Uta Maier Amiga und die Suche nach dem Goldenen Turm ...

Amiga und Amante. Der Ruf der Türme. Amigas Entscheidung. Die Stadt der Suchenden. Das Lächeln der Stadt. Die schwarze Vigilia. Amante. Haus 8-14.
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Uta Maier

Amiga und die Suche nach dem Goldenen Turm Kinderbuch freie edition © 2011 AAVAA Verlag UG (haftungsbeschränkt) Quickborner Str. 78 – 80, 13439 Berlin Alle Rechte vorbehalten www.aavaa-verlag.de 1. Auflage 2011 eBooks sind nicht übertragbar! Es verstößt gegen das Urheberrecht, dieses Werk weiterzuverkaufen oder zu verschenken! Umschlaggestaltung: Anna Rolf Illustrationen: Anna Rolf Printed in Germany ISBN 978-3-86254-819-4

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Dieser Roman wurde bewusst so belassen, wie ihn die Autorin geschaffen hat, und spiegelt deren originale Ausdruckskraft und Fantasie wider. Alle Personen und Namen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Für meine Familie In Liebe

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Inhalt Amiga und Amante Der Ruf der Türme Amigas Entscheidung Die Stadt der Suchenden Das Lächeln der Stadt Die schwarze Vigilia Amante Haus 8-14 In der Falle Der Schöpferturm Verlorene Träume Der einzige Weg Wem man Einlass in den Goldenen Turm gewährt An der Pforte des Glücks Amiga aus Mainstream Alles Gold, was glänzt Das Mädchen aus dem Dorf

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KAPITEL EINS Amiga und Amante Als ich Amiga kennenlernte, besaß sie keinen Namen. Für alle war sie einfach immer nur das Mädchen aus dem Dorf. Sie wohnte ein paar Farmen von mir entfernt und hatte ein schönes Zuhause: einen prächtigen Garten, viele Tiere und eine eigene Quelle am Rande ihres Landes. Die wilden Beete mit den exotischsten Blumen in Lavendelblau und Rosenrot waren ihr ganz besonderer Stolz und sie begoss sie täglich mit dem frischen Wasser aus ihrem Bachlauf. Sie hatte Platz für alle Lebewesen unter dem Himmel, und Hasen und Füchse teilten sich ihre Wiesen – verständlicherweise nie zur selben Zeit. „Mein Garten ist wie eine Freundschaft“, erklärte sie mir einmal ernsthaft, „mal ist er ausgefüllt und voller Leben, dann wieder erfährt er Zeiten der Ruhe, in denen man von dem vorhergehenden Reichtum profitieren kann.“ Ob sie tatsächlich genau diese Worte wählte, kann ich nicht beschwören. Heute, da ich älter 6

bin, habe ich einfach versucht, den Sinn ihrer Aussage wiederzugeben. Sie selbst regelte ihr Leben ähnlich, aß im Sommer ihre Früchte und im Winter das eingelagerte Gemüse. Ich glaube, damals, als sie diesen Satz zu mir sagte, nannte ich sie zum ersten Mal Amiga. Erst heimlich, wenn ich an sie dachte, und dann, irgendwann, sagte ich es laut. Zuerst lachte sie, weil es so ungewöhnlich für sie klang, wie ich Amiga aussprach, immerhin wusste sie auch ohne Namen genau, wer sie war, dann aber akzeptierte sie es.

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Amiga war für mich immer ein Rätsel. Es schien, als existierte sie schon immer und wäre trotzdem ohne nennenswerte Vergangenheit, aber natürlich konnte das keinesfalls der Wahrheit entsprechen. Ich habe lange Zeit gebraucht, um das Geheimnis um sie herum zu lösen. Nein, eigentlich hat sie es für mich getan. Und diese Geschichte will ich hier erzählen. Aber da es Amigas Geschichte ist, werde ich mich ab jetzt nur noch im Hintergrund halten und euch erst noch ein wenig mehr über Amiga verraten. Amigas Dorf lag nahe bei der großen Stadt Mainstream. Mainstream war in vielerlei Dingen ungewöhnlich und mysteriös. Man erfuhr nie Genaueres über diese Stadt, Menschen verschwanden hinter den bunten Mauern und kamen nie wieder zurück. Alle gingen daher davon aus, dass das Leben dort unbeschwert und voller Reichtum und Glanz sein musste. Amiga interessierte sich allerdings nie dafür. Sie liebte das Dorf, hatte viele Freunde und lebte in den Tag hinein. Sie selbst ähnelte tatsächlich auch ein wenig der Natur, in der sie zu Hause war. Ihre 8

