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Druck: GGP Media GmbH, Pößneck. Printed in ... Jetzt singt ein junger Tenor, von dem es heißt, man ... jungen Tenor lassen wir jetzt nicht im Stich, auch wenn ...
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Volkmar Braunbehrens

Triadenspiel

Volkmar Braunbehrens

Triadenspiel Kriminalroman

Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag: Lorettoberg (2013)

Besuchen Sie uns im Internet: www.gmeiner-verlag.de © 2017 – Gmeiner-Verlag GmbH Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0 [email protected] Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2017 Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt Herstellung: Mirjam Hecht Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart unter Verwendung eines Fotos von: © ErnstPieber / Fotolia.com Druck: GGP Media GmbH, Pößneck Printed in Germany ISBN 978-3-8392-5295-6

Personen und Handlung sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

1. TEIL

Sonntag, 22. Juni 2014

VORARLBERG – AU Mit einigem Abstand waren die Gäste in den Früh­ stücksraum hereingetröpfelt, hatten sich unaufdring­ lich zugenickt, einige sich auch mit Wangenküsschen begrüßt und dann mit gebotenem Erstaunen über das üppige Angebot die Teller vollgeladen. Alles war selbst­ gemacht oder zumindest im Ort hergestellt: die Marme­ laden, verschiedene Sorten von Bergkäse, sogar ein Zie­ genbrie, Schinken, einige aufgeschnittene Wurstsorten, mehrere Brotsorten, auch gekochte Eier, die in einem wattierten Körbchen warm gehalten wurden. Der Kaf­ fee stand in Thermoskannen bereit, daneben ein großer Krug mit kalter Milch. Von den Bauersleuten war nichts zu sehen, sie hatten wohl kaum die Zeit, den halben Morgen auf ihre ständig wechselnden Gäste zu warten, die meistens ausschlafen wollten. Um diese Uhrzeit hatten sie vermutlich bereits die Kühe gemolken, sie auf die Weide geführt, den Stall ausgemistet, und weil Sonntag war, saßen sie womög­ lich längst in der Kirche, nicht nur der Frömmigkeit halber, sondern auch wegen der alten Landessitte, dass einmal in der Woche fast der ganze Ort zusammenkam 7

und sich über alles austauschte, was zu bereden oder zu betratschen war. Einen langen Tisch gab es, an dem sechs bis acht Per­ sonen Platz haben konnten, und einen kleinen, wo meist nur zwei Leute saßen, gerade recht für Grabowski und seine Freundin Elfi. Und in der Ecke, genau gegen­ über dem bäuerlichen runden Kachelofen, wo früher einmal die Kruzifixecke gewesen sein musste mit den Andachtsbildchen, stand nun auf einer Konsole der Flachbildschirm eines Fernsehers, vor dem sie gestern Abend alle zusammengesessen waren und ein Vorrun­ denspiel der Deutschen von der Fußballweltmeister­ schaft in Brasilien gesehen hatten. Der Morgen begann noch etwas schweigsam, dann allmählich kam etwas Gemurmel auf und erst nach dem Frühstück, nun schon vor dem Haus bei einem ausführlichen Blick aufs Wet­ ter, einem tiefblau strahlenden Himmel, tauschte man sich über die verschiedenen Pläne für den Tag aus. Die Frauen waren bereits auf die Zimmer gegangen, um sich und den kleinen Tourenrucksack zu richten. Die Män­ ner wussten, das würde noch eine Weile dauern, und ließen sich Zeit. Während Grabowski auf die Üntschenspitze vor sich hochschaute, die sich als besonders leichtes Ziel anbot, wurde er plötzlich angesprochen: »Wären Sie einver­ standen, heute Abend ›Tatort‹ zu sehen? Wir schauen das immer an.« Grabowski dachte sofort, was für rücksichtsvolle Leute das doch seien, meist werde man in solchen Situationen gar nicht gefragt. Es konnte aber auch sein, 8

dass er einen gewissen Altersrespekt erfuhr, denn er war mit Ende 50 (und Elfi kaum fünf Jahre jünger) sicher 20 Jahre älter als die Gruppe der anderen Gäste. Gerade deswegen antwortete er, ganz gegen seine Gewohnheit, mehr zuzuhören, als selbst von sich preiszugeben, mit geschwätziger Ausführlichkeit. »Wir sind heute Abend gar nicht da, sind in Schwar­ zenberg bei einem Konzert.« Nach kurzem Innehalten fügte er nämlich hinzu: »Das sollte eigentlich bei der ›Schubertiade‹ ein Liederabend von Anette Dasch wer­ den. Hatten wir uns sehr darauf gefreut, denn das ist eine tolle Sängerin. Aber dann wurde das abgesagt, weil sie gerade vor einem Monat ihr zweites Kind bekommen hat. Das kann man ja verstehen, aber … Als ob man das nicht schon lange vorher gewusst hätte. Und wir hat­ ten die Ferienwoche gerade so gelegt, dass wir das noch mitnehmen konnten, denn morgen müssen wir wieder nach Hause. Na, jedenfalls wurde dann ein Ersatz ange­ boten, obwohl man die Eintrittskarten hätte zurück­ geben können. Jetzt singt ein junger Tenor, von dem es heißt, man habe sein Debüt vorgezogen. Demnach ein kommender Jungstar, dem man eine erste Chance geben wollte.« »Da haben Sie aber Pech gehabt. Oder sogar Glück, wer weiß.« »Und das Tollste ist: Ende Juli singt die Dasch in Bayreuth die Elsa …« »Trotz des Kindes? Stillt sie dann hinter der Bühne?« »Na ja, hoffentlich. Aber wir haben gedacht: Den jungen Tenor lassen wir jetzt nicht im Stich, auch wenn 9

