM)



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I RECHTSGRUNDLAGE a. Mit Beschluss vom 02. Juli 2015 hat der Deutsche Bundestag die Absicht des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) begrüßt, eine Unabhängige Aufarbeitungskommission Kindesmissbrauch (Kommission) für die Dauer seiner Amtszeit einzurichten (BT-Plenarprotokoll 18/115, S. 11122 zum Antrag BT-Drucksache 18/3833, Beschlussempfehlung und Bericht des FSFJAusschusses BT-Drucksache 18/4988). Die Bundesregierung wurde zugleich aufgefordert, den UBSKM im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten zu unterstützen. b. Auf Grundlage dieser Beschlussfassung des Deutschen Bundestages beruft der UBSKM die Mitglieder der Kommission. Der Inhalt der Beauftragung wird von der Kommission als Grundlage und Rahmen ihrer künftigen Arbeit berücksichtigt. Die Beauftragung gilt ab dem Zeitpunkt der Annahme der Berufung durch die Mitglieder bis zum 31. März 2019.

II ZIELE DER KOMMISSION a. Die Kommission soll die Dimension der sexuellen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche aufzeigen. Sie soll eine breite politische und gesellschaftliche Debatte anstoßen. Aufarbeitung ist Voraussetzung für Prävention und damit für verbesserten Schutz von Kindern und Jugendlichen. b. Die Kommission soll Tatsachen offenlegen, Verantwortlichkeiten identifizieren und Wege zur Anerkennung des Unrechts aufzeigen.



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III AUFGABEN DER KOMMISSION a. Die Kommission soll Ausmaß, Art, Ursachen, Konstitutionsbedingungen und Folgen von sexuellem Missbrauch - in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR untersuchen. b. Die Kommission soll einen geeigneten Rahmen bieten, um Betroffene anzuhören und somit die Möglichkeit schaffen auch verjährtes Unrecht mitzuteilen. c. Die Kommission soll Versäumnisse und strukturelle Missstände der Vergangenheit benennen, die Missbrauch in der Vergangenheit ermöglicht sowie die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch verhindert haben. Daraus sollen Schlüsse gezogen werden, um präventiv zu wirken. d. Die Kommission soll Forschungsfragen identifizieren. e. Darüber hinaus soll die Kommission modellhaft Eckpunkte der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch entwickeln und empfehlen.

IV UNABHÄNGIGKEIT DER KOMMISSION a. Die Kommission ist in ihrer Arbeit unabhängig. Sie gestaltet ihr Arbeitsprogramm und ihre Arbeitsweise. Sie legt Inhalte fest und setzt ihre Schwerpunkte entsprechend ihrer fachlichen Überzeugung. b. Die Kommission unterliegt keinen Weisungen und keiner Fachaufsicht, lediglich der Rechtsaufsicht.



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V MITGLIEDER DER KOMMISSION a. Die Kommission besteht aus einem Vorsitz und bis zu sechs weiteren Mitgliedern. Der Vorsitz vertritt die Kommission nach außen. b. Die Mitglieder der Kommission verpflichten sich im Rahmen der rechtlichen Regelungen zur Verschwiegenheit für den Fall, dass ihnen personenbezogene Daten über Betroffene, Zeitzeugen oder Täter bzw. Täterinnen im Rahmen ihrer Tätigkeit bekannt werden. c. An den Sitzungen der Kommission nehmen als ständige Gäste teil: •

UBSKM sowie von ihm zu benennende Personen aus seinem Arbeitsstab



zwei Mitglieder des Betroffenenrates beim UBSKM



die/der Anhörungsbeauftragte der Kommission



weitere Personen, soweit die Kommission es beschließt.

VI ANHÖRUNGS- UND UNTERSUCHUNGSFORMATE Der Kommission werden im Wesentlichen folgende Anhörungs- und Untersuchungsformate zur Verfügung stehen: •

Vertrauliche Anhörungen von Betroffenen sexuellen Missbrauchs in der Kindheit bundesweit und dezentral durch Anhörungsbeauftragte



