Wie Geheimnisse die Seele belasten

22.09.2015 - Wagnis. Zum Beispiel dieses: Es ist notwendig, dass Adoptiveltern ih- rem Kind zu gegebener Zeit sagen, wir lieben dich sehr, aber es gibt.
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GEIST & WELT 9

DIENST AG, 22. SEPT EM BER 20 15

Wie Geheimnisse die Seele belasten Ein schwerwiegendes Ereignis kann jahrzehntelang wie ein Grauschleier auf der Seele liegen. Wird es dann doch mitgeteilt, folgt oft die erstaunte Frage: „Warum hast du mir das nicht schon längst gesagt?“ JOSEF BRUCKMOSER

„Weil ich es dir nicht sagen konnte“ heißt das neue Buch von Uwe Böschemeyer. Ein SN-Gespräch über die Wahrhaftigkeit, die frei macht. SN: Warum ist es Ihnen so wichtig, dass Menschen das, was sie nicht sagen können, ihrem engsten Vertrauten irgendwann doch mitteilen?

Böschemeyer: Ich habe in mehreren Tausend Gesprächen die Erfahrung gemacht, dass viele, allzu viele Menschen Wichtiges, das sie dem Partner oder den Kindern oder den Freunden hätten sagen sollen, nicht gesagt haben. Hinzu kommt meine persönliche Erfahrung, dass ich kaum etwas weiß vom Leben meines Vaters, der bei der SS war. Ich habe mich beinahe ein Leben lang herumgeschlagen mit dieser Frage: Wer war mein Vater und was hat er wohl getan?

SN: Warum sollen, wie Sie sagen, Menschen ihre Geheimnisse mitteilen? Woraus leitet sich dieses Sollen ab?

Daraus, dass die Seele vor allem Klarheit braucht. Die Seele wehrt sich gegen all das, was als halbherzig empfunden wird. Die Seele braucht Klarheit. Wenn ich sagen wollte, was beste Psychotherapie wäre, dann würde ich sagen: Hilfe dazu, wahrhaftig zu werden. Die Verhinderung von Wahrhaftigkeit bewirkt Stauungen in der Seele. Ein nicht wahrhaftiger Mensch muss sich herausreden, drum herumreden. Er kann nicht auf den Punkt kommen, er belügt sich selbst. Der bedeutende Religionsphilosoph und großartige Seelsorger Romano Guardini sagte, das Wichtigste in der Seelsorge sei die Hilfe zur Wahrhaftigkeit. Einem Menschen behilflich zu sein, sich nichts mehr vorzumachen und so wenig wie möglich die Seele mit Geheimnissen zu belasten, die ein anderer wissen sollte. SN: Heißt Wahrhaftigkeit nicht zuerst wahrhaftig gegenüber sich selbst sein? Könnte für den anderen gelten, was der Volksmund sagt: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß?

Darf ich einen Satz von dem weisen Wilhelm Busch zitieren: „Manche

Dieses Mal wird es ernst. Am 5. Oktober 2015 wird Papst Franziskus in Rom die Bischofssynode über Ehe und Familie eröffnen. Dabei geht es unter anderem um die seit Jahrzehnten strittige Frage, wie die katholische Kirche ein neues Verhältnis zu wiederverheirateten Geschiedenen finden könne. Bereits bei der „Generalprobe“, einer Versammlung der Bischöfe vor einem Jahr, hatte Franziskus für eine offenere Haltung plädiert. Betroffene Ehepartner sollten unter bestimmten Voraussetzungen wieder zu den Sakramenten zugelassen werden. In der Schlussabstimmung hat sich aber eine Mehrheit der Bi-

„Weil ich es dir nicht sagen konnte – Vom Schatten des Schweigens zur befreienden Wahrheit“ heißt das neue Buch von Uwe Böschemeyer, das am 5. Oktober erscheint. An konkreten Beispielen wie Missbrauch oder Ehebruch schildert der Rektor der Akademie für Wertorientierte Persönlichkeitsbildung Salzburg, warum Verschwiegenes ausgesprochen werden soll.

SN: Das Risiko ist, dass ich das schwer einschätzen kann.

