Wer bin ich wirklich?

zu tun, als es darum ging, Marita als Pflegekind aufzunehmen. Aber es könnte sein, dass Arabel- la vermutlich in der Zwischenzeit geheiratet hat. 14 Jahre sind ...
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Anna-Lena Hees

Wer bin ich wirklich? Roman

© 2013 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2013 Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag, Hohen Neuendorf, bei Berlin Coverbild: Fotolia, 50524943 - Steinfrau© dflohr Printed in Germany ISBN 978-3-8459-0785-7 AAVAA Verlag, Hohen Neuendorf, bei Berlin www.aavaa-verlag.com eBooks sind nicht übertragbar! Es verstößt gegen das Urheberrecht, dieses Werk weiterzuverkaufen oder zu verschenken! Alle Personen und Namen innerhalb dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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1.Kapitel Es war ein Tag wie jeder andere: aufstehen, waschen, anziehen, frühstücken und auf zur Schule. Aber es war etwas anders, das merkte Marita, als sie am Frühstückstisch saß. Ihre Eltern schienen bedrückt. Marita musterte sie. "Was ist?", fragte Bärbel, ihre Pflegemutter. "Das wäre meine Frage", antwortete das junge Mädchen. "Ihr scheint so betrübt!" "Ach, was. Es ist nichts, nur Müdigkeit. Nun solltest du aber mal dein Frühstück essen, du musst gleich in die Schule. Du hast nicht mehr so viel Zeit!" "Ja, schon gut. Aber Müdigkeit? Da wirkt man doch nicht so betrübt. Ist wirklich nichts?" "Nein! Wirklich nicht! Mach dir bitte keine Sorgen, Marita!" Bärbel stand auf, ging ans Fenster und öffnete es, um frische Morgenluft hineinzulassen. Marita starrte auf ihr Frühstück. Sie hatte plötzlich keinen Appetit mehr. 3

"Was ist los, Marita? Warum isst du nicht?", fragte Pflegevater Heinrich. "Ach, irgendwie hab ich nicht so wirklich Hunger. Ich denke, ich gehe mir die Zähne putzen und dann langsam Richtung Schule. Ist das in Ordnung?", gab Marita zurück. "Kein Frühstück vor der Schule?", fragte Bärbel ungläubig. Marita schüttelte den Kopf. "Okay, wenn du wirklich nichts essen willst...Du kannst gehen!" Bärbel wies mit der Hand zur Tür. Marita verstand sofort und verließ die Küche. "Denkst du, dass es wirklich das Beste ist, wenn wir Marita die Wahrheit sagen?", fragte Bärbel ihren Mann, nachdem Marita die Wohnung verlassen hatte. "So schwer uns das auch fallen mag, Marita hat ein Recht darauf, zu erfahren, woher sie eigentlich stammt. Es ist das Beste, glaub mir! Wir können sie nicht ein Leben lang anlügen, wir sind ihre Pflegeeltern, mehr nicht." Heinrich umfasste Bärbels Hand. 4

"Du hast ja Recht, Heinrich, aber ich liebe Marita wie meine eigene Tochter. Ich möchte sie nicht verlieren! Natürlich sollte sie irgendwann erfahren, wer ihre leiblichen Eltern sind und vor allem den Hintergrund der Geschehnisse dürfen wir ihr nicht vorenthalten. Meine Sorge gilt aber Maritas Reaktion. Ich meine...Wir haben sie ohnehin schon ein ganzes Leben lang angelogen. Was, wenn sie nicht mehr mit uns spricht?" "Doch, das wird sie. Dass du dir Sorgen machst, kann ich verstehen. Ich nehme schon an, dass Marita zunächst geschockt sein wird. Aber glaub mir, Bärbel, wir müssen endlich die Karten auf den Tisch legen. Maritas leibliche Mutter hat ebenso ein Recht darauf, zu erfahren, wie es ihrer Tochter geht. Sie hat sie ganze 14 Jahre nicht mehr gesehen. Vor allem spiele ich mit dem Gedanken, dass wir ein Treffen arrangieren sollten..." "Wie, ein Treffen? Reicht es denn nicht, wenn Marita weiß, wer ihre leibliche Mutter ist und dass diese in Australien lebt?" "Nein, tut es nicht. Marita wird ihre Mutter kennenlernen wollen. Und wenn diese ihre Tochter 5

