Wie werde ich Philosoph?

Warum haben Sie angefangen, dieses Buch zu lesen? Philoso- phen sollten zwar Vermutungen vermeiden, aber ich vermute, dass Sie bereits ein wenig über ...
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gary cox

der Universität von Birmingham. Folgen Sie Gary Cox auf Twitter: Gary Cox (@garycox01).

Lernen Sie

k wie man jede Debatte gewinnt, indem man die Menschen in eine philosophische Diskussion verwickelt k wie man das letzte Wort behält bei der Frage, ob ein fallender Baum ein Geräusch macht, wenn keiner ihn hört k zu denken, zu sprechen und zu argumentieren wie ein großer Philosoph.

WIE WERDE ICH

»Philosophie steht im Ruf, kom­ pliziert zu sein. Und sie kann tatsächlich komplizierter werden als alles andere im Leben. Noch komplizierter als Beziehungen,

WIE WERDE ICH

und Honorary Research Fellow an

Sind Sie mit den großen Fragen des Lebens auch oft überfordert? Seien Sie beruhigt: Dieses Buch hilft Ihnen. Es zeigt Ihnen zu denken, zu sprechen und zu argumentieren wie ein großer Philosoph! Humorvoll und gespickt mit vielen Beispielen aus der Popkultur gibt diese Gebrauchsanweisung zum Philosophieren Auskunft über die großen Themen des Lebens.

komplizierter als die Steuerer­ klärung, kompli­zierter selbst als Kricket (wie beim Kricket enden auch viele lange, titanische Kämpfe in der Philosophie mit einem

oder

Unent­schie­den). Philo­so­phie kann so kom­pliziert werden, dass sie Raketen­tech­nik aussehen lässt wie – nun ja – keine Raketentechnik. Auf fortgeschrittenem Niveau ist

GARY COX

Gary Cox ist ein britisher Philosoph

Philosophie definitiv Raketen­tech­ nik, obwohl sie nicht das Geringste damit zu tun hat. Aber lassen Sie sich nicht von diesem Gerede über Kompliziert­heit ab­schrecken. Sie werden mit Erleichterung fest­ stellen, dass Philoso­phieren auf einer grund­legenden Ebene tatsächlich un­glaub­lich leicht ist.

ISBN 978-3-8062-3030-7

Und dieses Buch wird Ihnen zeigen, wie das geht.«

Einbandgestaltung: Harald Braun, Berlin

9 783806 230307

Gary Cox Wie werde ich Philosoph?

Gary Cox

Wie werde ich Philosoph? oder Wie man fast sicher sein kann, dass fast nichts sicher ist Aus dem Englischen von Nikolaus de Palézieux

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. Der Konrad Theiss Verlag ist ein Imprint der WBG. © 2015 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Satz: SatzWeise GmbH, Trier Einbandgestaltung: Harald Braun, Foto Design, Berlin Lektorat: Andrea Graziano di Benedetto Cipolla Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-3030-7 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-8062-3066-6 eBook (epub): 978-3-8062-3077-2

Inhalt Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Was ist Philosophie? . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Philosophie und Definition . . . . . . . . . . . . . . .

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»Philosophie« definieren . . . . . . . . . . . . . . . .

24

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29

Philosophie und Redefreiheit . . . . . . . . . . . . . .

37

Der Vater der westlichen Philosophie . . . . . . . . . .

41

Metaphysik und noch mehr Platon . . . . . . . . . . .

44

Erkenntnistheorie und noch mehr Platon . . . . . . . .

48

Die Philosophie vom richtigen Handeln . . . . . . . . .

51

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

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67

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68

Halluzination und optische Illusion . . . . . . . . . . .

72

Erscheinung und Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . .

75

Solipsismus – gibt es etwas da draußen? . . . . . . . .

83

Der Vater der modernen Philosophie . . . . . . . . . .

90

Descartes und die Methode des Zweifels . . . . . . . .

97

Descartes, »Ich denke, also bin ich« und Gott . . . . . .

