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Corbridge. 3687 Br.-Reg.-T., engl. Author. 3496. Trader. 3608. Ariadne. 3035 ...... Neutralität, aber er könnte aus seinen eigenen Weissbüchern lernen wie es ...
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Mary Sophie Zwilgmeyer, geb. Witt Tagebücher Teil 1 bis 3 Tagebuch 1914 bis 1918 Nachwort 1928 Erinnerungen 1933

„die beiden grössten Kulturvölker“   Einige Überlegungen zum Tagebuch der Mary Zwilgmeyer  1928, zehn Jahre nach Kriegsende fertigte Mary Zwilgmeyer die Abschrift eines Tagebuches an, welches sie vom 3. August 1914 bis zum 1. Oktober 19181 geführt hat. Diese Tagebücher liegen seitdem in einer geschlossenen maschinenschriftlichen Form in zwei Bänden vor, gelegentliche handschriftliche Korrekturen von der Hand der Autorin gibt es. Das Originalmanuskript ist nicht mehr erhalten. Wenn man sich nun dieses persönliche Dokument eines Zeiterlebens anschaut, sollte man zunächst einmal bedenken, dass es sich um eine bearbeitete Form eines Tagebuches handelt, ob etwas weggelassen, verändert oder ergänzt wurde, wird für den Leser nicht klar und kenntlich gemacht. Gleichzeitig ist dieses Tagebuch aber sicherlich authentisch, spiegelt es doch die Gefühle und Ereignisse aus ihrer subjektiven Sicht wider.2 Wichtig ist zum zweiten der selbst genannte Adressatenkreis des Tagebuches, die eigene Familie, konkret die in England lebende Tochter „Elsa“, für die eine möglichst authentische und die Zeitläufte verbindende Chronik entstehen sollte. Sehr klar sieht die Autorin dabei, dass kriegsbedingte Zensurmaßnahmen sicher einen unkontrollierten Briefverkehr verhindern würden, das persönliche Tagebuch erschien sicherer. Die Autorin reflektiert so zu Beginn klar, welche Folgen ein solcher Krieg in Europa für alle Beteiligten bringen wird. Die Tatsache, dass die Eintragungen dann 1928 abgeschrieben und für die Kinder und Enkelkinder aufbereitet wurden – wie es in der Präambel heißt – zeigt nicht allein, dass sie sich der Bedeutung eigener Erinnerungen klar war. Indem sie ironisch auf den Völkerbund verweist und den „Frieden“ in Anführungsstiche setzt, macht sie sich das Unbehagen und die Kritik an der in der Weimarer Republik geführten Debatte um Kriegsschuld und Versailler Vertrag indirekt zu eigen und bettet so die Erinnerungen für die Nachkommen in die Geschichtspolitik der Weimarer Republik ein. Mit der Präambel klärt Mary Zwilgmeyer schnell und früh über den eigenen Standpunkt auf. Das Tagebuch ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Zunächst ist es eine private Chronik und Meinungsäußerung, eine politische Funktion hatte es nicht. Es schreibt eine Mutter und Ehefrau, eine Freundin über die Ereignisse, so wie sie sie erlebt hat und sie sich ihr darstellen. Warum sollte man aber nun dieses Tagebuch aufwändiger kommentieren? Sicher nicht nur, weil sie sich als eine fleißige Leserin der Amtlichen Depeschen erweist und ausführlich aus dieser öffentlichen Kriegsberichterstattung zitiert und damit – gerade für die ersten Kriegsjahre – eine gute Kriegschronik formuliert. Diese kann heute gut eingesehen und gefunden werden3 und darüber, dass diese offiziösen Verlautbarungen die Öffentlichkeit über den wahren Charakter der Situation auf den Schlachtfeldern weitgehend im Unklaren ließen, besteht heute in der Forschung 1

In der Kladde des Tagebuches 1916 bis 1918 gibt es zusätzlich noch eine darin Nachschrift vom August 1928 unter der Überschrift „Nach zehn Jahren“, später hat sie noch eine Reflektion des Frühjahres 1933 verfasst. 2 Vgl. zu den Tagebüchern allgemein Winfried Schulze: Ego-Dokumente: Annäherung an den Menschen in der Geschichte? Vorüberlegungen für die Tagung „Ego-Dokumente“, in: ders. (Hg.): Ego-Dokumente: Annäherung an den Menschen in der Geschichte (Selbstzeugnisse der Neuzeit Bd. 2), Berlin 1996, 11-32. 3 Amtliche Kriegs-Depeschen. Nach Berichten des Wolff´schen Telegraphen Bureaus, Berlin 19141919.

III

Konsens.4 Ergänzt werden diese Informationen jedoch nicht allein durch eine intensive Lektüre der deutschen Presse sondern auch das regelmäßige Studium der englischsprachigen Presse, wobei neben der Times immer wieder auch weitere Tageszeitungen5 auftauchen. Diese reichlich gebrauchten Quellen kommentieren sich zum Teil wechselseitig, manchmal passen sie auch nicht zusammen. Weiterhin wird die Darstellung durch eine persönliche Ebene geprägt, durch die mündliche Berichte aus dem Freundes- und Bekanntenkreis der Zwilgmeyers. Sie gehörten zur Berliner Gesellschaft, verkehrten aber offenbar weniger mit einflussreichen Militärs als mit der bürgerlichen Gesellschaft. Was nun dieses Tagebuch besonders macht, ist die Autorin und die von ihr repräsentierte Lebenswelt. Es ist zunächst die Lebenswelt einer gut situierten Familie, die im vornehmen Berliner Westen lebte und ein offenbar weitgehend sorgenfreies Leben zwischen Berlin und dem Sommersitz in Schönholz in Brandenburg führte. All dies wird in vielen Einträgen plastisch deutlich. Es geht um die Jagd, um Urlaube und die Zukunft der Kinder, um gesellschaftliche und ökonomische Fragen. Mary Zwilgmeyer, geborene Witt lebte seit 1905 in Berlin als Ehefrau des ehemaligen Leiters der Deutschen Bank London, Georg Zwilgmeyer (1849-1927)6, der seinen Ruhestand in der Reichshauptstadt verlebte, beruflich u.a. als Aufsichtsratsmitglied der Deutschen Bank noch immer aktiv. Sie ist eine englische Deutsche. Auf der Folie des Tagebuches bemüht sie sich immer wieder darum, eine eigene Position zu finden in dieser weltpolitischen Auseinandersetzung, die für sie in mehrfacher Hinsicht existentiell ist. Sie weiß – wie jede Mutter – ihre Kinder durch den Krieg bedroht, ein Krieg, der ihr wie ein Krieg in der eigenen Familie vorkommt, an dem zwei Nationen sich gegenüber stehen, die sich nicht allein in ihrer Familie verbinden.7 „England bedeutet die Welt“ (Seite 7) so kann sie aus tiefster Überzeugung in ihrem Tagebuch ausrufen, sie ist zutiefst davon überzeugt von der Bedeutung der Weltmacht England, die als Handelsmacht eine führende Rolle einnimmt. Sie ist in Sorgen um die Stellung Englands als Weltmacht (vgl. z.B. Seite 31f), eine Rolle, die sie ihrem Geburtsland selbstverständlich zuweist, wenn denn Deutschland seine führende Rolle in der Welt ebenfalls einnehmen kann. Für sie ist es tragisch, dass damit die beiden „grössten Kulturvölker“ (Seite 32), die die Welt prägen sollen, sich in einer Feindschaft gegenüberstehen, die die früheren guten Verbindungen (sie denkt dabei offensichtlich an die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den Herrschaftshäusern) guten Beziehungen komplett zu zerstören suchen. Mit großem Misstrauen und innerer Abwehr begegnet sie der englischen Politik8, die sie gegenüber Deutschland als maßlos und imperialistisch empfindet, um zugleich die deutsche expansionistische und aggressive Politik zu verteidigen. Wobei sie sich, wie

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Vgl. dazu Wolfgang Mommsen, Die Urkatastrophe Deutschlands. Der Erste Weltkrieg 1914-1918 (Gebhardt. Handbuch der Deutschen Geschichte, 17), Stuttgart 2002, passim; vgl. auch ders., Der Erste Weltkrieg. Anfang vom Ende des bürgerlichen Zeitalters, Frankfurt/Main 2004. 5 Im Literaturverzeichnis sind die benutzten und identifizierten Quellen aufgeführt. 6 Vgl. dazu besonders Manfred Pohl/Kathleen Burk, Die Deutsche Bank in London 1873-1998, München 1998, 33. Im Archiv der Deutschen Bank in Frankfurt gibt es einen kleinen Nachlass von Georg Zwilgmeyer, der allerdings in der Regel geschäftlicher Natur ist. 7 Vgl. zu den deutsch-englischen Beziehungen im Ersten Weltkrieg vgl. den Tagungsbericht Der Erste

Weltkrieg in der deutschen und britischen Erinnerungskultur. 04.09.2014–06.09.2014, Coburg, in: HSoz-Kult, 30.10.2014, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=5617 (Zugriff 4.11.2014).

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Vgl. zu England im Ersten Weltkrieg, Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumreich/Irina Renz (Hg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2014, 50-63 (Jay Winter). Eine vorzügliche Geschichte des Ersten Weltkrieges liefert Jörn Leonhard, Die Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkriegs, München 2014.

IV

viele andere auch, vor allem scharf gegenüber Frankreich, Russland und die Balkanvölker abgrenzt. Tagebücher können auch Seismografen für Veränderungsprozesse sein, in den Beschreibungen, den wiedergegebenen Stimmungen aber auch den alltäglichen Erlebnissen. Der Krieg trat ein in das Leben einer bürgerlichen Familie. So spiegelt sich in den Tagebuch auch die auf George F. Kennan zurückgehende Charakterisierung des Ersten Weltkrieges als „Urkatastrophe des 20. Jahrhundert“ wider.9 Diese Beschreibung kann – trotz dann unterschiedlicher Interpretationen über Ursachen und Folgen oder der Unterschiede in den einzelnen Ländern – als weitgehender Konsens in der Beurteilung des Ersten Weltkrieges gesehen werden. In Verbindung mit der weithin akzeptierten Periodisierung des englischen Historikers Eric H. Hobsbawn, der den Ersten Weltkrieg als Beginn des „Zeitalters der Extreme“ im „kurzen 20. Jahrhundert“ beschrieben hat, erlebten die Menschen den Beginn eines Jahrhunderts kriegerischer Auseinandersetzungen, tiefgreifender Konflikte, aber auch glücklicher und zukunftsweisender Entwicklungen (Demokratisierung, steigender Wohlstand).10 Der Düsseldorfer Historiker Wolfgang Mommsen hat auf die enormen Auswirkungen des Ersten Weltkriegs auf die Gesellschaft hingewiesen,11 in ihm sind alte Ordnungen zerbrochen, ohne dass neues und festes entstehen konnte. Beides kann man in dem Tagebuch plastisch nachlesen, ebenso wie das Bemühen, in der allgemeinen Bedrohung und Gefährdung die eigene Familie und den Freundeskreis zu erhalten.

Zum Text Die Abschrift entspricht in der Formatierung den Seitenzahlen des Tagebuches. Der Text wurde abgeschrieben, Druckfehler sind in der Regel erhalten geblieben. Hinzugesetzt wurden die Endnoten, die sich bemühen, sowohl die Quellen, die sie benutzt zu klären als auch bestimmte Sachverhalte zu erläutern. Die Kommentierung beschränkt sich auf wesentliche Namen, Themen und Ereignisse.

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Sie stammt aus dem Jahr 1980. Vgl. zu dem Topos allgemein die Hinweise bei Wolfgang Mommsen, 14 10 Vgl. dazu Thomas Welskopp: Eric J. Hobsbawm: Historiker im „Zeitalter der Extreme“, in: Eric J. Hobsbawm: Wege der Sozialgeschichte. Ansprache anlässlich der Verleihung des dritten Bochumer Historikerpreises. Schriften der Bibliothek des Ruhrgebiets, Heft 28. Klartext, Bochum 2009, 15–21. 11 Mommsen, 151-153; vgl. auch Leonhard, 997ff.

V

T a g e b u c h, T e i l I, 1914 - 1915

M e i n e n K i n d e r n, d i e d e n K r i e g e r l e b t h a b e n, u n d m e i n e n E n k e l n, die ihn – laut Völ kerbund – nie e r l e b e n w e r d e n,

g e w i d m e t, im zehnten Jahre des s o g e n a n n t e n „F r i e d e n s“.

Wenn ich in meinem Bemühen, ein abgerundetes Bild zu geben, mal diesen oder jednen Gedanken der Tagespresse entnommen habe, ohne die Quelle anzugeben, so bitte ich hiermit um gütige Verzeihung .

-1 An meine älteste Tochter z. Zt. in England. den 3. August 1914. Liebste Elsa. Da ich Dir nur ganz magere Postkarten schreiben kann, die Dich wahrscheinlich gar nicht erreichen werden – will ich einen Tagebuchbrief anfangen, damit Du später im Bilde bist, über das, was wir jetzt hier erleben. Die Nachrichten wurden am Freitag den 31. Juli so sehr ernst, dass Vater an Granny nach London drahtete, sie möchte nicht abreisen. Sie hatte sich im gleichen Sinne entschieden, denn wir bekamen von ihr ein Telegramm „not coming“. Auf dem Gülitzer Postamt sagte mir Fräulein Stavenow, sie hätten Befehl, Tag und Nacht Dienst zu tun. Am Sonnabend früh fuhr Vater mit dem ersten Zuge nach Berlin, um alles mit Georgie zu besprechen, der noch in der Pension Fink war. Georgie holte ihn von der Bahn ab und sie klingelten Siegfried von W. in Brandenburg an. Siegfrieds Rat war: “Wenn mobil gemacht wird, kommt Georgie sofort zu mir. Ich führe ihn in unser Regiment ein.“ Dann suchten sie Hauptmann von P. in seiner Wohnung auf. Er war auf dem Kasernenhof und liess sagen, sie möchten herüberkommen. Alles war ruhig und beschäftigt, die Mannschaften meistens beim Reiten. – Die Mobilmachung wurde stündlich erwartet, denn man wusste genau, dass Russland schon tagelang mobilisiert hatte. Aber als Vater mit dem 5 Uhr 30 Zuge Berlin wieder verliess, war noch keine Nachricht. Inzwischen hatten wir in Schönholz einen ruhigen Tag bei

-2herrlichstem Sommerwetter verlebt. Ich schlug Irene vor, sie möchte im Dorf Chokolade kaufen, um sie Harker mitzugeben, falls – das Furchtbare, was man ahnte – Wirklichkeit werden sollte. Um sechs Uhr fuhr ich um die Felder mit Herrn und Frau v. W 1. Der Roggen wurde eingefahren, es war ein wunderbarer Abend, golden und still, und man konnte es nicht fassen, dass vielleicht in einigen Stunden --Kurz vor 7 Uhr stand ich mit Brüning bei den Frühbeeten und bewunderte die Melonen. Hermann und Harker wollten gerade Feierabend machen. Der Garten sah so schön aus, so ordentlich – es war doch Sonnabend Abend. Die Pfirsiche fangen an zu reifen, und ich dachte, wie schade es sei, dass unsere Gäste nicht kämen. Plötzlich in der Abendstille hörten wir ein Motorrad die Chaussee herunter rasen. Es war Schumacher, und als er an uns vorbei kam, rief er. „Mobil, mobil!“ Harker warf seinen Spaten von sich und lief auf den Hof, wo unter der grossen Buche die drei Mädchen sassen. Sie brachen sofort alle in lautes Weinen aus. Hedwig hat drei Brüder und zwei Schwäger, die gleich fort müssen, Marianne zwei Brüder. Nun war es Zeit, Vater in Karstädt abzuholen, Walter und ich fuhren im Auto hin. So viel Menschen warteten auf den Zug – Männer, die ihre Regimenter erreichen, Frauen und Kinder, die noch ihre Verwandten ansprechen wollten. Vater und Graf W. stiegen zusammen aus. Sie hatten sich in Wittenberge getroffen und dort die Nachricht erhalten. Graf W. hat Frau und Kinder an der See gelassen und muss Pferde ausheben, dreihundert Stück bis zum nächsten Mor-

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gen, sagte er. Um Georgie noch zu sehen, entschlossen Vater und ich , Sonntag früh mit Hedwig und August mit dem Auto nach Berlin zu fahren. Brüning war sehr traurig. Er trug mir so viele Grüsse an Herrn Georg auf, „und er soll es sich nicht zu schwer werden lassen.“ Da Herr v. W. unsere Pferde nicht ausgehoben hat – er schickt von seinen sechs fort – haben wir ihm unsere für die Ernte zur Verfügung gestellt. Um elf Uhr fuhren wir von Schönholz ab, nach einem Drittel des Weges platzte ein Reifen. Das Reparieren dauerte eine halbe Stunde, während der wir im Chausseegraben einnickten. Nach einer weiteren halben Stunde dasselbe Pech, und zum dritten Male vor Nauen. Dort mussten wir zwei Stunden bleiben, bis ein ganz neues Rad geholt wurde. Bis Berlin ging es dann in rasendem Tempo und um sechs waren wir in der Von der Heydtstrasse. Eine Viertelstunde später kam Georgie aus Brandenburg wieder. Er ist als Fahnenjunker bei den VI. Kürassieren angenommen, ebenfalls Siegfrieds Neffe, der junge Bredow. Siegfried wünscht, dass sie beide in seiner Wohnung hausen, er lässt seine Köchin dort und Bredow bringt einen alten Diener mit. Sie werden es also sehr gut haben, und Siegfried, der morgen mit seiner Schwadron ausrückt, hat hinterlassen, sie möchten sich in ihren Mussestunden um seine Jagd kümmern und um seine Hunde! Hedwig, sobald sie unsere Betten gemacht und die Fenster geöffnet hatte – alles roch natürlich nach Kampfer – fuhr nach Potsdam zu ihrem Bruder, der als Unteroffizier bei den Gardejägern steht. Sie kam gerade dazu, als der Wagen ihn und seine jun-

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ge Frau von der Kriegstrauung brachte. Vierundsechzig Paare, Offiziere und Unteroffiziere, wurden den Abend in der Potsdamer Garnisonkirche getraut! Es muss eine wehmütige Stunde gewesen sein. Hedwig sagte mir am nächsten Morgen, ihr Bruder hätte sie beinahe totgeküsst vor Freude sie zu sehen. Georgie war den Morgen hier in der alten Garnisonkirche gewesen bei der Abschiedsfeier für die Offiziere und ihre Familien. Kaiser und Kaiserin waren anwesend, und nach der Feier fanden ebenfalls Kriegstrauungen statt. Suse, die ich gleich anklingelte, sagte mir, sie wäre am Sonnabend mit Otto vor dem Schloss gewesen, als der Kaiser seine Ansprache an das Volk hielt. Es wäre erschütternd gewesen. Viel zu erregt, um im Zimmer zu bleiben, fuhren Georgie und ich in einer Droschke unter die Linden, wo es schwarz von Menschen war, - alle ruhig, sehr ernst und sachlich. Es ist, als ob das Geschehen zu gewaltig wäre, um in seiner ganzen Tragik und Schwere erfasst zu werden. Innerlich ist in allen Volksschichten eine grosse Begeisterung zu spüren, auszuziehen, um das Vaterland zu schützen, aber irgendwelche lauten Kundgebungen waren nicht zu merken. Am nächsten Morgen schlug Georgie, der erst Sonnabend in Brandenburg antreten muss, vor, noch ein paar Tage nach Schönholz zu gehen und einen Bock zu schiessen, aber nach reiflicher Ueberlegung gaben wir den Gedanken auf. Hin wären wir schon gekommen, aber zurück? Der Chauffeur kam vor und sagte, unser für die Ferien gemietetes Auto würde für Kriegszwecke beschlagnahmt

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werden. Ich klingelte also Walter in Schönholz an, und er und ich begannen aus alter Gewohnheit englisch zu sprechen. Sofort rief das Telefonfräulein: „Sie müssen deutsch sprechen,“ und trennte uns. Bei abermaliger Verbindung sagte ich Walter auf gut Deutsch, sie möchten sofort einpacken und mit Irene, Nannie, Marianne, Luise und Prinz um 4 Uhr 54 nach Berlin fahren. Das taten sie auch und kamen mit nur geringer Verspätung an. So sind wir alle wieder vereint, auf Gedeih und Verderb, nur Du nicht, arme Elsa. Wir denken viel an Dich und sind beruhigt, Dich in Champneys bei Marcs zu wissen. Von heute Nacht ab werden alle D-Züge eingestellt und die Kontrolle des ganzen Eisenbahnverkehrs geht an die Militärverwaltung über. Zivilpersonen werden mitfahren dürfen, soweit Platz ist. Alle Menschen, die auf Ferien waren, reisen eiligst nach Hause. Das Gepäck auf den Eisenbahnen ist bergehoch aufgeschichtet.

Dienstag, den 4. August. Gestern Abend wurde ein russischer Spion auf der Herkules-Brücke festgenommen. Ilse und Rolf sahen ebenfalls einen Spion Unter den Linden festnehmen. Er war in deutscher Marineuniform. Die Aufregung war sehr gross. Die Begeisterung wächst stündlich, aber wie wird Deutschland mit Frankreich und Russland gleichzeitig fertig ? Es ist doch eine zu gewaltige Aufgabe. Gestern stellten sich in Berlin allein 80 000 Kriegsfreiwillige. Walter will sich stellen, sobald er sein Notabitur gemacht hat, wozu alle Ober= und Unterprimaner zugelassen werden. In der Heimat ist jetzt

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die Einbringung der Ernte das Wichtigste. Von heute an ist Deutschland von allen Arbeitern unter 35 Jahren entblösst. Das will was heissen, namentlich in den norddeutschen Agrargegenden. – Der Roggen ist geschnitten, aber noch nicht eingefahren, Weizen und Hafer stehen noch auf dem Halm. Onkel Rudolf sagt, er hätte niemand mehr auf Bärenwalde. Sie haben ihm sogar dreissig Nichtmilitärpflichtige weggenommen, um in Graudenz Erdwälle aufzuwerfen. So muss die Feldarbeit von Ersatzkräften geschafft werden. Alte Männer, Frauen und namentlich die älteren Schüler werden in Trupps aufs Land geschickt. Vater sagt, ich müsse Vorräte einkaufen, denn die Zeit mag kommen, wo Berlin verhungert. Weisst Du noch unseren alten Witz, „wie lange würde Schönholz eine Belagerung aushalten ?“ Ich habe dort Hunderte von gefüllten Weckgläsern, wenn aber die Russen da eindringen, wovor Gott und unsere Soldaten uns bewahren mögen, so ziehen sie gewiss einen ganzen Ochsen vor, und Schnaps vor Himbeersaft. Heute ist Berlin ohne Milch und ohne Kartoffeln, weil während der Mobilmachungstage der ganze Gütertransport unterbrochen ist. Sind diese Tage vorbei, wird sich alles wieder regeln, so lange wir überhaupt was haben, denn vom Ausland werden wir nichts mehr einführen können. Sonst geht alles seinen geregelten Gang. Man sieht auf den Strassen viele feldgraue Offiziere mit ihren Frauen die letzten Einkäufe machend, ohne viel Worte, es könnten beinahe Weihnachtsbesorgungen sein. Eben klingelte mich Frau G. an. Sie sind gestern in Berlin

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angekommen, nach einer achtundvierzigstündigen Fahrt von Annecy in Savoyen. In Basel waren die Bahnhöfe geschlossen. Auf der Schweizer Seite wurden die Züge geleert, und die Reisenden mussten zu Fuss über die Grenze. Auf der deutschen Seite standen wieder Züge bereit. Sonntag früh fuhren sie sozusagen Schritt durch Elsass-Lothringen, die ganze Bahnstrecke war von Truppen bewacht.

Spät abends. Walter traf Erich E. heute Nachmittag, als er zum Nachtdienst in den Admiralstab ging. Er sagte zu Walter: „Jetzt haben wir zwei Feinde, bald kommt der Dritte!“ Ich bat Gertrud E. zu Tisch und Onkel Rudolf. Um neun Uhr wurde Onkel Rudolf angeklingelt. Der Englische Botschafter hat seine Pässe verlangt!! Nun wissen wir das Schlimmste. Et tu Brute ! Kurz vor 10 Uhr kam noch Major v. V. vom Grossen Generalstab, den wir wegen Walter zu Rate gezogen hatten. Er hatte Nachtdienst, kam aber auf 5 Minuten herauf und schlug die Braunschweiger Husaren vor. Als er meine Verzweiflung über die letzte Entwicklung sah, sagte er : „Aber gnädige Frau, was kann uns England antun ?“ Mir aber ging ein Schaudern durch und durch, denn England! England bedeutet die Welt!

den 5. August. Heute ist Hermann G’s Kriegstrauung in Lübeck. In 5 Tagen geht er mit seiner Sanitätskolonne an die Front. Carl D. ist in

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Graudenz, die arme lahme Agnes allein auf dem Gut, nur mit ein paar alten Arbeitern. Heute Morgen hielt Militäroberpfarrer Goens 2in der Garnisonkirche einen Bittgottesdienst ab, zu dem Georgie und Irene gingen. Walter fährt heute Abend nach Braunschweig, um sich bei den Husaren zu stellen. Er hat Empfehlungen von Major v. V., Onkel Rudolf und Exzellenz B., den Braunschweiger Gesandten. – Morgen früh um 11 ist er dort fällig. Sonst dauerte die Reise drei Stunden. Die ganzen Eisenbahnen arbeiten vorzüglich. Major v. V. sagte mir, in seiner Abteilung hätte keiner eine einzige Frage an ihn gestellt, alles arbeitet glatt und reibungslos. A m e r s t e n A u g u s t. von Ludwig Thoma. Aus den Münchener ‚Neuesten Nachrichten’. Es wurde still. Ein ganzes Volk, es hielt mit einem Den Atem an. Doch stockte keinem Darum des Herzens Schlag. So ging der Tag. Dann senkt sich feierlich und milde Der Abend über die Gefilde Und heiter blinkt und fern Ein heller Stern, Als wenn er’s heute wie immer fände.

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In allen Hütten müde Hände, Und gute Rast Nach heisser Arbeit Last. Horcht ! War’s nicht, als hätt’ ein Ruf geklungen, Ein Ton, als wie aus Erz gedrungen ? Da – wieder ! Auf ! Auf – zu den Waffen ! Auf ! Nun geht es brausend durch die Wälder, Nun dröhnt es über stille Felder : Die Wehr zur Hand ! Und schützt das Vaterland ! Auf springt das Volk, es reckt die Glieder . Und keine Sorge drückt uns nieder. Komm, was es sei ! Von Ungewissheit frei Wir wollen es gemeinsam tragen Und heute schon als bestes sagen, Dass man uns Hand in Hand Als Brüder fand. Dem Kaiser, der dies Wort gegeben, Wird Dank in jedem Herzen leben Und jetzt – hurra ! Du Mutter uns – Germania ! 3

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Heute sollte Frau v. Z. zu uns nach Schönholz kommen. Statt dessen schickt sie drei Söhne und einen Schwiegersohn in den Krieg !

den 6. August. Heute früh kam Gräfin v. d. S., 4 um mich zu bitten, mich um ihre Engländerin etwas zu kümmern. Graf v. d. S. ist auf dem Generalkommando und rückt am Sonntag aus, der älteste Junge Johann Albrecht, 16 Jahre alt, ist bei dem Garde du Corps eingetreten. „Es wird ganz furchtbar schwer sein,“ hat der Graf zu seiner Frau gesagt. Er war nicht umsonst Militärattaché in London und weiss, wie tadellos das kleine englische Heer ist, ganz abgesehen von den französischen und russischen Heerscharen. Heute ist der fünfte Mobilmachungstag. An jeder Strassenecke trifft man kleinere und grössere Trupps von Reserven, die zu ihrem Truppenteil gehen. Sie marschieren ruhig und heiter und meistens singend. Und bis zum letzten Augenblick sind sie bei der Arbeit gewesen. Die Drucker drucken, und die Bäcker backen und die Knechte pflügen, und dann, nach Hause, das Päckchen gepackt und Abschied genommen. Sind sie eingekleidet, wird im Pappkarton die Zivilkleidung nach Hause geschickt. „In der Heimat, in der Heimat, da gibt’s ein Wiedersehn.“ Aber für wie viele ? Solche Einheit, solche Aufopferung muss doch den Sieg bedeuten, aber auf welche Kosten ? Franz v. G., der bis jetzt Pferde ausgehoben hat, hofft einen Dolmetscherposten an der französischen Front zu bekommen.

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Alle jüngeren Männer unserer Bekanntschaft sind jetzt fort, die älteren suchen jede Gelegenheit, herauszukommen. Es ist das grösste Geschehen der Weltgeschichte, Deutschland gegen die Welt, und diese Welt zum Teil unsere eigenen Brüder, Brüder in Rasse, Brüder in Kultur und Civilisation – Brüder, die noch nie die Klingen gekreuzt haben ! Es ist ein furchtbarer, unmöglicher Traum ! In der Bendlerstrasse werden jetzt die Autobusse und Autodroschken in Reih und Glied aufgestellt. Sie werden gemustert und die geeigneten der Heeresverwaltung überwiesen. Die grossen Autobusse wurden alle für Verwundeten-Transport gebraucht.– Die meisten Besitzer von Privatautos haben ihre Wagen der Heeresverwaltung zur Verfügung gestellt.

Freitag, d. 7.Aug. Um 6 Uhr früh ging die Schlafzimmer-Tür auf und wer stand da ? Walter ! Der arme Kerl, ihm sind während der Heim Hinfahrt seine ganzen Papiere gestohlen – Geburts-, Taufund Einjährigen-Schein und die drei Empfehlungsbriefe ! Er meldete sich in Braunschweig beim Commandeur, wurde aber ohne Papiere nicht angenommen. Er tut mir so leid. Nach dem Frühstück ging er in die Schule zum Abiturientenexamen, Georgie ging zum Direktor, um sich zu verabschieden und fand Walter deutschen Aufsatz schreibend – Major v. V. ist noch hier, und die Empfehlungsbriefe können alle noch mal geschrieben werden. – Mittags brachten wir alle Georgie an die Bahn. Civilpersonen dürfen nicht auf den Bahnsteig.

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Rolf v. S. steigt in Potsdam zu, geht auch zu den VI. Kürassieren. Der Zug fuhr auf die Sekunde ab, aber das haben alle Züge vom ersten Tage an getan. Walter ist auf seiner Unglücksfahrt überall auf die Sekunde angekommen. An jeder Station waren Damen mit Kaffee, Limonade und Butterbroten für die Soldaten. Auf allen Abteilen und Waggons steht in Kreide : „Nach Paris“, Für jeden Schuss einen Russ“, und ähnliche Scherze, und die Wagen sind bekränzt und mit Blumen geschmückt. Und wie auch alles enden mag, wir haben das gesehen, was wir bis zu unserem letzten Atemzuge nicht vergessen werden, ein Volk in Waffen, bereit zu sterben bis zum letzten Manne.-

10 Uhr abends. Der erste Erfolg. Lüttich ist gefallen. Frau v. Z. war Unter den Linden, als die Nachricht vom Schloss verkündet wurde. Sie sagte mit heute : „Der Krieg mit England, das ist das traurigste und entsetzlichste. Aber wir können unsere heiligen Güter doch nicht Frankreich und Russland preisgeben, - was hat England davon, dass es Russland die Hand reicht ?“ Mrs. Lonth sagte mir, ihr Mann sei ganz gebrochen. Als Engländer sagt er, „kann ich keinem Deutschen ins Gesicht sehen“.Die Menschen sind auf einmal wie umgewandelt. Jeder hilft seinem Nächsten wo er kann und ist liebenswürdig und zuvorkommend. Wenn in gewöhnlichen Zeiten die Menschen so wären, wäre diese Erde ein recht angenehmer Aufenthaltsort. Jetzt weiss man auf einmal, was es heisst, „die eiserne Zeit“. Es klang sehr hübsch, wenn man von den Freiheitskriegen las, man

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erschauerte, wie man erschauert, wenn es das Unglück anderer ist, jetzt werden wir selbst in den eisernen Klammern festgehalten.

Sonnabend, d.8.Aug. Vater kommt eben von der Bank. Durch die amerikanische Botschaft kommt die Nachricht, dass die Londoner Filiale unter Britischer Kontrolle steht. Vaters Londoner Filiale, sein Lebenswerk ! Heute sollte in Schönholz Gartenfest sein ! Ich hatte die Kapelle des Kriegervereins aus Putlitz bestellt. Sechzig Papierlaternen sollten den Garten beleuchten ! Jetzt ist ein anderer Kriegerverein am Werke !! Heute sagte mir Hedwig, dass ihr Vater, 59 Jahre alt, und in Thorn wohnend, einberufen ist, aber nur, um in Thorn an den Festungswerken zu arbeiten. Die erste Feldpostkarte ist von Pressentin 5 gekommen, an der Porta Westfalica aufgegeben. Er ist also unterwegs nach Frankreich, die ganze Garde, soviel ich weiss.

Sonntag, d.9.Aug. Spät gestern abend erhielten wir die Times vom 1. August und die Sunday Times vom ten

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August. Wie sie die Lage verdrehen ! England brauchte nur die Versicherung zu geben

„wir bleiben neutral“, nie hätten uns Frankreich und Russland überfallen. Aber – auf England rechnend, während Kaiser und Csar noch verhandelten, hatte Russland längst mobilisiert. England ist in diesem Kriege das Zünglein an der Wage gewesen. – Und wie sie schimpfen, dass

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wir durch Belgien gegangen sind ! Wären sie etwa in der gleichen Lage nicht durch Belgien gegangen ? Wie kann sich England mit Russland gegen Deutschland identifizieren ? Vater sagt ein Mal übers andere: „Dieses Verbrechen muss sich rächen“. Mir kommt es vor wie ein grosser taktischer Fehler in der Maschinerie von Europa. Man meint, ein Ruck des Rades nach links oder rechts, müsse alles wieder in Ordnung bringen. Der Brotpreis ist in England gestiegen, schon vor der englischen Kriegserklärung. Hier wurde sofort vom Magistrat ein Höchstpreis für Brot, Salz und andere Lebensnotwendigkeiten festgesetzt. Auch Luxusartikel sind nicht gestiegen. Deutschland scheint gut versorgt zu sein. Der kommende Winter wird wohl bananen- und apfelsinenlos sein, Tee und Kaffee mögen knapp werden, aber verhungern werden wir noch nicht. Die Ernte ist eine sehr gute und wird schnell geborgen, dank dem herrlichen Wetter und der Art, wie die Landwirtschaftskammer die verfügbaren Kräfte eingestellt hat.

Montag, d.10.August. Herr Carl H. von der Londoner Filiale war eben hier. Er war auf Ferien in der Schweiz. Die Fahrt von Frankfurt nach Berlin dauerte 30 Stunden ! An jeder Station wurden Erfrischungen gereicht, selbstverständlich keine alkoholischen Getränke. Herr H. will jetzt versuchen, Kopenhagen zu erreichen, und von dort aus in brieflichen Verkehr mit London zu kommen. Wir haben ihm einen

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Brief für Dich mitgegeben. Eben kommt Walter von der mündlichen Prüfung. Er hat sein Abitur ! Mathematik wäre eine ziemliche Pleite gewesen, aber Deutschen Aufsatz, Latein und Französisch leidlich. Es kommt auch wohl nicht ganz so darauf an, wie sonst ! Heute Nachmittag ging ich zu Frau v. Z. und traf dort Vicky’s Schwiegermutter, Frau v. Chelius, Gattin des Militärbevollmächtigten in Petersburg. Sie gab ihre Erfahrungen bei der Abreise von Petersburg zum besten. Nur der Botschaftsstab mit ihren Damen durften abreisen. Der Botschafter durfte keine weiteren deutschen Untertanen mitnehmen. Der russische Offizier, der zum Abschied an der Bahn war, präsentierte eine Rechnung für 2000 Rubel ! Ohne Bezahlung würde der Zug nicht abfahren dürfen ! Es gelang den Herren, diese Summe aufzubringen, aber der Offizier gab nur eine Quittung über 1700 Rubel ! DenRest hat wohl der saubere Gent eingesteckt ! – Wie anders hier die Abreise von Sir Ed. Goschen, von Fürst Lichnowsky aus London, korrekt, würdig, wie es sich bei zivilisierten Nationen gehört. Und das zivilisierte England liiert sich mit einem halb Barbaren-Staat wie Russland gegen Deutschland, gegen sein eigenes Fleisch und Blut. „Russland kämpft für die Moral von Europa“, schreibt der Militärsachverständige der „Times“. Gibt es wirklich denkende Menschen in England, welche diesen Blödsinn glauben ? Wahrlich, Lord Northcliffe 6 hat in den letzten Jahren ganze Arbeit getan !

Dienstag, d.11.Aug. Der Generalquartiermeister von Stein warnt in einer Kundge-

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bung vor der Verbreitung von unbestätigten Gerüchten, ob über Siege oder das Gegenteil. Nur was offiziell von der Heeresleitung durch Wolf’s Telegrafen Bureau (W.T.B.) bekannt gegeben wird, ist zuverlässig. Ein Zeppelin soll eine grosse Rolle bei der Einnahme von Lüttich gespielt haben, hat nachts Bomben in die Festung geworfen, welche am folgenden Morgen kapitulierte. Dies ist eine von den unverbürgten Nachrichten. Der Franctireur-Krieg ist in Belgien ausgebrochen – entsetzlich – und die deutschen Truppen haben natürlich daraus die Folgen ziehen müssen, so schrecklich es auch sei. Onkel R. hat eine Postkarte von seinem Förster von der russischen Grenze. Der Mann schreibt: „Die Russen sind Feiglinge. 48 Kosaken laufen vor vier Jägern. Es wird kein Mann über die Weichsel kommen, bis wir alle tot sind“. Das ist recht gut und schön, aber es mag noch genug Kosaken geben, die nicht laufen. Gertrud kam heute zu Tisch, da Erich wieder Nachtdienst hatte. Sie hatte eben Frau Biermann gesprochen, Gattin des Kapitäns der „Königin Louise“, das Schiff, welches an der Themsemündung Minen gelegt hatte und zusammen mit der „Amphion“ untergegangen ist. – Frau B. weiss noch nicht, ob ihr Mann lebt. – Im Admiralstab haben sie wieder zwei Spione entdeckt, ein Mann und eine Frau. Weiss der Himmel, wie sie da hereinkommen. -

Mittwoch, d.12.Aug. 1,200,000 Kriegsfreiwillige haben sich bis jetzt zum Eintritt

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ins Heer gemeldet ! Brüning schreibt: „Die Landleute haben sich jetzt etwas beruhigt, und bringen fleissig ihre Ernte ein. – Hermann wird in Perleberg fürs Rote Kreuz ausgebildet“. Es wundert mich immer, dass alles noch so weiter geht. – Die Strassen werden gesäubert, der Tiergarten gesprengt, die toten Rosen und Geranien werden abgeschnitten, als wäre es tiefster Frieden. Mit dem Zeppelin stimmt es ! Vater traf heute Herrn Meckel, der es bestätigte. Aber auf der Rückfahrt nach Deutschland wurde es beschossen, etwas beschädigt und musste vor Bonn landen. Die Deutschen in Belgien sind sehr schlecht behandelt worden. Ein Beamter der Brüsseler Filiale der D.B. ist hier angekommen mit ganz zerkratztem Gesicht. Seine Frau und Kinder sind aus ihren Betten geholt und auf die Strasse geworfen. Dies ist noch ein milder Fall. – In Petersburg hat man die Deutsche Botschaft geplündert und angesteckt, und den alten Hofrat Kattner, der zur Behütung dageblieben war, ermordet. Und hier ? Nicht einem Engländer oder Franzosen oder Russen ist auch nur der kleine Finger gekrümmt worden. Eine einzige Glasscheibe ist am Abend des 4. August auf der englischen Botschaft eingeworfen. Und warum ? Weil ein paar junge Dächse von Botschaftssekretären englische Pennies hohnlachend zwischen die Menschen auf der Wilhelmstrasse warfen. Das war nicht zu ertragen ! In wenigen Minuten war aber die Ordnung wieder hergestellt.

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Donnerstag, d.13.Aug. Die Arbeitslosen-Frage muss jetzt geklärt werden. Viele Fabriken arbeiten nur 4 Stunden täglich und werden bald ganz schliessen. Dann sind doch tausende und abertausende von Reservisten-Frauen.– Der Staat gibt jeder Reservisten-Frau 18 Mark monatlich, und 18 M. für jedes Kind. Das reicht aber nicht mehr weit. Im Vaterländischen Frauenverein werden tausende von Soldatenhemden, Bettwäsche u.s.w. zugeschnitten. Von Reservisten-Frauen werden die Sachen genäht. Die Vorbereitungen zum Empfang der Verwundeten machen Fortschritte. Bis zum 40.Tage nach der Mobilmachung muss alles bereit sein. Viele Privathäuser, namentlich Wannseer Villen, sind von ihren Eigentümern zum Teil ganz auf ihre Kosten als Lazarett hergerichtet.

Freitag, d.14.Aug. Gestern abend kam die Nachricht, dass England auch Oesterreich den Krieg erklärt hat. Nun sind Graf Mensdorff’s – Intimus von König – Londoner Tage auch gezählt ! Wir aber fragen uns mit einem gewissen Fatalismus, „was wird jetzt aus Italien?“. Heute mittag fuhren Vater und Walter nach Braunschweig, wo sie erst Mitternacht ankommen. Für Vater ist die lange Fahrt im überfüllten Coupé nicht schön, er sieht so elend aus, er schläft fast gar nicht. Nachmittags besuchte mich Herr v. Cotzhausen. Der Admiralsstab hat ihm was zu tun gegeben, was – darf er natürlich nicht

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sagen. – Er sagte mir, die Regierung hätte wenigstens 8 Tage vorher gewusst, dass England unter allen Umständen Krieg aufs Messer wollte. – Wäre die belgische Neutralitätsfrage nicht gewesen, dann wäre eben ein anderer Vorwand gefunden worden. Er sagte mir auch, was ich bis jetzt noch nicht gelesen , dass englische Truppen in Belgien gelandet sind. Dann erzählte er mir den neuesten Witz. Im Auswärtigen Amt steht ein Schild, darauf ist geschrieben: „Hier werden Kriegserklärungen noch angenommen“!!

Sonnabend, 15.Aug. Erntelied von Ursula Roegels 7. Wie stand die Ernte reif und körnerschwer, Und harrte wogend nur des Schnitter’s Hand. Der dieses segengoldne Aehrenmeer Zu Garben band. Nun zieht ein andrer Schnitter durch die Fluren ! Sein Sensenklang klirrt stahlhell durch die Welt. Zerwühlt von eisenschweren Hufschlags Spuren Liegt rings das Feld. Und wo ihr Lied die Lerche aufwärts sandte, Brüllt der Geschütze donnergleiche Wut. Und wo sich seidenblau der Himmel spannte, Loht rote Glut.

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Es kämpft um die bedrohte Heimatscholle Mit Heldeningrimm mancher Mutter Sohn, Und Blut tropft auf das Land, das schicksalsvolle, wie roter Mohn. Es pflügt ein Volk in heil’ger Schmerzen Wehen Den teuren Boden auf, zum Licht empor. Doch: ernten werden, die mit Tränen säen, Wie nie zuvor.

