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Die Gelegenheit war günstig und dann habe ich einfach zugeschlagen. .... dert auf die Schreibtischplatte zurück. „Jetzt müsste das Telefon bimmeln und ein saf-.
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Ursula Schmid-Spreer

Die Nürnbergerin Kriminalroman © 2011 AAVAA Verlag UG (haftungsbeschränkt) Quickborner Str. 78 – 80, 13439 Berlin Alle Rechte vorbehalten www.aavaa-verlag.de 1. Auflage 2011 eBooks sind nicht übertragbar! Es verstößt gegen das Urheberrecht, dieses Werk weiterzuverkaufen oder zu verschenken!

Umschlaggestaltung: Yvonne Ludwig, Giengen Foto: © Medienintegration Tamara Kohl, Nürnberg Printed in Germany ISBN 978-3-86254-682-4

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Alle Personen und Namen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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1 Ich bin dumm - aber glücklich. Ich habe es endlich getan - einen Mord! Man kann nur dumm sein, wenn man mordet. Trotzdem fühle ich mich mehr als erleichtert. Endlich hat er das bekommen, was er verdient. Der Hass hat mich dazu getrieben. Soll ich mich der Polizei stellen? Natürlich! Ich muss für meine Tat büßen. Man kann nicht einfach einen Menschen umbringen und das auch noch ungestraft. Das ist ein Gesetz. Bei mir liegt die Sache etwas anders. Ich habe mich befreit. Es wurde immer schlimmer. Die Gelegenheit war günstig und dann habe ich einfach zugeschlagen.

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2 Sieben Uhr morgens. Bertaluise Nürnberger, Belu für ihre Freunde, stellte rote und grüne Gummibären wie Soldaten auf. Der Schreibtisch war leer, bis auf den Ablagekorb. Sie grinste, als sie an den diensthabenden Wachmann dachte. Leicht irritiert sah er sie an, als sie in ihrem lila Outfit, an ihm vorbei rauschte. Dass sie oft Tonin-Ton Wallekleider trug, daran gewöhnten sich die Kollegen. Aber schon weit vor der üblichen Zeit im Polizeipräsidium auftauchen, das war eher selten. Fingerfertig legte Belu eine Reihe roter Gummibären auf, daneben eine Reihe Grün. Dann leerte sie das Döschen mit den Heftklammern in ein Kuvert, stellte die nun leere Box Hochkant und schnipste die Bärchen mit Daumen und Mittelfinger in die Schachtel. Dabei gähnte sie ungeniert, ohne sich die Hand vor den Mund zu halten. „Tor und noch mal Tor! Rot gewinnt!“ Mit einer fahrigen Handbewegung warf sie ihren schwarzen Zopf nach hinten. 5

„Jeden Morgen die gleichen Probleme“, murmelte sie. „Nach welcher Farbe ist mir momentan? Heute lila. Alles muss schließlich immer Ton in Ton sein. Lila Zopfschleife, lila Ohrringe, lila Schuhe, lila Hosenanzug. Aufeinander abgestimmt!“ Belu gab einen kleinen grunzenden Laut von sich. „Ich bin bekannt für mein extravagantes Outfit. Ich kann mir das leisten. Schließlich sind Farben geheimnisvoll. Sie spielen eine große Rolle in meinem Leben.“

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3 Warm ist es heute. Viele Gastwirte haben schon Stühle auf die Gehwege gestellt. Ich sitze im Eiscafe Rimini und genieße die Sonne, schließe die Augen, halte still mein Selbstgespräch. Ich zähle mechanisch rote, schwarze und blaue Fahrzeuge, die die Allersberger Straße hinauf und hinunterfahren. Die Straßenbahn ruckelt. Warm hüllen mich die ersten Sonnenstrahlen ein. Viele kleine Rädchen drehen sich in meinem Kopf. Das Zitrone-Nusseis, das ich mir bestellt habe, zergeht in einem kleinen See auf meiner Zunge. Das erste in diesem Jahr. Mit einem Klecks Sahne und einem bunten Schirmchen. Ich liebe die Geschmacksrichtung Nuss und Zitrone, zerkaue kleine Nussstückchen, schmecke die Süße, um dann der Zunge durch den Schock der sauren Zitrone mitzuteilen, wie das Leben ist – mal süß, mal sauer. Würde man mich besser verstehen, wenn ich das Lächeln von Julia Roberts hätte, oder den Hintern von Jennifer Lopez? Das würde mir schon einmal einen Sympathiepunkt einbringen. 7

Menschen haben mehr Mitgefühl, auch Verständnis, mit attraktiven Leuten. Ich bin nichtssagend, eine graue Maus. Man sieht mich, man vergisst mich sofort. Und ich bin auch nicht besonders intelligent. Das ist der erste Eindruck, den ich äußerlich vermittle. Langweilig und unscheinbar. Es wird sich ändern.

