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fernt sein, wo das Wrack vor 70 Jahren in Eis und Schnee verschwand.« Igor Alexejewitsch überlegte einen Moment und fragte dann: »Wer sind die drei Männer ...
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Tony Dreher

Gletschertod

K a lt e s G r a b

Auf dem Gauligletscher wird eine Leiche entdeckt. Gleichzeitig wird in Bern Professor Matthews, ein Bekannter des Journalisten Mike Honegger, tot aufgefunden. Honegger recherchiert in beiden Fällen und ahnt, dass die Opfer nicht eines natürlichen Todes gestorben sind. Er ist bald davon überzeugt, dass es zwischen den beiden Fällen einen Zusammenhang geben muss. Die Spuren führen zur Russischen Revolution, zu einem lange vergessenen, folgenreichen Abkommen, und auf den Gauligletscher, zur Absturzstelle einer amerikanischen Dakota im November 1946. Dabei ahnt Honegger nicht, dass er bald mit seiner eigenen, schmerzhaften Vergangenheit konfrontiert wird. Hätte Honegger die Vergangenheit besser ruhen lassen? Kann er aufdecken, was vor 70 Jahren in den Alpen geschah?

Tony Dreher wurde als Auslandschweizer in Mexiko Stadt geboren, wo er seine Kindheit verbrachte. Sein Studium in Physik und Ingenieurwesen absolvierte er in den USA. Seit seiner Rückkehr in die Schweiz vor 25 Jahren arbeitet er in der IT-Branche und lebt mit seiner Familie in der Nähe von Bern. Er interessiert sich für Sprachen, Geschichte, Weltgeschehen, Astronomie, Kino und Musik. »Gletschertod« ist sein zweiter Roman. Website des Autors: www.tonydreher.com Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag: Aareschwimmen (2015)

Tony Dreher

Gletschertod Der zweite Fall für Mike Honegger

Besuchen Sie uns im Internet: www.gmeiner-verlag.de © 2017 – Gmeiner-Verlag GmbH Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0 [email protected] Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2017 Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt Herstellung: Mirjam Hecht Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart unter Verwendung eines Fotos von: © mindanex / photocase.de Druck: GGP Media GmbH, Pößneck Printed in Germany ISBN 978-3-8392-5301-4

Personen und Handlung sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Juli 2012 Mit seinen Augen folgte der Mann der Innenstadt von Moskau, bis sie unter dem Rumpf seines Learjets verschwand, und lehnte sich dann im breiten, weichen Ledersessel zufrieden zurück. Er trank einen ersten Schluck des kalten Champagners aus dem Glas in seiner Hand und freute sich auf einen entspannten Flug. Als der Jet kurz danach seine Flughöhe erreichte und der Pilot den Schub der beiden Pratt & Whitney Triebwerke reduzierte, schaltete er mit der Fernbedienung das Unterhaltungssystem ein und wählte eine Playlist aus der Kategorie »Easy Jazz«. Genüsslich schloss er zu den Tönen der sanften Ballade seine Augen. Das schrille Klingeln des Satellitentelefons auf seinem Mahagonipult beendete schlagartig seine Ruhe. »Sluschaju«, nahm er den Anruf verärgert entgegen. »Igor Alexejewitsch, hier spricht Andrei. Es tut mir leid, Sie zu stören.« »Ich bin soeben vom Flughafen Wnukowo gestartet. Was ist denn so dringend?« »Es geht um ein Ereignis in der Schweiz, über das Sie sicherlich sofort informiert werden möchten.« »Reden Sie nicht um den Brei herum. Was ist los?« »Sie haben den Propeller gefunden!« »Welchen Propeller? Wovon sprechen Sie denn?«, fragte Igor Alexejewitsch irritiert. »Drei Alpinisten haben einen der Propeller der amerikanischen Dakota gefunden, die 1946 abgestürzt ist.« 7

