WOLFGANG HELD

zahme Wildschwein, ließ sich faul die warme Vormit- tagssonne auf das borstige Fell scheinen und grunzte im. Schlummer behaglich, als träume es von saftigen ...
618KB Größe 3 Downloads 373 Ansichten
WOLFGANG HELD Hilfe, ein Wildschwein kommt

Impressum Zuerst erschienen: Der Kinderbuchverlag Berlin 1963 (c) Wolfgang Held, Rostock/Bargeshagen 2008 Illustrationen: Heinz Rodewald Texterfassung und Vertrieb: BS-Verlag-Rostock Print Ebook (epub) Ebook (pdf_PC)

ISBN 978-3-86785-060-5 ISBN 978-3-86785-984-4 ISBN 978-3-86785-985-1

Löffel war wütend. „Lahm!“ sagte er griesgrämig und schnurpste weiter an dem grasgrünen Apfel. Er saß an den Stamm eines Baumes gelehnt, die Knie fast bis ans Kinn gezogen und mit einem Gesicht wie ein Bäcker, dem das

Brot im Ofen verbrannt ist. Finster schaute er hinüber zu den Tiergehegen der Station Junger Naturforscher. Zierliche Pekingenten putzten dort am Ufer eines kleinen,

künstlich angelegten Teiches gelangweilt ihr Gefieder, ein Pfau stolzierte bedächtig in dem großen Flugkäfig umher und äugte erhaben zu dem unansehnlichen Waldkäuzchen hin, das schläfrig auf seiner Stange hockte. Maxi, das zahme Wildschwein, ließ sich faul die warme Vormittagssonne auf das borstige Fell scheinen und grunzte im Schlummer behaglich, als träume es von saftigen Rüben, knackfrischen Eicheln und anderen Wildschweinleckereien. Im Gehege der Fuchsfamilie regte sich nichts. Meister Reineke hatte mit seinem Anhang die kühle Erdwohnung der Julihitze vorgezogen. Was gab es denn auch schon in der Station zu sehen an diesem stillen Sonnabendvormittag? Die Mädchen und Jungen der Ferienspiele waren heute in aller Frühe aufgebrochen, um den Genossenschaftsbauern der nahen LPG „Frohe Zukunft“ einen Besuch zu machen. Zurückgeblieben waren nur Herr Karst, der Stationsleiter, und die Lagerwache. Lagerwache! Löffel hätte das Wort an diesem Tag nicht über seine Lippen gebracht, so ärgerte er sich. Da

hatte er nun gemeinsam mit seinem Freund Volker tagelang ungeduldig die Stunden gezählt bis zu dem Augenblick, da ihnen die roten Armbinden überreicht wurden, und nun das! Es war zum Ziegelsteine knabbern! Sie hatten nachts von ihrer Lagerwache geträumt, der Löffel und sein Freund Volker. Das war doch etwas: Mit der roten Binde am Arm in der Station umherspazieren, das Füttern beaufsichtigen und das Revierreinigen, das Signal zum Essen geben und zur Mittagsruhe, kurzum: Die Polizei der Station sein. So eine Lagerwache wie wir beide soll die Station noch nicht erlebt haben, das hatten sie sich vorgenommen. Nicht die kleinste Ordnungssünde soll uns entgehen! Keinen Mucks werden wir während der Mittagsruhe zulassen! Kein Tröpfchen und kein Krümelchen auf den Tischen wird dem Küchendienst verziehen! Wenn wir beide Lagerwache haben, herrscht Disziplin! Wir werden streng sein, paßt mal auf! Und nun war das alles ein Wunschtraum geblieben. Sie trugen wohl die roten Armbinden, aber es gab in der ganzen Station niemanden, an dem sie ihre Aufsichtsgewalt ausüben konnten. Kein einziger Junge, der wegen einer Balgerei zu ermahnen gewesen wäre. Kein Mädchen, das sie wegen einer unordentlich zusammengelegten Schlafdecke hätten rügen können. Nicht mal Besucher ließen sich blicken, die man stolz und sachverständig durch den kleinen Tierpark führen konnte. Was war das also schon für eine Lagerwache? In Löffels Sprachschatz gab es dafür nur ein Wort. Er sagte es immer, wenn er seiner tiefsten Geringschätzung Ausdruck geben wollte: Lahm! In der dichten Laubkrone über Löffel wurde ein Knirschen und Knacken laut. Zwei nackte Beine baumelten herab, dann plumpste Volker neben seinem Freund ins Gras. Er knöpfte die Hemdbrust auf, und ein wahrer Ap-