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4 Bertaluise beschäftigte sich in ihrer kärglichen Freizeit viel mit Farben. Las Bücher über Farblehre, mischte auch selbst Farben zusammen, um zu sehen, wie sie wirkten. Es war ein Spleen, der sie ihre Mitmenschen besser einschätzen leerte. So erkannte sie, wie ihre Kollegen sich an jenem Tag fühlten, nur anhand der Kleidung. Das sah sie auf den ersten Blick. „Die Macht der Farben… Können mich die Kollegen wieder necken. Was sie wohl heute zu meinem lila Outfit sagen werden? Lila, die Farbe der Besinnung und der Buße. Habe ich was zu büßen? Ne!“, sagte Belu aus tiefsten Herzen. „Ich lebe so, wie ich es selbst vertreten will.“ Sie stützte sich mit beiden Händen auf dem Schreibtisch auf. Mit der Zunge fuhr sie sich über die Zähne. Dann pulte sie ungeniert mit dem Fingernagel des rechten Zeigefingers in der Nase. „Warum gibt es keine lila Gummibärchen? Warum eigentlich? Das Gelbe ist auch schön, wie der Frühling“, sagte sie laut zu sich. Sie steckte 9

sich gleich mehrere der gelben Gummitierchen in den Mund. Während sie kaute und lutschte, spielte sie gedankenverloren mit ihren Ohrringen. Lang mussten sie sein und schrill. Wie oft hörte sie sich Spott an – auch wenn er nicht böse gemeint war. Nicht alle Kollegen konnten mit ihrer Farblehre etwas anfangen. Die meisten kannten sich damit auch gar nicht aus, lächelten oder verdrehten die Augen, wenn sie orakelte, dass der Täter zum Beispiel ein ‚Rot-Fan’ war. „Erblickst du, lieber Kollege, ein rotes Teil im Schrank unserer Ermordeten? Ja? Siehste! Warum trägt sie ein rotes T-Shirt? Das hat ihr der Mörder angezogen.“ Belu seufzte tief. Woran man morgens um sieben Uhr dachte? Es stellte sich heraus, dass der Mörder tatsächlich die rote Farbe liebte. Er hatte der Leiche damals sogar die Fingernägel rot lackiert. „Ich hatte mal wieder Recht“, sagte Belu laut. Zufrieden nahm sie deshalb ein rotes Gummibärchen. Sie hielt den Kopf in den Nacken, öffne10

te weit den Mund, warf den Bären in die Luft und schnappte danach. „Heute war mir nach Lila!“, sang sie eine falsche Melodie, um dann nach den Klängen des Radetzkymarsches zu schmettern: „Du bist schön, Bertaluise, es dauert nur etwas länger, länger, länger, schön Beluchen, puff dada.“ Etwas heftiger als gewollt, kickte sie nun ein weiteres Gummibärchen in das Heftklammertor. Immer, wenn sie einen Fall abgeschlossen hatte, so wie den Künstlermord, wollte sie sich am liebsten ein paar Tage zurückziehen. Abschalten, Gangstern, Dieben und Mördern den Rücken kehren. Oft war es ihr nicht vergönnt. „Tor“, murmelte sie noch einmal. Genüsslich steckte sie sich nun ein grünes Gummibärchen aus der Tüte in den Mund. „Apfelgeschmack! hmm.“ Diesmal nahm sie sich vor, zu lutschen, und nicht zu beißen. Vor ihr lag ein Berg Akten. Sie müsste dringend ihre Ablage in Ordnung bringen. Jetzt wäre die Zeit dazu. „Na, dann fange ich halt mal an. Papierkram, widerlich! Wann wird der nächste Mordfall auf meinen Schreibtisch flattern?“ 11

