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Dominik kimyon. Stallgeruch. Kriminalroman. Page 7. Besuchen Sie uns im Internet: www.gmeiner-verlag.de. © 2017 – Gmeiner-Verlag GmbH. Im Ehnried 5 ...
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D o m i n i k K i m yo n

Stallgeruch

S t a d t, L a n d , M o r d

© Tom Figiel

Die Angst geht um im idyllischen Duderstadt im Eichsfeld: Die frisch verlobte Linda Becker liegt tot zwischen ihren Alpakas. Während ihre Familie auffällig hastig versucht, zur Tagesordnung überzugehen, beginnen Christian Heldt und Tomek Piotrowski vom Polizeikommissariat Göttingen mit den Ermittlungen. Das missfällt den Kollegen der Duderstädter Polizei, die eine Schließung ihrer kleinen Dienststelle fürchten. Schnell merken Christian und Tomek, dass sich hinter der heilen Welt auf dem Alpakagestüt Abgründe auftun. Bald wird klar: Die lebenslustige Frau nahm ein düsteres Geheimnis aus ihrer Vergangenheit mit ins Grab. Als Vorwürfe der Tierquälerei laut werden, kommt es zu einem weiteren Mord und es stellt sich einmal mehr die Frage, was hier vertuscht werden soll. Die Kommissare geraten in einen Sog aus Intrigen, Hass und todbringender Selbstsucht, der sie selbst und die Menschen um sie herum in Lebensgefahr bringt.

Dominik Kimyon wurde 1976 in Duderstadt im Eichsfeld geboren. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er in Nordhessen, doch mit Anfang 20 zog es ihn zurück nach Niedersachsen in die Universitätsstadt Göttingen. Dort studierte er Medienwissenschaft und Sozialpsychologie, arbeitete als freier Mitarbeiter für eine Lokalzeitung und war in der Werbebranche tätig. Seit einigen Jahren ist er Presse- und Öffentlichkeitsarbeiter in Hannover. Mit feinem Gespür für menschliche Abgründe erweckt er Figuren zum Leben, die niemand gerne in der eigenen Nachbarschaft haben möchte – die aber mit Sicherheit genau dort leben.

D o m i n i k K i m yo n

Stallgeruch Kriminalroman

Besuchen Sie uns im Internet: www.gmeiner-verlag.de © 2017 – Gmeiner-Verlag GmbH Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0 [email protected] Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2017 Lektorat: Teresa Storkenmaier Herstellung: Mirjam Hecht Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart unter Verwendung eines Fotos von: © Olga D. van de Veer / fotolia.com und © grafikplusfoto / fotolia.com Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISBN 978-3-8392-5313-7

Personen und Handlung sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Bestimmte örtliche Gegebenheiten wurden aus dramaturgischen Gründen leicht verändert.

Kapitel 1

Auf drei Dinge reagierte Walter allergisch: auf Mandeln, auf Niederlagen von Hannover 96 und auf die Rechthaberei sei­ ner Frau. Die Nüsse ließ er einfach weg, gegen schlechten Fußball gab es Bier und bei Helga – nun, nicht ohne Grund prangte ein Wanderabzeichen in Gold an seinem Stock. »Hast du dein Handy dabei?«, hatte sie ihm hinterher­ gerufen. Er hatte mit den Händen geantwortet, »ja, ja, alles dabei«, und wusste doch, dass es auf seinem Nachtschränkchen lag. In der Frühe hatte er sich am Duderstädter Omnibus­ platz in den 170er gesetzt, war in Göttingen umgestiegen und hatte in Hann. Münden direkten Anschluss nach Volk­ marshausen gehabt. Dort war er losgelaufen, hinein in den Bramwald. Nach sechseinhalb Stunden querdurch hatte er sich unterhalb des Totenbergs nur für eine kurze Rast ins Moos legen wollen. Aufgewacht war er, als es längst dus­ ter geworden war. Walter fluchte. Er konnte nicht einen einzigen Hinweis ausmachen, wie er auf dem schnellsten Weg aus dem Wald herausfinden würde. Er hatte die Wahl: Entweder an Ort und Stelle die Nacht verbringen, bei seinem Glück mitten im Revier einer Wildschweinrotte, oder loslaufen. Missmu­ tig streckte er die Glieder. Seine Augen gewöhnten sich schneller an die Dunkelheit, als er gedacht hatte. Gekonnt wich er Zweigen aus, damit sie ihm nicht ins Gesicht schlugen. Er blieb stehen. Über­ all raschelte es, in der Nähe tönte ein Steinkäuzchen. Ihm 7

