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Douglas Cunningham, Petra Hofstedt, Klaus Meer, Ingo Schmitt (Hrsg.): INFORMATIK 2015 Lecture Notes in Informatics (LNI), Gesellschaft für Informatik, Bonn 2015

Zwecke von betrieblichen Umweltinformationssystemen im Rahmen einer nachhaltigen Entwicklung Andreas Moeller1

Abstract: In diesem Beitrag soll der Frage nachgegangen werden, welche Zwecke mit betrieblichen Umweltinformationssystemen (BUIS) verfolgt werden. Der Schwerpunkt liegt dabei bei der Verknüpfung zwischen Erkenntnisinteressen und Ansätzen der computergestützten Modellbildung und Simulation. Ausgangspunkt ist das weltweit bereits etablierte Life Cycle Assessment, das trotz des Erfolgs als alleinige methodische Grundlage von BUIS nicht ausreichen dürfte. Insbesondere werden wesentliche Erkenntnisse für die betriebliche Nachhaltigkeitsstrategien nicht angemessen abgedeckt. Eine Befassung mit den theoretischen Grundlagen des Life Cycle Assessments – insbesondere in Verbindung mit der Kostenrechnung – zeigt, dass eine sehr einfache Relation zwischen betrieblichen Entscheidungen und der konkreten Modellbildung hergestellt wird. Diese Beziehung führt zu einer wechselseitigen Verengung von Korridoren. Einerseits sind nur Effizienzerkenntnisziele abgedeckt, andererseits werden isolierte Ein-ProduktSysteme analysiert. Damit können aber insbesondere Konsistenz und Gesamteffizienz vernetzter Wertschöpfungssysteme im Rahmen planetarer Grenzen nicht unterstützt werden. Im Ergebnis wird vorgeschlagen, dass sich die Modellbildungskonzepte von BUIS auf Entscheidungen und den Relationen zwischen ihnen beziehen sollte, die man daher in die Modellbildung einbeziehen sollte. Ein Vorbild könnten die Strategy Maps sein. Keywords: Betriebliches Umweltinformationssystem, Life Cycle Assessment, Kostenrechnung, Identitätsprinzip, Strategy Maps

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Einleitung

Stoffstromanalysen gelten als das Fundament nachhaltigkeitsbezogener betrieblicher Umweltinformationssysteme (BUIS) [HH95, Ra99]. Sie sind heute oft als Effizienzanalysen implementiert: Mit Hilfe von Life Cycle Assessments (LCA) [Gu02] werden die von Produkten und Dienstleistungen verursachten Umweltwirkungen abgeschätzt. Ausgangspunkt sind eine einzelne Entscheidung oder ein einzelner Entscheidungskomplex, etwa ein Produkt herzustellen oder eine Dienstleistung anzubieten. Über drei Stufen hinweg wird die Entscheidung über 1:1-Beziehungen mit Stoff- und Energieströmen verknüpft: (1) zwischen Entscheidung und Erkenntniszielen des Life Cycle Assessments, (2) zwischen Entscheidung und funktioneller Einheit (ein Nutzen) sowie (3) zwischen funktioneller Einheit und Referenzfluss[KG07]: ein Referenzfluss dient als Bezugsgröße für Effizienzanalysen. 1

Leuphana Universität Lüneburg, Institut für Umweltkommunikation, 21335 Lüneburg, [email protected]

