Untitled

Ȁh ... ja. Und wie gefällt es dir, den ganzen Tag vor der Kamera zu stehen?« »Gut.« Erlaubte sich Diana einen Scherz mit mir? Oder hoffte sie, dass ich bei ...
2MB Größe 4 Downloads 55 Ansichten
Das Interview Als ich die Tür zu meiner Garderobe aufriss, sprang Rocky fröhlich an meinen Beinen hoch. Ich kraulte ihn zwischen den Ohren. »Guter Hund! Leider können wir heute nicht zusammen rausgehen. Gleich kommt noch eine Nervensäge, die mich interviewen will. Aber Karsten geht später mit dir Gassi.« Ich schlüpfte aus der zerknitterten Kleidung und griff mir das Outfit für die nächste Szene, das wie immer ganz außen an meiner Garderobenstange hing: Jeans und ein weißes Shirt. Da klopfte es auch schon an meiner Tür. Karsten trat ein – die beiden Reporter im Schlepptau. Sein besorgter Gesichtsausdruck verriet mir, dass er genau wusste, in welcher Stimmung ich mich befand. Und meine Laune sank noch weiter, als ich die Kamera entdeckte, die der braungebrannte Typ über der Schulter trug. Verärgert verschränkte ich die Arme vor der Brust. »Eine Kamera ist nicht abgesprochen.« »Bitte Leon, mach keinen Stress!«, bat Karsten mit einem flehenden Unterton. »Du kommst auf die Titelseite. Der Producer hat sein Okay gegeben.« Glaubte Karsten ernsthaft, dass ich auf den Titel der YOUNG LADY wollte? Mit Sicherheit nicht! Und was meinen Chef Uwe Gollaber betraf, so hatte er mir gegenüber keine Filmaufnahmen erwähnt. Also würde ich mich stur stellen und hoffen, dass die Reporterin nicht petzte. »Aber ich nicht. Raus mit der Kamera, oder das Interview ist geplatzt!«

»Ich verschwinde schon.« Der Typ mit der Kamera gab überraschend schnell nach. Im Hinausgehen klopfte er seiner Kollegin auf die Schulter. Die Geste sollte ihr wohl Mut machen, verfehlte aber ihre Wirkung. Die Reporterin starrte mich an. Total verängstigt. Zuerst dachte ich, dass sie sich vor Rocky fürchtete, der kläffend sein Revier verteidigte. Aber ihn würdigte sie keines Blickes. Nein, sie fürchtete sich vor mir. Karsten stellte uns einander vor. »Leon, das ist Merle Blum. Sie kommt vom Teen Magazin YOUNG LADY.« »Ich weiß, woher sie kommt.« Meine laute Stimme ließ sie zusammenzucken. Ihre weit aufgerissenen babyblauen Augen versetzten mir einen Stich. Sie sah so jung und unschuldig aus. Aber dann gewann mein Zorn wieder die Oberhand. Die Chefredakteurin Diana Kuehn musste sich äußerst siegesgewiss fühlen, wenn sie ein solches Mädchen zu mir schickte. Und ein Mädchen war sie. Keine Frau. »Du kannst gehen, Karsten. Rocky, aus!« Rocky hörte endlich auf zu bellen und machte auf mein Handzeichen hin Platz. Karsten sah mich ein letztes Mal flehend an und zog leise die Tür hinter sich zu. Seine wortlose Bitte würde ich nicht erhören. Mit meinen 1,70 Meter hatte ich mich daran gewöhnt, zu den meisten Menschen aufsehen zu müssen. Wenn ich das Kinn entschlossen vorreckte und den Oberkörper anspannte, gelang es mir oft, den Eindruck zu erwecken, dass ich auf jemanden herabsah. Auch wenn das Gegenteil der Fall war.

