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»Du vergleichst die außerparlamentarische Opposition, aus der unter anderem Die Grünen hervor gegangen sind, mit der Null-. Bock-Generation? Ist das Dein ...
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Matthias Franz

Aufzeichnungen des HDS ... Grundlage des Verrats Roman

Inhalt VORWORT ......................................................................... 5 EINLEITUNG ........................................................................ 6 1. DIE ERBEN .................................................................... 24 2. DIE SEEGRUNDHISTORIE ................................................. 65 3. WEITSICHT ................................................................... 68 4. DIE KÄUFER .................................................................. 95 5. INTRIGEN ................................................................... 103 6. DER UMBAU ............................................................... 137 7. SPITZELEIEN ................................................................ 142 8. ERSATZHANDLUNGEN................................................... 144 9. DIE SCHATZSUCHE ....................................................... 148 10. DIE QUELLE VERSIEGT ................................................ 154 11. VERÄNDERUNGEN...................................................... 159 12. DAS TAGEBUCH ........................................................ 170 13. NEUE KONTAKTE ....................................................... 172 14. HÄRESIE ................................................................... 182 15. ROTE AUGEN ............................................................ 196 16. DIE NYMPHE ............................................................ 202 17. QUADRIGA............................................................... 225 18. BLINDE PASSAGIERE ................................................... 227 19. EINLAGERUNGEN ....................................................... 234

20. DRAHTZIEHER ........................................................... 237 21. DAS FÜLLHORN ........................................................ 254 22. NEUE PERSPEKTIVEN................................................... 256 23. ZEITENWENDE ........................................................... 264 24. NEUANFANG............................................................. 272 25. ANDERE MÖGLICHKEITEN ........................................... 274 26. VERHANDLUNGEN ..................................................... 287 27. PFANDSTÜCKE .......................................................... 308 28. NEUE GÄSTE ............................................................. 327 29. VERSTECKE ............................................................... 329 30. PIETÄT ..................................................................... 337 31. VOTIVGABEN ............................................................ 340 32. AUSLESE................................................................... 344 33. WIEDERSEHEN........................................................... 346 34. INTEGRITÄT .............................................................. 355 35. DIE RÜCKKEHR.......................................................... 363 36. GRUNDSTÜCKE AM SEE .............................................. 369 Abkürzungen ............................................................... 388 Worterklärungen .......................................................... 389 Impressum ................................................................... 398 Unsere Leseempfehlung ............................................... 400 Unsere Leseempfehlung ............................................... 402

VORWORT

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s handelt sich bei diesem Buch um eine in der heutigen Zeit spielende fiktive Geschichte. Sämtliche Zusammenhänge im Umfeld der beiden Protagonisten und deren Handlungen wurden in den Tatsachenablauf des vergangenen Jahrhunderts eingebettet. Einige politische Ereignisse und Beziehungen zu bekannten Größen der NS-Zeit wurden im Rahmen der Literatur angepasst. Manche dieser Gräueltaten haben so oder so ähnlich stattgefunden, sollen hier aber weder verherrlicht noch verschwiegen werden. Eine aktive und stetige Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist die einzige Möglichkeit, diese zu überwinden und daraus zu lernen sowie die Ereignisse für Menschen als Opfer, Täter und unbeteiligte Nachkommen begreifbar zu machen. Denn gerade der Umgang mit diesen Ereignissen bestimmt das Verhalten unserer Mitmenschen, mancher Gemeinschaften sowie anderer Kulturen. Behandelt man diese Themen als Tabu oder wäre gar bestrebt, diese als ungeschehen zu leugnen, dann würden die Zukunft der Betroffenen und das Verhältnis zu ihnen aussehen, wie heute die Gegenwart, und ein Bewältigen würde sich zunehmend verschlechtern. Sämtliche Namen von Personen außerhalb des Nationalsozialismus wurden frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten sind rein zufällig und wurden nicht beabsichtigt. Verschiedene natürliche Gegebenheiten sowie einige Ortschaften wurden auf der Basis von Bekanntem generiert. Manche Städte und reale Orte wurden im Rahmen der Handlung in die Geschichte integriert.