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Diese einfachen 1:1-Beziehungen sind in der Praxis so klar, dass ihre Beschreibung eher als eine lästige Dokumentationspflicht empfunden wird: man trägt einen Standardtext im Feld „Goal & Scope“ ein. Das Vorgehen hat allerdings eine Nebenfolge: das Allokationsproblem bei Kuppelprozessen. Das Allokationsproblem hat die Eigenschaft, dass es wirklich gelöst werden muss. Ansonsten können die Berechnungsverfahren nicht eingesetzt werden: die „Technology Matrix“ ist nicht quadratisch [HS02]. In den Lehrbüchern zum Life Cycle Assessment nimmt das Allokationsproblem breiten Raum ein [KG07], und es verdeutlicht sich die Einsicht, dass sich die Lösung des Allokationsproblems nicht in den Naturwissenschaften findet, wenn sich ein Ansatz auf „physical relationships“ bezieht [EF01]. Mit dem Lösen des Allokationsproblems sollen vielmehr artifizielle Grenzen gezogen werden. Im Life Cycle Assessment nennt man die sich ergebenden Modelle Produktsysteme [KG07]. Bei diesen Modellen werden alle Stoffund Energieströme isoliert, die für die Erbringung des Referenzflusses notwendig sind bzw. die von ihm verursacht worden sind. Mit dem Allokationsproblem steht das Life Cycle Assessment nicht allein da. Es gibt eine lange Tradition in den Wirtschaftswissenschaften zum Umgang mit genau diesem Problem [Ri90, Kü92]. Die Erkenntnisse in der Kostenrechnung sollen dazu genutzt werden, neue Zugänge zu den Modellierungsgrundlagen von Stoffstromanalysen zu erschließen und aus ihnen ein Rahmenwerk für BUIS abzuleiten

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Ansatzpunkte für Erkenntnisziele von BUIS

Ein radikaler Ansatz der Kostenrechnung besteht darin, die eingangs beschriebenen 1:1Beziehungen in Frage zu stellen. Das hat bereits in den 1950er Jahren Riebel getan [Ri90, Ri92]. Er schlägt als Grundlage für Effizienzanalysen das Identitätsprinzip vor. Das Identitätsprinzip steht für ein Dreiecksverhältnis zwischen Entscheidungen sowie den ein-eindeutig zuzuordnenden positiven und negativen Wirkungen. Die Übertragung auf betriebliche Stoffstromanalysen soll in diesem Beitrag dazu dienen, die Möglichkeiten komplexerer Relationen zu untersuchen, weitere potentielle Zwecke von BUIS zu identifizieren und sie zu integrieren. Das Leitmotiv besteht darin, durch BUIS ein effizientes und konsistentes Wirtschaften innerhalb planetarer Grenzen zu unterstützen. Wenn auch nun eine differenziertere Betrachtung möglich ist, bleibt der Ausgangspunkt doch unverändert: die betriebliche Entscheidung. Damit wird ein bestimmtes Selbstverständnis vorausgesetzt: Durch was oder durch wen werden die relevanten Veränderungen in unserer Gesellschaft angestoßen? Hier ist es die Annahme, dass Veränderungen auf Entscheidungen von Entscheidungsträgern zurückzuführen sind. Es wird von der Haltung ausgegangen, dass wesentliche Defizite im Bereich einer nachhaltigen Entwicklung auf Entscheidungen zurückzuführen sind, die Rationalitätsmängel aufweisen, welche ihrerseits auf fehlende Informationen und unzureichende Rationalitätssicherung zurückzuführen sind [We98].

