Vision: Leit-Stern oder Hirngespinst? Wie der Weg zum ... - Boris Grundl

vor, durch sie würde eine innere Flamme entfacht, die die ... bildung, durch ihren Duktus: Man sollte, man müsste ... auch wenn Sie wissen, dass es Ihre ganze.
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Vision: Leit-Stern oder Hirngespinst?

Glückwunsch! Sie haben eine Vision. Geredet wird viel darüber, wirklich eine haben die wenigsten. Wir kennen das Szenario: Um eine Vision zu finden, zieht sich die Führungselite auf ihren Berg Sinai zurück, um den Stein der Weisen zu entdecken. Danach wird diese PseudoVision »top down« in Workshops vermittelt, im Internet veröffentlicht und in Bilderrahmen zur Schau gestellt. Nur wirklich umgesetzt wird sie nicht. Weil aber echte Visionen so schwer zu finden und zu leben sind, gaukeln halbseidene Visionstrainer Leichtgläubigen vor, durch sie würde eine innere Flamme entfacht, die die Welt verändern wird. Sie trichtern anderen ein, dass allein die Kraft einer großen Idee ihnen Siebenmeilenstiefel verleiht, in denen der Weg zum Ziel ein flotter Spaziergang wird.

Ideen – Ziele – Visionen Scharlatane entlarven sich in allen Bereichen, auch in Führung und Weiterbildung, durch ihren Duktus: Man sollte, man müsste, wir bräuchten, Sie könnten ... Eine lauwarme Gehirnwäsche mit dem Shampoo des Konjunktivs. Nach einem solchen Waschgang fühlen sich viele stark wie ein Stier. Sie stürmen los und halten die erste Idee in ihrem Kopf für eine Vision. Sie rennen sich die Hörner ein und verpulvern Unmengen an Energie. Wenn sie dann müde sind, erledigt der Torero den Rest. Was eine Vision ausmacht, können wir von Visionären lernen. Alexander der Große, Leonardo da Vinci, Abraham Lincoln, Marie Curie, Mahatma Gandhi, Peter Drucker, Richard Branson oder der viel zitierte Steve Jobs – Beispiele aus verschiedenen Bereichen, die Bahnbrechendes schaffen

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Haben Sie einen Traum, bei dem jede Zelle Ihres Körpers nach Erfüllung schreit, auch wenn Sie wissen, dass es Ihre ganze Kraft kosten wird, das zu erleben, was Sie derzeit nur vage erahnen? Würden Sie dafür Ihr Herzblut opfern und alles dafür geben? Wissen Sie tief in Ihrem Inneren, dass nichts und niemand Sie aufhalten wird?

und die Welt auf den Kopf stellen wollen. Ihren Visionen widmen sie ihr Leben und manchmal opfern sie es sogar dafür. Aber: Wie viele Menschen kennen Sie, die eine Vision haben? Und wie viele Menschen kennen Sie, die über Visionen reden? Es gilt: Eine Vision lässt sich durch Ergebnisse erkennen. Durch Wirkung. Wünsche entlarven sich durch Absichtserklärungen. Durch Konjunktive. Über Visionen reden ist das eine, ein Visionär sein, etwas anderes.

Schritt für Schritt »Selbst der längste Weg beginnt mit einem Schritt«, heißt es bei Laotse. Wer diesen zum Kalenderspruch mutierten Satz oberflächlich abhakt, macht einen Fehler. Denn er enthält eine tiefe Erkenntnis. Laotse benennt beides: den längsten Weg (Ziel – Überblick) und den Schritt (hier und jetzt – Detail). Er gibt uns eine klare Orientierung. Wisse, wohin dein Weg gehen soll, und schaue vor dir auf den Weg. Da fällt mir die Geschichte der Großmutter ein, die endlich ihren großen Kindheitstraum wahr machen wollte. Sie lief zu Fuß von San Francisco nach New York. Nach dem Erfolgsgeheimnis ihrer Anstrengung befragt, antwortete sie: »Ich habe einfach nur den nächsten Schritt getan.« Ziele können Ihre Schritte beflügeln, aber gehen müssen Sie dennoch Schritt für Schritt. Wer dabei nur den Blick aufs Ziel gerichtet hat, wird im Alltag einfädeln, und wer nur darauf achtet, wie er einen Fuß vor den anderen setzt, weiß nicht, wo er ankommen wird. Der permanente Wechsel zwischen den mentalen Aggregatzuständen »Überblick« und »Detail« ist eine Kunst des Lebens. Im Coaching fällt auf, dass Menschen oft nur in einem der beiden gut sind. Selten beherrscht jemand beide Pole und findet die goldene Mitte.

