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Langlebigen Verbundenen desto größer wird, je kurzlebiger die tatsächliche. Alltagswelt wird. In Las Vegas werden Hotels den Pyramiden von Gizeh oder.
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Bauforschung und Archäologie

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Dirk Schumann (Hg.)

Bauforschung und Archäologie Stadt- und Siedlungsentwicklung im Spiegel der Baustrukturen

Lukas Verlag 3

Herausgeber und Verlag danken für ihre großzügige Unterstützung bei der Drucklegung: OKTOCOM AG Am Wacholderbusch 1–3 16547 Birkenwerder http://www.octocom.de Tel. 03303 / 53 79 60

Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Bauforschung und Archäologie / Stadt- und Siedlungsentwicklung im Spiegel der Baustrukturen / Dirk Schumann (Hg.) – Erstausg., 1. Aufl.. – Berlin : Lukas-Verl., 2000 ISBN 3–931836–16–9

© by Lukas Verlag Erstausgabe, 1. Auflage 2000 Alle Rechte vorbehalten Lukas Verlag für Kunst- und Geistesgeschichte Kollwitzstr. 57 D–10405 Berlin http://www.lukasverlag.com Umschlag und Satz: Verlag Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier Printed in Germany ISBN 3–931836–16–9

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Inhalt

Vorwort

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Einführung JOHANNES CRAMER: Eine öffentliche Geschichte

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BARBARA SCHOLKMANN: Bau und Boden – Zur Zusammenarbeit zwischen Archäologie des Mittelalters und Historischer Bauforschung

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ARMAND BAERISWYL: Wo ist die Höhe Null? – Über die angebliche Grenze zwischen Bauforschung und Bodenarchäologie

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DIRK SCHUMANN: Archäologie und Bauforschung – Zur Geschichte einer Abgrenzung

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Arbeitsweise ELMAR ALTWASSER: Archäologie im Obergeschoß

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CHRISTA PLATE: Baubefunde in Stadtkerngrabungen im Land Brandenburg

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DIRK SCHUMANN: Bauforschung und Archäologie – Arbeiten im Grenzbereich. Beispiele aus dem Land Brandenburg

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REINHARD SCHMITT: Die Eckartsburg im späteren 12. und frühen 13. Jahrhundert – Aus der Arbeit des Referates für Bauforschung im Landesamt für Denkmalpflege Sachsen-Anhalt

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DANIEL REICKE: Die Keller des »Marthastifts« in Basel, ein Warenlager des 13. Jahrhunderts

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ANGELA GUDE, MICHAEL SCHEFTEL: Kellerplan für die Hansestadt Wismar – Ein Vorbericht 131 URSULA RADIS: Die Turmhäuser der Grabung Alfstraße/Fischstraße in Lübeck und ihre Datierungsmöglichkeiten

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JOHANNES CRAMER: Bauarchäologie in Badhäusern

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FELIX SCHÖNROCK: Zur Inventarisation der Altstadthäuser und den Aussagemöglichkeiten der Schriftquellen des 17. bis 19. Jahrhunderts in Greifswald

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Datierung ULF FROMMHAGEN, KARL-UWE HEUSSNER, STEFFEN-TILO SCHÖFBECK: Dendrochronologie und Bauforschung in Nordostdeutschland – Möglichkeiten und Probleme

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BÄRBEL ARNOLD: Probleme der Datierung mit Putzen und Mörteln

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JÜRGEN PURSCHE: Die Datierung von Putz aus der Sicht des Restaurators

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CHRISTIAN GOEDICKE: Thermolumineszenzdatierungen am Backstein

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DIRK SCHUMANN: Möglichkeiten einer Chronologie von Backsteinformaten 298 VOLKER MENDE: Chronologische Untersuchungen an Mauerwerksbefunden der Festung Peitz 318 RAINER MÜLLER: Mittelalterliche Mauerwerkstechniken am Beispiel ausgewählter Dorfkirchen in Thüringen