Sonntag, d.16.Aug. Irene und ich in die Garnisonkirche. Pfarrer Goens predigte über : „Niemand hat grössere Liebe, denn die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde.“ Wie gern werden diese Opfer gebracht. Hoch und niedrig, reich und arm, alt und jung, alle stehen sie Schulter an Schulter in der gleichen Uniform, mit dem gleichen Herzschlage. Keiner stöhnt, dass er sein Gut verlassen muss oder sein Geschäft, oder seinen Laden, oder seine Frau. Eine solche Nation kann nicht zum Untergang geweiht sein. Und wie müssen die Feinde uns beneiden, dass ein solcher Wust von Gehässigkeit, solcher masslosen Beschimpfungen des deutschen Volkes ihre Presse füllt.

Montag, d.17.Aug. Der Landsturm 1. und 2. Aufgebotes ist aufgerufen. Nun wird Berlin bald männerlos werden. Jetzt schon sind Frauen als Schaffner auf der Elektrischen eingestellt und werden auch als

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Fahrer ausgebildet. Durch Vermittlung einer neutralen Macht hat die deutsche Regierung Warnungen an Frankreich und Belgien zugehen lassen, mit der Aufforderung, den völkerrechtswidrigen Volkskrieg einzustellen. In zahlreichen Fällen haben Landeseinwohner unter dem Schutze der bürgerlichen Kleidung auf deutsche Soldaten geschossen. Sie laden sich damit eine grosse Verantwortung auf, denn die Kriegsführung nimmt damit einen schroffen Charakter an, der aber dann unvermeidlich ist. Hoffentlich wird die Warnung etwas nützen. Spät gestern abend kamen Vater und Walter wieder. Walter ist als Kriegsfreiwilliger vorläufig beurlaubt. „Was wollen Sie Ihren Sohn überhaupt eintreten lassen“, sagte der Führer der Ersatzschwadron etwas höhnisch zu Vater. (Walter sieht allerdings erst aus wie 15). „Bis der soweit ist, ist der Krieg ja längst vorbei !“ Sie besuchten natürlich Tante Agnes und Tante Grete und fanden sie suppenkochenderweise (mit Würstchen), für die durchkommenden Truppen. Gestern ist der Kaiser ins Grosse Hauptquartier gefahren (ich glaube nach Mainz) mit Herrn v. Chelius als Flügeladjutant. Nur die Kaiserin brachte ihn an die Bahn.

Dienstag, d.18.Aug. Tante Maria schreibt mir in grosser Sorge um Herbert, der auf der “Scharnhorst” ist, er schrieb zuletzt vom indischen Ozean. Tag und Nacht frage ich mich, ob unsere Verwandten und Freunde in

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England auch das Entsetzen dieses Bruderkrieges so empfinden, wie wir dies tun. „ Das deutsche Unterseeboot U.15, ist an der englischen Küste gesunken“: (W.T.B.) 8 Es ist für Deutschland so schlimm, dass alle Uebersee-Kabeln in den Händen englischer Gesellschaften sind. – Der einzige deutsche Kabel wurde sofort bei Ausbruch des Krieges durchgeschnitten. – Die übrige Welt bekommt also nur englische und französische Nachrichten. – Deutschland hat keine Möglichkeit, seinen Standpunkt irgendwie geltend zu machen. Russland kämpft für den Panslawismus, Frankreich aus wohl vorbereiteter Rache für 1870, England, wofür ? Für die Herrschaft des Meeres ? Die hat es schon immer gehabt. England kämpft , um den grossen Nebenbuhler Deutschland zu zerstören: Nur Deutschland kämpft, um seine Grenzen zu schützen. Heute kam ein Polizist und sah sich Nannies Pass an und bat sie auf die Polizei. Man gab ihr einen Zettel, womit sie sich alle drei Tage dort melden muss. Von der Front hört man jetzt gar nichts und wartet in stoischer Ruhe auf Gutes oder Schlechtes.-

Mittwoch, d.19.Aug. In Englischer Gefangenschaft. Geheimrat Bergmann’s Erlebnisse. 9 Der Generaldirektor der Bergmann Elektrizitätswerke Berlin, Geheimrat Bergmann, der Anfang Juli eine Geschäftsreise nach Amerika angetreten hatte, beabsichtigte am 1. August mit dem Dampfer

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“Vaterland“ der Hamburg Amerika-Linie nach Deutschland zurückzukehren.- Am 31. Juli wurde ihm die Mitteilung von dem New Yorker Büro der Hapag, dass der Dampfer „Vaterland“ seine Heimreise nicht antreten würde. Um keine Verzögerung seiner Rückkehr zu erleiden, liess er sofort seine Kabine auf dem am 1. August auslaufenden Dampfer „Oceanic“, der White Star Line buchen, und trat mit diesem die Rückreise an. Nach viertägiger Irrfahrt erhielt der Dampfer durch Funkspruch die Nachricht von der Kriegserklärung Englands an Deutschland. Während bis dahin die auf den grossen Oceandampfern übliche Geselligkeit herrschte, hielten sich sofort die mitreisenden Engländer von den übrigen fern, besonders von den deutschen Reisenden, ohne jedoch unkorrekte Formen anzunehmen. Im weiteren Verlauf lief eine der vielen Lügenmeldungen von Marconi ein, die von einer Seeschlacht berichtete, bei der 21 deutsche Kriegsschiffe und vier englische verloren worden seien. Kurz vor Southampton wurde der Dampfer von zwei englischen Kriegsschiffen angehalten, und die Führung einem englischen Lootsen durch die mit Minen gesperrten Gewässer übergeben. Gleichzeitig ging Militärpolizei an Bord. Die Deutschen, und zwar 49 Personen, darunter fünf Frauen, wurden in das Rauchzimmer befohlen und dort zunächst eingeschlossen. Die Zwischendeckpassagiere wurden in Ketten gelegt. Von Southampton ging es unter starker militärischer Bedeckung nach Winchester in das Gefängnis. Hier wurde den Gefangenen alles Gold und Schmucksachen abgenommen, die Ringe von den Fingern gerissen und alles in einem grossen Beutel versiegelt. Nach einer

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Körper-Visitation und ärztlicher Untersuchung kam jeder in Einzelhaft und erhielt gegen Abend, nachdem alle seit zehn Stunden ohne Nahrung waren, etwas Tee und trockenes Brot. In den primitiven Zellen, in denen weder Wasser noch Seife sich befand, mussten die Eingekerkerten auf einem Strohsack übernachten. Trotz allen Ersuchens war es nicht erlaubt, Depeschen an Freunde in London oder Verwandte abzusenden. Auf die nachdrückliche Beschwerde Geheimrats Bergmann veranlasste der Gouverneur am zweiten Tage, dass der amerikanische Konsul in Southampton, Colonel Swalm, herüberkam. Dieser nahm sich sehr nachdrücklich sofort seiner Schutzbefohlenen an und erreichte mit Unterstützung des Londoner amerikanischen Botschafters am vierten Tage die Freilassung aller Gefangenen, die sich, wieder unter militärischer Bedeckung, nach London begeben durften. Hier wurde jeder registriert mit der Verpflichtung, sich nicht weiter als fünf Kilometer von der englischen Hauptstadt zu entfernen. In London selbst war überall eine starke Begeisterung für den Krieg und starke Aeusserungen des Hasses gegen Deutschland. Der Dampfer „Oceanic“, sowie die „Lusitania“ und „Mauretania“ wurden angeblich für Truppentransporte nach Belgien in Beschlag genommen. Durch seine einflussreichen Freunde gelang es Herrn Geheimrat Bergmann und dem gleichfalls gefangen gewesenen Direktor Rodaburg von den Hagener AkkumulatorenWerken nach Holland zu gehen. In Holland wurden beide Herren aufs beste behandelt und konnten nunmehr unbehindert ihre Reise nach Berlin antreten, wo sie gestern früh eintrafen.“

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Diese Erlebnisse von Geheimrat Bergmann würde man kaum glauben, wenn er uns nicht gut bekannt wäre. Ein starkes Stück, harmlose Reisende ins Loch zu werfen, als wären es gemeine Verbrecher ! Hauptmann Lehmann ist gefallen. Dies ist der erste Verlust unter unseren persönlichen Bekannten. Alle Feldbriefe aus Belgien und Frankreich berichten vom Franctireur-Krieg. Von der belgischen Presse dazu aufgehetzt, schiessen Zivilpersonen aus allen Häusern und Dörfern auf die deutschen Truppen. Eigentlich kann man es ihnen kaum verdenken, aber es wäre besser, sie unterliessen es. Als Gegenstück, hier darf kein Zivilist Waffen tragen. Wir wissen nicht mal, ob nächste Woche Brüning unsere Rebhühner wird schiessen dürfen. Aber für die Inhaber von Jagdscheinen wird wohl eine Ausnahme gemacht werden. Es wäre ja nicht im Interesse des Landes, die Ausübung der Jagd zu verbieten.Dieser Brief kommt mir jetzt sehr langweilig vor.- Lebten wir am Rhein oder in Aachen oder Freiburg, könnte ich anders berichten. Dann hörten wir den Kanonendonner von der Front und bekämen die Verwundeten- und Gefangenentransporte zu sehen. Und doch ist Berlin die Achse, um die sich das Ganze dreht – damit müssen wir uns trösten. Walter arbeitet jetzt bis zu seiner Einberufung auf der Deutschen Bank.

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Donnerstag, d.20.Aug. Das japanische Ultimatum. Der hiesige japanische Botschafter hat im Auftrage seiner Regierung dem auswärtigen Amt eine Note übermittelt, worin unter Berufung auf das englisch-japanische Bündnis die sofortige Zurückziehung der deutschen Kriegsschiffe aus den japanischen und chinesischen Gewässern, oder die Abrüstung dieser Schiffe, ferner bis zum 15.September die bedingungslose Uebergabe des gesamten Pachtgebietes von Kiautschau an die japanischen Behörden und die unbedingte Annahme dieser Forderungen bis zum 23.d.M. verlangt wird. (W.T.B.) 10 Also nun auch Japan ! Die Politik der englischen Regierung und ihres Aussenministers, Sir Edward Grey, tritt immer klarer zu Tage. Sir Edward Grey ist ein Mann von grossem kulturellem Charme, ein Literat, ein grosser Naturliebhaber, und beherrscht in höchstem Masse die diplomatische Regel, dass die Sprache uns gegeben ist, um unsere Gedanken zu verschliessen schleiern – meisterhaft hat er das in den Tagen zwischen dem 1. und 4. August verstanden! Aber er ist vollständig einseitig, „insular“, wie es in England heisst. In seinem ganzen Leben ist er einmal zwei Tage auf dem Continent gewesen. Er spricht nur seine eigene Sprache. – Wie ist es möglich, dass er die Zustände auf dem Festlande und namentlich in Deutschland, richtig beurteilt ? Lord Morley denkt anders. Er ist am 4. August aus dem englischen Kabinet ausgetreten, weil er die Kriegspolitik der englischen Regierung nicht mitmachen wollte. -

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Eigentlich waren wir alle mit Blindheit geschlagen. – Nur folgendes Beispiel. – Als wir 1905 nach Berlin zogen, lernten wir ein englisches Ehepaar kennen, Mr. und Mrs. Bashford. Bis 1903 war er Berliner Korrespondent des Daily-Telegraph. – Dann bekam er von seinem Redakteur, jetzt Lord Burnham, die Anweisung, seine Berichte in möglichst deutschfeindlichem Sinne zu halten. Er verweigerte dieses, weil er es mit seinem Gewissen und seiner Kenntnis der Tatsachen nicht vereinbaren konnte – und – erhielt seinen Laufpass ! Der Times-Korrespondent in Berlin war weniger gewissenhaft, er tutete fröhlich in das Horn von Lord Northcliffe! Das Kesseltreiben gegen Deutschlandhat wenigstens zehn Jahre vor dem Kriege angefangen !

Freitag, den 21.Aug. Die Schlacht bei Metz. Unter Führung Seiner Königlichen Hoheit, des Kronprinzen von Bayern, haben Truppen aller deutschen Stämme gestern in Schlachten zwischen Metz und den Vogesen einen Sieg erkämpft, der mit starken Kräften in Lothringen vordringende Feind wurde auf der ganzen Linie unter schweren Verlusten geworfen. Viele Tausende von Gefangenen und zahlreiche Geschütze sind ihm abgenommen. Der Gesamterfolg lässt sich noch nicht übersehen, da das Schlachtfeld einen grösseren Raum einnimmt, als in den Kämpfen 1870/71 unsere gesamte Armee in Anspruch nahm. Unsere Truppen, beseelt von unaufhaltsamem Drange nach vorwärts, folgten dem Feind und setzen den Kampf noch heute fort. (W.T.B.) 11

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Brüssel ist von den deutschen Truppen besetzt.

Sonnabend, d. 22.Aug. Heute ist schulfrei, zu Ehren des Sieges von Metz. Aber weiter südlich scheint es nicht so gut zu gehen, namentlich um Belfort. Denn Tante Marie schreibt aus Freiburg:“ Es sind hier unten grosse Truppenverschiebungen gewesen, warum, weiss man nicht. So ganz heimlich ist uns nicht zu Mute, seit dem, wie es heisst, Mülhausen wieder preisgegeben wurde. Unsere Telefone sind für Private alle gesperrt.“ Diese Vorkehrung ist gewiss sehr weise, so nah an der Grenze. Was könnte alles durch’s Telefon sickern ! Mittags fuhr ich nach Brandenburg, um Georgie zu besuchen. Ein Strickzeug verkürzte die dreistündige Fahrt. In Potsdam hielt ein Truppentransport. Auf den Waggons war in Kreide zu lesen:“Auf nach Paris“. „Wir gehen, Väterchen nach Berlin holen“-. Als ich ankam, war Georgie in Dienst. Der alte Schulz brachte mir Tee und fing an zu schnacken. Er sagte, der Dienst wäre recht stramm und er hätte manchmal Mühe, den die jungen Herren um 4 Uhr wachzukriegen. „Aber ich sage immer, zu spät in den Dienst kommen, das gibt es nicht. Gestern abend haben sie den Sieg von Metz ausgiebig im Kasino gefeiert, da waren heute die Schlingels besonders schläfrig“. Dann sagte er mir :“Nun müssen sich gnädige Frau ans Fenster setzen und sich unser Soldatenleben ansehen, das wimmelt ja hier von Soldaten und Pferden von Freiwilligen, jungen und alten, man möchte selber mitmachen“. Wirklich – es ist wie ein Kapitel aus

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dem dreissigjährigen Krieg, oder den Freiheitskriegen, nur sahen sie damals sicher nicht so wohlgenährt aus ! Um 6 ½ Uhr kamen die Jungens, Georgie, Rolf und Bredow, vom Dienst, in den weissen Uniformen, die sie von „Kammer“ haben. Dann wurde gebadet, und zu Tisch erschienen sie in den neuen, feldgrauen Litewken und schwarzen Hosen. Mir zu Ehren gab es Pfirsichbowle. Zwei von den andere Fahnenjunkern waren eingeladen, und sie waren sehr vergnügt. Um 10 Uhr wurde ein Auto bestellt und ich fuhr nach Plaue zu Königsmarcks.

Montag,d.24.Aug. Der gestrige Sonntag in Plaue war reizend. Vater und Walter und Ilse und Franz kamen mittags aus Berlin, ebenfalls die Jungens aus Brandenburg - . Am Vormittag waren sie in der Kirche „vereidigt“ worden. – Nach Tisch amüsierten sie sich mit Tontaubenschiessen. Um 5 Uhr liess Graf K. uns per Motorboot nach Brandenburg bringen, eine sehr angenehme Beförderung, und dort verabschiedeten wir uns von den Jungens. Unser Zug nach Berlin war morgens aus Cöln und Aachen abgegangen. Im NebenCoupé sassen vier verwundete Offiziere, nur im Hemd und Beinkleid, denn es war sehr heiss. Einer stellte sich heraus als der Bruder von Prinzessin Oskar, die ihn in Berlin abholte. In einem anderen Coupé sass General Le man, der Kommandeur von Lüttich, als Kriegsgefangener. Heute besuchten uns die zwei Stenotypistinnen von der Londoner

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Filiale. Sie hatten vor ihrer Abreise unseren alten Freund W. Smart gesehen und er hatte bestellen lassen, dass es Dir gut ginge ! Herr Roese hatte nicht gewagt, den Damen Briefe mitzugeben, weil es hiess, sie würden untersucht werden.- Das war aber nicht der Fall. Sie hätten Dutzende von Briefen mitbringen können. Nur eine Times vom 12.August hatten sie mit, welche die Deutsche Bank an den Generalstab geschickt hat. Die Zustände an der Londoner Filiale wären zu traurig. Die armen Herren Rapp und Roese ! Von letzterem stehen beide Söhne hier im Felde. Die Damen hatten in englischen Zeitungen gelesen, dass Deutschland in Aufruhr und der Kaiser abgesetzt sei. Das Kaiserreich wäre nicht mehr, es hiesse die Vereinigten Staaten von Deutschland. Die Reise nach Deutschland hat vier Tage gedauert. -

Dienstag, d.25.Aug. Heute morgen, als ich im Vaterländischen Frauenverein Lazarettanzüge zuschnitt, kam die Nachricht, dass Namur gefallen sei. Wieder eine belgische Festung in unseren Händen ! Es wurde uns durch Herrn Schlitter und Herrn v. Böttinger mitgeteilt, dass eine DeutschAmerikanerin, Frau Dr. Degenhardt, morgen mit einem amerikanischen Sonderzuge nach London fährt, um 18 junge deutsche Damen herzugeleiten. Wir gaben ihr einen Brief mit an Granny, sie möge Dich schicken, wenn kein Risiko dabei wäre. Frau Dr. D. trägt Empfehlungen an das Londoner Foreign Office und einen Brief von Herrn Ballin an den Lord Chanceller.- Endlich ist also die ersehnte Gelegenheit da, Dich wiederzubekommen !

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Die englische Presse berichtet mit grossem Stolz von der Einnahme des kleinen deutschen Schiffes ( 18 Tonnen) auf Lake Nyassa in Ostafrika ! Ich glaube, es ist etwas kleiner als die Stern-Dampfer auf dem Wannsee ! Der Kaiser hat dem Kronprinzen das Eiserne Kreuz I und II. Klasse verliehen.

Mittwoch, d.26.Aug. Vater hat Georgie ein Pferd gekauft und es wird morgen nach Brandenburg verladen. Er wird sich freuen, denn er hat bis jetzt ein ganz unzugerittenes Tier unter sich gehabt. Deutschland und England von Graf A. v. Monts. 12 Bekanntlich überwiesen die in München lebenden Engländer unserem Roten Kreuz einen namhaften Betrag. Sie bezeichnen diese Spende als Protest gegen die schmachvolle Politik ihrer Regierung. Wie die Münchener und die ihre Kirche zum Lazarett einrichtende Hamburger englische Kolonie, denkt zweifelsohne ein grosser Teil des britischen Volkes. Ja, ohne uns einer Uebertreibung schuldig zu machen, können wir mit Sicherheit annehmen, dass etwa 30 % aller Engländer im Grunde ihres Herzens den Krieg verwünschen. Selbst die kühlsten Rechner dieses Kaufmannsvolkes müssen sich sagen, dass im Verhältnis zum Einsatz der Gewinn bei dem von ihnen gewagten eisernen Würfelspiel nur ein geringer sein kann. Der Einsatz ist die englische Flotte, der Machtfaktor, auf

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dem allein das ungeheure Weltreich ruht. Selbst nur teilweise Niederlagen oder grosse Schiffsverluste würden das britische Prestige in unheilbarer Weise schädigen und die verhängnisvollsten Wirkungen im Osten erzeugen. Als Gewinn locken unsere Kolonien, die Vernichtung unseres Handels. Ob sich so ohne weiteres an unsere Stelle England setzen kann, wie in Londoner Blättern vorgerechnet wird, ist dabei noch höchst zweifelhaft. Das wertvolle Tsingtau steckt sofort der japanische Dieb ein. Es fehlt England an Menschen und an Mitteln. Eine weitere Spannung der schon jetzt mit Hochdruck arbeitenden englischen Industrie wird so schnell nicht durchführbar sein. Viel eher ist anzunehmen, dass Amerikaner und auch wieder Japaner in die kommerzielle Lücke rücken werden; ganz abgesehen davon dass mit Vernichtung des deutschen auch der englisch-deutsche Handel vernichtet wird. Und mit keinem anderen Lande der Welt hat England so enge Handelsbeziehungen als mit uns, bis zu einem jährlichen Warenaustausch im Werte von vier Milliarden Mark. Wie, wird man bei dieser für Parlament und Volk klaren Sachlage fragen, war es möglich, dass sozusagen im Handumdrehen die beiden grössten Kulturvölker der Erde sich im Kriegszustande befanden ? Die Geschichte lehrt, dass die meisten Kriege von einer ehrgeizigen Clique angestiftet werden, wenn es an der nötigen Gegenwirkung fehlt. Diese letztere scheint leider in England gefehlt zu haben , respektive ohnmächtig gewesen zu sein. Es war ferner die Aktion der Kriegsfreunde eine von längster Hand vorbereitete. Die persönliche Rachsucht Eduard VII. leistete dem Treiben in

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machtvoller Weise Vorschub. Zwischen dem radikalen Kabinett von London und den Pariser Radikalen spannen sich seit langem Fäden. Wie dort, war auch in England die Presse, namentlich die von Northcliff, kontrollierte Provinzpresse, durchweg germanophob. Am schlimmsten aber war, dass der ganze auswärtige Dienst des Reiches von einer Zentrale geleitet wurde, die ihre einzige Aufgabe darin sah, der deutschen Politik Steine in den Weg zu werfen, auch wenn dies nur unter den grössten Konzessionen an Englands Todfeind, Russland, sich möglich erwies. An der Spitze dieser Diplomatenclique stand Grey, die konzentrierte Säure der radikalen englischen Verbohrtheit. Dieser Mann hat nur einmal im Leben sein Vaterland verlassen, um in Paris als Begleiter seines Königs mit Schmeicheleien überschüttet zu werden. Er beherrscht nur seine Muttersprache. Sein politisches Ideal verkörpert sich in dem von Oesterreich schnöde misshandelten tapferen Serbenvolk. Ohne jede Vorbereitung trat der bisher lediglich mit den inneren Angelegenheiten sich beschäftigende Parlamentarier an die Spitze eines Räderwerks, das nur der einigermassen übersehen kann, der mit feinem Takt und genauer Kenntnis fremder Staaten und ihrer leitenden Persönlichkeiten eine tüchtige historische Bildung verbindet. Noch verhängnisvoller wie Greys erwies sich die Berufung Churchills in das Kabinett. An die Spitze der englischen Marineverwaltung tretend, erschien ihm wohl von vornherein dieser wichtige Posten nur als ein Sprungbrett zur leitenden Stelle. Andererseits musste er sich sagen, dass im gewöhnlichen Verlauf der Dinge er bei seiner notorischen Unzuverlässigkeit nie dies höchste Ziel

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seines schrankenlosen Ehrgeizes erreichen könne. So wurde er in aller Stille das Haupt der Kriegspartei, wenn er auch gelegentlich seine auf Umsturz aller Verhältnisse sich richtenden Bestrebungen unter Abrüstungsvorschlägen und dergleichen geschickt zu verbergen verstand. Den heimlichen Kriegsabmachungen mit Frankreich folgte im Sommer das Flottenabkommen mit Russland, wenn auch Grey mit eiserner Stirn im Parlament alles rundweg ableugnete. Wie es im entscheidenden Augenblick dem kriegerischen Flügel des Kabinetts gelang, die friedlichen, durch Irland schon längst zermürbten Kollegen zu überstimmen, und wie das Taschenspielerkunststück der belgischen Neutralität dem Parlament als das rote Tuch hingehalten wurde, musste in den letzten Tagen die Welt schaudernd erleben. Europas Gegenwart und Zukunft schien bisher auf zwei festen Säulen zu ruhen, auf Deutschland und England. Es lag in der Natur der Dinge, dass das gewaltige Emporkommen des vom selbstbewussten Briten bisher teils verachteten, teils bemitleideten kontinentalen Vetters bei jenem Neid und Missgunst erregte. Wenn wir gerecht sein wollen, müssen wir ferner einräumen, dass seit einer längeren Reihe von Jahren eine unklare deutsche Politik dies Verhältnis noch verschärfte. Bei uns glaubte man anfangs dauernd zwischen London und Petersburg lavieren zu können, man erkannte, dass das alte Bismarck’sche Kontinentalrezept nicht mehr anwendbar, dass unsere maritime und kommerzielle Ausdehnung eine Anlehnung an das seegewaltige England erheischte, dass unsere Flottenrüstungen, über ein gewisses Mass hinausgehend, selbst dem friedlichsten Eng-

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länder bedenklich erscheinen mussten. Alles wurde durch viel rednerische und Presseentgleisungen noch recht ins Licht gesetzt, sodass die germanische Invasion dem in kontinentalen Dingen höchst kurzsichtigen Durchschnittsengländer zum Dogma sich gestaltete. Ausserdem versuchten wir ebenso wenig wie in Paris in London eine energische Gegenwirkung und glaubten trotz allem die sich immer klarer entwickelnde russische Todfeindlichkeit durch die alten kleinen, dynastischen Hausmittelchen und beständige Konzessionen beschwören zu können. Das überaus traurige Ergebnis liegt nun vor unseren Augen, wir sind Feinde geworden, auch England, das sich hinter seinem hölzernen, jetzt eisernen Mauern von jeher so sicher wähnte, wird erfahren, was Deutschland für ein Gegner sein kann. Es ist nur zu wünschen, dass diese Gegnerschaft sich beiderseits in ritterlichen Formen bewegt. Dem „grossen deutschen Volk“ wenigstens, dem Bulwer seinen schönsten Roman als „ dem Volk der Dichter und Denker“ widmete, wird trotz allem uns von dem offiziellen England jetzt angetanen Herzeleid unvergesslich sein, wie nahe ihm kulturell der englische Vetter stand. Hoffen wir, dass auch alle billig denkenden Engländer gleiche Gefühle beseelen, denn bei längerer Dauer der Feindschaft der beiden führenden Völker ist das Schicksal Europas besiegelt.

Donnerstag, d.27.Aug. Alle Briefe von Frontoffizieren bezeugen einmütig, wie glänzend die Truppen sich bewähren. „Sie sind nicht zu halten, es ist

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eine Lust, solche begeisterten Leute zu führen. Dabei die strammste Disziplin ! “ Ansprache des Kaisers an die Truppen im Grossen Hauptquartier. “ Kameraden, ich habe Euch hier um mich versammelt, um mich mit Euch des herrlichen Sieges zu erfreuen, den unsere Kameraden in mehreren Tagen in heissem Ringen erfochten haben. Truppen aus allen Gauen halfen in unwiderstehlicher Tapferkeit und unerschütterlicher Treue mit zu dem grossen Erfolg. Es standen unter Führung des bayrischen Königssohnes nebeneinander und fochten mit gleichem Schneid Truppen aller Jahrgänge, Aktive, Reserve, und Landwehr. Diesen Sieg danken wir vor allen Dingen unserem alten Gott. Er wird uns nicht verlassen, da wir einstehen für eine heilige, gerechte Sache. Viele unserer Kameraden sind bereits im Kampfe gefallen. Sie starben als Helden fürs Vaterland. Wir wollen derselben in Ehren gedenken und bringen zu Ehren der draussen stehenden Helden ein dreifaches Hurra, Hurra, Hurra ! Wir haben noch manche blutige Schlacht vor uns. Hoffen wir auf weitere gleiche Erfolge. Wir lassen nicht nach und werden dem Feinde ans Leder gehen. Wir verlieren nicht die Zuversicht im Vertrauen auf unseren guten alten Gott dort oben. Wir wollen siegen und wir müssen siegen.“ 13

Freitag, d.28.Aug. Longwy ist nach tapferer Gegenwehr genommen. Gegen den linken Flügel der Armee des deutschen Kronprinzen gingen aus Verdun

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und östlich starke Kräfte vor, die zurückgeschlagen sind. Das Oberelsass ist bis auf unbedeutende Abteilungen westlich Kolmar von den Franzosen geräumt.“ (W.T.B.) 14 Die schöne belgische Stadt Lonvain ist das Opfer des Franctireur-Krieges geworden. Die deutschen Truppen hatten ohne Gegenwehr die Stadt besetzt, als sie aus allen Häusern Feuer bekamen. Die wertvolle Bibliothek ist ein Opfer der Flammen geworden. Das wunderbare Rathaus wurde von den deutschen Truppen gerettet, welche die Löscharbeiten leiteten. Grosses Hauptquartier, 28.August. „ Die deutsche Heeresleitung protestiert gegen die durch unsere Gegner verbreiteten Nachrichten über Grausamkeiten der deutschen Kriegsführung. Wenn Härten und strengste Massnahmen nötig geworden sind, so sind sie veranlasst und herausgefordert durch Teilnahme der Zivilbevölkerung einschliesslich Frauen an heimtückischen Ueberfällen auf unsere Truppen und durch bestialische Grausamkeiten, die an Verwundeten verübt worden sind !“ v. Moltke 15 (W.T.B.) Grosses Hauptquartier, 28.August. „ Die englische Armee, die sich drei französischen Territorialdivisionen angeschlossen hatte, ist nördlich S.Quentin vollständig geschlagen. Sie befindet sich in vollem Rückzug über S.Quentin. Mehrere tausend Gefangene, 7 Feldbatterien und eine schwere Batterie sind in unsere Hände gefallen.“ Der General Quartiermeister v.Stein. (W.T.B.) 16

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Die Fahnen heraus für unsere schönen Siege ! Während dieser Wochen ist die Lage in Ostpreussen eine schreckliche gewesen. Die Oberste Heeresleitung sah sich genötigt, die Haupttruppen nach der Westfront zu bringen, infolgedessen musste Ostpreussen dem Russeneinfall überlassen werden. Die ostpreussische Bevölkerung war gezwungen, vor den einfallenden Russen zu flüchten, welche mordend und sengend das Land überfluteten. Die Bevölkerung musste ihre schönen Felder, ihre gefüllten Scheunen, ihr Vieh, ihre Häuser, ihre Ställe verlassen. Die Russen nehmen soviel Vieh, wie sie brauchen können mit, der Rest wird in die Ställe getrieben und die Ställe angesteckt! Täglich kommen tausende von Flüchtlingen in Berlin an, die alle untergebracht werden müssen. Eine grosse Organisation ist in die Wege geleitet, ihnen zu helfen.-

Sonnabend, d.29.Aug. Heute vor vier Wochen wurde der Krieg erklärt. Mir kommt es Monate vor ! Viele Wochen lang hat die Sonne ununterbrochen auf Gerechte und Ungerechte geschienen.Grosses Hauptquartier. „ Unsere Truppen in Preussen unter Führung des Generalobersten v.Hindenburg haben die vom Narew vorgegangene russische Armee in der Stärke von fünf Armeekorps und drei Kavallerie-Divisionen in dreitägiger Schlacht in der Gegend von Gilgenburg und Ortelsburg geschlagen und verfolgen sie jetzt über die Grenze. Der Generalquartiermeister v.Stein (W.T.B.) 17

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Diese Nachricht ist herrlich und umsomehr, da gänzlich unerwartet. Der erste Zusammenstoss in der Nordsee. Im Laufe des gestrigen Vormittags sind bei teilweise unsichtigem Wetter mehrere moderne englische kleine Kreuzer und zwei englische Zerstörer-Flotillen ( etwa 40 Zerstörer) in der deutschen Bucht in der Nordsee nordwestlich Helgoland aufgetreten. Es kam zu hartnäckigen Einzelgefechten zwischen ihnen und unseren leichten Streitkräften. Die deutschen kleinen Kreuzer drängten heftig nach Westen nach und gerieten dabei infolge der beschränkten Sichtweite ins Gefecht mit mehreren starken Panzerkreuzern. S.M.S. „Ariadne“ sank, von zwei Schlachtschiffkreuzern der Lionklasse auf kurze Entfernung mit schwerer Artillerie beschossen, nach ehrenvollem Kampfe. Der weitaus grösste Teil der Besatzung, voraussichtlich 250 Köpfe, konnte gerettet werden, auch das Torpedoboot „ V 187“ ging, von einem kleinen Kreuzer und 10 Zerstörern aufs heftigste beschossen, bis zuletzt feuernd, in die Tiefe. Flotillenchef und Kommandant sind gefallen. Ein beträchtlicher Teil der Besatzung wurde gerettet. Die kleinen Kreuzer „ Köln“ und „Mainz werden vermisst. Sie sind nach einer heutigen Reutermeldung aus London gleichfalls im Kampfe mit überlegenen Gegnern gesunken. Ein Teil ihrer Besatzung ( 9 Offiziere, 81 Mann) scheint durch englische Offiziere gerettet worden zu sein. Nach der gleichen englischen Quelle haben die englischen Schiffe schwere Beschädigungen erlitten. (W.T.B.)“ 18

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Ich dachte mir schon, dass die englische Niederlage in Frankreich das Signal für die englische Flotte sein würde. Und der Ausgang konnte nicht anders sein. „Ariadne“, „Köln“ und „Mainz“ sind je 4 500 tonnen, die Panzerkreuzer der Lionklasse 26 000 !!

Sonntag, d.30.Aug. Walter war heute in Brandenburg. Er berichtete, dass es den Jungens glänzend ginge. Diese Fahnenjunker von drei Wochen mussten schon Rekruten ausbilden. Da kann man nur sagen: „Unter Blinden ist der Einäugige König“.

Montag, d.31.Aug. „ Bei den grossen Kämpfen, in denen die russische Armee in Ostpreussen bei Tannenberg, Hohenstein uns Ortelsburg geworfen wurde, sind nach vorläufiger Schätzung über 30 000 Russen mit vielen hohen Offizieren in Gefangenschaft geraten. (W.T.B.)“ 19 Das bedeutende an dieser grossen Schlacht liegt darin, dass der russische Rückzug nur durch die masurischen Sümpfe gehen kann, grosse Gelände von Wald, Wasser und Moor, mit wenigen und ganz engen Wegen. Man nimmt an, dass eine grosse Anzahl der fliehenden Russen dort den Tod finden werden. Endlose Truppen werden jetzt von Frankreich nach Russland geschickt. An der Westfront ist Lille von der Garnison evacuiert und unsere Truppen sollen nicht weit von Boulogne sein. An seine Frau hat Major v.V interessantes aus dem Gr.H.Q.

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geschrieben.“ Jeden Morgen hält Majestät dem ganzen Stabe Vortrag, er ist über alles unterrichtet, aber er lässt alle gewähren“.

Dienstag, d.1.Sept. „ Nach weiteren Mitteilungen des Hauptquartiers ist die Zahl der Gefangenen in der Schlacht bei Gilgenburg-Ortelsburg noch grösser gewesen, als bisher bekannt. Sie beträgt 70 000 Mann, darunter 300 Offiziere. Das gesamte Artilleriematerial der Russen ist vernichtet. ! (W.T.B.) 20 Ein endlos langer Transport passierte die Wedding-Brücke heute morgen, als ich auf meine Elektrische wartete. Zuerst Wagen auf Wagen mithurrarufenden, Fähnchen wehenden Soldaten, dann hunderte von Geschützen. Der Schutzmann, der dort Wache stand, sagte mir :“ Sie kommen aus Frankreich und machen nach Russland“. Bis jetzt ist die Hauptarbeit an der Ostfront von Reserve und Landsturm geleistet worden.

Mittwoch, d.2.Sept. Eine Sedanparade, aber anders wie sonst ! Die erbeuteten französischen, belgischen und russischen Geschütze wurden vor dem Schloss aufgestellt. Das Ersatz-Bataillon vom 1.GardeFeldartillerie (Pressentier’s) Regiment geleitete sie von der Bahn durchs Brandenburger Tor und Unter die Linden. Die Geschütze wurden von erbeuteten Kossacken-Pferden gezogen. Irene, Nannie und ich versuchten vergebens durch die Menge etwas zu sehen, bis mir einfiel, die Gastfreundschaft von Frau Hardy am Pariserplatz zu

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erbitten. Von ihren Fenstern konnte man alles übersehen. Ich machte einige Aufnahmen, als geeigneten Hintergrund die französische Botschaft mit geschlossenen Fensterläden. Vater hatte Braunschweiger Abend und Walter und ich gingen in die Garnisonkirche. Oberpfarrer Goens ist jetzt im Grossen Hauptquartier und Paetzold predigte und verkündete nach der Predigt einen neuen Sieg in Frankreich. Als wir herauskamen, waren die Linden schwarz von Menschen. Eine riesige Menge stand vor dem Kronprinzenpalais, in der Hoffnung, die Kronprinzessin zu sehen. Aber die Fenster blieben dunkel. Die arme Frau ist wohl auch reichlich kaput, den ganzen Tag Lazarette inspizieren und Verwundete besuchen ! Wir gingen zu Kranzler Abendbrot essen und während wir da sassen, kam eine neue Aufregung: Sieg der österreichischen Truppen über die Russen in Galizien. – Diese Schlacht soll acht Tage im Gange sein.- Auf dem Nachhauseweg sang ein Männerchor auf dem Pariserplatz das „Niederländische Dankgebet“. In atemloser Stille lauschte die Umgebung. Wäre doch die Zeit gekommen, wo das Lied in der Garnisonkirche gesungen wird, zum Klange der Pauken und Trompeten. Aber bis es so weit ist, wie viel Blut, wie viele Tränen müssen noch fliessen ! ! Grosses Hauptquartier, 2. Sept. „ Die mittlere Heeresgruppe der Franzosen, etwa 10 Armeekorps, wurde gestern zwischen Reims und Verdun von unseren Truppen zurückgeworfen. Die Verfolgung wird heute fortgesetzt. Französische Vorstösse aus Verdun wurden abgewiesen. Seine Majestät

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der Kaiser befand sich während des Gefechts bei der Armee des Kronprinzen und verblieb die Nacht inmitten der Truppen.“ (W.T.B.) 21

Donnerstag, d. 3.Sept. Heute frühstückten wir bei Schlitters, um Frau v. Böttinger zu sprechen, welche vor drei Tagen mit zwei Babies aus London angekommen ist. Sie erzählte uns, das Leben in London wäre nicht viel anders als sonst. Die Menschen wären auf ihren Landhäusern und kümmerten sich nicht sonderlich um den Krieg. Am meisten würde es den Engländern imponieren, dass wir kein Moratorium haben ! Abends kamen Edmond und Sofia v.d.Ropp zu Tisch. Sein Neffe, Leutnant v. Firks, fiel als einer der ersten vor Lüttich. Sie brachten sehr ernste Nachrichten vom 3. Garde-Regiment, das aufgerieben sein soll.

Freitag, d.4.Sept. Die Siegesbeute der Armee Bülow. „ Reims ist ohne Kampf besetzt. Die Siegesbeute der Armeen wird nur langsam bekannt. Die Truppen konnten sich bei ihrem schnellen Vormarsch wenig darum bekümmern. Noch stehen Geschütze und Fahrzeuge in freiem Felde verlassen. Die Etappentruppen müssen sie nach und nach sammeln. Bis jetzt hat nur die Armee des Generalobersten v.Bülow genauere Angaben gemeldet. Bis Ende August hat sie sechs Fahnen, 233 schwere Geschütze, 116 Feldgeschütze, 79 Maschinengewehre, 166 Fahrzeuge erbeutet und 12 934

- 44 Gefangene gemacht. Im Osten meldet Generaloberst von Hindenburg den Abtransport von mehr als 90 000 unverwundeten Gefangenen. Das bedeutet Vernichtung einer ganzen feindlichen Armee. (W.T.B.)“ 22 Der Generalquartiermeister v.Stein. Vater ging heute auf die amerikanische Botschaft, um etwaige Nachrichten von Frau Degenhardt zu erfahren. Sie hat gedrahtet, dass die Abreise noch ganz unsicher wäre. Anscheinend macht man in London Schwierigkeiten, unnötige, sollte man meinen, da es sich hauptsächlich um Pensionsmädchen handelt.Man bekommt jetzt ganz regelmäßig englische Zeitungen und es ist interessant, sie mit den deutschen zu vergleichen. In unseren Blättern habe ich bis jetzt noch keine einzige schmutzige Unflätigkeit gelesen, wie wir sie, leider Gottes, täglich in den englischen lesen müssen. Was ist aus der englischen Presse geworden in dem letzten Jahrzehnt ? Die armen Oesterreicher kämpfen schwer um Lemberg - Tag und Nacht fahren hier Truppen durch nach dem Osten. Siegfried passierte durch mit seiner Schwadron.

Sonnabend, d.5.Sept. Heute nachmittag erschien Georgie auf Urlaub, bis morgen Abend.

Sonntag,d.6.September. Wir hatten einen netten Sonntag. Zum Tee war Jugend eingela-

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den und ihre Fröhlichkeit tat unseren schweren Herzen wohl.

Montag,d.7.Sept. Die Österreicher haben Lemberg aufgeben müssen und die Russen haben es besetzt.

Dienstag, d.8.Sept. „Maubeuge hat gestern kapituliert. 40 000 Kriegsgefangene, darunter 4 Generäle, 400 Geschütze, zahlreiches Kriegsgerät, sind in unsere Hände gefallen. (W.T.B.)“ 23 Der Generalquartiermeister v. Stein.

Mittwoch,d.9.Sept. Heute ist schulfrei für Maubeuge und die Fahnen wehen !

Donnerstag,d.10.Sept. Soeben kommt eine Depesche von dem Vertreter der Deutschen Bank in Amsterdam, mit der frohen Nachricht, dass Ihr wohl Sonnabend London werdet verlassen dürfen. Grosses Hauptquartier,10.Sept. (W.T.B.) 24 “ Die östlich von Paris in der Verfolgung an und über die Marne vorgedrungenen Heeresteile sind aus Paris und zwischen Meaux und Montmirail von überlegenen Kräften angegriffen. Sie haben in schweren zweitägigen Kämpfen den Gegner aufgehalten und selbst Fortschritte gemacht; als der Anmarsch neuer feindlicher Kolonnen gemeldet wurde, ist ihr Flügel zurückgenommen

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worden. Der Feind folgte an keiner Stelle . Als Siegesbeute dieser Kämpfe sind bisher fünfzig Geschütze und einige tausend Gefangene gemeldet. Die westlich Verdun kämpfenden Heeresteile befinden sich in fortschreitendem Kampfe. In Lothringen und in den Vogesen ist die Lage unverändert. Auf dem östlichen Kriegsschauplatz hat der Kampf wieder begonnen. Der Generalquartiermeister v.Stein.“ 25 Das ist ja ein überaus schwerer Schlag ! Was kann nur vorgefallen sein ? Vor ein paar Tagen sagte Vater noch „ Es ist wie ein Rasen zum Siege“, und nun diese Enttäuschung. Walter lacht mich aus, er sagt, ich könne nicht verlangen, dass überhaupt kein Rückschlag käme. Was unsere Truppen schon geleistet haben, ist übermenschlich, da kann schon mal ein kleiner Stillstand eintreten.- Und die vereinten französischen und englischen Truppen an der Marne sind ganz frisch, während unsere Tag und Nacht marschiert haben,Ich habe noch einmal die Briefe durchgelesen, welche Granny vor dem Kriege schrieb und es ist mir ganz klar, dass sie dort viel früher im Bilde waren, als wir. Am 25. Juli war Granny auf einem grossen Gartenfest eingeladen, und noch am selben Abend schrieb sie mir, dass man ihr allgemein geraten hätte, England nicht zu verlassen. In den Tagen waren Vater und Walter noch in Heiligendamm, welches voller Offiziere war für das Reit-und FahrTurnier. Kronprinz und Kronprinzessin spielten täglich Ten-

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nis, und es war keine Rede davon, dass Offiziere abberufen würden. Granny aber schrieb am 25. Juli:“ Hugh Shekleton has been recalled to Malta“. Und Du schriebst:” Alex Marc ist von Osborne ( die englische Marinekadettenschule) in Ferien gekommen und berichtet, dass die Offiziere alle gepackt haben und auf Abruf warten“. Und während dreier dieser Tage wurde der Kaiser vom Zaren hinters Licht geführt, und die deutsche Mobilmachung bis zum letzten Augenblick hinausgeschoben. Wenn die englischen Zeitungen sich für Belgien einsetzen, kann man es von ihrem heuchlerischen Standpunkt verstehen; geradezu lächerlich aber wirken die Lobhimmelungen auf Serbien. „Brave little Servia“, „Gallant little Servia“, steht überall zu lesen und in einem Briefe, den ich über Kopenhagen von Granny bekommen habe, fragt sie, was es Deutschland anginge, wenn Oesterreich und Serbien sich zanken.Nun möchte ich England fragen, was es tun würde, wenn, sagen wir, der Prince of Wales in einem fremden Staat ermordet wäre, wie das oesterreichische Tronfolgerpaar in Sarajewo. Und zweitens möchte ich allen Engländern die Ermordung von König Alexander und Königin Draga von serbischen Offizieren ins Gedächtnis zurückrufen. Acht volle Jahre nach diesem Ereignis hat England sich geweigert, in Belgrad eine diplomatische Vertretung zu halten, um seine Verachtung auszudrücken. Und nun ? Andere Zeiten, andere Sitten.