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2.1

Entscheidung und Information

Zunächst muss geklärt werden, in welchem Verhältnis Entscheidung und Informationsbedarf stehen, wobei hier unter einer Entscheidung ein unklare, wenig strukturierte Situation verstanden wird, die sich durch betriebliches Handeln in eine bestimmte Richtung weiterentwickelt. Die Kontexte haben unterschiedlichen Charakter: (1) Informationsversorgung für konkret anstehende betriebliche Entscheidungen im engeren Sinne: Grundlagen der Datenverarbeitung sind dabei oft vergangenheitsbezogene Daten. Sie werden im Rahmen eines umwelt- und nachhaltigkeitsbezogenen Controllings verwendet. Abweichungen und damit Problemfelder werden identifiziert und abgeschätzt. Das Vorgehen kann als evolutionär charakterisiert werden. Gerade in Bezug auf die betriebliche Nachhaltigkeit und dazu anstehende Transformationen reicht der Blick in die Vergangenheit nicht aus. Die Datenverarbeitung hat daher zunehmend die Funktion der Modellierungsunterstützung. Mit anderen Worten: Die Datenverarbeitung wird durch Modellspezifikation und Modellparametrisierung ersetzt. Simulationsmodelle erlauben dann das Experimentieren mit neuen Strukturen und Prozesse. (2) Informationsversorgung für die betrieblichen Kommunikationsprozesse: Der Kommunikationsbegriff bezieht sich dabei auf den Informationsaustausch zwischen verschiedenen Entscheidungsträgern (organisationsintern und -extern). Aus der Perspektive eines Unternehmens werden die Kommunikationspartner auch als Stakeholder bezeichnet. Die betrieblichen Kommunikationsprozesse sind aber nicht nur auf den Informationsaustausch beschränkt. Kommunikation ist auch die Grundlage organisationaler Verständigungs- und Lernprozesse. Wenn zum Beispiel von Pilotprojekten die Rede ist, dann erhofft man sich einen solchen Lernprozess. (3) Dokumentationsaufgaben: Das BUIS unterstützt rechtlich vorgeschriebene und freiwillige Dokumentationspflichten. Gerade in Bezug auf die betriebliche Nachhaltigkeit verbindet sich mit der Dokumentation auch der Aufbau von Wissen. Solches Wissen ist eng verknüpft mit dem Herauskristallisieren betrieblicher Routine (Habitualisierung und Institutionalisierung). (4) Umweltschutz- und nachhaltigkeitsbezogene Geschäftsprozesse: Hier geht es um die effektive und effiziente Unterstützung von neuartigen Routineprozessen. Das BUIS dient hier der Operationalisierung von nachhaltigkeitsbezogenen Strategien. Die Ausführungen zeigen, dass der Begriff der Entscheidung hier sehr weit gefasst wird. Insbesondere sind nicht alle relevanten Entscheidungen darauf bezogen, direkt effizientes betriebliches Handeln einzuleiten. Oft haben die Entscheidungen vorbereitenden oder absichernden Charakter.

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2.2

Information und Funktionen

Hier geht es darum, die Bezüge zwischen Erkenntniszielen und den positiven Wirkungen zu modellieren. Welchen Nutzen hat eine Organisation und / oder die Gesellschaft von einem Wertschöpfungsverbund? Das Life Cycle Assessment lässt an einzelne Produkte und Dienstleistungen denken, gleichwohl kann der Nutzen vielfältig sein. Verschiedene Kategorien können anhand der verfolgten Nachhaltigkeitsstrategien einer Gesellschaft unterschieden werden: Effizienz, Konsistenz und Suffizienz [Hu94, Hu00, SP02]. Bezogen auf einzelne Unternehmen kann man mit Blick auf Suffizienz auf von den planetaren Grenzen sprechen [Ro09]. Darunter ist zu verstehen, dass mittelfristig dafür gesorgt werden muss, etwa durch eine entsprechende Gesetzgebung, dass global die planetaren Grenzen einzuhalten sind und dass sich daraus Herausforderungen für Unternehmen ergeben werden. (1) Produkte und Dienstleitungen: Hier ist der Blick auf Effizienzfragen gerichtet [Sc08]: Produkte und Dienstleistungen sollen mit möglichst geringen Auswirkungen für die natürliche Umwelt hergestellt und genutzt werden. Einen besonderen Schwerpunkt bilden derzeit die Energie- und die Ressourceneffizienz. Hinzu kommt, dass die Kosten möglichst gering sein sollten. Ein Hersteller wird möglichst geringe Herstellungskosten anstreben, der Nutzer von Produkten und Dienstleistungen die „Total Costs of Ownership“ möglichst niedrig halten wollen. (2) Einhalten planetarer Grenzen: In dieser Perspektive wird der Blick auf die Bereiche gerichtet, bei denen mutmaßlich planetare Grenzen überschritten werden [Ro09]. Die Effizienzstrategien mögen zwar zu einer Milderung führen, sind allein aber nicht hinreichend, wie die Diskussion um Rebound-Effekte immer wieder verdeutlicht [VV14]. Ausgangspunkt hier ist, dass die Einhaltung planetarer Grenzen auf kurz oder lang eine Nebenbedingung betrieblichen Handelns wird. Das BUIS hat in der Hinsicht eine vorbereitende und risikomindernde Funktion. (3) Konsistenz: Konsistenz wird in der Nachhaltigkeitsdebatte auf den Stoff- und Energieaustausch mit der natürlichen Umwelt bezogen. Die absoluten Stoff- und Energieströme sollten im Ergebnis so ausfallen, dass die Ökosysteme nicht überlastet werden und ein eine Art „Open-Loop-Recycling“ mit Hilfe von Ökosystemdienstleistungen ermöglicht wird. Neben der absoluten Höhe des Stoff- und Energieaustausches kommen auch Fragen der Abbaubarkeit, Toxizität usw. hinzu, Fragestellungen also des betrieblichen Umweltschutzes seit vielen Jahrzehnten. Eine Gestaltungsvariable bei der Herstellung von Konsistenz ist die Kreislaufführung von Stoffen innerhalb des anthropogenen Systems. In der Perspektive der Konsistenz kann man entsprechend auch den Stoff- und Energieaustausch zwischen verschiedenen Produktsystemen untersuchen. Gefordert wird die Integration der Produktsysteme: Aus isolierten Produktsystemen wird ein integrierter Produktionsverbund. Produkte und Dienstleistungen sind also so zu gestalten, dass eine möglichst nahtlose Integration in den gesamtgesellschaftlichen Wertschöpfungsverbund möglich wird. Dabei kann man sich auch schlüssiger Entwurfsleitbilder wie Cradle-to-Cradle [MB02] bedienen. Das

