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Deutschland. Die übrigen ... Dann entdeckte sie Milly, schläfrig auf einer Fensterbank ... besten sollten wir sie und alle Feen zu einem Fest einladen, damit alles ...
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Reinhard Kuhnert

Fionas Feen Kinderbuch Mit Illustrationen von Michaela Frech

INHALT Das Haus mit den sechs Schlafzimmern ........................ 4 Der Feenspruch ......................................................... 12 Ein erster Versuch ...................................................... 16 Sonnenstäubchen, Kräuterhäubchen .......................... 28 Vetter James ............................................................. 34 Tiere mit und ohne Motor ......................................... 40 Hunters Höhle ........................................................... 45 Der Ausflug ............................................................... 55 Die 8-Reales Münze .................................................. 73 James verschwindet ................................................... 79 James’ Traum und Wirklichkeit .................................. 83 James wird eingeweiht............................................. 103 Fionas Wunsch ........................................................ 116 Die Rückkehr ........................................................... 125

DAS HAUS MIT DEN SECHS SCHLAFZIMMERN

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anz, ganz weit im Westen Europas befindet sich auf einer großen Insel im Atlantischen Ozean ein Land mit Namen Irland. Und dort lebt, unweit der Küste, genau zwischen zwei Dörfern, das Mädchen Fiona mit seinen Eltern, seiner älteren Schwester Norah und seiner Großmutter. In dem Haus, in dem sie wohnen, gibt es sechs Schlafzimmer. Die Großmutter hat sogar noch ihr eigenes rohrgedecktes Häuschen, das sie liebevoll ihr »kleines Schloss« nennt. Ihr werdet fragen, warum die Eltern von Fiona sechs Schlafzimmer brauchen. Nun, zwei vermietet die Mutter ab und zu an Gäste, die fast immer aus dem Ausland kommen: aus Frankreich, England, Holland, Amerika oder auch aus Deutschland. Die übrigen Schlafzimmer sind für Fionas Eltern, für Fiona, ihre Schwester Norah und, ja, das vierte Zimmer ist noch frei. Früher oder später – sagt Fionas Vater – wird bestimmt noch ein Bruder dazu kommen. »Dann soll er sich aber beeilen, denn ich kann ja nicht ewig warten«, sagt die Großmutter. Sie wohnt ganz allein in ihrem kleinen Schloss, das man über eine hölzerne Brücke erreichen kann. Es steht am Rand einer großen, grünen Wiese. Die muss so groß sein, weil darauf sechsundsechzig Schafe und drei Ziegen grasen, um die sich Fionas Mutter

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kümmert. Fionas Vater Richard hat eine kleine Reparaturwerkstatt für die Autos aus den umliegenden Orten, und er ist ein wahrer Künstler, denn wenn die manchmal schon recht klapprigen Automobile wie störrische Esel stehen bleiben, bringt Fionas Vater Richard sie immer wieder zum Laufen. Und da das manchmal fast an ein kleines Wunder grenzt, nennen ihn die Leute ehrfurchtsvoll den »Autoflüsterer«, denn Vater Richard – ihr könnt es glauben oder nicht – spricht zu den Autos, so wie andere es mit Pferden machen.

Gleich hinter dem kleinen Schloss stehen drei alte Weidenbäume; die gab es schon, als die Großmutter noch ein Kind war. Und dort, zwischen den Bäumen, neben einem großen Weißdornbusch, befindet sich der Lieblingsplatz von Fionas