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ILLUSTRATION: MARVI7 / SHUTTERSTOCK

VON BORIS GRUNDL

Wie der Weg zum Ziel wird

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»Ich werde Indien gewaltlos befreien«

Boris Grundl

durchlief eine Blitzkarriere als Führungskraft und gehört als Führungsexperte und mitreißender Kongressredner zu Europas Trainerelite. Er ist Management-Trainer, Unternehmer, Autor sowie Inhaber der Grundl Leadership Akademie. Boris Grundl perfektionierte die Kunst, sich selbst und andere auf höchstem Niveau zu führen. Er ist ein gefragter Referent und Gastdozent an mehreren Universitäten. Seine Referenzen bestätigen seine Ausnahmestellung unter den Spitzen-Referenten. Keinem wird eine so hohe Authentizität und Tiefgründigkeit bescheinigt. Er redet Klartext, bleibt dabei stets humorvoll und bringt die Dinge präzise auf den Punkt. Boris Grundl ist als prominenter Experte gern gesehener Gast und Protagonist in Fernsehen und Radio (u. a. ARD, ZDF, WDR, MDR, 3sat, SWR, RBB, FFH). In Großvorträgen gibt er Schülern wegweisende Impulse für ein eigenverantwortliches Leben. Boris Grundl ist «der Entwickler» (Harvard Business Manager). Kurze Rede – tiefer Sinn. Seine Grundl Leadership Akademie befähigt Unternehmen, ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden. Aus der Praxis für die Praxis. Die Akademie macht mit der Menschenentwicklung dort weiter, wo die meisten Managementlehren aufhören. Menschen fördern – mit System. Mehr Informationen unter www.borisgrundl.de

Mahatma Gandhis Vision, Indien gewaltlos zu befreien, kam nicht über Nacht. Die selbst erfahrene Unterdrückung transformierte er in die Idee, die uns heute noch inspiriert. Doch auch Gandhi fand sich erst auf dem Weg. Ihm wurde langsam klar, dass er die wirtschaftliche Macht der Besetzer brechen und das Selbstvertrauen der Inder stärken musste. Die Engländer hatten sich das Salzmonopol unter den Nagel gerissen und ließen die Inder ihr eigenes Salz teuer bezahlen. Am 12. März 1930 marschierte Gandhi mit 78 Anhängern los und legte zu Fuß 385 Kilometer ans Arabische Meer zurück. Dort hob er symbolisch einige Körner Salz auf, um gegen die Ausbeutung zu demonstrieren. Tausende folgten ihm, indem sie auf einfache Weise ihr eigenes Salz gewannen. Die Besatzer versuchten, durch Bestrafung der Lage Herr zu werden. Zeitweise waren bis zu 50.000 Menschen in der Haft der Briten, die damit jedoch heillos überfordert waren. Die Macht der Kolonialherren war gebrochen. Gandhi ließ sich von einem Leitstern führen und hatte die Notwendigkeit des Augenblicks präsent. Er lebte mit jedem Atemzug und jeder Faser seines Körpers gewaltlos für das von den Briten befreite Indien. Seine Vision sprang über auf Millionen Inder, die sich ihm anschlossen und ihn auf seinem Weg begleiteten. Richard Branson hat eine Vision: Er will Kunden zu den Sternen bringen. Mit seinem Shuttle möchte er Menschen als Touristen ins Weltall befördern. Wenn Sie und ich die Idee hätten, wäre es barer Unsinn. Aber der Virgin-Boss verfügt über die finanziellen Mittel, das Netzwerk, den Erfindergeist, die Überzeugungsgabe und den unglaublichen Antrieb, das Unmögliche möglich zu machen. Richard Bransons Vision ist ebenfalls ein Ergebnis früherer Erfahrungen. Seine Biografie ist gepflastert mit Siegen und Niederlagen, aber in Summe ist er immer stärker geworden. Doch konnte auch er seine Ideen ohne ein starkes Team im Umfeld niemals umsetzen. Nach dem schweren Unfall, der mich in den Rollstuhl zwang, hatte ich zuerst keine konkrete Vorstellung, wie es weitergehen sollte – aber den brennen-

