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SENF-VLADO, ein deutscher Partisan. STANKO GOLDSTEIN, Kommissar. DER DORFGEISTLICHE VON LEDINA. EIN PARTISANENFUNKER aus Skopje.
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Wolfgang Held LASST MICH DOCH EINE TAUBE SEIN Roman

MV Taschenbuch

Impressum Zuerst erschienen 1989, Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik © Wolfgang Held, Rostock/Bargeshagen 2007 Vertrieb: BS-Verlag-Rostock Angelika Bruhn

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ISBN 978-3-86785-015-5 ISBN 978-3-86785-988-2 ISBN 978-3-86785-989-9

Die lodernde Flamme des Scheiterhaufens verzehrte die Körper der Märtyrer, aber an ihrem Feuer entzündeten sich unendlich viele Fackeln … M. J. Saltykow-Schtschedrin

Inhalt Impressum HANS SULKA, der Krämer BABA SOVA, die Kräuterfrau MILAN FOLK, Partisan SLAVIA SULKA, die Tochter des Händlers Ein alter Bauer aus Jaraka SENF-VLADO, ein deutscher Partisan STANKO GOLDSTEIN, Kommissar DER DORFGEISTLICHE VON LEDINA EIN PARTISANENFUNKER aus Skopje PETER JOHANN, Kommissar der Thälmann-Partisanen EIN KROATISCHER PARTISAN EIN DEUTSCHER PARTISAN aus Thüringen NACHBEMERKUNG Autor

HANS SULKA, der Krämer Ein Kaufmann teilt die Menschen in Kunden und Nichtkunden ein … 1. Der Junge auf der Mauer kraulte dem Abkömmling von mindestens neun Hunderassen das Fell, ließ die Beine baumeln und beobachtete drei deutsche Soldaten, die aus Dragutins Kneipe kamen. Den Uniformierten war nach ein paar Schritten eine leere Konservenbüchse vor die Stiefel geraten. Nun stießen sie das scheppernde Blech, fröhlich lärmend und einander wie Halbwüchsige rempelnd, über das Kopfsteinpflaster. Der Hund bleckte seine Zähne und knurrte. “Still, Pascha!” warnte der Junge leise, ohne die Soldaten aus den Augen zu lassen. Er hieß Boris, war neun Jahre alt und hoffte in diesen Minuten, daß die drei Fremden seinen Großvater und den Krämerwagen nicht bemerkten. Hinter der jetzt herabgeklappten Seitenplanke des vierrädrigen Gefährts lockte bunter Wirrwarr. Tücher und Töpfe, Bänder und Bürsten, Zahnpasta und Zuckerstangen. Und wenn's ein Schlangenohr wäre, Hans Sulka hat's auf seiner Plunderkutsche, so urteilten die Leute ringsum in den Dörfern und Städten des östlichen Kroatiens. Hier in Slawonien, zwischen den Flüssen Drau und Sava, von den fruchtbaren Ebenen bis hinauf ins bewaldete Bergland hatte der Händler mit seinem Pferdekarren längst alle guten und schlechten Wege befahren. Wo auch immer er in dieser vertrauten Gegend anhielt, seinen Hengst ausspannte und zur Ziehharmonika griff, um die Ankunft weithin mit einer flotten Polka zu verkünden, mußte er nicht lange auf Kauflustige warten.

“Schaut euch das an!” forderte Hans Sulka die beiden Frauen vor seinem Krämerwagen auf. Er ließ das Ende eines Stoffballens in der Vormittagssonne glänzen. “Seide! Qualität wie vor dem Krieg!” Die Frauen tuschelten miteinander. Kundige Griffe und Blicke prüften die Ware. Der Händler drängte nicht. Er wußte, daß sie kaufen würden. Wohlgefällig musterte er die im weiten Blusenausschnitt der Jüngeren großzügig ausgestellten straffen Brüste. “Wieviel verlangst du für den Meter?” fragte die Ältere, der man ein halbes Menschenalter harte Feldarbeit, sieben schwere Geburten und eine trotz allem unverbrauchte Lebenslust ansah. Wie ihre hübsche Begleiterin und Hans Sulka sprach sie serbokroatisch. Er nannte einen Preis, für den man vor dem Einmarsch der Faschisten in Jugoslawien im April 1941 einen ganzen Ballen bekommen hätte, doch in den seither vergangenen siebenundzwanzig Monaten waren nicht nur die Preise in schwindelnde Höhen geklettert, sondern auch die meisten Dinge des täglichen Bedarfs rar geworden. “Zuviel”, sagte die Jüngere. Der Blick des Händlers lag immer noch auf ihrem Busen. Er kratzte sein glattrasiertes Kinn und lächelte. “Wir könnten uns schnell einig werden.” Die junge Frau taxierte den stämmigen Mittfünfziger, seine Stirnglatze und die weißen Schläfen, die welke Haut am Hals und den über seinen enggeschnallten Leibriemen quellenden Bauch. Spott umspielte ihre Lippen. “Angeber!” sagte sie. “Von wegen!” widersprach die Ältere und lachte besserwisserisch. Sie war dabeigewesen, als Hans Sulka während eines Kirchweihfestes die Wette um ein 50Liter-Faß Wein gewonnen hatte, indem er mit einem ein-