lief ein Schauer über den Rücken. Gab es im Weserbergland inzwischen auch Wölfe? Walter überkam das ungute Gefühl, beobachtet zu werden. Sei nicht albern, mahnte er sich. Seine Furcht war davon überhaupt nicht beeindruckt. Er entschied sich, den Trampelpfad zu verlassen und sich quer zwischen den Buchen durchzuschlagen. Irgendwann musste er doch auf einen Forstweg stoßen, verdammt noch mal! Er stolperte über eine Wurzel im Boden und prallte mit seinem Musikantenknochen gegen einen Baumstumpf. Der Schmerz blitzte durch den Arm über die Schultern bis ins Rückenmark. Zum ersten Mal in seinem Leben kam Wal­ ter sich richtig alt vor und er war überrascht, wie schreck­ lich sich das anfühlte. Bleib einfach hier sitzen, dachte er, es wird schon nichts passieren. Seine innere Stimme hatte allerdings keine Lust darauf, ohne jeden Schutz mitten im Wald zu übernachten. Also rappelte er sich wieder auf. Plötzlich erahnte er einen mannshohen Holzzaun, keine fünf Meter von ihm entfernt. Walter ging darauf zu und tastete sich an den blanken Holzlatten entlang. Ein Split­ ter fuhr ihm in den Daumen. Er zog den Span heraus und schmeckte das Blut, als er den Finger in den Mund steckte. Achtsam ging er weiter. Da, ein Griff! Er drückte die Klinke, doch die Tür war verriegelt. Es hatte alles keinen Sinn: Er würde über den Zaun klettern müssen, um auf der ande­ ren Seite geschützt bis zum Morgengrauen auszuharren. Bei Tagesanbruch würde er den Weg fortsetzen und wahr­ scheinlich schon gegen halb neun mit Helga einen frischen Kaffee trinken. In der Zwischenzeit würde sie zwar ver­ rückt werden vor Sorge um ihn und hatte weiß der Him­ mel wen nicht alles längst in Aufruhr versetzt, um ihn zu suchen. Das konnte er jetzt allerdings nicht ändern. Walter warf seinen Rucksack über den Zaun und stieg auf den Tür­ 8

griff. Mit letzter Kraft hievte er sich hoch und holte zwei­ mal Schwung, bis er ein Bein über die Tür gehoben hatte. Er zog das andere nach und sprang hinab. Der Geruch von Heiligenkraut und feuchtem Gras stieg ihm in die Nase. Etwa eine Baumlänge von ihm entfernt sah er die Umrisse eines Schuppens und ging unsicher da­ rauf zu. Walter suchte den Eingang, zog die Tür auf und tastete mit der Hand die Wand ab, bis er etwas Rundes erspürte. Er drehte den Knauf und eine Glühbirne an der Decke glimmte auf. Im gleichen Augenblick sprang ihn das Grauen an.

Kapitel 2 »Das ist einfach nichts für mich!« Christian Heldt stützte die Hände auf seine Oberschenkel und schnappte nach Luft. Salzige Schweißperlen, dick wie Rosinen, rollten von der Stirn über den Nasenrücken und tropften hinab. Er wälzte sich über das Gras und streckte Arme und Beine so weit von sich, dass er glaubte, sie würden ihm bald abfallen. Er hatte Baumstämme so schwer wie ein Dutzend Bierkäs­ ten in die Höhe gewuchtet. Beim Klimmzug hatte er alles gegeben und sich an den Stangen entlanggehangelt wie ein 9

Orang-Utan auf Brautschau. Die Übungen waren derma­ ßen anstrengend gewesen und Christian hatte Grimassen geschnitten, für die man in anderen Ecken der Welt kas­ triert worden wäre. Liegestütze, Kniebeuge – »Und jetzt auf einem Bein« – egal welche Befehle Fabian gerufen hatte, Christian hatte alles gegeben. Ein Todesmuskelkater bis in die Spitze seines linken kleinen Zehs war das Mindeste, was ihm nach dieser Aktion blühen würde. Was für eine Quälerei, nur damit er am ersten Göttinger Herbstlauf teil­ nehmen und sich an den glotzenden Massen am Straßen­ rand vorbeischieben konnte, mit einem Gesicht so rot wie eine Kardinalshaube und sehr wahrscheinlich im Feld der Altersgruppe 75 plus. Ihn gruselte der Gedanke. Er hob den Kopf und wagte einen Blick hinüber zu sei­ nem besten Freund. Der hatte ein Pokerface aufgesetzt. Christian hatte keine Chance, auch nur einen Hauch wohl­ wollender Bestätigung oder vernichtender Kritik darin zu erkennen. Entnervt warf er die Arme in die Höhe. »Ich bleibe lieber bei meinen Mördern und Totschlägern.« »Im Jammern bist du schon ganz gut«, sagte Fabian lachend und fuhr sich mit der Hand durch sein gelocktes Haar. »Schalte den perfektionistischen Kriminalbeamten in dir für ein Weilchen ab und setz dich nicht so unter Druck. Du wirst sehen, bis zum Lauf am Wochenende wirst du in Topform sein!« Er hob den Daumen und grinste schelmisch. Erschöpft von den akrobatischen Übungen setzte Chris­ tian sich neben Fabian, seines Zeichens rechte Hand des Landrats und leidenschaftlicher Triathlet, ins Gras. »Wer will mich Fettsack schon durch die Fachwerkschluchten der Stadt hecheln sehen?« Fabian stand auf und ging quer über den Trimm-dichPlatz am Jahnstadion zu seinem Rucksack, den er an der 10

