Von der Darstellungsmetaphysik zur Darstellungspragmatik

3.1.1 Voraussetzungen der strukturalistischen Semantik . . . . . . . . . . . 232. 3.1.2 Konsequenzen der antirepräsentationalen Zeichenkonzeption und die Instabilität ...
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ISBN 978-3-89785-778-0

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Tobias Schöttler · Von der Darstellungsmetaphysik zur Darstellungspragmatik

Darstellungen sind allgegenwärtig und spielen in den unterschiedlichsten Kontexten eine bedeutende Rolle, weshalb sie auch Gegenstand verschiedenster wissenschaftlicher Disziplinen sind. Jene Disziplinen beschränken sich jedoch auf bestimmte Darstellungsmedien oder -arten. Eine allgemeine Darstellungstheorie steht bislang noch aus. Die vorliegende Untersuchung will dieses Desiderat mit einem historisch-systematischen Ansatz beheben: Die Adäquatheitsbedingungen für die anvisierte Theorie werden mittels der theoriegeschichtlichen Analyse gewonnen – von den Mimesistheorien der Antike über die Naturnachahmungstheorien der frühen Neuzeit bis zu den neueren Ansätzen in der Sprach-, Bild- und Wissenschaftsphilosophie. Das Gros jener Ansätze betreibt Metaphysik, insofern sie auf eine Letztbegründung der Darstellungspraxis aus sind. Die in diesem Buch entwickelte Darstellungspragmatik ersetzt das Begründungsprogramm durch ein systematisch anspruchsvolles Beschreibungsprogramm und ermöglicht dadurch allererst eine Analyse der Pluralität von Darstellungspraxen und ihrer vielfältigen Funktionen. Damit liefert der pragmatische Ansatz den adäquaten Rahmen für eine allgemeine Darstellungstheorie.

Tobias Schöttler

Von der Darstellungsmetaphysik zur Darstellungspragmatik

Eine historisch-systematische Untersuchung von Platon bis Davidson

10.08.12 10:28

Schöttler · Von der Darstellungsmetaphysik zur Darstellungspragmatik

Tobias Schöttler

Von der Darstellungsmetaphysik zur Darstellungspragmatik Eine historisch-systematische Untersuchung von Platon bis Davidson

mentis MÜNSTER

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort Einbandabbildung: Sandro Botticelli: Die Geburt der Venus (Detail), ca. 1485/86

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Inhaltsverzeichnis

I

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

II

Ontologische Fundierung: Theorien der Mimesis in der Antike . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21

1. 1.1 1.2 1.2.1 1.2.2 1.3 2. 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.2 2.2.1 2.2.2 2.3 3. 3.1 3.2

Platon: Abwertung der Darstellung als Supplement . . . . . Einzigkeit und Vollständigkeit der Welt . . . . . . . . . . . . . Stellvertreterfunktion der Zeichen und Existenzpostulate . Mimetische Darstellung im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . Konstitution der Bedeutung durch die Bezugnahme . . . . . Abwertung der mimetischen Darstellung . . . . . . . . . . . . Aristoteles: Ausmessen der Spielräume innerhalb der ontologischen Fundierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ontologie: Veränderungsprozesse und Handlungen . . . . . Der zyklische Charakter von Veränderungsprozessen . . . . Priorität der Verwirklichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Menschliche Handlungen als Gegenstand der dramatischen Mimesis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konstitution des Darstellungsgehalts durch den Wirklichkeitsbezug der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . Mimetische Darstellung im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . Wirklichkeitsbezug des Mediums . . . . . . . . . . . . . . . . . Beurteilung der mimetischen Darstellung . . . . . . . . . . . . Transformationen der Mimesistheorien . . . . . . . . . . . . . Charakteristika und Grenzen der Mimesistheorien . . . . . . Vermischungen und Auflösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

III Mentalistische Fundierung: Naturnachahmungstheorien in der Aufklärung 1. 1.1 1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.1.4 1.2

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30 31 35 36 37 41

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43 44 45 46

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50

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56 56 59 63 65 65 67

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75

Natur und Kunst – Produktion und Kunstdefinition . . . . . Ontologisches Erbe: Gottscheds Naturnachahmungstheorie Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ›Rollenspiel‹: Charakter- und Affektdarstellung . . . . . . . . ›Fabel‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung und Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . Auflösungstendenzen der ontologischen Fundierung . . . .