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den Wunsch, selbstbestimmt zu leben. Als Hartz-4-Empfänger den Leitstern »Freiheit« vor Augen, tat ich Zug um Zug das Notwendige. Als erster Rollstuhlfahrer schloss ich ein Sportstudium ab. Vom Angestellten über Produktmanager und Vertriebsleiter zum Marketing- und Vertriebsdirektor – dann in die Selbstständigkeit als Seminarleiter, Autor, Redner und Inhaber einer Leadership-Akademie: Schnell habe ich gelernt, dass ich zwar das Ziel fixieren, aber auch die Gegenwart beachten muss. Habe ich eine Vision? Viele bejahen diese Frage. Ich bin da sehr vorsichtig. Tatsache ist, dass das innere Bild von Menschenführung als Beruf und Berufung mich leitet. Meine Mission: »Ich bin die Möglichkeit, anderen zu Wachstum, Kraft und Größe zu verhelfen«, schenkt mir Kraft und Orientierung. Doch erst mein Lebenswerk wird zeigen, wie stark meine Ideen wirklich waren. Und ich weiß: Ohne ein starkes Team und ein tragendes Umfeld geht gar nichts.

Echte Visionen – nur von innen oder auch von außen? Wenn wir Visionäre kennenlernen, glauben wir gern, sie seien es allein, die ihre Träume lebendig werden lassen. Es scheint, als würden sie alle Kraft aus sich selbst schöpfen und Kunstwerke aus dem Nichts erschaffen. Diese sogenannte internale Attribution ist für uns Deutsche recht typisch. Ergebnisse werden »dem Macher« zugeordnet. Damit geht eine Überhöhung einher. Umso schlimmer, wenn sie uns dann enttäuschen. Die Akten Hoeneß, zu Guttenberg oder zuletzt Boris Becker unterstreichen das. Andere Nationen sind da nicht so. Bei ihnen erfolgt die Zuschreibung von Erfolgsgründen eher external, also aus den äußeren Umständen. Und welches Denken hilft wohl am meisten? Richtig. Mal wieder die goldene Mitte! Der Erfolg von Uli Hoeneß passt genau in den Kontext Bayern München. Bei Real Madrid wäre so eine Person nur schwer vorstellbar. Angela Merkel passt hervorragend in unsere Zeit in Europa. In Ägypten, Syrien oder Libyen wäre sie hilflos.

Surfer, Brett und Welle Es braucht den Menschen, den Zeitpunkt und das Umfeld – Surfer, Board und

Welle. Wir sollten internal und external bewerten. Visionen sind also immer ein Produkt aus innerer Stärke und passenden äußeren Umständen. Die Biografien von Visionären weisen sie als Persönlichkeiten großer Neugier und Umtriebigkeit aus. Sie bewegen sich in einer Form durch die Welt, die sie Wissen sammeln und plötzlich da sein lässt, wo sich eine Chance ergibt. Dann wird eine plötzliche Transferleistung im Kopf zur Vision. Wie bei Steve Jobs. Er war ein extrem neugieriger Mensch mit vielen Interessen. Er hat sogar einmal einen Kalligrafie-Kurs gemacht. Das hat ihn später die Bedeutung von Fonts und Typografie erkennen lassen, als es vom tristen DOS hin zu Windows ging. Was Windows dann halbherzig machte, vollendete er bei Apple. Nicht zuletzt deshalb sind deren Geräte heute die Werkzeuge der Kreativen. Auch Steve Jobs brauchte für seine Vision das Silicon Valley und die reife Zeit der gigantischen Computerwelle. Ohne das? Keine Vision! Und so entstehen Visionen meist als geniale Ideen in den Köpfen Einzelner, werden aber von vielen gemeinsam in die Realität umgesetzt. Aber für Visionen muss die Zeit reif sein! Zu Beginn des WWW gingen viele Internethändler schnell pleite. Die Menschen hatten noch kein Vertrauen in die neue Welt gefasst. Jeff Bezos, der Amazon-Visionär, hat zur rechten Zeit investiert. Sie erinnern sich? Der Internethandel ist die Welle, Amazon das Surfbrett und Jeff Bezos der Visionär auf dem Board.