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geschecktem Pony Dusty. Den Hof zwischen den beiden Häusern teilen sich die rotbraune Katze Milly, die schwarz-weiße Hündin Molly und ein paar Hühner mit ihrem bunt gefiederten Hahn Henry. Wenn der Vater in seiner Werkstatt Autos repariert und die Mutter mit der Großmutter in der Küche arbeitet, findet es Fiona manchmal ganz schön langweilig, weil sie schon früher aus der Grundschule im Nachbarort zurückkommt als ihre ältere Schwester Norah. Die fährt jeden Morgen mit dem Schulbus in die nahe gelegene Stadt, in die dortige Oberschule. Die nächsten Nachbarn wohnen zwar nicht weit entfernt, aber deren Sohn Declan findet Fiona einfach zu blöd. Er geht in dieselbe Schule und er nervt Fiona ganz schön. Zum einen, weil er sie und die anderen Mädchen auf dem Schulhof immer ärgert und dann behauptet er auch immer wieder, Mädchen müssten das tun, was die Jungs sagen, weil Jungs viel cooler seien. Vor allem er, weil er später mal Superman wird. Fiona findet das ziemlich bescheuert. Der und Supermann! Also spielt sie jeden Tag nach der Schule allein auf dem Hof oder sie läuft über die Wiesen zum nahe gelegenen Bach. Der fließt bis in den großen Ozean, hinter dem Amerika liegt. Auf ihrer täglichen Rundreise vergisst sie aber niemals, ihrem Pony Dusty ein paar Stücke Würfelzucker mitzubringen. Den Zucker nimmt sie heimlich aus einer bunten Metalldose, die auf dem Küchentisch steht, weil der Vater Richard seinen Tee »schrecklich süß« trinkt. Als die Mutter die Zuckerdose wieder einmal nach wenigen Tagen

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auffüllen musste, fragte sie verwundert: »Wo bleibt bloß der Zucker? Es ist ja gerade so, als hätten wir die Feen zu Gast. Oder isst du ihn vielleicht, Fiona?« Fiona schüttelte heftig den Kopf und sagte: »Nein, ganz großes dreimal gespucktes Ehrenwort! Ich esse den Zucker nicht.« Und das war ja die Wahrheit. Aber: Die Feen zu Gast? Fiona überlegte: Ob es wirklich welche gibt? Die Großmutter hatte ja ab und zu so etwas erwähnt. Wenn also die Mutter meint, sie würden vom Würfelzucker naschen, wäre es doch immerhin möglich. Sie kennt ja das Märchen mit den guten und der einen beleidigten Fee, aber das ist eben ein Märchen und im Märchen können ja auch die Tiere sprechen. Sie sah zu Molly hinüber, die vor der Haustür lag, an einem Knochen nagte, Fiona zublinzelte und freundlich wie zur Begrüßung knurrte. Dann entdeckte sie Milly, schläfrig auf einer Fensterbank ausgestreckt, mit halbgeschlossenen Augen in der Sonne schnurrend. Und schließlich hörte sie die kakelnden Hühner, die im Sand nach Regenwürmern scharrten. Nein, das konnte man ganz gewiss nicht sprechen nennen, das Knurren, Schnurren und Gackern. Das Beste wird sein, wenn ich die Großmutter frage, die weiß ohnehin alles, dachte sie. Sie spürt zum Beispiel schon einen Tag vorher in ihrem linken Knie, wenn das Wetter wechselt. Und sie kennt alle Heilkräuter, ob nun gegen Bauchweh und Zahnschmerzen oder gegen Hühneraugen. Gesagt, getan: Fiona lief über die hölzerne Brücke zur Hütte der Großmutter und klopfte an die Tür des kleinen Schlosses. Gleich rief die Großmutter von drinnen: »Immer herein!