wir ursprünglich etwas ganz anderes erwartet haben. Das ist eine Frage der Fairness. Da gehen wir also hin. Und im Übrigen: ›Tatort‹ schauen wir nie, insofern trifft sich das gut.« Grabowski sah ohnehin wenig im Fernsehen. Die Ausnahme gestern Abend konnte man hinnehmen, obschon es kein berauschender Fußballabend war. Als in der 63. Minute die Ghanaer in Führung gingen, war die sowieso etwas müde Stimmung in der gemütlichen Stube deutlich abgesunken. Denn das 1:2 konnte man nicht anders als gerecht bezeichnen. Zu viele Fehler, mangelnde Ballbeherrschung und auch die Unterle­ genheit in der körperlichen Kondition bestimmten das Spiel der Deutschen und ließen ein Desaster befürchten. Schließlich gab es nur noch ein paar mitleidige Kom­ mentare und gelegentliches Aufstöhnen, wenn wieder ein Ballverlust zu beklagen war. Von einem erregten Mitfiebern konnte keine Rede mehr sein. Vielleicht lag es auch daran, dass sie alle, die hier bei­ sammensaßen, den Tag über in den Bergen gewandert waren bei ungewöhnlich klarem, wolkenlosem Himmel und von der ungewohnten Höhenluft und der inten­ siven Sonnenstrahlung einfach erschöpft waren. Gra­ bowski war es recht so, denn ein aufgeregtes Schreien oder Grölen in den Nachthimmel dieses ruhigen Dörf­ chens im Bregenzer Wald wäre ihm peinlich gewesen, so viel nationalen Überlegenheitswillen konnte er nicht aufbringen, ihm war es im Grunde egal, wer hier den Sieg davontrug. Es war das erste Spiel dieser Weltmeis­ terschaft, das er sich im Fernsehen angesehen hatte, und 10

dies auch nur, weil es eine willkommene Abwechslung an diesen Ferienabenden war. Was konnte man schon tun, wenn man zum Lesen bereits zu müde war, jedoch in keiner Weise gewohnt, so früh zu Bett zu gehen? Da es in den Zimmern dieses kleinen Bauernhofes mit Ferienwohnungen keinen Fernseher gab, nur im Früh­ stücks- und Aufenthaltsraum, musste man sich auch auf die übrigen Gäste und ihre Wünsche einstellen, und die wollten selbstverständlich die Fußballweltmeister­ schaft sehen. Es war eine Wandergruppe von drei Paaren mittleren Alters aus Reutlingen, die für ein verlängertes Wochen­ ende gekommen waren, umgängliche Leute, wie sich zeigte, mit denen man sich über die Bergtouren, frü­ here Erfahrungen und Erlebnisse in den Alpen durchaus austauschen konnte. Im Übrigen hatte auch Elfi darauf bestanden, dieses Spiel anzusehen, die ihn mit solchen Wünschen noch immer überraschen konnte. Wie ernst sie es damit meinte, konnte er nicht einschätzen, denn seines Wissens war sie noch nie zu einem heimischen Fußballspiel gegangen, vermutlich auch deshalb, weil ihr so viele Menschen auf einem Platz Angst machten. Aber bei solch außergewöhnlichen Spielen wie denen einer Weltmeisterschaft wollte sie dabei sein (wenigs­ tens an der Glotze) und hielt auch ganz selbstverständ­ lich zur deutschen Mannschaft. Jetzt endlich war ein Wechsel angezeigt worden. In der 69. Minute kam Klose für Götze, der in den letz­ ten Minuten allzu fahrig und ausgelaugt schien, und wie immer, wenn dieser begabte Tor-Knipser ins Spiel kam, 11

war ein Aufatmen durch die Zuschauer gegangen, ein Erlösungsschauer geradezu, als könne noch einmal das Ruder herumgerissen werden. Auch in der Bauernstube im Bergdorf war mit einem Male wieder volle Aufmerk­ samkeit, erst recht aber hatte die deutsche Mannschaft auf dem Spielfeld in Brasilien dieses Signal verstanden. Klose pflegte unauffällig hereinzuhuschen, sobald er vom ausgewechselten Spieler abgeklatscht worden war. Man konnte im ersten Moment gar nicht sehen, wel­ che Position er einnahm, zu schnell wechselte er von vorne nach hinten, von hinten nach vorn, rannte dabei nicht dem Ball nach, sondern bugsierte sich in Positio­ nen, wo der Ball vermutlich erst hinkommen würde, immer dem Geschehen voraus und deshalb an der ein­ zig richtigen Stelle, wenn es so weit war, den winzigen Augenblick einer Lücke oder einer Kopfballmöglich­ keit nutzen zu können. Es war seine spezifische Spiel­ intelligenz, die ihn mit Recht zum erfolgreichsten Tor­ jäger der Welt machte. Wenn es dann im Torraum eng wurde, ein wüstes Getümmel von zehn, zwölf Spie­ lern oder mehr, dann konnte man bei den Zuschau­ ern ein aufgeregt mahnendes, halb geflüstertes »Klose!« hören, eine Beschwörungsformel, in der ein ängstliches »Wo bist du?« mitschwang, denn natürlich konnte man ihn in diesem Durcheinander gar nicht erkennen. Den Ball auch nicht. Man sah nur, begleitet von tausendfa­ chem Aufstöhnen und wieder Abschwellen im Stadion, das Knäuel, aus dem kein Durchkommen war, und den Versuch von Befreiungsschlägen, die aber schon nach wenigen Metern aufgefangen und gekontert wurden, 12