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EINLEITUNG

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wei Männer in dunkler Kleidung saßen wartend im Auto, in einer unbeleuchteten Seitenstraße vor dem Frankfurter Verlagshaus Heribert & Söhne, und besprachen ihr geplantes Vorhaben. Das Anwesen hatte drei Zugänge, eine Zufahrt und eine Ausfahrt für den Lieferverkehr, die 24 Stunden besetzt und überwacht wurden, und den Personaleingang mit zwei Drehkreuzen, der zusätzlich mit zwei Kameras gesichert war. Da die Verwaltung jedoch im Begriff war, in ein kleineres Gebäude mit Auslagen der neusten Erzeugnisse, in der Innenstadt umzuziehen, wurde dieser Eingang inzwischen kaum noch benutzt. Die beiden installierten Geräte waren zwar immer noch vorhanden, aber der Stecker hing nutzlos seitlich daneben. Des Weiteren befanden sich auf dem Grundstück noch zwei lang gestreckte, mehrstöckige Hallen mit den Druckerpressen und ein fast quadratischer Bau links versetzt, in dem die mehrere Tonnen schweren Papierrollen aufbewahrt wurden. »Oh Mann, hast du dir schon ausgeguckt, wie wir da rein kommen?« »Die leichteste Art ist der Treppenaufgang an der Westseite. Dort führt eine enge Stahltreppe in den ersten Stock. Der Zutritt ist zwar nachts stets durch ein Schneeglöckchen beleuchtet, aber das wird eh nicht lange dauern, bis wir die Tür geknackt haben.« »Was verbirgt sich dahinter?« »Der Pausenraum. In zehn Minuten wird die Nachtschicht eine Viertelstunde oder so Pause machen. Danach bleibt der Raum leer. Das ist die beste Gelegenheit.« »Für wie lange?« »Normalerweise wird der Raum erst wieder zu Beginn des Schichtwechsels in Beschlag genommen. Die Raucher machen ihre Pause nur vor der Halle, nicht in diesem Raum.«

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»Ich schätze die Treppe ist einfach nur zu anstrengend oder kostet zu viel Zeit.« »Vom Pausenraum gelangen wir in das Büro des Schichtleiters. Er hat bereits Zugang zu jedem internen Rechner. Und das Beste ist, er ist so gut wie nie dort. Die Nachtschicht hat keine Anrufe, deshalb ist er fast die ganze Zeit über im Betrieb unterwegs.« Kurz darauf machten sich die beiden Täter auf den Weg, den verwaisten Personaleingang zu überwinden, und warteten im Schatten einer großen Hecke auf das Ende der Pause. Von ihrem Versteck aus konnten die beiden hervorragend beobachten, wann die Lichter des anvisierten Zimmers ausgemacht wurden. Als nach weiteren zehn Minuten sich nichts mehr rührte, schlichen sich die beiden an die Treppe, stiegen diese empor und machten sich an der Tür zu schaffen. Während der eine sich auf den Boden kniete, um das Schloss zu knacken, stand der zweite hinter ihm Schmiere. »Hey, geht das nicht schneller. Wir stehen hier, wie auf dem Präsentierteller. Wenn man uns hier entdeckt, sind wir geliefert, noch ehe wir drin sind.« »Dann lass dir was einfallen, dass es dunkler wird.« Sein Kollege blickte kurz nach oben, schnappte sich seine Taschenlampe aus dem Gürtel und schlug die Glühbirne kurzerhand in kleine Stücke. Der Leuchtenteller wackelte und quietschte, während der Stehende sich zum Geländer drehte und den Kopf einzog. Die Scherben prasselten auf den Türknacker nieder, was ihn empörte und er den zweiten anzischte. »Konntest du nicht einfach die Birne herausdrehen, anstatt dafür zu sorgen, mir das Glas in den Kragen zu schmeißen?« Der Ungestüme blickte ihn betroffen an. Kurz darauf öffnete der andere die Tür, und die beiden schlichen durch das Treppenhaus nach oben. Auf dem Weg dahin zog der Leader den Pullover aus, entfernte die störenden Splitter und schüttelte genervt den Kopf, um nochmals sein Missfallen auszudrücken, während sich der andere mit gesenktem Blick davon machte. Vor der Tür angekommen, gab er seinem Kollegen eine Kopfnuss. » Aua, das macht das Geschehene auch nicht rückgängig.« »Kleine Schläge auf den Hinterkopf erhöhen das Denkvermögen, heißt es.«