Persönliche Anhörungen von Betroffenen durch Kommissionsmitglieder



Interviews mit Zeitzeugen unter Ausschluss der Öffentlichkeit



Öffentliche Anhörungen von Betroffenen und Zeitzeugen in geeigneten Formaten



Sichtung und Auswertung von schriftlichen Berichten von Betroffenen



Archivrecherche und Dokumentenanalyse



Auswertung vorliegender Aufarbeitungsberichte



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VII DURCHFÜHRUNG DER ANHÖRUNGEN a. Über die Organisation und Ausgestaltung der verschiedenen Anhörungsmodule und ihre Durchführung entscheidet die Kommission. b. Bei den vertraulichen Anhörungen soll die Kommission zur Sicherstellung der Persönlichkeits- und Datenschutzrechte der Betroffenen sowie zum Schutz vor Verleumdungsklagen Anhörungsbeauftragte mit der Durchführung von vertraulichen Anhörungen beauftragen. Anhörungsbeauftragte müssen als Berufsgeheimnisträger im Rahmen ihrer Berufsausübung gemäß § 203 StGB handeln, für die gemäß § 53 StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht besteht (z.B. Rechtanwältinnen/Rechtsanwälte oder ärztliche und psychologische Psychotherapeutinnen/Psychotherapeuten). c. Die Kommission soll Betroffenen für die Anhörungen eine umfassende Beratung über die Möglichkeiten der Anhörung sowie psychosoziale Begleitung anbieten (gegebenenfalls in Kooperationen mit den Landespsychotherapeutenkammern sowie Fachberatungsstellen und anderen geeigneten Einrichtungen vor Ort).

VIII FORSCHUNG Die Ergebnisse der Aufarbeitung können zu neuen Forschungsfragen führen. Die Kommission soll Forschungsbedarf identifizieren und die Vergabe von Forschungsaufträgen anregen.

IX ZUSAMMENARBEIT DER KOMMISSION a. Die Kommission und der UBSKM arbeiten kooperativ und vertrauensvoll zusammen, der UBSKM begleitet die Arbeit der Kommission aktiv und unterstützt sie. b. Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Kommission erfolgen koordiniert zwischen Kommission und UBSKM.



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X BÜRO DER KOMMISSION a. Der Kommission wird Anfang des Jahres 2016 ein Büro der Kommission beim Arbeitsstab des UBSKM eingerichtet und der Kommission fachlich unterstellt. b. Das Büro der Kommission ist zuständig für die administrative Umsetzung des Arbeitsplans sowie die fachlich-inhaltliche Zu- und Mitarbeit für die Kommission und die Kommissionsmitglieder. Ihr obliegen die allgemeinen Verwaltungsaufgaben der Kommission.

XI BERICHTERSTATTUNG a. Die Kommission soll die Öffentlichkeit regelmäßig schriftlich über ihre Arbeit informieren sowie Ergebnisse und Empfehlungen veröffentlichen. b. Im Hinblick auf die voraussichtlich im Herbst 2017 stattfindenden Bundestagswahlen sollte 2017 ein Zwischenbericht vorgelegt werden. c. Darüber hinaus sollte ein Bericht zum Ende der derzeit vorgesehenen Laufzeit der Kommission (31.03.2019) rechtzeitig vorgelegt werden. d. Bei der Berichterstattung ist auf die Sicherstellung von Persönlichkeits- und Datenschutz zu achten. e. Die Veröffentlichung sämtlicher Ergebnisse und Berichte erfolgt durch die Kommission. Soweit Dritte mit Arbeiten betraut werden, muss sich die Kommission von dem Dritten vertraglich das ausschließliche Nutzungsrecht einräumen lassen und sowohl die Kommission als auch den UBSKM von eventuellen Ansprüchen Dritter freistellen lassen.



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XII FINANZIERUNG DER ARBEIT DER KOMMISSION Für die Arbeit der Kommission werden für die Jahre 2016-2018 Mittel in Höhe von jährlich mindestens 1.190.000 Euro sowie zwei juristischen Stellen, finanziert durch das BMJV, zur Verfügung gestellt. Die Mittel sind insbesondere für: •

Sach- und Reisekosten für die Anhörungen von Betroffenen und Zeitzeugen



Reisekosten und Entschädigungen der Kommissionsmitglieder (s.u.)



Fachgespräche, Rechercheaufträge, Expertisen sowie über Zuwendungen außerhalb der Geschäftsstelle zu vergütende Mitarbeit, zum Beispiel an kooperierenden Hochschulen



Personalkosten der Geschäftsstelle



Sach- und Geschäftskosten der Geschäftsstelle sowie ihre Reisekosten

XIII DIE ERSTATTUNG VON AUSLAGEN, AUFWANDSENTSCHÄDIGUNG Die Erstattung von Auslagen, insbesondere die Reisekostenvergütung und die Entschädigung von Verdienstausfall der Mitglieder der Kommission erfolgt gemäß den Richtlinien für die Abfindung von Beiräten, Ausschüssen, Kommissionen und ähnlichen Einrichtungen im Bereich des Bundes, sofern dieser Auftrag keine abweichenden Regelungen enthält.