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Niemand bekommt so viele Feldpostkarten als Hedwig, von ihren mannigfachen Brüdern oder – Verehrern ! – Der Potsdamer Jäger zu Pferde, der in einer Radfahrer Kompagnie ist, schreibt am 4. September :“ Haben beinahe jeden Tag ein Gefecht, die Franzosen werden überall geschlagen. Unsere Kompagnie hat schon über 90 km zurückgelegt. Wenn wir hier fertig sind, geht es nach Russland.“ Und heute kommt von Pressentin eine Karte:“ Wir sind von der Hauptstadt Paris nicht mehr weit“. Natürlich sind diese Karten v o r dem Stillstand an der Marne geschrieben, und als Laie fragt man sich, wie das nur möglich sein konnte..Tante Marie schreibt: „ Freiburg ist ein grosses Lazarett, aber die Verwundeten haben nur einen Wunsch : Zurück zur Front !“ „ Der Direktor der Deutschen Bank, Dr.Helfferich 26, schreibt in der „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“, in einer Schilderung seiner Eindrücke auf einer Fahrt durch das von unseren Truppen besetzte Belgien u.a.:“ Wie englische Soldaten, die bei den versuchten Ausfällen aus Maubeuge gefangen genommen worden sind, übereinstimmend erzählen, habe man ihnen in England bei ihrer Einschiffung nur von gemeinschaftlichen Manövern mit französischen Truppen gesprochen.- Sie hätten auch keine scharfe Munition mit sich geführt, sondern diese aus einem in Maubeuge eingerichteten, grossen Depot erhalten. Es ist dabei zu beachten, dass das englische Kaliber nicht mit dem französischen identisch ist,

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das Munitionsdepot also speziell für englische Truppen bereitgehalten worden war“. Der Korrespondent der Vossischen Zeitung, Hans Heinz Ewers, der für seine Zeitung eine Reise nach Südamerika gemacht hat, sitzt nun in New York fest. Aus seinen Artikeln, wie die englische Lügenfabrik in den amerikanischen Zeitungen arbeitet, folgende Einzelheiten: „ Grosser Sieg der Serben – 40 000 Oesterreicher vernichtet - . Jeden Tag werden 3-4 deutsche Kriegsschiffe und Zeppeline zusammengeschossen. - Ein besonderes Kapitel sind die deutschen Grausamkeiten, „German Atrocities“. Die Oesterreicher stechen den Gefangenen die Augen aus und schlagen alle Weiber tot! Die kleinen Kinder spiessen sie auf. Die verhungerten deutschen Ulanen in Belgien braten die Wickelkinder am Spiess. Besonders schlimm waren die Amerikaner in Deutschland dran. Sie wurden eingekerkert, ihre Frauen von Soldaten nackt ausgezogen und untersucht, man stahl ihnen ihr Geld und ihre Habe ! Es ist garnicht zu sagen, mit welchem Schmutze in den Blättern der deutsche Kaiser überschüttet wird. Zeichnungen und Aufsätze überbieten sich darin. Nur die irischen Blätter nehmen ganz offen für Deutschland und gegen England Partei.Geradezu verblüffend wirken die historischen geografischen

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Kenntnisse der angloamerikanischen Presse. Da bringt ein Blatt mit roten Riesenlettern die Kopfschrift:“ German Baltic Fleet bottled up by Dardanelles.“ Ein anderes Blatt nennt Basel eine wichtige belgische Festung und Mülhausen den Schlüssel zu Bayern. Ein Gelehrter der Harvarduniversität erklärt König Albert von Belgien für den genialen Errichter des Kongostaates. „Bald beherrscht Antwerpen die Nordsee“, bald wird diese Ehre Riga zugesprochen - . Wahre Meisterwerke sind die Karten, die täglich die Blätter bringen und die oft kaum eine Stadt, kaum einen Fluss richtig eingezeichnet haben.Kein kleinstes deutsches Blatt würde auch nur einen Tag lang einen Journalisten von solch haarsträubender Unwissenheit dulden, wie sie hier in allen grössten Blättern das Maul aufreissen. Und diese jämmerlichen Ignoranten vergiften die öffentliche Meinung in der schmählichsten Weise. Die Leserzahl jedes einzelnen der grossen New Yorker Blätter beträgt manche hunderttausend, fast alles Leute, deren Bildungsniveau beträchtlich unter dem deutschen Durchschnitt steht.- Alle diese Menschen nehmen die Nachrichten für wahr, sind entsetzt über die „German Atrocities“ und glauben ehrlich den Telegrammen, nach denen es den Deutschen jeden Tag schlechter geht ! – Sie lesen mit Genugtuung, dass General . Emmerich Selbstmord begangen habe, dass der Kronprinz ermordet worden, dass die Russen bereits in Brandenburg und die Serben in Budapest seien. Und sie antworten ganz harmlos, wenn man sie aufzuklären versucht:“Nein, es muss wahr sein, Zeitungen können nicht so lügen !“ -

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Wie langweilig sind doch unsere deutschen Zeitungen, wenn man sie mit diesen Blütenlesen vergleicht !! Prinz Joachim v.Preussen ist leicht verwundet.-

Sonnabend, d.12.Sept. Neue Aktenstücke zum Ausbruch des Krieges. Bericht eines belgischen Diplomaten. Die Norddeutsche Allgemeine Zeitung ist ermächtigt worden, einen Bericht des belgischen Geschäftsträgers in Petersburg an seinen Minister der auswärtigen Angelegenheiten zu veröffentlichen. Wie die deutsche Regierung in den Besitz des Berichts gelangt ist, ergibt sich aus folgenden Mitteilungen: Am 31. Juli d.J. wurde in Berlin ein Brief mit folgender Adresse zur Post gegeben: „ Madame Costermans. 107 Rue Froissard. Bruxelles. Belgique.“ Wegen Kriegszustandes wurde der Brief von der Post zurückgehalten und ist erst jetzt zur Ermittlung des Absenders amtlich geöffnet. In dem äusseren Briefumschlag befand sich ein zweiter mit der Adresse: „Son Excellence Monsieur Davignon Ministre des Affaires Etrangéres.“ Dieser Umschlag wurde ebenfalls geöffnet und in ihm befand sich, in französischer Sprache, folgender Brief. St. Petersburg

den 30.Juli 1914.

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795/402 Die politische Lage. An Seine Exzellenz Herrn Davignon, Minister der auswärtigen Angelegenheiten. Herr Minister ! Der gestrige und vorgestrige Tag vergingen in Erwartung von Ereignissen, die der Kriegserklärung Oesterreich-Ungarns an Serbien folgen mussten. Die widersprechenden Nachrichten wurden verbreitet, ohne dass es möglich gewesen wäre, bezüglich der Absichten der Kaiserlichen (Russischen)Regierung Wahres von Falschem genau zu unterscheiden. Unbestreitbar bleibt nur, dass Deutschland sich hier, ebenso wie in Wien, bemüht hat, irgendein Mittel zu finden, um einen allgemeinen Konflikt zu vermeiden, dass es dabei aber einerseits auf die feste Entschlossenheit des Wiener Kabinetts gestossen ist, keinen Schritt zurückzuweichen und andererseits auf das Misstrauen des Petersburger Kabinetts gegenüber den Versicherungen Österreich-Ungarns, dass es nur an eine Bestrafung, nicht an eine Besitzergreifung Serbiens denke. Herr Sasonow hat erklärt, dass es für Russland unmöglich sei, sich nicht bereitzuhalten und nicht zu mobilisieren, dass aber diese Vorbereitungen nicht gegen Deutschland gerichtet seien. Heute morgen kündet ein offizielles Communiqué an die Zeitungen an, dass „die Reservisten in einer bestimmten Anzahl von Gouvernements zu den Fahnen gerufen sind.“ Wer die Zurückhaltung der offiziellen russischen Communiqués kennt, kann ruhig behaupten, dass überall mobil gemacht wird.

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Der deutsche Botschafter hat heute morgen erklärt, dass er am Ende seiner seit Sonnabend ununterbrochen fortgesetzten Ausgleichsbemühungen angelangt sei und dass er kaum noch Hoffnung habe. Wie mir eben mitgeteilt wird, hat sich auch der englische Botschafter in gleichem Sinne ausgesprochen. England hat letzthin einen Schiedsspruch ausgeschlagen. Herr Sasonow antwortete: „ Wir selbst haben ihn Oesterreich-Ungarn vorgeschlagen, es hat den Vorschlag aber zurückgewiesen.“ Auf den Vorschlag einer Konferenz hat Deutschland mit dem Vorschlage einer Verständigung zwischen den Kabinetten geantwortet. Man möchte sich wahrhaftig fragen, ob nicht alle Welt den Krieg wünscht und nur versucht, die Kriegserklärung noch etwas hinauszuschieben, um Zeit zu gewinnen. England gab anfänglich zu verstehen, dass es sich nicht in einen Konflikt hineinziehen lassen wolle. Sir George Buchanan sprach das offen aus. Heute aber ist man in St.Petersburg fest davon überzeugt, ja, man hat sogar die Zusicherung, dass England Frankreich beistehen wird. Dieser Beistand fällt ganz ausserordentlich ins Gewicht und hat nicht wenig dazu beigetragen, der Kriegspartei Oberwasser zu verschaffen. Die russische Regierung hat in den letzten Tagen allen serbenfreundlichen und oesterreichfeindlichen Kundgebungen freien Lauf gelassen und hat in keiner Weise versucht, sie zu ersticken. In dem Ministerrat, der gestern früh stattfand, machten sich noch Meinungsverschiedenheiten geltend; die Bekanntgabe der Mobilisierung wurde verschoben, aber seitdem ist ein Umschwung einge-

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treten, die Kriegspartei hat die Oberhand gewonnen und heute früh um 4 Uhr wurde die Mobilmachung bekanntgegeben. Die Armee, die sich stark fühlt, ist voller Begeisterung und gründet grosse Hoffnungen auf die ausserordentlichen Fortschritte, die seit dem japanischen Kriege gemacht worden sind. Die Marine ist von der Verwirklichung ihres Erneuerungs-und Reorganisationsplanes noch so weit entfernt, dass mit ihr wirklich kaum zu rechnen ist. Darin eben liegt der Grund, warum die Zusicherung des englischen Beistandes eine so grosse Bedeutung gewann. Wie ich die Ehre hatte, Ihnen heute zu telegrafieren (T.10), scheint jegliche Hoffnung auf eine friedliche Lösung dahin zu sein. Das ist die Ansicht der diplomatischen Kreise. Für mein Telegramm habe ich den Weg via Stockholm über den Nordisk Cabel benutzt, da er sicherer ist als der andere. Diesen Bericht vertraue ich einem Privatkurier an, der ihn in Deutschland zur Post geben wird. Genehmigen Sie, Herr Minister, die Versicherung meiner grössten Ergebenheit. gez. B.de l’Escaille.“ Hier haben wir es schwarz auf weiss, dass die Zusicherung Englands, Frankreich zu helfen, Russland den Rücken gestärkt hat. Russland hat drei Tage vor Deutschland mobilisiert.

Sonntag, d.13.Sept. Grosses Hauptquartier, 12.Sept. „Die Armee des Generalobersten v.Hindenburg hat die russi-

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sche Armee in Ostpreussen nach mehrtägigem Kampf vollständig geschlagen. Der Rückzug der Russen ist zur Flucht geworden. Generalquartiermeister v. Stein (W.T.B.) 27 „ Heute seit 7 Wochen der erste Regentag.- Das Land kann es brauchen und ich dachte auch, die Truppen würden es gerne sehen, wenn der Staub gelegt wird. Mir wurde aber gesagt: „Nein, nichts demoralisiert die Truppen mehr als Regen.“ Heute besuchten wir Georgie in Brandenburg und assen im Hotel zusammen Mittag. „

London, 12.September. 28

Lord Curson , der frühere Vizekönig von Indien, sagte in einer Rede in Glasgow, er hoffe es zu erleben, dass die Lanzen bengalischer Reiter auf den Strassen Berlins funkeln und dunkelhäutige Gurkhas es sich in den Potsdamer Parks bequem machen würden.“ Man fasst sich an den Kopf ob einer solchen Kurzsichtigkeit des Mannes, der in seiner Studentenzeit „George Nathaniel Curzon, a most superior person“ hiess. Nirgends ist die Rassenfrage so akut, wie in Indien, das muss doch ein früherer Vizekönig besser wissen, als irgend jemand sonst. Aber der Hass auf Deutschland ist eben mächtiger als alles andere und ist im Stande, selbst die schlauesten Hirne momentan aus dem Gleichgewicht zu bringen. „ Bis 11. Sept.waren in Deutschland rund 220 000 Kriegsgefangene untergebracht.“ (W.T.B.) 29

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Montag, d.14.Sept. Tante Marianne schreibt, dass Holzminden mit 10 000 Gefangenen belegt ist. Richard G. ist in den Strassenkämpfen in Löwen gewesen und sein Pferd ist unter ihm erschossen. Carl D. ist noch in Thorn und hat zu seinem grossen Kummer noch keinen Russen gesehen. Graf v.d.S. hat an seine Frau geschrieben:“ Es ist gar nicht abzusehen, wann dieser Krieg zu Ende geht. Die Truppen leisten das übermenschliche.-“

Dienstag,d.15.Sept. Elsa ist glücklich wieder heimgekehrt und mein Tagebuch ist insofern belanglos geworden.- Ich habe mich aber jetzt an diese Aufzeichnungen gewöhnt und werde sie weiter führen. Vielleicht, dass in späteren Jahren Kinder oder Enkel sich dafür interessieren werden. Elsa hat uns viel interessantes über die letzten Wochen erzählt. Am 25.Juli sagte Uncle Arthur zu Granny.:“You would be mad to leave, we shall be at war with Germany within a week.“ Die Schulmädchen in Elsa’s Pension in Eastbourne haben sie vom ersten Tag des Mai immer wieder angeödet über die deutsche Flotte “which is corning to invade us.” Frau Dr.Degenhardt sagte, Granny wäre ihr eine grosse Hilfe gewesen in ihrer recht schweren Mission, ebenfalls unser junger Freund Harold Smart – der sich um einen deutschen Dolmetscherposten beworben hat – trotz seiner recht mässigen deutschen Kennt-

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nisse. Es scheint mir, dass Engl.Franz.Dolmetscher nötiger sind. Bei St.Quentin liefen die alliierten Stäbe mit Wörterbüchern herum. Hat man diese Waffe auf einem Schlachtfelde schon gesehen ?

Donnerstag,d.17.Sept. Heute besuchte uns Gräfin Bernstorff 30. Seit ihr Mann auf seinen Botschafterposten in Washington zurückgekehrt ist, hat sie keine Nachricht von ihm, oder er von ihr. Anscheinend wird seine Post in New York zurückgehalten und censiert. Merkwürdige Behandlung eines deutschen Botschafters in einem neutralen Lande.Aus der Gegend von Lemberg kommen sehr schlechte Nachrichten.- Von einem Regiment von 3000 Mann sind 750 aus einer Schlacht zurückgekehrt. Major v.S. schreibt an seine Mutter, dass er noch 350 Mann hat aus einer Kompagnie von 800. Die Russen greifen immer wieder an, Kolonne an Kolonne, in nie endenden Massen Deutschland schützt die belgischen Kunstschätze. Der Verwaltungschef bei dem Generalgouverneur in Belgien hat im Einvernehmen mit dem Reichsamt des Innern und dem Königlich Preussischen Kultusministerium zum Schutze der in Belgien vorhandenen Kunstschätze Massnahmen ergriffen. Da die militärische Ueberwachung der Museen verhältnismässig leicht ist, bezwecken die Massnahmen hauptsächlich die Sicherstellung der zahlreichen Kunstwerke, die anderswo, z.B. in Kirchen, Rat-

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häusern und dergleichen untergebracht sind. Diese müssen den Zugriffen von Händlern und diebischen Landeseinwohnern entzogen werden, auch gilt es, alle Kunstwerke von den Baudenkmälern bis zu den kostbarsten Werken der Kleinkunst vor achtlosen Beschädigungen zu schützen. Zur Bearbeitung aller dieser Aufgaben ist der Direktor des Berliner Kunstgewerbemuseums, Geheimer Regierungsrat Dr.v.Falke, einer der besten Kenner flämischer Kunst, der Zivilverwaltung Belgiens zugeteilt worden. Die Entsendung weiterer Kunstsachverständiger ist in Aussicht genommen. Geheimrat v.Falke ist zurzeit damit beschäftigt, in Fühlung mit belgischen Sachverständigen an Kunststätten wie Löwen, Namur, Andenne, Huy, Nivelles und Lüttich örtliche Feststellungen zu treffen. (W.T.B.) 31 Dies ist wirklich typisch für deutsche Gründlichkeit.

Montag, d.21.Sept. Eben hören wir, dass Herr v. Eulitz leicht verwundet ist. Er ist auf dem Sächsischen Generalstab. Seine Frau und ich hatten für Oktober geplant, zusammen Caruso zu hören ! In diesem Winter wird wohl dieser Meister des Gesanges brav zuhause bleiben müssen, anstatt in allen europäischen Hauptstätten seine Millionen zu verdienen. Frau v. Winterfeld schreibt mir eben, dass ihr jüngster Bruder in französische Gefangenschaft geraten ist.

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Dienstag, d.22.Sept. Elsa und Irene waren heute bei Simson’s. Frau v. Simson bewirtet jeden Nachmittag 25 reconvalescente Soldaten in ihrem grossen Garten.- Sie rauchen und trinken Kaffee und spielen Halma oder „Kegeln“. Solange das Wetter schön bleibt, sollen sie täglich kommen. Winifried Roever schreibt mir, dass ihr Mann in Bacharach mit einem Lungenschuss liegt. Sie leidet auch namenlos unter dem Bewusstsein, dass ihr eigener Bruder gegen ihren Mann kämpft, wie so viele von uns.

Mittwoch, d.23.Sept. Heute bekam ich einen Brief v. Granny, welche uns aufgibt anfleht, Elsa und Irene nach London zu schicken mit Nannie, „ehe die Russen nach Berlin kommen, und sich für die Grausamkeiten und Verstümmelungen rächen, welche die deutschen Soldaten begangen haben“. – Und wir haben keinerlei Möglichkeit, ihnen klar zu machen, dass diese „Grausamkeiten“ erlogen sind. Es ist herzbrechend ! „

Berlin, 23.Sept.

„U.9“ hat am Morgen des 22.September etwa 20 Seemeilen nordwestlich von Hook von Holland die drei englischen Panzerkreuzer „Aboukir“, „Hogue“ und „Cressy“ zum Sinken gebracht. Der stellvertetende Chef des Admiralstabes. 32 Behncke.“ 33 Der Führer von „U.9“ ist Kapitänleutnant Weddingen. Er wur-

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de am 16.August kriegsgetraut und am folgenden Tage nahm er sein Kommando auf. Unsere Unterseeboote scheinen gut treffen zu können.„

Die Beschiessung von Reims.

Meldung des Wolff’schen Telegraphen - Bureaus. Grosses Hauptquartier, 22.September. Die französische Regierung hat behauptet, dass die Beschiessung der Kathedrale von Reims keine militärische Notwendigkeit gewesen sei.- Demgegenüber sei folgendes festgestellt: Nachdem die Franzosen die Stadt Reims durch starke Verschanzungen zum Hauptstützpunkt ihrer Verteidigung gemacht hatten, zwangen sie selbst uns zum Angriff auf die Stadt mit allen zur Durchführung nötigen Mitteln. Die Kathedrale sollte auf Anordnung des deutschen Armeeoberkommandos geschont werden, solange der Feind sie nicht zu seinen Gunsten ausnutzte. Seit dem 20.September wurde auf der Kathedrale die weisse Fahne gezeigt und von uns geachtet. Trotzdem konnten wir auf dem Turm einen Beobachtungsposten feststellen, der die gute Wirkung der feindlichen Artillerie gegen unsere angreifende Infanterie erklärte. Es war nötig, ihn zu beseitigen. Dies geschah durch Schrappnellfeuer der Feldartillerie; das Feuer schwerer Artillerie wurde auch jetzt noch nicht gestattet und das Feuer eingestellt, nachdem der Posten beseitigt war. Wie wir beobachten können, stehen Türme und Aeusseres der Kathedrale unzerstört. Der Dachstuhl ist in Flammen aufgegangen. Die angreifenden Truppen sind alle nur soweit gegan-

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gen, wie sie unbedingt gehen mussten. Die Verantwortung trägt der Feind, der ein ehrwürdiges Bauwerk unter dem Schutz der weissen Flagge zu missbrauchen versuchte.“ 34

Donnerstag, d.24.Sept. Eben teilt mir Sofia v.d.Ropp mit, dass Theo Donner vor Verdun gefallen ist.

Freitag, d.25.Sept. Hedwig hat ihren Bräutigam verloren. Einen ihrer Briefe bekam sie heute zurück mit dem Regimentsvermerk „tot“. Heute bekam ich einen sehr interessanten Brief von Major von Velsen. Er schreibt:“ Militärisch sind wir, bis auf das Versagen der Oesterreicher, voll zufrieden.“ Es ist das erste Mal, ob privat oder in der Presse, dass wir eine abfällige Kritik über unsere Bundesbrüder zu hören bekommen.

Sonnabend, d.26.Sept. Ueberfall französischer Franctireurs auf deutsches Sanitätspersonal. (W.T.B.) Amtlich wird gemeldet: Nach einer dem Chef des Feldsanitätswesens vorliegenden Meldung ist im Etappengebiet eine Krankentransportabteilung, die mit der Herbeischaffung verwundeter Franzosen beauftragt war, am 23.September vormittags von französischen Franctireurs überfallen worden. Sie verlor dabei an Verwundeten und Toten einen Ober-

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arzt und sieben freiwillige Krankenpfleger.“ 35

Montag, d.28.Sept. Jetzt haben wir die Erklärung für Granny’s Brief vom 13. Die Times vom 19.September bringt einen Bericht von „German atrocities“, der so widerlich ist, dass ich ihn hier nicht wiedergeben möchte. Was ist aus dieser altehrwürdigen Zeitung geworden, seit sie in die Hände von Harmsworth und Konsorten gekommen ist ?

Dienstag, d.29.Sept. „

Vor dem Feinde gefallen.

Die Familie des Generalleutnants und Generals a la Suite des Kaisers Oskar von Chelius ist von einem schweren Verlust betroffen worden.- Der älteste Sohn des Generals und seiner Gemahlin, die eine Tochter des verstorbenen Staatsministers und Oberpräsidenten v.Puttkammer ist, der Referendar und Reserveleutnant der badischen Leibdragoner, Wilhelm v.Chelius, ein Patenkind des Kaisers, ist, 25 Jahre alt, am 26.Sept.gefallen. Er lässt eine junge Gemahlin, Frau Viktoria Elise v.Chelius, geb.v.Zitzewitz, zurück, deren früh verstorbener Vater, ebenfalls ein Oberstleutnant und Flügeladjutant zur nächsten Umgebung des Kaisers gehörte. Erst vor wenigen Monaten fand die Trauung des jungen Paares in der Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche in Anwesenheit des Kaisers und der Kaiserin statt.“

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Die arme kleine Vicky – und was war es für ein bildschönes Paar, als es im vorigen Januar vor dem Altar stand. Vater und ich gingen nach der Schaperstrassee, um zu kondolieren.- Vor dem Hause wurde uns gesagt, dass die Kaiserin und Prinz Joachim oben wären und wir warteten natürlich, bis sie wieder fortgefahren waren.- Tante Elise ist wahrhaftig eine tapfere Soldatenmutter, über das Leid, das ihrem „Baby“ widerfahren ist, bricht ihr das Herz. Sie hatte auch einen Brief von ihrem Sohne Julius. Sein Regiment hat furchtbar gelitten. Von 1000 Mann sind 380 übrig, von 27 Offizieren sind 21 gefallen ! Ich glaube, von unseren Verwandten und Freunden haben jetzt beinahe alle das Eiserne Kreuz.-

Gebet. Alle Tropfen, die da sickern warm und rot in durst’gem Sand, Alle Tränen, die da rinnen – sammle, Herr, mit milder Hand ! Lass der Stummen mächtge Sprache flehn zu Dir, o Gott, vereint, Das sie nicht umsonst gefallen, - dass sie nicht umsonst geweint. Schütz die Tapfren vor Ermatten ! Lasse Geist von deinem Geist Ihres Armes Spannkraft doppeln – bis der Feinde Wall zerreisst ! Breite Deiner Allmacht Fittich über das geliebte Haupt Unsres Fürsten ! Seiner Krone wird nicht ein Stein geraubt ! Alle Tropfen, die da rinnen warm und rot in gier’gen Sand. Alle Tränen, die da fliessen – sammle, Herr, in Deiner Hand ! A.Reichert-Teschen. 36

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Mittwoch, d.30.Sept. Heute ist, soviel ich weiss, der fünfundzwanzigste Tag von ununterbrochenen, heissen Kämpfen.- Hedwigs Bruder hat das Eiserne Kreuz. Von seiner Radfahrkompagnie leben noch 30 ! Die Offiziere sind tot und er ist Offizierstellvertreter geworden. Pressentin schreibt soweit zufrieden. Er sagt, die britische Artillerie schösse sehr gut, aber dass die Khakiuniformen weit sichtbar wären. Unser Feldgrau ist anscheinend praktischer.

Freitag, d.2.Okt. Unsere Toten. von Walter Bloem. (An seinem Verwundeten Lager geschrieben.) Euch, die ich fallen sah auf Belgiens Auen, Euch, die Ihr sankt in Frankreichs Saatgetreid’! In Euren Augen noch des Todes Grauen, Um Eure Stirnen schon Unsterblichkeit Euch, Kameraden, Gruss ! Die Waffe rostet In Eurer starren Faust, die nie gebebt Gruss Euch von einem, der das Blei gekostet, Doch lebt, und fast sich schämt, dass er noch lebt.

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Ihr, die ich half ins kühle Dunkel betten, Ihr, die Ihr modert, einsam, unentdeckt, Ihr, die Ihr welktet in den Lazaretten, Ihr, die das tück’sche Mörderblei gestreckt, Ihr, die des Schrapnells Bluterguss zerwettert, Dass Ihr des Kampfes heisse Lust gebüsst. Und ihr, die der Granate Sprung zerschmettertIhr heil’gen Toten, seid gegrüsst – gegrüsst ! Nun ist um Euch daheim ein jähes Klagen, Und schwarze Trauer deckt, die Euch geliebt, Doch Eure Seelen sind hinausgetragen, Dorthin, wo’s nicht mehr Krieg noch Wunden gibt. Oh, Ihr könnt ruh’n ! Um unsre Stirnen hangen Der Sorge Schleier und der herben Not, Und auch des Kühnsten Seele fasst ein Bangen : O Herr, wann dämmert uns Dein Morgenrot ? Doch – Friede ? Nein ! Es schauen unsre Toten Von droben ernst herab auf unsern Kampf Sturm ! Sturm ! Dem Feind aufs neu die Brust geboten ! Granaten ! Schrapnelle ! Eisen ! Pulverdampf ! Noch lange Züge müssen todwärts wallen ! Die Schar da droben ist noch viel zu klein ! Auf ! In den Feind ! Was fallen soll, mag fallen ! Erst muss das Vaterland erhöhet sein !

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Elsa und ich verabschiedeten uns heute von Frau Dr. Degenhardt, welche morgen nach London fährt mit 20 Engländerinnen. Wir haben ihr so viele Briefe mitgegeben, auch Zeitungsausschnitte und sie hat versprochen, ihr äusserstes zu tun, aufklärend zu wirken. Ich hatte eine lange Unterhaltung mit Mrs. Miss D. eine junge Engländerin, welche diese schrecklichen Wochen in Freiburg und Karlsruhe erlebt hat. Sie will in London die Wahrheit sagen, aber, sagte sie „Was ist eine schwache Frauenstimme gegen die Macht der britischen Presse ? „

Anton v.Werner 38 und Reims. In dem Kampf um die angebliche Zerstörung der Kathedrale von Reims hat Anton v.Werner an die Academie di San Luca in Rom das folgende Schreiben gerichtet : Hochgeehrte Herren Kollegen !

Mit Staunen habe ich, der ich seit dem 25.Mai 1895 als Mitglied Ihrer berühmten Akademie angehöre, das Telegramm gelesen, das Sie über die Beschiessung von Reims und die angebliche Zerstörung der dortigen Kathedrale durch deutsche Truppen an unsere Akademie in Berlin gerichtet haben. Ob Ihnen bekannt ist, dass Reims eine starke Festung ist, weiss ich nicht, aber gestatten Sie mir, Ihnen, als Ihr Mitglied, die beruhigende Versicherung zu geben, dass unsere Offiziere und Soldaten weder Barbaren noch Mordbrenner sind und im Kriege weder Kirchen und

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Privatgebäude aus Mutwillen niederbrennen noch Kunstwerke, die der ganzen Menschheit gehören, zerstören, denn es befinden sich Künstler und Gelehrte massenhaft in ihren Reihen, die den Wert und die Bedeutung solcher Werke zu schätzen wissen. Unser Kaiser ist in der ganzen Welt als Beschützer und Förderer der schönen Künste bekannt, ebenso wie alle anderen deutschen Bundesfürsten, und er duldet keinen Frevel gegen die kostbaren Schätze menschlicher Kultur. Wenn wir in Frankreich hätten Kunstwerke zerstören wollen, so hätten wir 1870/71 und auch jetzt reichlich Zeit und Gelegenheit dazu gehabt. Noch am 11.September hat mein Sohn, Architekt und Artillerieoffizier der Reserve, verwundet in Reims gelegen und, wie er mir von dort schrieb, nur bedauert, dass er wegen seiner Verwundung ausserstande war, der herrlichen Kathedrale durch seinen Besuch seine Ehrfurcht zu erweisen, während unsere Leichtverwundeten truppweise hingeführt wurden, um das erhabene Meisterwerk unter kundiger Leitung zu bewundern. In der ganzen Stadt, vor allem an der Kathedrale, war nicht das geringste beschädigt. Wenn aber ehrwürdige Heiligtümer der Kirche und der Kunst von unseren Gegnern als militärische Verteidigungsmittel gebraucht werden, wie in Reims, wo französische Geschütze in der Nähe und Beobachtungsposten auf der Kathedrale placiert waren, so können wir nur beklagen, dass sie, nicht wir, solche der Menschheit gehörenden Kunstwerke unvermeidlicher Gefahr aus-

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setzen. Ich habe 1870/71 im Hauptquartier des Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preussen der Belagerung von Paris beigewohnt und gesehen, wie unsere Soldaten aus den Trümmern der von der französischen Artillerie zusammengeschossenen Schlösser St.Cloud und Meudon Reste von zerstörten Kunstwerken retteten, ja, auf die Bitte des Direktors der Porzellanmanufaktur von Sèvres, Herrn Regnault, an den Kronprinzen, unter eigener Lebensgefahr im feindlichen Feuer die wertvollsten Modelle in Sicherheit brachten. Sie dürfen also, meine Herren, überzeugt sein, dass weder der Kultur und Zivilisation, noch der Kunst von den Truppen des mit Krieg überfallenen Deutschen Reiches irgend eine Gefahr droht. Selbst jetzt in Belgien haben unsere Offiziere und Soldaten unter Lebensgefahr Kunstwerke gerettet und überall, wo deutsche Truppen stehen, befinden sich öffentliche Kunstwerke und Privateigentum unter sicherem Schutz. Wir sind viel zu stolz auf unseren guten ehrlichen Namen, als dass wir ihn selbst in der Stunde höchster Gefahr opfern würden. Der Krieg ist grausam, nicht unsere Soldaten sind es. Mit kollegialer Gesinnung Ihr ergebener A. v. Werner, Mitglied der Akademie von San Luca in Rom.“

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Sonnabend, d.3.Okt. Elsa und Irene und ich brachten heute grosse Pakete nach der Kaserne der 1. GardeFeldartillerie. Sie enthalten Socken, Brustschützer, Ohrenklappen, Schokolade, Konserven u.s.w. Ich habe sie an Pressentin adressiert, der sie unter seinen Kanonieren verteilen soll. Man sagte mir, dass sie per Auto befördert würden. Hunderte von Privatautos sind jetzt mit Liebesgaben unterwegs. In den letzten Tagen sind auch ganze Wollzüge an beide Fronten abgegangen. Abends erschien Georgie und brachte fünf Fahnenjunker mit zu Tisch. Eckelmanns kamen auch und während die Jugend sich am Klavier und Grammophon belustigte, unterhielten wir uns. Erich sagte, noch nie in Friedenszeiten wäre die Arbeit im Admiralsstab so glatt gegangen, wie jetzt.

Sonntag, d.4.Okt. Die Sikhs und die Gurkhas und die Punjabis und die Beluchis sind in Marseille angekommen.- Hoffentlich werden sie sich bald tüchtige Lungenentzündungen holen. Vorläufig sind sie noch nicht in Potsdam, wie Lord Curson so liebevoll ausgesprochen hat.

Montag, d.5.Okt. Heute früh kam Walters Einberufung nach Braunschweig und heute abend brachten wir ihn an die Bahn.-

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„Scharnhorst“ und „Gneisenau“ im stillen Ozean.

Amtlich wird vom französischen Marineministerium, datiert Bordeaux, 3.Oktober, morgens, mitgeteilt: Die deutschen Kreuzer „Scharnhorst“ und „Gneisenau“ sind am 22.September vor Papeete auf Tahiti erschienen und haben das kleine Kanonenboot „Zéléc“, welches seit 14.September abgerüstet im Hafen lag, in Grund geschossen. Hierauf beschossen sie die offene Stadt Papeete und fuhren weiter. “ Die Mitteilung drückt zum Schluss die Hoffnung aus, dass den beiden Schiffen sehr bald die Kohlen ausgehen werden.“ Dieses Lebenszeichen aus einer französischen Quelle wird für Tante Marie von grösstem Interesse sein. Massenversammlungen gegen den Krieg in London verboten. „ Die englische Regierung verbot alle für Sonntag, d.4.Okt. von der Arbeiterpartei in Grossbritannien einberufenen, über 250 Massenversammlungen gegen den Krieg“. Es scheint also, dass die englische Arbeiterpartei doch nicht so geschlossen für den Krieg ist, wie die Regierung es möchte. Einen Sonntag Nachmittag im Hyde-Park ohne „labor meetings“ kann man sich gar nicht vorstellen.

Mittwoch, d.7.Okt. Walter schreibt wenig begeistert über seine Unterbringung in der Kaserne, er wird sich etwas schwer daran gewöhnen.

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Freitag, d.9.Okt. Noch immer keine besonderen Nachrichten von der Westfront, obgleich Herr v.Velsen täglich an seine Frau berichtet:“ Es geht vorwärts, wir sind sehr zufrieden“. Wenn man die furchtbaren Verlustlisten durchsieht, ist es schwer zu glauben, dass es gut geht. Es scheint, Antwerpen müsse stündlich fallen !

Sonnabend, d.10.Okt. Antwerpen ist gefallen und zwar ohne Kampf, denn die Garnisonen hatten schon die Festung verlassen. Vater ist heutenach Hannover gefahren, zum stellvertretenden Generalkommandeuro, um den Versuch zu machen, zu erreichen, dass Walter noch als Fahnenjunker eingestellt wird. Georgie telefonierte, dass sie wahrscheinlich Montag abend oder Dienstag ausrücken werden, er trug mir eine Menge Besorgungen auf. S t a n d h a l t e n. Von Hans Franck. Brüder im Feindesland, Haltet stand ! Mag bei Brüllen der Haubitzen Blut bis in den Himmel spritzen: Haltet stand ! Haltet stand ! Brüder im Feindesland !

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Brüder im Heimatland, Haltet stand ! Mag bis in das Herz versagen Seinen schartigen Schnabel schlagen: Haltet stand ! Haltet stand ! Brüder im Heimatland ! 39

Sonntag, d.10.Okt. Die britischen Garnisonen, ehe sie Antwerpen verliessen, zerstörten die Maschinen von 33 deutschen Kauffahrtei-Schiffen, die dort im Hafen lagen. Brüssel,d.10.Okt. (W.T.B.) „ Das bereits am 26. Sept. für den Fall der Beschiessung von Antwerpen ergangene Anerbieten tunlichster Schonung der geschichtlichen Denkmäler der Stadt ist von der belgischen Regierung angenommen worden. Sie hat durch Vermittlung der amerikanischen Gesandtschaft in Brüssel am 8.Okt.abends, also nahe einen Tag nach Beginn der Beschiessung, der deutschen Zivilverwaltung ein Verzeichnis der in Frage stehenden hauptsächlichsten Denkmäler sowie einen Stadtplan zukommen lassen, auf dem sie besonders hervorgehoben sind. Eine grössere Anzahl von Abzügen dieses Plans, auf dem auch Krankenhäuser und Wohltätigkeitsanstalten vermerkt sind, wurde von der Zivilverwaltung umgehend dem Befehlshaber der Belagerungstruppe überbracht, durch den sie noch in der Nacht an die Artilleriestellungen ausgegeben wurden.“ 40

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Ob unsere Feinde sich auch so viel Mühe gegeben hätten, Kunstwerke zu schützen ? Und doch sind wir die Hunnen und die Barbaren ! Um 6 Uhr früh erschien Georgie. Nach einer Feier im Kasino war er 3,15 Uhr früh von Brandenburg abgefahren.- Zu Mittag kamen Stahns und zum Tee Mr. und Mrs. Lonth. Mr. Lonth sieht mit jedem Tag trauriger und gebrochener aus. Abends 10 Uhr fuhren Ilse und ich mit Georgie und Rolf nach Brandenburg.- Ilse und ich gingen ins Hotel.

Montag,d.12.Okt. Früh gingen Ilse und ich in die Wohnung.- Schultz sagte uns, dass die Jungen beim Reiten wären, in voller Kriegsausrüstung. Wir machten uns daran, ihre Sachen für Feldkoffer und Satteltaschen zurecht zu legen. Mittags kamen sie und brachten einen Putzer. Mit seiner Hilfe packten wir die Satteltaschen mit allem nötigsten – Unterwäsche, Taschentücher, Strümpfe, Schokolade, Zigaretten, Taschenapotheke u.s.w. bis sie brechend voll waren. Nach dem Frühstück stürzten sie wieder zur Kaserne, um Patronen zu holen, Löhnungsappell u.s.w. Georgie trug mir noch auf, eine „Kinnkette“ zu kaufen. „Was die Angehörigen in dieser Zeit alles kaufen müssen“ sagte der Ladeninhaber. Nachmittags kamen Vater und Elsa aus Berlin und Georgie ging, sich den Kopf rasieren zu lassen, sah nachher aus wie ein Baby von 3 Monaten. Dann in die Badewanne. Wann

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werden sie wohl eine Badewanne wiedersehen ? Wir assen Abendbrot und um 8 Uhr brachte Schultz die blumengeschmückten Helme.- Sie gingen ins Kasino, sich zu verabschieden und um 9,30 Uhr trafen wir uns auf dem Kasernenhof. Die Pferde standen gesattelt in den Ställen und was müssen die armen Tiere alles tragen : Sattel und Reiter, Satteltasche, pelzgefütterten Mantel,Karabiner,Lanze,Kochgeschirr, Trinkflasche, Futterbeutel. Georgie hing sich noch Feldglas, Meldeblock, Patronentasche um und steckte sich den Revolver ein. – Alles war nagelneu bis zum letzten Riemen.- Um 10,30 wurden die Pferde auf dem Kasernenhof gefüttert. Es war stockdunkle Nacht, nur die Scheinwerfer von Hellmuth Goerz’ Auto beleuchteten in theatralischer Weise die Scene. Sein Vater hat es ihm zur Verfügung gestellt, und er fährt einen Rittmeister und Liebesgaben an die Front. Um 11 kam der Befehl“ Aufsitzen“ ! Der Major sagte ein paar Abschiedsworte und brachte das Kaiserhoch aus. Die Musik spielte „Heil Dir im Siegerkranz“. Dann der Major „Adieu Kürassiere“. „Adieu Her Major“, und die Kawalcade setzte sich in Bewegung. Wir sprangen in unsere Droschke und begleiteten sie zum Bahnhof. Jedes Pferd, jeder Helm war mit Blumen geschmückt. Die Regimentsmusik spielte und aus allen Fenstern winkten die Brandenburger ihren Kürassieren „Lebewohl“. An der Bahn angelangt, wurden die Pferde schnell verladen, ebenfalls Unmengen Stroh und Hafer. Es fing an zu regnen und wurde sehr kalt und, da der Zug erst um 2,30 Uhr abfahren sollte, gingen wir in das einzige Café, welches um diese Zeit noch offen war und warteten dort. Es war

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Es war mir eine Beruhigung, dass Vater in einem warmen Lokal sitzen und heissen Kaffee trinken konnte.- Um 2,15 Uhr gingen wir wieder zum Bahnhof. Inzwischen hatten Georgie und Rolf in ihren Abteilungen festgeschlafen. Um 2,45 Uhr kam der Befehl „Einsteigen“. Unsere Abschiedsworte waren bald gesagt und langsam fuhr der Zug ab. Wir winkten, solange wir ihre lieben Gesichter erkennen konnten.

Dienstag,d.13.Okt. Wir packten die 7 Sachen von den Jungens ein und fuhren mittags nach Berlin zurück. Dort fanden wir einen Brief von Walter vor. Die Einjährigen und Abiturienten dürfen ihre Mahlzeiten in der Unteroffizierstube einnehmen, was ihm sehr genehm ist. Er hätte auch ein gutes Pferd.- Vaters Besuch beim Generalkommando in Hannover war zwecklos. Es wurde ihm gesagt, dass Fahnenjunker nicht mehr eingestellt werden dürfen. Walter wird es also lange nicht so gut haben wie Georgie und Rolf. Aber wie gut hat es auch Georgie gehabt ! Bei Verwandten wohnen, von einem Diener betreut, ich glaube, das war einzig in der ganzen deutschen Armee !

Mittwoch,d.14.Okt. Lord Haldane hat in einer Rede in Newcastle gesagt, dass „ militarism swallows up all the talents of the German poeple“. Also, mein Lord Haldane, wir haben nur Militarismus ! Wir haben keine Universitäten, keine Technische Hochschule,

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keine Röntgenstrahlen, keine Krebsforschung, keine Shakespearegesellschaft, keine klassischen Theater und Opern in jeder Stadt, keine chemischen Fabriken und Laboratorien, kein Versicherungssystem, welches in den letzten Jahren auch in England nach deutschen Mustern eingeführt ist. Das berühmte englische Schlagwort:“Militarismus“, fängt an, lächerlich zu werden.Man könnte mit demselben Recht England „Marinismus“ vorwerfen.- Aber wir wissen, dass die Marine für England ebenso unbedingt notwendig ist, wie das Heer für uns.