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Der Getroffene rieb sich über die schmerzende Stelle, zog die Augenbrauen hoch und presste die Lippen zusammen. Dann traten die beiden in das Zimmer des Schichtleiters, wo sie den Computer nach den erwünschten Daten durchforsteten. Das Büro hatte zwei riesige, große, festverglaste Scheiben zur Halle hin. Sie gingen davon aus, dass sie alle Arbeiter beobachten konnten, ohne selbst hinter den verdunkelten Scheiben gesehen zu werden. Der PC stand direkt davor, sodass ein Vorgesetzter stets sowohl den Bildschirm als auch die Halle vor sich hatte. Kurze Zeit danach erblickte einer der Einbrecher einen alten Wachmann in dunkelblauer Uniform, der durch die Halle streifte. Die beiden hatten schon angefangen, die paar Informationen auf einem Stick zu speichern, als dieser plötzlich stehenblieb und in Richtung der abgedunkelten Scheiben sah. »Bleib dahinten ruhig stehen!«, zischte er seinen Kollegen an. Dieser drehte sich zu ihm um und spähte aus dem Fenster, konnte aber nichts sehen. »Was ist? Kriegen wir Probleme?« »Da unten steht ein Wachmann, der sich vor seiner Pension noch seine nächtlichen Spaziergänge und den Small Talk mit den Arbeitern bezahlen lässt.« »Was macht er?« »Noch ist er nur am Reden, jetzt sieht er zu uns hoch.« »Du hast gesagt, die Scheiben wären von außen verspiegelt oder so.« »Das sind sie auch, aber vielleicht kann er dennoch …« Der Kollege duckte sich, um nicht gesehen zu werden. »… manche Bewegungen wahrnehmen. Du Idiot, das nächste Mal gebe ich dir besser einen Rosskuss, dann würdest du vielleicht eher stehen bleiben.« Daraufhin machte der Wachmann einen Schritt zur Seite, blieb nochmals stehen und kehrte ihnen dann den Rücken zu. Nach wenigen Augenblicken ging hinter ihnen die Tür auf. Blitzschnell trat der zweite Mann, noch ungesehen, dahinter. Der Wachmann blieb stehen und fragte den anderen nach dessen Berechtigung, den Computer zu nutzen, während er das Licht betätigte. Ohne sich umzudrehen, entnahm der Hacker einige Kopien vom Tisch, verstaute diese in einem mitgebrachten Beutel und knipste den