Barren-Station abgelegt hatte. Mit zwei Flaschen Biolimo­ nade kam er zurück, drehte sie auf und reichte eine davon Christian. »Erstens: Du hast die besten Voraussetzungen, beim Lauf zu glänzen.« »Das Einzige, was an mir glänzen wird, werden meine völlig durchgeschwitzten Klamotten sein«, entgegnete Christian und trank die Flasche halb aus. Im nächsten Moment prusteten beide los. »Zweitens«, setzte Fabian immer noch lachend fort, »bist du nur etwas zu klein für dein Gewicht. Und schließlich: Es war deine Idee, dich für den Lauf anzumelden.« »Das war keine Idee«, protestierte Christian. »Ich bin reingelegt worden!« Gleichzeitig huschte ein Lächeln über seine Lippen, als er an den lauen Abend vor dreieinhalb Monaten zurückdachte. In einem Anflug von jugendlichem Leichtsinn hatte er sich zu einer Wette hinreißen lassen und als Wetteinsatz seine Teilnahme am Stadtlauf einge­ bracht. »Nicht im Traum hätte ich gedacht, dass ich ver­ lieren würde.« »Du bist ihr direkt in die Falle getapst, mein Bester.« Christian dachte an sie. Tanja! Wenn er nicht zugelegt hätte wie Joschka Fischer in seiner postparlamentarischen Phase, wenn sie nicht mit Markus Kratzer verheiratet wäre, wenn er sich nur nicht auf diesen ganzen Humbug eingelas­ sen hätte … Wenn, wenn, wenn! Tanja hatte damals gewettet, dass Fabian und er mindestens ein Jahr brauchen würden, um die Vorkriegselektronik und giftigen Bleirohre aus den Wänden zu reißen und das Gehöft, ein unerwartetes Erbe von Fabians Großtante, bautechnisch ins 21. Jahrhundert zu katapultieren. Das alte Gemäuer gut zehn Autominu­ ten südöstlich von Göttingen hatte zwar mehr Ähnlichkeit mit einem heruntergekommenen Bauernhof und war sanie­ 11

rungsbedürftiger als eine 68-jährige russische Oligarchen­ gattin. Doch in den Wanderkarten der Region war es nach wie vor als Gut Eschenberg markiert. Es lag direkt hinter den Gleichen auf einem Hügel, dem Eschenberg, und bot bei gutem Wetter einen Blick bis zu den Westausläufern des Harzes. Fabian hatte sich vorgenommen, dem Gebäu­ deensemble wieder Leben einzuhauchen, nachdem die letzten Bewohner zu Wirtschaftswunderzeiten das Land­ leben als altertümlich kategorisiert hatten und eine Woh­ nung im noblen Göttinger Ostviertel bevorzugten. Einer an zwischenmenschlicher Nähe desinteressierten Verwandt­ schaft hatte Fabian es schließlich zu verdanken, als einzi­ ger Erbe in Frage zu kommen. Das nötige Kleingeld für den Unterhalt des Erbes hatte die Tante leider nicht hin­ terlassen. Er hatte es sich daher zur Aufgabe gemacht, an dem Schmuckstück herumzubasteln, es zu renovieren und Schritt für Schritt wieder bewohnbar zu machen. Chris­ tian half dabei, so gut er konnte. Voller Eifer hatten sie sich in ihre nagelneuen Latzhosen gezwängt, Gemäuer freige­ legt und Fußböden geschliffen. Tanja würde schon sehen, wie alles bald blitzen und glänzen und wunderschön wer­ den würde. Überschwänglich hatten sie eine gruselige Hal­ loween-Einweihungsparty im Herbst in Aussicht gestellt. Tanja hatte sich gekringelt vor Lachen, was Christian letzt­ lich zu dem wagemutigen Wetteinsatz hatte hinreißen las­ sen. Tanja hatte natürlich sofort eingeschlagen. Es sah aus, als sollte sie Recht behalten – bis Halloween waren es keine drei Wochen mehr und das Haus war nach wie vor eine ein­ zige Baustelle. Der Strom floss inzwischen zwar aus den richtigen Steckdosen und das Leitungswasser hinterließ keinen metallischen Geschmack mehr auf der Zunge. Doch eine Übernachtung auf Gut Eschenberg war eher abenteu­ 12