Donnerstag, d.15.Okt. Vater und ich fuhren heute nach Schönholz. Vor 10 Wochen verliessen wir unseren schönen Garten in herrlichstem Sommerschmuck, jetzt sieht er etwas herbstlich unordentlich aus. Die Rosen blühen noch, die Puten sind gewachsen und es gibt viel Tomaten. Hermann Brüning hat seine Ausbildung als Sanitäter beendet und erwartet seine Einberufung. Man muss aufs Land gehen, um wirklich zu empfinden, dass Deutschland im Kriege ist. In Berlin sieht man immer noch genug Männer. Aber hier scheint alles fort zu sein. Unsere Kleinbahn hat nur zwei Züge in 24 Stunden und nur zwei Lokomotivführer. Die deutsche Heeresleitung veröffentlicht folgenden Bericht, welcher interessante Streiflichter wirft auf die Frage „Belgian neutrality“, die in allen englischen Zeitungen zu Tode gehetzt wird.

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„ Wer hat die belgische Neutralität verletzt ? In den Archiven des belgischen Generalstabes in Brüssel sind von der deutschen Heeresleitung Dokumente gefunden worden, die aufdie heuchlerische Entrüstung Englands über das – vom militärischen Standpunkte aus – absolut notwendige Vorgehen Deutschlands ein neues Licht werfen.Aus dem halbamtlich veröffentlichten Inhalt einer Mappe, welche die Aufschrift trägt „ Intervention anglaise en Belgique“ geht hervor, dass schon im Jahre 1906 die Entsendung eines englischen Expeditionscorps nach Belgien für den Fall eines deutsch-französischen Krieges in Aussicht genommen war. Nach einem vorgefundenen Schreiben an den belgischen Kriegsminister vom 16.April 1906 hat der Chef des belgischen Generalstabes mit dem damaligen englischen Militärattaché in Brüssel, Oberleutnant Barnadiston, auf dessen Anregung in wiederholten Beratungen einen eingehenden Plan für gemeinsame Operationen eines englischen Expeditionscorps von 100 000 Mann mit der belgischen Armee gegen Deutschland ausgearbeitet. Der Plan fand die Billigung des Chefs des Generalstabes, Generalmajors Grierson. Bis in alle Einzelheiten ist das Zusammenwirken sorgfältig ausgearbeitet worden. Dünkirchen, Calais und Boulogne waren als Ausschiffungspunkte für die englischen Truppen vorgesehen.- Von hier aus sollten sie mit belgischem Eisenbahnmaterial in das Aufmarschgebiet gebracht werden. Die beabsichtigte Ausladung in französischen Häfen und der Transport durch französisches Gebiet, beweist, dass den englisch-belgischen Ver-

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einbarungen solche mit dem französischen Generalstab vorangegangen waren. Diese drei Mächte haben die Pläne für ein Zusammenarbeiten der „verbündeten Armeen“, wie es im Schriftstück heisst, genau festgelegt. Das erwähnte Schreiben enthält einige Bemerkungen von besonderem Interesse. Es heisst dort an einer Stelle, Oberstleutnant von Barnadiston habe bemerkt, dass man zurzeit auf die Unterstützung Hollands nicht rechnen könne. Er habe ferner vertraulich mitgeteilt, dass die englische Regierung die Absicht habe, die Basis für den englischen Verpflegungsnachschub nach Antwerpen zu verlegen, sobald die Nordsee von allen deutschen Kriegsschiffen gesäubert sei. Des weiteren regte der englische Militärattaché die Einrichtung eines belgischen Spionagedienstes in der Rheinprovinz an. Das vorgefundene militärische Material erfährt eine wertvolle Ergänzung durch einen ebenfalls bei den Geheimpapieren befindlichen Bericht des langjährigen belgischen Gesandten in Berlin, Baron Greindl, an den Belgischen Minister des Aeusseren, in dem er mit grossem Scharfsinn die dem englischen Angebot zugrunde líegenden Hintergedanken enthüllt und in dem der Gesandte auf das Bedenkliche der Situation hinweist, in die sich Belgien durch eine einseitige Parteinahme zugunsten der Ententemächte begeben habe. Der Gesandte führt dann wörtlich folgendes aus : Der Gedanke einer Umfassungsbewegung vom Norden her gehört zweifellos zu den Kombinationen der Entente cordiale. Wenn das

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nicht der Fall wäre, so hätte der Plan, Vlissingen zu befestigen, nicht ein solches Geschrei in Paris und London hervorgerufen. Man hat dort den Grund gar nicht verheimlicht, aus dem man wünschte, dass die Schelde ohne Verteidigung bliebe. Man verfolgte dabei den Zweck, unbehindert eine englische Garnison nach Antwerpen überführen zu köñen, also den Zweck, sich bei uns eine Operationsbasis für eine Offensive in der Richtung auf den Niederrhein und Westfalen zu schaffen und uns dann mit fortzureissen, was nicht schwer gewesen wäre. Denn nach Preisgabe unseres nationalen Zufluchtsortes hätten wir durch unsere eigene Schuld uns jeder Möglichkeit begeben, den Forderungen unserer zweifelhaften Beschützer Widerstand zu leisten, nachdem wir so unklug gewesen wären, sie dort zuzulassen. Die ebenso perfiden wie naiven Eröffnungen des Obersten Barnadiesten zurzeit des Abschlusses der Entente cordiale haben uns deutlich gezeigt, um was es sich handelte. Als es sich herausstellte, dass wir uns durch die angeblich drohende Gefahr einer Schliessung der Schelde nicht einschüchtern liessen, wurde der Plan zwar nicht aufgegeben, aber dahin abgeändert, dass die englische Hilfsarmee nicht an der belgischen Küste, sondern in den nächstliegenden französischen Häfen gelandet werden sollte. Hierfür zeugen auch die Enthüllungen des Kapitäns Faber, die ebensowenig dementiert worden sind, wie die Nachrichten der Zeitungen, durch die sie bestätigt oder in einzelnen Punkten ergänzt worden sind. Diese in Calais und Dünkirchen gelandete englische Armee würde nicht an unserer Grenze entlang nach Long-

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wy marschieren, um Deutschland zu erreichen. Sie würde sofort bei uns von Nordwesten her eindringen. Das würde ihr den Vorteil schaffen, sofort in Aktion treten zu können, die belgische Armee in einer Gegend zu treffen, in der wir uns auf keine Festung stützen können, falls wir eine Schlacht riskieren wollen. Es würde ihr ermöglichen, an Ressourcen aller Art reiche Provinzen zu besetzen, auf alle Fälle aber unsere Mobilmachung zu behindern oder sie nur zuzulassen, nachdem wir uns formell verpflichtet hätten, die Mobilmachung nur zum Vorteil Englands und seines Bundesgenossen durchzuführen.“ 41 Hier haben wir es schwarz auf weiss, dass nicht nur England, sondern auch Frankreich durch ihre Abmachungen mit Belgien die belgische Neutralität lange vor Deutschland gebrochen hatten. Baron Greindl scheint aber einer der wenigen belgischen Diplomaten gewesen zu sein, der es nicht als ein Glück empfand, an den englisch-französischen Wagen gekettet zu werden. Wo haben unsere Diplomaten ihre Augen und Ohren gehabt ? Wie ist es möglich, dass sie den eisernen Ring nicht gesehen haben, der mit jedem Jahr immer enger wurde ? Der rätselhafteste von allen Diplomaten ist Fürst Lichnowsky, der sich in London von Sir Edward Grey so glänzend hinters Licht führen liess.

Freitag, d.16.Okt. Es gibt sehr viele Fasanen in diesem Jahr. Vater und Herr v.Winterfeld hatten gute Jagd. Abends assen wir in Gülitz. Wie

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würde man die Tage hier geniessen, die herrliche Herbstfärbung der Wälder, wenn das dunkle Entsetzen dieser Zeit nicht auf uns lastete ! Frau v.Winterfeld hat Nachricht erhalten von ihrem Bruder. Er sitzt in Fougères gefangen und leidet sehr unter der Kälte, bittet, man möchte ihm warme Sachen schicken -. Sie wohnen in einem französischen Landhause, das aber unheizbar ist und von seinen Eigentümern wohl nur im Sommer gebraucht wird. Sie müssen selbst ihre Zimmer reinigen und ihre Wäsche in kaltem Wasser waschen. In Deutschland werden die gefangenen Engländer – und Franzosen – Offiziere von gefangenen Soldaten ihrer eigenen Nationalität bedient.-

Montag,d.19.Okt. Walter schreibt, dass unser alter Freund, Graf Waldersee 42, als Oberleutnant bei den 17.Husaren eingetreten ist und Walters Rekrutenabteilung ausbildet. Walter sagt:“ Er sieht sehr schneidig aus, nur etwas alt für einen Oberleutnant.“ Sonntags ist Walter immer bei den Tanten zu Tisch, die rührend gegen ihn sind. Heute besuchte ich das Lazarett von unserem Perleberger Vaterländischen Frauenverein und verteilte Schokolade und Zigarren unter die Verwundeten. Abends war „Strickabend“ bei Frau v. Winterfeld – begleitet von Gesang und Honigkuchen, zu welchem sämtliche Frauen und Mädchen aus dem Dorfe erschienen. „ Nach amtlichen englischen Nachrichten sind 4 deutsche

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Torpedoboote S.115, S.117, S. 118, und S.119 von englischen Kreuzern und Zerstörern zum Sinken gebracht.“ (W.T.B.) 43

Dienstag, d.20.Okt. Das englische Unterseeboot „E.3.“ ist am 18.Oktober nachmittags in der deutschen Bucht der Nordsee vernichtet worden.“ gez. Behncke W.T.B. 44 Nach Berlin zurück, wo wir eine Karte von Georgie vorfanden. Ihre Bahnfahrt haben sie hinter sich und reiten nun zum Regiment. Dann zwei lakonische Karten von Pressentin, der sich für die Pakete bedankt.

Mittwoch,d.21.Okt. Exkönig Manuel von Portugal und Mr. de Soveral (Botschafter und König Eduards alter Freund) werden jetzt umgarnt, der eine in Sandringham, der andere in Downing Street, auf dass sie ein Expeditionskorps nach Frankreich schicken. Ob Portugal es der Mühe wert finden wird ? Es kommt wohl darauf an, wie viel Geld England ihnen verspricht ! – Und alles unter der Devise „Recht“ und „Freiheit“. Unter der Devise werden die Japaner und Mongolen, Kossacken und Algerianer, Sikhs und Senegalneger gegen uns gehetzt. Mir scheint, dass die schöne stolze englische Fahne doch recht scheckig geworden ist ! Folgende Postkarte, die Hedwig von ihrem Bruder erhalten hat, ist so rührend und so typisch für das Verhältnis an der Front zwischen Offizieren und Mannschaften, dass ich es hier

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anführen möchte “ „

La Bassée, 12.9.14.

Liebe Schwester. Herzlichen Dank für die Schokolade. Am 10.Oktober habe ich alles, auch den Brief, erhalten. Mein herzliches Beileid für Deinen Verlust. Nun hast auch Du, liebe Schwester, ein Opfer fürs Vaterland gebracht, aber nur nicht verzagen, wir sind dazu geboren, fürs Vaterland zu kämpfen, auch der Tod kann uns nicht abschrecken.- Nun seid Ihr so tapfer im Leid wie unsere Soldaten, die den Tod ebensowenig fürchten, wie den Teufel ! Diese Stadt haben wir gestern gestürmt. In den letzten drei Tagen haben wir ( die Radfahrer-Kompagnie) einen Oberleutnant und 12 Mann verloren. Den Oberleutnant, unseren tüchtigsten Führer und besten Kameraden, haben wir vorgestern Nacht begraben. Nur der Mond, der still und blass dies traurige Bild beleuchtete, war Zeuge, wie gross der Schmerz in der Kompagnie um unseren geliebten Führer war. Er ist der 5.Offizier, den unsere Kompagnie verliert. Wir konnten uns die Tränen nicht halten und Tag für Tag wird unsere Reihe dünner. Einer nach dem anderen sinkt ins Grab. Die Franzosen gehen jetzt immer weiter zurück. Nun, viele Grüsse und Küsse von Deinem oft an Dich denkenden Bruder Adolf Möge Gott Dich trösten, liebe Schwester, dann wird es Dir leichter.“ Aber „Times“ und „Daily Mail“ füllen täglich ihre Spalten mit unaussprechlichen Verleumdungen unserer Frontsoldaten. Anbei ein Brief über das Gefangenenlager Fougères, wo auch

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Herr v.Rochow ist, von einem inzwischen freigelassenen deutschen Arzt: Was die Unterbringung in Fougères betrifft, so kann ich nicht gerade das Beste berichten. Ihr Herr Sohn und ich lagen mit noch 32 Offizieren in einem Raum, der zum Teil unter der Rasenfläche des Burghofes gelegen ist. Der Raum ist etwa 4 mtr.hoch, 8-9 mtr.lang und 6-7 mtr. breit. Durch das einzige Fenster kommt nie ein Sonnenstrahl. Unter dem provisorischen Bodenbelag ist ein Keller von 16 ½ mtr.Tiefe. Wie verlautet, sollen nach Abreise der Aerzte die Herren vom „Zimmer“ mit auf dieanderen Räume gelegt werden, die in hygienischer Beziehung etwas besser zu beurteilen sind. Auch diese haben kalte, unverputzte Steinwände, aber wenigstens etwas mehr Licht. Als einziges „Mobiliar“ sind in den Räumen neben den 24 am Boden liegenden Strohsäcken ein Tisch und zwei Bänke, wo wir eng zusammengedrängt gerade sitzen konnten. Zum Zudecken hatten wir ursprünglich zwei Wolldecken, die uns auf höheren Befehl abgenommen wurden: für teures Geld durften wir uns neue kaufen. Der Festungskommandant, ein alter, recht human denkender Major, erlaubt uns jeden Tag von früh 6 bis abends 7 1/2 (Uhr) im Burghof spazieren zu gehen. Vom Ministerium aus waren uns eigentlich nur vormittags und nachmittags je zwei Stunden zugebilligt. Was das Essen betrifft, so ist es an Qualität nicht schlecht, aber die Quantität war für unsere Soldatenmägen zu gering; wir mussten uns

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stets an dem in reichlichen Mengen gelieferten Brot satt essen. Unsere Tageseinteilung war folgendermassen: Früh 6 Uhr wurden Tür und Fenster aufgeschlossen, 7 Uhr Kaffee, etwas Brot mit wenig Butter; 11 Uhr Mittagessen zumeist aus Ochsenfleisch mit Mohrüben und einer Kartoffel bestehend, zum Nachtisch zwei Nüsse oder Birne oder Weintrauben; 5 Uhr Abendessen, auch zumeist Ochsenfleisch und Mohrüben. Dann wurde „Cidrè“ getrunken, ein trüber, säuerlicher Apfelmost, ausserdem gab es für 24 Mann vier bis fünf Flaschen Bier. Für die Verpflegung wurden uns täglich 2,85 Francs abgenommen. Von den 100 Francs Gefangenensold blieb also für persönliche Bedürfnisse (Zigaretten, Tabak, Wäsche u.s.w.) wenig übrig. Trotz alledem waren wir in guter Stimmung, wussten wir doch aus den uns heimlich eingeschmuggelten französischen Zeitungen zwischen den Zeilen herauszulesen, dass es unserem Vaterlande gut ging.“

Sonnabend, d.24.Okt. „ Am 13.Oktober wurde der englische Kreuzer „Hawke“ durch ein deutsches Unterseeboot vernichtet.“ (W.T.B.) 45 In London haben in den letzten Wochen viele Ausschreitungen gegen Deutsche stattgefunden. Deutsche Läden wurden zertrümmert und angesteckt, die Fenster eingeschlagen, einzelne Deutsche von der Menge niedergeschlagen.- -In Dept/ford ist es ganz besonders toll zugegangen. London, 23.Oktober (W.T.B.) 46 Der Londoner Polizeirichter sagte bei der Vorführung von

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Personen, die wegen deutschfeindlicher Ausschreitungen verhaftet worden waren, er wolle das Vorgefallene übersehen, da die Art der deutschen Kriegsführung die Menschen reize und errege ! Er fügte dann noch hinzu :“ Wir dürfen aber nicht den Kopf verlieren und wollen uns stets als Engländer betragen“. So sieht „british justice“ aus, wenn es sich um die Feinde handelt !

Sonntag, d.25.Okt. Wir hörten einen Vortrag über Ostpreussen in der Urania mit Lichtbildern. Alte Kirchen aus dem 14.Jahrhundert, Ordensklöster, die Masurischen Seen, weite Wälder, die Gegend der Schlacht von Ortelsburg und Tannenberg.

Montag, d.26.Okt. Pressentin schreibt von täglichen schweren Kämpfen mit britischen und indischen Truppen. Er hat eine lange Unterhaltung gehabt mit einem englischen Oberst, den er gefangen genommen. Mrs.Reitze zeigte mir heute eine amerikanische Zeitung, worin zu lesen war:“Berlins streets are red with the blood of american citizens“.

Mittwoch, d.28.Okt. Grosses Hauptquartier (W.T.B.) „ Die Kämpfe bei Nieuport – Dixmuiden dauern noch an. Die Belgier haben dort erhebliche Verstärkungen.

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In Polen mussten die deutsch-oesterreichischen Truppen von neuem russischen Kräften ausweichen. Die Russen folgten zunächst nicht. Die Loslösung vom Feinde geschah ohne Schwierigkeit. Unsere Truppen werden sich der Lage entsprechend neu gruppieren.“ 47 „ Eine englische Verleumderin deutscher Soldaten in England verurteilt. Die englische Lehrerin Hume, die in Belgien als barmherzige Schwester wirkte, sollte von deutschen Soldaten vergewaltigt worden sein und es wurde folgendes von ihr berichtet: „Beide Brüste wurden ihr von den entmenschten Deutschen abgeschnitten. Halbtot wurde sie von Nonnen aufgelesen und hatte noch die Möglichkeit, ihre Anklagen gegen die Deutschen schriftlich niederzulegen“. Dem Dokumente waren die Unterschriften zweier belgischer Geistlicher, von dem Pfarrer und dem Gemeindevorsteher von Hamshire beglaubigt, beigegeben. In London wurde eine Kommission eingesetzt, die die Sache weiter – zur Ausbeutung gegen die deutschen „Barbaren“ – untersuchen sollte. Was aber geschah ? Man verhaftete die Schwester der Grace Hume, ein hysterisches Fräulein namens Käte Hume. Diese hat sich die ganze Geschichte in ihren Phantasien erträumt und sie ging soweit, dass sie jenes Dokument mit sämtlichen belgischen Unterschriften selbst herstellte. Die „Times“ berichtete über die Verhaftung in folgen-

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den kurzen Worten: „Käthe Hume, Lehrerin in Hamshire, wurde vor den Richter gebracht unter der Anschuldigung der schweren Urkundenfälschung. Die Sache hängt mit dem Fall Grace Hume zusammen“. Die Richter haben Käthe Hume wegen Urkundenfälschung zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Wegen ihres geistigen Zustandes erhielt sie für den Fall guter Führung Strafaufschub auf die Dauer von zwei Jahren. Die Lüge wurde durch die ganze Welt verbreitet – ob die Wahrheit auch die weite Reise machen wird ?“ Es war ja gerade diese „German atrocities“ Geschichte, welche Granny so geängstigt hatte.- Unerklärlich ist nur, dass sie daran glauben konnte. Wir haben es Lord Selborne zu danken, dass die unerhörte Geschichte entlarvt wurde.

Freitag, d.30.Okt. Georgie schreibt aus Radom in Polen. Er ist nicht zu Siegfrieds Eskradon gekommen, welches etwas enttäuschend ist, weil das Regiment geteilt wurde.- Es gäbe nicht sehr viel zu essen, aber hier und da eine Gans, welche gerupft und gekocht wird, um ohne Messer und Gabel verzehrt zu werden.Die Türkei hat Russland den Krieg erklärt. Die „Emden“ unter Kapitän von Müller spielt immer noch den „Fliegenden Holländer“ im indischen Ozean.- Eines Tages wird auch sie daran glauben müssen. Kapitän von Müller ist der ein-

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zige Deutsche, der bei den Engländern Hochachtung geniesst. Das sportliche Element bei seinen Unternehmungen imponiert ihnen.

Sonnabend, d.31.Okt. Henry von Zitzewitz ist leicht verwundet. Zu seiner Mutter hat er gesagt „die russische Uebermacht ist zu gross, man kann sagen: zehn zu eins.“ Unsere Truppen in Polen gehen zurück. Die Oesterreicher unterstützen uns nicht in genügender Weise.- Sie sind wohl liebenswürdige Leute, aber zu gemütlich, davon haben wir aber jetzt nichts.Georgie schickt eine Karte aus Witur, wo sie zum ersten Mal in gutem Quartier lagen, einen Grammophon fanden und zum Abendbrot Kartoffelpuffer hatten.-

Sonntag, d.1.November.

„Allerseelen !! “

Die ersten drei Monate dieses entsetzlichen Krieges sind beendet. Man muss wohl glauben, dass im Verhältnis zu der grossen Uebermacht die militärische Lage leidlich ist. Schlachten alten Typs, welche nach einem frühen Morgenkaffee anfingen und malerisch bei Sonnenuntergang endeten, gibt es nicht mehr. Es ist Festungskrieg, Stellungskrieg, einerlei, ob die Festung ein uneinnehmbares steinernes Gebäude ist, aus dessen Lucken die Geschütze donnern, oder ein elender Graben, in dem es sich die Infanterie mit mehr oder weniger Erfolg gemütlich macht.

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Das überraschendste ist wohl die Flotte. Wenn mich jemand gefragt hätte:“Wo wird die deutsche Flotte nach drei Monaten sein“, so hätte ich geantwortet:“Wahrscheinlich zum grössten Teil am Meeresgrund“. Wir haben ja schwere Verlust gehabt und die Kreuzer und UBoote haben gute Arbeit getan, aber zu einer Seeschlacht wirklich grossen Stils ist es noch nicht gekommen und man fragt sich:“ Haben wir Angst, die Flotte zu riskieren, oder die Engländer ? Vater, Elsa und ich fuhren heute nach Braunschweig, um Walter zu besuchen. Er war an der Bahn, ein süsser, kleiner Husar ! Mit seinen hübschen Zügen und langen Wimpern sieht er eher aus nach Pagendienst in einem Schloss als nach Stalldienst in der Kaserne. Aber der Stalldienst ist gewiss gesünder. Wir besuchten Waldersee’s und tranken bei den Tanten Kaffee. Wir sahen auch Dieter, der eben gegen Typhus geimpft worden war – innerhalb 14 Tagen muss dieses dreimal geschehen, um wirksam zu sein. Am Morgen war Vereidigung der Rekruten gewesen in Heinrich des Löwen herrlichen alten Dom – eine wunderschöne Feier, sagte Walter. Um 9 Uhr musste er wieder in der Kaserne sein.

Montag,d.2.Nov. Wir besahen das Altstadtrathaus, diesen schönsten deut sche n gotischen Profanbau, ebenfalls die Burg Dankwarderode und besuchten Fritz SeeleFehler! Textmarke nicht definiert., deren Schwiegersohn vor kurzem gefallen ist, assen Mittagbrot bei den Tanten und dann nach Berlin

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zurück.

Dienstag,d.3.Nov. Heute wird gemeldet, dass der englische Kreuzer „Hermes“ durch ein deutsches Unterseeboot vernichtet ist. Das Unterseeboot ist wohlbehalten zurückgekehrt. Im Vaterländischen Frauenverein packen wir jetzt die Weihnachtspakete für die Brandenburgischen Regimenter. 12 400 Pakete ! Sie werden in 200 grosse Säcke verpackt, in jedem Sack 62 Pakete. Jedes Paket enthält ein Wollhemd, Unterhose, Socken, Pulswärmer, Ohrschützer und Zigarren.

Donnerstag, d.5.Nov. Der Kreuzer „York“ ist auf eine Mine gelaufen in der Jade, und ist gesunken, wobei viele von der Besatzung ertrunken sind. Ausserdem hat ein kleiner Seekampf stattgefunden in der Nähe von Yarmouth. Das englische U-Boot D 5 ist auf eine Mine gelaufen und der englische Kreuzer „Halcyone“ beschädigt. Von irgendwelchem grossen Werte scheint das Geplänkel nicht gewesen zu sein. Wir hatten heute eine Karte von Georgie vom 2.Nov., aber ohne Adresse. Die sehr schnelle Beförderung lässt die Vermutung aufkommen, dass sie vielleicht bei der Rückwärtsbewegung sind, welche am 28.Oktober anfing. Eckelmanns kamen abends zu

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Tisch. Gertrud hatte einen Brief von Erwin aus Tsingtau vom 25. August, der guten Mutes war. Aber wielange wird Tsingtau die gemeinsame Belagerung von Japan, England und Frankreich aushalten können ?

Freitag,d.6.Nov.

Haus Schönholz

Wir sind wieder auf einige Tage hierhergekommen. Jetzt ist Hermann Brüning auch fort. Er ist auf einem Lazarettzug und bringt Verwundetentransporte nach Deutschland. Heute ist er in Brüssel, morgen in Cöln, übermorgen in Stuttgart. Hans Seele ist in Polen gefallen und vor acht Tagen sassen wir ahnungslos bei seinem Vater und seinen Tanten. Von heute ab werden alle britischen Untertanen im Alter von 17 – 55 Jahren, welche sich in Deutschland befinden, nach Ruhleben gebracht und dort interniert. Dieses als Protest und Gegenmassnahme, weil England schon lange alle deutschen Untertanen in nicht sehr einwandfreien Concentrationslagern eingesperrt hat. Hoffentlich wird man das Lager in Ruhleben so hygienisch wie möglich gestalten.In England sagen sie immer noch „Es gibt keine Franctireurs in Belgien und Frankreich. Löwen ist ohne Grund von den deutschen Barbaren zerstört.“ Wiederum sagen sie „Ja, wir hörten von der Zerstörung der deutschen Botschaft in Petersburg, aber sie fand erst statt, nachdem die englischen und russischen Botschaften angegriffen worden waren.“ Ach, diese elende kleine Fensterscheibe in der

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Wilhelmstrasse ! War es wirklich ein so grosses Verbrechen ? Und der Kaiser entschuldigte sich bei Sir Ed.Goschen mit den Worten:“ Nehmen Sie es als Zeichen, wie schwer mein Volk Englands Verrat an seine Schwesternation empfindet“. Aber nein, diese eingeworfene Fensterscheibe ist ein grosses Verbrechen, während das Plündern und Brennen der Botschaft in Petersburg und die Ermordung des alten Hofrat Kattner ganz berechtigt ist. Jedenfalls hat der Zar sich nicht dafür entschuldigt. Dann wundert man sich in England, dass wir uns über die Sprache der Times und der Daily Mail beklagen, da doch früher die britische Presse die Bewunderung der ganzen zivilisierten Welt erheischte. Ja, in den Tagen, als die Times Mr.Walter gehörte, war das auch der Fall. Wie anders ist sie geworden unter der Harmsworth-Regie.

Sonnabend, d.7.Nov. Berlin.6.November (W.T.B.) Nach Meldung des amtlichen englischen Pressebüros ist am 1.November durch unser Kreuzergeschwader in der Nähe der chilenischen Küste der englische Panzerkeuzer „Monmouth“ vernichtet, der Panzerkreuzer „Good Hope“ schwer beschädigt worden. Der kleinere Kreuzer „Glasgow“ ist beschädigt entkommen. Auf deutscher Seite waren beteiligt. S.M.grosser Kreuzer „Scharnhorst“ und „Gneisenau“ und S.M.kleine Kreuzer „Nürnberg“, „Leipzig“ und „Dresden“. Unsere Schiffe haben anscheinend nicht gelitten. Der stellvertretende Chef des Admiralstabes Behncke. 48

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Wie glücklich wird Tante Marie sein über diese Nachricht.W.T.B.) 433 247 Kriegsgefangene in Deutschland. „ Nach den am 1.Nov.d.J.eingegangenen dienstlichen Meldungen über die Zahl der Kriegsgefangenen waren bis zu diesem Termin in den Gefangenenlagern, Lazaretten u.s.w. untergebracht: Franzosen: 3138 Offiziere

188 618 Mannschaften

Russen:

3121 Offiziere

186 779 Mannschaften

Belgier:

537 Offiziere

39 907 Mannschaften

Engländer:

417 Offiziere

15 730 Mannschaften

Im ganzen 433 247 Köpfe. 49

Sonntag,d.8.Nov. Die Morning-Post vom 6.Nov.schreibt ganz vernünftigerweise wie folgt: „Die britische Nation beginnt erst jetzt zu erwachsen, wie die Schläfer in einem brennenden Hause und die Gefahren zu erkennen, denen sie ausgesetzt war und ist. Wir betonten schon einmal die Widersinnigkeit des Gedankens, dass dies ein Krieg gegen den Militarismus sei. Es ist im Gegenteil ein Krieg von einer Gruppe von Nationen gegen eine andere Gruppe. Wenn die preussische Militärkaste wirklich, wie es in vielen Kreisen hiess, die widerstrebende deutsche Nation in diesen Krieg getrieben hätte, würden wir die Anzeichen einer Spaltung oder Zersetzung bemerken. Aber tatsächlich mehren sich die Beweise, dass das deutsche Volk gerade so einig ist, wie das britische. Wie könnten wir sonst die Tapferkeit und die Begeisterung der

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grossen Armee der deutschen Kriegsfreiwilligen erklären, von der der militärische Berichterstatter aus dem britischen Hauptquartier meldet. Wer rettet jetzt die britische Nation in diesem Kriege, der gegen den Militarismus geführt sein soll ? “ Lord Kitchener, Lord Herbert und der Grossherzog Nikolaus Nikolawitsch haben Telegramme gewechselt über ihre gegenseitigen „Fortschritte“. Es klingt beinahe wie komische Oper.

Montag, d.9.Nov. „ Nach einer amtlichen Meldung des Reuterbüros aus Tokio ist Tsingtau nach heldenhaftem Widerstand am 7.November morgens gefallen. Nähere Einzelheiten fehlen noch.“ Der stellvertr.Chef des Admiralstabs Behncke (W.T.B.) 50 Der Kommandeur von Tsingtau ist Meyer-Waldeck.

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Jetzt wird die deutsche Besatzung

wohl in japanische Concentrationslager wandern, unter ihnen auch Erwin Koch, dessen arme Frau in Yokohama ist. Ein netter Brief von Georgie. Er und sein Pferd „Machnow II“ sind sehr wohl. Er schreibt:“ Hier in Russland steht die Sache äusserst günstig“. Hoffentlich hat er recht. Zimmermann, der Wachtmeister, der ihn in Brandenburg ausbildete, ist leider neulich auf Patrouille gefallen. Heute ist Lord Major’s Day. Es wird interessant sein, in wenigen Tagen die Reden zu lesen, die auf dem Guildhall-Bankett gehalten werden.-

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Dienstag, d.10.Nov. Vater und Herr v.Winterfeld und Brüning waren den ganzen Tag draussen. Es ist ein Rekord-Fasanen-Jahr, aber was soll man machen ohne Schützen und ohne Treiber ?

Mittwoch,d.11.Nov. Nach Berlin zurück. Die „Emden“ ist von ihrem Schicksal erreicht worden.- Es war ja unausbleiblich. „ Nach amtlicher Bekanntmachung der englischen Admiralität wure S.M.S.“Emden“ am 9.Nov.früh bei den Cocosinseln im Indischen Ozean“, während eine Landungsabteilung zur Zerstörung der englischen Funken-und Kabelstation ausgeschifft war, von dem australischen Keuzer „Sydney“ angegriffen. Nach hartnäckigem, verlustreichen Gefecht ist S.M.S. „Emden“ durch die überlegene Artillerie des Gegners in Brand geschossen und von der eigenen Besatzung auf Strand gesetzt worden.“ (W.T.B.) 52

Freitag, d.13.Nov. Auf dem Lord Mayor’s Bankett hat Lord Kitschener seine sämtlichen Alliierten an den Fingern aufgezählt und für jeden hatte er ein freundliches, schmeichelndes Wort, mit Frankreich anfangend, mit Serbien endend.

Sonntag,d.15.Nov.

London,14. Nov.

„Amtlich wird mitgeteilt, dass Lord Roberts gestorben ist.

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Lord Roberts befand sich in Frankreich auf Besuch bei den indischen Truppen, deren Oberbefehlshaber er gewesen ist. Am Donnerstag zog er sich eine Erkältung zu, aus der sich eine Lungenentzündung entwickelte, der er erlag.“ Lord Roberts von Kaudahar, oder „Bobs“, wie er von seinen Soldaten genannt wurde, war ein grosser Feldherr und ich glaube, sehr viel beliebter bei den Truppen als Lord Kitchener, Lord Herbert.

Montag,d.16.Nov. „ Auf dem westlichen Kriegsschauplatz war gestern die Tätigkeit beider Parteien infolge des herrschenden Sturmes und Schneetreibens nur gering. In Flandern schritten unsere Angriffe langsam vorwärts. Im Argonnerwald errangen wir jedoch einige grössere Erfolge. Die Kämpfe im Osten dauern fort. Gestern warfen unsere in Ostpreussen kämpfenden Truppen den Feind in der Gegend südlich von Stallupönen. Die aus Westpreussen operierenden Truppen wehrten bei Soldau den Anmarsch russischer Kräfte erfolgreich ab und warfen am rechten Weichselufer vormarschierende starke russische Kräfte in einem siegreichen Gefecht bei Lipno auf Plock zurück. In diesen Kämpfen wurden bis gestern 5 000 Gefangene gemacht und zehn Maschinengewehre genommen. In den seit einigen Tagen in Fortsetzung des Erfolges bei Wloclawec stattgehabten Kämpfen fiel die Entscheidung. Mehrere uns entgegentretende russische Armeekorps wurden bis über Kutno zurückgeworfen. Sie verloren nach den bisherigen Feststellungen

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23 000 Mann an Gefangenen, mindestens 70 Maschinengewehre und Geschütze, deren Zahl noch nicht feststeht.“ Oberste Heeresleitung (W.T.B.) 53 Die beste Nachricht seit langen Tagen ! Die Fahnen heraus ! Hindenburg, Du Schlauberger ! Hast Du Deine Truppen durch Polen zurückgeholt, um die Russen in Dein Netz zu locken, und eine Schlacht zu schlagen, wo es Dir passte, nicht, wo es den Russen passte ? Und noch vor einigen Tagen schrieb die Times, „the Russians were fast approaching Thorn !“ 54

Dienstag, d.17.Nov. Natürlich schulfrei ! „ Unter den in der Schlacht bei Kutno Gefangenen befindet sich der Gouverneur v.Warschau, von Korff, mit seinem Stabe.“ (W.TB) 55 Von einem von der Ostfront kommenden Chauffeur, der zwanzig reparaturbedürftige Autos nach Berlin brachte, hörten wir, dass die Russen knapp an Munition und Essen wären und sich deshalb ganz gern gefangen nehmen liessen (!!). Niemand könne sich einen Begriff machen, in welchem Zustande die Wege seien. Unweit der deutschen Grenze sah er fünfzehn Lastwagen mit Liebesgaben (meistens Wollsachen) und einen Waggon mit schimmlichem Brot, welche unwiderruflich festsassen. Im Westen, in Flandern und um Ypern und Dixmuiden sind täglich schwerste Kämpfe. Noch nie hat die Welt ähnliches gesehen !

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Donnerstag,d.19.Nov. Georgie’s 20.Geburtstag. Der berühmte Augenarzt, Dr. Greef 56, ist zu dem Gefangenenlager in Brandenburg gerufen worden, da man einen Fall von Egyptischer Ophtalmia vermutete und er dafür die Autorität ist. Die Karten von Asien und Afrika machen sich auf diesem Stückchen märkischen Bodens breit. Turkos, Maroccaner, Senegalen, Gurkhas, Sikhs, Eingeborene aus Amur und Liberien, und Gott weiss was noch für Typen sind dort zu sehen.

Freitag, d.20.Nov. Eine Karte von Georgie vom 16. Sein Pferd hat auf Patrouille einen Schuss bekommen. „Die Schlacht hier steht sehr gut für uns.“

Sonnabend, d.21.Nov. Wieder eine Karte aus Lenczka, welches nordwestlich von Lodz liegt. Sie sind wieder auf dem Marsch. Georgie auf einem anderen Pferd, sein verwundeter „Machnow“ muss mit der Bagage gehen. „Eine grosse Schlacht ist im Gange“, schreibt er, „die Russen haben 18 000 Gefangene verloren“. Frau v.Velsen kam zu Tisch und erzählte uns, dass ihr Onkel, Oberbergrat v.Velsen, von einem Besuch im östlichen Hauptquartier zurückgekehrt sei. Er verlebte einen Abend mit Hindenburg und seinem Stabe. Es war nach der Schlacht von

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Wloolawek und alle Augenblicke kamen die Berichte der verschiedenen Divisionen und Stäbe: 1000 Gefangene, 5 000 Gefangene, 8 000 Gefangene u.s.w., u.s.w., bis endlich Hindenburg sich nicht mehr halten konnte und eine Flasche Sekt vorschlug ! „ Wenn ich nur noch 3 Armeekorps hätte, würden wir die Russen ein für alle Mal erledigen“, sagte er zu Herrn v. Velsen.

Sonntag,d.22.Nov. Totensonntag ! Im Jahre 1816 zuerst eingesetzt, zum Gedächtnis der gefallenen Helden der Freiheitskriege, gewinnt in diesem Jahr seine ureigentliche Bedeutung. Es ist Walters 19.Geburtstag.

Dienstag, d.24.Nov. Die Regimenter, welche Ende Oktober Dixmuiden am 11. November Langmarck gestürmt haben, bestanden zum grossen Teil aus den jungen Kriegsfreiwilligen. Mit dem Liede „Deutschland, Deutschland über alles“ auf den Lippen, stürmten sie die feindlichen Stellungen und wurden zu Hunderten von Maschinengewehrfeuer dahingemäht ! Ob es wohl richtig war, diese ganz jungen, unerfahrenen Kompagnien an dieser sehr gefährlichen Stelle einzusetzen, mag dahingestellt sein. Aber ihre Tapferkeit ist über alles Lob erhaben. Rotterdam, 24.Nov. „ Nach Meldungen aus sicherer Quelle ist der englische Ueberdraednought „Audacious“ am 28. oder 29.Oktober an der

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Nordküste Irlands auf eine Mine gelaufen und gesunken. Die Admiralität hält das Ereignis streng geheim, um Aufregung im Lande zu vermeiden.“ Der Verlust der „ Audacious“ ist schon seit einiger Zeit hier gemunkelt worden , aber, da die englischen Zeitungen es nicht erwähnten, glaubte man nicht so recht daran.

Donnerstag,d.26.Nov. In Ostpreussen ist die Lage nicht verändert. In den Kämpfen der Truppen des Generals von Mackensen bei Lodz und Lowicz haben die russische erste und zweite und Teile der fünften Armee schwere Verluste erlitten. Ausser vielen Toten und Verwundeten haben die Russen nicht weniger als 40 000 unverwundete Gefangene verloren, 70 Geschütze, 160 Munitionswagen, 156 Maschinengewehre sind von uns erbeutet, 30 Geschütze unbrauchbar gemacht worden. Auch in diesen Kämpfen haben sich Teile unserer jungen Truppen trotz grosser Opfer auf das glänzendste bewährt. Wenn es ungeachtet solcher Erfolge noch nicht gelungen ist, die Entscheidung zu erkämpfen, so liegt dies an dem Eingreifen weiterer starker Kräfte des Feindes von Osten und Süden her. Ihre Angriffe sind gestern überall abgewiesen worden. Der endgiltige Ausgang der Kämpfe steht aber noch aus.“ Oberste Heeresleitung (W.T.B.) 57 Immer wieder und immer wieder senden die Russen neue,frische Truppen, der arme Hindenburg hat eine harte Nuss zu knacken.

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In einer Westminster Gazette von voriger Woche lass ich eben:“ Berlin denies remour that General v.Hindenburg has been taken prisoner.“ Jawohl, Mr. Westminster, Berlin verneint hartnäckig dieses Gerücht : Wahrscheinlich hat der Berichterstatter sich nur in der Persönlichkeit geirrt, daenn General Korff, Gouverneur von Warschau, wurde vor 10 Tagen gefangen genommen. Aber für das englische Publikum klingt Hindenburg besser ! Im selben Blatt ist eine Zeichnung vom Kronprinzen im Jagdkostüm mit entsetztem Gesicht vor einem russischen Bären fliehend. Eine Zeitung, wie die Westminster Gazette, sollte wirklich wissen, dass der Kronprinz vom ersten Tage an in Frankreich gewesen ist. Es scheinen sich sehr wenig deutsche Zeitungen nach England zu verirren.- Sie werden wohl dem allgemeinen Publikum mit Willen vorenthalten.

Freitag,d.27.Nov. Um 11,30 Uhr kam ein Telegramm von Georgie „Vom Pferde gestürzt und Fuss verletzt, ankomme Zoologischer Garten 11,5.“ Wir fuhren sofort dahin und fanden ihn endlich in einem Rollstuhl vor der Sammelstelle in der Fasanenstrasse, ein Bild der Gesundheit, auf den Arzt wartend. Der diensttuende Major kniff ihn in seine dicken Backen und gab ihm die Erlaubnis, nachhause zu gehen, - sonst ist Lazarett für Soldaten Vorschrift.- Der Unfall war am Sonntag, d.22., in der Nähe von Lodz passiert. Das

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Pferd, welches er nach „Machnows“ Verwundung ritt, glitt mit ihm auf dem gefrorenen Boden aus. Er wurde auf einen kleinen Russenwagen gesetzt, blieb eine Nacht auf einem Truppenverbandsplatz, reiste dann vier Tage nach der Grenze, dann per Eilzug nachhause. Am 22. hatten die Russen einen Umfassungsversuch gemacht, und um ein Haar wäre die ganze deutsche Division gefangen genommen worden. Das wäre eine schöne Bescherung gewesen ! Darauf bezieht sich wohl der Satz in dem Bericht der Obersten Heeresleitung am 26.November über „Eingreifen starker Kräfte des Feindes von Osten und Süden her“. Es ist dieses Mal gut gegangen oder Georgien sagt, sie hätten tüchtig lange Beine machen müssen, um aus der drohenden Umklammerung herauszukommen. Der Wachtmeister hätte sich sogar geärgert über die paar Minuten Aufenthalt, die Georgies Unfall der Schwadron verursacht hatte ! Zu Hause stieg er zuerst in ein heisses Bad; in den 7 Wochen hatte er sich nicht einmal ausgezogen.

Sonnabend.d.28.Nov. Walter ist mit 24 Stunden Urlaub aus Braunschweig gekommen um Georgie zu sehen. Das Unterhaus gibt bekannt, dass das englische Linienschiff „Bulwark“ am 25.Nov.morgens in Sherrness in die Luft geflogen ist. Das Schiff sank in 5 Minuten, zwischen 700 und 800 Mann sind umgekommen.Wie kann das passiert sein ? Es heisst, eine innere Explo-

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sion. Frau Gertung und ich haben beide von unseren Brüdern in London Briefe bekommen über die Gefahren des deutschen Militarismus. Robert schreibt :“ German political und national ideals are dangerous to all small countries and are keeping the world back!“ Wo, in Gottes Namen, würde Deutschland jetzt sein, ohne sein Volksheer ? Wir sitzen nicht auf einer unantastbaren Insel wie England. Und England macht niemand seine Flotte streitig. Wir wollen uns nur, des Argumentes wegen, vorstellen, dass Deutschland am Ende dieses Krieges vollständig besiegt würde. Was würde bei den Anderen das Resultat sein ? Ein Militarismus, wie er noch nie dagewesen ist. Die ganze schreckliche Geschichte wird in „Militarismus“ enden.