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Bildschirm aus. Anschließend drehte er sich zu einem der Schränke rechts neben ihm, öffnete ihn, entnahm wahllos einen Ordner und öffnete diesen, um den Wachmann zum Eintreten zu bewegen. Dieser zog sofort seinen Schlagstock aus dem Halfter, drohte ihm damit und trat dabei einen Schritt in das Zimmer. Plötzlich prallte die Tür gegen dessen linke Schulter, wodurch der Wachmann ins Straucheln geriet und sich noch versuchte, auf einem niederen Aktenschrank abzustützen. Dann traf der Ellenbogen des zweiten Mannes gegen dessen Schläfe, worauf der Uniformierte augenblicklich zusammenbrach und durch die Wucht das Faxgerät vom Schrank riss, was einigen Lärm verursachte. Der Leader, wie man den Anweisenden eines Duos oder einer Gruppe nennt, beobachtete das Geschehen in der Halle, um festzustellen, ob das Geräusch registriert wurde, was sich aber offenbar nicht bestätigte. Anschließend trat der zweite nochmals mit dem Fuß gegen den Brustkorb des Bediensteten, wobei dieser bewegungslos am Boden liegen blieb. Der Leader drehte sich wieder zum Rechner, um seinen Job zu erledigen. Der Wachmann, der inzwischen wieder das Bewusstsein erlangte, blieb abwartend auf dem Boden liegen und hörte den Einbrechern aufmerksam zu. Ihm war klar, dass er zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Chance hatte. Nach einer Weile packten die beiden Täter ihre Sachen zusammen und ergriffen die Flucht. Kaum waren die beiden zur Tür hinaus, sprang der Wachmann auf und ging ihnen nach, um wenigstens noch einen kurzen Blick auf deren Gesichter erhaschen zu können. Der Leader bemerkte seinen Verfolger und wandte sich noch einmal zu ihm um, da er nur wenige Meter von diesem entfernt war. Der Uniformierte jedoch bemerkte nach wenigen Metern, dass er wohl stärker verletzt war, als es den Anschein hatte, und sank auf dem Podest zu Boden. Als er den Einbrecher auf ihn zustürzen sah, schlug er einige Male mit seinem Stock auf das Stahlrohrgeländer. Im kahlen Treppenhaus dröhnte es, bis wenige Augenblicke später im obersten Stock die Treppentür aufgeschlagen wurde. Sofort machte der Angreifer kehrt und verschwand durch die noch geöffnete Tür zum Pausenraum. Morgens rief Gustav Heribert, der junge Lektor des Frankfurter Verlagshauses einen seiner Autoren, die er betreute, an. Er war

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sehr aufgebracht und offenbar in Sorge, Thomas Mann, einem seiner Schützlinge, könnte etwas zustoßen. »Pack schnell ein paar Sachen zusammen und fahr mit deiner Frau ein paar Tage oder Wochen in Urlaub. Sag keinem, wo du bist, und vor allem nicht, wo du hin willst. Ich gebe dir Nachricht, wenn sich die Aufregung wieder etwas gelegt hat. Melde dich unter dem Namen Karl und dass du mich sprechen willst oder so.« »Was ist passiert, hab ich etwa heute Nacht schlafwandelnd eine Bank überfallen?« »Tu, was ich dir sage. Du hast womöglich nicht viel Zeit, bis die Meute bei dir eintrifft.« Thomas rief seine Frau, die einige Meter neben ihm stand, und wies sie an, den Koffer für einen Urlaub zu packen. Auch sie wartete offensichtlich auf eine Erklärung. »Mach, wir haben nicht viel Zeit!« befahl ihr Thomas energisch, während sein Lektor Gustav einige Details erzählte. »Wir haben gestern Auszüge aus deinem Buch zur Leseprobe in eines unserer Foren eingestellt. Einigen unserer interessierten Leser stellen wir diese zur Verfügung, um eine erste Einschätzung zu erhalten, wie wir die Neuerscheinung im Markt platzieren sollten. Sie bewerten es in der Regel und schreiben einige Notizen dazu, brechen das Lesen nach kurzer Zeit ab oder verlangen nach mehr. Das ist ein ganz normaler Vorgang, das machen viele Verlage so. Unmittelbar danach hat jemand versucht, unser Haus durch Verleumdungen und Hetzreden in Misskredit zu bringen. Etwa gegen zwanzig Uhr fand ein Angriff auf unser Netzwerk statt, von dem wir ausgehen, dass es eine Reaktion auf diese Passagen war und den wir, glaube ich, noch abwehren konnten. Aber im Laufe der Nacht wurden wir definitiv gehackt. Eigentlich sollte dies nicht möglich sein, da wir mit getrennten Systemen arbeiten. Jedenfalls haben wir irgendwo ein Leck, vielleicht durch Zufall, vielleicht durch Leichtsinn, ich weiß es nicht.« »Worauf erhielten diese Zugriff? Auf meine Daten oder was?« »Wir wissen nicht, was sie alles gefunden haben, aber sie waren in jedem Fall auf der Suche nach dem Autor der Leseprobe. Ich schätze, sie wissen inzwischen wer du bist, wo du wohnst und das alles. Sie haben jedenfalls irgendwann einfach aufgehört,

