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vom Kurator Liebengast eine wildfremde Elsäs- serin bei sich einquartierte, von der man nichts, aber auch gar nichts wusste. Wir waren suspekt, wir zwei.
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Elke Marion WeiSS

Triangel

M É NA G E À T ROI S

Emily, eine Malerin Ende dreißig, lebt zusammen mit ihrer gleichaltrigen, gerade verwitweten elsässischen Freundin Josette in einem südbadischen Dorf. Die beiden gegensätzlichen Frauen sind arm wie Kirchenmäuse. Also muss Geld her, und der skrupellosen Emily ist, im Gegensatz zu der hochmoralischen Josette, jedes Mittel recht. Durch einen Zufall lernen die beiden einen gewissen Felix Fraunfelder kennen, Vorstandsvorsitzender eines Öl-Multis, der durch eine ergaunerte Millionenprovision in die Schlagzeilen geraten war: für Emily eine willkommene Geldquelle. Als herauskommt, dass Fraunfelder flüchtig ist und per Haftbefehl gesucht wird, kommt Emily auf die Idee, ihm Unterschlupf zu gewähren – natürlich gegen angemessene Entlohnung. Doch das Vorhaben gestaltet sich schwierig und als alles aufzufliegen droht, geschieht Unglaubliches …

Elke Marion Weiß stammt aus Bad Wildbad im Schwarzwald und lebt seit über 30 Jahren in Bremen. Sie ist promovierte Literaturwissenschaftlerin und arbeitete lange als Dozentin an der dortigen Universität. Ihre Monographie „John Irving und die Kunst des Fabulierens“ erschien 2002 im Peter Lang Verlag. Seit 2001 ist sie schriftstellerisch tätig, schreibt Prosa und Lyrik und veröffentlicht in Zeitschriften und Anthologien. Sie ist Mitglied des Bremer Literaturkontors sowie des virtuellen Literaturhauses Bremen.

Elke Marion WeiSS

Triangel

Original

Kriminalroman

Personen und Handlung sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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© 2012 – Gmeiner-Verlag GmbH Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch Telefon 0 75 75/20 95-0 [email protected] Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2012 Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt Herstellung: Julia Franze Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart unter Verwendung eines Fotos von: © Eric Isselée – Fotolia.com Druck: Bercker Graphischer Betrieb GmbH & Co. KG, Kevelaer Printed in Germany ISBN 978-3-8392-3823-3

Für Walter wo immer Du auch bist

K a p i te l 1 : R u h e i n F r i e d e n Ich hab Josette auf dem Friedhof kennengelernt, vor gut anderthalb Jahren. Vor einem Jahr und acht Monaten, um genau zu sein. Brütend heiß ist es gewesen, viel zu heiß für September, so heiß, dass man es nur im Schatten aushalten konnte. Unter den riesigen Kastanienbäumen neben der Friedhofskapelle, zum Beispiel. Ich war mal wieder im Elsass unterwegs, um zu malen. Dabei ging’s mir nicht um die Postkartenörtchen hier an der ›route du vin‹, in denen sich die Touristen auf den Füßen stehen. ›Sind die süüüß! Diese Häuschen! Diese Giebelchen! Dieses Fachwerk! Und die Störche. Siehst du die Störche? Ist das nicht malerisch?‹ Natürlich ist das malerisch, aber wie gesagt, darum ging’s mir diesmal nicht. Das war in meiner naiven Periode dran gewesen. ›Spielzeugbunter Blick auf Riquewihr‹. ›Pfifferdai in Ribeauvillé‹. ›Weinlese in Éguisheim‹. ›Kaysersberg: Tanz um den Maienbaum‹, das Ganze als Serie, nummeriert. Aber das war schon ewig her. Klar. Welcher Idiot malt heute schon noch naiv? Jetzt ging’s mir um was anderes, jetzt ging’s mir um Friedhofsansichten. Die Idee war mir bei Papas Beerdigung gekommen. Na und? Warum nicht? Tja, Friedhöfe. Ich hab’s schon immer mit Friedhöfen gehabt, schon als Kind. Mein erster Friedhof 7