Die Wahrheit zu sagen ist immer ein Wagnis. Zum Beispiel dieses: Es ist notwendig, dass Adoptiveltern ihrem Kind zu gegebener Zeit sagen, wir lieben dich sehr, aber es gibt noch andere Eltern, die, die dich ins Leben gebracht haben. Oder dieses: Auch ein schwerer Ehebruch sollte unbedingt gesagt werden, weil sonst die Beziehung und die Liebe übermäßig beschwert werden. Warum ist das so? Weil das, was in mir vorgeht, auf den anderen ausstrahlt und sich auswirkt, auch wenn er von dem Ereignis nichts weiß.

Der Autor: Uwe Böschemeyer, Theologe, Psychotherapeut. BILD: SN/KOLARIK/LEO

SN: Sie schreiben von einer Frau, die als Kind missbraucht wurde. Warum soll der Partner das wissen? Hat er ein Recht?

Ob der Partner ein Recht darauf hat, vermag ich nicht zu sagen. Ich weiß nur, dass eine Frau, die missbraucht wurde, zunächst stark geschädigt wird und leidet, sich zum Beispiel entwürdigt fühlt. Daher braucht sie es dringend, das zum Aus-Druck zu bringen, was sie belastet – wenn möglich dem gegenüber, der ihr am nächsten steht. SN: Gibt es einen Kairos für ein solches Gespräch? Was sind günstige Rahmenbedingungen, um es zu wagen?

Es gibt Möglichkeiten, einen Menschen dazu zu bewegen, dass er Vertrauen fasst und sagen kann, was er so lange nicht sagen konnte. Zum Beispiel könnte ich als Freund sagen: Ich habe eine Frage auf der Zunge, ich weiß aber nicht, ob ich sie dir stellen darf. Oder mit einem Anflug von Humor: Kann es sein, dass es dir schon einmal besser ging? Oder: Du siehst so aus, als wolltest du mir etwas sagen. Oder es kann sein, dass sich eine Frau an ihren Mann anlehnt und sagt: Ich liebe dich, aber wir könnten viel glücklicher sein, wenn ich den Mut hätte, dir zu erzählen, was mich beschwert . . . Solche Sätze können weiterhelfen. Oder auch Situatio-

Zweiter Anlauf in Rom für Katholiken in zweiter Ehe ROM.

Im SN-Saal: Uwe Böschemeyer

Wahrheiten sollten nicht gesagt werden, manche brauchen es nicht, manche müssen es.“ Ich meine, eine Wahrheit sollte nicht gesagt werden, wenn der andere daran vermutlich zugrunde ginge.

schöfe gegen eine solche Öffnung der Kirche ausgesprochen. Neu ist jetzt, dass der Papst ein „Heiliges Jahr der Barmherzigkeit“ ausgerufen hat. Es ist keine Frage, dass Franziskus damit auch der diesjährigen Bischofsversammlung einen Wegweiser vorgesetzt hat. Die „Salzburger Nachrichten“ veranstalten zum Beginn der Synode eine Podiumsdiskussion im SNSaal. Der Wiener Pastoraltheologe Paul M. Zulehner wird eine aktuelle Studie vorlegen. Die Salzburger Landesrätin Martina Berthold (Grüne) und der evangelische Pfarrer Peter Gabriel bringen die gesellschaftliche Diskussion ein. job

Buchpräsentation und Gesprächsabend mit dem Autor am Dienstag, 6. Oktober, um 19.00 Uhr im SN-Saal, Karolingerstr. 40, Salzburg. Eintritt frei. Eine gemeinsame Veranstaltung mit dem Verlag Ecowin.

War da noch etwas?

nen: Wenn der eine dem anderen nahe ist und das Gefühl aufkommt, er hat es verdient, sie hat es verdient, dass ich sage, was mir über Jahre wehtut. Oder auch: Manche Krankheit kann uns dazu herausfordern, dass wir mit uns und dem anderen gegenüber wahrhaftig sind. In solchen Situationen kann eine „Offenbarung“ möglich sein. SN: Kann es hilfreich oder notwendig sein, das in einem Rahmen mit einem Dritten zu tun, einem Therapeuten?