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ohne dass wir ihre Kreise empfindlich stören konnten. Vorhin wurde ich verständigt, dass nachts sogar eingebrochen wurde. Wir gehen davon aus, dass dies dieselben waren oder zumindest die gleichen Ziele verfolgten. Deshalb habe ich dich nun aus dem Bett geworfen. Vom Einbruch habe ich noch keine Einzelheiten. Der zuständige Kommissar wollte bisher noch nichts davon sagen, wer, was oder wie. Habe ich dich geweckt?« »Nein, das hast du nicht. Ich bin häufig um diese Zeit schon wach. Aber der frühe Anruf hat nun auch meine Frau wach gerüttelt, wenn auch nicht aus dem Bett geholt. Wenn jemand um diese Zeit anruft, könnte etwas mit ihrem Vater sein. Ich schätze, diese Entwarnung kann ich ihr geben.« » Das schon, aber versprich mir, dass ihr euch beeilt und in Kürze aufbrecht.« »Ich schätze, wir werden wohl etwa ein bis zwei Stunden brauchen.« »Habt ihr die Möglichkeit mit einem anderen Auto zu fahren, das nicht auf euren Namen gemeldet ist?« »Nein, aber ich sehe zu, dass ich eines organisiert bekomme.« »Dein Buch über die Superdemokraten der heutigen Zeit hat leider nach unserem Geschmack zu schnell eingeschlagen. Hast du eigentlich schon mit einem neuen Buch angefangen?« »Ja, aber das muss zuerst noch ein wenig reifen. Vielleicht kann ich auf der Reise einige Eindrücke dafür sammeln oder stoße auf den einen oder anderen interessanten Charakter, den es lohnt, einzubinden.« » Meinst du?« »Habt ihr in eurem Verlag eine Zeitung, über die ihr mir Informationen über den Stand vermitteln könnt?« »Ja, hätten wir. Aber das wird uns nichts nützen. Außerdem fände ich es sicherer, wenn dich deine Reise weiter als unsere Feder führen würde.« »Geht klar.« Mit diesen Worten verabschiedete sich Thomas von seinem Lektor und legte den Hörer auf. Daraufhin stellte ihn seine Frau zur Rede, was denn nun los sei und weshalb sie wegfahren müssten.

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»Ich habe ein Buch mit dem Titel Die Superdemokraten geschrieben, in dem ich manche Arbeit kritisierte und dass dies heute mehr Publizisten als Vertreter seien, die sich mehr …« »Das ist mir eh zu hoch. Schreib du deine Bücher über was auch immer, das ist nach wie vor nicht meine Welt. Also …, du allwissender Kritiker, wo soll es denn nun hingehen?« Mit dieser Frage wandte sich Thomas nun ab, um ein paar Telefonate zu tätigen und einen anderen fahrbaren Untersatz zu reservieren, den er sich auf Termin in ein entferntes Hotel bereitstellen ließ. Anschließend verabschiedete er sich bei seinen näheren Verwandten für einige Tage und machte sich mit seiner Frau auf die Reise. Ein paar Stunden fuhren sie gemächlich in nordöstlicher Richtung. In der Dämmerung stellten sie ihr Fahrzeug ab und erreichten nach einem kleinen Spaziergang wieder das reservierte Hotel, wo sie die Nacht verbrachten. Ihr Auto, das sie zur Sicherheit in der Tiefgarage abgestellt hatten, überzogen sie einige Zeit nach ihrem Eintreffen mit einer Halbgarage derart, dass man das Kennzeichen nun nicht mehr lesen konnte, ohne die dunkelblaue Plane abzunehmen. Anschließend verließen sie deutschen Boden in Richtung Tschechien, wo sie sich jedoch nur wenige Tage aufhielten und über Bratislava wieder westwärts nach Österreich abdrehten. An einem herrlichen Morgen Ende August war die bekannte Schauspielerin Nathalie von Ludow mit ihrem Agenten Ferdinand Ratzner, beide etwa Mitte fünfzig, in dessen SLK bei offenem Verdeck auf dem Weg vom Flughafen München nach Bootstadt, in der Gegend von Salzburg in Österreich. Sie war mittelgroß, schlank, sportlich gebaut, heller Hauttyp mit der Neigung zu Sommersprossen im Gesicht und vor allem an den Unterarmen. Sie hatte schulterlanges und stark natürlich gewelltes Haar, das sich beim Blondieren rötlich verfärben würde. Er war ebenfalls mittelgroß, leicht rundlich, aber nur im Bereich der Hüfte, bartlos, ehemals blondes, inzwischen mehr graues kurzes Haar, das jedoch am Hinterkopf zu flüchten begann. Er kümmerte sich um ihre Engagements bei Kinofilmen und Fernsehproduktionen, öffentlichen Auftritten in Talkshows oder ausgewählten Kochsendungen sowie um ihre Vermarktung in Werbespots. Seit ihrer