Igor Alexejewitsch richtete sich ruckartig auf und schüttete dabei versehentlich den Rest seines Champagners über seine Hosen. »Was sagen Sie?« »Ich habe es soeben beim Frühstücken in der Zeitung gelesen. In der Berner Tagespresse wird ausführlich über den Fund berichtet.« »Was haben die drei Alpinisten sonst noch entdeckt?« »Nur einen der beiden Propeller.« »Sind Sie sicher, dass das alles ist?« »In den Zeitungen wird nichts Weiteres erwähnt.« »Wo haben sie ihn gefunden?« »Der genaue Fundort wird von den drei Männern geheim gehalten, um zu verhindern, dass Sammler ihn aufsuchen. Er muss etwa drei Kilometer von dort entfernt sein, wo das Wrack vor 70 Jahren in Eis und Schnee verschwand.« Igor Alexejewitsch überlegte einen Moment und fragte dann: »Wer sind die drei Männer?« »Drei Freunde, ziemlich jung. Einer ist Lehrling in Zweisimmen, seine Kollegen sind aus Meiringen und aus Kanada.« »Kanada!«, sagte Igor Alexejewitsch alarmiert. »Was wollen denn die Kanadier plötzlich hier? Wer hat ihn geschickt?« »Er soll lediglich ein Freund des Lehrlings sein, der aus Kanada zu Besuch ist und den Gletscher sehen wollte.« »Ich traue der Sache nicht. Ich will wissen, wer hinter dem Ganzen steckt und wer die Männer finanziert!«, sagte Igor Alexejewitsch besorgt. 8

»Sie können sich beruhigen. Es waren nur drei junge Männer auf einer Bergtour, die auf den Gletscher wollten. Ich bezweifle, dass sie gezielt nach etwas suchten oder dass sie für jemanden einen Auftrag ausführten.« »Ich hoffe für die drei Männer, dass Sie recht haben. Das Wrack muss ganz in der Nähe im Eis begraben liegen, und ich werde nicht zulassen, dass sie etwas finden, das sie nicht sollten. Sie verstehen, was ich meine. Verfolgen Sie die Angelegenheit genauestens und berichten Sie sofort, wenn Sie mehr herausfinden. Sollten die drei jungen Männer nicht locker lassen und weitersuchen, werde ich gezwungen sein, etwas gegen sie zu unternehmen!« Igor Alexejewitsch blickte besorgt auf die Wolkendecke herab, die weit unter seinem Privatjet die Landschaft bis zum Horizont verdeckte. Er konnte sich während des restlichen Fluges weder mit Champagner noch mit Musik mehr entspannen.

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Kapitel 1 – Heute Mit kurzen schmerzhaften Schritten hinkend, holte Christian Daniela nur langsam ein. Als er sie endlich erreichte, versuchte sie, ihn aufzumuntern: »Schau, Christian! Es ist nicht mehr so weit. Den längsten Teil des Abstiegs haben wir bereits hinter uns. Wir müssen nur noch den Rest der Moräne hinunter, dann sind wir da. Du musst durchhalten!« Er stützte seine Stöcke auf einem schneefreien Felsen vor ihm ab und blickte auf den Weg, den er noch beschreiten musste. Bis zum Gletscher war die Moräne mit ihren großen, kreuz und quer stehenden Felsbrocken steil, eisig und immer wieder schneebedeckt. Er seufzte. Nach dem Abstieg wartete der flache Gletscher auf sie, da würde das Gehen hoffentlich etwas einfacher werden. Sein Blick streifte über den breiten verschneiten Gauligletscher zum gegenüberliegenden Bergpanorama und auf die Gipfel, die in den stahlblauen Himmel ragten. Sie schienen ihm in seiner jetzigen Lage unüberwindbar. Wegen der Schmerzen, die ihn plagten, konnte er die Schönheit und Reinheit der Natur um ihn herum nicht mehr genießen. »Mein Knie ist ernsthafter verletzt, als ich dachte. Die Schmerzen nehmen stetig zu. Ich kann fast nicht mehr gehen«, stöhnte er. Daniela drehte sich um. Die »Gaulihütte«, die sie vor einigen Stunden noch bei Dunkelheit verlassen hatten, war nicht mehr zu sehen. Die Hütte war im Winter zwar nicht bewirtet, der alte Teil des Gebäudes blieb jedoch 10