zigen Fausthieb eine armdicke Speiche im Hinterrad eines Ackerwagens zerschlug. Noch keine fünf Jahre lag das zurück. Damals hatte er seinen Enkel Boris schon hin und wieder bei sich gehabt. Unternehmungslustig blinzelte die Frau ihn an, bevor sie sich wieder der jüngeren Begleiterin zuwandte. “Je älter der Bock, desto härter das Horn, aber die Augen, die Augen! Wenn er bloß mehr von den Weibern verstünde …!” In diesem Augenblick begann Pascha zu kläffen. Die Bäuerin verstummte. Boris saß plötzlich steif und hielt seine Beine still. Hans Sulka und die beiden Kundinnen blickten in die Richtung, in die der Hund sein Gebell schickte. Die drei deutschen Soldaten hatten den Krämerwagen entdeckt. Sie kamen heran. “Wir überlegen's uns mit der Seide”, sagte die Jüngere zu Hans Sulka. Mit ihrer Begleiterin entfernte sie sich ohne auffällige Hast aus der Nähe der Deutschen. Als die drei Uniformierten den Händler fast erreicht hatten, gingen die Frauen schon an dem kleinen Schulgebäude vorbei, in dem seit einigen Monaten ein Feldlazarett der Wehrmacht untergebracht war. Eiliger überquerten sie dann den im Schatten hoher Linden liegenden Platz vor der SS-Kommandantur. Keiner der drei Soldaten in Wehrmachtuniform war älter als dreißig Jahre. Der Wein in Dragutins Kneipe hatte die Gesichter gerötet. Sie redeten laut und gleichzeitig. Die Straße gehörte ihnen. Die kleine Stadt Novi Brod, Slawonien, Kroatien. Und morgen sowieso die ganze Welt. “Marschiert 'n halben Kilometer hinter mir vorbei und scheißt mich an, weil ich die Flosse nicht gleich hochgerissen habe”, sagte einer der drei. “Aber dem Kerl hab ich was erzählt!” “Kenn ich! Ein ganz scharfer Hund!”

“Du mußt ihn nur zu nehmen wissen.” “Weißt du, was ich dem gesagt habe? Am Arsch hab ich keine Augen, das hab ich ihm gesagt! Schlankweg ins Gesicht! Rotzfrech! – Na?” “Du? Unserem Spieß ins Gesicht?” Eine Weile schien es so, als sei ihnen der Krämerwagen ebenso gleichgültig wie der Haß hinter den Gardinen in den Häusern ringsum. Der Händler griff nach seiner Ziehharmonika. Fast zärtlich glitten seine Finger über die hellen Knöpfe. Paschas hartnäckiges Kläffen störte die leise Melodie. Trotzdem schaute einer der drei Uniformierten herüber. Er stutzte und hob interessiert das Kinn. “Mensch, guck doch mal! Auf so was ist meine Alte ganz wild”, rief er begeistert. “Bauernblusen!” Hans Sulka bekam Kundschaft. Der Junge auf der Mauer blickte jetzt feindselig zum Karren. Er preßte die Lippen zusammen. Die Soldaten wühlten in den Waren, hielten sich gegenseitig buntbestickte Blusen vor die Brust und kommentierten dieses Maßnehmen mit zotigen Witzeleien. An ihrem brüllenden Gelächter beteiligte sich auch der Händler. Er machte ein gutes Geschäft. Indessen trieb Zorn das Blut aus dem Gesicht des Enkels. In diesen Minuten erlebte Boris zum wiederholten Male ein Geschehen, das ihn oft bis in seine Träume verfolgte. Es waren Augenblicke, in denen er mit dem Gedanken spielte, vor seinem Großvater auszuspeien. Vor dem Mann mit dem Krämerwagen hatte es bei den Sulkas niemals einen Händler gegeben. Wie die Eintragungen in eine alte Familienbibel bewiesen, waren sie seit Menschengedenken Bauern gewesen, die dem Boden viele Jahrzehnte reiche Ernte abgerungen hatten. Von Korn, Obst und Wein blieb nach den ständig steigenden Abgaben an die weltliche und kirchliche Obrigkeit frei-

