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Sabine Fink

Kainszeichen

BA U S Ü N D EN Mike Hartmann ist als Bauleiter für ein Erlanger Unternehmen in Tschechien tätig. In einer kalten Dezembernacht kommt er mit seinem Auto von der verschneiten Fahrbahn ab und stirbt. Alle glauben an einen tragischen Unfall. Seine Verlobte Chrissy leidet sehr unter dem Verlust, auch wenn die Beziehung der beiden in der Krise steckte. Als sie ein dreiviertel Jahr später zufällig Mikes ehemaligen Chefs Johannes und René Ducros über den Weg läuft, tauchen längst verdrängte Fragen wieder auf. Warum verhielt sich Mike vor dem Unfall so seltsam? Hatte es mit der Baustelle zu tun, auf der er arbeitete? Welche Rolle spielen die beiden Brüder und was weiß Mikes alter Freund Thies darüber? Chrissy hat das Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Ihr Verdacht erhärtet sich, als am nächsten Tag ihre Wohnung brennt und sie nur knapp dem Flammentod entkommt …

Sabine Fink, geboren 1969 in Dortmund, lebte in Köln, Braunschweig und Hongkong. Die gelernte Informatikerin war in der Erwachsenenbildung tätig. Heute unterrichtet sie Kinder und arbeitet als freie Autorin und Lektorin in Mittelfranken. Sie ist Mitglied der „Mörderischen Schwestern“ und des „Syndikats“. Mit „Kainszeichen“ gibt sie ihr Debüt als Romanautorin.

Sabine Fink

Kainszeichen

Original

Kriminalroman

Besuchen Sie uns im Internet: www.gmeiner-verlag.de © 2011 – Gmeiner-Verlag GmbH Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch Telefon 0 75 75/20 95-0 [email protected] Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2011 Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt Herstellung: Julia Franze Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart unter Verwendung eines Fotos von © Florian Hiltmair / Fotolia.com Druck: Fuldaer Verlagsanstalt, Fulda Printed in Germany ISBN 978-3-8392-3725-0

Personen und Handlung sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Montag, 19. Dezember 2005, tschechisches Erzgebirge

Es schneite. Der Matsch auf den Wegen der Baustelle war hart gefroren. Eine dicke weiße Schicht bedeckte die tiefen Furchen, die die Baufahrzeuge hinterlassen hatten. Schnee hing schwer auf den Zweigen der Fichten. Selbst Bagger und Material schienen unter der kalten Decke in einen friedlichen Winterschlaf versunken. Die Fensteröffnungen halbfertiger Gebäude starrten wie düstere Augen in die Dunkelheit. Nur am Container der Bauleitung beleuchtete ein greller Scheinwerfer das markante Firmenlogo – ein großes ›D‹, dessen senkrechter Strich entfernt an eine stilisierte Lilie erinnerte. Die Tür öffnete sich und ein Mann kam heraus. »Fahren Sie vorsichtig, Mike!«, rief eine männliche, akzentbeladene Stimme aus dem Innern. Mike Hartmann hielt inne. Unbehaglich zog er den Kopf ein. Anstelle einer Antwort hob er nur die Hand und setzte seinen Weg fort. Die klirrende Kälte setzte ihm schon nach wenigen Metern zu. Der hochprozentige Becherovka brannte immer noch in seiner Kehle, aber er wärmte kein bisschen. Auch der zwar heiße, aber gräulich schmeckende Kaffee, dem er noch Unmengen an Zucker zugesetzt hatte, hatte 7

nichts genützt. Er hatte höchstens noch schlechter geschmeckt als sonst. Schneeflocken landeten beständig in Mikes Haar, und es tropfte kalt in seinen Kragen. Er blinzelte heftig, um das benebelte Gefühl im Kopf loszuwerden. Es war nur ein einziger Schnaps gewesen, aber er hatte seit dem Morgen nichts mehr gegessen. Sein Magen grummelte verdächtig. Er fühlte sich einfach elend. Während er seine Hände tief in den Jackentaschen vergrub, raschelte es darin. Verstohlen sah er sich um. Niemand war zu sehen, daher beschleunigte er seine Schritte, bis der Weg einen Knick machte. In seiner Tasche befanden sich zwei Gefrierbeutel mit jeweils einer Handvoll Erde. Während er den Weg verließ, nestelte er einen dritten, noch leeren Beutel hervor. Er huschte an einem Rohbau vorbei und dahinter ein paar Meter unter den Bäumen hindurch und hoffte, dass die Spuren im frisch gefallenen Schnee bald von neuen Flocken verdeckt würden. Unter den dichten Zweigen der Fichten, wo wenig Schnee lag, versuchte er mit bloßen Händen und mithilfe seiner Ferse und eines Stockes den harten Boden so gut es ging zu lockern. Endlich konnte er etwas Erde in die Tüte kratzten. Ein Geräusch ließ ihn zusammenfahren. Er lauschte angestrengt, doch alles blieb still. Dann beeilte er sich, zu seinem Auto an der Zufahrtsstraße zu kommen. Schon beim Näherkommen entriegelte er die Türen seines dunkel8