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Fiona, du kommst genau im richtigen Moment.« Das Mädchen trat ein und sofort stieg ihr der Duft von frischem Möhrenkuchen in die Nase. »Na, möchtest du ein Stück?« Was für eine Frage, natürlich möchte sie eins, viel lieber noch zwei. Fiona biss von dem duftenden Kuchen ab und fragte so ganz beiläufig: »Großmutter, gibt es eigentlich Feen?« Die Großmutter sah sie erst etwas erstaunt an und erwiderte dann: »Selbstverständlich.« »Bist du sicher?« »Ganz sicher.« »Wie kannst du dir so sicher sein?«, wollte Fiona wissen. »Weil ich schon welche gesehen habe«, sagte die Großmutter. »Gesehen? Du meinst so richtig gesehen? Ist das schon lange her? Waren es gute oder böse Feen? Wie sehen sie aus? Wie sprechen sie? Laut oder leise? Haben sie eine richtige Feensprache? Können sie fliegen? Sind sie so groß wie Molly oder so groß wie Milly? Oder so groß wie Hahn Henry oder so groß wie ein Ei?« »Langsam, langsam«, erwiderte die Großmutter lachend. »Eins nach dem anderen.« Fiona wartete ungeduldig und gespannt, sogar ihren geliebten Möhrenkuchen hatte sie vergessen. Die Großmutter setzte sich mit einem Seufzer in ihren abgeschabten roten Plüschsessel, der mindestens genauso alt war wie sie. Dann goss sie sich eine Tasse vom guten starken irischen Tee ein und begann zu erzählen: »Feen gibt es schon so lange, wie es unsere geliebte Insel gibt, vielleicht sogar etwas länger.

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Früher hatten sie ein gutes Verhältnis zu uns Menschen, aber je mehr die Natur zerstört wird, desto weiter ziehen sie sich zurück. Das macht sie oft sehr wütend, denn die Wälder, Felder, Wiesen und Berge sind ihr Zuhause. Normalerweise sind sie so groß wie mein kleiner Finger. Sie haben feine Flügel wie Libellen und können sehr schnell fliegen. Über die einfachen Feen regiert eine Feenkönigin. Ich habe sie nur einmal gesehen und fand sie sehr beeindruckend. Sie ist beinahe so groß wie du, Fiona, und sie trägt ein wunderschönes regenbogenfarbenes glitzerndes Kleid mit tausenden Tautropfen besetzt. Als wir, dein Großvater und ich, damals hier unser kleines Häuschen bauen wollten, da warnten uns die Leute. Dieser kleine Hügel, inmitten unseres Grundstücks sei ein Versammlungsplatz der Feen. Wir müssten die Feenkönigin unbedingt um Erlaubnis bitten, hier bauen zu dürfen. Am besten sollten wir sie und alle Feen zu einem Fest einladen, damit alles auch glücklich verlaufe. Aber wie sie herbeirufen? Da erinnerte ich mich, dass mir meine Mutter, als ich so alt war wie du, einmal einen Feenspruch beigebracht hatte. Ich dürfe ihn nie vergessen, hatte sie mich ermahnt. Wo die drei alten Weidenbäume stehen, müsse ich mich mit geschlossenen Augen unter den Weißdornstrauch legen. Wenn ich dann den Spruch leise aufsage, würden sich die Feen vielleicht sehen lassen. Als ich Großvater Fergus davon erzählte, nickte er ernsthaft und sagte: ›Wenn du den Spruch noch nicht vergessen hast, dann versuch es. Ohne den Segen der Feenkönigin können wir hier kein Haus bauen.‹ Tja«, die Großmutter nahm einen Schluck aus der bauchigen bunten Teetasse und fuhr dann fort, »ich