* Sieben Uhr und zehn Minuten, die Zeit verging heute zu langsam. Belu wippte mit ihrem Schreibtischstuhl, während sie gedankenlos weitere Gummibärchen zum Mund führte. Sie konnte sich nicht aufraffen, Papiere abzulegen. Sehr früh war sie heute aufgewacht, hellwach und gleich putzmunter. Das kam selten genug vor. Lila war ihr erster Gedanke. Ein Gefühl, dem sie nachgab, eine Intension. Bernd schlief noch fest. Sollte sie ihn aufwecken? Gemeinsames Frühstück? Sie kämpfte kurz mit sich, überlegte es sich dann aber anders. Leise stand sie auf. Lächelte, während sie an ihn dachte. Als sie in die Küche kam, roch es angenehm. Sie drückte einen Knopf an der Kaffeemaschine, bis dieser blinkte. Sogleich zischte Wasser; es brodelte. Die neueste Errungenschaft. Eine denkende Kaffeemaschine mit einer Zeitschaltuhr versehen. „Heute habe ich dich überlistet! Sechs Uhr und Beluchen ist schon putzmunter. Ich bin urlaubsreif, rede schon mit Kaffeemaschinen.“ Belu 12

schnaubte tief und schlurfte zum Hängeschrank, um sich eine lila Tasse zu holen. So kam es, dass sie mitten in der Woche schon morgens um sieben Uhr an ihrem Arbeitsplatz saß. Lustlos nahm sie eine Akte, öffnete sie, überflog die ersten Zeilen und legte sie angewidert auf die Schreibtischplatte zurück. „Jetzt müsste das Telefon bimmeln und ein saftiger Mord herein kommen. Ich bin ausgeruht und bereit meine grauen Gehirnzellen anzustrengen.“ Wie hypnotisiert starrte sie das Telefon an. „Ablage“, knurrte sie. Die Mundwinkel nach unten gezogen. Noch einmal abschätzig: „Ablage!“ Während ihre Hand zum Ablagekörbchen griff, läutete das Telefon.

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5 Menschen taxieren mich, um mich sofort wieder zu vergessen. Man kann in niemanden hinein sehen. Zu oft zählt das Äußere. Wer will sich schon mit einer unattraktiven Person umgeben, die noch dazu kaum ein Wort spricht? Ich habe eine Ausstrahlung wie ein Mehlsack. Nicht immer war ich so - ich bin so geworden. Auf meinen Jugendbildern sehe ich richtig apart aus. Da habe ich noch schöne volle Haare. Jetzt ertappe ich mich immer wieder dabei, dass ich sie mir manchmal ausreiße. Durch meine braunen Haare ziehen sich schon erste graue Strähnen. Richtige Silberfädchen habe ich. Anfang 30 bin ich erst, aber ich fühle mich wie eine uralte Frau. Wie würde wohl die Polizei reagieren, wenn ich hingehe und sage, im Süden Nürnbergs, in der Paulstraße, liegt ein Toter und ich bin verantwortlich dafür? Dann werden sie meine Fahne riechen. Ich genehmige mir in letzter Zeit öfter mal ein Gläschen. Ich mag süße cremige Liköre. Sie schmecken wie Pudding und ich habe nicht das Gefühl Alkohol zu trinken. Sie übertünchen 14

den bitteren Geschmack meines Lebens. Ich bin ja selber schuld. Man kann nichts rückgängig machen. Warum wollte ich mir damals nicht helfen lassen? Konnte nicht vergeben. Konnte nicht verzeihen. Konnte nicht vergessen. Ich hatte diesen Mistkerl so viele Jahre hindurch verfolgt. Ich war sein Schatten, versuchte sein Gewissen zu sein. Warum hat er sich nie gewehrt? Vielleicht stecken mich die Polizisten in eine Ausnüchterungszelle, begleitet von einer Beamtin, die „Ja, ja“ sagt und „Schlafen Sie erst mal gründlich aus.“ Vielleicht werden sie aber auch vorsichtshalber eine Streife in die Paulstraße schicken. Dann öffnet natürlich keiner. Gehen die Polizisten dann achselzuckend weg? Oder versuchen Sie einen Hausmeister ausfindig zu machen, der die Türe öffnet? Ein Blick auf meine Armbanduhr sagt mir, dass ich noch etwas Zeit habe, bis ich wieder zur Arbeit muss. 15