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. 88 . 89 . 93 . 97 . 100 . 104 . 105

6

Inhaltsverzeichnis

1.2.1 Die Naturnachahmung als Kommunikationsproblem – Johann Elias Schlegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Die Zersplitterung des Naturbegriffs – Charles Batteux I . . . . . 1.2.3 Die Verwischung der medialen Unterschiede – Charles Batteux II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kunst und Rezeption – Rezeption und Semiotik . . . . . . . . . . 2.1 Fragen und Instrumente der wirkungsästhetischen Perspektive . 2.1.1 Mentalistische Begründungen der Unumgänglichkeit des Wirklichkeitsbezugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Hierarchisierung und Semiotik der Künste . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Ästhetische vs. usuelle Nachahmungen . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Lessings ästhetische Naturnachahmung . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Ontologisch-epistemologische Gründe für die Naturnachahmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Differentiae specificae der ästhetischen Naturnachahmung . . . . 2.2.3 Mediale Unterschiede und die Transzendierung der Darstellung in der Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Von der Nachahmung zur Darstellung – Adäquatheitsbedingungen für eine allgemeine Darstellungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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107 111

. . 116 . . 118 . . 121 . . . .

. 121 . 128 . 137 . 140

. . 142 . . 144 .. ..

151 155

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156

IV Sachen, Subjekte, Systeme: Darstellungstheorien in der Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

165

1. 1.1 1.2 1.3 2.

Sachen: Ähnlichkeitstheoretische Fundierung . . . . . . . . . . Grundgedanken und Probleme der Ähnlichkeitstheorie . . . Präzisierungen und Abschwächungen . . . . . . . . . . . . . . . Strukturerhaltung und Übertragung auf andere Medien . . . . Subjekte und mentalistische Fundierung: Intentionen und mentale Gehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Intentionen und Intentionalität – Searles Sprechakttheorie . . 2.1.1 Searles ›handlungstheoretische‹ Sprechakttheorie: Regeln und Intentionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Searles spätere Sprechakttheorie: Intentionalität . . . . . . . . . 2.2 ›Sprache des Geistes‹ – Fodors Repräsentationstheorie des Geistes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Übertragung des Intentionalismus auf Bilder und Modelle . . 2.4 Zirkularität oder Redundanz als Probleme des Intentionalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. 168 . 170 . 175 . 186

. . . . 192 . . . . 195 .... ....

196 202

. . . . 207 . . . . 214 ....

223

7

Inhaltsverzeichnis

3. 3.1 3.1.1 3.1.2 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.3

V 1. 1.1 1.2 1.3 1.4 2. 3. 3.1 3.2

Systeme: Symbolsystembezogene Fundierung . . . . . . . . . . Strukturalistischer Systemgedanke und differenztheoretische Semantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Voraussetzungen der strukturalistischen Semantik . . . . . . . Konsequenzen der antirepräsentationalen Zeichenkonzeption und die Instabilität des Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Goodmans Symboltheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weisen der Bezugnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kartographie der Symbolsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weltversionen und ihre Richtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . Grenzen der konventionalistischen Perspektive . . . . . . . . . Probleme der Trennung von Konstitution und Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Schluss: Darstellungspragmatik

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228

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231 232

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240 244 246 253 260 267

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268

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271

Probleme der Fundierungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . Zur ontologischen Fundierung: Ähnlichkeit und Strukturisomorphie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur mentalistischen Fundierung: Intentionen und mentale Gehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur systembezogenen Fundierung: Konventionen und Symbolsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Scheitern der Fundierungsbemühungen und mögliche Alternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alternative: Darstellungspragmatik statt Letztbegründung Epistemischer Nutzen einer Darstellungspragmatik . . . . Darstellungstheorien als Beschreibungsinstrumente . . . . Medien und Darstellungsstile . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Literaturverzeichnis

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271

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275

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. 279 . 280 . 285 . 286 . 290

