Weltbild in der Krise

Satz: Werner Schneider, Satz- und Schreibservice, Erding. Druck: Digital Print Group, Nürnberg. Dieses Buch wurde auf 100%igem Recyclingpapier gedruckt.
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Dieter Radaj

Weltbild in der Krise

Naturwissenschaft, Technik und Theologie – Ein Auswegweiser

Dieses Buch wurde klimaneutral hergestellt. CO2-Emissionen vermeiden, reduzieren, kompensieren – nach diesem Grundsatz handelt der oekom verlag. Unvermeidbare Emissionen kompensiert der Verlag durch Investitionen in ein Gold-Standard-Projekt. Mehr Informationen finden Sie unter www.oekom.de. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 oekom, München oekom verlag, Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbH Waltherstraße 29, 80337 München Umschlaggestaltung: Elisabeth Fürnstein, oekom verlag Umschlagabbildungen: getty images, von links nach rechts: Ottavio Mario Leoni, Photo Researchers, Omikron Satz: Werner Schneider, Satz- und Schreibservice, Erding Druck: Digital Print Group, Nürnberg Dieses Buch wurde auf 100%igem Recyclingpapier gedruckt. Alle Rechte vorbehalten ISBN 978-3-86581-323-7

Dieter Radaj

Weltbild in der Krise Naturwissenschaft, Technik und Theologie – Ein Auswegweiser

Gewidmet den Vordenkern Carl Friedrich von Weizsäcker Hans Küng Hans-Peter Dürr

Der Autor dankt Claudia Raschke für ihren unermüdlichen Einsatz beim Erstellen und Abändern der zahlreichen elektronischen Fassungen des Manuskripts sowie dem oekom verlag für die angenehme Zusammenarbeit.

INHALT

EINFÜHRUNG Weltbild und Krise – Naturwissenschaft, Technik und Theologie

11

KAPITEL I Geschichte des naturwissenschaftlichen Denkens

19

1 2 3 4 5

Herausforderung der Theologie durch die Naturwissenschaft Naturwissenschaft statt Mythos – die Antike Naturwissenschaft mit Metaphysik – das Mittelalter Naturwissenschaft ohne Metaphysik – die Neuzeit Naturwissenschaft an ihrer Grenze – die Moderne

KAPITEL II Prozess gegen Galilei – der Mensch nicht im Zentrum des Kosmos?

20 21 24 26 29

33

1 Einführung und Inhaltsübersicht 2 Neue Physik und Kosmologie 3 Prozess gegen Galilei

34 34 37

4 Aristotelische Physik und ptolemäisches Weltsystem 5 Bewertung der Streitfrage des Prozesses 6 Doppelte Wahrheit und Wirklichkeit

40 44 46

Inhalt

6

KAPITEL III Evolutionstheorie von Darwin – der Mensch ein höherer Affe? 1 Einführung und Inhaltsübersicht 2 Stellung der Biologie in den Naturwissenschaften 3 Entstehung des Evolutionsgedankens und Vorbereitung der Evolutionstheorie 4 Begründung der biologischen Evolutionstheorie 5 Komponenten der biologischen Evolutionstheorie 6 Verteidigung der biologischen Evolutionstheorie 7 Biologische Evolution des Menschen 8 Menschenrassen, Tier oder Mensch, genetische Evolution, Biologie des Geistes

49 50 51 53 58 61 63 66 69

9 Religiöse Zurückweisung und säkulare Fehlentwicklung 10 Folgerungen für die christliche Religion

73 76

KAPITEL IV Psychoanalyse von Freud – der Mensch beherrscht von Trieben?

81

1 2 3 4 5

Einführung und Inhaltsübersicht Naturwissenschaftliche Basis der Psychoanalyse Entwicklung der Psychoanalyse durch Sigmund Freud Konkurrierende und neuere Schulrichtungen der Psychoanalyse Psychoanalyse als Naturwissenschaft

KAPITEL V Ergebnisse der Hirnforschung 1 2 3 4 5

Einführung und Inhaltsübersicht Allgemeine neurophysiologische Forschungsergebnisse Elementare sensorische und motorische Neurophysiologie Höhere funktionale Neurophysiologie Neurophysiologie der Kognition, Emotion und Motivation