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Dokumentation STEFANIE WAGNER: Bauaufnahme als Dokumentationsmethode in der Baudenkmalpflege

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ERIKA LÜCK: Geophysikalische Prospektionsmethoden für die Archäologie 364 THOMAS URBAN: Das digitale archäologische Archiv – Beispiel Zisterzienserkloster Lehnin

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KARIN KOLLER: Eine integrative Methode der digitalen Bilddokumentation archäologischer Baubefunde im 3-D-Modell – Beispiel Hanghaus 2 in Ephesos 393 CLAUDIA BÜHRIG, CHRISTIAN HARTL-REITER, DORIS SCHÄFFLER: Digitale Erstellung eines archäologischen und topographischen Gesamtplans – Grundlage für Archäologie und Bauforschung. Beispiel Gadara / Umm Qais (Jordanien)

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BLANDINE WITTKOPP: Das »Baubefundblatt« – Vorschläge zu einer genaueren und systematischeren Dokumentation

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Anhang Literaturverzeichnis

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Die Autoren

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Vorwort

Archäologie und Historische Bauforschung besitzen dieselben Wurzeln, beschritten aber forschungsgeschichtlich getrennte Wege. Heute zeigen sie sich als zwei selbständige, selbstbewußte Disziplinen. Doch trotz der gewachsenen Unterschiede haben die beiden Zweige auch vieles gemeinsam, darunter nicht zuletzt ihren Arbeitsgegenstand: die Baustrukturen. Gerade was diesen gemeinsamen Gegenstand angeht – wesentlicher Indikator immerhin von Stadt- und Siedlungsentwicklung –, muß die Trennung der Fächer zu Erkenntnisdefiziten führen! Diese Einsicht ist nicht neu, doch trotz zahlreicher vorangegangener und in jüngerer Zeit wieder einsetzender Bemühungen, das Trennende zu vernachlässigen, gehört die separate Behandlung von »Bau« und »Boden« noch immer oft zum Arbeitsalltag. Aus diesem Grund ist es für die praktische Arbeit um so wichtiger, Berührungspunkte und übergreifende Fragestellungen auszuloten, gibt es doch ein breites Spektrum höchst unterschiedlicher Forschungsmethoden, die jede für sich einen spezifischen und erst in ihrer Summe optimalen Erkenntnisgewinn aus der Zerstörung bzw. Veränderung historischer Substanz ermöglichen. Dies zu verdeutlichen und produktiv zu machen, ist das wichtigste Anliegen des vorliegenden Buches. Es möchte methodische Grundlagen und konkrete Anwendungsbeispiele aufzeigen, wo sich Archäologie und Historische Bauforschung berühren, verbinden und wechselseitig inspirieren. Den einleitenden Reflexionen über das Verhältnis beider Fachgebiete folgt daher die Vorstellung praktischer Arbeitsweisen anhand konkreter Beispiele. Im dritten bzw. vierten Abschnitt schließlich werden eine Reihe moderner Datierungsmöglichkeiten und Dokumentationsmethoden diskutiert. Die 26 Beiträge liefern somit einen repräsentativen Querschnitt aktueller Probleme und Praktiken im nicht immer scharf umrissenen Grenzbereich von Baustrukturen und Bodenschichten. Mein Dank gilt allen, die das Zustandekommen dieser umfangreichen Publikation ermöglicht haben, insbesondere jedoch den Autoren, die von Anfang an das langwierige, immer wieder erweiterte Projekt geduldig mittrugen oder bereit waren, es kurzfristig zu ergänzen und abzurunden. Bernhard Strackenbrock sei für seine finanzielle Unterstützung der Drucklegung des Buches gedankt. Berlin, im August 2000

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Eine öffentliche Geschichte Johannes Cramer