Sonntag,d.29.Nov. Ein echter Familiensonntag, alle vier Kinder zuhause. Gr.Hauptquartier. „Seine Majestät der Kaiser befindet sich jetzt auf dem östlichen Kriegsschauplatz“.

Mittwoch, d.2.Dez. Belgrad ist gefallen.

Donnerstag, d.3.Dez. Georgie’s Fuss ist geröntgt worden. Die vierten und fünften

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Mittelfussknochen sind gebrochen. Wir werden ihn über Weihnachten hier behalten.

Sonnabend,d.5.Dez. London scheint nach 6 Wochen Wind bekommen zu haben vom Untergang der „ Audacious“. Die deutschen Zeitungen werden dort mit grossem Erfolg dem Publikum vorenthalten. Hier begrüssen wir die englischen. Je mehr, desto besser ! Lord Kitchener, Lord Herbert ist jetzt militärischer Diktator geworden, der „Habeas corpus act“ ist ausser Kraft gesetzt worden. Was für Ueberraschungen wird das freie England noch erleben ?

Montag,d.7.Dez. Vor zwei Jahren hat Lord Northcliffe, als Vorsitzender des Syndikats der „Times“, die wichtigste russische Zeitung, die Nuove Vremya“ gekauft, um auch in Russland mit Erfolg seine anti-deutsche Propaganda zu betreiben.

Dienstag,d.8.Dez. „ Die „Times“ vom 3. und 4.Dezember liegen vor mir. Sie toben in ohnmächtiger Wut, dass die Russen noch nicht in Berlin sind! Ganz abgesehen davon, ist es befremdend, dass England gewillt ist, die Tore Konstantinopels ihrem früheren Erzfeinde zu öffnen. „They never, never shall have Constantinople“ wurde in früheren Jahren in den Londoner Music Halls gesungen.- Aber das Gespenst vom deutschen Militarismus hat jedes andere Beden-

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ken zum Schweigen gebracht. Nachdem der Schreiber des Leitartikels seine Leser zu beruhigen versucht, über das langsame Vorwärtskommen der russischen Dampfwalze, schreibt er, in wörtlicher Uebersetzung: „Der russische Sieg reift heran und damit müssen die letzten Hoffnungen Deutschlands an seiner Ostgrenze schwinden. Deshalb muss auch das Publikum davor gewarnt werden, den amtlichen deutschen Berichten über diese Kämpfe oder über irgendwelche andere Operationen auf irgend einem anderen Kriegsschauplatze weiterhin noch die geringste Bedeutung beizumessen. „Wir werden fortfahren, die deutschen Berichte zu veröffentlichen, weil es nützlich ist, den ganzen Wortlaut der Lügen zu kennen, mit denen das deutsche Publikum bis über die Haarspitzen hinein begaunert wird (fooled to the top of their bent). Weil die Deutschen wie verzweifelt kämpfen, lügen sie auch wie verzweifelt. Es darf nie vergessen werden, dass die Deutschen den Bluff als eines der Mittel zur Kriegsführung betrachten; je ernster ihre Lage wird, umsomehr bluffen sie. Wenn sie die Welt draussen nicht mehr betrügen können, so betrügen sie mit Erfolg das eigene Volk. Die Beförderung des Generals v.Hindenburg zum Range eines Feldmarschalls gerade in dem Augenblick, als der Misserfolg seines Planes offenkundig wurde, ist eine geschickte Art, die deutsche Nation hinters Licht zu führen. Wenn er schon Feldmarschall wird, weil er geschlagen wurde, so möchten wir wohl wissen, welche Belohnung er erhalten haben würde, wenn er gesiegt hätte “ !!!

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Und weiter im selben Artikel:“ Als von Hindenburg wie ein wilder Bulle sich wieder auf Polen stürzte, wurden die russischen Armeen, die auf Krakau marschierten, von ihrem Vorsatz nicht abgelenkt.“

Donnerstag,d.10.Dez. „ Die feindlichen Flieger warfen gestern auf die offene, nicht im Operationsgebiet liegende Stadt Freiburg i.B. zehn Bomben ab. Schaden wurde nicht angerichtet.“ (W.T.B.) 58

Freitag, d.11.Dez. „ Eine schmerzliche Kunde wird uns von unserer Marine übermittelt: Unser ruhmbedecktes, ostasiatisches Kreuzergeschwader, das sich solange allen Verfolgungen entziehen konnte, ist an der südamerikanischen Küste von einem übermächtigen Gegner zum überwiegenden Teile vernichtet worden. W.T.B. berichtet: Laut amtlicher Reutermeldung aus London ist unser Kreuzergeschwader am 8. Dezember 7 1/2 Uhr morgens in der Nähe der Falklandinseln von einem englischen Geschwader unter dem Kommando des Viceadmirals Sturdee gesichtet und angegriffen worden. Nach der gleichen Meldung sind in dem Gefecht S.M.SS.“Scharnhorst“ „Gneisenau“ und „Leipzig“ gesunken. Zwei Kohlendampfer sind in Feindeshand gefallen. S.M.SS.“Dresden” und “Nürnberg” gelang es, zu entkommen. Sie werden angeblich verfolgt. Unsere Verluste scheinen schwer zu sein. Eine Anzahl Ueberlebender der gesunkenen Schiffe wurde gerettet.Ueber die Stärke des Geg-

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ners, dessen Verluste gering sein sollen, enthalten die englischen Meldungen nichts. Der Chef des Admiralstabs der Marine. gez. v. Pohl.“59 „ Nach weiterer amtlicher Reutermeldung aus London ist es den verfolgenden englischen Kreuzern gelungen, auch S.M.S. „Nürnberg“ zum Sinken zu bringen. Der stellvertretende Chef d. Admiralstabs gez. Behncke (W.T.B.)“ 60 Das unvermeidliche ist Tatsache geworden, ist Geschichte geworden. Ein anderer Ausgang war ja nicht möglich. – Der Kommandant des Kreuzergeschwaders , Graf Spee und seine beiden Söhne waren auf dem Flagschiff „Scharnhorst“.

Sonnabend,d.12.Dez. Falklandinseln.

Einsam in entfernten Breiten, Von der Ueberzahl gehetzt, Wehrten sich die Todgeweihten, Unerschüttert bis zuletzt.

Achtunddreißig noble, kühne Köter folgten mit Gebell; Die zerfleischten sie, zur Sühne Für den Sieg von Coronel.

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Und sie starben – lebenstrunken, Aufrecht, nach erfüllter Pflicht. Unsere Schiffe sind gesunken Aber unsere Hoffnung nicht,-

Karl und Agnes Drenckhan kamen zu Tisch. Karl hat drei Tage Urlaub aus Thorn und Agnes hat ihn hier getroffen. Er hat bis jetzt weder einen lebendigen noch toten Russen gesehen, was ihn entschieden mehr drückt, als Agnes. Die russische Uebermacht ist bis jetzt ungefähr 10 : 1. Wenn es nur 2 : 1 ist, wird man wohl ganz zufrieden sein.

Sonntag, d.13.Dez. Ich bekam heute einen Brief von Tante Marie ; sie bittet um etwaige Nachrichten über die „Scharnhorst“. Erich sagt, es sei nicht die leiseste Hoffnung, dass von der „Scharnhorst“ jemand gerettet sei und sie dürfe sich nicht falschen Hoffnungen für Herbert hingeben. Es wird Wochen, vielleicht Monate dauern, bis die Admiralität die Namen der Geretteten von der „Gneisenau“ erfährt.

Mittwoch, d.16.Dez. Malcomess ist zu Hause . – „Erholungsurlaub“ von Verdun. Er erzählte uns, dass sein Vater, 67 Jahre alt, in Durban gefangen sitzt. Er wurde erst mit anderen Deutschen in Pietermaritzburg interniert, dann aber nach Durban gebracht.

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Abreise des Fürsten Bülow nach Rom. „ Fürst und Fürstin von Bülow verlassen heute abend Berlin, um sich nach Rom zu begeben. Der Fürst hat die letzten Tage seines Aufenthaltes in Berlin noch zu den notwendigen Besprechungen und zum Studium des diplomatischen Materials benutzt. Heute mittag besuchte ihn noch der italienische Botschafter Bellati, der mit dem Fürsten und der Fürstin seit langem in freundschaftlicher Beziehung steht“.

Donnerstag,d.17.Dez. Berlin,d.16.Dezember (W.T.B.) Teile unserer Hochseestreitkräfte haben einen Vorstoss nach der englischen Ostküste gemacht und am 16.Dezember die beiden befestigten Küstenplätze Scarborough und Hartlepool beschossen. Ueber den weiteren Verlauf der Unternehmung können zurzeit noch keine Mitteilungen gemacht werden. Der Chef des Admiralstabes gez. v. Pohl“ 61 Grosses Hauptquartier. (W.T.B.) Bei Nieuport setzten die Franzosen ihre Angriffe ohne jeden Erfolg fort. Auch bei Zillebeeks und La Bassée wurden Angriffe versucht, aber unter sehr starken Verlusten für den Feind abgewiesen. Die Absicht der Franzosen, bei Soissons eine Brücke über die Aisne zu schlagen, wurde durch unsere Artillerie vereitelt.

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Oestlich Reims wurde ein französisches Erdwerk zerstört. Die von den Russen angekündigte Offensive gegen Schlesien und Polen ist völlig zusammengebrochen, die feindlichen Armeen sind in ganz Polen nach hartnäckigen, erbitterten Frontalkämpfen zum Rückzuge gezwungen worden. Der Feind wird überall verfolgt. Bei den gestrigen und vorgestrigen Kämpfen in Nordpolen brachte die Tapferkeit westpreussischer und hessischer Regimenter die Entscheidung; die Früchte dieser Entscheidung lassen sich zurzeit noch nicht übersehen. Oberste Heeresleitung.“ 62 Die Kirchenglocken läuteten und die Fahnen flatterten ! Wenn Hindenburg das Wort „Entscheidung“ gebraucht, so wird er wohl gute Gründe dafür haben !!

Freitag, d.18.Dez. „ Ueber den Vorstoss nach der Ostküste Englands werden nachstehende Einzelheiten bekanntgegeben: Bei Annäherung an die englische Küste wurden unsere Kreuzer bei unsichtigem Wetter durch vier englische Torpedobootszerstörer erfolglos angegriffen. Ein Zerstörer wurde vernichtet, ein anderer kam in schwer beschädigtem Zustande ans Licht. Die Batterien von Hartlepool wurden zum Schweigen gebracht, die Gasbehälter vernichtet. Mehrere Detonationen und drei grosse Brände in der Stadt konnten von Bord aus festgestellt werden. Die Küstenwachtstation und das Wasserwerk von Scarborough, die Küstenwacht- und Signalstation von Whitby wurden zerstört. Unsere Schiffe er-

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hielten von den Küstenbatterien einige Treffer, die nur geringen Schaden verursachten. An anderer Stelle wurde noch ein weiterer englischer Torpedobootszerstörer zum Sinken gebracht. Behncke (W.T.B.) 63

Sonnabend,d.19.Dez. Pressentin liegt schwerkrank in einem Sanatorium im Grunewald.- Herzaffektionen. Alle sind sich in einem Punkte einig, der Krieg wird bestimmt noch ein Jahr dauern ! Walter ist auf Typhus geimpft und fühlt sich elend.

Montag,d.21.Dez. Nach Aussage der Mannschaft des in Punta Arenas eingelaufenen englischen Kreuzers „Bristol“ sollen am 8.d.M. am Seegefecht bei den Falklands-Inseln folgende englische Schiffe teilgenommen haben : Linienschiff „ Canopus“

13 160 Tonnen

Panzerkreuzer „ Invincible“

17 530 Tonnen

Panzerkreuzer „Inflexible“

17 530 Tonnen

Panzerkreuzer „Carnawon“

11 020 Tonnen

Panzerkreuzer „Cornwall“

9 960 Tonnen

Panzerkreuzer „Kent“

9 960 Tonnen

Gesch.Kr. „Glasgow“

4 880 Tonnen

Gesch.Kr. „Bristol“

4 880 Tonnen.

Ein Vergleich der genannten Schiffe mit den Gefechtswerten unserer beiden Panzerkreuzer „Scharnhorst“ und „Gneisenau“ (je

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11 000 Tonnen) sowie den deutschen kleinen Kreuzern „Leipzig“ „Nürnberg“ und „Dresden“ ergibt zur Genüge die Ueberlegenheit der englischen Waffen. „ Die Times“ vom 14. bedankt sich in einem Leitartikel in überschwänglicher Weise bei Japan für die geleistete Hilfe in der Falklandschlacht.- Ach Britannien, Beherrscher der Weltmeere, ist es nicht ein Armutszeugnis, dass Du Dich bei Japan bedanken musst, dass es Dir gelungen ist, vier kleine deutsche Kreuzer zu versenken ? Ihr wart doch alle da, „Canopus“, „Inflexible“ und „Invincible“ u.s.w., aber Japan musste helfen !!!

Dienstag, d.22.Dez. „ Die grosse Regsamkeit der Franzosen vor unserer ganzen Front ist erklärlich durch folgenden, bei einem gefangenen französischen Offizier gefundenen Heeresbefehl des Generals Joffre 64 Vom 17.Dezember 1924: „Seit drei Monaten sind die heftigen und ungezählten Angriffe nicht imstande gewesen, uns zu durchbrechen. Ueberall haben wir ihnen siegreich widerstanden. Der Augenblick ist gekommen, um die Schwäche auszunutzen, die sie uns bieten, nachdem wir uns verstärkt haben an Menschen und Material. Die Stunde des Angriffes hat geschlagen, Nachdem wir die deutschen Kräfte in Schach gehalten haben, handelt es sich darum, sie zu brechen und unser Land endlich von den Eindringlingen zu befreien.

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Soldaten, mehr als jemals rechnet Frankreich auf Euren Mut, Eure Energie und Euren Willen, um jeden Preis zu siegen, Ihr habt schon gesiegt an der Marne, an der Yser, in Lothringen und in den Vogesen. Ihr werdet zu siegen verstehen bis zum schliesslichen Triumph. Joffre“. In Ost- und Westpreussen ist die Lage unverändert. In Polen fortschreitender Angriff gegen die Stellungen, in denen der Feind Front gemacht hat. Oberste Heeresleitung. (W.T.B.) 65

Mittwoch,d.23.Dez. Georgies Fuss wird langsam besser. Er hinkt zwar noch sehr, hat aber die Krücke abandoñiert und geht am Stock. Er ist heute nach Brandenburg gefahren, um sich beim Regiment zu melden. Siegfried hat mir aus Lodz einen sehr netten Brief geschrieben. Er hätte mit Georgie’s Rittmeister gesprochen. Er war mit Georgie ganz besonders zufrieden, der sich ganz besonders schneidig bei Patrouillen benommen hatte. Folgende Niedlichkeit stammt, soviel ich weiss, aus den Lustigen Blättern. Es ist ganz symbolisch: Jof - fre {

} Fre

- nch.

Eben erscheint Walter, einen Tag früher, als erwartet.

Heilig Abend. Georgie hat Urlaub bis zum 7.Januar erhalten. Es hatte

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tüchtig geschneit in der Nacht. Vater ging um 4 Uhr mit Elsa und Irene in die Garnisonkirche und um 7 Uhr steckten wir den Baum an. Es gab keine grossen Geschenke in diesem Jahr und keine Pakete aus England. Auf allen Gegenständen der Stempel des Krieges .- Feldartikel für die Jungens, Kriegserinnerungsmappen u.s.w. für die Mädchen. Man kommt nicht davon weg. Georgie schenkte mir eine hübsche Holzschnitzerei, wie sie die russischen Gefangenen in Brandenburg machen.

Freitag,d.25.Dez. Aus der „Vossischen Zeitung“. Eins ist not : Nicht hadern mit dem Geschick, sondern es meistern durch Demut und Gehorsam: nichts absonderliches für sich verlangen, sondern den Allwaltenden suchen, bis das Erbarmen seine Fittiche über der findenden Seele zusammenschlägt. Das ist für den Einzelnen der Weg zum Frieden. Berechtigten Zorn zügeln, dass er nicht deutschen Gruss verkehre in unchristlichen Fluch: Gott strafe England, er strafe es ! Eigenen Chauvinismus noch mehr verabscheuen, als den fremdländischen und also den Hochmut, der im Deutschen Reich das vollendete Reich Gottes und in den Feinden weiter nichts als Knechte des Teufels sieht, schonungslos bekämpfen: vor Repressalien als vor einer zweischneidigen Waffe sich hüten, solange es irgend möglich ist, vielmehr durch gerechte und menschliche Behandlung feindlicher Gefangener die Lästerrede von deutschem Hunnen-und Barbarentum zum Schweigen bringen und feurige Kohlen auf das Haupt der

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Verleumder sammeln. Das ist für unser Volk der Weg, mit unseren Gegnern wieder in ein Verhältnis zu kommen, in dem sie eben miteinander bestehen können. Gehen wir den Weg, dann werden doch noch einmal von allen Türmen die Glocken läuten: Friede auf Erden ! “

Sonnabend, d.26.Dez. Unser übliches Weihnachtsessen für die Familie. Franz, Rolf und Pressentin fehlten. Der Plumpudding war zuhause gemacht, anstatt von Granny geschickt. Grauenhafte Tage machten unsere Soldaten in Flandern durch, nach den Heeresberichten. Herr v.Velsen schreibt nur mir aus dem Grossen Hauptquartier über die Schwierigkeiten des Festungskrieges und die grosse Rolle, welche die Eisenbahnen dabei spielen, indem sie zwischen den Angriffen immer wieder frische Truppen heranbringen, „wie sie die Kriegsgeschichte noch nicht kannte“.

Sonntag,d.27.Dez. Englische Schiffe haben einen Vorstoss gegen Cuxhaven gemacht und ihre Wasserflugzeuge warfen Bomben ab. Unsere Luftschiffe und Flugzeuge warfen Bomben auf die englischen Schiffe. Das Resultat des Unternehmens scheint auf beiden Seiten gering zu sein. Erich geht jetzt nach Leipzig, um als Kommandant eines Mari-

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neluftschiffes ausgebildet zu werden. In der Daily Mail vom 22. steht eine geradezu haarsträubende Geschichte. Die Ueberschrift ist : „ Hindenburg’s wife as Looter“ und ist eineAbschrift aus einer Petersburger Zeitung, nach welcher Frau v.Hindenburg ihren Gemahl ins Feld begleitet. Sie hätte regen Anteil an der Plünderung des Schlosses des polnischen Grafen Swiatopolk genommen, und, nachdem sie alles hat hinwegfahren lassen, was von Wert erschien, hätte sie befohlen, das Schloss zu verbrennen. Es wird ja Frau v.Hindenburg, welche den ganzen Tag in Hannover mit ihrer RotenKreuz-Arbeit beschäftigt ist, nicht sonderlich berühren, aber es ist doch zu schamlos. Was würde man in England sagen, wenn wir solche Geschichten über Lady French veröffentlichten ?

Montag,d.28.Dez. Die „Times“ vom 22. veröffentlicht einen Brief von Prof. Soyce, Professor der Assyriologie in Oxford. Er/versucht zu beweisen, dass mit der alleinigen Ausnahme von Goethe, Deutschland weder Dichter, noch Gelehrte, noch Naturwissenschaftler, noch Ingenieure besitzt. Der Brief endet wie folgt. „Die Deutschen sind heute noch, was sie vor 15 Jahrhunderten waren, die Barbaren, welche die Zivilisation des römischen Kaiserreiches zerstörten. Wir müssen hoffen, dass dieses dunkle Zeitalter nicht wiederkehren wird „under a new avalanche of Teutonic barbarism“ und dass die Deutschen den einzigen Beruf, der ih-

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nen zukommt, wieder aufnehmen werden, als „die da Holz hacken und Wasser tragen“ (Josua IX,23) für das westliche Europa“! Wer wird wohl der Josua sein, der den alten Fluch, den Josua über die Kinder Gibeons verhängte, über uns verhängt ? Der Professor selbst oder Lord Kitchener, Lord Herbert oder der König der Belgier, oder der Grossherzog Nicolai Nikolajewitsch, oder gar – der Mikado ? Auswahl ist ja genügend vorhanden unter unseren Feinden.

Dienstag, d.29.Dez. Estie von Zitzewitz ist zuhause auf Urlaub. Er hat entsetzlich durchgemacht, erzählt mir seine Mutter. Sein Bataillon hat furchtbar gelitten. Er steht unter österreichischem Oberkommando, was ihm nicht gefällt. Es gefällt niemandem. Die Russen wären glänzend equippiert und sammeln sich in Heerscharen, wenn sie Gelegenheit haben, sich zu stellen. Immer und immer wieder werden die deutschen Pläne von den Polen verraten, auf alle mögliche Weise. Zum Beispiel: Man lässt Leute Enten auf dem Fluss schwimmen, zu zweien oder zu dreien, das bedeutet, dass die deutschen Stellungen so und so wären. Während wir uns unterhielten, kam Tante Elise auf ihren Besuch bei Onkel Julius in Cannes vor drei Jahren zu sprechen und auf gewisse Unterhaltungen mit Leutenant P, der dort auf seiner Hochzeitsreise war. Er sagte ganz offen zu ihr:“Ja, wir haben viele Streitfragen mit Deutschland auszutragen und das ist nur möglich durch einen Krieg. Wozu braucht Deutschland

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eine Flotte oder Kolonien. Wenn wir einige Kolonien über haben, kann sie sie ja bekommen. Zeige mir ein Bild Deines Sohnes Max, damit, wenn wir uns in einer Seeschlacht treffen, wir uns gegenseitig gut behandeln“. Die taktvolle Unterhaltung dieses jungen Mannes Engländers ist als damaliges Stimmungsbild ganz interessant.

Mittwoch,d.30.Dez. Tante Valentine ist bei Eckelmann’s und besuchte uns heute. Erwin ist seit dem Fall von Tsingtau kriegsgefangen. Seine Frau ist von Yokohama gekommen, um ihn zu besuchen. Die Japaner scheinen die Gefangenen sehr gut zu behandeln. Bruno hat es in Gibraltar längst nicht so gut. Es heisst, die Engländer fangen an, mit ihren Truppen Haus zu halten. In den vordersten Schützengräben sind fast immer indische Truppen.Georgie ist von einem Kameraden mitgeteilt worden, dass er jetzt Unteroffizier ist.

Donnerstag,d.31.Dez. Aus dem Grossen Hauptquartier erfahren wir: Unsere in Polen kämpfenden Truppen haben bei der an die Kämpfe bei Lodz und Lowitsch anschliessenden Verfolgung über 56 000 Gefangene gemacht und viele Geschütze und Maschinengewehre erbeutet. Die Gesamtbeute unserer am 11.Nov. in Polen einsetzenden Offensive

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ist somit auf 136 000 Gefangene, über 100 Geschütze, über 300 Machinengewehre gestiegen (W.T.B.). 66 Silvesternacht. Von Ludwig Fulda. Sonst gossen wir Blei und lachten dabei, Wenn seltsam geformte Gestalten, Ein Anker, ein Ring, ein Herz, ein Ei Für Zeichen der Zukunft uns galten. Sonst gossen wir Blei; - heut’ giessen wir’s nicht, Es ward uns von Andern gegossen, Hat manchen wackeren, armen Wicht, auf ewig die Zukunft verschlossen. Und giessen wir’s dennoch zu dieser Stund’, So zeigt es der Formen nicht viele, Wird immer wieder einförmig rund Und gilt einem einzigen Ziele. Sie, der wir sonst entgegengelacht Als harmlos glückliche Toren, Die Zukunft, sie wird in dieser Nacht, Wir fühlen’s, auch diesmal geboren.

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Wir fühlen einsam und fühlen gesellt In zuckendem Schauern und Wehen Die unsre zugleich und die der Welt Aus dunkelem Schoss erstehen. Doch um zu fragen, was sie uns beut, Erwarten wir nicht das Dämmern. Aus eigensten Kräften müssen wir heut’ Sie giessen und formen und hämmern. Wir lassen sie nimmer aus der Gewalt Vereinter Umklammerungen, Als bis die ersehnte, verlangte Gestalt Wir siegend ihr abgezwungen. Wir tändeln nicht und wir lachen nicht, Wir schmieden mit wuchtigen Schlägen Und blicken voll ernster Zuversicht Dem kommenden Morgen entgegen.

Silvester 1914 Von Ludwig T h o m a . Nein, lasst uns heute nicht in grossem Kreise Verweilen, wozu laute Worte sagen, was wir geheim Und tief im Herzen tragen -

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Heut lasst uns wenig Freunde sein und leise Von allem reden, was uns schon Geschichte, Indes wir’s sahen, wurde, und von Namen, Die aus der Ferne, aus dem Dunkel kamen Und heute hell umflossen sind vom Lichte, Das nie erlöschen wird ! Die Namen tragen Des deutschen Schicksals ungeheure Lasten, Und alle Segel sind an diese Masten Gebunden, die von unserm Schiffe ragen . . . Die Stunden rücken vor, das Jahr will scheiden Doch gleitet’s nicht in fröhlichen Sekunden Den Strom hinab und ist uns dann entschwunden. Es bleibt vor unsern Augen. Tod und Leiden Und Zorn und Hass und wilde Leidenschaften Und deutscher Heimatliebe reinste Flammen, Sie finden sich in einer Zahl zusammen Und bleiben ewig im Gedächtnis haften, Nun schlägt es Mitternacht. Und durch die Pforte Kommt jetzt das junge Jahr mit leichterm Schritte. Wir bieten ihm Willkomm in unsrer Mitte Und grüssen es mit hoffnungsfrohem Worte. Um seine Stirne ist von Lorbeerzweigen Ein grüner Kranz gewunden. ... Sei gesegnet, Du freundlich Bild, das unserm Blick begegnet, Vor dem sich dankbar alle Häupter neigen.....

- 123 1915. Das Tor. Von Georg Engel. Es knarrt das Tor, das ungeheure Räume Des Künftigen dem blinden Aug’ verschliesst: Bleib’ wach, mein Volk, Dir ziemen keine Träume, So lang ein Blutstrom durch die Heimat schiesst. Noch donnernd kracht die Welt und bricht in Scherben, Und wenn die Hand Dir zittert, wenn sie sinkt, Dann deckt Dich zu ein namenloses Sterben, In dem kein Stern und keine Hoffnung blinkt. Stumm sitzt Dein Gotte und zählet Deine Tage, Es dringt zu ihm auch Deiner Feinde Flehn, Und in der Hand des Ew’gen schwankt die Wage Um Völkerfrühling oder Untergehn. Nichts kann des Richters Neigung zu Dir treiben, Gewichte türmt Dir nur der eig’ne Wert, Der Schlechte stürzt, der bess’re Mann wird bleiben, Dein einzig Recht, es tropft aus Deinem Schwert ! Drum wache, Volk, und zähl’ nicht Deine Wunden, Hell strahl Dein Blick, stolz recke Deine Faust, Du hast den Schlachtenweg so oft gefunden, Du musst ihn schreiten, bis Du Gott erschaust.

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Denn an dem Ziel, da wird er Dich erwarten, Und trittst Du vor ihn, siegreich, schlachtbestaubt, Dann grüsst der Herr die flatternden Standarten, Und drückt den Kranz, mein Volk, Dir auf das Haupt.

Freitag,d.1.Jan. Grosses Hauptquartier (W.T.B.) An das deutsche Heer und die deutsche Marine. Nach fünf Monate langem, schweren und heissen Ringen treten wir ins neue Jahr. Glänzende Siege sind erfochten, grosse Erfolge errungen. Die deutschen Armeen stehen fest überall in Feindesland. Wiederholte Versuche des Gegners , mit ihren Heeresmassen deutschen Boden zu überschwemmen, sind gescheitert. In allen Meeren haben sich meine Schiffe mit Ruhm bedeckt; ihre Besatzungen haben bewiesen, dass sie nicht nur siegreich zu fechten, sondern, von Uebermacht erdrückt, auch heldenhaft zu sterben vermögen. Hinter dem Heere und der Flotte steht ein deutsches Volk in beispielloser Eintracht, bereit, sein Bestes hinzugeben, für den heiligen,heimischen Herd, den wir gegen frevelhaften Ueberfall verteidigen. Viel ist im alten Jahre geschehen: Noch aber sind die Feinde nicht niedergerungen; immer neue Scharen wälzen sich gegen unsere und unserer treuen Verbündeten Heere heran.

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Doch ihre Zahlen schrecken uns nicht. Ob auch die Zeit ernst, die vor uns liegende Aufgabe schwer ist, voll fester Zuversicht dürfen wir in die Zukunft blicken. Nächst Gottes weiser Führung vertraue ich auf die unvergleichliche Tapferkeit der Armee und Marine und weissmich eins mit dem ganzen deutschen Volke. Darum unverzagt dem neuen Jahr entgegen, zu neuen Taten, zu neuen Siegen für das geliebte Vaterland. gez. Wilhelm .I.R. 67 Berlin, 31.Dezember (W.T.B.) „ Die Gesamtzahl der beim Jahresschluss in Deutschland befindlichen und internierten Kriegsgefangenen (keine Zivilgefangene) beträgt 8138 Offiziere, 577 875 Mann. In dieser Zahl ist ein Teil der auf der Verfolgung in Russisch-Polen gemachten sowie alle im Abtransport noch befindlichen Gefangenen noch nicht enthalten. Die Gesamtzahl setzt sich folgendermassen zusammen: Franzosen: 3459 Offiziere, 215 905 Mann, darunter sieben Generale. Russen: 3575 Offiziere, 306 294 Mann, darunter achtzehn Generale. Belgier: 612 Offiziere, 36852 Mann, darunter drei Generale. Engländer: 492 Offiziere, 18 824 Mann. 68 Die Londoner Zeitungen versuchen krampfhaft den neutralen Staaten klarzumachen, dass Scarborough und Hartlepool offene Städte sind, die nicht angegriffen werden dürfen. Aber sie stra-

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fen sich selber Lügen, indem sie weiter behaupten, dass die Schloss-und Küstenbatterien das deutsche Feuer erwidert haben. Ich kenne Scarborough und habe oft am Schloss und an den Befestigungen herumgeklettert. Es liegt ganz herrlich – es wird ja „the Queen of the North“ genannt. Leider sind dort ein Hausmädchen und ein Briefträger getötet, was unendlich bedauernswert ist. Aber warum ist die Zivilbevölkerung nicht aus den befestigten Städten entfernt, wie bei uns aus Helgoland und Borkum ? Oder, was viel einfacher wäre, warum patrouilliert die englische Flotte die Küste nicht Tag und Nacht ? Wozu ist die Flotte da ? England’s Theorie ist:“Krieg machen will ich, aber mir darf keiner dabei weh tun“. Ob Nelson, als er die neutrale Stadt Copenhagen bombardierte, sich um ein etwaiges dänisches Hausmädchen den Kopf zerbrochen hätte ? Die Worte von Sir John Fisher 69: „ If J am in command, when war breaks out J shall issue in my orders: The essence of war is violence. Moderation in war is imbecility. Hit first, hit hard and hit anywhere !” sind für England Evangelium. Aber Gott helfe dem deutschen Barbaren, der ebenso denkt. Da Sir John jetzt First Sea Lord geworden ist, an Stelle von Prince Louis of Battenberg, der den Posten hat aufgeben müssen wegen seines deutschen Namens, wird er wohl öfters Gelegenheit haben „to hit hard and hit anywhere“!

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Inzwischen ist das englische Linienschiff „Formidable“ im Kanal untergegangen. Entweder Mine oder Unterseeboot.

Montag,d.4.Jan.

Haus Schönholz.

Wir sind heute mit Herrn und Frau Malcomess hergekommen. Er möchte ein paar Fasanen schiessen, ehe er nach Frankreich zurückkehrt. Ich hatte unsere Gäste gewarnt, dass es recht primitiv hergehen würde, da wir nur die Köchin mitgenommen haben. Aber das war ihnen egal. Zu unserer Ueberraschung fanden wir Hermann Brüning dort, auf 6 Tage Urlaub und Harker, der immer noch in Berlin Rekruten drillt. Sie werden morgen mit treiben können. Es schneit tüchtig.

Dienstag,d.5.Jan. Ein strahlender Wintertag. Der Boden mit festem Schnee bedeckt und kein Wind. Heute war Kesseltreiben. Frau Malcomess und ich brachten mittags das Frühstück heraus. Abends assen wir bei Winterfelds.

Mittwoch, d.6.Jan. Heute haben sie mit Erfolg im Walde Fasanen geschossen. Wir können die Fasanen nicht mehr füttern. Da werden sie wohl bald unsere Reviere verlassen. Professor Anton v. Werner ist gestorben. Er war Deutschlands grosser Schlachtenmaler. Sein Pinsel hat die grossen Tage von 1870 /71 verewigt.

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Freitag, d.8.Jan. Nach Berlin zurück. Walter schreibt, dass sie wohl bald ausrücken werden. Elsa und Irene haben viele Postkarten und Briefe erhalten von Soldaten, die sich für Liebesgaben bedanken. Heute kam eine Karte aus „Skierniwice“, das Jagdschloss des Zaren in Polen. Bei unserem ersten Vormarsch in Polen ist das Schloss auf besonderen Befehl von oben nicht bewohnt worden.- Nicht mal ein General hatte dort Quartier. Diesmal war man wohl nicht so bedenklich.

Sonnabend, d.9.Jan. Der frühere Bishop of Calcutta, Bishop Welldon, hat eine neue Theorie, die er auf einer Lehrerkonferenz in London lanciert hat. Er sagt: „ Dieser Krieg beweist, wie es noch kein Krieg je bewiesen hat, die Wichtigkeit des Schulwesens. Denn die Saat des Krieges ist in Deutschland gesät worden, nicht im Schloss oder Senat, nicht in den Aemtern oder Offizier Kasinos , sondern in den Schulen. In ganz Deutschland haben Lehrer und Lehrerinnen systematisch ihren Schülern beiderlei Geschlechts eingeimpft, dass Deutschland berufen sei, die ganze Welt zu beherrschen.“ Man jappt nach Luft ! Ach Ihr armen Pauker und Paukerinnen, die Ihr oft von Euren undankbaren Schülern und Schülerinnen so schlecht behandelt werdet, welche hohe Mission ist die Eure gewesen ! Erst der Militarismus, dann die Schulen. Nächstens wird es

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wohl die deutsche Muttermilch sein, die verantwortlich gemacht wird.

Sonntag, d.10.Jan. Vater und ich fuhren nach Braunschweig, um Walter noch zu sehen, da er täglich ausrücken kann. Wir besorgten warmes Unterzeug, Pelzweste u.s.w. Er ist fünfmal gegen Typhus und Cholera geimpft. Wir besuchten Waldersees. Der Graf war fertiggepackt, um wegzufahren, aber der Befehl war noch nicht heraus. Man munkelte „Küstenbewachung“. Aber wo ? Schleswig-Holstein oder Holland ? Vielleicht, dass England versuchen möchte, die Schelde zu erzwingen ? Man weiss eben nichts.

Montag,d.11.Jan. Nach Berlin zurück. Braunschweig war voller Soldaten. Der Bahnhof in Magdeburg ebenfalls und in Brandenburg hielt der Zug lang genug, dass wir einen riesigen Infanterietransport nach dem Westen haben abfahren sehen.

Dienstag, d.12.Jan. „ Die Zahl der geretteten deutschen Offiziere und Mannschaften aus der Seeschlacht bei den Falklandinseln steht nunmehr amtlich fest. Danach wurde von dem Flaggschiff „Scharnhorst“ niemand gerettet, von der „Gneisenau“ sind dagegen 17 Offiziere, 171 Deckoffiziere, Unteroffiziere und Mannschaften gerettet worden. Von der „Nürnberg“ kein Offizier, 7 Deckoffiziere, Unteroffi-

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ziere und Mannschaften und von der „Leipzig“ 4 Offiziere, 15 Deckoffiziere und Mannschaften. Von den beiden Begleitschiffen „Baden“ und Santa Isabell“ ist die ganze Besatzung gerettet.“

(W.T.B.) 70

„ Aus einem bei einem französischen Gefangenen gefundenen Brief und unbedachten Aussagen gefangener Offiziere geht hervor, dass General Joffre dienstlich bekannt gegeben haben soll, er habe Beweise, dass die Deutschen alle Gefangenen erschiessen lassen sollen.“ (W.T.B.) 71

Mittwoch; d.13.Jan. Die Debatten über die politische Lage im Houseof Lords in den letzten Tagen waren sehr interessant, und die akute Frage „Zwangsrekrutierung“ wird erörtert und verteidigt. Lord Selborne sagte:“ Ich möchte die Regierung und die Presse eindringlich bitten, das Land über den Ernst und die Schwere unserer Aufgabe aufzuklären. Deutschland hat gezeigt, dass es die erstaunlichste Kriegsmaschine besitzt, die je da war. Wir müssen alle zugeben, dass der deutsche Soldat ein fabelhaft tapferer Mann ist.“ Und Lord Curzon:“ England steht jetzt vor der grössten Aufgabe seiner Geschichte. Wir glauben, dass die Regierung recht hatte und unsere Truppen werden ihn bis zum Ende unterstützen. Wenn wir aber unser Ziel erreichen wollen, werden wir eine gewaltige Anzahl von Männern brauchen, vielleicht auf sechs Monate, oder ein Jahr, vielleicht auf länger.“

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Sonnabend, d.16.Jan. „ Das Journal Offiziell“ verbreitet einen amtlichen französischen Bericht über deutsche Grausamkeiten. Der Bericht bildet den Gipfel in dem Lügenfeldzug, der seit Kriegsbeginn gegen Deutschland geführt wird. Er strotzt von den unerhörtesten Greuelgeschichten. Die lediglich von Franzosen behaupteten Fälle werden als erwiesen dargestellt, ohne dass irgend eine Möglichkeit bestände, sie unparteiisch zu untersuchen . (W.T.B.) 72 Die Times vom 8. druckt diesen Bericht ab mit folgendem Kommentar: „Plünderung, Notzucht, Brandstiftung und Mord sind die allgemeinen Sitten unserer Feinde. Diese Verbrechen sind die Kriegsmethoden, neu eingeführt in Europa, der Führer des deutschen Heeres und des deutschen Staates. 73

Donnerstag, d.14.Jan. Dr. Schultze-Klönne sagt, dass Georgie in 8 Tagen garnisondienstfähig sein wird.

Sonntag,d.17.Jan. Vaters Geburtstag, sonst immer ein frohes Familienfest. Der erste trockene Tag nach zehn Tagen unaufhörlichen Regens. Aus dem Westen hören wir, dass unsere Soldaten in den Schützengräben bis zum Knie im Wasser stehen. In Polen ist es vielfach zum Stillstand gekommen, weil der Zustand der Strassen jeden Transport unterbindet.