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Ziel eines BUIS besteht darin, Informationen dazu zur Verfügung zu stellen, ob und wie eine konsistente Integration möglich ist. Offensichtlich ist, dass die Aufgaben von BUIS vielfältig sind und ganz unterschiedliche Betrachtungsgegenstände einer Analyse und Einschätzung bedürfen. Man könnte für alle anstehenden Fragestellungen verschiedene, nicht miteinander Daten austauschende „Apps“ entwickeln. Der Anspruch an ein Informationssystem geht allerdings weiter. Zwar sind verschiedene Auswertungsinstrumente denkbar – wenn man so will: Apps. Aber sie sollten auf zwei Ebenen integriert werden: erstens eine gemeinsame Datenbasis und zweitens auf der Ebene der Entscheidungen und den Beziehungen zwischen ihnen. Die Vorüberlegungen sollen im Folgenden dazu genutzt werden, Gestaltungsleitbilder für BUIS zu entwerfen. Als Zentralbegriffe sollen die Stoffstrommodelle und die Strategy Map dienen.

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BUIS als Rahmenwerke für nachhaltigkeitsbezogene Strategy Maps

Es haben sich eine ganze Reihe von Ansätzen, Prinzipien und Regeln verfestigt, die eine betriebliche nachhaltige Entwicklung einleiten und fördern sollen. Diese sind von einigen Wissenschafts-Communities ausgearbeitet und standardisiert worden. Die Aufgabe der Umweltinformatik sollte dann im Sinne einer „instrumentellen“ Wissenschaft sein, aus den Vorgaben die notwendige IT abzuleiten. Dies ist dann gut gelungen, wenn man ein passendes „Community-Tool“ entwickelt hat. Der Ansatz ist im Fall des Life Cycle Assessments sehr erfolgreich gewesen. Aus den Ausführungen des Abschnitts 2 folgt allerdings, dass sich ein einziger methodischer Ansatz allein als zu einseitig erweisen dürfte. Beim Life Cycle Assessment beispielsweise richtet sich, wie die Ausführungen bereits verdeutlicht haben, der Blick auf die Effizienz einzelner, isolierter Produkte oder Dienstleistungen. Verbundwirkungen oder auch die absoluten planetaren Grenzen werden mit dem Ansatz nicht erfasst. Im Gegenteil kann nicht ausgeschlossen werden, dass dann, wenn von Win/WinSituationen gesprochen wird, das zentrale Problem der Effizienzstrategie adressiert wird: Reboundeffekte [VV14]. Man könnte von einer Dialektik der Effizienzstrategie sprechen: Die guten Absichten, mit denen man begonnen hat, verkehren sich an Ende ins Gegenteil; Veränderung im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung wird gerade verhindert. Der alleinige Fokus auf Effizienz könnte sich damit gegen betriebliche Strategieelemente richten, die auf die langfristige Existenzsicherung gerichtet sind. Hier wird der Vorschlag unterbreitet, in dem Zusammenhang den Grundgedanken der Strategy Maps [Kn04] für BUIS fruchtbar zu machen und mit Stoffstrommodellen als Datengrundlage zu verbinden (stoffstrombasierte BUIS [Mö00]). Verschiedene Auswertungen von BUIS werden über Strategy Maps miteinander in Beziehung gesetzt. Zugleich kann anhand der Strategy Maps die Konsistenz der Informationsverarbeitung in Bezug auf die betrieblichen Strategien untersucht bzw. nachgewiesen werden.