104

Descartes’ Verfall in den Solipsimus . . . . . . . . . . .

107

Diese Wolken zerstreuen

114

Philosophie und eiskalte, knallharte Logik

2. Wie man Philosoph wird – Phase 1: Alles anzweifeln Richtig philosophieren

5

Inhalt

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Family Guy im Wald . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Eine dumme Frage stellen . . . . . . . . . . . . . . . .

120

Der Realismus des gesunden Menschenverstandes . . .

121

Der Wiener Kreis und der sachliche logische Positivismus

124

David Hume und der sachliche logische Positivismus . .

126

Das Verifikationsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . .

129

Geräusch ist das Bewusstsein von Geräusch . . . . . . .

132

Kant und der transzendentale Idealismus . . . . . . . .

134

Sartre oder das differenzierte und undifferenzierte Sein .

139

. . . . . . . . . . .

142

4. Wie man mit Philosophie seinen Lebensunterhalt bestreitet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

159

Visuelle, musikalische und Internet-Medien . . . . . . . .

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Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Wie man Philosoph wird – Phase 2: Die Baum-Frage

Uneindeutige Schlussfolgerungen

6

Einführung Warum haben Sie angefangen, dieses Buch zu lesen? Philosophen sollten zwar Vermutungen vermeiden, aber ich vermute, dass Sie bereits ein wenig über Philosophie wissen und jetzt mehr darüber wissen möchten. Zumindest aber ist Ihnen der Begriff »Philosophie« schon einmal über den Weg gelaufen, und Sie wollen nun wissen, was er bedeutet. Vielleicht wissen Sie ja schon eine ganze Menge über Philosophie – weil Sie sie auf der Universität oder im Gefängnis studiert haben –, doch Sie sind vielleicht der Meinung, dass über Philosophie Bescheid zu wissen und ein Philosoph zu sein zwei verschiedene Dinge sind. Philosophen – sofern man einer ist – sollten wirklich vermeiden, irgendetwas anzunehmen, doch bei dieser Gelegenheit werde ich, anstatt anzunehmen, dass Sie, der Leser, etwas über Philosophie wissen, was vermutlich zutrifft, mich zu der Annahme zwingen, dass Sie absolut nichts darüber wissen. Sie leben schon, wie lange auch immer, auf dieser Erde, Sie sind intelligent und gebildet genug, um dieses Buch lesen zu können. Genauer gesagt: Sie wollen dieses Buch lesen; was schon für sich in einem Zeitalter bemerkenswert ist, da doch Ignoranz als neue Intelligenz gilt. Dennoch sind Sinn und Bedeutung von Philosophie an Ihnen bislang vorübergegangen wie ein Schiff in dunkler Nacht. Sie haben von Psychologie und Soziologie gehört, sogar von Physiologie, Psychiatrie und Philatelie, doch die Philosophie wurde dabei irgendwie übersehen, wie eine Stadt, die man nie besucht hat, obwohl man weit gereist ist; wie der Besucher, der ausgerechnet während der fünf Minuten an Ihrer Tür klingelte, als Sie unter der Dusche standen. Philosophie steht im Ruf, kompliziert zu sein. Meist ist dieser 7