Haare waren so blond und robust wie das Korn im Hochsommer und ihre Augen waren rund und golden wie der sonnenbeschienene Mond. Ihr bester Freund Amante sagte manchmal, ihre Augen seien wie Sternschnuppen, deren Glanz sich einem plötzlich und unerwartet in der größten Dunkelheit offenbarte, dass sie selbst das Lichtermeer der nahen Stadt überstrahlten. Natürlich sagte er das nur, wenn sie alleine waren, denn die anderen Jungen hätten ihn sonst sicher ausgelacht. Und jedes Mal schenkte ihm Amiga dafür die Samen ihrer schönsten Malven. „Diese hier sind nur einjährig“, erklärte sie ihm dann, „du musst mir das schon jedes Jahr aufs Neue erzählen.“ Und dabei lachte sie ihn an, denn sie beide wussten, dass sich Malven wie Unkraut vermehrten. Doch Amante streute jeden Samen treu zu dem Malvenmeer in seinem Garten. Und er mochte alle Abkömmlinge seiner Sternschnuppen-Blumen, wie er sie heimlich nannte. Wenn Amante und Amiga nicht in ihren Gärten arbeiteten oder mit ihren Pflanzen sprachen, tollten sie beim Verstecken spielen in den Maisfel9

dern herum oder streiften abenteuerlustig durch die Felder. Mehr als einmal hatten sie dabei auch verletzte oder verwaiste Tiere gefunden, meist kleine Vogeljunge oder Igel, die Amiga jedes Mal mitnahm und in ihrem Reich gesund pflegte. In der Regel blieben die Tiere dann zeitlebens in ihrer Nähe. Starb eines, weil es alt oder krank war, begrub sie es in ihrem Garten – und in ihrem Herzen, was wichtiger war, denn sie hatte gelernt, dass Tränen heilen konnten und dass Trauer zum Leben gehörte wie die Freude oder die Luft, die sie atmete. Dieses Wissen hatte sie zwar nie vor dem Schmerz des Abschiedes beschützt, aber sie wusste auch, dass das Leben Abschiede brauchte, um Neues wachsen zu lassen. So wie es auch in ihrem Garten war. Amante und sie spielten auch viel mit den Kindern der Nachbarfarmen. Eines ihrer Lieblingsspiele war Jagen über Stock und Stein – ohne Haus. Amiga gewann nicht oft, vor allem nicht gegen Amante, denn er war mindestens zehn Zentimeter größer als sie und konnte viel schneller rennen – aber das war ihr egal. Wenn sie Amante nur ansah, wurde ihr Herz so leicht wie 10

im Frühling, wenn sie die ersten Schneeglöckchen in ihrem Garten entdeckte. Seine Augen und Haare waren blauschwarz – wie die Tinte mit der sie schrieb. Und manchmal schrieb sie, wenn er nicht da war, nur wegen der Farbe, nur um ihm nahe zu sein. Wie sie besaß auch Amante weder Eltern noch Geschwister. Er hatte längere Zeit bei einer älteren Tante gelebt, doch diese war vor ein paar Monaten nach Mainstream gezogen, um „ihr Lebensglück zu suchen“, wie es Amante wörtlich zitiert hatte. „Wie töricht!“, hatte Amiga gespottet, „wo wir doch hier alles haben! Ich verstehe diese Menschen nicht.“ In Wirklichkeit war ihr Spott nur vorgetäuscht gewesen, denn die Angst, dass Amante ebenfalls gehen könnte, war in ihr beinahe übermächtig geworden. Doch er hatte sich geweigert und stattdessen seiner Tante versprochen, auf den Hof aufzupassen. Amigas Herz war vor Erleichterung fast zersprungen. Amante zu verlieren und ihn in ihrem Herzen begraben zu müssen, schien unmöglich, nicht zu bewältigen. Sie hatte diesen schrecklichen Gedanken so schnell es ging verdrängt und 11