war der hinter der Volksschule gewesen, der mit den vielen Schnecken. Stundenlang konnte ich zusehen, wie sie über die Gräber krochen und ihren Schleim hinter sich herzogen, bis er in der Sonne verklebte. Aber irgendwann wurde das natürlich langweilig, nur gucken. Sammeln war besser, auf jeden Fall. Nicht etwa, weil wir zu Hause Schnecken gegessen hätten, so französisch war unser Küchenzettel damals noch nicht. Nein, ich wollte sie einfach nur, na ja, sammeln. Weil sie so witzig aussahen mit ihren geschulterten Häuschen. Also packte ich sie in Mamas Kosmetikkoffer, den ich mir extra ausgeborgt hatte, und nahm sie mit nach Haus. Und dann? Dann wurde es schon schwieriger. Schließlich konnte ich sie ja nicht pressen, wie die Blumen, die wir für die Wiedehopf sammeln mussten, fürs Herbarium. (Eigentlich hieß sie Wiedemann, Erna Wiedemann, aber wir nannten sie nie so.) Ich konnte meine Schnecken aber auch nicht aufspießen und in Glaskästchen hängen, wie die Schmetterlinge von Klaras Großvater. Also stellte ich die Tasche erst mal wieder in Mamas Kleiderschrank zurück. Erst mal. ›Iiiiiii, pfui! Iiiiii, pfui!‹ Mamas Ekel gellte durch die Wohnung. ›Komm du mal her. Komm du mal her, aber sofort.‹ Oh je. Der Gestank, der aus dem Kleiderschrank rollte, der wie eine Lawine über uns rollte, der war schlimmer, als wenn Frankie und Fritz, meine unsäglichen Vettern, ihr Wettfurzen im Fahrstuhl veranstalteten. Viel schlimmer. Er war 8

bestialisch, der Gestank, richtig bestialisch. Und Bestien waren’s ja auch, die Mama dann fand, als sie endlich den Kosmetikkoffer aufmachte. Bestien, kleine klebrige Bestien. Kleine klebrige tote Bestien. Ich stand mit Riesenaugen daneben. Oh je, oh je, oh jemine. Frag bloß keiner, wie mir zumute war. Die Strafe war nämlich echt fies. Ich musste die Leichen entsorgen. Und das war wirklich kein Pappenstiel für ein Kind von gerade mal sieben Jahren. Mit angehaltenem Atem und spitzen Fingern machte ich mich mit meinen Schnecken auf den langen Marsch zur Mülltonne hinter dem Haus und bestattete sie mitsamt der stinkenden Tasche zwischen Wurstpellen, Konservenbüchsen und Kartoffelschalen. (Damals sortierten wir unseren Müll noch nicht. Keiner tat das, damals.) Auf dem Rückweg war mir schlecht, richtig schlecht, grasgrün übel, und das war ja auch kein Wunder. Ich kann bis heute keine Schnecken essen. Auch nicht mit Knoblauch. Auch nicht in der ›Auberge de l’Ill‹. Also, ich saß auf der einzigen schattigen Bank und zupfte an meinem T-Shirt herum, das wie Leukoplast an der Haut klebte. Am liebsten hätt ich mir’s ja vom Leib gerissen, aber das ging natürlich nicht, so halb nackt auf dem Friedhof, mein Gott. Das wäre ja Grabschändung gewesen, beinahe jedenfalls. Ich schaute über die Gräber mit ihren hitzewelken Blumen. Ganz schön morbide. Hm. Ob das was hergab? Zögernd angelte ich in meiner Kolleg9