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295

Namensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

325

Meinen Eltern gewidmet

I Einleitung Darstellungen – verstanden als extramentale, medial vermittelte Repräsentationen oder Präsentationen – spielen in nahezu allen Lebensbereichen eine mehr oder weniger große Rolle. Sei es, dass Bücher, Filme, Bilder u. ä. unserer Unterhaltung (und ggf. einigem mehr) dienen; sei es, dass wir vermittels (sprachlicher) Berichte, Fotografien, Filmmaterial oder Computeranimationen zu unserem Wissen über die Welt gelangen; sei es, dass naturwissenschaftliche Theorien mittels Sprachen, Animationen, Modelle usw. vermittelt bzw. dargestellt werden. Die Aufzählung ließe sich beinahe beliebig verlängern. Aber schon durch die wenigen Beispiele sollte klar sein: Darstellungen der unterschiedlichsten Art spielen in den verschiedensten Kontexten eine zentrale Rolle und übernehmen dabei diverse Funktionen – vom bloßen Unterhalten bis hin zur Vermittlung von Tatsachenwissen oder wissenschaftlicher Theoriebildung. Dementsprechend verwundert es nicht, dass derartige Phänomene unter Bezeichnungen wie ›Darstellung‹ oder ›Repräsentation‹ in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen reflektiert und diskutiert werden, z. B. in der Sprachphilosophie und den Sprachwissenschaften, der Bildphilosophie, der Ästhetik, den Medienwissenschaften und auch in der Wissenschaftstheorie, um nur einige prägnante Beispiele zu nennen. Obgleich im angloamerikanischen Sprachraum der Ausdruck ›representation‹ und im französischen der Ausdruck ›représentation‹ üblich ist, werde ich in diesem Buch hauptsächlich den deutschen Ausdruck ›Darstellung‹ verwenden und zwar weil sich der Repräsentationsbegriff anders als ›Darstellung‹ auch auf mentale Vorstellungen sowie auf die politische Stellvertretung bezieht. 1 Damit ist der Ausdruck ›Darstellung‹ keine eineindeutige Übersetzung von ›representation‹ oder ›représentation‹. Flusser beschreibt die Bedeutung des Ausdrucks ›darstellen‹ als »jene Grauzone, in welcher sich die Bedeutungen von ›to represent‹, ›to expose‹ und ›to exhibit‹ überschneiden.« 2 Trotz der Rolle, die Darstellungen in den verschiedenen Bereichen spielen, gibt es bisher keine allgemeine Darstellungstheorie, welche die verschiedenen 1

Vgl. Sandkühler (1999: 1384), der die Bedeutung von ›Darstellung‹ allerdings auf strukturerhaltende Abbildung verengt. Einen knappen Überblick über die Bedeutungsdimensionen von ›Repräsentation‹ liefert Werber (2003: bes. 264–266). Zum Repräsentationsbegriff in der Psychologie und den Kognitionswissenschaften vgl. Scheerer (1992), zur Repräsentation als juristische oder politische Stellvertretung vgl. Haller (1992) und Hofmann (1998), zur Verwendung von ›Repräsentation‹ in der Zeichen- und Erkenntnistheorie vgl. Scholz (1992) sowie zur Zeichentheorie und Sprachphilosophie bes. Meier-Oeser (1992 und 1997). 2 Flusser 1994: 34. Zum Verhältnis von ›Darstellung‹ zu verwandten deutschen und fremdsprachigen Ausdrücken vgl. Schlenstedt 2000: 847.