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Die Strategy Maps haben für das stoffstrombasierte BUIS die Funktion einer Klammer: alle Komponenten eines BUIS haben den Zweck, die Strategy Maps mit Daten zu füllen. Mit dem Vorschlag verbunden ist demnach eine 3-Schichten-Architektur des BUIS mit (1) der obersten Ebene der Strategy Maps, (2) der Ebene der Auswertungen für einzelne Entscheidungen sowie (3) der untersten Ebene der Stoffstrommodelle. Im Folgenden sollen die Ebenen vorgestellt werden: 3.1

Stoffstrommodelle als Grundrechnung

Die 3-Schichten-Architektur stellt besondere Anforderungen an die Modellierung und Datenverarbeitung: Wenn verschiedene Modellierungen mit Hilfe eines übergeordneten Konzepts in einen Zusammenhang gestellt werden sowie Aggregationen und Vergleiche vorgenommen werden, dann müssen die Modelle auf der untersten Ebene konsistent erstellt und ausgewertet werden. Mit anderen Worten: BUIS müssen einen softwaretechnischen Rahmen dafür bieten, dass eine Integration der Daten möglich wird. Das Thema ist nicht neu in der Umwelt- bzw. Wirtschaftsinformatik. Im Falle der IT für betriebliche Nachhaltigkeit gibt es allerdings eine einzigartige Bezugsebene, die der wirklichen materiellen Stoff- und Energieströme [FK98, FH99]. Analog zur finanziellen Dimension bei der Balanced Scorecard [KN01] bildet sie die „Ergebnisdimension“ betrieblicher Nachhaltigkeitsaktivitäten ab. Die Forschung auf dem Gebiet der stoffstrombasierten BUIS ist darauf ausgerichtet, die Modellierungsansätze so universell auszulegen und mit verschiedenen Auswertungsmethoden zu kombinieren, dass das gesamte Informationssystem auf einem (konsistenten) Stoffstrommodell basieren kann [Mö00]. Das Stoffstrommodell wäre dann etwas, was Riebel im Rahmen des von ihm entwickelten Kostenrechnungssystems als eine Grundrechnung bezeichnet [Ri90, Kü94]. Eine solche Grundrechnung zeichnet sich dadurch aus, dass eine 1:n-Beziehung zwischen Grundrechnung und Auswertungsrechnungen etabliert wird. 3.2

Einzelentscheidungen und Auswertungsrechnung

In Bezug auf das Konzept der Stoffstromnetzte [Mö00] hat sich bereits ein ganzer Katalog an Auswertungsrechnungen etabliert: Life Cycle Assessment als Auswertungsrechnung, eine verbundbezogene Kostenrechnung, Material Flow Cost Accounting (MFCA), Mehrperiodenmodelle zu Bestandsentwicklungen („anthropogene Lager“) usw. Auch werden Marginalanalysen unterstützt, die in größeren Modellen auch die Fragen zur Reichweite von Veränderungen erlauben (Verbundwirkungen von Entscheidungen). Anhand der Nachhaltigkeitsstrategien können 2 verschiedene Arten von Auswertungsrechnungen unterschieden werden: (1) Auswertungsrechnungen, die Auskunft geben sollen zu absoluten Stoff- und Energieströmen, ihrer Zusammensetzung, ihrer „Anschlussfähigkeit“ in der natürlichen