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Scheidung von einem hochdotierten Gefäßchirurgen standen sie sich sehr nahe, waren aber nicht liiert. Als vielbeschäftigte Künstlerin nahm sie seine Dienste gerne in Anspruch, auch um sich chauffieren zu lassen. So konnte sie sich auf ihre Arbeit besser konzentrieren, musste sich nicht um Kleinigkeiten sorgen und konnte ihre ohnehin knappe freie Zeit genießen. Sie war geistreich, witzig, ungebunden und legte nicht viel Wert auf körperliche Nähe. Sie mochte es zwar, umgarnt und mit kleinen Aufmerksamkeiten betüddelt zu werden, aber rein platonisch. Die Betreuung der Schauspielerin war für ihn meist eine willkommene Abwechslung. Er holte sie oft vom Flughafen München ab und brachte sie in ihr Haus zurück, so konnte er ungezwungen geschäftlich mit ihr reden und einen persönlicheren Kontakt als am Telefon halten. »Wie lange bist du jetzt hier?« »Nur für knapp zwei Wochen, danach beginnen die Dreharbeiten für den Dreiteiler in Berlin.« »Für wie lange?« »Der Produzent meint, dass es bis Weihnachten dauern wird, vielleicht werden wir einige Tage im neuen Jahr noch dranhängen müssen. Aber das kommt auf das Wetter für die Außenaufnahmen an.« »Wirst du die ganze Zeit dort sein?« »Ja.« »Im Hotel?« »Zuerst ja, aber ich möchte Susanne Boday anrufen, ob ich bei ihr wohnen kann, das ist praktischer, und ich kann meine Texte hoffentlich in ihrem Garten oder zumindest später in ihrem Wintergarten lernen. Der ist herrlich groß und erstreckt sich über ein weiteres Geschoss. Dort ist es, sobald ein bisschen die Sonne scheint, schön warm. Ich hasse es, wenn ich alleine in einer mir fremden Umgebung in einem tristen Hotelzimmer oder so bin.« »Dann geh doch in einen Park.« »Da sind immer irgendwelche Störenfriede. Weißt du, früher war das so irgendwo immer ruhiger.« »Ja, ja früher, wo ist die gute alte Zeit geblieben?«