7|7

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FORMULAR – ONLINE ANMELDUNG In diesem Formular werden wir Ihnen einige Fragen stellen, so dass wir die Anhörung gut vorbereiten können. Sie können selbst entscheiden, welche Fragen Sie beantworten wollen, und welche nicht. Das Ausfüllen nimmt etwa 5 Minuten Zeit in Anspruch. Die Beantwortung der Fragen kann unangenehme Gefühle in Ihnen auslösen. Wenn Sie das wünschen, besteht auch die Möglichkeit, das Formular am Telefon gemeinsam mit einer Person aus dem Kommissionsteam auszufüllen. Sie können das Formular online ausfüllen und absenden. Sie haben auch die Möglichkeit das Dokument auszudrucken und per Post zu versenden.

1.

Sind Sie selbst von sexuellem Missbrauch in der Kindheit betroffen?* Ja

Nein, ich bin Zeitzeug/in

Nein, ich bin Angehörige/r Zurück

Senden

Weiter

*Pflichtfeld

2.

Der Missbrauch fand statt* in der Bundesrepublik Deutschland

in der ehemaligen DDR

im Ausland Zurück

Senden

Weiter

*Pflichtfeld

2a.

Bei Antwort „in der BRD oder ehemaligen DDR“: In welcher Region oder Stadt? Hier eintragen Zurück

Senden

Weiter

Bis März 2017 wurde lediglich gefragt, ob der Missbrauch in Deutschland stattgefunden hat; es wurde

nicht zwischen Bundesrepublik Deutschland und DDR differenziert. Darüber hinaus konnte der Ort des Missbrauchs angegeben werden.

102

3.

In welchem Zeitraum fand der Missbrauch statt? von Jahr Hier eintragen bis Jahr Hier eintragen Zurück

Senden

Weiter

Senden

Weiter

4.

Wie alt war die/der Betroffene damals? Alter von Hier eintragen Bis Hier eintragen Zurück

5.

In welchem Umfeld hat der Missbrauch stattgefunden? (mehrere Antworten möglich) in der Familie im sozialen Umfeld (Nachhilfe, Nachbarschaft, etc.) in einer Einrichtung (zum Beispiel Kita, Schule, Internat, Heim, Sport, Kirche, Arztpraxis) durch rituelle/organisierte Gewalt durch Fremdtäter/innen Möchten Sie dazu noch etwas ergänzen?

Zurück

Senden

Weiter

Bis Dezember 2016 wurde lediglich gefragt, in welchem Umfeld der Missbrauch stattgefunden hat: „Familie/soziales Umfeld“, „in einer Einrichtung“ oder „durch Dritte“.

103

6.

Haben sie bereits vor anderen Gremien berichtet? Nein

Ja Zurück

Senden

Weiter

7.

Können diese Berichte von der Kommission zur Verfügung gestellt werden? Nein

Ja Zurück

Senden

Weiter

8.

Gibt es noch etwas, das Sie der Kommission mitteilen möchten? Hier eintragen

Zurück

Senden

Weiter

9.

Wie haben Sie von der Aufarbeitungskommission und dieser Website erfahren? Hier eintragen

Zurück

Diese Frage wurde im Oktober 2016 hinzugefügt.

Senden

Weiter

104

10.

Wenn Sie möchten, dass wir mit Ihnen in Kontakt treten, um einen Termin für eine Anhörung zu vereinbaren, benötigen wir Ihre Kontaktdaten. Wir verwenden Ihre Informationen nur innerhalb der Kommission. Wir geben sie nicht ohne Ihre ausdrückliche Einwilligung an Dritte weiter. Wir können Sie entweder anrufen, Ihnen eine E-Mail oder einen Brief schreiben. Wenn Sie uns nicht

Ihre Kontaktdaten geben wollen, können wir mit Ihnen aber auch einen Weg besprechen, wie Sie sich anonym mit uns in Verbindung setzen können.