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Pressentin besuchte uns heute, zum ersten Male nach seinem Zusammenbruch. 56 Tage schwerster Kämpfe gegen englische,französische und belgische Truppen hatten ihn umgeworfen. Jetzt ist er wieder gesund und fährt in einigen Tagen los; ob Frankreich oder Russland ist noch unsicher. Er hat ein Bataillon bekommen, also Major’s Rang und Sold. Zu Tisch kam Herr Goverts, der sich Weihnachten in Davos, wo sie zum Besuche ihres kranken Sohnes waren, mit seinem Schwager aus London getroffen hat. Er konnte uns viel Interessantes erzählen. Das komischste war, dass der Tennisplatz auf dem Landhause von Augustus Brandt in Bletchingly in Surray von einer offiziellen Kommission untersucht worden ist, um festzustellen, ob er vielleicht eine Zementunterlage besässe für deutsche 42 cm.Geschütze !! Das ist wirklich entzückend. Die Deutsch-Engländer, Verzeihung, die Engländer, die von deutschen Eltern abstammen, haben jetzt nichts zu lachen. -

Donnerstag, d.21.Jan. Berlin,d.20.Jan. „ In der Nacht vom 19. zum 20.Januar haben Marineluftschiffe einen Angriff gegen einige befestigte Plätze an der englischen Ostküste unternommen. Hierbei wurden bei nebligem Wetter und Regen mehrfach Bomben mit Erfolg abgeworfen. Die Luftschiffe wurden beschossen, sind aber unversehrt zurückgekehrt.“ gez.Behncke (W.T.B.) 74

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Amerikanische Kriegslieferungen. „Halbamtlich wird folgende bemerkenswerte Auslassung der Reichsregierung veröffentlicht: Wie über London bekannt wird, hat in einer Sitzung des amerikanischen Repräsentantenhauses für auswärtige Angelegenheiten der Vorsitzende Flood unter Berufung auf seine Denkschrift der deutschen Regierung den Eindruck erweckt, als habe sich Deutschland mit den amerikanischen Lieferungen von Kriegskonterbande an seine Gegner abgefunden. Dies ist ein grosses Missverständnis ! Die von Herrn Flood angeführte Denkschrift räumt nur ein, dass nach den geltenden Grundsätzen des Völkerrechts Deutschland gegen Kriegslieferungen neutraler Privatpersonen an seine Feinde keine Handhabe zu einem rechtsförmlichen Einspruch besitzt, sodass, wie es am Schluss der Denkschrift heisst, die Vereinigten Staaten zu Duldung solcher Lieferungen „an sich befugt“ sind. Selbstverständlich sind aber die Vereinigten Staaten nach völkerrechtlichen Grundsätzen gleichermassen befugt, den ganzen Konterbandehandel mit allen kriegsführenden Ländern durch Erlass eines Waffenausfuhrverbotes zu unterdrücken, zumal der internationale unerlaubte Waffenhandel mit England und Frankreich einen Umfang angenommen hat, der die Neutralität zwar nicht der amerikanischen Regierung, wohl aber des amerikanischen Volkes tatsächlich in Frage stellt. Eine solche Massnahme liegt umsonäher, als England nicht einmal den international erlaubten Handel Amerikas mit Deutschland zulässt, vielmehr auch die für die Volkswirtschaft Deutschlands bestimmten Waren in der rück-

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sichtslosesten Weise beschlagnahmt, so dass der ganze Handel Amerikas mit den kriegführenden Ländern auf eine einseitige Begünstigung unseres Gegners hinausläuft. Ferner – und dies wiegt für uns am schwersten – wird die Versorgung unseres Gegners mit amerikanischen Waffen zu einer der stärksten Ursachen für die Verlängerung des Krieges. Sie steht deshalb in Widerspruch mit den wiederholten Versicherungen der Vereinigten Staaten, dass sie eine baldige Wiederherstellung des Friedens wünschen und dazu mitwirken wollen.“

Sonnabend, d.23.Jan. Georgie ist heute nach Brandenburg gegangen. „England und der Krieg. Wer trägt die Schuld ? “ Auszüge aus einem Aufsatz von Prof.Dr. E.Sieper 75,München. Vor mehreren Jahren sagte Bonar Law, der Führer der Opposition im Unterhaus:“ Wenn je der Krieg zwischen Deutschland und England kommt, so kommt er nicht, weil er notwendig war, sondern aus Mangel an Weisheit bei den Regierenden.“ Das Wort hat sich erfüllt. England hat Deutschland den Krieg erklärt, weil eine kleine, aber übermächtige Clique von Leuten es gewollt hat, die teils in verantwortungsvoller Stellung sind, teils aber unbemerkt hinter den Kulissen schieben. Im Vordergrunde steht – allerdings erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit – der rücksichtslose, von Ehrgeiz zerfressene Winston Churchill, der mehr als Gray76 dahingewirkt hat, dass im englischen Kabinett die

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Entscheidung zugunsten des Krieges fiel. Was Gray selbst anbetrifft, der zwar ein bedächtiger, willensstarker, aber borniert fanatischer Charakter ist, so darf man ihn wohl mehr als den Geschobenen betrachten. Ohne die Hemmungen eines allseitig unterrichteten Menschen zu besitzen, war er der Suggestion durch seine Berater in hohem Masse zugänglich. Ich wurde zum ersten Male stutzig, als mir Gray, der selbst von seinen politischen Gegnern in England in allen Tonarten gerühmt wird, in einer Unterredung im Hause Haldanes dem damaligen englischen Gesandten in München, Sir Fairfax Cartwright, einen Mann, der aus seiner Feindschaft gegen Deutschland nicht den geringsten Hehl machte, als „besonders fähig und brauchbar“ bezeichnete.- - Alle diese Leute (Permanent Secretary Nicholson, Sir Francis Bertie (Botschafter in Paris), Paul Cambon (Botschafter in London) haben Gray mit dem Gedanken der Notwendigkeit einer kriegerischen Auseinandersetzung mit Deutschland immer stärker zu erfüllen gewusst. Schon vor mehreren Jahren hat ein Bruder des Ministers einem deutschen Journalisten gegenüber geäussert, Sir Edward vermöchte sich der Befürchtung nicht zu entziehen, dass eines Tages der Krieg mit Deutschland kommen würde. Das Ausscheiden des Ministers Lord Morley, Burns und Trevelyan zeigt, dass die Arbeit derjenigen, die auf den Krieg hinarbeiten, dem Gesamtministerium ursprünglich nicht deutlich zum Bewusstsein gekommen ist. Von Asquith weiss ich positiv, dass er in den ersten Augusttagen immerfort ganz spontan er-

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klärt hat: „No war, no war“! Und als dann der Krieg doch kam, ist in dem Hause eines Kabinettministers das Wort gefallen:“ These damned treaties have done it all ! “ Meine subjektive Ueberzeugung –die natürlich für keinen massgeblich ist – geht tatsächlich dahin, dass selbst dem Premier der ganze Umfang und die ganze Schwere der militärischen Abmachungen mit Frankreich, Russland und Belgien nicht bekannt gewesen ist. Vor Jahren sagte mir ein Mitglied des englischen Kabinetts, und zwar eine seiner markantesten Persönlichkeiten:“Es ist Asquiths Eigenart, den Ressortministern freien Spielraum zu lassen.“ Ich erwiderte:“ Wenn es sich um Abmachungen mit dem Auslande handelt, kann doch unmöglich dieser Grundsatz zur Anwendung kommen.“ Mein Gewährsmann meinte:“ Solange es sich um keine bindenden Verträge handelt, kann die Sache ruhig den Experten überlassen werden.“ So erklärt es sich auch, dass Asquith immerfort die Existenz militärischer Verpflichtungen gegenüber Frankreich, bezugsweise Russland geleugnet hat. Theoretisch existierten unbedingte Verpflichtungen nicht, aber tatsächlich waren sie vorhanden; und als der Krieg zwischen Deutschland und seinen östlichen und westlichen Nachbarn ausgebrochen war, ereignete sich buchstäblich, was der Kriegskorrespondent der Times vor Jahren einem Diplomaten vorhergesagt hat: „ as soon as war is declared between Germany and France, everything will work automatically.“ Noch ehe im englischen Kabinett die Entscheidung über Krieg

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und Frieden gefallen war, nahmen die militärischen und maritimen Vorbereitungen ihren Anfang und zwar in einer Weise, dass die Kriegserklärungen des englischen Kabinetts nur noch eine blosse Formsache waren.“----

Sonntag,d.24.Jan. Bruno von Koch erzählte uns heute seine Erlebnisse als Gefangener in Gibraltar. Er hatte im Oktober Buenos Aires verlassen à conto des englischen Versprechens, dass 5 0 deutsche Reservisten auf italienischen Dampfern fahren dürften. Dieses Versprechen war gegeben worden, zugunsten der italienischen Passagierdampfer. Trotzdem wurde das Schiff in Gibraltar festgehalten und die Deutschen interniert. Nach zwei Monaten wurden sie durch Vermittlung des amerikanischen Konsuls und der italienischen Regierung freigelassen. Die anderen Zivilgefangenen wurden nach England gebracht, darunter Dr.Froitzheim und Kreuzer, unsere Tennis „cracks“. Die Bewachung in Gibraltar geschah durch rohe, halb ausgebildete territorial Truppen, denn die eigentliche Garnison war an der Front. Einer von den Deutschen wurde nachts vor seiner Hütte vom Posten erschossen. Während des ersten Monats hatten die Gefangenen weder Messer,Löffel noch Gabel und mussten zu zweien mit einem Suppennapf auskommen. Merkwürdig ist, dass der amerikanische Konsul in Gibraltar viele Wochen lang keine Ahnung hatte von ihrer Existenz. Sie hatten immer wieder an ihn geschrieben, aber der Censor hatte

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wohl die Briefe in den Papierkorb geworfen.-

Montag, d.25.Jan. Berlin, d.25.Jan. (W.T.B.) Bei einem Vorstoss S.M.Panzerkreuzer “Seydlitz”, „Derfflingen“ „Moltke“ und „Blücher“ in Begleitung von vier kleinen Kreuzern und zwei Torpedobootflottillen in die Nordsee kam es heute vormittag zu einem Gefecht mit englischen Streitkräften in der Stärke von fünf Schlachtkreuzern, mehreren kleinen Kreuzern und 26 Torpedobootzerstörern. Der Gegner brach nach drei Stunden siebzig Seemeilen von Helgoland das Gefecht ab und zog sich zurück. Nach bisheriger Meldung ist auf englischer Seite ein Schlachtkreuzer, von unseren Schiffen der Panzerkreuzer „Blücher“ gesunken. Alle übrigen deutschen Streitkräfte sind in die Häfen zurückgekehrt. gez. Behncke. 77

Mittwoch,d.27.Jan. Kaisers Geburtstag, und natürlich schulfrei. Ein schöner, kalter Frosttag. Mittags Konzert eines Bläserkorps an der Siegessäule. Abends hörten Elsa und ich einen glänzenden Vortrag von Professor von WilamowitzMöllendorf über die Hohenzollern im Abgeordnetenhaus.

Donnerstag, d.28.Jan. Die englische Admiralität hat bis jetzt zwei Berichte über

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die Schlacht amvorigen Sonntag veröffentlicht. Der erste Bericht lautete: „ No losses, no damage, and a complete victory.“ Jetzt gibt sie zu, dass „Lion“ und „Tiger“ schwer beschädigt sind und in Schlepptau genommen werden mussten. Erich sagt aber, es wäre gar keine Frage, dass ein englisches Schiff gesunken sei. Wer mag nun recht haben ?

Sonntag,d.31.Jan. Georgie kam auf Urlaub. Wir hatten drei Billets für „Lohengrin“ und, da sein Zug um 10,15 Uhr fuhr, ging er mit Vater und Else in die Oper, für die zwei ersten Akte. Um 6 Uhr hörte ich Geheimrat Peucks Vortrag“Festgehalten in England“. Er und acht andere deutsche Professoren waren, als der Krieg ausbrach, die Gäste des British Association bei seiner Tagung in Australien, ich glaube, in Melbourne. Seine Erzählungen über die Fahrt nach England via Colombo, Bombay,Aden u.s.w. waren höchst interessant. Dauernd musste das Schiff seinen Kurs ändern, um der „Emden“ zu entgehen, welches Schiff damals im indischen Ozean arbeitete. Er hatte gehofft, in Fort Said einen holländischen Dampfer besteigen zu dürfen und so nach Genua zu kommen. Aber nein, er musste mit nach London, wo sein sämtliches wissenschaftliches Material und Fotografien von Scotland Yard konfissiert wurden. Er wurde gut behandelt und durfte privat leben. Concentrationslager hat er in London nicht gesehen, wohl aber eines in Colombo, wo die Deutschen von farbigen Truppen bewacht wurden.

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In London wurde er zwei Monate zurückgehalten, weil die Autoritäten sagten :“ Sie haben zu viel gesehen“. Dort erlebte er auch die Ankunft der deutschen Zivilisten aus Kamerun, Männer, Frauen und Kinder. Sie hatten entsetzliches durchgemacht. Nach seiner Ansicht ist Englands Hauptziel die Zerstörung deutschen Einflusses und deutscher Arbeit in Asien und Afrika und, um das zu erreichen, ist jedes Mittel recht. Dann „Lohengrin“, der letzte Akt. Georgie stürzte an die Bahn und ich nahm seinen Platz, was eigentlich nicht erlaubt ist. Kirchhoff sang den Lohengrin. Sein Urlaub ist jetzt um. Morgen ist er wieder ein schneidiger Kavallerie-Offizier. Es war ein grosser Moment, als er im „Abschied“ sich dem König zuwendend, die Worte schmetterte:“Nach Deutschland sollen auch in fernsten Tagen des Ostens Horden siegreich niemals zieh’n“.- Das Publikum donnerte Applaus ! Können wir unseren Soldaten dankbar genug sein, dass sie „des Ostens Horden“ von uns abgewendet haben ? Montag, d.1.Februar. Wir haben 6 Monate lang Krieg geführt. Die Flagge am Mast. Und als die deutsche Südseemacht Vom Feind umrungen und Tod und Nacht Zu ihr an Bord kam gestiegen, Da liess Held Spee in der Falklandschlacht Die Flaggen lustiger fliegen -

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Verderben konnt’ ihn die Uebermacht, Sie konnt’ ihn nicht besiegen ! Nur noch aus einem Kanonenschlund Schrie „Scharnhorst“ wider das Feuer im Rund, Die letzte Hoffnung verwettet Sie aber bestanden, zu ewigem Bund Mit ihrer Flagge verkettet, Ein stolzes Lächeln auf stolzem Mund, Ein stolzes Lied – und dann in den Grund Mit der Flagge ...“Niemand gerettet !“ Die Flagge flattert’ im Nordseeglast der andern entgegen, so wütend verhasst Hei, wie sie erbittert rangen ! Der „Blücher“ trug die vernichtendste Last, Er feuerte, sinkend noch, ohne Rast, Er feuerte, als ihn das Feuer gefasst Und die Kessel weissglühend zersprangen. Mit Lachen und Lied, mit der Flagge am Mast Ist die „Blücher“ untergegangen. Das war der Scharnhorst, der kurz vorm Ziel Im Morgenglanze von Lützen fiel, Der Blücher, der nach verwürfeltem Spiel Ausholt’ zu Waterloos Schlage !

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Das ist’s, was den Tod in der Tiefe versüsst, Das lindert die wehe Klage: Das jeder Verlust einst zehnfach gebüsst ! O Sonne des Sieges, du leuchtest und glühst, Und die flatternde Flagge am Maste grüsst Der Zukunft glückselige Tage ! Caliban 78. Berlin, den 1.Februar 1915. „ England ist im Begriffe, zahlreiche Truppen und grosse Mengen von Kriegsbedarf nach Frankreich zu verschiffen. Gegen diese Transporte wird mit allen zu Gebote stehenden Kriegsmitteln vorgegangen. Die friedliche Schiffahrt wird vor der Annäherung an die französische Nord- und Westküste dringend gewarnt, da ihr bei Verwechslung mit Schiffen, die Kriegszwecken dienen, ernste Gefahr droht. Dem Handel nach der Nordsee wird der Weg um Schottland empfohlen. gez.v.Pohl (W.T.B.) 79 Dienstag, d.2.Febr. Pressentin ist heute abgefahren, diesmal nach dem Osten. Ein ganzes Armeekorps soll gestern dorthin gekommen sein. Sie fahren immer über die Weddingbrücke. Wir sollen jetzt nicht mehr als 4 Pfd.Brot und Mehl pro Kopf und Woche verbrauchen.

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Donnerstag, d.4.Febr. Nach Schönholz mit Vater. Es ist sehr kalt. Brüning ist dabei, die Frühbeete in Gang zu setzen. Gemüse wird sehr wichtig sein in diesem Jahre, wenn Fleisch rar und teuer wird. In der Umgebung Berlins werden Vorbereitungen getroffen, um jede Ecke unbebauten Landes mit Kartoffeln und Gemüse zu bestellen; zur Hilfe sollen Schulkinder herangeholt werden.Hermann ist hier auf einen Tag. Sein Lazarettzug ist desinfiziert worden und morgen geht es nach Russland. Es scheint, als wäre eine grosse Offensive dort in Vorbereitung. Unser Gepäckträger in Wittenberge sagte uns, dass Truppen Tag und Nacht durchkämen.Herr von Winterfeld ist nach der Verwaltung in Polen berufen. Nun hat Frau v.W., wie so manche Gutsfrau, die ganze Verantwortung zu tragen. Und bald kommt die Frühjahrsbestellung, die schwierigste Zeit für die Landwirtschaft. Und die Pferde bekommen nun viertel Hafer-Rationen. Als Ersatz bekommen sie Kartoffeln und eine Art Melasse. Der Geheimbefehl der englischen Admiralität. „ Wegen des Auftretens deutscher Unterseeboote im englischen und irischen Kanal, sollen nach einem geheimen Befehl der englischen Admiralität sofort alle englischen Handelsschiffe neutrale Flaggen hissen und alle Abzeichen, wie Reedereizeichen, Namen u.s.w. verdecken.“ 80

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Bekanntmachung. 1.

Die Gewässer rings Grossbritannien und Irland einschliesslich des gesamten englischen Kanals werden hiermit als Kriegsgebiet erklärt. Vom 18.Februar 1925 an wird jedes in

diesem Kriegsgebiet angetroffene feindliche Kauffahrteischiff zerstört werden, ohne dass es immer möglich sein wird, die dabei der Besatzung und den Passagieren drohenden Gefahren abzuwenden. 2.

Auch neutrale Schiffe laufen im Kriegsgebiet Gefahr, da es angesichts des von der britischen Regierung am 31.Jan. angeordneten Missbrauches neutraler Flaggen und

Zufälligkeit des Seekrieges nicht immer vermieden werden kann, dass die auf feindliche Schiffe berechneten Angriffe auch neutrale Schiffe treffen. 3.

Die Schiffahrt nördlich um die Shetlandinseln, in dem östlichen Gebiet der Nordsee und in einem Streifen von mindestens 30 Seemeilen Breite entlang der niederländischen

Küste ist nicht gefährdet.“ Berlin, d.4.Febr.1915 gez.v.Pohl 81. Als Admiral v.Tirpitz vor einigen Wochen mit der Blockade sämtlicher britischer Küsten drohte, klang es wie ein Märchen. Jetzt ist es Tatsache geworden. Es ist eben die einzige Antwort, die wir haben auf Englands Entschluss, uns mit Mann und Maus auszuhungern.

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Sonntag,d.6.Febr. Zürich,5.Febr. „In Marseille sind 216 japanische Instruktoren eingetroffen. Ein Teil von ihnen ist für England bestimmt. Die anderen werden den französischen schweren Artillerien zugestellt.“ Ein sehr kalter Tag. Abends holte ich Frau v. Winterfeld im Schlitten ab und wir fuhren zusammen nach Tacken zu einer Dorftheatervorstellung zum Besten des Roten Kreuzes unter der Regie von Pastor Hübner, seiner Frau und seinen Töchtern. Es war alles mögliche, was geleistet wurde, von den Bauernsöhnen und Bauerntöchtern. Montag,d.7.Febr. Die Post hatte heute eine interessante Sendung für uns – nichts weniger als die „Times“ vom 3. August 1914, wohl die letzte Ausgabe, die an uns direkt adressiert war, denn seitdem bekommen wir die englischen Zeitungen über „Neutralien“. Sie hat wohl sechs Monate lang beim Censor gelegen und ist jetzt freigegeben. 82 Unter der Rubrik „Public opinion“ und „The Crisis“ befindet sich ein geharnischt kriegerischer Brief von Lord Sydenham, ein Flehen um Frieden von Sir Edward Fry, dem Inhaber der berühmten Schokoladenfabrik und von Quäker Abstammung und ein Brief von Mr. J.King M.P., der ingoldenen Buchstaben gedruckt zu werden verdient und wie folgt endet:

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„ Es mag notwendig sein, im Parlament einen Kredit zu bewilligen und unsere Armee und unsere Flotte bereitzuhalten. Das ist aber etwas ganz anderes, als die Gelegenheit zu ergreifen, Deutschland zu überfallen. Die Forderungen, die wir für eine kriegerische Politik hören, sind zweifellos von der Idee geleitet, dass wir jetzt eine Gelegenheit haben, die vielleicht nie wiederkehren wird, die deutsche Seemacht zu zerstören und ein britisches Monopol zur See aufzustellen. Der zynische Egoismus einer solchen Politik tritt klar zu Tage.“ Aber diese vernünftige Stimme wurde übertont von dem Wirbelsturm von Hass, den die Harmeworth Presse jahrelang genährt hatte. Ein Leitartikel über die Armeen der Grossmächte schliesst wie folgt: „Die Lage ist so, Frankreich riskiert, anfangs einer Uebermacht von 200 000 Mann gegenüberzustehen. U m d i e s e a u s z u g l e i c h e n, r e c h n e t d e r f r a n z ö s i s c h e G e n e ra l s t a b s e i t s i e b e n b i s a c h t J a h re n a u f d i e H i l f e u n s e r e r E x p e d i t i o n s k o r p s. In dem französischen Aufmarschplan haben unsere Truppen ihren Platz erhalten und alle Vorkehrungen getroffen, um sie an die gegebene Stelle zu transportieren. Wenn im letzten Augenblick unsere Truppen nicht zum rendez-vous kommen und Frankreich infolgedessen besiegt wird, wird die Geschichte es unserer Feigheit zuschreiben. Uns Um mit Erfolg zu intervenieren war notwendig, dass die französische und englische Mobilisation gleichzeitig laufen, aber wir sind

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schon 24 Stunden hinter Frankreich, selbst wenn der Mobilmachungsbefehl heute erlassen wird.“ Dieser Artikel muss spätestens am 2.August geschrieben worden sein, also lange vor dem Einmarsch in Belgien. -

Montag, d.8.Febr. Walter schreibt, dass anstatt auszurücken, wie er gehofft hatte, er auf drei Wochen nach Münsterlager geht zur Infanterie-Ausbildung. London, 8.Febr.(W.T.B.) “Premierminister Asquith hat dem Unterhause mitgeteilt, dass die Verluste aller Rangklassen der englischen Armee auf dem westlichen Kriegsschauplatz bis zum 4.Februar ungefähr 104 000 Mann betragen hätten.“ 83 London, 8.Febr. „Passagiere der „Lusitania“, die gestern früh in Liverpool eintraf, teilten mit, dass, als sich das Schiff der irischen Küste näherte, ein drahtloses Telegramm der Admiralität eintraf, dass das Schiff die amerikanische Flagge hissen sollte. Das Schiff fuhr unter amerikanischer Flagge nach Liverpool.“ 84

Freitag,d.12.Febr. Oestlicher Kriegsschauplatz. Die Operationen an der ostpreussischen Grenze haben die Russen zum schleunigen Aufgeben ihrer Stellungen östlich der masurischen Seen gezwungen. Bisher sind etwa 26 000 Gefangene

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gemacht, mehr als 20 Geschütze und 30 Maschinengewehre erbeutet worden. „Oberste Heeresleitung“ (W.T.B.) 85 Nach Berlin zurück, um uns über obige gute Nachricht zu freuen. Man ahnte ja, dass irgend etwas im Gange war, denn es war Feldpostsperre gewesen. Was wird die Times jetzt über General von Hindenburg schreiben ? Wenn sie durchaus zoologische Beispiele anwenden muss, dann muss man ihm doch wenigstens die Weisheit der Schlange konsedieren.

Sonnabend,d.13.Febr. Heute ist schulfrei. Walter schreibt aus Münsterlager. Sie schlafen in Holz-Barracken und essen im Hotel. Dort hat er auch mit seinen Freunden zusammen ein Zimmer genommen für ihre Sachen und um sich zu waschen und auszuruhen. Münster hat eine grosse Anzahl französischer und belgischer Gefangener, Aber es ist den Soldaten streng verboten, mit ihnen zu reden.

Montag,d.15.Febr. N o r m a l. Der Russe rückt in Preussen ein, Sein Heer ist kolossal. Doch unsere Heeresleitung schreibt: Die Sache läuft „normal“.

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Ganz Deutschland horcht schon ahnungsvoll Mit hellen Freudenstrahl, Wenn unsere Heeresleitung schreibt: Die Sache läuft „normal“. Ist Hindenburg auf Russenfang, Wird fünfstellig die Zahl, Wenn unsere Heeresleitung schreibt: Die Sache läuft „normal“. Ich liebe diese deutsche Norm, sie ist mein Ideal. Doch Hindenburg, du Russenschreck, Dich lieb’ ich anormal ! Gottlieb. Ich lese jetzt Charles Kingsley´s 86 Briefe zum zweiten Male. Die Briefe an Prof.Max Müller und an Sir Charles Bunbury über den Krieg 70-71 sind für uns jetzt von grossem Interesse. Hier einige Auszüge: „Wäre ich ein Deutscher, würde ich es für meine Pflicht halten, meinen letzten Sohn, meinem letzten Taler und mich selbst in den Krieg zu schicken, damit das gemacht wird, was gemacht werden muss und so gemacht wird, dass es nicht wieder gemacht werden muss“ - - - „ Was Deutschland seit 200 Jahren gelitten hat unter diesem eitlen, gierigen, unruhigen Lande“. - -

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„ Der Krieg seitens Deutschland ist das Aufstehen eines Volkes vom höchsten bis zum niedrigsten, welches ein Volk sein will in einem tieferen Sinne, als irgend ein französischer oder englischer republikanischer Demokrat es versteht. - - Von grösster Gefahr erscheint ihm „ The anarchy, which is brought on by being governed by the Press.“Diese Worte erscheinen mir geradezu prophetisch. Heute besuchte uns Graf Minotto 8788. Er war mit seiner Frau im vorigen Juli in London. Am 30. waren sie noch auf einer Gesellschaft bei Lord und Lady Glencossner und spielten Bridge mit Sir Edward Grey und Lord Haldane. Alle waren heiter und guter Dinge, die Unterhaltung drehte sich um Musik, um seltene Coniferen u.s.w. Um elf Uhr wurde Sir Edward vom Auswärtigen Amt angeklingelt. Er kam zum Bridge Tisch zurück, sagte, er müsse auf eine Stunde ins Amt, „aber erst spielen wir den rubber zu Ende“. Sein Spiel war glänzend und er verliess die Gesellschaft in fröhlichster Stimmung. Diese Einzelheiten sind nicht uninteressant.

Mittwoch,d.17.Febr. Grosses Hauptquartier (W.T.B.) „ In der neuntägigen Winterschlacht in Masuren“ wurde die russische 10.Armee, die aus mindestens elf Infanterie und mehreren Kavallerie-Divisionen bestand, nicht nur aus ihren starkverschanzten Stellungen östlich der masurischen Seenplatte vertrieben, sondern auch über die Grenze geworfen und schliesslich

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in nahezu völliger Einkreisung vernichtend geschlagen. Nur Reste können in die Wälder östlich von Suwalki und von Augustow entkommen sein, wo ihnen die Verfolger auf den Fersen sind. Die blutigen Verluste des Feindes sind sehr stark. Die Zahl der Gefangenen steht noch nicht fest, beträgt aber sicher weit über 50 000. Mehr als vierzig Geschütze und siebzig Maschinengewehre sind genommen, unübersehbares Kriegsmaterial ist erbeutet. Seine Majestät der Kaiser wohnte den entscheidenden Gefechten in der Mitte unserer Schlachtlinie bei. Der Sieg wurde durch Teile der alten Osttruppen und durch junge, für diese Aufgabe herangeführte Verbände, die sich den alten Kameraden ebenbürtig erwiesen haben, errungen. Die Leistungen der Truppen bei Ueberwindung widrigster Witterungs- und Wegeverhältnisse im Tag und Nacht fortgesetzten Marsch und Gefecht gegen einen zähen Gegner sind über jedes Lob erhaben. Generalfeldmarschall von Hindenburg leitete die Operationen, die von Generaloberst v. Eichhorn und General der Infanterie v.Below in glänzendster Weise durchgeführt wurden, mit alter Meisterschaft. “ Oberste Heeresleitung (W.T.B.) 89 Fürwahr, die russische Dampfwalze rollt, aber nicht in der von den Alliierten vorgeschriebenen Richtung ! Ein Teil der Beute besteht in einem 9 Kilometer langen Transport von Munition, Lebensmitteln u.s.w.

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Donnerstag, d.18.Febr. Goergie hat Urlaub bis Sonnabend, da er nächste Woche wieder ins Feld geht. „ Die Kriegsbeute der Kämpfe an der ostpreussischen Grenze hat sich erhöht. Das bisherige Ergebnis beträgt: 64 000 Gefangene, 71 Geschütze, über 100 Maschinengewehre, drei Lazarettzüge, Flugzeuge, 150 gefüllte Munitionswagen, Scheinwerfer und unzählige beladene und bespannte Fahrzeuge. Mit einer weiteren Erhöhung dieser Zahlen darf gerechnet werden.“ Oberste Heeresleitung (W.T.B.) 90 Der Kaiser hat folgendes Telegramm an den Oberpräsidenten Ostpreussens geschickt: „ Die Russen vernichtend geschlagen. Unser liebes Ostpreussen vom Feinde frei“. Wilhelm. Trotzdem sagt der militärische Korrespondent der „Times“ am 13.Februar:“ Die Bewegung in Ostpreussen ist wohl ein Einzelfall, um den deutschen Rückzug zu cachieren. Der Grossherzog wird sicher in wenigen Tagen seine Truppen conzentrieren, um die Deutschen vernichtend zu schlagen.“ Dr.C.Gertung aus Nürnberg besuchte uns heute. Seine Firma liefert die Oelmotoren für die neuen U-Boote.

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Freitag, d.19.Febr. Ich machte mit Georgie viele Besorgungen. Sein Koffer mit Inhalt ging im November bei dem Rückzug in Polen verloren. (W.T.B.) Seine Majestät der Kaiser und König hat gestern dem Reichskanzler von dem siegreichen Ausgang der Winterschlacht in Masuren telegrafisch Mitteilung gemacht. S.M.der Kaiser hat dabei besonders hervorgehoben, wie sich unter seinen Augen die neuen Verbände ebenso vortrefflich bewährt haben, wie die alten Osttruppen. Vom Landsturmmann bis zum letzten Kriegsfreiwilligen wetteiferten alle, ihr Bestes für das Vaterland herzugeben, weder grimmige Kälte, noch tiefer Schnee, weder unergründliche Wege noch die Zähigkeit des Gegners haben ihren Siegeslauf zu hemmen vermocht. Unsere Verluste sind glücklicherweise gering. Zum Schluss sagte der Kaiser:“ Meine Freude über diesen herrlichen Erfolg wird beeinträchtigt durch den Anblick des einst so blühenden Striches, der lange Wochen in den Händen des Feindes war. Bar jeden menschlichen Gefühls hat er in sinnloser Wut auf der Flucht fast das letzte Haus und die letzte Scheune verbrannt oder sonst zerstört. Unser schönes Masurenland ist eine Wüste. Unersetzliches ist verloren. Aber ich weiss mich mit jedem Deutschen eins, wenn ich gelobe, dass das, was Menschenkraft vermag, geschehen wird, um neues frisches Leben aus den Ruinen erstehen zu lassen.“ 91

Sonnabend,d.20.Febr. Aus dem „Daily Telegraph“ vom 15.Febr.:

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„Der Earl of Ronaldskay sagte bei einer Demonstration zugunsten der Rekrutierung: „ Wir brauchen noch viele Männer, um unser Land vor dem Schicksal Belgiens zu bewahren und um uns zu helfen, d e n t o l l e n H u n d E u r o p a s a n z u k e t t e n . “ Der Bishop of London sagte:“Wir kämpfen, damit England nicht eine deutsche Provinz wird.“ Ist es nur im Interesse der Rekrutierung, dass diese Sachen gesagt werden, oder müssen meinen sie es wirklich ?

Sonntag,d.21.Febr. Die Kirchen hatten Dankgottesdienste für die Befreiung Ostpreussens. Das Kaiserpaar war im Dom. Wir frühstückten bei Brockdorffs 92. Unter den Gästen war Professor Lassar, der letzthin eine der „deutschen Reden in schwerer Zeit“ gehalten hat. Er sagte zu mir:“Dieser Krieg beweist die grossen Gefahren, welche die parlamentarische Parteiregierung in England birgt. Das Wohl und Wehe eines Landes, ja, von Europa, von der ganzen Welt, hängt von einer Handvoll Männer ab, die der Zufall einer Wahlkampagne zur Macht gebracht hat. Ihnen fehlt genügend Verantwortungsgefühl. Parlamentarische Regierung ! Es klingt sehr schön, ist aber nur eine Farce geworden ! “

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Montag, d.22.Febr. Herr v.Schönebeck kommandiert ein Offiziersgefangenenlager bei Donaueschingen, darunter drei russische Generäle. Als sie von Hindenburgs Erfolg in Ostpreussen hörten, sagten sie: „ 50 000 Gefangene, was ist denn das ? Wir haben noch Männer und Männer und Männer ! Und Munition ? Wir haben 18 Jahre lang Munition gemacht für diesen Krieg.-„ Der Mann hat sicher recht. Unter den Engländern sind zwei Hauptleute von den Scots Guards und Coldstreams. Sie sind sehr deprimiert und entrüstet, dass sie einen Raum mit ihren lieben russischen Alliierten teilen müssen. „Oestlicher Kriegsschauplatz.(W.T.B.) Die Gesamtbeute aus der Winterschlacht in Masuren stieg bis heute auf: 7 Generäle, über 100 000 Mann, über 150 Geschütze. Die 10. russische Armee kann als vernichtet angesehen werden.“ 93 Frau v. Eichhorn kam zum Tee und erzählte uns, dass ihr Schwiegervater erst vor drei Wochen an die Front gegangen ist. Und gleich dieser schöne Erfolg. Georgie klingelte um 4 Uhr an, ich möchte nach Brandenburg kommen, da es wohl morgen los ginge. Ich fuhr um 7 Uhr ab und packte noch abends seinen Koffer.

Dienstag, d.23.Febr. Vater, Elsa und Irene kamen vormittags nach Brandenburg. -

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Nachmittags hiess es auf einmal, „der Transport geht heute nicht ab“, und, da alles fertig gepackt war, nahmen wir von Georgie Abschied und fuhren nach Berlin zurück.

Mittwoch,d.24.Febr. Georgie rief an, dass sie Donnerstag früh um 7 Uhr abfahren.

Donnerstag, d.25.Febr. „ Eine Million Kriegsgefangene.“ „ Die Zahl an Kriegsgefangenen in deutscher und österrreichisch-ungarischer Verwahrung nach der siegreichen Schlacht in Masuren beläuft sich auf über eine Million.“ Jetzt, wo Ostpreussen russenfrei ist, kommen die Berichte über die Zustände in den Städten und Dörfern. Man kann sich keinen Begriff von der Zerstörung machen, und nicht etwa Zerstörung durch unvermeidliches Artilleriefeuer. In den Häusern ist überhaupt nichts mehr vorhanden, weder Möbel,noch Kleider, noch Wäsche, nur ein nicht zu beschreibender Schmutz. Und doch sagte Mr.Stephan Graham (Times 24.Febr.) „In Russland hat sich der Geist des reinen Christentums erhalten und mit der Erwachung Russlands wird ein neuer Frühling nach Europa kommen, um uns neues Leben und neue Hoffnung zu bringen.“

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Freitag,d.26.Febr. In Flandern ist das Wetter sehr milde, und unsere Truppen pflügen und säen und bauen neue Wege. Dr.Paul Wallich hat sich von seinem Vater grosse Mengen Gemüse-Samen schicken lassen.

Sonnabend,d.27.Febr. Diese Woche zum ersten Mal „Brotmarken“. 4 Pfd.Brot und Mehl pro Kopf und Woche.

Sonntag.d.28.Febr. In ihrem Kommentar über die Winterschlacht in den Masuren sagt die Times am 19.Febr.: Wenn die russischen Verluste in Ostpreussen auch schwer sind, so stehen sie nicht im Verhältnis zu den lächerlichen Berichten aus Berlin.“ Dabei wissen wir doch, wie genau Hindenburg seine Heeresberichte abfasst. Traudel ist ein paar Tage in Berlin. Sie war neulich bei Frau v.Hindenburg, die Dame, welche von Lord Northcliff als „Plünderin“ bezeichnet wurde. Frau v.Hindenburg erzählte Traudel, dass sie die Berichte erst erfährt, wenn sie in den Zeitungen stehen, und dass sie die Abendzeitung mit derselben Begierde erwartet wie andere Sterbliche.

Die Winterschlacht in Ostpreussen. Wir haben zum Schwure gehoben die Hand : Wir wollen nicht rasten und ruhen -

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Und stürben wir alle im grauen Gewand Und in den brennenden Schuhen Und lägen wir alle, in Reihen gereiht, Bei denen, die schlafend schon liegen, Wir sind mit den heiligsten Weihen geweiht Und kennen nur Sterben und Siegen. Wir wollen kein Heim, und wir wollen kein Haus, Und kennen nicht Frauen und Liebe, Bis der Russe, der Russe zum Lande hinaus Im Prasseln der klatschenden Hiebe. Wir haben im Zorne gekrampfet die Faust Und sahen verwüstete Herde, Wo immer des Zaren Kosacken gehaust Auf deutscher blühender Erde. Wir sahen Grauen und lohenden Brand Und sahen Elend und Schande Und trugen’s als Schmach: Noch sind sie im Land, Noch rast hier die trunkene Bande! Wir haben gebetet zum Herrn der Welt: Herr, leite es du in die Wege, Dass der Russe, der Russe zum Kampfe sich stellt Wir sorgen dann selbst für die Schläge! Wir haben gelegen auf Lauer und Wacht In eisigen Gräben und Bächen

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Und haben nach Hause – nach Hause gedacht Und unseren Schwur nicht vergessen. Wir haben nicht Feier und Feste gekannt, Nur Frost und nur Kämpfe und Wunden, Uns hat unser Eid auf der Seele gebrannt In tausend ringenden Stunden. Wir fanden nicht Ruhe und fanden nicht Rast, War Schlaf uns vom Auge gewichen, Bis der Russe, der Russe endlich gefasst Bis unsere Rechnung beglichen! Und ist dann gekommen der herrliche Tag Ein Tag ? Oder Tage und Wochen ? Wir haben geschlagen den hämmernden Schlag, Wir haben die Mauer durchbrochen. Wir stürmten und schlugen die heulende Brut, Ging Zeit uns und Raum uns verloren, Wir wussten nur eines mit jubelndem Blut : Wir haben’s gelobt und geschworen! Und wir schwören es wieder, vom Siege umweht: Wir wollen das Schwert nicht verwahren, Bis der Russe, der Russe um Frieden gefleht Im Knie vor den deutschen Barbaren! Karl Rosner.

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Dienstag,d.2.März Die Times vom 26.Febr. in ihrem Kommentar über die Masurenschlacht sagt : „Wenn eine grosse militärische Macht wie Deutschland angewiesen ist, wie ein wilder Bulle abwechselnd nach Osten und Westen zu jagen, so denken wir an etwas in einem Käfig!“ Wir auch – und wir möchten Hindenburg zurufen : „Gut gebrüllt, Löwe.“ Sir Edward Goschen organisiert einen “Interned British Civilians Relief Fund” und schreibt an die Times wie folgt: „In Folge meines langen amtlichen Aufenthaltes in Berlin kann ich mir sehr gut vorstellen, wie entsetzlich die Lage der vielen englischen Untertanen in Deutschland sein muss.“ Diese Schlussfolgerung ist unerhört. Während Sir Edwards’ amtlichen Aufenthalt in Berlin war er der Botschafter seiner britannischen Majestät, als solcher einer der geehrtesten Gäste des Kaisers und des Deutschen Reiches und das Haupt einer kleinen aber gut situierten englischen Kolonie. Seine damaligen Erfahrungen haben nicht das Geringste mit der jetzigen Lage zu tun. Die Engländer in Berlin haben einen viel besseren Helfer und Fürsprecher als Sir Edward, in der Person des Rev.H.B.Williams, der englische Geistliche, der unter grossen Schwierigkeiten und mit vollendetem Takt überall hilfreich eingreift, namentlich unter den Frauen und Kindern der Zivilgefangenen in Ruhleben. In London leisten Baron Bruno Schröder 94 und Gattin mit Hilfe des deutschen Pfarrers unendlich viel für die deutschen Internierten.

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Die Conzentrationslager sind, auf beiden Seiten, eine der scheusslichsten Kriegserscheinungen und ein Hohn auf unsere sogenannte Zivilisation. Die ersten Conzentrationslager gab es im Burenkrieg. Ich sage es mit Vorbehalt, da ich es nicht genau weiss, aber ich glaube, sie sind zuerst im Hirn von Lord Kitchener, Lord Herbert entstanden. Tausende von Buren-Frauen und –Kindern sind an Krankheiten gestorben, welche durch die unhygienischen Lager hervorgerufen wurden. Gräfin Schulenburg sagte mir heute, es wäre gar kein Zweifel, dass das Wrack eines englischen Schlachtschiffes, entweder „Lion“ oder „Tiger“ bei Helgoland läge. Aber indem die Admiralität einen neuen „Lion“ oder „Tiger“ in Dienst stellt, ist der Verlust vor dem Publikum leicht zu cachieren.

Freitag, d.5.März Mr.Lloyd Georges hat in Bangor zu seinen Wählern gesprochen, und sagte unter anderem : „ Russland wollte Frieden, brauchte Frieden, meinte Frieden und hätte Frieden gehalten wenn Deutschland sie in Ruhe gelassen hätte ! Der Armeechef, der Grossherzog Nicolas, ist der friedlichste Mann Europas ! “ Weiter fleht er den englischen Arbeiter an, nicht zu streiken und sich nicht zu betrinken und schliesslich hält er ihnen „the German potatos – bread spirit“ als gutes Beispiel vor. „ Instead of mocking it, we ought to enmulate it! ” Aber, damit wir ob dieses Lobes nicht eitel werden, nennt er das deutsche Heer „ a wild beast“.

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Sonnabend, d.6.März. „ (W.T.B.) Nach amtlicher Bekanntmachung der britishen Admiralität ist das deutsche Unterseeboot „U.8“ gestern abend in der Nähe von Dover durch ein englisches Torpedoboot zum Sinken gebracht worden. Die Besatzung wurde gerettet. gez. Behncke.“ 95

Montag,d.8.März. Georgie ist wieder bei seiner Escadron und hat Machnow ganz gesund angetroffen. Aber es gibt nicht viel zu reiten. Sie sitzen fest im Schützengraben. Frau Dingel klingelte an, uns zu melden, dass Pressentin die I.Klasse hätte.- Der Westen wäre nichts dagegen gewesen – der Schnee meterhoch.

Dienstag, d.9.März. Walter ist wieder in Braunschweig. Er hat die Ausbildung in Münsterlager recht genossen. Namentlich das Marschieren hat ihm grossen Spass gemacht und gar nicht angestrengt.

Mittwoch, d.10.März. Mr.Asquith hat geredet. Er denunciert die sogenannte Blockade der englischen Küste als“Seeraub und Plünderung“ und appelliert an die Neutralen, es sich nicht gefallen zu lassen. Sonst ist er ganz zufrieden mit dem Verlauf des Krieges. Lord Robert Cecil weniger. Er sagte:“ Dieses Gerede von

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“business as usual“ ist lächerlich. In diesem Krieg ist zu viel Geheimtuerei und es ist Torheit, zu reden, als ob Deutschland schon am Verhungern wäre und unsere Truppen von Sieg zu Sieg marschierten, während in Wahrheit sie schwer ringen müssen.“ Ferner ist im House of Commons eine amusante Debatte gewesen über Donnington Hall, ein altes Landhaus, welches baulich in Ordnung gebracht ist und möbliert, und nun von 350 gefangenen deutschen Offizieren und 80 Soldaten ( zur Bedienung) bewohnt wird. Die Kosten der Aenderungen u.s.w.betragen £ 8.800 und verschiedene Parlamentsmitglieder sprechen ihre Unzufriedenheit über diese hohen Kosten aus. Sicher haben die deutschen Offiziere dort ausgezeichnete Quartiere, viel besser, als die Engländer bei uns, aber wir haben beinahe eine Million Gefangene und keine leeren verfügbaren Landschlösser, denn dass die Gefangenen in Rheinsberg oder Hohengieritz untergebracht werden, ist wohl kaum zu verlangen. Mit niedlichem Humor stellte Mr.Thorne, Member for West Hao(?)n, die Frage:“ Kann das ehrenwerte Mitglied mir mitteilen, ob infolge dieser fabelhaften Behandlung die Herren je wieder den Wunsch haben werden, nach Deutschland zurückzukehren ? “ Um den Vergleich zwischen Donnington Hall und Deutschland darzulegen, bringt die Times vom 2. den Küchenzettel von gefangenen englischen Offizieren wie folgt : Frühstück: dicke Scheiben Roggenbrot, Löffel Marmelade, zwei Tassen Kaffee.

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Mittag: Wassersuppe, Brot, Scheibe Fisch oder Fleisch, Kartoffeln. Abends: Mehlsuppe, Brot, Scheibe Käse und Leberwurst, Tee ohne Milch. Natürlich ist es nicht luxuriöse Beköstigung. Aber, wenn Butter und Gemüse dazu kämen – nicht wesentlich anders, als in manchem guten deutschen Hause in diesen schweren Zeiten. Wir bekommen doch auch nur Roggenbrot und sind in der Quantität beschränkt. England kann wirklich nicht erwarten, dass wir unsere Gefangenen besser ernähren.

Donnerstag,d.11.März. Wir haben wieder ein U-Boot verloren „U.12.“ und es wird auch nicht das letzte sein. Als Gegenstück zu der Winterschlacht in Masuren haben wir auch eine Winterschlacht in der Champagne gefochten. Unser „Black Brunswicker“ hat sich fotografieren lassen, natürlich in Feldgrau von 1915, nicht in der schwarzen Uniform von 1815, aber ich nenne ihn gern so nach dem Bild von Sir JohnMillais, 96 welches, wenn ich mich recht erinnere, jetzt in der Tate Gallery in London hängt. Das Bild stellt eine Episode dar auf dem berühmten Ball der Herzogin von Rutland in Brüssel, am Vorabend von Waterloo. Bekanntlich wurden die eingeladenen Offiziere alarmiert und eine Frauengestalt in weissem Atlas schmiegt sich an den schwarzen Husar an, abschiednehmend. Vielleicht auf immer. Byron hat diesen Abend auch verewigt in einem Gedicht,

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welches anfängt:“There was a sound of revelly97 by night.“ Die Tapferkeit der Braunschweiger Husaren bei Waterloo ist in der Inschrift auf der Pelzmütze verewigt. Wellington – Blücher , French – Joffre, welche war wohl die ehrenhaftere Allianz ?