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Ruf unbegründet, wenn es auch stimmt, dass sie auf dem höchsten Niveau sehr, sehr kompliziert werden kann. Philosophie kann tatsächlich komplizierter werden als alles andere im Leben. Noch komplizierter als Beziehungen, komplizierter als die Steuererklärung, komplizierter selbst als Kricket (wie beim Kricket enden auch viele lange, titanische Kämpfe in der Philosophie mit einem Unentschieden). Philosophie kann so kompliziert werden, dass sie Raketentechnik aussehen lässt wie – nun ja – keine Raketentechnik. Auf fortgeschrittenem Niveau ist Philosophie definitiv Raketentechnik, obwohl sie nicht das Geringste damit zu tun hat, Vehikel zu entwerfen, die die Schwerkraft der Erde überwinden oder winzige Messsonden per Fernsteuerung über eine Distanz von rund 90–650 Millionen Kilometer auf dem Mars landen lassen können. Aber lassen Sie sich nicht von diesem Gerede über Kompliziertheit abschrecken. Sie werden mit Erleichterung feststellen, dass Philosophieren auf einer grundlegenden Ebene tatsächlich unglaublich leicht ist. Und dieses Buch wird Ihnen zeigen, wie das geht. Philosophie besteht aus einem riesigen Gerüst von Argumenten, aus einem riesigen Netzwerk unterschiedlicher Standpunkte, aus einem unüberschaubaren Gewirr heikler Themen, das immer noch, nach Tausenden von Jahren, wächst und sich ausdehnt, wie ein verwildertes Dornengestrüpp in einem schlecht gepflegten Garten. Man bräuchte viele Lebensspannen, um all das zu lesen, was in der Philosophie geschrieben wurde, weshalb nicht einmal die größten Philosophen alle Streitfragen kennen. Was ich damit sagen möchte ist, dass man diese Streitfragen nicht unbedingt kennen muss, um philosophieren zu können! Philosophie ist, wie manche große Philosophen gesagt haben, nicht so sehr ein Korpus von Wissen als vielmehr eine Aktivität. Alles was Sie also machen müssen, um zumindest auf einer grundlegenden Ebene Philosoph zu sein, ist einfach nur, Philosophie zu betreiben, anfangen zu philosophieren. Es ist ein wenig wie Tennis spielen. Sie müssen nicht wie Roger Federer oder Rafael Nadal spie8

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len können, um Tennis zu spielen. Sie spielen einfach auf Ihre Weise Tennis, indem Sie den Schläger in die Hand nehmen und ein paar Bälle über das Netz schlagen oder auch in das Netz hinein. Sie haben in Ihrem Leben gewiss schon sehr viel philosophiert, ohne es zu merken. In diesem Falle sind Sie bereits ein Philosoph, ohne es zu wissen. Wenn Sie sich jemals gefragt haben, woher das Universum kommt und ob es etwas nach dem Tode gibt; wenn Sie Gewissheiten haben oder das Leben vollkommen bedeutungslos für Sie ist; wenn es gute Gründe dafür gibt, warum Sie moralisch gut oder auch schlecht sein sollten, oder ob Schönheit nur im Auge des Betrachters stattfindet, dann haben Sie bereits philosophiert. Für mich besteht die große Ironie darin, dass ich dieses Buch schreibe, um den Leuten zu erklären, wie sie etwas werden können, das sie mit großer Sicherheit schon längst sind! Ich predige den Bekehrten, ich trage Kohle nach Newcastle, Öl nach Texas, oder kurz und gut: Eulen nach Athen. Vielleicht also sollte der Titel dieses Buches eher lauten Wie man den Leuten sagt, wann sie philosophieren oder – was ein wenig anmaßend klingen könnte – Wie man effektiver philosophiert. Ohne jemandem zu nahe treten zu wollen: Die schlichte Wahrheit hinter der Angelegenheit ist die, dass der größte Teil grundlegenden Philosophierens, wie es die Menschen an der Bushaltestelle, in der Kneipe oder in ihrem Kopf betreiben, während sie schlaflos im Bett liegen, bereits von jemandem weit gründlicher erledigt worden ist, der nichts anderes tat als sich die gesamte Zeit seines unglücklichen Lebens mit diesem besonderen Stück Philosophie obsessiv zu beschäftigen. In manchen Fällen beschäftigte derjenige sich in einem solchen Ausmaß mit seinem philosophischen Problem, dass er kaum die Zeit fand, mit dem Bus irgendwohin zu fahren, in die Kneipe zu gehen oder zu schlafen. Ich wage diese Behauptung, weil ich Hunderte von begabten und auch nicht so begabten Anfängern aller Altersstufen in Philosophie unterrichtet habe. Und nur selten kam einer mit 9