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erinnerte mich damals tatsächlich an den Spruch. Die Königin der Feen nahm unsere Einladung an und gab uns die Erlaubnis, neben dem Hügel zu bauen. War das ein wunderschönes Fest, die Königin tanzte sogar mit deinem Großvater und alle anderen wirbelten um uns herum. Die Musik dazu war so fein, dass wir sie nur mit unserer inneren Stimme hören konnten.« Die Großmutter seufzte etwas wehmütig und dann wurde sie sehr feierlich. »Die Feenkönigin hat mir am Ende des Festes zur Erinnerung eine silberne Kette überreicht, mit einem ganz besonderen Anhänger.« Die Großmutter stand auf, ging zum Kaminsims und nahm eine kleine Schatulle herunter. Sie öffnete sie und zog eine feine silberne Kette heraus, an der sich ein Anhänger in Form einer Spirale befand. ›Diese Kette besitzt magische Kräfte, sie soll dir zu allen Zeiten als Schutz dienen‹, sagte die Feenkönigin damals mit feierlicher Stimme. Ich konnte nur noch überglücklich ›Danke‹ stottern, dann war sie schon mit ihrem kleinen Volk im Dunst der Wiesen verschwunden. Ich habe sie danach nie wiedergesehen, und würde es nicht die Kette geben, hätte ich wohl alles für einen Traum gehalten. Die Feen, musst du wissen, sind nämlich sehr scheu. Allerdings auch neugierig. Und sie geraten leicht in Streit miteinander, weil sie schnell eifersüchtig werden. Wer ihnen freundlich begegnet, dem helfen sie, aber sie führen uns Menschen auch gern an der Nase herum. Dein Großvater Fergus zum Beispiel ist einmal in einer nebligen Nacht aus dem Pub gekommen, wo er nicht wenige Biere getrunken hatte. Draußen konnte man kaum die Hand vor Augen sehen, also brummte er vor sich hin:

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›Dann sollen mich doch die Feen nach Hause leiten.‹ Das taten sie dann auch, aber auf so seltsamen Umwegen, dass er erst im Morgengrauen hier am kleinen Schloss anlangte. Dein Großvater kannte alle berühmten irischen Volkslieder und Balladen, die er jedes Mal, wenn er aus der Kneipe kam, laut auf der Straße sang. Die Feen lieben Gesang und ich glaube, sie haben ihm erst den Weg hierher gezeigt, nachdem er alle Balladen, die er kannte, gesungen hatte, und das waren sehr viele.« »Und kann ich auch Feen sehen?« Fionas Gesicht war vor Aufregung so rot wie der Plüschsessel.

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DER FEENSPRUCH

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öglich ist alles«, sagte die Großmutter. »Dazu müsste ich mich aber an den Feenspruch erinnern.« »Könnten wir das nicht gleich mal versuchen? Bitte!« Die Großmutter seufzte: »Das ist schon zu lange her. Es tut mir leid, Fiona, aber mir fällt der Spruch beim besten Willen nicht mehr ein.« Fiona war grenzenlos enttäuscht. »Schade«, flüsterte sie. Dann drehte sie sich mit hängendem Kopf um und wollte das Zimmer verlassen. »Warte!«, rief da die Großmutter. »Ich glaube, ich habe den Spruch damals auf einen Zettel geschrieben. Wenn ich nur wüsste, wo ich ihn hingelegt habe …« Sie sah sich ratlos im Zimmer um. »Ach, bitte, Großmutter, versuch dich zu erinnern!«, bettelte Fiona. »Deine Brille findest du ja auch immer wieder.« Die Großmutter lächelte, denn sie verlegte wirklich des Öfteren ihre Brille, aber bisher hatte sie sie noch immer wiedergefunden. »Das mit dem Feenspruch ist schon so lange her«, seufzte die Großmutter, »da brauche ich etwas Zeit zum Überlegen.« »Okay«, sagte Fiona, »dann morgen … bis morgen weißt du es bestimmt wieder.« »Ja, ja, vielleicht bis morgen«, murmelte die Großmutter in Gedanken. 12

Aber sehr überzeugend klang das nicht, fand Fiona. Sie lief hinaus auf den Hof und setzte sich, immer noch etwas enttäuscht, auf die Bank neben der Haustür. Was, wenn die Großmutter nur geflunkert hatte, dachte Fiona, und es gab gar keinen Feenspruch, vielleicht auch überhaupt keine Feen. Die Großmutter konnte ja auch Märchen so spannend und überzeugend erzählen, als ob die Geschichten in Wirklichkeit passiert waren. Fionas Zweifel wurden immer stärker. Sie musste noch jemand anderen fragen, was es mit den Feen auf sich hat. Aber wen? Ihr Vater glaubte nur, was er sah, alles andere gehörte für ihn ins Reich der Märchen.

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