Kontaktdaten 

Vorname, Nachname Straße, Hausnummer Postleitzahl* Ort Bundesland



Email*

Telefon 

Hier eintragen

Zurück

Senden

Weiter

*Pflichtfeld

Bis Dezember 2016 war „Bundesland“ ein Pflichtfeld. Um die örtliche Zuordnung zu den Anhörungs-

beauftragten zu erleichtern, wurde stattdessen die Angabe der Postleitzahl verpflichtend.

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Ablauf der Anhörung Wir wollen Sie darüber informieren, wie wir die Anhörung mit Ihnen vorbereitet haben. Ganz wichtig: Es wird keinen festen Ablaufplan geben, dem wir folgen müssen. Jede Anhörung wird so individuell wie Ihre Geschichte sein. Wir möchten Ihnen unsere Überlegungen vorstellen, damit Sie wissen, was Sie erwartet. Für Ihre Anhörung haben wir etwa zwei Stunden eingeplant. Die Anhörung wird mit einer kurzen persönlichen Vorstellung beginnen. Wir werden Sie, falls Sie die Einverständniserklärung zum Datenschutz noch nicht unterschrieben haben, zudem über die datenschutzrechtlichen Bestimmungen informieren. Im ersten Teil des Gesprächs berichten Sie frei, was Sie uns erzählen wollen. Sie erzählen und wir hören zu. Bitte nehmen Sie sich die Zeit dazu, die Sie brauchen. Im zweiten Teil des Gesprächs werden wir eventuell Nachfragen stellen, um Ihre Geschichte besser zu verstehen. Die Fragen werden wir natürlich nur stellen, falls Sie uns zu den jeweiligen Themen nicht schon berichtet haben. Mögliche Fragen, die für die Aufarbeitung wichtig sind, werden in erster Linie sein: 1. Was hat Sie bewogen, sich zur Anhörung anzumelden und über den sexuellen Missbrauch, den Sie erlebt haben, zu berichten? 2. Bitte erzählen Sie uns von den erlebten Übergriffen. 3. Wie kam es dazu, dass der Missbrauch aufgehört hat? 4. Wem und wann haben Sie zum ersten Mal über den sexuellen Missbrauch berichtet? 5. Wie waren die Reaktionen, als Sie über den Missbrauch gesprochen haben? 6. Haben Sie Hilfe und Unterstützung gesucht und haben Sie sie bekommen? 7. Welche Erfahrungen haben Sie mit zuständigen Behörden und Unterstützungseinrichtungen gemacht? 8. Welche Folgen hatte der Missbrauch für Sie? 9. Spielt der sexuelle Missbrauch heute noch eine Rolle in Ihrem Leben? Zum Abschluss würden wir gern von Ihnen wissen, was Ihrer Ansicht nach Politik und Gesellschaft gegen sexuellen Kindesmissbrauch tun sollten. Sie müssen die genannten Fragen aber nicht beantworten, wenn Sie nicht wollen. Sie entscheiden, was Sie uns berichten wollen. Sie können auch jederzeit eine Pause machen oder auch die Anhörung ganz abbrechen.

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ORIENTIERUNGSFRAGEN Sie haben sich entschieden der Kommission über sexuellen Missbrauch zu berichten und möchten dies schriftlich tun. Das ist ein mutiger und wichtiger Schritt. Ihr Bericht wird der Kommission helfen herauszufinden, was sexuelle Gewalt in der Kindheit ermöglicht hat und was Politik und Gesellschaft verändern müssen, damit Kinder in Zukunft besser vor Missbrauch geschützt sind. Bitte schreiben Sie uns in Ihren eigenen Worten. Dabei macht es nichts, wenn Sie sich nicht an alles erinnern können. Um Sie beim Schreiben zu unterstützen, finden Sie ab Seite 2 einige Fragen, an denen Sie sich in Ihrem Bericht orientieren können, aber natürlich nicht müssen. Manche Fragen sind für Sie vielleicht weniger wichtig oder gar nicht zutreffend. Sie allein entscheiden, was Sie der Kommission mitteilen möchten. Sie können den Bericht mit Ihren Kontaktdaten versehen oder anonym bleiben. Wenn Sie uns mitteilen, wie Sie erreichbar sind, hat die Kommission die Möglichkeit Sie zu kontaktieren, falls es Rückfragen gibt. Nachdem Sie Ihren Bericht an die Kommission geschickt haben, bekommen Sie eine formale schriftliche Bestätigung, dass der Bericht bei der Kommission eingegangen ist. Ihr Bericht wird vertraulich behandelt. Wir nehmen den Schutz personenbezogener Daten sehr ernst. Wir haben technische und organisatorische Maßnahmen getroffen, die sicherstellen, dass die Vorschriften des Datenschutzes beachtet werden. Es ist vielleicht das erste Mal, dass Sie über die Vergangenheit und den Missbrauch sprechen. Uns ist bewusst, dass die Erinnerung an das Leid belastend und schmerzhaft sein kann. Wenn Sie merken, dass Sie Unterstützung benötigen, um mit der Belastung umzugehen, wenden Sie sich bitte an unser Infotelefon. Kostenfrei und anonym unter: 