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I. Einleitung

Darstellungen, die verschiedenen Medien und ihre je eigenen Möglichkeiten und Funktionen untersucht. Freilich gibt es Ansätze zu einer solchen Theorie. Allen voran sind hier sicherlich Nelson Goodmans allgemeine Symboltheorie und einige Ansätze der Semiotik zu nennen. 3 Aber die Diskussionen in den verschiedenen Disziplinen konzentrieren sich doch in der Regel auf bestimmte Arten von Darstellungen – genauer gesagt, auf bestimmte Medien oder auf Darstellungen mit speziellen Funktionen. Trotz der Spezialisierung der verschiedenen Disziplinen auf bestimmte Medien, z. B. sprachliche Darstellungen, bildliche Darstellungen, filmische Darstellungen, Computeranimationen, oder auf bestimmte Darstellungsarten, z. B. die sogenannten Kunstwerke oder wissenschaftliche Modelle, stehen diese speziellen Darstellungstheorien nicht unabhängig nebeneinander. Vielmehr lassen sich wechselseitige Beeinflussungen feststellen. So bedienen sich besonders die Bildphilosophie und die neuere Wissenschaftstheorie immer wieder bei der Sprachphilosophie, vermutlich auch weil letztere die älteste der beteiligten Disziplinen ist. Gerade durch den Transfer von Konzepten aus der einen in die andere Disziplinen ergeben sich parallele Entwicklungen (siehe dazu bes. Teil IV der vorliegenden Arbeit). Die neueren Theoriebildungen sind aber nicht nur durch die wechselseitige Übernahme von Ideen miteinander verbunden. Vielmehr eint sie eine gemeinsame Ausgangsfrage. Diese kann man in loser Anknüpfung an Callender und Cohen als die Konstitutionsfrage bezeichnen, wenngleich die Frage im Rahmen der vorliegenden Arbeit etwas weiter gefasst wird und nicht wie bei Callender und Cohen auf die Frage nach der Konstitution der Bezugnahme verengt werden soll. 4 In der allgemeineren Fassung zielt die Konstitutionsfrage darauf, was eine Darstellung als Darstellung konstituiert. Allgemein gesprochen lautet die Frage: Was ist eine Darstellung oder – in Anspielung auf Goodmans berühmte Formulierung – wann (d. h. unter welchen Bedingungen) ist eine Darstellung? 5 In den verschiedenen Disziplinen nimmt die Frage eine je eigene Gestalt an. Gefragt wird etwa: Was oder wann ist ein Bild? Wann oder warum hat eine sprachliche Äußerung eine Bedeutung? Wann ist ein Objekt ein Modell von etwas? Gemeinsam ist den verschiedenen Varianten der Konstitutionsfrage, dass 3

Vgl. Goodman (1968) und stellvertretend für die Semiotik Eco (1968). Einen neueren Ansatz für eine allgemeine Repräsentationstheorie entwickelt Bartels (2005). Allerdings beansprucht er sowohl medial vermittelte, extramentale Repräsentationen als auch mentale Repräsentationen zu beschreiben, wohingegen in der vorliegenden Arbeit letztere nicht behandelt werden. 4 Als »constitution question« bezeichnen sie in ihrem Aufsatz »There is no special Problem about scientific Representation« die Frage: »what constitutes the representational relation between a model and the world?« (Callender/Cohen 2006: 68) und verengen die Frage damit auf die Frage nach der Konstitution der Bezugnahme. 5 Scholz (1993) bringt die Frage im Anschluss an Goodman mit dem Titel seines Aufsatzes »When is a picture?« pointiert auf den Punkt.