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einem Argument, über das nicht jemand schon irgendwo und irgendwann ein ganzes Buch oder gleich eine ganze Reihe von Büchern geschrieben hatte. Als Philosophielehrer habe ich gelernt, geduldig und zustimmend dazusitzen, während ein Philosophiestudent mir ein abgedroschenes Argument präsentiert, das in den großen, staubigen Annalen der Philosophiegeschichte wirklich ad nauseam, bis zum Erbrechen, vorgeführt wurde – als wäre sein oder ihr abgedroschenes Argument eine zutiefst originelle Einsicht. Natürlich ist es für diesen Studenten, diese Studentin ein zutiefst originelles Denken, das sehr ermutigt werden sollte, daher meine zustimmende Geduld. Weil es aber nicht sinnvoll ist, das Rad noch einmal zu erfinden und Philosophiekurse nicht weiterkämen, wenn sie nichts anderes täten, als das Rad neu zu erfinden, bringe ich am Ende seines Vortrages meinen Studenten zur Strecke, indem ich ihn darauf hinweise, dass der große Philosoph Descartes, oder wer auch immer das war, genau das, was immer es war, schon vor Hunderten von Jahren gesagt hat und zudem viel ausführlicher. Tatsächlich ist der Student in aller Regel nicht allzu niedergeschlagen, da es seinem Ego schmeichelt, wenn er merkt, dass er genau so argumentiert hat wie der große Descartes. Es ist ein wenig so, als würde man jemanden damit schmeicheln, dass er soeben einen gerade so meisterhaften Rückhand-Volley gespielt hätte wie Roger Federer im Wimbledon-Finale 2009. Niemand spielt mit der Absicht Tennis, immer schlechter zu werden, sondern um immer besser zu werden, auch wenn man weiß, dass man nie so gut sein wird wie Federer oder Nadal oder auch Henman (der Gerechtigkeit halber sei gesagt: Henman war jahrelang der beste englische Tennisspieler und zeitgleich die Nummer vier in der Weltrangliste. Er war wirklich unverschämt gut). Ein Philosoph sein zu wollen heißt meist also, sich darin verbessern zu wollen, auch wenn man weiß, dass man nie so gut darin werden wird wie David Hume oder Immanuel Kant – zwei der größten Meister aller Zeiten in dem uralten Spiel, das 10

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Philosophie heißt.Wenn man ein paar altbewährte Methoden des uralten Philosophie-Spiels kennt, dazu einige Hauptpositionen aus den Unmengen abgedroschener Streitgespräche sowie die wichtigsten Argumentationslinien aus dem großen Gewebe unterschiedlichster Standpunkte, dann hilft das einem dabei, ein effektiverer Philosoph zu werden: ein Philosoph, der seine Bälle eher über das Netz als direkt ins Netz schlagen kann; der aufschlagen und den Aufschlag des Gegners erwidern kann; vielleicht sogar ein Philosoph, der zuweilen Spiel, Satz und Sieg gegen einen würdigen Gegner gewinnen kann, der selbst nicht ungeübt ist. Die Grundlagen der Philosophie sind relativ leicht zu erlernen, weshalb man das Philosophie-Spiel leicht auf recht bescheidenem Niveau spielen kann, was reicht, um daran Spaß zu haben und genug ist, um sich mit fast jedem zu messen, der nicht gerade Oxbridge-Professor für Philosophie ist. Falls Sie es nicht wissen: Oxbridge ist eine frei erfundene Universität, die entweder Oxford oder Cambridge oder beides ist. Es ist kein Ort irgendwo zwischen Oxford und Cambridge – dieser Titel gebührt eher Milton Keynes oder Luton. Ein wirklich großer Philosoph zu werden ist jedoch reichlich schwierig. Vermutlich ist es noch schwerer als in Wimbledon zu gewinnen. Platon, Aristoteles, Hume, Kant, Hegel, Mill, Kierkegaard, Wittgenstein, Sartre, de Beauvoir – diese großen Philosophen widmeten ihr gesamtes Leben der Philosophie, plagten ihre ziemlich gescheiten Köpfe Tag für Tag, jahrein, jahraus, Jahrzehnt um Jahrzehnt mit einem schweren Wälzer nach dem anderen. Die großen Philosophen sind wie große Berge im riesigen Gebiet der Philosophie, während so einer wie ich, der beispielsweise Philosophie lehrt und ein paar Kommentare geschrieben hat (Bücher über große Philosophen), nur ein Maulwurfshügel ist. Aber keine Sorge: Philosophen, große und kleine, von Platons Everest bis hin zu Rab C. Nesbitts kleinem Hügel, wissen, dass Größe relativ und es besser ist, ein kleiner 11