blauen Kombis. Er nahm sich kaum Zeit, sich vom Schnee zu befreien und warf die Tüten auf den Beifahrersitz. Seine Hände fühlten sich an wie Eisklumpen. Erschöpft lehnte er seinen Kopf zurück und schloss für ein paar Sekunden die Augen. Obwohl er erleichtert war, weil er ungehindert gehen konnte, verließ ihn die Anspannung nicht. Er warf einen Blick auf die Uhr am Armaturenbrett. Es war bereits nach acht und die Rückfahrt nach Erlangen dauerte schon bei guten Straßenverhältnissen drei Stunden. »Na klasse«, brummte er, als er registrierte, dass die Windschutzscheibe schon wieder auf dem besten Weg war zuzuschneien. Seufzend startete er den Motor, schaltete die Klimaanlage ein und stellte Heizung und Lüftung auf die höchste Stufe. Ihm war immer noch schrecklich kalt. Er rieb die Handflächen aneinander und hauchte hinein, dann nestelte er mit klammen Fingern sein Handy aus der Brusttasche, platzierte es in der Halterung und drückte eine Kurzwahltaste. Während er wartete, glaubte er, ein paar Meter vom Auto entfernt eine Bewegung zu erkennen. Gleichzeitig ertönte das Besetztzeichen. Er stieß einen missmutigen Laut aus und legte auf. Kritisch sah er aus dem Fenster. Niemand war zu sehen. Bestimmt hatte er sich getäuscht. Aus einem Etui an seinem Gürtel zog er eine kleine Digitalkamera. Sein Blick fiel auf die Tasche mit seinem Lap9

top, die im Fußraum vor dem Beifahrersitz lag. Die verräterischen Dateien darauf sollte er lieber löschen. Einen Teil davon hatte er auch zu Hause und den Rest hatte er zur Sicherheit vorhin auf die Speicherkarte der Digitalkamera übertragen. Dort würde es niemand vermuten. Er zögerte. Nein, es dauerte zu lange, den Laptop hochzufahren. Stattdessen drückte er ein paar Knöpfe an der Kamera und murmelte etwas in das eingebaute Mikro. Als er fertig war und das Handschuhfach öffnete, um die Kamera darin zu deponieren, fiel sein Blick auf einen leeren DIN A4 Umschlag. Hinter der Sonnenblende zog er einen Stift hervor, notierte etwas auf dem Umschlag und stopfte anschließend die Plastiktüten hinein. Nebenbei drückte er noch einmal auf die Wahlwiederholungstaste am Telefon. Er grub in seiner Jackentasche herum, bis er einen Stein erwischte, der in seiner hohlen Hand Platz fand. Er ließ ihn ebenfalls in den Umschlag gleiten. Mit zittrigen Fingern faltete er die Öffnung zu und warf ihn auf den Rücksitz. Zum zweiten Mal ertönte das Besetztzeichen. Genervt schloss Mike die Augen und rieb sich mit Daumen und Zeigefinger heftig über die Nasenwurzel. Es wurde Zeit, dass er fortkam. Seine Finger waren zwar nicht mehr so kalt, doch seine Handflächen fühlten sich seltsam taub an. Während er zum dritten Mal wählte, trommelte er auf dem Lenkrad herum. Wieder hatte er keinen Erfolg. 10

»Leg endlich auf, verdammt«, murmelte er und betätigte den Scheibenwischer. »Wo soll ich dir sonst den Scheiß hinschicken?« Einen Moment lang hatte er das Gefühl, sich im Takt der Wischblätter hin und her zu bewegen. Die Schneeflocken verschwammen vor seinen Augen zu einer wirbelnden Masse. Energisch schüttelte er den Kopf, schnallte sich an und legte einen Gang ein. Beim Anfahren drehten die Räder sofort durch. Er gab weniger Gas und wendete langsam. Die kleine Zufahrtsstraße endete an der Baustelle der zukünftigen Ferienanlage Krušné hory, die dem kleinen tschechischen Heilbad Jáchymov ab dem nächsten Sommer mehr Kurgäste bescheren sollte. Von hier aus führte die schmale Straße knapp zwei Kilometer den Berg hinunter, bevor sie auf die Hauptstraße traf. Im Scheinwerferlicht wirkte die geschlossene Schneedecke auf der Fahrbahn, als sei hier noch nie ein Fahrzeug unterwegs gewesen. Er gähnte laut und rieb sich wieder die Augen. Vielleicht wäre es besser, wie sonst auch, in der Pension unten im Ort zu übernachten, anstatt sich bei diesem Wetter auf den langen Heimweg zu machen. Er warf einen Blick in den Rückspiegel. Immer noch war niemand zu sehen. Aber er hatte ein ungutes Gefühl. Chrissy würde ihm vermutlich den Kopf abreißen, wenn er ihr eröffnete, dass er nicht nach Hause kam. Sie war sehr wütend gewesen, weil er ausge11