I. Einleitung

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jeweils danach gefragt wird, was den Darstellungsstatus konstituiert. Gesucht wird nach allgemeinen (notwendigen und hinreichenden) Bedingungen dafür, dass ein Gegenstand eine Darstellung von etwas ist. Der Ideenaustausch zwischen den verschiedenen Disziplinen zeigt sich nicht zuletzt daran, dass sie analoge Antworten liefern. Im wesentlichen lassen sich drei konkurrierende Antworten auf die Konstitutionsfrage ausmachen. Die erste Antwort führt die Referenz bzw. den Weltbezug als konstituierende Bedingung an. Etwas ist eine Darstellung, wenn es sich auf etwas anderes bezieht. Die Darstellungsrelation wird dabei in der Regel als Ähnlichkeits- oder als Kausalrelation gedeutet. Beispiele für die referenzsemantische Antwort sind Ähnlichkeitstheorien des Bildes und strukturisomorphistische Ansätze der Modelltheorie, sie gründen den Darstellungscharakter in dem Bezug auf die Welt, also letztlich ontologisch. Die zweite Antwort argumentiert mentalistisch bzw. intentionalistisch. Etwas ist eine Darstellung, wenn sie mentale Gehalte des Darstellungsproduzenten ausdrückt. Der Darstellungscharakter gründet demnach in den Intentionen des Darstellungsproduzenten. Die dritte Antwort setzt auf Symbolsysteme. Etwas ist eine Darstellung, weil es einem Symbolsystem zugehörig ist. Das Symbolsystem kann dabei wie bei Goodman in Analogie zu einem logischen Kalkül oder einem Konstitutionssystem Carnapscher Prägung, wie im Strukturalismus in der Tradition Saussures als ein System differentieller Beziehungen, wie in manchen Spielarten der analytischen Philosophie als System inferentieller Beziehungen oder wie in Spielarten der Sprechakttheorie als System von Regeln gedeutet werden. Gemeinsam ist den symbolsystembezogenen Antworten, dass sie ein System als eine Art ›Hinterwelt‹ der Darstellungspraxis annehmen. Eine Beurteilung der verschiedenen Antworten auf die Konstitutionsfrage ist nur auf der Grundlage eines Darstellungsbegriffs möglich. Nur im Hinblick auf einen solchen Darstellungsbegriff lassen sich Adäquatheitsbedingungen formulieren, anhand derer entschieden werden kann, ob die jeweiligen Antworten eine angemessene Beschreibung von Darstellungen liefern. Das klingt jedoch einfacher, als es ist. Woher soll man den Darstellungsbegriff als Beurteilungsmaßstab bekommen, wenn doch die betreffenden Theorien gerade darauf aus sind, einen solchen überhaupt erst einmal zu gewinnen? Auf den ersten Blick scheinen sich zwei Möglichkeiten anzubieten. Beide machen sich aber eines Erschleichungsfehlers schuldig. Naheliegend scheint die Strategie sich an den Darstellungsphänomenen selber zu orientieren. Diese Strategie setzt aber eine von den Darstellungstheorien unabhängige Identifizierung der Darstellungsphänomene voraus. Selbst wenn man nicht wie Kuhn, Quine, Goodman und andere die Theorie- oder Symbolsystemabhängigkeit der Fakten behaupten wollte, wäre die Annahme der theorieunabhängigen Identifizierung von Darstellungsphänomenen nicht unproblematisch. Abgesehen von einer gewissen Uneinigkeit hinsichtlich der Extension des Darstellungsbegriffs verrät einem ein durch Abgleich mit Darstellungsphänomenen

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I. Einleitung

gewonnener Darstellungsbegriff noch nichts über die Aufgaben bzw. Funktionen, die eine Darstellungstheorie erfüllen sollte. Angenommen, man verfügte über eine Liste aller Darstellungen und stellte fest, dass eine Ähnlichkeitstheorie einen Darstellungsbegriff liefert, dessen Extension alle jene Entitäten umfasst. Selbst dann wüsste man immer noch nichts über die Aufgaben einer Darstellungstheorie. Dass gewöhnlich von einer Darstellungstheorie mehr erwartet wird als die Erklärung des Weltbezugs der Darstellungen, nämlich z. B. eine Erklärung der pragmatischen Zwecke oder Wirkungsfunktionen von Darstellungen, kommt auf der Basis dieses Darstellungsbegriffs nicht in den Blick. Wollte man die Adäquatheit einer Darstellungstheorie anhand des von ihr vorausgesetzten Darstellungsbegriff beurteilen, geriete man in einen Zirkel, insofern sich der Beurteilungsmaßstab ja aus der Theorie selbst ergibt. Begriffe sind kleine Theorien. Abgesehen von der Zirkularität ist der sich bei dieser Strategie einstellende Relativismus nicht wünschenswert: Da die verschiedenen Antworten sich letztlich gerade hinsichtlich des von ihn entwickelten Darstellungsbegriffs unterscheiden, hätten letztendlich alle Recht, obwohl sie sich alle widersprechen. Denn schließlich ist der Darstellungsbegriff durch synchrone Mehrdeutigkeit und diachrone Offenheit charakterisiert. 6 Mehrdeutig ist ein Begriff (im Sinne der Gesamtheit der Verwendungsweisen eines Ausdrucks), wenn verschiedene Verwender ihm (wenigstens partiell) verschiedene Merkmale zuweisen. Die diachrone Offenheit des Darstellungsbegriffs (einschließlich seiner Vorläufer) besteht darin, dass die zugeschriebenen Merkmale historischen Veränderungen unterworfen sind. Die angesprochene synchrone Mehrdeutigkeit lässt sich durch Wittgensteins Familienähnlichkeit beschreiben. Die Konzeption der Familienähnlichkeit beschreibt das Verhältnis zwischen verschiedenen Dingen, die zwar mit demselben Ausdruck (einem generellen Terminus) bezeichnet werden, jedoch kein bestimmtes gemeinsames Merkmal aufweisen. 7 Wittgenstein vergleicht die Elemente einer Klasse mit den Mitgliedern einer Familie. Wie zwischen den Mitgliedern einer Familie bestehen verschiedene Ähnlichkeiten – sie sind verbunden durch »ein kompliziertes Netz von Ähnlichkeiten, die einander übergreifen und kreuzen. Ähnlichkeiten im Großen und Kleinen.« 8 Indessen gibt es keine Eigenschaft, die allen Mitgliedern einer Familie und nur ihnen gemeinsam wäre. Dies verdeutlicht Wittgenstein durch den Vergleich mit einem Faden: »Und die Stärke des Fadens 6