0800 40 300 40

Sprechzeiten: montags, mittwochs und freitags von 9 bis 14 Uhr sowie dienstags und donnerstags von 15 bis 20 Uhr

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1 ORIENTIERUNGSFRAGEN FÜR DEN

KONTEXT INSTITUTION

FRAGEN, DIE SIE DABEI UNTERSTÜTZEN KÖNNEN, ÜBER SEXUELLEN MISSBRAUCH IN DER KINDHEIT ZU BERICHTEN:

Was geschah 1.

Sind Sie selbst von sexuellem Missbrauch betroffen oder jemand anderes?

2. Erinnern Sie sich an den Ort und den Namen der Institution? 3. Können Sie sich erinnern, wann oder in welchem Zeitraum der sexuelle Missbrauch stattfand und wie alt Sie waren? 4. Was wollen Sie uns berichten? 5. Können und wollen Sie etwas zu den Tätern oder Täterinnen sagen? 6. Wissen Sie, ob es eventuell Zeugen oder Mitwisser gab? Berichte 1.

Haben Sie mit jemandem über den sexuellen Missbrauch gesprochen?

2. Hat die Institution vom sexuellen Missbrauch erfahren? 3. Gab es ein schriftliches Dokument über Ihren Bericht? Reaktion der Institution 1.

Wie reagierten die Verantwortlichen der Institution?

2. Gab es eine Untersuchung? 3. Wurde Ihnen geraten, den sexuellen Missbrauch bei der Polizei anzuzeigen? 4. Wurde Ihnen Unterstützung oder psychologische Hilfe angeboten? 5. Übernahm die Institution Verantwortung für das, was geschah? 6. Haben Sie Entschädigungszahlungen beantragt und war der Erhalt von Zahlungen an Bedingungen geknüpft? 7. Haben Sie Zahlungen erhalten und wenn ja, waren Sie zufrieden damit? Tatfolgen 1.

Welche Folgen hatte die Tat für Sie? Gab es z.B. gesundheitliche Folgen? Oder gab es Ihrer Ansicht nach Folgen für Ihre Schulbildung und Ausbildung? Gibt es wirtschaftliche Folgen?

2. Leben Sie jetzt in einem sicheren Umfeld? 3. Gab es Personen, die Ihnen geholfen haben?

108

Andere Untersuchungen 1.

Haben Sie bereits vor anderen Gremien berichtet?

2. Sind diese Berichte verschriftlicht? 3. Könnten diese Berichte der Kommission zur Verfügung gestellt werden?

Gibt es noch etwas, was Sie der Kommission mitteilen möchten? Haben Sie eine Botschaft an Politik und Gesellschaft? Möchten Sie bei Rückfragen von der Kommission kontaktiert werden? Ja Nein Kontaktdaten Name Straße, Hausnummer Stadt, PLZ E-Mail-Adresse Geburtsjahr Sind Sie einverstanden, dass anonymisiert aus Ihrem Bericht ganz oder in Teilen zitiert wird, ohne dass Namen oder Orte genannt werden? Ja Nein Sie können den Bericht als E-Mail oder als Brief senden. Postanschrift: Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs Postfach 110129 10831 Berlin E-Mail:

[email protected]

109

2 ORIENTIERUNGSFRAGEN FÜR DEN KONTEXT

FAMILIE UND SOZIALES UMFELD, FREMDTÄTER UND ORGANISIERTER MISSBRAUCH FRAGEN, DIE SIE DABEI UNTERSTÜTZEN KÖNNEN, ÜBER SEXUELLEN MISSBRAUCH IN DER KINDHEIT ZU BERICHTEN: Was geschah 1.

Sind Sie selbst von sexuellem Missbrauch betroffen oder jemand anders?