Das öffentliche Interesse an Geschichte ist ungebrochen. Das Mittelalter steht hoch im Kurs, historische Ausstellungen verzeichnen Besucherrekorde. Es scheint, daß die Attraktion des mit der Vorstellung des Dauerhaften und Langlebigen Verbundenen desto größer wird, je kurzlebiger die tatsächliche Alltagswelt wird. In Las Vegas werden Hotels den Pyramiden von Gizeh oder dem Markusplatz in Venedig nachgebildet, man gestaltet Urban Entertainment Centers mit historischem Gepräge, und selbst in der österreichischen Provinz werden die Fassaden eines Einkaufszentrums mit den Nachbildungen der unterschiedlichsten historischen Bürgerhäuser bekleidet. Das Leben in der historischen Kulisse wird dem Bürger des 21. Jahrhunderts selbstverständlich. Das Einfamilienhaus mit Ecktürmchen und Sprossenfenster ist ein Marktrenner. Geschichte als Verkaufsförderung ist eine Erfolgsgeschichte. Mit einem Nachteil: Das Authentische bleibt auf der Strecke. Allerorten wird die historische Bausubstanz als defizitär und nicht mehr reparaturfähig abgebrochen. Während sich die breite Öffentlichkeit an den Nachbildungen erfreut, treten die wirklichen Monumente in den Hintergrund. Und das, obwohl die Kenntnis der historischen Monumente heute so gut ist wie nie zuvor. Drei Jahrzehnte intensiver Mittelalterarchäologie in den Sanierungsgebieten der historischen Stadtkerne haben unser Wissen um das Leben der Menschen vergangener Jahrhunderte in einem Maße verbreitert und erweitert, wie dies zukünftig kaum noch einmal der Fall sein wird. Aus Latrinen konnte Hausrat in ungeahnter Fülle geborgen werden, vielschichtige Stadtentstehungsprozesse sind rekonstruierbar, Handwerk durch die eigenen Erzeugnisse und Produktionsstätten verständlich und nachvollziehbar geworden. Zwei Jahrzehnte intensiver Bauforschung am aufgehenden Bestand haben den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Hausbau in allen seinen Facetten zum Vorschein gebracht. Wo man noch vor einem Vierteljahrhundert glauben mochte, der Hausbestand des Mittelalters sei vollständig verloren, lassen sich heute Hausgefüge und Bauweise, Grundrißformen, Ausstattungen und Wohngewohnheiten bis in die Einzelheiten der Hausnutzung exakt nachvollziehen. Bauforschung und Archäologie haben einen der letzten blinden Flecken in der historischen Wissenschaft: die Rekonstruktion des Alltags der Menschen anhand ihrer materiellen Zeugnisse, entschlüsselt und verstehbar gemacht. 8