lich von Jahr zu Jahr weniger übrig. Hinzu kam, daß die durch häufige Erbteilung bedingte Zersplitterung des Ackers überall in den Dörfern des Schwabenlandes die Not wachsen ließ. Um 1745 durchstreiften Auswanderungsagenten der Kaiserin Maria Theresia das westliche Europa. Gegen das weitere Vordringen der Türken hatte Österreich von der Adria bis nach Siebenbürgen einen Gürtel militärisch organisierter Siedlungen aufgebaut. Dort und im unmittelbaren Hinterland wurden Flüchtlinge aus den von Osmanen besetzten Gebieten sowie angeworbene Einwanderer angesiedelt. Neben kroatischen und serbischen Dörfern entstanden in jenen Jahren ungarische, rumänische, deutsche, tschechische, slowakische und sogar französische Ansiedlungen. Die Werber fanden auch bei einem der Sulka-Söhne offene Ohren. Mit seiner jungen Frau zog er nach Slawonien. Auf dem von ihm gegründeten Gehöft hatten sich seitdem fünf Generationen abgelöst. Nachkommen von ihm lebten verstreut bis in die Vojvodina, wo die meisten von ihnen als Landwirte einen guten Namen hatten. Hans Sulka mußte als Zweitgeborener den väterlichen Hof dem älteren Bruder überlassen. Er heiratete die Tochter eines ebenfalls deutschstämmigen Dorfschmieds, ging bei ihm in die Lehre und übernahm später die kleine Werkstatt, um sie einige Jahre hindurch mehr schlecht als recht weiter zu führen. Im September 1917 gebar Maria Sulka ihrem Mann einen Sohn und im gleichen Monat des folgenden Jahres eine Tochter. Der Junge erhielt den Namen Josef. Die Tochter sollte zuerst Johanna genannt werden, vielleicht auch Sophie, Helene oder Hilde, wie viele Mädchen im Dorf, wo auch nach zwei Jahrhunderten noch in fast jedem Haus die vom schwäbischen Dialekt gefärbte deutsche Sprache gesprochen wurde. Doch dann entschieden

Hans Sulka und seine Frau zur Verwunderung einiger Nachbarn anders: Das Mädchen erhielt den Namen Slavia. Das in dieser Zeit des Zerfalls der österreichischungarischen Doppelmonarchie überall in den südslawischen Gebieten erstarkende, mit leidenschaftlichem Unabhängigkeitsstreben gepaarte Nationalbewußtsein der Südslawen führte am 1. Dezember 1918 zur Proklamation des vereinigten Königreiches der Serben, Kroaten und Slowenen. Wir sind zwar Deutsche, erklärten die Sulkas damals einem verständnislosen Nachbarn, aber Slawonien ist unsre Heimat. Hier ist der Boden, der schon unsere Väter und Vorväter ernährt hat. Diese Erde trug unsere ersten Schritte, sie ist unser Tisch und unser Bett, bis sie am Ende auch unsere sterbliche Hülle aufnehmen wird. Wenn wir nun unserer Tochter den Namen Slavia geben, so ist das ein Zeichen. Versteh es oder versteh es nicht, Landsmann! Boris, der nun schon seit vierzehn Monaten ständig bei seinem Großvater lebte und mit ihm kreuz und quer durch das von den Hitler-Deutschen besetzte Slawonien zog, war Slavias Sohn. Der Junge liebte seine Mutter sehr, aber wenn er an einer Weggabelung vor die Wahl zwischen einer zweistündigen Wanderung zu ihr oder einem harten Tagesmarsch zu seinem Großvater gestellt worden wäre, hätte er sich ohne Zögern für die mühevollere Strecke entschieden. In den Augen des Neunjährigen war sein Großvater der klügste, tapferste und stärkste Mensch auf der ganzen Welt. Den Platz an seiner Seite auf dem Kutschbock des Krämerwagens oder neben ihm beim Nachtlager unter der strengriechenden Pferdedecke tauschte Boris nicht gegen ein Königsschloß, ein eigenes Pony oder jeden Tag Honigkuchen ein. Um so mehr schmerzte ihn die Tatsache,