mappe nach dem Skizzenblock. Aber weiter kam ich nicht, denn da tauchte neben mir eine junge Frau auf, auch in Schweiß gebadet und ganz offensichtlich in Trauer. Was heißt jung, mir kam sie jung vor, zumindest jünger als ich. (Später sollte sich herausstellen, dass wir gleichaltrig waren.) »Permettez-vous?« Sie plumpste neben mich auf die Bank. Ihr sei ein bisschen schwindelig, sagte sie. Sie sprach Französisch mit diesem leichten Singsang, der hier im Elsass typisch ist. Und den ich so mag. (Dass sie auch fließend Deutsch sprach, sollte sich ebenfalls später herausstellen.) Das sei ja auch kein Wunder, bei der Hitze, meinte ich. Auch auf Französisch. Danke, Mama. Danke, dass du mich so getriezt hast. Dabei hätten wir’s um einiges leichter, wir Grenzgänger hüben und drüben, wenn wir unseren Dialekt mehr pflegen würden. Wenn meine Omama im Dorf herumpalaverte, dann hörte sich das nämlich nicht viel anders an als bei den alten Marktweibern in Colmar mit ihrem Elsässerdütsch. Sie gefiel mir gleich, die hübsche Blonde in ihrer schweißnassen Trauer. Sie sah so mollig weich aus, so richtig zum In-den-Arm-Nehmen. So richtig zum Mögen. Aber sie wirkte mitgenommen, ziemlich mitgenommen sogar, und viel zu blass. Sie sollte kein Schwarz tragen, das stand ihr nicht. Steht ihr immer noch nicht, und das hab ich ihr dann später auch mal gesagt. Ob sie einen Schluck Wasser 10

wolle, fragte ich. Ich hatte immer eine Wasserflasche dabei. So Dünne wie ich müssen aufpassen, dass sie nicht ausmergeln. »Oh, merci. Merci beaucoup.« Sie trank die Flasche fast halb leer. »Aaah.« Langsam atmete sie sich wieder Farbe ins Gesicht. »Dieu merci.« Das sei heute einfach zu viel gewesen, bei der Hitze. Viel zu viel. Vorsichtig forschte ich nach. Ich wollte ja nicht aufdringlich sein, aber auf einem Friedhof kann man schon mal fragen. Ja, manche sind sogar richtig froh, wenn sie reden können, das hab ich schon öfter erlebt. Zuerst zögerte sie, und ich dachte schon, ich hätte sie falsch eingeschätzt, aber dann fing sie doch zu erzählen an. Dass es ihr Mann war, um den sie trauerte. Keine vierzig war er gewesen, der arme Kerl. Ein Autounfall. Das sei ja schrecklich, sagte ich, das tue mir aber leid. Es tat mir wirklich leid. So jung und schon Witwe. Die Ärmste. Sie schaute mich an. Ob ich denn auch in Trauer sei? Nein, um Gottes willen, nein. Wie peinlich. Das hatte ich jetzt davon. Schwarz ist nämlich meine Lieblingsfarbe, das ist so ein Spleen von mir. Nicht nur wegen meiner roten Haare. Nein, so ganz in Schwarz, das ist einfach Bohème für mich. Juliette Greco, die Künstlerkneipen von Paris, die verqualmten Existentialistenkeller der 50er-Jahre. (Nicht, dass das meine Zeit gewesen wäre. Das war entschieden vor meiner Zeit. Und nicht, dass ich besonders viel über den Existentialismus wüsste.) 11

Natürlich erzählte ich ihr dann, warum ich mich hier herumtrieb. Von meiner komischen Vorliebe für Friedhöfe. Von meinem Hang zum ›pompe funèbre‹. Von meiner Malerei. Das alles schien sie zu interessieren. Und offensichtlich fand sie mich auch sympathisch. So sympathisch, dass wir schließlich Friedhof Friedhof sein ließen und noch miteinander einen ›Café au lait‹ im Ort tranken. Schwatzten. Lachten. Telefonnummern austauschten. Uns verabredeten. Um’s kurz zu machen, es war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Wir trafen uns in den folgenden Wochen häufiger, mal in Colmar, mal in Breisach, dann immer öfter in den Kaiserstühler Straußenwirtschaften. Wir mögen nämlich beide den neuen Wein, den Suser, mit frischem Bauernbrot und frischen Walnüssen oder mit Zwiwweleskuchen. Und noch lieber einen schönen Silvaner oder Grauburgunder und dazu bergeweise Wurstsalat, oder einen deftigen Vesperteller mit Leberwurst, Schwarzwurst und Speck. Ja, das mögen wir alle beide, wir sind uns da sehr ähnlich. Logisch, dass wir manchmal einen über den Durst tranken. Logisch, dass Josette immer öfter bei mir übernachtete. Es war Anfang November, als uns die Idee kam, zusammenzuziehen. Zwei Gründe gab’s, zwei gute Gründe. Einmal natürlich, weil die Chemie zwischen uns stimmte, und das tut es immer noch, dann aber auch, weil es billiger war. Wir mussten nämlich beide 12