Sonnabend,d.13.März. Walter sollte heut auf Urlaub kommen. Statt dessen eine Karte aus Frankfurt a.M. Er ist mit neun anderen nach Metz unterwegs um Pferde zu holen, was ihm viel Spass macht. Die Times vom 8.März hat einen Leitartikel:“ Why we are at war“. Die Times erklärt, dass England nicht für Belgien und die Verbündeten, sondern in erster Linie für englische Interessen kämpft. England hätte selbst Krieg geführt, wenn Deutschland Belgiens Neutralität respektiert hätte. Der Artikel schliesst: „Deutschlands Ziel in diesem Kriege ist, das freie englische Reich zu zerstören und auf den Ruinen ein deutsches Weltimperium von Militarismus und Bureaukratismus aufzubauen. Um uns hiervor zu schützen, griffen wir zu den Waffen. Um unsere Familien zu schützen vor Mord und Notzucht, vor der organisierten Plünderung und Brandstiftung, welche wir in Frankreich sehen“u.s.w. u.s.w. Ach, Lord Morley, Lord Morley willst du nicht, oder ein anderer Edler Deine Stimme erheben gegen den furchtbaren Lügenfeldzug, welchen Deine Landsleute und auch Amerika gegen uns

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führen ? Meinetwegen schwingt das Schwert mit Eurer altbewährten Tapferkeit, es ist eine ehrliche Waffe, aber um des Himmels willen nicht die Feder, die tötlichste aller Waffen und die einzigste, die im Stande wäre, unsere Nerven und unsere Herzen zu brechen. „Die Lüge ist unser einziger Feind in der Welt,“ sagt Carlyle. Gibt es ein dümmeres Sprichwort als das deutsche „Lügen haben kurze Beine“, und ein wahreres als die englischen „Nothing dies so hard as a lie“, und „ The pen is mightier then the sword“, letzteres stammt übrigens von Bulwer Lytton. Lest unsere Zeitungen, England, haben wir je von Plünderung, Notzucht und organisiertem Barbarismus seitens des englischen Heeres gesprochen ? Niemals, und in Eurem innersten Herzen müsst Ihr auch wissen, dass Ihr lügt.

Sonntag,d.14.März. Der deutsch-französische Austausch von kriegsuntauglichen Gefangenen findet jetzt statt. Habe eben einen Bericht eines Schweizer Mitgliedes des Roten Kreuzes gelesen, der beide Transportete begleitete. Die französischen Gefangenen auf ihrer Fahrt durch Deutschland wurden überall mit der selbstverständlichen ruhigen Höflichkeit empfangen, wie man eben einen ehrbaren und namentlich hilflosen Feind behandelt. Im Gegensatz hierzu sagt der Schreiber, er würde nie vergessen, wie die deutschen Gefangenen in Frankreich, blind oder verkrüppelt, wie sie waren, behandelt wurden. Wohl verstanden, nicht von französischen Soldaten, ihre

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Haltung war immer anständig und korrekt. Aber die Zivilbevölkerung, Mann,Frau, Kind, wäre geradezu bestialisch gewesen in ihrer Wut. Offiziere hätten öfters versucht, das Volk zurückzuhalten und ihm zugerufen :“ Soyez sages je vous en prie“ aber es hätte nichts genützt. “ Man kann nicht einmal der Zivilbevölkerung die Schuld geben“, schliesst der Berichterstatter. “ Die Pariser Presse hat es zu gut verstanden, ihre niedrigsten Leidenschaften zu entfachen.“ Heute besuchte uns Hermann Brüning. Er ist mit seinem Lazarettzug aus Mlawa in Polen gekommen und fährt Donnerstag nach dem üblichen reinigen und desinfizieren dorthin zurück.

Donnerstag,d.18.März. Am 16.März wurde bei einem bei Givenchy gefangenen Soldaten des ersten englischen Armeekorps Sir Douglas Haig’s 98„Special Order to the first army“ gefunden. Darin steht, dass 48 englische Bataillone die Front angreifen werden an einer Stelle, wo nur drei deutsche Bataillone stehen und dass die Deutschen höchstens vier Reservebataillone werden heranbringen können. „At no time in this war has there been a more faourable moment for us, and J feel confident of success. The extent of that success must depend on the rapidity and determination with which we advance. Remember we are fighting to preserve the British Empire and to protect our homes against the organized savagery of the German army.” (sd. ) D.Haig. Hier steht es schwarz auf weiss, welcher furchtbaren Ueber-

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macht wir auch an der Westfront gegenüber stehen.

Freitag, d.19.März. Bernard Shaw schreibt in „the Nation“ wie folgt: „ Wir brauchen zwei Dinge: Erstens Resolute Unterdrückung unseres skandalösen Benehmens vor dem Feind und zweitens: Beweisführung, dass wir wohl kämpfen können, aber in Friedenszeiten auch gute Freunde und sichere Nachbarn sind. Das schlimmste sind unsere skandalösen Pseudopatrioten, ihre giftige Rachsucht, ihre unausstehlichen Beteuerungen eigener heiliger Gerechtigkeit und der Niedertracht jedes anderen. Der unmännliche Schrecken und die Panik, wenn irgend jemand sich wie ein Gentleman benimmt, muss uns vor den Nationen erröten lassen und ich bitte hiermit in ihrem Namen die Deutschen um Verzeihung, wenn es soweit gekommen ist, dass „Manchester Guardian“, der nie den Kopf verloren hat und zu Anfang des Krieges die Würde der englischen Nation und Presse besser verteidigte als irgend ein anderes Blatt, öffentlich beweisen musste, dass es kein deutsches Blatt sei, um das Geschrei der Kanaille zum Schweigen zu bringen, während „Daily Express“ für ein patriotisches Blatt gilt und vielleicht absurd genug ist, sich auch selbst dafür zu halten. Es wird Zeit, mit fester Hand die Ordnung wieder herzustellen. Nur der Ruf, dass wir Vernunftgründen zugängig sind, kann uns davor bewahren, dass sich Europa schliesslich zusammentut zum Schutz gegen Russland einerseits und England andererseits. Solch eine Kombination ist vor dem Kriege schon

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einmal von einem Deutschen vorgeschlagen worden. Wir haben keine Ahnung, wie wir gefürchtet sind. Ausser für Wahnsinnige, die solche Dinge wünschen, muss die Parole für jeden Engländer lauten : Benehmt Euch anständig !“ Das ist ein gutes Wort zur rechten Zeit. Aber leider stehen die Ansichten von Duke und Marquises und Prime Ministers in England viel höher im Kurs als die der „Dichter und Denker“, namentlich wenn der Dichter und Denker noch dazu ein Irländer ist, wie Bernhard Shaw. Walter schreibt begeistert von seiner Fahrt nach Metz. Zum ersten Male sah er Rhein und Mosel und wünschte nur, es wäre Frühling. Sie führten 101 Pferde heim, meistens französische Beutepferde, viele mit Schusswunden und Stuten mit Fohlen. Sie werden für landwirtschaftliche Zwecke verauktioniert. Es hat heftig geschneit heute, und in zwei Tagen ist doch Frühlings Anfang.

Sonnabend, d. 20.März. Memel ist wieder von den Russen besetzt, was ich schweren Herzens niederschreibe. Man hatte doch gehofft, Ostpreussen würde nicht wieder behelligt werden. Welche verzweifelte Arbeit für Hindenburg und seine Truppen. Es wird täglich gekämpft gegen russische Uebermacht, gegen Kälte, tiefen Schnee, Ungeziefer, von Hunger garnicht zu reden, wegen der Transportschwierigkeiten in dieser Jahreszeit. Granny und Helen sind zu Schiff nach Madeira. Helen hat

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einen leichten Lungenknacks gehabt und soll sich dort ganz erholen. Granny schreibt, sie hoffe unterwegs keinen U-Booten oder Minen zu begegnen, was wir von Herzen ebenfalls wünschen.

Montag,d.22.März. Georgie schreibt, es wäre entsetzlich kalt in den Schützengräben gewesen. Jetzt sind sie weitergerückt. Wohin schreibt er nicht. Pressentin schreibt von Grodno, die Zerstörung in Ostpreussen wäre nicht mit Worten zu beschreiben, und hinter der Grenze die russischen Dörfer – unberührt ! Ilse war in Braunschweig, um sich von Dieter zu verabschieden der nach dem Westen gegangen ist.

Dienstag, d. 23.März. Berlin,21.März (W.T.B.) „Die heute vorliegenden Ergebnisse der Kriegsanleihezeichnung erreichen neun Milliarden Mark“. 99 London, 20.März. „Auf der Tagung des Verbandes britischer Seidenindustrieller führte der Ehrenpräsident Sir George Birwood aus, die traurigste Erscheinung im Weltkriege sei die Sprache der englischen Presse gegenüber Deutschland. Wenn wir solche Worte hören – es passiert ja nicht sehr häufig – so ist es wie ein linder Frühlingsregen.

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Mittwoch,d.24.März. Die Russen sind wieder aus Memel vertrieben und 3000 Zivilisten, Männer, Frauen und Kinder, welche sie verschleppt hatten, sind befreit worden. Aber Przemysl – die stärkste österreichische Festung in Galizien – hat kapituliert, wegen Proviantmangel. Das Ergebnis wird sein, dass 120 000 Russen frei werden, um über die Karpathen zu schwärmen und an der serbischen Front unsere Schwierigkeiten zu vergrössern.

Sonnabend,den 27.März. Im „Manchester Guardian“ veröffentlicht Herr R.Kingston Fox einen Brief, in dem es heisst: „Die Erklärung von Nahrungsmitteln als absolute Konterbande bedeutet nichts anderes, als das Bemühen, Deutschland durch Aushungerung niederzuringen. Das ist nicht ein Krieg gegen die militärischen Kräfte und die Regierung von Deutschland, sondern ein Krieg gegen die ganze Nation, Frauen, Kinder, Greise und Kranke und selbst gegen die Tiere. Gibt es irgend ein Beispiel für eine derartige Handlung in der modernen Geschichte ? Und selbst wenn es ein Beispiel gäbe, lässt sich ein derartiges Handeln mit den Prinzipien der Menschlichkeit und der Ehre vereinbaren ? Unser Land, das wir lieben, und von dem wir hoffen, dass es die Führung in den sittlichen Idealen übernimmt, steht vor dem Richtstuhl der Weltgeschichte. Soll der Krieg dazu dienen, uns zu Taten zu veranlassen, die einstens auf Englands Ruf einen Flecken werfen ?“

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Mr. Kingston Fox lebt in London. Seinen Brief hat er aber an den “Manchester Guardian” schicken müssen. Kein Londoner Blatt, mit Ausnahme eines ganz links gerichteten Arbeiterblattes, hätte es ihn veröffentlicht. Mr. Frederic Harrison schreibt: „Es möge deutlich verstanden sein, dass, wenn die Verbündeten schliesslich diese scheussliche Bande (die Deutschen) zermalmt haben, Kaiser Wilhelm, falls er noch leben sollte, der Degradierung unterworfen werden muss, welche Dreyfus hat erleiden müssen. In Gegenwart der verbündeten Truppen soll ihm sein bluttriefendes Schwert auf seinem feigen Rücken zerbrochen werden, und man wird die Uniform und die Orden, auf welche er so kindisch stolz ist, in den Kot treten. Und wenn er dies durchlebt hat, soll St.Helena oder die Teufelsinsel sein Gefängnis und sein Grab werden.“ Die Deutsche Bank hat eine Dividende von 10 % erklärt.

Palmsonntag,d.28.März. Nach Wannsee, zu Barbaras Einsegnung. Es war bitterkalt und schneite.

Montag,d.29.März. Canon Lyttleton, Head Master of Eton College, hat in einer Predigt folgendes gesagt: Nichts von dem, was wir tun können, um den Frieden in Europa aufzurichten, würde den geringsten Wert haben, wenn wir nicht

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beweisen, dass wir bereit sind, nach dem Grundsatz zu handeln, dass jede Nation allen anderen volles Vertrauen entgegenbringen und der Zeit entgegensehen soll, in der es ihr erlaubt sein wird, nach ihrer Weise das Leben zu entwickeln. Wenn England nicht vortritt und sich erbötig macht, aus demselben Grunde, den es anderen aufzwingen will, seinerseits Konzessionen zu machen, so würde man es mit Recht für einen Erzheuchler erklären. Bedeutende Männer waren dafür, dass England, wenn die Internationalisierung des Kieler Kanals verlangt würde, damit das Versprechen verbinden solle, auch Gibraltar zu internationalisieren. Andere einflussreiche Männer, denen er diesen Plan vorgetragen habe, meinten, England könne nichts tun, wodurch die Stärke des Reiches beeinträchtigt würde. Wenn England an allem festhält, was es sich in der Vergangenheit angeeignet hat, darunter an Besitzungen, die durch sehr fragwürdige Mittel erworben worden sind, und erklärt, dass es keinen Zoll des Bodens und kein einziges Vorrecht aufgeben will, so sagt es sich von den Grundsätzen des Christentums los. England ist verpflichtet, keinen Zweifel darüber zu lassen, dass, wenn die Gelegenheit kommt, es willens ist, die Rolle der verlässlichen Nation zu spielen, die zu Opfern bereit ist.“

Dienstag,d.30.März. Die Englischen Zeitungen zitieren immer Ernst Lissauers 100 „Hassgesang gegen England“. Meiner Ansicht nach ist es ein scheussliches, geschmackloses Gedicht, im selben Stil wie der geradezu

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lächerliche Gruss „Gott strafe England, er strafe es“, den einige Leute zu gebrauchen belieben. Aber das sind wirklich auf dem Gebiet unsere schlimmsten Sünden, während in England und Frankreich die besten Namen, die klügsten Köpfe, die gewandtesten Federn – Rudyard Kipling, the poet laureate – Conan Doyle, Hall Caine, Anatol France, Maeterlinck und viele viele andere miteinander wetteifern, Deutschland mit Schmutz zu bewerfen. Vater hat heute einen Mr. Waddington, einen Südamerikaner getroffen. Er sagt, die Londoner Strassen wären nachts ganz finster aus Furcht vor Zeppelinen. Ich glaube, sie haben wenig zu fürchten. Man sagt (ob es wahr ist, kann ich natürlich nicht beurteilen), der Kaiser habe verboten, Bomben auf die Hauptstadt seiner verehrten verstorbenen Grossmutter zu werfen.

Mittwoch,d.31.März. Wieder geht ein Monat zu Ende – er ist der schwerste zu ertragen gewesen seit Kriegsanfang. Die militärische Lage,mehr oder weniger zum Stillstand gekommen, die furchtbare russische Uebermacht, der Fall von Przemysl, die häufige Unfähigkeit und schlechte Organisation des österreichischen Heeres, das Bewusstsein, dass Amerikamit der herzlichen Zustimmung von Präsident Wilson täglich für Millionen Dollar Munition nach England und Frankreich schickt, die unsichere Haltung Italiens, der furchtbare Lügenfeldzug der Feinde, ist das nicht genug, um schwerste Sorgen in uns aufkommen zu lassen ? Walter erschien auf drei Tage Urlaub. Er hat den Garnisondienst herzlich satt.

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Donnerstag,d.1.April. Die Fahnen Bismarcks 100.Geburtstag zu Ehren. Ganz Deutschland grüsst den eisernen Kanzler, in eiserner Zeit.

B i s m a r c k. (Zum 1. April 1915) Nun tragen leises Frühlingsahnen Die Winde von des Südens Meer; Durch schlanker Birken weh’nde Fahnen Streicht flussentlang der Kiebitz her. Vom Waldhang lacht die Anemone, Den alten Brutplatz sucht der Star Und seine erste grüne Krone Flicht sich der junge Lenz ins Haar. Doch wie die Frühlingswölkchen wandern, Mit denen heim die Lerche kehrt Die deutsche Jugend hält in Flandern Traumlos die Wacht, die Hand am Schwert; Wacht, wo an den zertretnen Stäben Der Rebstock der Champagne dorrt; Wo aus des Ostens Schützengräben Der Mörser kracht sein eisern Wort. Da ist’s wie tiefes Atemholen, das Herz erhebt sich weihestill; Es schwebt ins Land auf weichen Sohlen

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Die erste Lenznacht des April. Das ist die Nacht, da Traum und Sage Sich rang zu Taten sonnenklar, Das ist die Nacht vor jenem Tage, Der Deutschlands grössten Mann gebar. Und die im West’ die Waffen halten, Und die durch Aecker pflügend gehn, Und die im Osten Schädel spalten, Und die im Sturm der Dünen stehn, Und die umfahren Riff und Klippen In eines Panzers Eisenhaus, Die sprechen mit geweihten Lippen Nur einen teuren Namen aus; Die huldigen den hehren Manen Des Helden, dessen Wächterruf Der tiefsten Sehnsucht unsrer Ahnen Die Wahrheit und Erfüllung schuf. Der, als das Blut die Fluren netzte, Der Stämme Kraft zusammenschmolz, Der Deutschland in den Sattel setzte, Auf dass es reite stark und stolz. Und ob die Feinde dräu’n und stürmen, Deutschland ist einig, wo es ficht -

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Durch dunkle Nacht von hohen Türmen Loht freudig unsre Zuversicht. Sie huldigt stumm dem edlen Gründer Des Reichs, von Tücken heut umkreist, Das siegreich schirmen seine Kinder In Bismarcks Geist, mit Bismarcks Geist! Rudolf Presbar 101.

Heute brachte Vater, der zwei Tage in Schönholz war, unseren schönsten, stolzesten, weissesten Puthahn mit. Wir werden wohl nach und nach das Geflügel abschlachten müssen, da wir kein Korn haben, um es zu füttern. Folglich legen sie herzlich wenig Eier, und wir werden wenig Küken ausbrüten können.

Charfreitag,d.2.April. Nach der Kirche versuchten wir am Bismarck-Denkmal die Kränze und den Blumenschmuck zu sehen, aber das Gedränge war zu gross, und der Wind zu eisig.kalt, um lange zu warten.

Dienstag,d.6.April. Die Times hat einen Leitartikel zu Bismarck’s 100.Geburtstag und sagt, er hätte wie Friedrich der Grosse und Napoléon ein Gedächtnis hinterlassen von Arroganz, Treulosigkeit, Cynismus und Brutalität, welche den moralischen Sinn seiner eigenen Rasse erniedrigt.

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Wie anders klang im Jahre 1890 im „Punch“ das wundervolle Gedicht mit dazugehörigem Bilde „Dropping the Pilot“. Canon Lyttleton ist wegen seiner Predigt (siehe S. 172) von der Londoner Presse sehr heftig angegriffen worden. Er hat einen Brief an die Times folgen lassen, der so schliesst : (29.März) „Nothing has stiffened the enemys resolution so effectively as the two main utterances we have all indulged since August last – incessant sneering and empty bombast about “pulverizing” a great nation.”

Mittwoch,d.7.April. Weddigens 102 Untergang. „Was in den letzten Stunden leider erwartet werden musste, ist nunmehr zur schmerzlichen Gewissheit geworden. Otto Weddigen, einer der erfolgreichsten deutschen Seehelden, hat mit der Mannschaft des U.29 den Tod in den Wassern der Nordsee gefunden. Amtlich wird von W.T.B. gemeldet: S.M.Unterseeboot U.29 ist von seiner letzten Unternehmung nicht zurückgekehrt. Nach einer von der britischen Admiralität ausgehenden Nachricht vom 26.März soll das Boot mit der ganzen Besatzung untergegangen sein. Es muss danach als verloren betrachtet werden. gez. Behncke“ 103 Dies ist ein schwerer Schlag, aber nicht ganz unerwartet. Die englische Admiralität sagte am 26.März: „We have reason to believe that U.29” etc.etc. Das klingt nicht als ob U.29 ein legitimes Ende gefunden hätte seitens eines englischen Schlachtschiffes.

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Wahrscheinlich ist sie zum Sinken gebracht worden durch ein bewaffnetes Handelsschiff, unter neutraler Flagge fahrend. Wie es auch sei. Wieder ist eine tapfere Mannschaft untergegangen.

Montag, d.12.April. Am 1.April befanden sich in deutscher Gefangenschaft 812 808 Köpfe (W.T.B.) 104

Mittwoch,d.14.April. Georgie schreibt aus Studzianski. Augenblicklich sind sie nicht im Schützengraben. Er legt mit 12 Mann einen Gemüsegarten an. Gott sei Dank. Granny und Helen sind glücklich in Madeira angekommen. Sie sind ohne Schaden durch die Minen und U-Boote durchgeschlüpft, von zwei Torpedobootszerstörern begleitet. Der Kapitän hatte gesagt, er begriffe nicht, wie jemand, der es nicht absolut müsste, in diesen Zeiten reisen könnte.

Donnerstag, d.15.April. Es gibt keine Arbeitslosigkeit jetzt in Berlin. Alle sind zum Heere einberufen. Der“ungediente Landsturm“, welcher alle Gesellschaftsklassen bis 38 Jahre umfasst, ist überall aufgerufen. Sie müssen Gefangene bewachen, oder Festungsarbeiten machen, oder tote Russen in den Masuren begraben. Manch eleganter Rechtsanwalt oder Schauspieler oder langhaariger Musiker schippt jetzt

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zehn Stunden am Tage Sand – für seine Gesundheit glänzend, viel besser als Karlsbad oder Kissingen. Die Zugführer sind Frauen und tausende arbeiten in den Munitionsfabriken. Ich fragte neulich Herrn von dem Becke, der an der Heeresfabrik in Spandau ist, ob wir genug Munition haben würden und er antwortete:“ Soviel, wie wir machen, können wir unmöglich verschiessen.

Freitag, d.16.April. Karlsruhe, 15.April. „ Heute Mittag kurz vor 12 Uhr erschien über Freiburg i.B.wieder ein feindlicher Flieger, der insgesamt 5 Bomben über die Stadt abwarf. Durch Bombensplitter wurden auf der Strasse zwei Männer und vier Kinder getötet, zwei Männer und acht Kinder schwer verletzt und eine Anzahl Schulkinder leicht verletzt. Zwei Bomben blieben wirkungslos. Bereits in der vorigen Nacht gegen 12 Uhr waren drei feindliche Flieger erschienen. Wie man hört, sollen sie gleichfalls Bomben abgeworfen haben, die jedoch keinen Schaden anrichteten.“

Sonnabend,d.17.April. Um 8 Uhr fuhr ich von Berlin ab, um einige Tage bei Tante Marie in Freiburg zu verleben. Vater und Elsa waren etwas ängstlich. Aber wenn Granny und Helen die U-Boote riskieren, werde ich doch nicht vor einem Bombensplitter Angst haben. Elsa vermahnte mich:“Immer nach oben gucken“, was ja in allen Lebens-

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lagen kein schlechter Rat ist. Von Berlin bis Frankfurt goss es unaufhörlich. Der Zug war voller Soldaten. Berliner Garde, welche in Frankfurt nach Mülhausen ausumstiegen. Ihre Viele Regimenter sind von Flandern nach dem Elsass heruntergekommen, wo anscheinend jetzt schwer gekämpft wird. In Frankfurt war auf einmal der Frühling da. Alles grün, und die Obstbäume in Blüte. 8,30 Uhr war ich in Freiburg. Der Bahnhof stockdunkel, wegen der Flieger.

Sonntag,d.18.April. Ein himmlischer Tag. Für einen Ausflug wie geschaffen. Wir fuhren mit der Elektrischen nach Günterstal und gingen auf die Luisenhöhe, überall die schönsten Aussichten. Wir assen draussen zu Mittag, als Begleitung immer den dumpfen Kanonendonner jenseits des Rheins vor den Vogesen. Abends zeigte mir Tante Marie Herberts letzten Brief, geschrieben in glänzendster Stimmung, am Tage nach der Schlacht von Coronel. Man hat ihr sein Eisernes Kreuz geschickt, welches dem ganzen Geschwader verliehen wurde. Plötzlich um halb zehn ertönten die Abwehrkanonen vom Schlossberg. Flieger ! Wir knipsten das Licht aus und öffneten die Fenster und Läden. Wieder ein Schuss. Dabei blieb es aber. Es erfolgte kein Maschinengewehrfeuer und war wohl ein falscher Alarm. Die Flieger wollen natürlich den Bahnhof treffen, da jetzt so viele Truppen nach den Vogesen durchkommen, und die hiesige Aviatikstation.

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Jedes zweite Haus scheint hier ein Lazarett zu sein und in den Strassen und Vorgärten sieht man überall Verwundete, vielmehr als in Berlin. Auch die schwerverwundeten können hier überall in Freien liegen.

Montag,d.19.April. Wieder ein herrlicher Tag und wir gingen nach der Zähringer Burg. Die Wälder sind weiss von Anemonen und die Wiesen gelb von Schlüsselblumen und in14 Tagen, wenn die Buchen grün sind, wird es paradiesisch sein. Und je höher man steigt, destodeutlicher hört man die Kanonen.

Mittwoch, d.21.April. Morgens war ich im Münster und nachmittags gingen wir auf den Schlossberg, um die Abwehrkanonen zu sehen. Es war aber alles mit Stacheldraht abgesperrt. Viele Bäume sind gefällt worden, um eine klare Rundsicht zu erhalten.

Donnerstag, d.22.April. Geburtstagsbriefe von allen, mit Ausnahme von Georgie. Wir besuchten ein grosses Lazarett in der „Festhalle“. Zu Abend hatten mich Roevers in das Restaurant „zum Kopf“ eingeladen, ein altes Gasthaus, welches einst Marie Antoinette beherbergte auf ihrer Brautfahrt von Wien nach Paris. Die Höllentalstrasse wurde eigens für diese königliche Reise gebaut. Winifred sagte mir, es wäre ein englisches Flugzeug gewesen, wel-

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ches vorige Woche soviel Schaden angerichtet hätte. Sie hat die Farben unter dem Flugzeug ganz deutlich gesehen. In stockfinstrer Nacht tappten wir nachhause.

Freitag, d.23.April. Es war wieder kalt, als ich Freiburg verliess. Die Höllentalbahn ist herrlich, aber bei Hirschsprung fing es an zu schneien. Hilda holte mich in Donaueschingen ab und zum ersten Mal in meinem Leben wohne ich in einer „Penne“. Wir gingen durch den Schlosspark und ich sah zu meiner Genugtuung, dass Fürst Fürstenberg seine grossen Rasenflächen mit Kartoffeln bestellt hat.

Sonnabend, d.24.April. Wir gingen ins Schloss, um die Bildergalerie des Fürsten zu sehen. Die Bilder standen aber alle im Parterre, Gesicht gegen die Wand, als Vorsichtsmassregel gegen Flieger, die mir aber unnötig vorkommt. Nachmittags machten wir einen langen Spaziergang. Es war kalt und dieser Teil vom Schwarzwald hat für mich etwas düsteres.

Sonntag, d.25.April. Wir verliessen Desch um 8 Uhr bei grauem Himmel, aber als wir nach Singen kamen, war es das herrlichste Wetter. Ich hatte mich auf die Besteigung des „Hohentwiel“ gespitzt, aber leider ist es für Militärzwecke abgesperrt. Wir fuhren also weiter nach

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Constanz, wo ich seit meiner Hochzeitsreise vor 23 Jahren nicht war. Wir machten einen langen Spaziergang am See entlang und pflückten „Gentiana verna“. Viele Ruderboote auf dem See an diesem herrlichen Sonntag, aber nur bis zu einer gewissen Grenze – dann kommt die Schweiz. Hier auch so unendlich viel Verwundete und tausende von Landstürmern, hier an der Grenze. Wir tranken im Inselhotel Tee, leider ist dieses schöne alte Hotel, welches einst ein Kloster war, modernisiert worden. Aus dem Refektorium ist jetzt dieser der unvermeidliche Teeraum geworden.

Montag, d.26.April. Ich verliess Donaueschingen in aller Frühe. Die Schwarzwaldbahn über Triberg nach Offenburg war ganz herrlich, nur wünschte ich mir weniger Tunnel. Alles stand in schönster Blüte, und ich musste an die Fahrt im vorigen April denken, von Verona nach München mit Walter. Zwischen Mannheim und Mainz sah man viele französische Gefangene in den Feldern arbeiten, erkennbar an ihren roten Hosen und Mützen. In Mainz hatte ich zwei Stunden, um den Dom zu sehen, der von aussen ja enttäuschend wirkt, so umbaut ist er von Häusern. Die Fahrt von Mainz bis Coblenz am linken Rheinufer war bezaubernd und um 7 Uhr war ich in Oberlahnstein. Bei Mondschein ass ich auf dem Hotelbalkon Abendbrot, ein Soldat sang „Die Wacht am Rhein“. Es war alles, wie es sein sollte.

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Dienstag,d.27.April. Morgens liess ich mich nach Kapellen übersetzen, ging nach Stolzenfels herauf und genoss die herrliche Aussicht. Um 2 Uhr fuhr ich nach Nassau, da Ich hegte schon lange den Wunsch hegte das Lahntal kennen zu lernen. Das Hotel, wohin ich Briefe bestellt hatte, war Lazarett geworden,so ging ich ins „Kurhaus“ und bat um ein Zimmer. Ohne es zu wissen, war ich in einer Nervenheilanstalt gelandet. Aber die sehr eleganten Damen, die die Sache leiteten, gaben mir ein Zimmer unter der Bedingung, dass ich mich der Hausordnung fügte: Es ist glänzend aufgezogen, sehr gute Verpflegung, Bedienung - . Aber das Licht geht um 10,15 Uhr aus (damit man im Bett nicht lesen kann), während gewisser Ruhestunden darf man nicht klingeln u.s.w. Jede Sorte Bäder und Massage sind zu haben. Mich wird das alles weiter nicht stören.

Donnerstag, d.29.April. Zwei genussreiche Tage liegen hinter mir. Ein immerwährendes Panorama von lachenden Tälern, knospenden Buchenwäldern, laufenden Bächen, ehrwürdigen Schlossruinen, blühenden Obstbäumen. Wetter:Juli, beinahe zu heiss. Ich treffe kaum eine Menschenseele auf meinen Wanderungen, höchstens mal einen ganz alten Mann oder eine alte Frau, die auf den Feldern arbeiten. Mit einigen unterhielt ich mich.“Es sind eben so viele Feinde“, sagte mit Würde eine alte Frau. Damit ist die Sache erledigt. Seit drei Tagen fahren Transporte Tag und Nacht ostwärts

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durch das Lahntal. Einige Minuten vor jedem Zuge patrouilliert eine Maschine den Bahnkörper, dann kommt der Zug, häufig aus offenen Loren bestehend, mit Kanonen, Autos, Karren, Omnibussen, Proviant, Rote-Kreuz-Wagen u.s.w. Die Züge fahren so langsam, dass man alles ganz deutlich sehen kann und ununterbrochen wehen die Mannschaften kleine Fahnen. Der Arzt will wissen, dass Hindenburg um 60 000 Mann gebeten hätte habe für kommende Operationen und sagte mir, dass diese Bahn von grosser strategischer Bedeutung sei. Im Westen wird bei Ypern bitter gekämpft. Die kanadischen Truppen haben böse Verluste erlitten, wie ich aus den englischen Verlustlisten sehe.

Freitag, d.30.April. Früh nach Ems gefahren. Nach einem zweistündigen Weg durch herrliche Buchenwälder war ich in Frücht, wo Freiherr v. Stein begraben liegt. Eine alte Frau zeigte mir die Kränze, welche vor zwei Jahren auf der 1813 Centenarfeier am Grabe niedergelegt wurden, einer von einem Kommittee von Deutschen in New York.“Ja, wenn die Amerikaner nicht so geldgierig wären, hätte dieser Krieg vielleicht ein Ende“, sagte diese einfache Frau. Ems ist wunderschön, muss aber im Hochsommer sehr, sehr heiss sein. Die Transporte haben aufgehört und die Kurhauspatienten in ihren Liegestühlen im Garten haben wieder Ruhe.

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Sonnabend, d.1.Mai. Ich nahm Abschied von Nassau und war mittags in Marburg. Die Stadt liegt sehr schön an der Lahn und schlängelt sich den Berg herauf bis zum Schloss. Die Elisabethkirche, reine Frühgotik, ist erbaut an der Stelle, wo die Bahre der heiligen Elisabeth gestanden hat. Es war sehr war und es genügte mir, Universität und Schloss von aussen anzusehen. Ich ging in den Wald und um 6 Uhr fand ich mich in dem Dörfchen Marbach. Im Gasthof, wo die Marburger Wache einquartiert ist, bekam ich Kaffee und Kommissbrot und Butter. Es war ein wunderbarer, friedvoller Abend, ein Soldat sang „Aus der Jugendzeit“, Kinder spielten umher und Frauen in der hübschen hessischen Tracht sassen vor den Türen. Ich dachte an jenen anderen Sonnabend abend, den ersten, vor neun Monaten, als wir mit angehaltenem Atem auf das warteten, was kommen sollte.-Ich musste mich endlich losreissen und nach der Stadt zurückschlendern, die schönen vierzehn Tage Ferien sind zu Ende.

Sonntag, d.2.Mai. Von Marburg nach Berlin. Kurz vor Kassel passierten wir ein grosses Gefangenenlager, Russen und Franzosen. Sie sassen in der Sonne und winkten Grüsse. Lord Kitchener, Lord Herbert, Mr. Winston Churchill und andere haben sowohl im Oberwie im Unterhaus sich sehr stark ausgesprochen über die Art und Weise der deutschen Gefangenenbehandlung. Ein

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Punkt wird hierbei übersehen. Die englischen Soldaten sind an eine viel luxuriösere Kost gewöhnt, als die deutschen. Das englische Kommissariat ernährt seine Truppen in für unsre Begriffe verschwenderischer Weise. Namentlich ihre französischen Alliierten haben sich darüber gewundert. Der Engländer bekommt mehr Fleisch als der Deutsche und soviel Butter, Marmelade und Biscuits(Cakes) wie er haben will. Der deutsche Soldat bekommt mittags und abends seine Feldküche und sein Kommissbrot. Aufschnitt muss er sich selbst kaufen oder ihn sich von seiner lieben Mama oder Frau schicken lassen. Unsere Pakete an Georgie enthalten ja immer Butter, Fleischpasteten oder derartiges. Natürlich bekommen die Gefangenen dasselbe Kommissbrot wie unsere Soldaten. Aus diesem Grunde sagt Lord Kitchener, Lord Herbert, dass Deutschland sich in einer Weise benehme, welche die Derwische beschämen würde. (Was das anbetrifft, so muss Lord Kitchener, Lord Herbert selbst am besten wissen, wie er die Derwische nach der Schlacht von Omdurman behandelt hat !) 105 Diese Beschimpfungen sind wohl in erster Linie im Interesse der Rekrutierung. Auf einer Versammlung im Interesse der Rekrutierung. Auf einer Versammlung im Interesse der Rekrutierung in Fulham wurde ein Brief verlesen, angeblich von einem englischen Gefangenen, welcher schrieb, er wäre geprügelt worden, von Bajonetten erstochen und an Stacheldraht angebunden. Resultat - - - zehn Rekruten !!! Lord Esher hat an die „Morning Post“ einen sehr ernsten Brief über die augenblickliche Lage geschrieben. Er sagt“Deutschlands grosse Stärke liegt in der Einfachheit und Einheitlichkeit

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ihres Zieles “. Das stimmt, wir wollen doch nur in Ruhe gelassen werden und uns verteidigen dürfen und wir sind Lord Esher dankbar für dies wahre Wort. Weiter sagt Lord Esher:“ Russlands Ziel ist, Deutschland zu schwächen, um einen mächtigen Sklavenstaat aus am Balkan zu errichten, - und Konstantinopel zu nehmen. “ Aber solche vernünftigen Stimmen haben jetzt nicht den geringsten Einfluss. Um auf die Gefangenenbehandlung zurückzukommen. England brachte die gefangenen deutschen U – Boot-Besatzungen erst in Einzelhaft. Dann kamen Gegenmassnahmen seitens Deutschland. So wird es immer weiter gehen. Wäre doch alles vorbei und die englischen Gefangenen könnten zu ihrem schönen Weissbrot und Toast und Orange-Marmelade zurückkehren !

Montag, d.3.Mai. Südöstlicher Kriegsschauplatz. Im Beisein des Oberbefehlshabers,Feldmarschall Erzherzog Friedrich und unter der Führung des Generalobersten von Mackensen haben die verbündeten Truppen gestern nach erbitterten Kämpfen die ganze russische Front in Westgalizien von nahe der ungarischen Grenze bis zur Mündung des Dunajec in die Weichsel an zahlreichen Stellen durchstossen und überall eingedrückt. Diejenigen Teile des Feindes, die entkommen konnten, sind in schleunigstem Rückzug nach Osten, scharf verfolgt von den verbündeten Truppen. Die Trophäen des Sieges lassen sich noch nicht annähernd übersehen.“ Oberste Heeresleitung (W.T.B.) 106

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Wir haben die „russische Beilage“ der „Times“ gelesen, oder das 5.Evangelium nach St.Nikolaus ! Es berührt merkwürdig – England die Füsse des russischen Bären leckend !“Die grosse Humanität, mit der Russland die besiegten Deutschen behandelt (!!!) Das ist auch unsere Art, und das Bewusstsein, dass wir von gleichem Sinn beseelt werden, kettet uns zusammen und markiert den Abgrund, der unsere beiden Rassen von den barbarischen Traditionen Preussens trennt.“ Weiter sagt er, Ostpreussen wäre von den Russen intakt gelassen. Wie schade, dass der Schreiber nicht persönlich durch Ostpreussen geführt werden kann.

Dienstag, d.4.Mai. Frau v.Radowitz besuchte uns heute. Sie war bis vor sechs Wochen in London und hat uns viel Interessantes erzählt. Wir fragten, ob man in England wirklich die Reuter-Lügen glaube. Sie sagte „Ja, die Majorität ganz entschieden, und wenn einige Zweifel zu äussern wagen, dann heisst es immer“Aber die Zeitungen haben es doch gemeldet.“ Dann hat natürlich jedes Dorf sein belgisches Kind mit abgeschnittenen Händen. Keiner hat das Kind gesehen, es war immer im nächsten Dorf. Frau von R.hatte einen guten Bekannten am War-Office, der ihr bei ihren Passangelegenheiten behilflich war. Er sagte ihr, dass die Winterschlacht in den Masuren „most unfortunate“ wäre, denn sie hätten sich ganz auf die Russen verlassen, Deutschland zu besiegen!

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Mittwoch, d.5.Mai. Was wird Italien tun ? Man stellt die Frage mit einem gewissen stoischen Fatalismus. Die Sache ist umso unverständlicher nach unserem grossen Erfolg in Galizien und dem Fortschritt in Flandern. Walter ist wieder in Münsterlager. – Ein Kursus von sieben Wochen. -

Donnerstag, d.6.Mai. Vater frühstückte heute mit dem Unterstaatssekretär und Sir Roger Casement 107. Diese bekannte Persönlichkeit und dieser irischer Patriot ist nur von einem Wunsche beseelt: Irland von englischer Oberhoheit zu befreien ! Vor Jahren war Sir Roger noch im englischen auswärtigen Dienst. Sir Roger denkt, wie wohl das ganze Irland, mit Ausnahme von der Grafschaft Ulster , dass jetzt die Zeit gekommen ist, da England auf dem Kontinent in Anspruch genommen ist, Irland zu befreien. Auf den Kopf dieses „Verräters“ haben nun die Engländer einen Preis gesetzt. Sir Roger kommt jetzt aus Kopenhagen und hat in seinem Besitze folgenden, sehr unvorsichtigen Brief ,geschrieben und in dies i em Sinne von dem dortigen englischen Gesandten, Mr.Findlay: British Legation Christiana – Norway. On behalf of the british Gouvernement J promise that if through information given by Adler Christensen Sir Roger Casement be captured either with or without his companions, the said Adler Christensen is to receive from the British Government

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the sum of £ 5 000 to be paid as he may desire. Adler Christensen is also to enjoy personal immunity, and to be given a passage to the Unites States should be desire it. M de C.Findlay H.B.M.Minister. Mit der Hilfe seines norwegischen Dieners ist es Sir Roger gelungen, nach Deutschland zu entkommen. Vater ist der Ansicht, dass Sir Rogers Hoffnung, die amerikanischen Iren würden ihm helfen, Irland zu befreien, eine geradezu phantastische ist. Armer Sir Roger ! Ich fürchte, er wird nie wieder seine irische Heimat sehen ! Vater sagt, er wäre ein Mann von grösstem Charme, typischer Irländer mit blauen Augen und dunklen Haaren.

Sonnabend, d.8.Mai. Die „Lusitania“ 108 ist vor der irischen Küste torpediert worden auf ihrer Fahrt von New York. Das ist ja eine ganz furchtbare Sache ! Nach den heutigen Nachrichten sind nur ungefähr 600 Menschen von 2000 gerettet. Hoffentlich wird sich das als irrig herausstellen, denn es passierte am hellen lichten Tage. Natürlich ist die Torpedierung militärisch vollständig berechtigt und doch habe ich das bestimmte Gefühl, sie wäre besser unterblieben. Interessant ist, dass vor dem 1.Mai Graf Bernstorff 109in

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Washington durch die Presse eine sehr ernste Mahnung an amerikanische Bürger erliess, in dem er sie warnte, dass wegen des Kriegszustandes England-Deutschland, Amerikaner, welche den Ozean auf englischen Schiffen kreuzten, es auf ihr eigenes Risiko täten. Anscheinend ist die Warnung nur verlacht worden. In „Punch“, früher das kultivierteste von allen Witzblättern, findet sich folgende Notiz : „ The Crown Princess of Germany has been delivered of a little burglarette“. Diese Brutalität, eine Frau in ihrer schweren Stunde zu verhöhnen, setzt doch allem die Krone auf. Ich weiss nicht, ob Sir Francis Burnand noch Redakteur von „Punch“ ist. Wer auch diesen ehrenhaften Posten inne hat, hat ihn tief geschändet. Franz schreibt einen interessanten Brief aus Anvillers, wo er Etappenkommandant ist. Hinter der Front pflügen und säen und pflanzen unsere Truppen und bauen Häuser und arbeiten in Fabriken und errichten Gefallenendenkmäler. 3000 Stück Rindvieh grasen auf den fetten Weiden um Anvillers. Alles wird gemacht, um das vom Krieg zerstörte Gebiet wieder aufzubauen und um den Einwohnern Arbeit zu verschaffen. Die Bauern bekommen von uns Saatkorn u.s.w.Natürlich müssen sie ihre Produkte an die Heeresverwaltung verkaufen, was ihnen sehr schwer fällt. Franz sagt, die Kathedrale in Reims wäre durchaus nicht hoffnungslos beschädigt, aber natürlich, wenn die Franzosen sie wieder für militärische Zwecke benutzen, dann tragen sie die Verantwortung.

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Montag, d.10.Mai. „ Seine Majestät ist auf dem südöstlichen Kriegsschauplatz eingetroffen und wohnte am 8.Mai dem Gefecht der 1. Garde-Division bei (W.T.B.) 110“ Nach immer keine definitive Nachricht über die Geretteten der „Lusitania“. Am 3.Mai schreibt der Washington-Correspondent der „Times“ unter der Aufschrift „New Trick to frighten Americans“ wie folgt : „ Das Manöver ist nur ein frecher Versuch, um den englischen Handel zu stören. Wie kann die deutsche Botschaft wagen – und nicht zum ersten Mal – etwas zu tun, welches ein Verbrechen gegen das amerikanische Gesetz ist, nämlich, den Handel der englischen und französischen Schiffahrtsgesellschaften zu stören. W i r b r a u c h e n n i c h t z u b e t o n e n ,dass das amerikanische Publikum nicht durch kindische Aus A n s p i e l u n g e n a u f e t w a s , w a s ü b e r h a u p t n i c h t e x i s t i e r t (also der UBoot-Krieg) i r r e g e l e i t e t w i r d . “ Gott sei Dank, dass die Deutsche Botschaft es “gewagt” hat ! Gott sei Dank, dass Graf Bernstorff Amerikaner offiziell und inoffiziell gewarnt hat ! Nun können sie sich bedanken, bei ihrer Regierung, bei der englischen Regierung und bei der Cunard-Linie für das, was passiert ist. Die „Lusitania“ hatte kanadische Truppen an Bord und 5 400 Kisten Munition, da soll-

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ten wohl die Passagiere als Schutz dienen. Warum, in aller Welt, wurde die „Lusitania“ nicht von Kreuzern und Torpedobootszerstörern begleitet, als sie in die Gefahrzone kam ? Ach diese armen, armen, unschuldigen Menschen !