Johannes Cramer

Basel, Teufelhof, Tag des Offenen Bodens

Eine öffentliche Geschichte

J. Cramer

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Schon dieser Erfolg allein rechtfertigt die erheblichen Anstrengungen, die notwendig waren, das heute verfügbare Wissen zusammenzutragen. Es konnte nur zusammengetragen werden durch die intensive Arbeit am einzelnen Objekt, durch die detaillierte Untersuchung aller Bau- und Ausstattungsdetails, durch die Entwicklung und Anwendung zahlreicher neuer Technologien und Strategien ebenso wie durch die interdisziplinäre Arbeit. So unbestritten die Sinnhaftigkeit dieser objektbezogenen Forschung im allgemeinen ist, so unklar sind bis heute bisweilen die Wege einer geordneten und fruchtbaren Zusammenarbeit. Nicht selten konkurrieren Bauforscher und Archäologen um die selben Arbeitsfelder und befehden sich. Dokumentationstechniken für ein und dieselbe Aufgabe unterscheiden sich je nach Ausbildung erheblich. Was im einen Fall zum Standard erhoben wird, ist für die andere Seite unverzeihliche Lässigkeit. Während Archäologen und Restauratoren ihren Gegenstand ganz selbstverständlich untersuchend beschädigen oder zerstören, wird der Bauforschung dieses Vorgehen als Denkmalvernichtung vorgeworfen. In letzter Zeit scheiden sich die Geister insbesondere am Einsatz digitaler Meß- und Dokumentationsmethoden. Aggressiv werden falsche und richtige Meßtechniken und zulässige und unzulässige Zeichentechniken eingefordert oder gegeißelt. In diesem sektiererhaften Zwist geht freilich unter, daß die Aufgabe selbst, die historische Frage, ihre Klärung und die unverfälschte Erhaltung der aussagefähigen, stets von neuem befragbaren Substanz immer weiter in den Hintergrund gedrängt wird. Während die Fachleute sich um die richtige Bleistiftstärke und das System der Befundnummernvergabe verbissen streiten, sprechen Politiker immer vernehmbarer über die Beschneidung der wissenschaftlichen Forschung am Objekt überhaupt. Daß sie das ohne massive Proteste der Öffentlichkeit können, liegt – wie oben skizziert – nicht am grundsätzlichen Desinteresse dieser Öffentlichkeit am Gegenstand. Es liegt an der Unfähigkeit der Fachwelt, die Bedeutung der wissenschaftlichen Erforschung der unverfälschten baulichen Quellen mit entsprechender Klarheit herauszustellen und einer breiten Öffentlichkeit attraktiv zu vermitteln. Wo dies dennoch geschieht, sind die Erfolge eindrucksvoll. Der Tag des Offenen Denkmals ist aus dem öffentlichen Bewußtsein nicht mehr wegzudenken. Die Tage des Offenen Bodens in Basel locken stets Hunderte auf die Grabungsplätze. Auch auf anderen Ausgrabungsstätten entwickelt sich ein erstaunlicher Wissenschaftstourismus. Führungen über halbfertige Restaurierungsbaustellen erfreuen sich großer Beliebtheit. Hier kann man Einblick nehmen in etwas, was nachher nur noch ein Anblick ist. Ein Anblick zumeist, 10

Johannes Cramer

Lübeck, Koberg 2, Befundpräsentation hinter der Klappe

J. Cramer

der von Neuheit und Glattheit charakterisiert ist, wo zuvor Vielschichtigkeit und Komplexität den Blick in die Geschichte freigaben. Neuerdings entdecken sogar die Neubau-Architekten den Reiz des Fragmentarischen und Alten. Inszenierungen alter Bauteile, oft zufällig ausgewählt und eher malerisch denn kenntnisreich in den Bauzusammenhang eingebunden, bereichern das Bild und kommen auf ganz unhistorische Weise dem Bedürfnis des Nutzers nach Einblick in die Geschichte, vielleicht auch nur einer bildhaften Illustration einer fraktalen Welt nach. Kritiker und Politiker, Bauherren und Nutzer nehmen solche Lösungen wohlwollend zur Kenntnis. Einzig die Wissenschaftler können sich ausgesprochen schwer zu einer Vermittlung ihrer Erkenntnisse entschließen. Daß sich zwanzig oder dreißig Jahre Objektforschung noch nicht in dickleibigen Büchern zu den untersuchten Einzelthemen niedergeschlagen haben, mag man als notwendige Konsequenz einer überkritischen Anmerkungs-Wissenschaft noch nachvollziehen. Daß die Fundsituation in den Objekten selten oder nie dazu genutzt wird, das offensichtliche öffentliche Bedürfnis nach Geschichte, nach echter und lebendiger, nach aussagekräftiger Geschichte zu befriedigen, ist eine Niederlage der beteiligten Fächer. Die Objekte sind aussagekräftig. Die Öffentlichkeit ist wißbegierig. Geschichte muß öffentlich gemacht werden. Eine öffentliche Geschichte

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Bau und Boden Zur Zusammenarbeit zwischen Archäologie des Mittelalters und Historischer Bauforschung Barbara Scholkmann