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»Nein, ich meine das wirklich. Früher haben sich die Leute in einem Park die Füße vertreten, aber die Menschen waren dabei ruhig, und wenn sie gesprochen haben, waren sie dabei leise. Heute hingegen nimmt doch keiner mehr Rücksicht auf andere. Wobei sich das durch alle Altersklassen zieht. Manchmal sehne ich mich deshalb nach Ostasien. In einigen Kulturen und Gesellschaftskreisen ist es verpönt, in der Öffentlichkeit laut zu werden.« »Manche Dinge sind einfach nicht leise. Junge Leute, die Fußball spielen, oder Eltern, die mit ihrem Nachwuchs herumtollen.« »Ich spreche nicht von den Eltern, die ihre Kinder bei lautem Geschrei auf dem Spielplatz tummeln lassen, das ist deren Refugium, da ist das in Ordnung. Aber auf einer Wiese im Park, wo alte Menschen sitzen und ihre kleine Rente bei ein bisschen Sonne genießen wollen oder Studenten sich auf Klausuren vorbereiten ...« »Oder du deine Texte lernen musst ...« »Ja, genau. Auf der Straße, wo der Lärm vorherrscht, fühlen sich alle gestört, aber dass an so einem Ort sich andere an ihrem Verhalten stören, kommt ihnen nicht mal in den Sinn. Denn als ich mich letztens dort über ihre Lautstärke äußerte und sie rügte, bekam ich zur Antwort: ›Der Park ist groß genug, gehen Sie doch woanders hin oder schließen Sie sich zu Hause in Ihrem Wandschrank ein.‹ So, da hast du es. Und wo bleibt der Respekt vor älteren Leuten? Fehlanzeige auf ganzer Linie.« »Das ist die Revolution der Jugend seit inzwischen mehreren Generationen. Das hat bereits in den Sechzigern begonnen.« »Ja, die achtundsechziger Revolution hat da echt ganze Arbeit geleistet. Damals gab es einfach zu wenige alte Leute, die aufgestanden sind und die Jungen zur Vernunft gebracht haben.« »Sicherlich waren die Demonstrationen gegen den Krieg in Vietnam ...« »Nicht in den USA, hier in Europa, als sich die Studenten gegen jegliche konservative Haltung aufgelehnt haben. Oder später die Null-Bock-Generation, die angefangen hat, alles mit Graffiti zu beschmieren. Es gibt sicherlich Kunstwerke mit Sprühdosen und solche, die als Künstler mit den Materialien arbeiten, die mussten das auch zuerst irgendwie lernen, aber dazu muss man nicht

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FUCK auf S-Bahn-Wagons, an Brücken, auf Stromhäuschen und auf Lärmschutzwände schreiben, oder?« »Du vergleichst die außerparlamentarische Opposition, aus der unter anderem Die Grünen hervor gegangen sind, mit der NullBock-Generation? Ist das Dein Ernst?« »Die Jugend hat seither einfach keinen Respekt vor anderer Leute Eigentum, was sicherlich auf das Aufbrechen starrer gesellschaftlicher Strukturen in jener Zeit zurückzuführen ist.« »Findest du das nicht ein bisschen weit hergeholt?« »Das Untergraben von Bahngleisen als Maßnahme gegen Atommülltransporte ist ein Beschädigen anderer Leute Eigentum, oder? Das Aufbrechen von Absperrungen, das Anketten an Baufahrzeuge? Politischer Ungehorsam, pah! Für mich sieht das aus, als wollen die einstig rebellierenden Jugendlichen von damals ihre trotzigen Eigenheiten nicht ablegen, und suchen einen Begriff, damit sie als Erwachsene nicht als kindlich naiv betitelt werden. Bei den Jugendlichen ist das nicht anders, die sind mit dem Tagtäglichen nicht zufrieden und drücken mit ihrem Beschmieren ihren Unwillen aus.« »Die Jungs müssen halt irgendwohin und sich beschäftigen«, beschwichtigte Ferdinand. »Und was sagst du zu dem da vorne?« Kurz zuvor hatte der Fahrer des vor ihnen fahrenden Wagens seine abgebrannte Zigarette aus dem Fenster geworfen und anschließend die Seitenscheibe wieder geschlossen. »Was soll mit dem sein? Das machen doch alle.« »Oh nein, mein Lieber. Es machen alle, die zu faul sind, ihre Aschenbecher im Wagen zu leeren oder den Geruch von kalter Asche nicht ertragen. Die müssen unbedingt und zu jeder Tageszeit eine quarzen, Nichtraucher einnebeln und sich dann aus dem Staub machen, weil ihre Kleidung sonst riechen würde. Und dann auch noch irgendwelche Pfefferminzdragees einnehmen, weil es ihnen unangenehm ist, auf ihre Fahne angesprochen zu werden. Und zum Schluss, wenn das Päckchen leer ist, fliegt es den Stummeln hinterher …« »… in den allgemeinen und jeder Zeit vorhandenen Müllkorb, wie man die Botanik heute nennt, anstatt den Dreck im eigenen

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