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Umwelt oder anderen Wertschöpfungssystemen, ihrem Verbleib in der natürlichen Umwelt, ihrer Dynamik und mit ihnen verbundenen Bestandsentwicklungen. (2) Auswertungsrechnungen, die sich auf Effizienzfragen beziehen. Hier bildet das Life Cycle Assessment einen geeigneten Rahmen, der auch Kostenrechnungen in verschiedenen Varianten mit einschließt. Modellierung und Probleme der Modellierung sind bezogen auf anthropogene Stoff- und Energieströme weitgehend identisch (einschließlich Zurechnungsprobleme bei Kuppelproduktion, Umgang mit fixen Anteilen usw.), allerdings sind die Bilanzgrenzen unterschiedlich. Da kann man unterscheiden (1) den gesamten Produktlebenszyklus für die Abschätzung von Umweltwirkungen (LCA), (2) die betrieblichen Grenzen für die Kostenrechnung in der Produktion sowie (3) die Nutzungsphase bei der Abschätzung der gesamten Kosten der Nutzung (Total Cost of Ownership). Solche Effizienzrechnungen können als Auswertungsrechnungen von periodenbezogenen Stoffstrommodellen implementiert werden [Mö00]. Mit den Effizienzanalysen sind besondere Herausforderungen verbunden, denn sie gehen von isolierten Produktsystemen aus. Auf einen Ausweg deutet das Identitätsprinzip Riebels hin. Gleichwohl führen die Überlegungen von Riebel und ihre Übertragung auf BUIS zu einer „Atomisierung“ der Informationseinheiten: Jede betriebliche Entscheidung wird hinsichtlich ihrer direkten positiven und negativen Wirkungen untersucht. Beim Consequential LCA [EW04, Fr06, BP07] lässt man sich von analogen Grundgedanken leiten, wobei die Überlegungen aus der Kostenrechnung derzeit kaum Beachtung finden. In einem Punkt allerdings geht das Consequential LCA über die rein betriebliche Perspektive der Kostenrechnung hinaus. Sie will auch die „market-mediated consequences“ erfassen. Das ergibt sich daraus, dass beim Life Cycle Assessment oft gar keine einzelbetriebliche Perspektive eingenommen wird. Fragestellungen des Life Cycle Assessments sind oft mit generischen Produkten oder Produktgruppen verbunden. Verändern sich die Lebenszyklen für ganze Produktgruppen, dann hat dies nicht mehr nur Wirkungen auf der materiellen Ebene der jeweiligen Produktsysteme. Einbezogen werden daher auch Modellierungsansätze aus den Wirtschaftswissenschaften etwa zu Angebot und Nachfrage. Die Ansätze des Consequential LCA zu „market-mediated consequences“ führen zu Hybridmodellen. Die Hybridmodelle zeichnen sich dadurch aus, dass nicht alle Konsequenzen allein auf der materiellen Ebene abgebildet werden können. 3.3

Strategy Maps als Integrationsrahmen

Von den Modellierungsansätzen für die „market-mediated consequences“, die eine Erweiterung der Grundrechnung darstellen, ist die bereits erwähnte Bündelung der atomisierten Informationseinheiten und Entscheidungen zu größeren Einheiten abzugrenzen: Oberhalb der einzelnen Entscheidungen wird abgebildet, wie die verschiedenen, ineinandergreifenden Entscheidungsprozesse zum unternehmerischen Erfolg beitragen. Hier kommen die Überlegungen zu den Strategy Maps ins Spiel [Kn04]. Strategy Maps dienen dazu, verschiedene betriebliche Entscheidungen und Aktivitäten