2. Können Sie sich erinnern, wann oder in welchem Zeitraum der sexuelle Missbrauch stattfand und wie alt Sie waren? 3. Was wollen Sie uns berichten? 4. Wollen oder können Sie uns etwas zu den Tätern oder Täterinnen sagen? 5. Wissen Sie, ob es eventuell Zeugen oder Mitwisser gab? Reaktion des Umfelds, z.B. bei Missbrauch in der Familie 1.

Haben Sie mit jemandem über den sexuellen Missbrauch gesprochen?

2. Hat jemand aus der Familie auch davon gewusst? 3. Was hat verhindert, dass Sie geschützt wurden? 4. Wissen Sie, ob weitere Familienmitglieder betroffen waren? Einschaltung von Institutionen / Behörden 1.

Wurde eine staatliche Stelle der Kinder- und Jugendhilfe informiert?

2. Wie hat man dort reagiert? 3. Wurde Ihnen geraten, den sexuellen Missbrauch bei der Polizei anzuzeigen? 4. Gab es eine strafrechtliche Verfolgung? 5. Wurde Ihnen Unterstützung oder psychologische Hilfe angeboten? Tatfolgen 1.

Welche Folgen hatte die Tat für Sie? Gab es z.B. gesundheitliche Folgen? Oder gab es Folgen für Ihre Schulbildung und Ausbildung? Gibt es wirtschaftliche Folgen?

2. Leben Sie jetzt in einem sicheren Umfeld? 3. Gab es Personen, die Ihnen geholfen haben?

110

Andere Untersuchungen 1.

Haben Sie bereits vor anderen Gremien oder Kommissionen berichtet?

2. Sind diese Berichte verschriftlicht? 3. Könnten diese Berichte der Kommission zur Verfügung gestellt werden?

Gibt es noch etwas, was Sie der Kommission mitteilen möchten? Haben Sie eine Botschaft an Politik und Gesellschaft? Möchten Sie bei Rückfragen von der Kommission kontaktiert werden? Ja Nein Kontaktdaten Name Straße, Hausnummer Stadt, PLZ E-Mail-Adresse Geburtsjahr Sind Sie einverstanden, dass anonymisiert aus Ihrem Bericht ganz oder in Teilen zitiert wird, ohne dass Namen oder Orte genannt werden? Ja Nein Sie können den Bericht als E-Mail oder als Brief senden. Postanschrift: Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs Postfach 110129 10831 Berlin E-Mail:

[email protected]

111

BEGRIFFSBESTIMMUNGEN: KONTEXTE VON SEXUELLEM KINDESMISSBRAUCH

Für die Auswertung der Anmeldungen für vertrauliche Anhörungen und der schriftlichen Berichte wurde die folgende Differenzierung der Kontexte sexuellen Kindesmissbrauchs zugrunde gelegt. FAMILIE Täter und Täterinnen sind Verwandte (jegliche Form der Verwandtschaft), Adoptiveltern, Pflegeeltern, Stiefeltern, Lebensabschnittsgefährten und -gefährtinnen oder Lebenspartner und -partnerinnen. SOZIALES UMFELD Täter und Täterinnen sind Personen, die über einen gewissen Zeitraum regelmäßig Umgang mit der vom Missbrauch betroffenen Person und/oder deren Familie hatten, wie Nachbarn, Freunde der Familie, Schulkameraden, Freunde der Geschwister, private Musiklehrer und -lehrerinnen, Gemeindepfarrer oder Hausärzte und -ärztinnen. INSTITUTION Täter und Täterinnen sind Angestellte in Kita/Kindergarten, Schule, Internat, Heim, Jugendwerkhof, Krankenhaus, Sportverein oder Kirchengemeinde. FREMDTÄTER UND -TÄTERINNEN Fremdtäter und -täterinnen sind Personen, die keinerlei sozialen Bezug zur von sexuellem Missbrauch betroffenen Person hatten. Nicht gezählt werden hier Täter und Täterinnen aus dem Bereich ritueller oder organisierter sexueller Gewalt. ORGANISIERTER SEXUELLER MISSBRAUCH

Mindestens eines der folgenden Kriterien ist erfüllt: a) Mehrmalige gemeinschaftliche Übergriffe, b) Weitergabe an Dritte, c) Taten in Gewinnerzielungsabsicht oder d) Angabe durch Betroffene in der OnlineAnmeldung für vertrauliche Anhörungen. RITUELLE GEWALT Systematische Anwendung schwerer körperlicher, psychischer und sexueller Gewalt in destruktiven Gruppierungen.