ebenso sehen möchte, dann dürfen wir uns ihnen nicht in den Weg stellen." "Hmmm, du hast ja Recht. Dann müssen wir wohl ein Treffen arrangieren. Aber warten wir erst einmal Maritas Reaktion ab!" "Ja, das war auch mein Plan. Wenn Marita wieder zu Hause ist, werden wir uns in einer ruhigen Minute zusammensetzen und ihr die Wahrheit sagen. Dann werden einige Tage vergehen, ehe wir Kontakt zu Maritas leiblicher Mutter aufnehmen." "Okay, dann machen wir es so. Aber Heinrich, haben wir überhaupt Kontaktmöglichkeiten? Hatte Maritas Mutter uns eine Emailadresse hinterlassen, damit wir sie erreichen können, als sie uns Marita anvertraut hat?" Bärbel klang beunruhigt. "Oh je, das war vor 14 Jahren. Ich weiß es gar nicht. Aber so schwer dürfte das nicht sein, Maritas Mutter ausfindig zu machen. Einfach wird das zwar auch nicht, aber ich gebe alles dafür. Den Namen habe ich mir kürzlich aufgeschrieben..."

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Bevor Bärbel etwas sagen konnte, klingelte das Telefon. Sie eilte in den Flur und nahm den Hörer ab. "Ja, hallo? Bärbel Becker am Apparat!?" "Mama, ich bin‘s, Marita. Ich habe heute Morgen etwas Wichtiges vergessen, und zwar brauchen wir in der Schule unsere Geburtsurkunden, könntest du meine schnell bringen?", ertönte Maritas Stimme am Ende der Leitung. "Wozu braucht ihr die denn?" "Weil wir eine Art Test damit machen. Also, was ist?" "Ja, gut, ich such sie. Papa kommt dann!" "Ja, aber schnell. Danke!" Und klack-schon hatte Marita aufgelegt. Bärbel war blass. "Ist alles in Ordnung?", wollte Heinrich wissen. "Nee, eben nicht! Marita braucht ihre Geburtsurkunde. Ich weiß gar nichts davon!" "Wieso das nicht? Hat Maritas Mutter nicht auch die Geburtsurkunde abgegeben?" "Keine Ahnung, du hast dich doch um die Formalitäten gekümmert, als wir Marita aufgenommen haben. Wenn nicht mal du etwas davon 7

weißt, dann muss das ja heißen, dass wir Maritas Geburtsurkunde gar nicht hier haben!!" Da riss Heinrich die Augen auf. "Ich dachte, du hättest sie. Das heißt es ja dann tatsächlich. Wie peinlich! Ich werde direkt versuchen müssen, Maritas leibliche Mutter zu kontaktieren." "Nein, lass doch! Das bringt nichts, Marita braucht ihre Urkunde ganz schnell. Ich rufe sie an und..." "...nein!", unterbrach Heinrich seine Frau. "Du rufst niemanden an. Ich werde noch einmal gründlich nachschauen, vielleicht habe ich damals ja was übersehen. Warte mal bitte!" Heinrich lief eilig in sein Arbeitszimmer, wo er seine zahlreichen Akten platziert hatte und suchte den Ordner mit den Formalitäten des Jugendamtes heraus. Er blätterte ihn gründlich durch und war fast am Rande der Verzweiflung, als er etwas Interessantes entdeckte. "Aha! Da ist doch noch was! Bloß...nach einer Geburtsurkunde sieht das nicht aus. Was ist das?" Heinrich nahm das Blatt aus dem Ordner und betrachtete es eine Weile. "Und wenn es doch eine Geburtsurkunde ist? Aber das kann 8