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systematisch auf den Unternehmenserfolg auszurichten. Diese Entscheidungen und Aktivitäten stehen in einem unterschiedlichen Verhältnis zum betrieblichen Erfolg: sie können direkter oder indirekter Natur sein. Die Herausforderung besteht darin, die indirekten Beiträge abbilden und untersuchen zu können. So ist auch die Strategy Map definiert: Sie beschreibt, wie ein Unternehmen Werte erzeugt und in welchen UrsacheWirkungszusammenhang verschiedene unternehmerische Entscheidungen und Aktivitäten stehen, wobei die „finale“ Wirkung die Steigerung des langfristigen „Shareholder Values“ sein soll [KM04]. Dabei können – in der Regel vier – Perspektiven unterschieden werden [KN02, KN04]: Die Finanzperspektive, die Kundenperspektive, die der internen Prozesse sowie schließlich die Perspektive des Lernens und Wachsens [KN04]. Schaltegger und Dyllick schlagen in Bezug auf eine nachhaltige Entwicklung als weitere Perspektive die Gesellschaftsperspektive vor, welche die Bezüge zu gesellschaftlichen Anspruchsgruppen eines Unternehmens abdeckt, die nicht Kunden oder Shareholder sind [SD02]. Die grundsätzlichen, bei den Strategy Maps unterstellten Ursache-Wirkungsbeziehungen nehmen ihren Anfang bei der Lern- und Wachstumsperspektive. Diese wirkt ein auf die Ebene der internen Prozesse, die wiederum auf die der Kundenbeziehungen und diese schließlich auf die der finanziellen Wirkungen. Es ergeben sich Prozessnetze von zusammenhängenden Entscheidungen und Folgeentscheidungen [Ri92]. In solche Ursache-Wirkungsgefüge lassen sich auch nachhaltigkeitsbezogene betriebliche Entscheidungen und Aktivitäten einordnen. So können Pilotprojekte dazu dienen, das organisationale Lernen anzuregen, oder der Ersatz nicht-nachhaltiger Produktionsprozesse durch nachhaltigere könnte den Zweck haben, zukünftige gesellschaftliche Anforderungen aufzugreifen und aufzufangen (z.B. Einhalten planetarer Grenzen oder konsistente Produktionsprozesse im Sinne der Recyclingfähigkeit von Produkten usw.). Die Atomisierung der Entscheidungen könnte dabei eine Zwischenstufe der Aggregation erforderlich machen, denn die Strategy Maps und schließlich die Balanced Scorecard werden nur von wenigen hochaggregierten Kennzahlen gespeist. Eine solche Aggregation hat Riebel bereits mit den Bezugsobjekthierarchien vorgeschlagen [Ri92], die sich keineswegs auf die Aggregation von Produkten und Dienstleistungen bezieht. Riebel erwähnt auch Kunden, Aufträge u.ä. Derart universell ausgelegte Bezugsobjekthierarchien lassen auch „Objekte“ der betrieblichen Nachhaltigkeit zu.

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Zusammenfassung

Der Vorschlag dieses Beitrag ist, die Grundgedanken zu den Grundrechnungen und zu den Strategy Maps aufzugreifen, um aus ihnen einen doppelten Integrationsrahmen für betriebliche Umweltinformationssysteme abzuleiten. Doppelt deswegen, weil (1) die verschiedenen atomisierten Informationseinheiten zu Gesamtbildern integriert werden und (2) von einer gemeinsamen Grundrechnung ausgegangen werden kann; diese bezieht

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sich auf die absoluten Stoff- und Energieströme sowie die Entwicklung der Bestände in einem Wertschöpfungsverbund. Ein solcher doppelter Integrationsrahmen erfordert Auswertungsinstrumente von Stoffstrommodellen, die sich konsequenter an den einzelnen Entscheidungen orientieren. Derzeit dienen Stoffstrommodelle in erster Linie dazu, Daten für das Life Cycle Assessment und eine Vollkostenrechnung zur Verfügung zu stellen. Das ändert sich mit dem doppelten Integrationsrahmen: Consequential LCA in einem verallgemeinerten Sinne und Einzelkostenrechnungen können als Zwischenstufen zum Einsatz kommen. Entscheidungsgegenstände können dann neben Produkten und Dienstleistungen sein: Produktionsprozesse, Investitionsentscheidungen, Fortbildungsmaßnahmen usw.. Für strategische Ziele wie die absolute Deckelung oder die absolute Reduktion von Umweltwirkungen kann die Rationalität gesichert werden.

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