112

11. QUELLENVERZEICHNIS

Abschlussbericht Runder Tisch Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich, 30. November 2011 •w  ww.bmfsfj.de https://www.bmfsfj.de/blob/93204/2a2c26eb1dd477abc63a6025bb1b24b9/ abschlussbericht-runder-tisch-sexueller-kindesmissbrauch-data.pdf (Abruf 5. Mai 2017)

1

Forderungskatalog Unabhängige Aufarbeitung von Kindesmissbrauch in Deutschland. Anlässlich des 3. Hearings Unabhängige Aufarbeitung – Verantwortung von Politik und Gesellschaft, 30. April 2013 •w  ww.beauftragter-missbrauch.de www.beauftragter-missbrauch.de/fileadmin/Content/pdf/Presse_Service/Publikationen/ UBSKM_Forderungskatalog_3.Hearing_Aufarbeitung.pdf (Abruf 5. Mai 2017)

2

Deutschlands Zukunft gestalten. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. 18. Legislaturperiode, S. 100 • w ww.bundesregierung.de https://www.bundesregierung.de/Content/DE/_Anlagen/2013/2013-12-17-koalitionsvertrag. pdf?__blob=publicationFile (Abruf 5. Mai 2017)

3

Antrag der Fraktionen CDU/CSU und SPD Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch sicherstellen (Drucksache 18/3833) •w  ww.bundestag.de http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/038/1803833.pdf (Abruf 5. Mai 2017)

4



Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Drucksache 18/4988) • w ww.bundestag.de http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/049/1804988.pdf (Abruf 5. Mai 2017)



Die Drucksachen finden Sie auch im Anhang zu diesem Bericht.

5

Beauftragung der Unabhängigen Aufarbeitungskommission Kindesmissbrauch (Kommission) durch den Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), 26. Januar 2016 •w  ww.aufarbeitungskommission.de www.aufarbeitungskommission.de/wp-content/uploads/2016/05/ Beauftragung_Kommission.pdf (Abruf 5. Mai 2017)



Die Beauftragung finden Sie auch im Anhang zu diesem Bericht. Der Betroffenenrat beim Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs • w ww.beauftragter-missbrauch.de https://beauftragter-missbrauch.de/betroffenenrat/der-betroffenenrat/ (Abruf 5. Mai 2017)

6

7 | 27



8





Internetseite der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs • w ww.aufarbeitungskommission.de (Abruf 5. Mai 2017) Orientierungsfragen für schriftliche Berichte an die Kommission • w ww.aufarbeitungskommission.de https://www.aufarbeitungskommission.de/wp-content/uploads/2016/05/ Orientierungsfragen-Institution.pdf (Abruf 5. Mai 2017) Die Orientierungsfragen finden Sie auch im Anhang zu diesem Bericht.

113



Projekte der Kommission •w  ww.aufarbeitungskommission.de https://www.aufarbeitungskommission.de/kommission/projekte/ (Abruf 5. Mai 2017)

9

10

N.I.N.A e. V. •w  ww.nina-info.de (Abruf 5. Mai 2017)

Leitfaden für ein Handlungskonzept zum Umgang mit akuten Kindeswohlgefährdungen für Aufarbeitungskommissionen von sexuellem Missbrauch von Kindern •w  ww.aufarbeitungskommission.de www.aufarbeitungskommission.de/leitfaden-handlungskonzept (Abruf 5. Mai 2017)

11

Impulsreferat von Prof. Dr. Aleida Assmann auf dem ersten Öffentlichen Hearing am 31. Januar 2017 •w  ww.aufarbeitungskommission.de https://www.aufarbeitungskommission.de/wp-content/uploads/2017/05/ Vortrag-Berlin-Hearing-Assmann.pdf (Abruf 5. Mai 2017)

12

13

Bericht der Initiativgruppe Geschlossener Jugendwerkhof Torgau e.V. zu dem Treffen mit der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs •w  ww.jugendwerkhof-torgau.de http://www.jugendwerkhof-torgau.de/Home/Neuigkeiten/ 14--Heimkindertreffen-signalisierte-den-Beginn-der-Aufarbeitungdes-sexuellen-Missbrauchs-in-DDR-Heimen/42d865/ (Abruf 5. Mai 2017) Bericht und Handlungsempfehlungen. Kommission zur Aufarbeitung der Haltung des Landesverbandes Berlin von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu Pädophilie und sexualisierter Gewalt gegen Kinder von der Gründungsphase bis in die 1990er Jahre •w  ww.gruene.berlin https://gruene.berlin/sites/gruene-berlin.de/files/benutzer/henriette.kluge/ bericht_komm_aufarbeitung_gruene_berlin_.pdf (Abruf 5. Mai 2017)

