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rode-Brüder und Landsknechte sind die Protagonisten in diesem Spiel um. Macht und ... Herstellung / Korrekturen: Daniela Hönig / Katja Ernst, Doreen Fröhlich.
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R u b e n P h i l i pp W i c k e n h ä u s e r

Die Seele des Wolfes

IM BLUTRAUSCH Das Kurfürstentum Köln, in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts – eine Zeit heftiger Auseinandersetzungen zwischen katholischen und protestantischen Anhängern. Peter Stubbe kehrt auf seinen heimatlichen Hof zurück, da sein älterer Bruder gestorben ist. Als gebildeter Protestant genießt er schnell das Ansehen der umliegenden Dörfer, und sogar der einflussreiche Ratsherr Gartz aus dem nahen Bedburg wird auf ihn aufmerksam und protegiert ihn. In den ständig wiederaufflammenden Glaubenskriegen wird einer Reihe von Morden zunächst keine große Aufmerksamkeit geschenkt. Doch ein Detail lädt zu Gerüchten ein: Den Opfern wurde die Kehle herausgerissen. So heißt es bald, ein Werwolf treibe sein Unwesen. Als im Wald Peter Stubbe den Häschern des katholischen Grafen Reifferscheidt ins Netz geht, sieht dieser die Chance, seine gerade unter Mühen errungene Macht durch einen Schauprozess zu festigen … Städtische Ratsherren, Grafen und Erzbischöfe, Spielleute, Bauern, Merode-Brüder und Landsknechte sind die Protagonisten in diesem Spiel um Macht und Recht, Furcht und Kampf. Dr. Ruben Philipp Wickenhäuser, geboren 1973, absolvierte ein interdisziplinäres Studium der Biologie, Geschichte und physischen Anthropologie und lebt heute als freiberuflicher Schriftsteller in Berlin. Er ist Mitbegründer des Autorenkreises Historischer Roman QUO VADIS, ebenso des Instituts für Gewaltprävention und angewandte Kriminologie und Kapitän einer Jugger-Sportmannschaft. Neben zahlreichen historischen Romanen für Jugendliche gab er unter anderem drei historische Gemeinschaftsromane im Aufbau-Verlag heraus und machte sich durch pädagogische Sachbücher einen Namen. Der historische Thriller »Die Seele des Wolfes« über den wohl ersten deutschen Serienmordfall, der bis ins Ausland Widerhall in Flugschriften und Berichten fand, ist sein Debüt im Bereich Erwachsenenroman.

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Die Seele des Wolfes

Original

Der zweifelhafte Ruhm des Peter Stubbe

Besuchen Sie uns im Internet: www.gmeiner-verlag.de © 2010 – Gmeiner-Verlag GmbH Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch Telefon 0 75 75/20 95-0 [email protected] Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2010 Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt Herstellung / Korrekturen: Daniela Hönig / Katja Ernst, Doreen Fröhlich Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart, unter Verwendung des Bildes von Diego de Silva Velazquez: Übergabe von Breda / Aus: 5.555 Meisterwerke. © 2000 Directmedia Publishing GmbH Druck: Fuldaer Verlagsanstalt, Fulda Printed in Germany ISBN 978-3-8392-3449-5