daß dieser geliebte Mensch mit den deutschen Soldaten umging, als wäre nicht im ganzen Land die Rede von Zwangsabgaben und niedergebrannten Bauernhöfen, von Verhaftungen, Folterungen und Mord. Obwohl Boris wie alle Sulkas in der gleichen Sprache redete und dachte, die auch den Männern in den grauen Uniformen mit dem Silberadler über der rechten Brusttasche von der Zunge kam, haßte er die Eindringlinge mehr als Tierquäler oder Leute, die ihre Frauen und Kinder prügelten. Sie erschienen ihm wie Ungeheuer von einem fernen Stern, blutrünstig, hinterlistig. Und er verstand gut, weshalb die meisten Leute in Novi Brod und Umgebung einem Hitler-Soldaten nicht einmal einen Schluck Wasser gaben, ohne dazu gezwungen zu werden. Die Freundlichkeit, mit der Hans Sulka den Besatzern vor seinem Krämerwagen begegnete, kam dem Enkel wie blanker Verrat vor. In solchen Stunden schämte er sich seines Großvaters. Das Hundegebell war verstummt. Durch die geöffneten Fenster des Dienstzimmers, in dem der SS-Kommandant von Novi Brod residierte, fiel der Blick auf die hohen Linden des still dahindämmernden Marktplatzes. SS-Sturmbannführer Harald Schnitzinger saß hinter seinem Schreibtisch und beschäftigte sich mit dem Inhalt einer dicken Unterschriftsmappe. Er mochte Mitte Dreißig sein, trug das rotblonde Haar bürstenkurz und benutzte eine Lesebrille. Auch im Schreibtischsessel verlor der schlanke, sportlich wirkende Mann nichts von seiner militärisch-straffen Haltung. Es hatte den Anschein, als sei ihm die Anwesenheit seines Untergebenen völlig entfallen. Josef Sulka, SS-Oberscharführer und Dolmetscher des Kommandanten, wartete stumm. Er bewegte keinen Muskel. Sein Blick streifte die an der Wand hinter dem

Schreibtisch aufgehängten fast lebensgroßen Bilder von Hitler und Himmler, wanderte dann gelangweilt zu einem Dutzend alter, kunstvoller Ikonen, mit denen Schnitzinger die linke Seite seines Zimmers geschmückt hatte, und kehrte schließlich zurück zu dem Vorgesetzten. “Aha, da haben wir ja auch Ihr Papierchen, Oberscharführer”, sagte der Kommandant endlich. Er nahm ein Schriftstück aus der Mappe und las. An dem engbeschriebenen Blatt hing das bereits ausgefüllte Formular einer amtlichen Genehmigung, die dem Besitzer uneingeschränkte Bewegungsfreiheit in den von der deutschen Militärverwaltung kontrollierten Zonen Kroatiens einräumte. Das beigefügte Dossier stimmte den SSSturmbannführer wohlwollend. Er schaute seinen Untergebenen an und lächelte. “Ein tüchtiger Mann offenbar. Ihr alter Herr.” “Jawohl, Sturmbannführer!” “Nie rausgekommen aus dieser Gegend, nicht wahr?” “Was mehr als hundert Kilometer entfernt ist, hat ihn sein Leben lang nicht interessiert. So sind die meisten Leute in Slawonien.” “Muß ja kein Makel sein, so was. Aber in den Dörfern ringsum weiß er doch Bescheid, nehme ich an.” “Die meisten Familien kennt er mit Namen.” “Ob er mir da wohl einen Gefallen tun würde, was meinen Sie?” Josef Sulkas Lider zuckten kaum merklich. Er zögerte. “Mein Vater hat seine Kanten, Sturmbannführer”, antwortete er ausweichend. “Das war auch einer der Gründe, weswegen ich damals abgehauen und ins Reich gegangen bin. Der Alte hat, wie soll ich sagen …, zu wenig Nationalgefühl.” “Na, na, nun mal nicht gleich so starke Worte. Wie alt waren Sie eigentlich, als Sie hier weggegangen sind?”