Ich fordere meine Klienten nicht dazu auf. Es kann ein heiliger Augenblick sein, wenn der eine dem anderen sein Geheimnis mitteilt. Was da zwischen den beiden geschieht, geht mich als Therapeut nichts an. Aber wenn es sein muss, bin ich bereit, mit beiden zu sprechen und sie darin zu unterstützen,

Sichern Sie sich ab sofort Ihre Zählkarten bei: SN-Verlagshaus, Portier, Karolingerstr. 40. Info-Telefon: 0662-8373-511.

BILD: SN/RUIGSANTOS - FOTOLIA

Sprache füreinander zu finden. SN: Wenn jemand sagt: Ich habe geredet und wir sind damit gescheitert. Was dann?

Dann habe ich ein Wort parat: Mag sein, dass Sie vorläufig gescheitert sind. Ich vermute, dass Ihr Mann, Ihre Frau das verdauen muss, was Sie ihm oder ihr anvertraut haben. Menschen brauchen Zeit, Dinge, mit denen sie überhaupt nicht gerechnet haben, einzuordnen und Frieden damit machen zu können.

SN: Geht Ihr Optimismus, dass die Wahrheit frei macht, über alle Bedenken und Risiken?

Optimist bin ich schon, aber ich bin auch Realist. Ich habe so vieles erlebt, was entsetzlich war, so viel an Verlogenheit, dass ich sagen darf, ich rechne mit allem Menschlichen. Auch damit, dass eine Frau, ein

Mann sich endlich aufgerafft hat zu sagen, was er so lang gehütet hat – und dann wendet sich der andere ab und sagt auf Nimmerwiedersehen. Damit rechne ich auch. Ich möchte trotzdem werben dafür und mit der Literaturpreisträgerin Pearl S. Buck sagen: „Die Wahrheit ist immer aufregend. Also sprich sie aus! Das Leben ist öde ohne sie.“ Aber es gibt keinen Plan, wann man etwas aussprechen sollte und wann man es nicht tun sollte. Es gibt nur eine Erfahrung. Die lautet, die meisten Menschen, die ein schwieriges Geheimnis hüten, werden nicht froh und gelassen und glücklich, wenn sie das, was sie dem Nächsten, der Nächsten sagen sollten, nicht sagen. SN: Im Zweifel für die Wahrheit und damit auch für das Risiko?

Ja, das ist sehr schön gesagt.

Hochrisiko Ehe & Familie Wie Beziehungen glücken, warum sie scheitern

Paul M. Zulehner, Pastoraltheologe und Werteforscher, Wien.

Martina Berthold, Landesrätin für Frauen, Jugend, Familie. BILD: SN/APA/B.G.

Peter Gabriel, ev. Pfarrer in eingetragener Partnerschaft. BILD: SN/PRIVAT

Partnerschaft, Ehe und Familie sind zu hochriskanten Lebensformen geworden. Bei Umfragen signalisieren junge Erwachsene eine beständige Sehnsucht nach verlässlichen Beziehungen. Die hohen Scheidungsraten zeigen, wie oft dieser Wunsch aus vielfachen Gründen unerfüllt bleibt.

ner Himmel“ und die SN zu einer Podiumsdiskussion über das Thema „Hochrisiko Ehe & Familie“ ein.

schlechter und setzt sich damit auseinander, was Frauen- und Familienpolitik leisten kann oder nicht.

Der Wiener Pastoraltheologe Paul M. Zulehner präsentiert dabei neue Untersuchungen über „Die geteilte Liebe“.

Der Halleiner Pfarrer Peter Gabriel bringt die evangelische Sicht ein und seine Erfahrungen in einer eingetragenen Partnerschaft.

Die Salzburger Landesrätin Martina Berthold skizziert die Partnerbeziehung im Spannungsfeld der Ge-

Am Montag, 5. Oktober, um 19.00 Uhr im SN-Saal, Karolingerstr. 40, Salzburg (Buslinie 10) – Eintritt frei.

Anlässlich der Bischofssynode in Rom laden die Aktion „Offe-