Inhaltsverzeichnis

Der neue Halfe in Epprath

16

Wie eine Maus in der Falle

51

Gejagt

68

Das plötzliche Ende einer Feier

80

Trine Trumpen

108

Der Werwolf zieht los

138

Der alte Kämpe

150

Rot ist Leben

169

Merode-Brüder

199

Der Bastard

219

Kerpen soll fallen

242

Das Eis bricht

263

Donnerwetter

281

Der gefallene Engel

299

Ertappt und erschlagen

321

Krieg im Land

340

Zwei auf einen Streich

361

Der Mantel

380

Der Werwolf zu Bedburg

390

Nachwort zu Die Seele des Wolfes

405 5

Tauben konnte sie mit zwei Fingern den Hals umdrehen, für Hühner brauchte sie das Beil. Beinahe hätte sie sich damit ins Bein geschlagen, als das Tier seinem Instinkt folgte und immer wieder den Kopf vom Pflock hob. Nun, das wäre der würdige Abschluss eines grauenhaften Tages gewesen. Odilia ging achtlos über das Rübenfeld, das sich im Mondschein grau und einsam bis zum Röhricht des Schilfweihers erstreckte. Unter ihren Fußsohlen klebten dicke Lehmbrocken. Knapp eine Woche lang hatte es geregnet, und heute hatte es endlich wieder einen heißen Sonnentag gegeben. Dieser Tag, an dem man fröhlich sein sollte, hätte sich für sie kaum schlechter gestalten können: Vor Sonnenaufgang hatte der Ludwig sie aus dem Bett geholt und ihr erklärt, dass die Tür offen stünde und sie gehen könne, jederzeit, nein, sofort, am besten sofort. Da sie nicht in Tränen ausgebrochen war, wie Ludwig es sich wohl gewünscht hatte, hatte er gebrüllt: »Glotz nicht so, Frau, geh und schau zum Hühnerstall, aber hurtig, wird’s bald!« Woraufhin er hinausgestampft war und sie sich unter den verschlafenen, aber neugierigen Augen der anderen Mägde rasch angekleidet und auf den Weg zum Hühnerstall gemacht hatte. Dort fand sie alles in bester Ordnung vor. »Die Tür«, hörte sie Ludwig hinter sich brüllen, »die Tür, sie war die ganze Nacht offen! Dreh dich um, wenn ich mit dir rede! In die Augen, sieh mir in die Augen, nutzloses Stück! Was glaubst du, wenn der Fuchs gekommen wäre? Alle hätte er gefressen, alle! Wegen der Tür! Wegen dir!« 7

Und ehe sie entgegnen konnte, dass sie die Tür geschlossen hatte, ganz bestimmt, da hatte der Ludwig ihr eine Maulschelle gegeben, dass sie geschrien hatte. Damit war der Tag verdorben. Natürlich warf Ludwig sie nicht hinaus, natürlich war das nur eine seiner Drohungen, aber angenehm machte er ihr die folgenden Stunden nicht. Dann beging das dumme Ding von einem Mädchen, Elsbeth, auch noch die gewöhnlichste und zugleich ärgerlichste Ungeschicklichkeit, natürlich gerade, als sie unter Odilias Aufsicht arbeitete – indem sie den Milchbottich umwarf, nein, nicht den kleinen, der nach jedem Euter geleert wurde, sondern den großen, in dem die Milch aller Kühe gesammelt wurde, und natürlich waren gerade alle Kühe gemolken gewesen. Anstatt den Bottich schnell wieder aufzurichten, hatte das Mädchen entgeistert gekreischt und die Hände gerungen. Odilia hatte wieder den Schlag vom Ludwig gespürt und auf der Stelle Elsbeth ihrerseits eine Ohrfeige verpasst. Da war ihre Wange gleich etwas besser geworden. Nicht aber der Tag: Beim Mittagsmahl hatte sie Fliegen im Wein gefunden, nicht nur die kleinen Obstfliegen, sondern auch die fetten mit dem grün schillernden Hinterleib, und sie war sich sicher, vollkommen sicher, dass die nicht aus Zufall in ihrem Becher schwammen. Was ihr ins Gedächtnis rief, dass sie gerade mit dem Jakob überkreuz war. Er hatte ihr die Sache mit Georg vor einer Woche krumm genommen. Dem Jakob sah das ähnlich, der tat Fliegen in den Wein, dachte sie. 8

Die Genugtuung ihres Ekels oder gar ihres Entsetzens wollte sie ihm nicht geben. So trank sie mit einem verächtlichen Blick aus, nachdem sie die Fliegen herausgefischt hatte. Nicht ganz so gelassen hatte sie auf das Problem mit dem Backen reagiert, frisches Brot für das Sonntagsfest, was ohne Mehl schwerlich zu machen war. Sie hatte also Elsbeth zum Müller geschickt, schließlich stand die Mühle nicht allzu weit entfernt an der Erft, und Strafe musste sein, sollte sich das junge Ding nur auf dem Weg ängstigen, umso besser. In der Zwischenzeit hatte Odilia sich mit den anderen darangemacht, alles fürs Backen vorzubereiten. Der Dorfofen, den auch die umliegenden Orte nutzten, wurde bereits von den Knechten angeheizt. Elsbeth brauchte lange, viel zu lange – sie kam nach einer Zeit zurück, in der jede andere Magd den Weg drei Mal hätte gehen können. Beinahe hätte Odilia die Gewalt über sich verloren, als sie sah, dass das Mädchen gerade die Hälfte der Menge mitgebracht hatte, mit den trotzigen Worten, einen halben Zentner schaffe sie eben nicht, und in Odilias Fingern hatte es wieder gejuckt. Wäre der Teig der ersten Ladung nicht versalzen worden, hätte das Mehl wohl genügt, wenn auch mehr schlecht als recht. Jetzt musste Odilia ihre ganze Kunst aufbringen, um wenigstens scheinbar so viel Brotlaibe wie immer zu formen. Dann begab sie sich zum Dorfofen. »Jetzt halt deine Hand da rein«, sagte der Knecht Jakob zu dem jungen Till. »Wenn du ein Vaterunser aufsagen kannst, passt die Hitze.« 9