Die folgende Charakterisierung der synchronen Mehrdeutigkeit und der diachronen Offenheit ist an Spree (1995: 37f.) orientiert. 7 Vgl. hierzu und zum folgenden Wittgenstein 1953: § 65ff. 8 Wittgenstein 1953: § 66. – Holenstein (1985: 169ff.) unterscheidet eine enge und eine weitere Interpretation von Familienähnlichkeit. Ich schließe im folgenden an die weitere Interpretation an, wonach es möglich ist, dass die extremen Mitglieder nur noch über Zwischenglieder (durch ihre Familienähnlichkeit zu anderen Mitgliedern) verbunden sind, aber selber kein gemeinsames Merkmal mehr aufweisen.

I. Einleitung

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liegt nicht darin, daß irgend eine Faser durch seine ganze Länge läuft, sondern darin, daß viele Fasern einander übergreifen.« 9 Wenn man ›Darstellung‹ (bzw. ›Repräsentation‹) als Familienähnlichkeitsbegriff beschreibt, ergibt sich, dass das betreffende Wort zwar in seinen einzelnen Verwendungen – innerhalb einer bestimmten Theorie – eine bestimmte Bedeutung hat, aber zu den anderen Verwendungsweisen des Wortes nur in einem Verhältnis der Familienähnlichkeit steht, also die jeweilige Verwendungsweise nur partielle Gleichheiten mit den anderen Verwendungsweisen aufweist. Dementsprechend lassen sich keine signifikanten Gemeinsamkeiten feststellen, die den fraglichen Begriff (als Gesamtheit seiner Verwendungsweisen) eindeutig definieren. Als signifikante Merkmale gelten nur solche, die allen Phänomenen zukommen, die als ›Darstellung‹ bezeichnet werden, und nur diesen Phänomenen zukommen. In einer rein synchronen Perspektive könnte der Darstellungsbegriff dementsprechend auch einfach ›radikal verwirrt‹ 10 erscheinen, insofern der Zusammenhang zwischen den verschiedenen Verwendungsweisen ohne eine Berücksichtigung der historischen Dimension häufig nicht erkennbar ist. Dementsprechend wendet Danto gegen Wittgensteins Familienähnlichkeit ein: Wenn der Familienbegriff dieses Überkreuzen phänotypischer Eigenschaften bezeichnen soll, ist er in einer fast erschreckenden Weise schlecht gewählt, da die Mitglieder einer Familie, ob sie sich nun stark ähnlich oder kaum, gemeinsame genetische Verbindungen haben, die ihre ›Familienähnlichkeit‹ erklären, und jemand ohne diese Verbindungen ist kein Mitglied der Familie, selbst wenn er einem anderen Mitglied gleichen sollte (obwohl eine auffällige Ähnlichkeit ein Beleg dafür sein mag, dass das genetische Kriterium erfüllt ist). 11

Berücksichtigt man die diachrone Dimension, erweist sich der Begriff dagegen als ein semantisches Kontinuum im Sinne Stierles. »Semantisches Kontinuum bedeutet nicht einfach Mehrdeutigkeit des Worts, sondern einen prinzipiell rekonstruierbaren, motivierten Zusammenhang zwischen seinen einzelnen Bedeutungen.« 12 Ein solches Kontinuum miteinander zusammenhängender Bedeutungen ergibt sich aus einem diachronen Prozess, im Zuge dessen neue Bedeutungen dazukommen, während die alten Bedeutungen bleiben (wenngleich sie womöglich modifiziert werden). »Das Wort trägt die Erinnerung an seine vergangenen Bedeutungen an sich […]« 13 In den verschiedenen Verwendungen des jeweiligen Aus-