hoffte seither, dass diese Angst nicht so fruchtbar in ihr keimte wie das Saatgut tief unter der Erde ihrer Beete. Aber Amante verlor nie ein Wort über seine Tante oder Mainstream, und so verblasste Amigas Angst von Tag zu Tag. Amante und Amiga verbrachten die darauf folgenden Wochen wie gewöhnlich, doch wurde in den nächsten Monaten vieles anders. Immer mehr Menschen machten sich plötzlich in Richtung Mainstream auf. Erst gingen die Bauern, dann die Lehrer, die Verkäufer und Ladenbesitzer folgten. Die Familien mit ihren Kindern gingen zuletzt. Und irgendwann am Ende des Sommers war der Ort beinah menschenleer. Amante und Amiga waren die Einzigen, die noch in ihrem Dorf lebten. „Ich werde nicht gehen“, betonte Amiga häufig und wagte dabei einen kurzen Blick auf Amante. „Ich auch nicht“, antwortete er dann und sah ihr dabei lange und tief in die Augen. So tief, dass sie hinter dem blauschwarzen See bis auf den Grund seiner Seele sehen konnte. Sie nannten es nicht Augenblicke, sondern Seelenblicke. 12

Augenblicke waren kurz und flüchtig, für eine Lüge wie geschaffen. Seelenblicke waren ehrlich und linderten Amigas Zweifel in diesem Moment wie Balsam. Und beruhigten sie. Genauso wie die Tatsache, dass sie ihr Leben im gleichen Rhythmus fortführten. Amante kam weiterhin jeden Morgen, um sie zu ihrer Sonnenaufgangswanderung abzuholen. Dafür kletterten sie hoch in das nahe Gebirge. Der Weg war steinig und steil, und sie mussten zwischendurch immer mal wieder eine Rast einlegen, um den nächsten Aufstieg zu meistern. Doch wenn sie es dann geschafft hatten und in das rotgoldene Licht am Himmel sahen, fühlten sie sich wie Könige einer Welt, die sich nur ihnen offenbarte und die ihnen ganz allein gehörte. Amiga hätte schwören können, ein Stück des Himmels auf Erden gefunden zu haben. Und sie wäre glücklich gewesen, wenn nicht all ihre anderen Freunde fortgegangen wären und Mainstream nicht von Tag zu Tag größer und bedrohlicher würde. Die Ausbreitung der Stadt machte ihr große Sorge, denn es hatte den Platz der aufgehenden Sonne im Osten fast vereinnahmt, und 13

sie mussten fast wöchentlich ein wenig höher und ein Stück mehr nach Süden steigen, um das Naturschauspiel überhaupt noch beobachten zu können. Sie brauchten immer längere Pausen, und bald mussten sie sogar früher loslaufen, wollten sie die Sonne rechtzeitig abpassen. Keuchend, die Arme auf die Oberschenkel gestützt, standen sie dann nebeneinander, starrten in die Weite des Horizontes und überlegten sich beide insgeheim, ob diese Schinderei sich wirklich noch lohnte. Amiga hätte es für sich bejahen können, aber bei Amante war sie sich nicht mehr sicher. Und immer öfter erwischte sie ihn dabei, wie sein Blick in Richtung Mainstream und nicht mehr in Richtung der Sonne ging. Dabei runzelte er seine gerade Stirn und schüttelte traurig den Kopf. „Eigentlich ist es eine schöne Stadt“, sagte er eines Tages. Amiga glaubte erst, sie hätte sich verhört. Als er dann aber länger nichts mehr sagte, antwortete sie ihm. „Eigentlich ja! Trotzdem bleibe ich hier. Nie kam einer zurück.“ 14

„Ob sie tatsächlich alle ihr Glück dort gefunden haben?“ Amiga sah auf die sonnenvergoldete Silhouette der Stadt. Mainstream besaß Türme so hoch wie der Himmel. Ihre Oberflächen mussten makellos glatt sein, denn das Licht brach sich an ihnen zu kleinen Regenbogen, die metallisch flackerten und alle Türme miteinander verbanden. Die ganze Stadt bestand nur aus hohen Gebäuden, aus Toren in extremer Höhe, aus Verbindungen, die scheinbar durch die Luft schwebten wie Brücken, je nachdem, wo sie gerade gebraucht wurden. Selbst von hier, von dem hohen Berg aus, konnte man die bunte Magie von Mainstream sehen. Es war keine graue Betonstadt, es war ein Wunderwerk – eine Stadt ohne Begrenzungen. Und Amiga war aufgefallen, dass Mainstream nun nicht mehr nur im Osten und Norden lag, sondern sich kreisförmig um das kleine Land erstreckte, beinah wie ein schillernder Ring, der sich um den gesamten Horizont gelegt hatte, ja vielleicht sogar der Horizont war. Dieser Gedanke machte ihr Angst, denn dann gäbe es nichts

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