ziemlich sparen. Das heißt, auch jetzt noch. Und Josette hatte nach der grandiosen Pleite sowieso nur noch ein möbliertes Zimmer, denn die Villa in Kaysersberg war in die Insolvenzmasse gekommen. Stéphane hatte nämlich alles verspekuliert, bevor er mit seinem schnittigen Ferrari gegen die Mauer gedonnert war. Die Versicherung hat bis heute keinen Cent bezahlt, weil sie von Selbstmord ausgeht. Nur gut, dass Josette keine Kinder bekommen konnte, sonst wäre sie jetzt noch viel schlimmer dran. Und ich, ich hab zwar das ererbte väterliche Haus und das ererbte väterliche Konto, aber das war damals schon bedenklich geschrumpft. Also zog Josette mit Sack und Pack bei mir ein. Die WG war perfekt. Für uns perfekt. Aber nicht für die im Dorf. So ist es halt in einem Dorf. Die Leute tratschen. Sie tratschen über alles und jeden. Also auch über uns. Tja. Sie zerrissen sich’s Maul, wieso die Tochter vom Kurator Liebengast eine wildfremde Elsässerin bei sich einquartierte, von der man nichts, aber auch gar nichts wusste. Wir waren suspekt, wir zwei. Ich sowieso schon lange, weil ich immer noch ledig bin, obwohl mein dreißigster schon ewig her ist, und weil ich immer noch keine ordentliche Arbeit habe. Malerin, meine Güte, noi, des isch doch net recht gschafft. Und jetzt war ich auf einmal mit einer Frau zusammen. Mit einer Frau! Noch dazu mit einer Französischen, einer Elsässischen, wahrscheinlich auch so ein faules Luder. Das stank doch zum Himmel. 13

Natürlich versuchten sie, hinter unser ›Geheimnis‹ zu kommen, natürlich versuchten sie es mit scheinheiliger Aushorcherei. Bei mir stießen sie da auf Granit, also probierten sie’s bei Josette. Aber Josette beantwortete die Fragen der taktlos-neugierigen Bäckersfrau genauso wenig wie die der sich vertraulich über die Theke beugenden Metzgersgehilfin. ›Wohned Sie net bei der Emily? Bleibed Sie für länger? Was sait denn Ihr Mann dazu? Oder hend Sie womöglich gar koin Mann?‹ Zu all dem lächelte Josette nur freundlich und verlangte ein Holzofenbrot oder 200 Gramm Schinkenwurst. Zum Glück ist sie keine Klatschbase, sie spricht weder über sich noch über mich. Ja, Gott sei Dank, ich bin nämlich genauso wenig drauf erpicht, zwischen gefrorenem Fisch und Seife im kleinen Supermarkt durchgehechelt zu werden. Aber natürlich hechelten sie uns trotzdem durch. Von vorn bis hinten. Frauen-WG. Emanzen. Lesben. ›Hend mr’s net glei gsait?‹ Den ganzen November über war es hässlich, richtig hässlich, und der Dezember fing genauso übel an. Es regnete in einer Tour. Da jagt man keinen Hund vors Haus. Und freiwillig setzt man sich da auch nicht ins Auto, bloß, um Ausflüge zu machen. Also, ich kapierte wirklich nicht, warum Josette bei diesem Sauwetter jede Woche rüberfahren musste zu Stéphanes Grab. Sicher, er war ein Bild von einem Mann gewesen, das musste ich zugeben, als ich die Fotos sah. So ein George-Clooney-Typ, wirklich 14