Die Bedeutung von innen und außen: das Topfschlagen Die Umsetzung einer Idee gleicht dem »Topfschlagen«: Man ist blind, hat einen Kochlöffel zum Ausprobieren und wird von anderen Kindern durch Zurufe gesteuert. Unter dem Topf ist ein Schatz, die »Vision« verborgen. Manche ignorieren aber, dass sie blind gegenüber dem Weg mit seinen Zwischenzielen sind. Diese Selbstüberschätzung kostet sie den Erfolg. Andere vergessen, ihre Möglichkeiten (den Kochlöffel) wirklich zu nutzen. Bevor sie zuhauen, wollen sie wissen, dass es sich auch lohnt. Viele hören nicht zu, welche Rückmeldungen das Leben und der Austausch mit anderen

ihnen geben. Sie nehmen »heiß« und »kalt« nicht wahr. Und nicht wenigen geht auf dem anstrengenden Weg des Tastens und Hörens der Glaube verloren, dass der Topf mit dem Schatz (Vision) tatsächlich existiert. Auch hier erkennen wir wieder das Zusammenspiel internaler und externaler Attribution: Wir selbst probieren aus und hauen zu (internal). Und im Idealfall hören wir zugleich, was uns an »heiß« oder »kalt« zugerufen wird (external). Wir müssen uns also zugleich auf uns selbst und die Umwelt konzentrieren und dem Äußeren den gleichen Wert zumessen, wie unserem inneren Vermögen.

Agile Schwarmintelligenz Auch in der agilen Produktentwicklung begegnen Ihnen die Pole Ziel (Überblick) und Weg (Detail). In ihr erhöhen Sie die Taktung, in der Sie zum Topfschlagen zusammentreffen. Jeder ist zugleich Hauptperson mit Löffel und Mitspieler. Wenn diese Fusion Hören und Handeln gelingt, geschieht das Wunder, das aus 1 + 1 wirklich 3 wird. Die schnelle Abfolge konstruktiver Treffen lässt Fehler auffallen, lange bevor sie kaum noch zu revidieren sind. Der regelmäßige Kontakt macht viele Transferprozesse untereinander möglich, und die gegenseitige Wertschätzung versetzt alle in kreativen Schwung. Die Chance, auf dem Weg den Edelstein einer genialen Idee zu finden, die das Produkt entscheidend verbessert, erhöht sich drastisch. Durch die permanente Vernetzung und Interaktion der Menschen und ihrer Fähigkeiten arbeitet eine agile Projektgruppe wie ein Gehirn. Dieses Gehirn behält das Ziel fest im Blick und bringt den einzelnen Schritten größte Wertschätzung entgegen. Denn die Schritte sind niemals nur Diener, sondern zugleich Schöpfer des Ziels. Dadurch ist agile Teamarbeit ein wundervolles Mittel, um große Produktideen, bahnbrechende Innovationen und manchmal auch echte Visionen zum Leben zu erwecken. Und wenn Sie keine Vision haben? Trösten Sie sich. Kaum jemand hat eine, obwohl viele darüber reden. Weit im Vorteil sind Sie schon, wenn Sie klare, inspirierende Ziele haben. Das genügt. Denn wie sagte doch Altkanzler Helmut Schmidt so schön: »Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen«.