Till streckte zögerlich die Hand in die Backröhre und rasselte sein Vaterunser so schnell herunter, dass er sich dabei fast verhaspelte. »Ja, da lernst sprechen«, lachte Jakob, schüttelte seinen Blondschopf und drehte sich zu Odilia um. Sie bemerkte wohl den Blick, mit dem er die kleinen Teigklumpen maß, aber wenigstens schwieg er. Sie hätte dem schlaksigen Knaben auch eine gescheuert, wenn er sich eine Bemerkung erlaubt hätte. Sollte der doch bloß still sein! Nach dem Backen hatte es schon gedunkelt, und in einem günstigen Moment hatte sie Georg zuzwinkern können. Aber der hatte weggeschaut – tatsächlich, einfach weggeschaut! Stattdessen hatte Aleth, die Frau des Ludwig, sie gerufen, gerade, als sie nach langem Arbeitstag auf dem Weg ins Gesindehaus gewesen war. Aus irgendeinem Grunde blickte Aleth stets traurig drein. Was man auch tat, um sie aufzuheitern: Immer wirkte sie besorgt. Odilia konnte dieses griesgrämige Verhalten nicht ausstehen. Auch dann, wenn es wahrhaftig Grund zur Freude gab und alle lachten, brachte sie kein Grinsen über sich. Insgeheim verdächtigte Odilia sie, dass sie sich den Spruch ›ora et labora‹ etwas zu sehr zu Herzen genommen hatte. Und dass sie das tat, um etwas Besseres als die anderen zu sein. Wie gern hätte Odilia ihr ihre Meinung ins Gesicht gesagt! Aber Aleth war nun einmal Ludwigs Frau, und als solche befahl sie ihr nun: »Mach ein Huhn für den Sonntag! Heute noch, morgen gibt es genug zu tun, und glaub 10

nicht, dass du dich vor der Messe drücken kannst. Vergiss das Brot nicht. Mach schon.« Womit Odilia zu ihrem Huhn kam, das den Hals im falschen Augenblick, gerade noch konnte Odilia, und das Huhn, kopflos, auf der Flucht, bis Odilia es eingefangen hatte und das Blut über ihre Hände lief. Beinahe hätte sich Galle dazugemengt, als sie allzu heftig mit dem Ausnehmen begonnen hatte. So war es nur zu verständlich, dass Odilia des Nachts auf dem Weg über den Rübenacker schnaubte und den ganzen vergangenen Tag verfluchte. Der Weiher war nicht weit, und morgen würde sie Elsbeth treiben, das schwor sie sich und fühlte sich gleich ein wenig besser. Ein Vogel flog mit angstvollem Zwitschern aus dem Schilf in den Sternenhimmel auf. Dann war es wieder still, so still, dass das Stampfen von Odilias Schritten und ihr keuchender Atem unnatürlich laut klangen. Bis ein Frosch zu quaken begann.

H

Ein Frosch! Ein Frosch durfte nicht mitten in der Nacht quaken, ein Frosch hatte um diese Zeit zu schlafen, oder was auch immer Frösche bei Nacht taten. Schon der Vogel konnte eine Warnung gewesen sein. Vielleicht war es besser, auf der Stelle umzukehren. Nicht auszudenken, was passierte, wenn jemand Verdacht schöpfte! Aber gleich war der Weiher erreicht. 11

Unheimlich war es schon. Sehr unheimlich. Klar schien der Mond vom Himmel, eine weiße Scheibe, die inmitten eines schwarzen Nichts schwebte, scheinbar zum Greifen nahe oder auch unendlich weit entfernt. Vom Dorf her erklang gelegentlich der Ruf eines Käuzchens. Ihm antwortete, wortkarg und dumpf, vom Waldrand her ein Uhu. Unablässig wisperte das Schilf, und wenn der Geruch von totem Fisch und Algen herüberwehte, dann raschelte es, als wäre es in eine angeregte Unterhaltung vertieft. An ihrem angestammten Platz, dort, wo das Schilf sich teilte und einen sumpfigen Ufersaum freigab, schliefen einbeinig und kopflos einige Enten. Das war nicht gut, denn sie würden erwachen und aufflattern und dabei sicherlich quaken, wenn sie ans Wasser kam. Nun flogen aber häufig Enten vom Teich auf, auch des Nachts, wenn der Fuchs Beute forderte. Zerzaust kam die Magd über den Rübenacker gestapft, auf die Lücke im Schilf zu, ihre Hände glänzten im Mondlicht, es knackte und raschelte, wo sie sich ihren Weg durch das Schilf bahnte, laut, wie alle Weiber waren. Die Enten stoben in die Höhe. Er sprang sie aus dem Nichts an, riss sie nieder, vergrub die Ellenbogen in ihre Seite, ließ die eine Hand unter ihren Rock gleiten und packte sie mit der anderen an der Kehle, an der weichen, zarten, drückte zu, sah ihre Augen hervorquellen, das Mondlicht spiegelte sich in ihnen, küssen wollte er sie, nein, zerreißen wollte er sie, die 12