felsegen kullerte vor Löffels Füße. Gewissenhaft begann Volker zu teilen. „Kannst du dir vorstellen, wie sie heute abend prahlen werden?“ fragte Löffel und polierte einen der Äpfel an seinem Hosenbein. Volker nickte. „Schorch hat gesagt, daß es auch Pferde dort geben soll“, sagte er und biß herzhaft in das harte Fruchtfleisch. Die Kerne im Apfelgehäuse waren noch weiß. Volker kniff beim Kauen die Augen zusammen. Ein Glück, daß der Karst mit seinen Bienen zu tun hat, dachte er. Der würde ganz schön spucken, wenn er uns hier sehen könnte! „Paß auf, die dürfen sogar reiten!“ „Wie du dir das … Hör mal, ich habe einen weniger“, stellte Löffel sachlich fest. Es ging ihm nicht um den Apfel, aber er war für Gerechtigkeit. Wenn geteilt wird, dann muß genau geteilt werden. „Laß nur“, winkte er ab. „Es war nur wegen der Ordnung! … Und reiten dürfen sie bestimmt nicht. Mal streicheln vielleicht, naja. Reiten auf keinen Fall!“ Er sagte das so entschieden, als wäre er der LPG-Vorsitzende. Volker wiegte trotzdem zweifelnd den Kopf. „Außerdem hätten wir nicht an den Baum rangekonnt, wenn sie hiergeblieben wären!“ fügte Löffel hinzu, aber es war ihm anzusehen, daß ihm dieser schwache Trost selbst nicht genügte. Ärgerlich warf er den Apfelgriebs im hohen Bogen in das Maisfeld jenseits des Zaunes. Die kräftigen Stauden verdeckten mit ihren breiten Blättern die Sicht zur Stadt, die nicht weit von der Station im Tal das Sonnenlicht auf ihren Dächern spiegelte. Irgendwo dort unten stand auch die nun schon seit zwei Wochen verwaiste Schule, aber gerade an sie dachten in diesen Tagen Löffel und Volker am allerwenigsten. Was wären das auch schon für Ferien, wenn man dabei an Diktate und Mathematik denken müßte?

„Komm, wir geben Maxi etwas ab“, schlug Volker plötzlich vor. Ein schwaches Pieken in der Magengegend machte ihn stutzig. Auch. Löffel war auffällig schnell bereit, seinen restlichen Apfelvorrat dem borstigen Vierbeiner zu spenden. Maxi hob träge den Kopf, als die beiden Jungen ihre Arme auf das Gatter legten. Mit seinen kleinen Augen blinzelte es ihnen zu, was wohl soviel heißen sollte wie: Ach, ihr seid es! Ich würde ja zur Begrüßung herankommen, aber bei dieser Hitze … Na, ihr nehmt mir das sicher nicht übel, Freunde! – Und Maxi schlummerte weiter. Es zuckte zwar ein paarmal genießerisch mit dem schwarzen Rüssel, als die Äpfel in den Trog polterten, aber die Faulheit blieb stärker als die Freßlust.