rechnet heute nach Tschechien aufgebrochen war. Er hasste sich selbst, weil er sie mit seinem Verhalten in den vergangenen Wochen immer wieder verletzt hatte. Vielleicht konnte er die Wogen etwas glätten, indem er ihr von seiner Idee wegen ihrer Hochzeit erzählte. Er lächelte, als er sich ihr Gesicht vorstellte. Und dann sollte er ihr wenigstens in groben Zügen sagen, was los war. Eigentlich wollte er sie nicht mit hineinziehen, aber nachdem sie heute so explodiert war, war es wohl besser. Am besten rief er sie sofort an. Es fiel ihm sonderbar schwer, sich darauf zu konzentrieren, die richtige Kurzwahltaste zu erwischen und gleichzeitig die Spur zu halten. Endlich ertönte das Freizeichen. Drei Mal, vier Mal, zehn Mal. Niemand meldete sich. »Stures Weib«, knurrte Mike, denn er war sicher, dass sie absichtlich nicht ans Telefon ging, weil sie seine Nummer erkannt hatte. Bis jetzt hatte er die Szene, die sie ihm am Telefon gemacht hatte, für nicht so dramatisch gehalten, aber offensichtlich war es ihr doch ernst. Trennung! Das kam nicht in Frage. Er musste nach Hause. Nachlässig steuerte er den Wagen um eine Kurve. Sein Blick verschwamm und er spürte, wie ihm die Kontrolle über den Kombi zu entgleiten drohte. Krampfhaft riss er die Augen auf. Mit klopfendem Herzen hielt er an. Unmittelbar neben der Straße ging es nun mindestens fünfzehn Meter steil bis 12

zu einem kleinen Fluss hinunter und wegen des Schnees war kaum auszumachen, wo genau die Straße neben ihm endete. Langsam fuhr er weiter. Plötzlich tauchten Lichter im Rückspiegel auf. Offenbar hatten sich die anderen auch auf den Weg gemacht. Sie näherten sich schnell. Ob sie ihn vorhin doch beobachtet hatten? Fröstelnd betätigte Mike die Abblendvorrichtung des Innenspiegels. Seine Augen brannten. Außerdem hatte er immer stärker das Gefühl, dass sich sein Kopf mit Watte füllte. Irgendetwas stimmte nicht. Der andere Wagen hatte ihn erreicht. Er fuhr viel zu dicht auf. Hektisch gab Mike Gas und geriet prompt ins Schlingern. Sofort reduzierte er das Tempo und mahnte sich zur Vorsicht. Seine Finger zitterten, als er die Wahlwiederholungstaste drückte. Während er einen nervösen Blick in den Rückspiegel warf, ertönte das Freizeichen. »Nun geh schon ran, Chrissy!« Er erschrak über seine eigene Stimme. Er lallte, als sei er vollkommen betrunken. Während das Tuten aus dem Lautsprecher für seine Ohren plötzlich unnatürlich laut durch das Auto dröhnte, verschwanden die Lichter des anderen Fahrzeugs aus dem Rückspiegel. Im selben Moment fühlte Mike sich, als hätte jemand auf Zeitlupe geschaltet. Die Lichter tauchten im Seitenspiegel auf. Unendlich langsam hob er einen Arm, um 13

seine Augen abzuschirmen. Er wusste, dass er auf die Bremse treten sollte, doch sein Fuß gehorchte nicht. Das Freizeichen am Telefon war für ihn gegenwärtiger als das Krachen und Splittern um ihn herum. Das Motorengeräusch veränderte sich und die Welt begann sich zu drehen. Ein heftiger Schmerz in seinem linken Bein riss ihn kurzzeitig aus der Lethargie. Er schrie gellend. Dann wurde es schwarz um ihn. Als Mike sich wieder an die Oberfläche seines Bewusstseins gekämpft hatte, hörte er Stimmen. Blinzelnd registrierte er, dass er auf seinem Sitz fest hing, während das Auto auf der rechten Seite lag. Das Plätschern stammte sicher von dem Fluss. Er glaubte, leise Stimmen zu hören. Etwas Warmes lief über sein Gesicht. Wasser oder Schnee müssten eisig sein. Als ein Tropfen in seinen Mund sickerte, erkannte er an dem metallischen Geschmack, dass es Blut war. Warme Feuchtigkeit auch auf seinem Oberkörper. Schmerzen. Dumpf und nicht genau zu lokalisieren. Beklommen fragte er sich, wie schwer er verletzt war. Bald würde er wieder ohnmächtig werden, das spürte er. »On by mě měl poslechnout«, rief ein Mann ganz in der Nähe. 14