82 83 86 91 95

101 102 103 107 111 114

Inhalt

7

6 Philosophisches Kernproblem der Hirnforschung 7 Philosophisch inspirierte Konzepte zur Hirnforschung 8 Anspruch und Wirklichkeit der Hirnforschung

KAPITEL VI Gegenstand und Problematik der mechanistischen Technik 1 2 3 4 5 6 7 8

Einführung und Inhaltsübersicht Geschichtliche Entwicklung der mechanistischen Technik Technikentwicklung und christlicher Glaube Fortschrittsgläubigkeit infolge christlichem Zeit- und Geschichtsbewusstsein Sozial- und Kulturkritik an der mechanistischen Technik Grenzen des Wachstums Problemfelder der mechanistischen Technik Gleichnis aus dem alten China

KAPITEL VII Gegenstand und Problematik der biologischen Technik 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Einführung und Inhaltsübersicht Herkömmliche mikro- und makrobiologische Technik Grundwissen zu den Genen Gegenstand der Gentechnik Stand der Anwendung der Gentechnik Gefährdungen durch die Gentechnik Problemfelder der anthropologischen Reproduktionstechnik Anthropologische Embryonen- und Gentechnik Präimplantationsdiagnostik und Genomanalyse Literarische Reflexionen zur biologischen Technik

KAPITEL VIII Gegenstand der neuronalen Technik 1 Einführung und Inhaltsübersicht 2 Historische Entwicklung der mechanischen Rechenmaschinen

120 123 127

129 130 131 135 137 141 146 150 154

157 158 159 163 165 167 170 172 174 176 178

181 182 183

Inhalt

8

3 Historische Entwicklung der elektrischen Rechenautomaten 4 Theorie der Rechenautomaten (Computerarchitektur) 5 Historische Entwicklung der Nachrichtentechnik – Telegrafie, Telefonie, Internet 6 Künstliche Intelligenz – Schachprogramme, Bauklotzwelt, Sprachübersetzung 7 Kritik der künstlichen Intelligenz 8 Weitere Formen von Computerintelligenz

KAPITEL IX Problematik der neuronalen Technik 1 2 3 4 5

Inhaltsübersicht Sozialkritik an herkömmlicher Computertechnik Gesellschaftlicher Hintergrund zum Internet Sozial- und Kulturkritik am Internet Maßvoller Umgang mit neuronaler Technik, Massenmedien und Internet

KAPITEL X Aufstieg der philosophischen Theologie – Antike, Patristik, Scholastik und frühe Neuzeit 1 2 3 4 5 6 7

Notwendigkeit der Theologie Theologie – die Frage nach Gott Grundlegung der philosophischen Theologie in der Antike Philosophische Theologie in der Spätantike Philosophische Theologie zur Zeit der Patristik Philosophische Theologie im Mittelalter (Scholastik) Philosophische Theologie in der frühen Neuzeit

185 188 191 198 203 205

211 212 213 215 226 236

241 242 243 245 247 250 253 258

KAPITEL XI Verfall der philosophischen Theologie – Aufklärung, Idealismus, Atheismus und Existentialismus

265

1 Philosophische Theologie in der Aufklärung 2 Philosophische Theologie in Vollendung der Aufklärung

266 268

Inhalt

3 4 5 6

9

Philosophische Theologie im Deutschen Idealismus Verfall der philosophischen Theologie zum Atheismus Verfall der philosophischen Theologie in der Existenzphilosophie Zurückweisung der philosophischen Theologie im existenzialen Protestantismus

KAPITEL XII Philosophische Theologie – neuere Ansätze 1 2 3 4 5 6 7

Begründung für weitere Ansätze der philosophischen Theologie Philosophisch geprägte Ansätze Katholisch geprägte Ansätze Protestantisch geprägte Ansätze Jüdisch geprägter Ansatz Buddhistisch geprägte Ansätze Schlussfolgerungen hinsichtlich Naturwissenschaft und Technik