Daß zwischen der Archäologischen Mittelalter- und Neuzeitforschung einerseits und der Historischen Bauforschung andererseits methodisch wie inhaltlich zahlreiche und enge Verflechtungen bestehen, erscheint evident und somit eigentlich keiner weiteren Begründung bedürftig. Wenn andererseits festzustellen ist, daß sich die Zusammenarbeit zwischen beiden Disziplinen häufig schwierig gestaltet, und zwar in allen relevanten Bereichen: denen der Anwendung, vor allem in der denkmalpflegerischen Praxis, ebenso wie in der Forschung und der universitären Ausbildung1, so erscheint es dennoch sinnvoll und notwendig, sich mit dieser offenbar komplexen Beziehung näher zu beschäftigen. Im folgenden soll deshalb untersucht werden, woraus die gegenwärtige Problemsituation resultiert und wie eine Verbesserung erreicht werden könnte. Als Grundlage hierzu erscheint es sinnvoll, zunächst das Selbstverständnis der beiden Disziplinen zu charakterisieren, da dieses auch den Charakter der wechselseitigen Beziehung bestimmt. Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit2 versteht sich als Teilbereich einer umfassend definierten »Geschichtswissenschaft«, in die sie sich integriert. Sie erforscht die materiellen Quellen der genannten Epochen. Dabei schließt sie als wesentliche Quellengruppe Baureste und Bauten historischer Epochen in ihren Forschungsgegenstand ein, und zwar in allen Arbeitsbereichen, wo solche im Kontext archäologischer Forschungen faßbar sind. Dies gilt nicht nur für die Archäologie der Sakralbauten, sondern für die Siedlungsarchäologie allgemein und hier zum Beispiel für die archäologische Burgenforschung. Vor allem jedoch ist die Stadtkernarchäologie betroffen, wo die Verknüpfung von unter dem Boden faßbaren und oberirdisch erhaltenen Bauten als regelhafter Befund gelten kann. 1 Diese Beobachtung gilt vor allem für die Bundesrepublik Deutschland. Anders stellt sich diese Zusammenarbeit in anderen europäischen Ländern dar, z.B. in der Schweiz; siehe dazu unten. 2 Definition: SCHOLKMANN WS 1997/98.

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Barbara Scholkmann

Baustrukturen und deren Entwicklung stellen zwar eine bedeutsame, keineswegs aber die einzige Quellengattung dar, mit der sich die Archäologische Mittelalter- und Neuzeitforschung befaßt. Hinzu treten vielmehr, als weiterer und ebenso gewichtiger Quellenbestand, die Überreste der materiellen Kultur, also die Gesamtheit der ursprünglich mobilen materiellen Relikte vergangenen Lebens im Mittelalter und in den nachmittelalterlichen Epochen. Sie geht dabei als archäologische Disziplin zunächst von den im Boden, d.h. nicht oberirdisch erhaltenen Bauresten aus. Sie engt ihren Forschungsgegenstand weder durch den Erhaltungsgrad der Überreste, etwa nur noch als Pfostenstandspur oder Fundamentausbruchgraben von einem Gebäude, noch, wie beispielsweise die kunsthistorisch orientierte Baugeschichte, durch deren Wertigkeit ein. Die baugeschichtlichen Fragestellungen, die sie untersucht, erscheinen integriert in ein umfassendes Forschungsziel, das sich auf die Wiedergewinnung vergangener Realität menschlichen Lebens an einem bestimmten Platz richtet. Im Gegensatz dazu versteht sich die historische Bauforschung, wie G. Ulrich Großmann darlegt3, nicht als eine eigenständige wissenschaftliche Disziplin, definiert durch einen eigenen Forschungsgegenstand und eigene Fragestellungen, sondern vielmehr als eine Forschungsmethode, die sich einer »geisteswissenschaftlichen Architekturforschung«4 zuordnen läßt. Sie teilt ihren Forschungsgegenstand, nämlich erhaltene historische Bauwerke, mit der Kunstgeschichte und der architekturhistorischen Bauforschung. Ihr Forschungsziel ist die Erfassung, Interpretation und Datierung »baulicher Zustände und Zusammenhänge von der ältesten Erscheinung des bestehenden Bauwerks bis zum heutigen Bestand«.5 Sie geht also von oberirdisch erhaltenen Bauten und hierbei von deren ältestem Erscheinungsbild aus und beschränkt sich zunächst auf deren Erforschung, während Strukturen, die sich nur in Form eines archäologischen Quellenbestands erhalten haben, nicht miterfaßt werden. Dennoch kann sie die Frage nach jenen Bauzuständen und dem Erscheinungsbild eines Bauwerks, die sich nicht oder doch nur in Relikten oberirdisch erhalten haben, jedoch ursprünglich vorhanden waren, nicht völlig unbeachtet lassen. Umgekehrt erscheint es im Rahmen der archäologischen Mittelalterund Neuzeitforschung, wenn diese sich mit Baustrukturen befaßt, unerläßlich, 3 GROSSMANN 1993. 4 GROSSMANN 1993, S. 6. Hinzuweisen ist allerdings darauf, daß Bauforschung an der Universität Bamberg – als einziger Universität der BRD –, als selbstständiges Fach etabliert wurde und studiert werden kann. 5 GROSSMANN 1993, S. 6.