Kehle aus dem Leib, mit Schilfbündeln, Schilf mit seinen scharfen Blattkanten, ihr schönes, ihr hässliches Gesicht zerschlagen, das so ähnlich dem jener Sybille von damals, er das selbstsichere Grinsen aus ihr heraus, bis ihr eigenes Blut ihre Hochmütigkeit davon, mit der die Teufelin ihn abgewiesen, er zeigte ihr, wie ihr Spott ihn, genauso tief schnitt er ein wie das Schilfbündel, mit dem er sie knebelte, und dann, ein Faustschlag noch gegen ihr schönes Gesicht, auf das fortan sie von den Männern verspottet werde, Narbengesicht!, Narbengesicht!, herrisch zerriss er ihren Rock, siehst du, jetzt widersprichst du mir nicht mehr, jetzt wirst du mich achten, ich nehme dich, Drecksweib. Auf dem Höhepunkt seiner Erregung erfasste ihn Mattheit. Sein Mund war feucht, mit aller Gewalt musste er sich beherrschen, nicht zu hecheln. Dort, wenige Schritte von ihm entfernt, hörte er die Magd wispern, sie redete leise mit sich selbst. Nicht einmal allein kann sie ruhig sein, dachte er und empfand es als einen persönlichen Angriff, obwohl er genau wusste, dass sie von seiner Anwesenheit nichts ahnte. Jetzt war es ihm, als habe man ihm einen Kübel kaltes Wasser über den Kopf gegossen. Die Magd hatte begonnen, mit zornigen Bewegungen ihre Hände zu waschen, ihre Kruppe wogte energisch hin und her. Immer waren sie so laut, die Weiber, sie hielten sich für den Nabel der Welt, schon als die Magd hergekommen war, hatte man sie auf Meilen hören können – er beschwor die Bilder herauf, er sprang sie von hinten 13

an, schlug nach ihrem Nacken und traf sie seitlich am Hals, so kräftig, dass sie nicht einmal mehr aufschreien konnte … Nichts. Zorn wuchs in seinem Magen. Nicht einmal das gönnte sie ihm, selbst jetzt verspottete sie ihn mit ihrer Kruppe, die ihm die Sicht nahm und ihm den Weg versperrte zu ihrem Wispern! Näher glitt er durchs Schilf auf sie zu. Darin war er geübt: Von Kindesbeinen an war er im Schilf herumgestreift. Also erklang kein Laut, als er sich auf Armeslänge an sie heranpirschte. Das Weib richtete sich wieder auf und rieb sich die Arme. Er befürchtete schon, sie würde sich zum Gehen wenden – da bückte sie sich erneut, um einen letzten Flecken abzuwaschen. Unerwartet traf ihn wieder die Erinnerung, wie er damals verspottet worden war, wie hilflos er dagestanden und immer leer ausgegangen war, und die Magd wagte es, in sein Reich einzudringen, um ihre dreckigen Hände  … Sie machte Anstalten, sich wieder aufzurichten – er stieß sich mit dem Fuß vom Boden ab, strauchelte, als sein rechter Fuß mit einem Schmatzen im Schlamm versank, hatte aber genug Schwung, um auf die Beine zu kommen. Sein Opfer fuhr erschrocken hoch, er warf sich nach vorne, riss sie um und versuchte, ihre Haare zu greifen; glitt von ihrem Kopftuch ab, griff erneut zu und drückte ihr Gesicht mit seinem ganzen Körpergewicht ins Wasser. Sie wehrte sich. Sie strampelte, wand sich und schaffte es, den Kopf zur Seite zu drehen. Sie prustete. Mit Schrecken erkannte er, dass er die Kontrolle verlor. Die Kraft 14