“Sechzehn, Sturmbannführer. Neunzehnhundertvierunddreißig!” Schnitzinger nickte und schaute hinüber zu seinen Ikonen. “Ich könnte mir vorstellen, daß es nicht schwer für ihn wäre, in den Dörfern das eine oder andere Stück für meine Sammlung aufzustöbern. Natürlich gegen gute Bezahlung.” “Aber sicher, Sturmbannführer”, bestätigte Josef Sulka sofort und sichtlich erleichtert. Er hatte befürchtet, daß Schnitzinger einen Mann für Spitzeldienste suchte. Heiter zitierte er einen Lieblingsspruch seines Vaters: “Ob kleines oder großes Dings, der Sulka hat's, der Sulka bringt's!” “Es soll sein Schaden nicht sein”, sagte der Kommandant. Er setzte seinen Namenszug auf den Passierschein. Seine Miene verriet nicht, wie sehr ihn die Leichtgläubigkeit seines Untergebenen amüsierte. Das müßte ein dämlicher Angler sein, der dem Fisch statt des Köders gleich die Bratpfanne zeigt, dachte er vergnügt. Zufrieden beobachtete Josef Sulka, wie der Kommandant ein Dienstsiegel auf das Dokument drückte. Unbewußt rieb er die Finger. Seit Jahren hatte er die Stunde herbeigesehnt, in der er seinem Vater Überlegenheit beweisen konnte. Heute endlich würde dieser Wunsch in Erfüllung gehen. Der Schein öffnete Hans Sulka alle Militärsperren zwischen der Drava im Norden und der Demarkationslinie zu dem von Mussolini-Truppen besetzten Süden. Auch die Ustascha-Leute des von der Besatzungsmacht für Kroatien eingesetzten MarionettenRegimes unter Ante Pavelic mußten dieses Dokument respektieren. In Novi Brod gab es bisher keine fünf Zivilpersonen, die eines solchen Vertrauensbeweises für würdig befunden worden waren. Josef Sulka dachte an die Ohrfeigen, mit denen ihm sein Vater vor fast zehn Jahren das Schwärmen für die

Hitlerbewegung in Deutschland auszutreiben versucht hatte. Wegen einer alten, zerfledderten Zeitung aus dem Reich, in der eine Goebbelsrede stand und die ihm vom Sohn eines deutschstämmigen Pferdezüchters zugesteckt worden war, hatte Hans Sulka sogar mit dem Hosenriemen zugeschlagen. Glaub bloß nicht, daß ich das alles vergessen habe, ging es Josef Sulka in diesen Minuten durch den Kopf. Haderlump hast du mich genannt. Und Naziknecht. Bloß weil ich nicht mehr atmen konnte in eurem engen, armseligen Kaff ohne elektrisches Licht, Wasserleitung, gepflasterte Straßen, ohne Läden, in denen es Bücher zu kaufen gibt, Radios und Motorräder. Keinen einzigen Brief hast du beantwortet. In all den Jahren ist es nicht in deinen Schädel gegangen, daß ich nur den Platz gesucht habe, an dem ein Deutscher beweisen kann, was in ihm steckt. Und das habe ich geschafft, Alter. Dankbar wirst du mir noch sein, deinem Sohn Josef, dem Haderlumpen und Naziknecht. Der Passierschein ist nur der Anfang. Wenn die Bürgermeister in Slawonien überall die Mütze vor dir ziehen und die Kneipenwirte den Tisch polieren, an den du dich setzt, dann wirst du stolz darauf sein, daß der Dolmetscher des SS-Kommandanten von Novi Brod ein Sulka ist und dein leiblicher Sohn. Der Tag wird kommen, Vater, an dem du mir die Stirn küßt und mich um Verzeihung bittest für jeden Schlag und jede Kränkung! Die slawonische Landschaft, aus der östlichen Tiefebene Kroatiens aufsteigend in ein waldreiches Mittelgebirge mit dem fast tausend Meter hohen Psunj, im Norden, nach Ungarn hin, an der breiten und gemächlich dahinfließenden Drau grenzend, im Süden von der in vielen Windungen das Flachland durcheilenden Sava mit Bosnien verbunden, schöpfte einen wesentlichen Teil ihrer Fruchtbarkeit aus einem fast überreichlichen Was-