immer für Bergtourengeher offen. Sie hatten dort eine erholsame und, dank des schönen alten Holzherdes, warme Nacht verbracht. Sie blickte an der Moräne entlang in die Höhe, zurück auf die Stelle über ihnen, an der Christian auf einer Eisplatte so unglücklich ausgerutscht und mit dem linken Knie mit großer Wucht gegen einen Felsen geprallt war. Zuerst schien der Unfall glimpflich verlaufen zu sein. Beide waren erleichtert gewesen, dass er sich nichts gebrochen hatte und nur mit Prellungen davonzukommen schien. »Wir müssen weiter. Zur Hütte zurückzukehren, ist keine Option, das schaffst du nicht«, stellte sie resigniert fest. »Ja, ich versuche, noch bis zum Gletscher abzusteigen, wo das Gelände flach wird. Dort müssen wir unsere Tour aber abbrechen und die Rega anfordern. Sie muss uns ausfliegen, denn ich schaffe es nicht mehr über den Gletscher. Geh du bitte voraus, das macht es für mich einfacher.« Er folgte Daniela und stützte sich mit seinen Stöcken ab, um das verletzte Knie zu entlasten. Trotz seiner Vorsicht rutschte er mehrmals aus. »Bis zum Gletscher muss ich es noch schaffen«, wiederholte er immer wieder leise zu sich selbst und machte vorsichtig einen Schritt nach dem anderen. »Es geht wirklich fast nicht mehr. Es tut höllisch weh«, rief er verzweifelt hinunter zu Daniela. »Das Knie ist inzwischen so angeschwollen, dass es gegen die Hosen drückt. Die werde ich nicht mehr ausziehen können, man wird sie mir wegschneiden müssen. Die Schmerztablette wirkt auch schon lange nicht mehr.« 11

Als das Gelände allmählich flacher wurde, stapfte Daniela durch den tiefen frischen Schnee voraus und bemühte sich, eine möglichst breite Spur zu hinterlassen. Christian folgte darin, und sie hörte ihn jedes Mal stöhnen, wenn er mit seinem linken Bein einen kurzen Schritt humpelte. Bald musste er vor Schmerzen immer öfter anhalten. Die Sonne brannte vom wolkenlosen Himmel herab, und der Schnee spiegelte das grelle Licht auf sein Gesicht. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und atmete tief durch. Noch einen Schluck Tee und noch einen kurzen Moment Pause, dann würde er zu Daniela aufschließen. Ihr Schrei riss ihn aus seinen Gedanken. Er hallte von den Bergflanken zurück, und das Echo wiederholte sich im Kessel immer wieder. Erschrocken blickte Christian auf und sah sie am Rand des Gletschers im Schnee knien. »Christian!«, rief sie. Wieder hallte das Echo ihrer alarmierten Stimme von den Bergflanken zurück. Christian hinkte zu ihr, sein Gesicht von den quälenden Schmerzen verzerrt. »Was ist geschehen? Bist du verletzt?«, rief er ihr außer Atem zu, noch bevor er sie erreicht hatte. Ohne zu antworten, stapfte Daniela eilig auf ihn zu. »Komm, es ist schrecklich!«, antwortete sie aufgeregt und stützte ihn beim Gehen. »Was hast du denn?« »Schau, dort im Schnee, gleich vor diesem Spalt.« Er humpelte die letzten Schritte bis an die Stelle und erschrak selbst. Vor ihm ragte der Teil eines menschlichen Oberkörpers aus dem Schnee, der linke Arm in einem 45-Grad-Winkel in die Luft gestreckt, als ob er 12