Die Reporterin war mindestens zehn Zentimeter kleiner als ich. Aber sie trug Stilettos, um größer zu wirken. Vermutlich hatte Diana ihr dazu geraten. Verärgert funkelte ich mein Gegenüber an. »Du hast zehn Minuten. Zwei Minuten extra für Fotos. Und mein Agent liest die Antworten gegen. Alles klar soweit?« Sie nickte wortlos und senkte den Blick. Ein zu null für mich. Dann kramte sie umständlich ein Smartphone und einen Stapel Karteikarten aus ihrer Handtasche. Beinahe hätte ich laut losgeprustet. Karteikarten? Konnte sie sich nicht einmal ein paar Fragen merken? Mit der hier würde ich leichtes Spiel haben. Ihre Augen klebten an der obersten Karte, die sie wie ein Schutzschild vor ihr Gesicht hielt. Bei einem Casting wäre sie an dieser Stelle rausgeflogen. »Zuerst einmal herzlichen Glückwunsch zum zweiten Platz bei unserer Jungstarwahl! Was ist das für ein Gefühl?«, las sie mit leiser Stimme vor. »Als hätte ich den zweiten Platz gemacht.« »Äh ... ja. Und wie gefällt es dir, den ganzen Tag vor der Kamera zu stehen?« »Gut.« Erlaubte sich Diana einen Scherz mit mir? Oder hoffte sie, dass ich bei dieser totalen Anfängerin Mitleid haben und freundlicher sein würde als bei einer toughen Reporterin? Vielleicht wollte sie ihrer Mitarbeiterin auch einfach nur eine Lektion in Sachen Demut erteilen. Ich hatte Dianas Absichten noch nie durchschaut. »Bekommst du viel Fanpost?« Das Zittern in ihrer Stimme verstärkte sich. »Ja, ziemlich viel.«

»Warum hast du die Schule abgebrochen und bei Heartbroken angefangen?« Bei dieser Frage log ich jedes Mal. »Weil mir eine gute Rolle angeboten wurde.« Ich würde so lange einsilbig antworten, bis sie aufgab. Und allmählich musste selbst dieses schüchterne Mädchen mein Spiel durchschauen. »Siehst du dich manchmal selbst im Fernsehen an?« In ihren babyblauen Augen schwammen Tränen. Ja, jetzt hatte sie es begriffen. Ich erkannte aufsteigende Panik in ihrem Blick. Ihre Finger krallten sich so fest um die Karteikarten, dass diese zerknickten. »Kommt vor.« Ich hasste es, mir beim Schauspielern zuzusehen. Aber das würde ich dieser Reporterin bestimmt nicht verraten. Wenn ich so weiter machte, blieb Diana gar nichts anderes übrig, als auf die Veröffentlichung zu verzichten. Gleichzeitig konnte sie sich nicht beim Producer über mich beschweren, denn ich hatte ja alle Fragen beantwortet. Wenn auch etwas knapp. »Wer kümmert sich um deinen Hund, wenn du den ganzen Tag drehst?« Diese Frage hatte mir noch nie jemand gestellt. Unwillkürlich sah ich zu Rocky, der brav neben meinen Füßen saß. Obwohl ich ihn erst vor einem Jahr zu mir geholt hatte, konnte ich mir ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen. Damals war meine Oma gestorben, und niemand aus der Familie wollte ihren Zwergpudel nehmen. Beinahe wäre Rocky im Tierheim gelandet. Aber zum Glück hatte ich es geschafft, den Producer

davon zu überzeugen, dass ich Rocky mit ins Studio bringen durfte. »Rocky hat viele Freunde am Set. Wir machen am Anfang der Woche einen Plan, wer wann mit ihm rausgeht. Und mittags habe ich ja Zeit.« Heute allerdings nicht. Wegen Diana und ihrer Mitarbeiterin würde ich es nicht mehr schaffen. Wieder brach mein Ärger durch. »Es sei denn, ich muss Interviews geben. Nächste Frage!« Die Reporterin schluckte hörbar. Ein schlechtes Zeichen. Was immer sie mich bisher gefragt hatte, war nur nettes Vorgeplänkel gewesen. Gleich würde sie ihr wahres Gesicht zeigen. »Wie fühlt es sich an, vor der Kamera deine Exfreundin zu küssen?« Hatte ich mich verhört? Einen Moment lang glaubte ich, meine wild umherschweifenden Gedanken hätten mir einen Streich gespielt. Aber natürlich nicht. Diese unschuldig wirkende Reporterin hatte mich in falscher Sicherheit gewiegt. Ein geschickter Schachzug von Diana, denn so traf mich die Frage völlig unvorbereitet. »Kein Kommentar. Nächste Frage!« »Tut es noch weh, jeden Tag mit Viktoria zusammen zu arbeiten?«, hauchte die Reporterin kaum hörbar. Und wie! »Nächste Frage.« Zwei Fragen nicht beantwortet. Der Producer würde toben, wenn er davon erfuhr. Ich wünschte, Diana stünde vor mir. Mit ihr käme ich besser klar. Sie konnte ich wenigstens einschätzen. Bei dieser Reporterin hatte ich das Gefühl, vor mit stünde Bambi, um mich mit Giftpfeilen zu beschießen.