Bau und Boden

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die als archäologische Quellen erfaßten Zustände eines Bauwerks zu interpretieren und zu datieren und sie mit den, soweit vorhanden, oberirdisch noch erhaltenen Bauteilen zu verknüpfen. Deren Erforschung und Einbindung ergibt oft wichtige Hinweise zu den genannten archäologischen Fragestellungen bzw. macht deren Klärung erst möglich. Diese objekt- wie fragestellungsgebundene Verknüpfung bindet beide Forschungsrichtungen eng zusammen. Bauforschung muß deshalb innerhalb der Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit als ein wichtiges methodisches Instrumentarium betrachtet werden, daß für alle jene Arbeitsbereiche innerhalb des Fachs relevant ist, die sich mit Architektur befassen.6 Darüber hinaus besteht ein noch erheblich engerer Zusammenhang auf der methodischen Ebene. Denn die Methoden der historischen Bauforschung decken sich weitgehend mit denen der archäologischen Forschung. Sie sind teilweise von letzterer entwickelt und in die Bauforschung übernommen worden, wie etwa die Stratigraphie. Beiden gemeinsam ist die Verwendung naturwissenschaftlicher Datierungsmethoden, wie zum Beispiel der Dendrochronologie, der C 14-Methode oder der Thermoluminiszenz. Beide arbeiten mit naturwissenschaftlichen Disziplinen zusammen, um eine Interpretation ihrer Befunde und deren Einordnung in einen lebensweltlichen historischen Kontext zu gewinnen, genannt sei als Beispiel die Paläoethnobiologie. Schließlich ist für beide die Verknüpfung der untersuchten materiellen Überreste der Vergangenheit mit der relevanten schriftlichen Überlieferung dazu von fundamentaler Bedeutung. Um so erstaunlicher erscheint es, daß in der praktischen Kooperation zwischen beiden Bereichen erhebliche Defizite zu konstatieren sind, daß eine solche häufig gar nicht stattfindet oder sich eher mühsam gestaltet. Defizite zeigen sich, wie zuletzt eine gemeinsam von der Arbeitsgemeinschaft für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit, dem Arbeitskreis für Hausforschung und dem Hohenloher Freilandmuseum veranstaltete und dieser Problematik gewidmete Tagung gezeigt hat7, sowohl auf der Ebene einer wechselseitigen Verständigung über den jeweiligen Forschungsgegenstand und die daran geknüpften Fragestellungen, wie auch einer kritischen Methodendiskussion. Defizitär ist schließlich auch der Austausch über Problemstellungen und Ergebnisse, der die unerläßliche Grundlage einer interdisziplinären 6 So auch GROSSMANN 1993, S. 4. 7 Bau und Boden. Mittelalterarchäologie und Bauforschung zwischen Forschung und Denkmalpflege. Tagung in Schwäbisch Hall/Comburg, 15.–17. Mai 1998.

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Barbara Scholkmann