KAPITEL XIII Offenbarungstheologie – die christliche Religion 1 Einführung und Inhaltsübersicht 2 Entstehung der Glaubensinhalte von Judentum, Christentum und Islam 3 Weitere Entwicklung der Glaubensinhalte des Christentums 4 Glaube wider die Vernunft? 5 Offenbarungstheologie und Christentum in der Geschichte 6 Versagensbelege aus der Geschichte des Christentums 7 Misserfolg der Reform- und Ablösebewegungen 8 Theologie des machtlosen mitleidenden Gottes 9 Theologie zwischen Offenbarung und Mysterium

KAPITEL XIV Verständigung zwischen Theologie und Naturwissenschaft 1 Übersicht zu den Kernproblemen 2 Der vermittelnde Standpunkt

272 279 285 289

293 294 294 298 301 304 307 310

313 314 316 321 323 328 331 335 337 340

341 342 345

Inhalt

10

3 4 5 6 7

Der übersteigende Standpunkt Realisierung der Standpunkte Fundamental-christliche Handlungsoption Ökologie ohne Handlungsoption? Ökologie mit Handlungsoption?

KAPITEL XV Alternative Handlungsentwürfe 1 2 3 4 5 6

Einführende Übersicht New Age Bewegung Weltversammlung christlicher Kirchen Projekt Weltethos Plädoyer für offene Zukunft Vergleich der alternativen Handlungsentwürfe

348 352 354 357 361

371 372 372 378 384 390 405

PHILOSOPHISCHES GLOSSAR

407

BIOLOGISCHES GLOSSAR

411

COMPUTER- UND INTERNETGLOSSAR

415

BIBLIOGRAFIE

421

BILDANHANG

431

NAMENREGISTER

435

SACHREGISTER

441

EINFÜHRUNG

Weltbild und Krise – Naturwissenschaft, Technik und Theologie

»Was ist das – ein Weltbild? Offenbar ein Bild von der Welt. Aber was heißt hier Welt? Was meint das Bild? Welt steht hier als Benennung des Seienden im Ganzen. Der Name ist nicht eingeschränkt auf den Kosmos, die Natur. Zur Welt gehört auch die Geschichte. … In dieser Beziehung ist mitgemeint der Weltgrund, gleichviel wie seine Beziehung zur Welt gedacht wird. … Bei dem Wort Bild denkt man zunächst als das Abbild von etwas. Demnach wäre das Weltbild gleichsam ein Gemälde vom Seienden im Ganzen. Doch das Weltbild besagt mehr. … Weltbild, wesentlich verstanden, meint daher nicht ein Bild von der Welt, sondern die Welt als Bild begriffen. …« Martin Heidegger: Die Zeit des Weltbildes (1938), Vortrag

12

EINFÜHRUNG

Weltbild und Krise Die großen kulturellen und gesellschaftlichen Leistungen in der Geschichte der Menschheit wurden durch ein jeweils gemeinsames Weltbild ermöglicht. Die Weltbilder oder Weltanschauungen in Form von Mythen, Religionen, Philosophien und Ideologien bieten Welterklärung und geben ein System von Grundeinstellungen und Wertungen vor. Sie können dem Menschen Hoffnung und Lebenssinn geben in einer überwiegend als leidhaft erfahrenen Welt. Weltbild bezeichnet die Vorstellung, die sich der Mensch von der ihn umgebenden, sinnlich wahrnehmbaren Welt macht, von ihrem Sein und ihrem Wandel, von ihrer Wirklichkeit und ihrem Schein, von ihrem Grund und ihrer Bestimmung. Das aus dem Griechischen stammende Wort Krise bezeichnete ursprünglich jenen Zeitpunkt in der Entwicklung einer Krankheit, zu dem die Entscheidung zwischen Gesundung und tödlichem Ausgang fällt. Das Wort wurde später allgemeiner verwendet im Sinne von Entscheidungssituation oder Wendepunkt einer gefährlichen Entwicklung. »Krise des Weltbildes« bezeichnet demnach eine äußerst schwierige, ausweglos erscheinende Situation im Bereich der Vorstellung von der Realwelt. Das wäre ein primär philosophisches Problem, wenn nicht die Krise der Vorstellungswelt im vorliegenden Fall mit der Krise der Realwelt korrelieren würde. Der Erhalt der Realwelt verlangt unmittelbare Gegenmaßnahmen, die sich aus einer entsprechend geänderten Vorstellungswelt ableiten. Bei den kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklungen in der Realwelt stehen vielfach unterschiedliche Weltbilder zum Vorteil des Ganzen in fruchtbarem Austausch. Dies gilt aber nur dort, wo gemeinsame Grundüberzeugungen gewahrt werden. Andernfalls droht krisenhafter kultureller und gesellschaftlicher Verfall. Wir sind derzeit Zeuge und Mitverursacher eines drastischen Verfalls, der erstmals den Fortbestand der gesamten Welt in Frage stellt. Gibt es einen Ausweg? Was sollte im Untergang, wenn er denn ansteht, bewahrt werden? Die Erläuterung zum Buchtitel »Ein Auswegweiser« will besagen, dass sich die Krise der Welt unter ökologischen Gesichtspunkten derart zugespitzt hat, dass nur noch ein radikales Umdenken und Umsteuern Rettung verheißt (der »Ausweg«). Der Titel eines vor Jahrzehnten erschienenen vergleichbaren Buches hieß »Wege in der Gefahr« (Weizsäcker 1976), wobei als Gefahr primär ein Atomkrieg zwischen den Großmächten drohte. Heute ist die sich beschleunigende Umweltzerstörung ein Fanal des drohenden Untergangs. Auswegweisung meint die Bewältigung einer