»Tröstet dich eine neue Liebe über sie hinweg oder …«, die Reporterin räusperte sich: »… oder bist du noch Single?« Es reichte. Natürlich wusste ich, dass die weiblichen Fans sich diese Frage seit dem Tag stellten, an dem Vicky mich verlassen hatte. Und hunderte Zuschauerinnen hatten mir Liebesbriefe geschrieben und ihren Trost angeboten. Doch so plump von einer Journalistin darauf angesprochen zu werden, war etwas völlig anderes. »Keine Fragen zu meinem Privatleben mehr! Nächste Frage!« Dieses Mal hatte ich sie kalt erwischt. Die Reporterin riss ihre blauen Augen noch weiter auf, und ihre Unterlippe bebte. »Die anderen Fragen sind auch privat.« »Na, dann sind wir ja fertig«, bemerkte ich kaltschnäuzig. »Willst du noch ein Foto machen?« Ich wusste, dass der Producer mir den Kopf abreißen würde, wenn ich das verweigerte. »Ja, bitte.« Ich hatte mit Widerstand gerechnet. Mit Flehen. Aber dieses Mädchen nahm einfach so hin, dass ich unser Interview abbrach und alle entscheidenden Antworten verweigerte. Warum kämpfte die Reporterin nicht? War sie doch so schüchtern, wie sie aussah? Aber wieso stellte sie dann diese knallharten Fragen? Es ärgerte mich, dass ich mir ihretwegen überhaupt Gedanken machte. Mürrisch sah ich ihr dabei zu, wie sie sich neben mich stellte und ihre Smartphone-Kamera auf uns richtete. Auf ihren Heels wirkte sie genauso groß wie

ich. Bevor sie auf den Auslöser drücken konnte, ging ich zur Seite. »Stopp, so nicht! Zieh erst deine Schuhe aus.« »Meine Schuhe?« Sie sah ungläubig auf ihre Füße. »Glaubst du, ich merke nicht, was du mit diesen Dingern bezweckst? Ich mag ja klein sein, aber größer als du bin ich noch allemal.« Plötzlich kehrte meine Wut mit voller Wucht zurück und ich baute mich mit verschränkten Armen vor ihr auf. »Ist es eigentlich ein gutes Gefühl, anderen Menschen diese Fragen zu stellen? Menschen, die keine Lust haben, mit dir zu reden und dazu gezwungen werden?« Sie senkte den Blick und schüttelte unmerklich den Kopf. Eine einzelne Träne löste sich aus ihrem Augenwinkel und floss ihre Wange hinunter. In diesem Moment wirkte sie klein und verloren. Sie erinnerte mich an meine Schwester Lara, als die sich einmal das Knie aufgeschlagen hatte. Ich konnte Mädchen noch nie weinen sehen. Bevor es noch schlimmer wurde, stellte ich mich neben die Reporterin und ließ sie ihr verdammtes Selfie schießen. Sie bedankte sich und ging. An der Tür drehte sie sich noch einmal um. »Es tut mir leid«, sagte sie leise. Ich setzte mich auf meine alte Ledercouch und legte den Kopf in die Hände. Rocky sprang mir auf den Schoß, um gestreichelt zu werden. Gedankenverloren kraulte ich seinen Bauch. Obwohl ich mich endlich an Diana gerächt hatte, fühlte ich mich mies. Es an dieser jungen Reporterin auszulassen, war ein Fehler gewesen. Das merkte ich jetzt.