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Wittgenstein 1953: § 67. Vgl. Gallie 1955–56: 180: »radically confused«. 11 Danto 1981: 98. 12 Stierle 1979: 167. Ein so verstandenes semantisches Kontinuum grenzt Stierle von den Ideen »einander ablösender oder summativ anwachsender Einzelbedeutungen« (ebd.) ab. 13 Stierle 1979: 168. Stierle nimmt sogenannte Bedeutungspotentialitäten an, welche semantische Innovationen ermöglichen. Zu semantischen Innovationen im Allgemeinen vgl. Fritz (1998: Kap. 3) und 10

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I. Einleitung

drucks sind nur einzelne Bedeutungsaspekte relevant, wodurch sich die in der synchronen Betrachtung zu beobachtende Mehrdeutigkeit ergibt. Die diachrone Betrachtung verhilft dazu, das Kontinuum von Bedeutungen durchsichtigzumachen, und erlaubt zudem eine Gewichtung dieser Bedeutungsaspekte. Das betrifft insbesondere die Aufgaben einer Darstellungstheorie, insofern diese von den Vorläufertheorien und ihren je eigenen Voraussetzungen hergeleitet werden. Das soll aber nicht bedeuten, dass alle Aufgaben, mit denen sich bisherige Darstellungstheorien befasst haben, gesammelt werden sollen und als abgeschlossene Aufgabensammlung zusammengestellt werden sollen. Denn erstens unterläuft die diachrone Offenheit des Begriffs eine abgeschlossene Liste. Zweitens schließt die historische Untersuchung die Analyse der Voraussetzung der Aufgaben ein. Sofern jene Voraussetzungen nicht (mehr) geteilt werden, verlieren auch die darauf beruhenden Fragen oder Aufgaben ihre Relevanz. In diesem Sinne verhilft die begriffs- und theoriegeschichtliche Untersuchung zu einer Identifizierung und einer Gewichtung der Aufgaben einer Darstellungstheorie. Die begriffs- und theoriegeschichtliche Analyse bietet damit einen Ausweg aus den Zirkeln, Relativismen und Erklärungslücken, in die sich die Orientierung an den Darstellungsphänomenen selber oder an dem von der jeweiligen Theorie vorausgesetzten Darstellungsbegriff manövriert. Zudem liefert die Analyse der älteren Theorien eine Kontrastfolie zu den aktuellen Theoriebildungen. Dadurch wird eine Perspektive ermöglicht, die dazu verhilft, einige der selbstverständlichen Voraussetzungen der neueren Ansätze zu relativieren. Die historische Untersuchung setzt voraus, dass Darstellungen als Gegenstand theoretischer Reflexion von zweierlei abhängig sind, nämlich einerseits von ihrem Gebrauch als Darstellungen und andererseits von den bisherigen Darstellungstheorien. Darstellungstheorien hängen von ihren ›Vorläufer‹-Theorien ab, insofern diese das Aufgabenprofil einer Darstellungstheorie festlegen. Das soll heißen, Darstellungstheorien sind Antworten auf bestimmte Fragen und diese Fragestellungen wurden in vorherigen Darstellungstheorien entwickelt. Die gesuchten Adäquatheitsbedingungen sind jene Fragen, welche die Entwicklung von Darstellungstheorien leiten und diesen ihr Profil verleihen. Daraus ergibt sich die Perspektive der Untersuchung. Sie zweckt im Wesentlichen darauf ab, die Leitfragen von Darstellungstheorien und ihren Vorläufern herauszuarbeiten. Eine solche Untersuchung vermag beispielsweise die Unvollständigkeit einer reinen Ähnlichkeitstheorie aufzuzeigen. Möglicherweise erfüllt eine Ähnlichkeitstheorie der Darstellung die ihr eigenen Adäquatheitsbedingungen. Aber die Geschichte der Darstellungsreflexionen zeigt, dass auch die Erklärung und Analyse pragmatischer Funktionen einer Darstellung zu den Aufgaben einer solchen Theorie gehört.

zu semantischen Innovationen in der Begriffsgeschichte von ›Darstellung‹ vgl. das Kapitel III.3 der vorliegenden Arbeit.