nicht sein, so sehen die nicht aus. Ich muss mal Bärbel fragen. Vielleicht kann sie was damit anfangen!?" Mit dem Blatt in der Hand ging er in die Küche und legte es seiner Frau vor die Nase. "Was ist das?", wollte Bärbel wissen. "Das weiß ich auch nicht, ich kann nicht behaupten, dass es wie eine Geburtsurkunde aussieht, aber es könnte eine sein. Schau dir das doch bitte mal genau an!" Bärbel setzte ihre Lesebrille auf und schaute sich das Schreiben an. "Nun, wenn es eine Geburtsurkunde ist, dann aber keine Deutsche. Ich vermute, dass Marita im Ausland geboren wurde. Wer weiß, wo ihre Mutter damals lebte..." "Jetzt lebt sie in Australien!" "Ich weiß! Aber damals? Als Marita geboren wurde? In Deutschland sicher nicht!" "Hm... Wir haben Marita knapp zwei Wochen nach ihrer Geburt bekommen. Wo waren wir da?" "Zu Hause waren wir. Maritas leibliche Mutter hatte ja Zeit genug, um von Maritas Geburtsort hierher zu reisen. Mitsamt Kind!"

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"Ja, stimmt. Ich vermute fast, dass Marita in Russland geboren wurde. Wenn ich Zeit hätte, würde ich ja im Internet schauen, wie russische Geburtsurkunden aussehen. Dann hätten wir einen Vergleich." Heinrich studierte angestrengt, was auf dem Blatt stand. "Ähm, gib mir mal die Kamera. Ich will ein Bild davon machen." "Okay!" Bärbel griff nach der Digitalkamera, die auf einer der Ablagen lag, und überreichte sie ihrem Mann. Heinrich hielt die Kamera so über das Schreiben, dass er alles auf dem Display sehen konnte. Dann drückte er ab. "Perfekt!" "Was willst du mit dem Foto machen?" "Na, das dient dazu, dass ich dann einen Vergleich hab, wenn ich nach russischen Geburtsurkunden schaue. Du kannst jetzt getrost zu Marita in die Schule fahren und ihr dieses Blatt geben. Wenn du wieder kommst, bin ich sicher einen Schritt weitergekommen." "Na, gut! Ich bin gespannt." Bärbel nahm das Blatt vom Tisch und faltete es zusammen. "Dann mach ich mich mal auf den Weg, in der Hoffnung, nicht zu spät zu kommen. Bis später!" 10

"Ok, wir sehen uns!" Während Bärbel in ihre Jacke schlüpfte, ging Heinrich zu seinem Computer und schaltete ihn ein. Er schaute immer wieder auf den Display der Digitalkamera und hoffte sehr, irgendetwas herauszufinden. Bärbel Becker hatte das Auto gestartet und raste über die Straßen zu Maritas Schule. Seit Maritas Anruf war eine gute halbe Stunde vergangen. Während Bärbel also durch die Stadt bretterte und sich in ihrer Eile über jede rote Ampel ärgerte, versuchte sie ihre Pflegetochter auf dem Handy zu erreichen. Aber vergebens. Maritas Handy war aus. "So ein Mist!" Bärbel fluchte. "Ich bin anscheinend viel zu spät dran. Was mach ich nun?" Nach zehn Minuten Fahrt kam sie schließlich an der Schule an, stieg aus, knallte die Autotür zu und lief eilig auf das Schulgebäude zu. "Kann ich Ihnen weiterhelfen?" Die Direktorin kam Bärbel über den Weg gelaufen. "Eventuell. Ich wollte zu Marita, meiner Tochter. Wo finde ich sie?" 11