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Erdwall innerhalb der Philosophie als ein ganzes Bergwerk an Ignoranz zu sein. Wir werden auf unserem Weg einen Blick auf einige der hervorstechenden Eigenschaften dieser gewaltigen Philosophie-Berge werfen, auf einige wesentliche Ideen der großen Philosophen, die solch einen großen, einflussreichen Schatten auf das Denken und den Fortschritt der Menschheit geworfen haben. Wo also befinden wir uns gerade? Selbst wenn Sie bis jetzt noch nie etwas von Philosophie gehört haben und noch nicht wissen, was der Begriff Philosophie bedeutet, ist es dennoch sehr wahrscheinlich, dass Sie schon sehr oft in Ihrem Leben philosophiert haben, ohne dass Sie wussten, dass das, was sie da taten, philosophieren genannt wird und dass die Gesamtsumme des bisher angewachsenen und noch weiter anwachsenden Philosophierens der Menschheit eben Philosophie heißt. Falls Sie überhaupt nur ein kleines bisschen philosophiert oder keine überlegte Entscheidung getroffen haben, etwas so scheinbar Sinnloses und potentiell Verstörendes zu vermeiden, dann sind Sie bereits Philosoph. Und wenn Sie bereits Philosoph sind, dann folgt daraus, dass man Ihnen nicht sagen muss, wie man Philosoph wird. Oder können Sie jemandem, der längst Fahrrad fährt, erklären, wie man Fahrrad fährt? Nun, das hängt davon ab, was man unter Fahrradfahren versteht. Übrigens: Die Aussage »es hängt davon ab, was man darunter versteht« ist zentral für die Tätigkeit des Philosophierens. Jeder, der wirklich weiß, was es heißt, Fahrrad zu fahren – der siebenfache Tour-de-France-Gewinner Lance Armstrong zum Beispiel – wird Ihnen erzählen, dass es Fahrradfahren und Fahrradfahren gibt. Einerseits gibt es das Aufrechtbleiben und Vorankommen und Anhalten, ohne herunter zu fallen; andererseits aber gibt es die Haltung des Fahrers, den effizienten Gebrauch der Gänge, die Trittfrequenz, die Kurventechnik, das kontrollierte Bremsen, den »Ausreißer«, das Schließen des Shirts mit beiden Händen unmittelbar vor der Abfahrt und tausend weitere Kniffe, 12