14 | 17

Bericht zur Unterstützung pädosexueller bzw. päderastischer Interessen durch die Berliner Senatsverwaltung des Göttinger Instituts für Demokratieforschung •w  ww.berlin.de www.berlin.de/sen/bjf/aktuelles2/artikel.537776.php (Abruf 5. Mai 2017)

15

16



17

Arbeitskreis Schatten der Jugendbewegung •w  ww.jubi-ludwigstein.de http://www.jubi-ludwigstein.de/praevention/ak-schatten-der-jugendbewegung (Abruf 5. Mai 2017)



siehe 14



Bundesarchivgesetz: Gesetz über die Nutzung und Sicherung von Archivgut des Bundes •w  ww.bundesarchiv.de www.bundesarchiv.de/bundesarchiv/rechtsgrundlagen/bundesarchivgesetz/index.html.de (Abruf 5. Mai 2017)

18



19

Hessisches Staatsarchiv Darmstadt •w  ww.landesarchiv.hessen.de https://landesarchiv.hessen.de/dienststellen/hessisches-staatsarchiv-darmstadt (Abruf 5. Mai 2017)

114

11. QUELLENVERZEICHNIS

20

Internetseite des Forschungsprojektes Erwartungen Betroffener von sexuellem Missbrauch an die Arbeit der Unabhängigen Aufarbeitungskommission von Prof. Dr. Barbara Kavemann • www.erwartungaufarbeitung.de (Abruf 5. Mai 2017)



21

22

Andresen, S., König, J., Künstler, S.: Anhörungen von Zeitzeug_innen und ihre Bedeutung für die Aufarbeitung sexueller Gewalt. Erziehungs- und kindheitstheoretische Perspektiven. •Z  eitschrift für Pädagogik, 62 (2016), Ausgabe 5, S. 624–637.

Andresen, S., Böllert, K., Wazlawik, M.: Aufarbeitung sexueller Gewalt in Institutionen des Aufwachsens. Herausforderungen erziehungswissenschaftlicher Forschung und Positionierung. Einführung in den Thementeil. •Z  eitschrift für Pädagogik, 62 (2016), Ausgabe 5, S. 619–623.

23

siehe 13



Independent Inquiry into Child Sexual Abuse (IICSA) • www.iicsa.org.uk (Abruf 5. Mai 2017)



Deutscher Jugendhilfetag (DJHT) • www.jugendhilfetag.de (Abruf 5. Mai 2017)





Videos in der Infothek auf der Internetseite der Kommission • w ww.aufarbeitungskommission.de https://www.aufarbeitungskommission.de/infothek/#toggle-id-2 (Abruf 5. Mai 2017)

27

siehe 7

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25

26

28





Twitterkanal der Kommission • https://twitter.com/ukask_de (Abruf 5. Mai 2017)

12. ABBILDUNGSNACHWEIS

Seite 13, 17, 18, 19

© Christine Fenzl

Seite 42, 43, 72

© Hans-Christian Plambeck

Seite 50, 69

© Büro der Kommission

Seite 67

© Getty Images

Seite 60, 81

© plainpicture

Seite 24, 25, 26, 32

Die Daten der Infografen wurden durch die oder im Auftrag der Kommission gesammelt und aufbereitet.

Seite 56, 57, 59

Die Daten der Infografiken wurden im Rahmen des ­Forschungsprojektes Erwartungen Betroffener von sexuellem ­Missbrauch an die Arbeit der Unabhängigen Aufarbeitungs­ kommission von Prof. Dr. Barbara Kavemann erhoben.

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PLATZ FÜR IHRE NOTIZEN

IMPRESSUM Herausgeber Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs Glinkastraße 24 10117 Berlin www.aufarbeitungskommission.de Stand Mai 2017 Gestaltung BALLHAUS WEST | Agentur für Kampagnen GmbH www.ballhauswest.de Lektorat Jeannette Klinger Druck VierC print+mediafabrik GmbH & Co. KG www.vierc.de Gedruckt auf 100 % Recyclingpapier.

Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs Glinkastraße 24, 10117 Berlin Postanschrift: Postfach 110129, 10831 Berlin Weitere Informationen E-Mail: [email protected] Website: www.aufarbeitungskommission.de Twitter: @ukask_de