„Dem ist es genau so langweilig wie uns“, meinte Volker verständnisvoll. Er hatte sein Kinn auf die Arme

gestützt und betrachtete Maxi mitfühlend. Anders Löffel. Er vermochte seinen Unwillen weniger im Zaum zu halten. Klatschend schlug er die Hand auf den Gatterbalken und schimpfte: „So ein Mist aber auch! Wenn hier doch wenigstens was passieren würde. Ein kleines Feuer meinetwegen oder ein Agent … Weiß der Teufel was, nur neidisch sollten sie werden, wenn sie heute abend von ihren Pferden kommen. Verstehst du, sie sollen sich ärgern, daß sie nicht hiergewesen sind!“ „Hm“, machte Volker nachdenklich und begann an seinem Daumennagel zu knabbern. Das tat er nur, wenn ihn eine ganz besonders schwierige Frage beschäftigte, beispielsweise, wenn er das Wort Chaiselongue schreiben wollte. Löffel sah es und wurde neugierig. Ungeduldig wartete er auf das Ergebnis der Überlegungen seines Freundes. Er mußte ziemlich lange warten. Endlich meinte Volker versonnen: „Ein Agent wäre ganz gut, aber es gäbe noch etwas viel besseres … Ein Löwe!“ „Ein Löwe?“ Löffel schaute seinen Freund an, als hätte der eben vorgeschlagen, daß man sich Zöpfe wachsen lassen sollte. Der spinnt! dachte er. Das muß von der Sonne sein! „Wenn du mich auf den Arm nehmen willst, kommst du an den Falschen.“ Volker hob nicht einmal den Kopf. „Im Ernst“, sagte er ruhig. „Mit einem Löwen wäre das eine tolle Sache! Ich hab mal so was gelesen. Spannend, kann ich dir sagen!“ Und er erzählte die Geschichte jenes Löwen, der in einem Zirkus ausgebrochen war und erst nach mehrstündiger abenteuerlicher Jagd wieder von mutigen Männern eingefangen wurde. „Wenn wir jetzt so einen Löwen hier in der Station hätten, das wäre Klasse!“ meinte er schließlich träumerisch, als hätte er schon von seinem Weihnachtswunschzettel gesprochen.

„Du meinst, wir könnten ihn einfach rauslassen, den Löwen?“ fragte Löffel und betrachtete seinen Freund erstaunt. „Spinnst du? Zu Gulasch würde uns das Vieh machen, Mensch!“ „Sag bloß, du glaubst, daß die im Zirkus wilde Löwen haben.“ Volker grinste überlegen. „So einen hätten sie damals erschossen, aber nicht wieder eingefangen. Zahm war der. Garantiert! So zahm wie unser Maxi!“ „Wie Maxi?“ Löffel stutzte. Er starrte das in seinem Gehege schlummernde Wildschwein an und dann seinen Freund und wieder das Wildschwein. „Mensch, Volker“, stieß er darauf hervor und massierte aufgeregt die Stoppelhaare an seinem Hinterkopf. „Ich habe eine Idee. Eine lässige Idee!“ Wenn Löffel „lässig“ sagte, meinte er das Gegenteil von „lahm“. Und es gab für ihn eine ganze Menge „lässiger“ Dinge. Die Sputniks und die Weltraumfahrer, der Radweltmeister im Straßenfahren, buntkarierte Sporthemden, chromblitzende Straßenkreuzer, Piloten der Interflug und Götterspeise mit Vanillesoße, um nur eine kleine Auswahl davon zu nennen. „Du denkst …“ Volker sprach nicht weiter. Den Rest des Satzes verriet sein Blick. Er sah zu Maxi hin. „Genau!“ trumpfte Löffel auf. Mit zwei Schritten war er bei der Gattertür. Er spähte in Richtung des Bienenhauses, aber vom Stationsleiter war auch jetzt noch nichts zu sehen. „Los, hol einen Eimer Wasser!“ befahl er seinem Freund, der verdattert Löffels Tun beobachtete. Dem gefiel dieses Zögern gar nicht. Unwillig schnaubte er: „Nun sei bloß kein Frosch! Wir sagen, daß es passiert ist, als wir die Tränke nachfüllen wollten, klar?“ „Nee! Das könnten wir doch auch von außen“, widersprach Volker und rührte sich nicht von der Stelle, Natürlich wußte er, daß ihnen von Maxi keine Gefahr drohte.