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die man benutzen kann – all das bedeutet, wirklich zu wissen, was es heißt, Fahrrad zu fahren. Deshalb sollte dieses Buch vielleicht nicht einfach heißen Wie werde ich Philosoph? – auch wenn dies offenkundig der einprägsamste Titel ist, an dem festzuhalten die Marketing-Leute und ich beschlossen haben –, sondern Wie werde ich wirklich ein Philosoph? oder Wie werde ich ein besserer Philosoph?. In einem bestimmten Sinn sind all die genannten Alternativ-Titel, die ich ziemlich ausdauernd immer wieder vorbringe, die Untertitel dieses kleinen Buchs. Sie waren aber zu langweilig oder zu lang für den Titel und sogar für den Rückendeckel. Ich bin kein Lance Armstrong, bin aber gleichwohl in meinem Leben viel Fahrrad gefahren. Ich bin kein Aristoteles, habe gleichwohl während meines Lebens eine Menge Philosophie betrieben; großenteils deshalb, weil ich irgendwie zu dem Entschluss gekommen bin, mein täglich Brot damit verdienen zu wollen. Das hat mir immerhin ein leicht undichtes Dach über dem Kopf beschert, aber ich versichere Ihnen, dass man mit weitaus weniger substantiellen Dingen viel mehr Geld verdienen kann. Daher glaube ich, Ihnen ein paar Hinweise geben zu können, wie Sie Ihr Philosophie-Fahrrad ein bisschen schneller fahren können, ohne sich darauf wund zu sitzen oder von der Straße abzukommen und in und die häufigsten Gräben zu stürzen. Am Ende dieser Einführung ist es mir wichtig zu betonen, dass es Vor- und Nachteile hat, ein Philosoph zu sein. Geübte Philosophen denken, schreiben und argumentieren meist schlüssiger als normale Menschen. Sie haben die Kunst des systematischen Denkens und Sprechens erlernt. Das ist sehr vorteilhaft, wenn es darum geht, genau die Jobs zu kriegen, die am sichersten, interessantesten und am besten bezahlt sind. Die Forschung hat erwiesen, dass Menschen mit philosophischer Ausbildung – weit entfernt davon, zu den Aussteigern zu gehören – sich meist gescheit anstellen, wenn es um die Ausbildung als Lehrer, Anwalt, Arzt, Computerspezialist, Marketing-Fachmann, Journalist 13

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und sogar Klempner geht. Und zwar deshalb, weil Menschen, die Philosophie studieren, damit die Grundprinzipien allen Wissens studieren. Philosophie zu studieren verleiht einem Menschen Fähigkeiten, die sich hervorragend in anderen Bereichen anwenden lassen. Wenn Sie es beispielsweise schaffen, den berüchtigt komplizierten deutschen Philosophen Martin Heidegger zu lesen, werden Sie die Erläuterungen zu Ihrer nächsten Steuererklärung lesen wie einen Text von Enid Blyton. Im letzten Kapitel werde ich auf das Thema der beruflichen Vorteile des Philosophiestudiums zurückkommen. Natürlich kann die Fähigkeit, schlüssig zu denken und zu argumentieren, beleidigend auf kopf- oder gedankenlose Menschen wirken, deren Köpfe verstaubt sind. Wenn der Philosoph sie damit einfängt, dass er die Ungereimtheiten und Verwirrungen ihrer absurden Standpunkte vorführt, werden sie ihn als Besserwisser bezeichnen und vermutlich seinen Niedergang herbeiführen wollen. Genau das passierte dem antiken griechischen Philosophen Sokrates. Er demütigte öffentlich so viele mächtige Athener, als er ihnen demonstrierte, wie strohdumm sie waren, dass sie ihn am Ende zwangen, sich selbst zu vergiften und den Schierlingsbecher zu trinken. Heute aber und in unserer Zeit ist es eher unwahrscheinlich, wie schlaumeierisch Sie auch sein mögen, dass Sie den Schierlingsbecher auszutrinken gezwungen werden. Dank unserer Massenmedienkultur gibt es nämlich Besserwisser wie Sand am Meer. Wenn der durchschnittliche großmäulige, starrsinnige Fernsehmoderator noch nicht gezwungen wurde, den Schierlingsbecher zu trinken, brauchen Sie sich vermutlich keine Sorgen machen. Weiß überhaupt noch jemand, wie man einen Schierlingsbecher anrührt? Oft ecken Philosophen bei den Menschen mit ihrer hoch entwickelten Fähigkeit an, einen Nerv zu treffen oder eine unbequeme Wahrheit bloßzulegen. Doch meist schaffen sie es, der Exekution zu entgehen, weil sie in ihrer unendlichen Weisheit 14