"Marita Becker? Sie hat gerade Unterricht." "Ja, genau. Wo hat sie Unterricht?" "Im Klassenraum. Was wollen Sie denn von ihr?" "Marita hat zu Hause etwas Wichtiges vergessen und mich per Anruf gebeten, damit vorbeizukommen." "Ach so. Na, wissen Sie, wo Sie den Klassenraum finden? Ansonsten würde ich mich anbieten, Sie zu begleiten und Marita für einen kurzen Moment aus dem Unterricht zu holen." Die Direktorin Frau Roth sah sich nach allen Seiten um und schaute dann erwartungsvoll in Bärbel Beckers Augen. "Das wäre freundlich, wenn Sie das machen würden." Bärbel lächelte. "Gerne. Dann folgen Sie mir." Frau Roth ging voraus. Sie führte Bärbel Becker eine Treppe hinauf und einen langen Gang entlang, bis sie schließlich vor einer Tür stehen blieb. "Das ist der Klassenraum", sagte sie und klopfte an. Bärbel nickte nur. Nach ein paar Sekunden war aus der Klasse ein "Herein" zu vernehmen. Direktorin Frau Roth 12

öffnete die Tür einen kleinen Spalt und steckte den Kopf in den Raum. "Ich hätte gerne Marita Becker kurz gesprochen, wenn das möglich ist." "Kein Problem. - Marita, geh bitte kurz raus auf den Gang", sagte der Lehrer. "Ja!" Marita stand auf, zwängte sich an den Tischen vorbei und trat zu Frau Roth. "Marita, deine Mutter ist hier. Sie wollte dir noch etwas bringen." „Ach, ja?" Marita ging einen Schritt raus aus der Klasse und sah ihre Mutter vor sich stehen. „Marita!" Bärbel kramte den zusammengefalteten Zettel aus der Jackentasche und gab ihn ihrer Tochter. "Hier, da hast du deine Urkunde. Ich geh wieder, bis später!" „Danke", murmelte Marita, aber das hörte Bärbel gar nicht mehr, da sie schon wieder auf dem Weg war. „Das wäre dann wohl auch erledigt. Marita, du kannst jetzt wieder in deine Klasse gehen." Frau Roth hielt die Tür auf, damit Marita wieder in den Klassenraum gehen konnte.

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Als sie wieder an ihrem Platz saß, faltete sie das Blatt auseinander und riss die Augen erschrocken auf. Was war das denn? Als Bärbel Becker wieder zu Hause ankam, rief Heinrich bereits vom Computer aus: "Eine Geburtsurkunde aus der Ukraine! Stell dir das vor, unser Kind kam in der Ukraine auf die Welt. Jetzt wissen wir, was diese Hieroglyphen zu bedeuten haben!" „Tatsächlich? Das ist ja interessant", rief Bärbel vom Hausflur aus. Nachdem sie ihre Jacke abgestreift hatte, marschierte sie sofort zu ihrem Mann an den Computer. "Sonst noch irgendwelche Erkenntnisse?" „Na ja, ich habe gerade so den Namen von Maritas leiblicher Mutter entziffern können..." „Und? Wie heißt sie denn?" „Arabella Mey. Das hätten wir aber eigentlich wissen sollen, immerhin hatten wir es ja mit ihr zu tun, als es darum ging, Marita als Pflegekind aufzunehmen. Aber es könnte sein, dass Arabella vermutlich in der Zwischenzeit geheiratet hat. 14 Jahre sind eine lange Zeit." 14

„Okay. Dann heißt unser Pflegekind demnach Marita Mey. Vermute ich einfach mal." „Mag sein. Tatsache jedoch ist, dass sie heute die Wahrheit erfahren muss." „Oh ja, stimmt. Ich hab immer noch Angst. Vielleicht bekommt sie es ja auch über die Geburtsurkunde raus. Sie wird es genauso wenig verstehen, wie wir am Anfang, wenn sie sich das Ding anguckt." Bärbel starrte mit einem Mal nur noch auf den Boden. „Mach dir keine Sorgen! Früher oder später hätte sie es gewusst. Dann eben so!" Heinrich nahm seine Frau in den Arm. In der Schule saß Marita immer noch wie vom Donner gerührt auf ihrem Platz und starrte das Blatt mit diesen merkwürdigen Lettern an. Der Geschichtsunterricht war zu Ende und als Nächstes war Philosophie an der Reihe, die Stunde, in der Marita ihre Geburtsurkunde brauchte. Aber das da war doch nie im Leben ihre Geburtsurkunde! Oder etwa doch? „Alles gut bei dir?", erkundigte sich Banknachbarin Carola. 15