EINFÜHRUNG

13

akuten Gefahrensituation. Das ist bescheidener als Wegweisung zu einer heileren Welt, die es niemals geben wird.

Naturwissenschaft, Technik und Theologie Die Naturwissenschaft und die mit ihr verbundene neuzeitliche Technik haben sich seit Beginn der Neuzeit in einem fast drei Jahrhunderte dauernden Prozess von der Theologie gelöst. Die Theologie umgekehrt hat im selben Zeitraum die Naturwissenschaft und Technik weitgehend ausgeblendet. Mit der Aufspaltung in zwei weithin gegensätzliche Weltbilder hat auf beiden Seiten eine Fehlentwicklung eingesetzt, die in unsinnige Ausschließlichkeitsforderungen mündete. Erst in neuester Zeit besinnt man sich auf Möglichkeiten der Verständigung. Die Zurückführung von Naturwissenschaft, Technik und Theologie auf ein übergeordnetes, von allen Seiten anerkanntes Weltbild kann den aufgetretenen Konflikt entschärfen und neue Wege zur Lösung der Weltprobleme eröffnen. Die Naturwissenschaft bemüht sich um die Erkenntnis der im Bereich der sinnlich wahrnehmbaren Natur herrschenden Gesetzmäßigkeiten. Dem dient die Beobachtung der Vorgänge sowohl in der vom Menschen unbeeinflussten Natur, als auch in vom Menschen strukturierten Experimenten. Erkannte Gesetzmäßigkeiten erlauben die Vorhersage zukünftiger Vorgänge. In den Wissenschaften von der unbelebter Natur, besonders in der Physik, werden die Gesetzmäßigkeiten mathematisch ausgedrückt und erlauben so eine exakte, von den konkreten Inhalten unabhängige, relationale Beschreibung. In den Wissenschaften von der belebten Natur, besonders in der Biologie, spielt die Klassifizierung nach morphologischen Merkmalen eine grundlegende Rolle, ergänzt durch die Zuordnung im Stammbaum der Evolution. Schließlich haben sich in den Wissenschaften von der psychischen Natur des Menschen die Bereiche Psychoanalyse, Verhaltensforschung und Neurophysiologie fest etabliert. In allen Bereichen der Naturwissenschaft wird Objektivierbarkeit der Aussagen angestrebt. Die Technik, die Kunst des Machens (gr. téchnē), bezeichnet in ihrer heutigen Form die Erschließung der Naturstoffe und Naturkräfte im Dienst menschlicher Bedarfsdeckung und Machtausübung. In der nachfolgenden Abhandlung wird unterschieden zwischen der »mechanistischen« Technik, der biologischen Technik und der neuronalen Technik. Die mechanistische Technik umfasst neben den Kraft- und Arbeitsmaschinen, den Kraftfahrzeugen und Flugzeugen auch die chemische und nukleare Verfahrenstechnik. Der Ausdruck »mechanistisch« bezeichnet das hinter der physikalisch begründeten Technik stehende Weltbild, ist also nicht etwa mit nur mecha-