Donnerstag, d.13.Mai.

(Himmelfahrt).

In Liverpool und in London sind Deutschen gehörende Häuser und Läden attackiert und geplündert worden. Die Polizei hat keine Macht, den Mob zurückzuhalten. Eine neue Furienwelle ist in ganz England erwacht. Naturalisierte Deutsche sind gebeten worden, sich nicht auf der „Stock Exchange“ zu zeigen.

Sonnabend, d.15.Mai. Walter klingelte vom Münsterlager an und bat uns, ihn in Hannover zu treffen. Vater und ich machten uns mit dem nächsten Zug auf und wir trafen uns in Kastens Hotel. Netter Weise war Kurt v.Hartrott auf Urlaub und wir gingen alle in „Hoffmann’s Erzählungen“. – Kurt war wohl und munter und sagte, man mache sich allgemein auf einen neuen Kriegswinter gefasst. Tausende von Schlitten werden jetzt für uns in Schweden gebaut. Walter fürchtet, man könne ihn, wenn dieser Kursus vorbei ist, im Münsterlager behalten, um Rekruten auszubilden. Seine Barracke wird von einem belgischen Gefangenen bedient, der fröhlich pfeift:“ Ich bin ein Preusse, kennt ihr meine Farben ?“

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Sonntag, d.16.Mai. Wir machten alle einen herrlichen Spaziergang in der Eilenriede. Nachmittags fuhr Walter nach Münsterlager zurück und wir nach Berlin.

Dienstag, d.18.Mai. Es muss sich jetzt bald mit Italien entscheiden ! Salandra 111, Sonnino 112 u d d’Annunzio 113 haben die Leidenschaften einer politisch ungeschulten Bevölkerung aufgepeitscht und den schwachen König haben sie in der Tasche. Es hatte wenig Zweck, Fürst Bülow im vorigen August nach Rom zu schicken, englische und französische Diplomatie arbeitete schon seit Jahren auf den Krieg hin. Wahrscheinlich wird der König von seiner Frau stark beeinflusst und Madame Marconi, eine geborene Engländerin und Hofdame der Königin, wird auch die richtigen Karten gespielt haben. Die Sprache der italienischen Presse wird kaum von „Matin“ und Gaulois“ übertroffen. Heute hat Herr v.Bethmann-Hollweg 114 im Reichstag die Konzessionen bekannt gegeben, die Italien gemacht werden, wenn es neutral bleibt. Das Trentino wird ihm auf dem Tisch des Hauses präsentiert. Also, Italiens Herzenswunsch kann erfüllt werden, ohne dass ein Tropfen Blut vergossen wird.

Mittwoch, d.19.Mai. Viele jungen Mädchen arbeiten jetzt auf dem neuen Gemü-

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seland in Teltow. Sie bestellen viele Morgen mit Kohl, Salat, Kohlrabi, Erdbeeren u.s.w. Die jungen Pflanzen werden von den grossen Gärtnereien geliefert und die Damen arbeiten natürlich ehrenamtlich. Zum Umgraben sind englische Gefangene angestellt, die von einem Landstürmer bewacht werden. Sie sind etwas schlapp in der Arbeit, aber ganz vergnügt und sehr gesund. Der Landsturmmann ermahnt sie manchmal, dass sie zum Arbeiten da sind und „not to look at the ladies.“

Donnerstag, d.20.Mai. Heute trafen wir Mr.Coulter bei Mrs.Lonth. Er sagt als Amerikaner, dass der Verlust so vieler unschuldiger Menschen auf der „Lusitania“ eine der grössten Tragödien des Krieges ist. Die Torpedierung sei aber militärisch vollkommen berechtigt gewesen, nach den deutschen Warnungen der letzten drei Monate. – Die „Lusitania“ beherbergte 5400 Kisten Munition, 100 kanadische Offiziere und die Hälfte der Besatzung waren ausgebildete Marine-Kanoniere, um die Kanonen zu bedienen. Mr. Coulter sagt, es gäbe in Amerika ein Gesetz, welches verbietet, dass Schiffe, die mit Munition beladen sind, auch Passagiere befördern. Englische und amerikanische Passagiere könnten die Cunard Line verklagen wegen Nichtachtung dieses Gesetzes. Angesichts dieser Tatsache wäre die Protestnote von Staatssekretär Bryan an Deutschland eine Lächerlichkeit. Wenn die Munition nicht sofort explodiert wäre, hätte sich die „Lusitania“ lange genug über Wasser halten können, um die Passagiere

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zu retten. Trotz allem glaube ich, dass es ein falscher Schritt war, die „Lusitania“ zu torpedieren, militärisch richtig, aber diplomatisch falsch.

Freitag, d.21.Mai. Elsa und ich fuhren nach Schönholz, um die Pfingstvorbereitungen zu treffen. Flieder, Azalien, Maiglöckchen stehen in der Blüte, aber der grosse Rasen ist mit Kartoffeln bestellt, which is more useful than ornamental. Aber der umliegende Wald kann in seiner Schönheit vom Krieg nicht beeinträchtigt werden. Das englische Kabinett ist in der Umwälzung begriffen. – Wunder aller Wunder ! Es soll mit einer Koalitionsregierung versucht werden, ganz gegen alle Tradition in einem Lande, welches bis jetzt nur von einer Majorität regiert wurde -. Es hat ein grosses Wortgefecht stattgefunden zwischen Lord Fisher und Winston Churchill, wegen Antwerpen und den Dardanellen.

Sonnabend, d.22.Mai. Walter kam heute und Vater und Irene. Die arme Nannie durfte Berlin nicht verlassen.Das III.Armeekorps verweigerte ihr den Aufenthalt in Gülitz. Wir warten noch immer auf die Bombe aus Rom. D’Annunzio, trunken vor Seeligkeit, hat von den heiligen Höhen des Kapitols gesprochen. Er phantasierte von Hymnen von Glück, Blumen und

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Fahnen vor einem erregten, rasenden Mob und Lady Rodd hat von dem Balkon der englischen Botschaft Blumen und Handküsse diesem Mob zugeworfen. „Oh judgement, thou art fled to british beasts, and men have lost their reason”! Man vergleiche Rom mit seinen hochtrabenden Politikern und rasendem Mob und das ruhige, ernste Berlin im vorigen August

„ Wir sind bereit“. Sturmmächtig zieht’s in schwarzen Schwaden Von Süden her, und blutig rot Will ein Gewitter sich entladen, Das allzu lange schon gedroht. Der Hand in Hand mit uns durchmessen Als Freund die sieggekrönte Bahn, Tritt nun zum Feinde, will vergessen, was wir ihm Gutes angetan ? So gilt’s das Letzte noch zu schaffen. Wie wäre Deutschland kampfesmatt Im Völkermai, der unsre Waffen So sichtbarlich gesegnet hat ? Die Herzen hoch, ihr Frei’n und Frommen ! Gott mit uns auch in diesem Streit ! Sein Donner rollt, so möge kommen, Was kommen muss. Wir sind bereit. Caliban“

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Pfingstmontag, d.24.Mai. Das Pfingstwetter ist herrlich gewesen. Aber nicht vom Standpunkte des Gärtners und Landwirts.Denn – gibt es für Mai schlimmeres als sengende Sonne, trockener Ostwind und kalte Nächte ? Was soll werden, wenn wir eine schlechte Ernte bekommen ? Die meisten Offiziere und Soldaten, die Landwirte und Landarbeiter sind, haben für die Frühjahrsbestellung Urlaub gehabt. Carl Drenckhan war im April zuhause. Agnes schreibt, sie hätten zu säen angefangen am Morgen nach seiner Ankunft und waren fertig zwei Tage ehe sein Urlaub zu Ende ging. Winterfelds kamen zum Tennis.

Dienstag, d.25.Mai. „ La Comedia e finita ! ” Die ewige Stadt hat ihren Pfingstgruss gesendet, schamlos, frivol, ein echter italienischer stiletto in dunkler Nacht. Der neueste Coup der Alliierten, um ihre Enttäuschungen wieder gutzumachen, ist ihnen gelungen. „Der Wortlaut der Kriegserklärung“. Wien, 23.Mai 1915: Den Befehlen Seiner Majestät des Königs, seines erhabenen Herrschers entsprechend, hat der unterzeichnete königlich italienische Botschafter die Ehre, Seiner Exzellenz dem Herrn oesterreichisch-ungarischen Minister des Aeusseren folgende Mitteilung zu übergeben:

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Am 4. d.M. wurden der k.und k.Regierung die schwerwiegenden Gründe bekanntgegeben, weshalb Italien im Vertrauen auf sein gutes Recht seinen Bundesvertrag mit OesterreichUngarn, der von der k. u. k.Regierung verletzt worden war, für nichtig und von nun an wirkungslos erklärt und seine volle Handlungsfreiheit in dieser Hinsicht wieder erlangt hat. Fest entschlossen, mit allen Mitteln, über die sie verfügt, für die Wahrung der italienischen Rechte und Interessen Sorge zu tragen, kann die königliche Regierung sich nicht ihrer Pflicht entziehen, gegen jede gegenwärtige und zukünftige Bedrohung zum Zwecke der Erfüllung der nationalen Aspirationen jene Massnahmen zu ergreifen, die ihr die Ereignisse auferlegen. Seine Majestät, der König, erklärt, dass er sich von morgen ab als im Kriegszustande mit OesterreichUngarn befindlich betrachtet. Der Unterzeichnete hat die Ehre, Seiner Exzellenz, dem Herrn Minister des Aeusseren, gleichzeitig mitzuteilen, dass noch heute dem k.u.k.Botschafter in Rom die Pässe werden zur Verfügung gestellt werden und er wäre Seiner Exzellenz dankbar, wenn ihm die seinen überreicht würden. gez. Avarna.“ 115 Lady Byron schreibt an die Times, dass die verhungerten englischen Gefangenen den erschütternden Schrei nachhause schreiben: „For God’s sake, don’t forget to send me bread.“ Es ist immer die alte Geschichte, sie wollen kein Kriegsbrot essen, aber sie

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bekommen reichlich. Neulich bekamen einige Offiziere Arrest, weil sie mit ihrem Brot Fussball spielten.

Donnerstag, d.27.Mai. Das neue Kabinett in London ist komplett und ein neuer Ministerposten erschaffen „Supplier of ammunition“, was etwas komisch klingt. Der erste Inhaber dieses Postens ist Lloyd George, der es an Energie und Tatkraft nicht fehlen lassen wird. Die konservativen Elemente werden sich freuen, dass er nicht mehr Finanzminister ist. Diesen Posten hat Mc Kenna übernommen.

Freitag, d.28.Mai. Wir besuchten heute die Perleberger Lazarette und belieferten sie mit Spargel.

Sonnabend, d.29.Mai. Die Rehbockjagd ist heute aufgegangen und Vater kam vor Sonnenuntergang mit einem Bock heim. Georgie schreibt, dass er jetzt Fähnrich ist.

Montag, d. 31.Mai. Franz schickte uns eine Butterprobe aus einer seiner Etappenmolkereien. Er erwartet den Besuch eines Käseexperten, und dann soll auch Käse gemacht werden.

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Der Mob in Mailand und anderen italienischen Städten ist dem Londoner Beispiel gefolgt und hat die deutschen Läden, Geschäftshäuser und Privathäuser zerstört, - aber nur noch intensiver als in London. „Eros ist tot, und Mars regiert die Stunde.“

Mittwoch,d.2.Juni. Walter ist bitter enttäuscht. Ein Transport von Husaren ist nach den Karpathen abgegangen, durch seinen Kursus in Münsterlager ist er nicht mitgekommen. Wir können uns höchstens darüber freuen.

Donnerstag,d.3.Juni. Die Zeppeline haben die Londoner Docks mit Bomben beworfen. Wie viel oder wie wenig Schaden angerichtet ist, ist nicht zu ermitteln, da die Londoner Zeitungen keine Berichte darüber bringen dürfen.

Freitag,d.4.Juni. Die Russen haben nicht viel Freude in Przemysl erlebt – augenblicklich avancieren sie nach rückwärts.

Dienstag,d.8.Juni. Aus dem „Statist“ vom 22. Mai : Die Diskonto-Gesellschaft weist mit vollkommen berechtigtem Stolz darauf hin, dass die Reichsbank eine sehr grosse Goldreserve hat ankaufen können, und dass Massnahmen von der Regierung er-

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griffen worden sind, um eine Panik zu verhindern und das Publikum in die Lage zu versetzen, seine Geschäfte soweit möglich in der üblichen Weise fortzuführen. Aber es gibt ein anderes Moment, welches sich naturgemäss dem fremden Beobachter aufdrängt und besonders dem fremden Beobachter, der dem Feindesland angehört. Zur Sicherung eines langdauernden Friedens in Europa ist es unerlässlich, Preussen so zu schwächen, dass es an eine Revanche zu einem nahe bevorstehenden Zeitpunkt nicht denken kann. Das wirksamste und im ganzen genommen gerechteste ( !!) Mittel zur Erreichung des genannten Zweckes ist, eine so erdrückende Kriegsentschädigung dem deutschen Volk aufzuerlegen, dass es Deutschland für lange Zeit unmöglich wäre, einen Revanchekrieg zu führen, eine Kriegsentschädigung, die ferner der ganzen Welt zeigen würde, dass ein Volk, welches einen ungerechtfertigten Angriff unternimmt, in Zukunft die Kosten des Krieges, den es anderen aufzwingt, selbst zu tragen hat. (!!) Die deutsche Regierung hat durch Geltendmachung ihres aussergewöhnlichen Einflusses auf ihre Untertanen einen ungeheuren Goldvorrat in der Reichsbank angesammelt. Dieser Goldvorrat muss, sobald die verbündeten Armeen in der Lage sind, in Deutschland einzufallen, sofort enteignet und als Entschädigung festgehalten werden, welche den Ländern, die durch einen ihnen aufgezwungenen Krieg geschädigt worden sind, gezahlt werden muss. Der deutsche Staat wird selbstverständlich in dem Friedensvertrage verpflichtet werden müssen, die Anteilseigner der Reichsbank für die Wegnahme des Goldes zu entschädigen.

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Wir möchten ferner hinzufügen, dass der preussische Staat den Staatssozialismus auf ein ganz beträchtliches Mass ausgedehnt hat. Er ist Eigentümer fast aller Eisenbahnen. Er ist Eigentümer einer grossen Bank. Er ist ferner Eigentümer von Ländereien, Wäldern, Bergwerken, Schiffen und wovon nicht. Alles dieses Staatseigentum sollte, sobald Deutschland auf die Knie gezwungen ist, konfisziert werden und irgend jemandem, der bereit ist, zu bezahlen, verkauft werden, wobei die deutsche und die preussische Regierung im Friedensvertrag die Rechtsgültigkeit dieser Massnahmen anerkennen müssten. Das verkaufte Eigentum sollte von den Regierungen der Verbündeten den Käufern garantiert werden. Wenn wir den Erlös aus dem Staatseigentum Preussens und der anderen deutschen Staaten zu dem Goldvorrat hinzurechnen, so haben wir eine sehr beträchtliche Kriegsentschädigung in unseren Händen. Aber man sollte sich Deutschland gegenüber nicht mit der Forderung dieser Kriegsentschädigung begnügen. Deutschland müsste verpflichtet werden, eine weitere sehr beträchtliche Kriegsentschädigung sowohl an Frankreich wie an Belgien für die in diesen Ländern angerichteten Zerstörungen zu bezahlen, eine Kriegsentschädigung, die durchaus dem zugefügten Schaden zu entsprechen hätte. Ferner müsste ganz Deutschland die Folgen eines rücksichtlosen, unmoralischen und verbrecherischen Angriffs auf seine Nachbarn fühlen, indem es gezwungen wird, viele Jahre lang daran zu arbeiten, den Verbündeten die Kosten des Krieges, der ihnen von Deutschland aufgezwungen wurde, zu ersetzen. Deshalb sollten, abgesehen von dem Verkauf des oben genannten Staatsbesitzes, noch

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eine oder mehrere grosse Schadensersatzanleihen aufgenommen und Deutschland gezwungen werden, für Jahre hinaus die Zinsen auf diese Anleihen im voraus zu bezahlen, damit der Staat daran verhindert werde: 1). Diese Anleihen notleidend werden zu lassen, und 2). Geld zur Wiederherstellung seines Heeres und seiner Flotte und zu anderen Kriegsvorbereitungen zu verwenden.“ Es ist ganz gut, im voraus zu wissen, was man zu erwarten hat, wenn man unterliegt!

Mittwoch, d.9.Juni. Es wird täglich heisser, und der in unserer Gegend so heiss ersehnte Regen will nicht fallen. Wir sprengen so viel als möglich, müssen aber vorsichtig sein, nicht aus Wassermangel, sondern aus Mangel an Benzol, um den Motor zu treiben.

Sonnabend,d.12.Juni. Gott sei Dank, ein Brief von Granny aus London. Am 1.Juni landeten sie glücklich in Plymouth. Die letzte Nacht verbrachten sie angezogen auf ihren Betten, Rettungsgürtel zur Hand. Granny sagt, sie hätte nie besser geschlafen. A propos des neuen englischen Kabinetts greift die liberale „Daily News“ Lord Northcliffe an und sagt : „In dem grössten Kampf, den unsere Nation je gesehen, sind Angelegenheiten, die auf Leben und Tod gehen, das Spielzeug eines Sensationsjournalisten geworden. Die schwierigste Fra-

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ge ist nicht, wie die neue Regierung zustande kommen soll, sondern was die Regierung mit Lord Northcliffe machen wird. Wir haben die Wahl zwischen einer verantwortungsvollen Regierung und einem Presse-Diktator.“ Der Schreiber dieser Zeilen hat wohl keine Ahnung, dass er beinahe wörtlich Charles Kingsleys Prophezeiung von 1873 wiederholt : „The anarchy which is brought on by being governed by the Press – J see a possibility of all government becoming as impossible in England, as it has been two generations in France.” Um zu demonstrieren, wie Lord Northcliffe seinen Diktatorposten ausübt, bringt der “Rote Tag” die zwei folgenden Zitate: Im Jahre 1899, während der Fashoda Krise schrieb er: „Wenn die Franzosen nicht aufhören, uns zu beleidigen, werden wir ihnen ihre Kolonien fortnehmen und an Deutschland und Italien geben. John Bull ist jetzt überzeugt, dass England und Frankreich unversöhnliche Feinde sind. England schwankt schon lange zwischen Frankreich und Deutschland, es hat aber immer den deutschen Charakter geachtet, während eine Verachtung Frankreichs nach und nach entstanden ist. Eine Entente Cordiale zwischen England und ihrem Nachbarn ist unmöglich.“ Aber vier Jahre später, 1903 schrieb er: „Ja, wir verachten die Deutschen, wir verachten sie vom Grunde unseres Herzens aus. Sie haben sich in den Augen Europas verhasst gemacht. Ich würde nicht erlauben, dass in meiner Zei-

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tung etwas gedruckt wird, was Frankreich weh tun könnte, noch irgend etwas, was Deutschland angenehm sein könnte.“ Kann man sich einen gefährlicheren, gewissenloseren Mann vorstellen als Lord Northcliffe ? Aber infolge seines Reichtums und seiner Persönlichkeit ist er übermächtig. Ein anderer Journalist Mr.A.G.Gardiner hat von ihm gesagt, „he is Englands deadliest enemy“. Der Krieg gegen Deutschland war ja von der Zeit an eine gegebene Tatsache. Ob, wenn wir eine andere Flottenpolitik betrieben hätten, er vermieden worden wäre, wer weiss ? Ein noch so teuer erkaufter Frieden wäre ja schliesslich besser gewesen als dieser Krieg. Aber vielleicht wäre aufgeschoben nicht aufgehoben gewesen.

Montag,d.14.Juni. Nach Berlin zurückgekehrt, mit einem grossen Karton Rosen, und fanden Walter dort. Er hatte in der Hitze eine ziemlich schwere Woche im Münsterlager gehabt und den Sonntag ruhig in Berlin mit Nannie verbracht. Heute Abend geht er wieder nach Braunschweig.

Dienstag, d.15.Juni. Ich besuchte Frau v.Zitzewitz, die mir immer viel Interessantes von den Söhnen erzählt. Max hatte geschrieben: „Ich habe die Tennissaison in Libau eröffnet, die Einnahme dieser Stadt war sehr interessant vom Marine-Standpunkt.“

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Estie ist jetzt auf einem polnischen Schloss einquartiert und schreibt: „Wir sind jetzt ziemlich ruhig und bringen Schloss und Park in Ordnung. Der Eigentümer wird sich später wundern.Die Zimmer sind noch nie so sauber gewesen, seine Leute haben sie gründlich gereinigt. Und draussen haben sie die Wege gemacht geharkt, den Rasen geschnitten, die Blumenbeete gegraben und den Gemüsegarten bepflanzt. Die Russen desertieren in Legionen, aber es sind deren immer noch zu viele.“ Frau v.Z. erzählte mir auch, dass ihre Nichte endlich in ihr Heim in Ostpreussen zurückgekehrt ist. Im vorigen August hat der Grossherzog Nikolai Nikolajewitsch im Schloss gewohnt mit seinem Stabe, und nichts wurde beschädigt, wie der Inspektor bezeugen konnte. Aber die Russen, die nachher kamen, haben alles zerstört. Nicht ein Tisch, nicht ein Stuhl hat vier Beine, die Bilder sind alle zerschnitten. In dem Portrait der Hausfrau steckte noch eine russische Lanze, mitten im Gesicht. Der grosse Wäschevorrat war in Fetzen. Unbeschädigt waren im ganzen Schloss nur die Spielsachen der Kinder. Karlsruhe ist von Flugzeugen heimgesucht und neunzehn Menschen sind getötet worden. Das Ziel scheint das grossherzogliche Schloss gewesen zu sein. Zwei Flugzeuge wurden abgeschossen, die anderen entkamen.

Mittwoch,d.16.Juni. Staatssekretär Bryan in Washington hat seine Demission eingereicht; man nimmt an, weil er und Präsident Wilson sich nicht

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über den Wortlaut der amerikanischen Note an Deutschland einigen konnten. Aber vielleicht ist auch ein innerpolitischer Grund dabei. Bryan hofft nächstes Jahr Präsident zu werden, da braucht er die republikanischen und die deutsch-amerikanischen Stimmen. Die „Dardanellen adventure“, wie die Engländer diese Expedition nennen, scheint England sehr auf die Nerven zu gehen. Ich hätte die nie gedacht, dass die Türken ihre Front so hartnäckig verteidigen würden.

Sonnabend,d.19.Juni. Graf Günter Bernstorff kam heute zu Tisch. Durch das Auswärtige Amt bekommt er jetzt ziemlich regelmässig Briefe von seinen Eltern. Wir erkundigten uns nach den persönlichen Beziehungen in Washington. Er sagte, sein Vater ginge nur zu einigen ganz persönlichen Freunden, zwischen den „feindlichen“ Botschaftern wäre nicht der geringste Verkehr. Auf einer grossen Gesellschaft im Weissen Hause passierte neulich folgende ergötzliche Geschichte: Durch den Saal klang die Stentorstimme einer amerikanischen Mutter: „Now Elizabeth, you come right here, J won’t have you sitting at the same table with Count Bernstorff!“ Er hatte auch aus London Briefe bekommen, die so anfangen: „Dear Count Bernstorff, when J had the misfortune of your acquaintance in London.“ etc. etc.

Sonntag,d.20.Juni. Heute Mittag waren Frau Roese und ihre Töchter bei uns.

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Sie sind vor zehn Tagen aus London gekommen und mussten uns sehr viel erzählen. Beinahe alle Beamten der Deutschen Bank sind jetzt interniert, und ihrem Mann kann eventuell dasselbe blühen, trotz seiner 58 Jahre. Seine wiederholten Bitten, nach Deutschland gehen zu dürfen, werden vom „Home Office“ mit den Worten beantwortet : „No, Mr.Roese, you know too much.“ Sir Edgar Speyer ist gleich nach Ausbruch des Krieges nach Amerika gegangen, trotzdem er Engländer und Member of His Majesty’s Privy Council“ ist. Roeses ältester Sohn ist im vorigen September in Frankreich verschollen, der zweite ist schon dreimal verwundet, zweimal in Frankreich, einmal in Polen.

Montag,d.21.Juni. Von Georgie seit vier Wochen keine Nachrichten. Wahrscheinlich ist Postsperre. Seit der Torpedierung der Lusitania ist die Stimmung in London kritischer als je. Alle Naturalisierten sind verdächtig und müssen sich von allem zurückziehen. Die Times vom 18. hat natürlich einen Artikel über Waterloo, der so schliesst : Unser endlicher Triumph ist so sicher als der unserer Vorfahren vor 100 Jahren. Wir und unsere Alliierten – Frankreich, Russland, Italien – werden so hartnäckig kämpfen, wie sie es taten, und wenn der Augenblick da ist, werden wir den preussischen Militarismus von der Erde fegen, wie den Militarismus von Napoléon.“

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Aber in einem Artikel über „National Defence“ stehen die nüchternen Worte: „Wir müssen alle einsehen, dass der Marsch auf Berlin, der im vorigen August so selbstverständlich schien, noch nicht angetreten ist.“ Nein, mein Herr, und mit Gottes und Hindenburgs Hilfe wird er auch nicht angetreten werden. -

Mittwoch, den 23.Juni. „Auf Befehl Seiner Majestät des Kaisers gebe ich bekannt, dass Lemberg gefallen ist. Hierbei hat das österreichische Regiment Nr.34 „Preussen-Infanterie“, dessen Chef Seine Majesteät der Kaiser ist, das starke Werk Lysa Gora, hart nördlich von Lemberg gestürmt. gez. von Kessel, Generaloberst.“ Am 3. August wurde Lemberg von den Russen erobert und Lwow genannt. Jetzt brauchen wir uns die Zunge nicht daran abzubrechen und dürfen wieder Lemberg sagen. Innerhalb vierzehn Tagen habe ich drei Briefe aus England bekommen, mit der Bitte, mich nach vermissten englischen Offizieren zu erkundigen. Wir tun, was wir können, aber es ist hoffnungslos. Sind sie gefangen oder im Lazarett, können sie ja selbst schreiben oder schreiben lassen. Wenn keine Nachricht kommt, muss man meistens das Schlimmste befürchten. Florence bittet mich, die Listen durchzusehen. Aber es gibt keine Gefangenen-Listen, jedenfalls keine, die uns zugängig sind. Man überlege, wir haben über eine Million Gefangene! Am besten wendet man sich an das Rote Kreuz in Genf, - aber eine Antwort kommt häufig erst nach Wochen.

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Nach Schönholz, um Erdbeeren einzumachen. Rosen, Erdbeeren, grüne Erbsen, Sonne, Staub und Dürre !

Freitag,d.25.Juni. In Anbetracht des lebhaften öffentlichen Interesses, das sich zurzeit an den Notenwechsel zwischen der deutschen und der amerikanischen Regierung wegen der Lusitania-Angelegenheit knüpft, verdient die Aussage eines deutschen Matrosen vor der Polizeibehörde in Hamburg besondere Beachtung. Dieser, der jetzige Bote Emil Erich Richard Grabe, geb.24.Oktober 1888 zu Hannover, wohnhaft in Hamburg, Gluckstr. 33a, hat folgende, amtlich beglaubigte Erklärung abgegeben : „ Nach Zeitungsnotizen ist in New York ein deutscher Seemann Gustav Stahl festgenommen worden, weil er entgegen der Angabe der Reederei der „Lusitania“ behauptet haben soll, dass das Schiff mit Kanonen armiert sei. Ich weiss bestimmt, dass die Angaben des festgenommenen deutschen Seemannes richtig sind und die Behauptung der Reederei dagegen auf Unwahrheit beruht. Ich habe vier Jahre auf englischen Schiffen zur See gefahren, darunter auch auf der „Lusitania“ sowie auf dem Schwesterschiff „Mauritania“ . Beide Schiffe waren gleich armiert. Auf der „Lusitania“ war ich dreimal an Bord beschäftigt. Ich kenne das ganze Schiff genau und bin in der Lage, an der Hand einer Abbildung der „Lusitania“ genau die Stellen zu bezeichnen, an welchen die Kanonen fest eingebaut waren. Im ganzen befinden sich fünf oder sechs 12-Zentimeter-Geschütze

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an Bord, und zwar zwei am Achterdeck, zwei mittschiffs und ein oder zwei am Vorderschiff. Die Geschütze waren dauernd mit schwerem Segeltuchleinen verdeckt. Die an Bord befindlichen Marine-Reserven hielten regelmässig Uebungen ab; ich habe sie selbst bei ihren Exerzitien beobachtet. Meine Aussagen kann ich jederzeit beeidigen. Ich bemerke noch, dass ich überzeugt bin, dass sich gegenwärtig in der deutschen Marine zahlreiche Mannschaften befinden werden, die gleichfalls auf der „Lusitania“ gefahren haben oder beschäftigt waren und meine Aussagen eidlich bestätigen können.“ Nach Berlin zurück bei grosser Hitze. Jede Frau, ob alt oder jung, reich oder arm, dick oder dünn, mit Ausnahme der vielen in Trauer gekleideten, war in weiss gehüllt. Und doch ist Seife im Preise sehr gestiegen. In diesen herrlichen Sommertagen ist Berlin eine Stadt von weiss und schwarz. Endlich ein Brief von Georgie aus Galizien, wo sie die zurückgehenden Russen verfolgen, für Kavallerie eine angenehmere Beschäftigung, als im Schützengraben zu sein.

Sonnabend,d.26.Juni. Elsas 18.Geburtstag, der mit Schönholzer Erdbeeren gefeiert wurde. Viele Freuden hat die heutige Jugend nicht.

Sonntag,d.27.Juni. Der Rosengarten im Tiergarten ist ein Anblick für Götter, ei-

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ne Oase von Frieden und Schönheit in einer wildgewordenen Welt.

Montag, d.28.Juni. Vor einem Jahr wurden Prinz Franz Ferdinand von Oesterreich und seine Frau in Sarajewo ermordet, von einem Serben in russischem Sold. Haben je zwei Tote eine so grosse, so erschütternde Gefolgschaft gehabt ?

Dienstag, d.29.Juni. Georgie schreibt von einem Gut, das die Russen soeben verlassen haben, dabei aber alle Möbel mitgenommen. Für Klaviere hätten sie eine besondere Vorliebe ! Wie sie sich mit dem Transport befassen können, ist mir unerklärlich.

Freitag, d.2.Juli. Die Times vom 25.Juni berichtet über die Eröffnung einer Ausstellung von serbischer Bildhauerei, wobei Sir Robert Cecil, Unterstaatssekretär für auswärtige Angelegenheiten in der neuen Koalitionsregierung, die Eröffnungsrede hielt. Er sagte: „Dieser Krieg wird der Ausgangspunkt eines neuen Einflusses in Europa sein. Als Gegensatz zum deutschen Materialismus, werden wir die Poesie und den Idealismus der serbischen Rasse aufstellen. Dieser Krieg ist ein Befreiungskrieg und die freie Entwicklung der serbischen Rasse und Nationalität wird Europa ein neues Ideal, eine neue Kultur geben, an Stelle des geistigen Bankerotts der deutschen

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Auffassung.“ Und dies von einem Cecil – von dem Sohn jenes weisen Mannes the Marquis of Salisbury! Wie kann er, ohne mit der Wimper zu zucken, einen solchen Blödsinn reden, wie ist es vereinbar mit der hohen Tradition seines grossen Hauses ? Das englische Sprichwort:“All’s fair in love and war“ beantwortet die Frage nicht erschöpfend. Es liegt wohl mehr in ihrem glänzenden diplomatischen Training, und dass sie, wohl mehr als irgend eine andere Nation verstehen, dass die Sprache uns gegeben ist, um unsere Gedanken zu verbergen. Die einzige ideale Kultur, die unsere Truppen bis jetzt in Serbien angetroffen haben, sind Schweine, eine sehr angenehme Beigabe, und dann, weniger angenehm, Läuse.

Sonntag, d.11.Juli.

Haus Schönholz.

Wir sind seit 8 Tagen hier und führen unser übliches sommerliches Dasein, Gärtnern, Obstpflücken, Einmachen, u.s.w. Ich habe vier Berliner“Kriegskinder“ mitgebracht, die ihre Ferien unendlich geniessen. Die arme Nannie musste wieder in Berlin bleiben und schickt täglich an Georgie Pakete.

Montag, d.12.Juli. Es hat tüchtig geregnet. Die Kartoffeln werden profitieren. Für das Getreide ist es schon zu spät, mit Ausnahme vielleicht von Hafer. – Roggen wird schon geschnitten. Es wird wohl die alte Geschichte sein, nach einem dünen dürren Frühling und Frühsommer

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setzt grade zumr Ernte der Regen ein. Die Garnison von Süd-West-Afrika hat kapituliert. Keine Munition mehr und zehn zu eins.-

Dienstag, d.13.Juli. Irene’s vierzehnter Geburtstag – der erste, den sie ohne Nannie verlebt. Wir hatten den üblichen Kaffee für die Dorfkinder, aber ohne Feuerwerk am Abend.-

Mittwoch, dn 14.Juli. Sir Jan Hamilton’s Bericht in der Times vom 8. über die Kämpfe um die Dardanellen ist sehr ernst. Man ist soweit vom Schuss und hat so viele nähere Interessen, dass man ganz vergisst, wie wichtig diese Front für uns sein kann. In der Debatte über National Economy im House of Lords sagte Lord Loreburn „that if wisdom did not come to the counsels of Europe we were going straight to European bankruptcy in a comparatively short time”. A qui le dites-vous, my Lord ? Das wissen wir schon lange und die Ernte des Zusammenbruches wird von Nord-und SüdAmerika eingefahren werden. Vater zeigte mir heute einen Brief aus Buenos Ayres , der berichtet, dass Argentinien in 1915 1, 121,000 tons mehr Weizen exportiert hat, als in 1914 und dass der Weizenpreis 40 % höher ist als im vorigen Jahre.

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Freitag, d.16.Juli. „Jedem deutschen Schuljungen ist gelehrt worden, London als eventl. deutsche Provinz zu betrachten“, sagt Mr.Bonar Law. - . Alle Schuljungens sind in einem gewissen Alter und in allen Ländern unausstehlich, aber solche Hallucinationen sind mir noch nicht vorgekommen - -

Montag, d.19.Juli. Es ist jetzt wieder wundervolles Wetter. Der plötzliche Regen nach der langen Dürre und jetzt wieder die Sonne bringen Champignons in Massen hervor. Wir bringen ganze Wagenladungen herein, die sofort eingeweckt werden. Eben drahtet Walter, dass er diese Woche ausrückt. Ob es wohl diesmal kein falscher Alarm ist ?

Dienstag, d.20.Juli. Wir fuhren mit Elsa und Irene nach Braunschweig. Walter kam abends zu Tisch. Es war ein herrlicher Abend und wir konnten draussen zu Musik essen.

Mittwoch, d.21.Juli. Wir besorgten noch endlose Sachen für Walter. Ich weiss nicht, wie sie alle in die Satteltaschen sollen, denn er hat nicht den Vorteil eines Koffers wie Georgie. Mittags bei den Tanten und abends kam Walter wieder ins Park-Hotel. Da die Stunde der Abfahrt ganz unsicher ist, beschlossen

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wir, morgen früh abzureisen. Walter ist es lieber so. Es ist diesmal ein kleiner Transport, 24 Mann und 20 Pferde -. Ein glückliches Wiedersehen mit unserem kleinen Wiltie in hoffentlich nicht zu langer Zeit !

Donnerstag, d.22.Juli. In Schönholz fanden wir drei eilige Postkarten von Georgie vor.“Wir sind gut vorwärts gekommen“. Sie sind anscheinend bei der Mackensen’schen Armee in Südpolen. Man munkelt, dass an der Ostfront sich eine Krise vorbereitet. Unsere Verluste sollen wieder sehr schwere sein.

Freitag, d.23.Juli. Walter drahtet, dass sie mitternachts abfahren.

Sonnabend,d.24.Juli. Pilze sammelnd heute früh, fiel ein scharlachroter Fleck im benachbarten Roggenfelde auf. Es war ein französischer Gefangener. Der junge Bauer, auf Ernteurlaub, erzählte mir,dass Bresch 28 französische Gefangene mit vier Landstürmern zur Bewachung habe. Sie schlafen in einer grossen Scheune, nehmen aber die Mahlzeiten bei den Bauern ein, für welche sie arbeiten. Die Schwester sagte mir, sie wären viel angenehmer, als die Russen, fleissiger, mit besseren Manieren, und namentlich so sehr bescheiden im Essen. Dieser Mann hätte am liebsten eine dünne Gemüsesuppe und dicke Milch. Brot rühre er kaum an. Ich

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fotografierte die kleine Gesellschaft und redete den Gefangenen auf französisch an, welches ihm scheinbar Spass machte.

Sonntag, d.25.Juli. Die Times vom 17. hat einen Leitartikel über jenen berühmten Brief von Rudyard Kipling, in dem er sagt:“ Mankind consists of human beings – and Germans“. Es soll in London Restaurants geben, wo angeschrieben steht:“ Dogs and Germans not admitted!“ Sehr interessant ist die „Temps“ vom 15. mit einem Brief vom amerikanischen Staatssekretär Bryan an Constant d’Estournelles. In diesem Briefe vertritt Bryan die Ansicht, den Export von Munition zu verbieten. Wir wissen ganz genau, dass er dieses nicht um unserer schönen Augen willen vorschlägt. Er hat innerpolitische Gründe. Merkwürdigerweise ist die englische Presse ganz still und denkt nicht daran, Bryan anzugreifen. England hat vor niemandem auf der Welt Angst als vor Amerika

Montag,d.26.Juli. v.Winterfelds-Neuhausen haben ihren einzigen Sohn verloren, der als Beobachtungsoffizier auf seinem ersten Flug über dem Feind gefallen ist.

Mittwoch, d.28.Juli. Georgie’s letzte Karte vom 21. ist aus der Lublin-Cholm-Gegend, wo sie neuen russischen Gardetruppen gegenüber stehen .

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“Wir greifen unausgesetzt in nördlicher Richtung an und kommen auch gut vorwärts, wenn die Russen sich auch mit der Energie der Verzweiflung wehren.“

Sonntag, d.1.August In allen Kirchen heute Erinnerungsgottesdienste für die Gefallenen. Das erste Kriegsjahr ist zu Ende und wohl anders, als unsere Feinde es sich dachten. - -

Montag, d.2.August. An das deutsche Volk. „ Ein Jahr ist verflossen, seitdem ich das deutsche Volk zu den Waffen rufen musste. Eine unerhört blutige Zeit kam über Europa und die Welt. Vor Gott und der Geschichte ist mein Gewissen rein. Ich habe den Krieg nicht gewollt. Nach Vorbereitungen eines ganzen Jahrzehnts glaubte der Verband der Mächte, denen Deutschland zu gross geworden war, den Augenblick gekommen, nun das in gerechter Sache treu zu seinem oesterreichisch-ungarischen Bundesgenossen stehende Reich zu demütigen oder in einem übermächtigen Ringe zu erdrücken. Nicht Eroberungslust hat uns, wie ich schon vor einem Jahre verkündete, in den Krieg getrieben. Als in den Augusttagen alle Waffenfähigen zu den Fahnen eilten und die Truppen hinauszogen in den Verteidigungskampf, fühlte jeder Deutsche auf dem

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Erdball, nach dem einmütigen Beispiele des Reichstags, dass für die höchsten Güter der Nation, ihr Leben und ihre Freiheit, gefochten werden musste. Was uns bevorstand, wenn es fremder Gewalt gelang, das Geschick unseres Volkes und Europas zu bestimmen, das haben die Drangsale Ostpreussens gezeigt. Durch das Bewusstsein des aufgedrungenen Kampfes ward das Wunder vollbracht: Der politische Meinungsstreit verstummte, alte Gegner fingen an, sich zu verstehen und zu achten,, der Geist treuer Gemeinschaft erfüllte alle Volksgenossen. Voll Dank dürfen wir heute sagen: Gott war mit uns. Die feindlichen Heere, die sich vermassen, in wenigen Monaten in Berlin einzuziehen, sind mit wuchtigen Schlägen im Westen und im Osten weit zurückgetrieben. - - Mit tiefer Dankbarkeit gedenkt heute und immerdar das Vaterland seiner Kämpfer, derer, die todesmutig dem Feind die Stirne bieten, derer, die wund oder krank zurückkehren, derer vor allem, die in fremder Erde oder auf dem Grunde des Meeres vom Kampfe ausruhen. – Mit den Müttern und Vätern, den Witwen und Waisen empfinde ich den Schmerz um die Lieben, die fürs Vaterland sterben. - So werden wir den grossen Kampf für Deutschlands Recht und Freiheit, wielange er auch dauern mag, in Ehren bestehen und vor Gott, der unsere Waffen weiter segnen wolle, des Sieges würdig sein. Gr.Hauptquartier, 31.Juli 1915. Wilhelm I.R.“ 116

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Dienstag, d.3.Aug. Die Times vom 28.Juli veröffentlicht einen Brief von Sir Henry Lucy, der in seinem literarischen Berufe „Toby“ im „Punch“ ist. Vor/ca. 12 Jahren war er mein sehr unterhaltender Tischnachbar auf einem Londoner Diner. Er schreibt: „ Wenn auch der Kaiser nicht eigenhändig die Millionen Männer,Frauen und Kinder hingeschlachtet hat, so ist er doch die Ursache ihres frühzeitigen Todes. Dieses wird man nicht vergessen, wenn seine Rechnung mit der zivilisierten Welt beglichen wird.“ Wie stellt sich wohl Sir Henry Lucy die Begleichung der Rechnung vor ? Etwa, ein Kaiser in Ketten, geführt von dem Vetternpaar König Georg und dem Zaren ? Dahinter Poincaré mit dem Beil, als Lord High Executioner ? Während eine Corona geringerer Leuchten, wie Viktor Emanuel, sein Schwiegervater, Nikita von Montenegro und der Mikado, den Daumen nach unten wendend, um ihre Zustimmung des Urteils kundzutun! Die Duma hat ihre erste Sitzung in Petersburg abgehalten. Wie aber zu erwarten war, war man vorsichtig genug, alle Duma-Mitglieder, die vielleicht abfällig kritisiert hätten, auf Sommerferien nach Sibirien zu schicken. Der Kriegsminister v. Sasanow haben ihre Reden vor beinahe leeren Bänken gehalten. Ihren Entschluss, Warschau preiszugeben, feierten sie als glänzenden Sieg !

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Donnerstag, d.5.Aug. Die Siegesbeute des ersten Kriegsjahres ! 1, 695 400 Mann Gefangene, (was einer Gefechtsstärke von etwa 56 Armeekorps entspricht) 7 000-8 000 Geschütze 2 000 – 3 000 Maschinengewehre Wir haben besetzt: in Belgien:

29 000 qkm.

in Frankreich 21 000 “ in Russland

130 000 “

Deutsches und oesterreichisches Gebiet im Besitze der Feinde beträgt: im Elsass:

1, 050 qkm.

in Galizien

10 000 “.

Wir erfahren soeben telefonisch, dass, wie vorausgesagt, Warschau kampflos in unseren Händen ist, dass sich aber die Russen zur heftigen Gegenwehr um Ivangorod scharen.

Freitag, d.6.Aug. Heute abend sah ich Herrn v.Winterfeld’s 15 Russen von der Arbeit zurückkehren. Sie haben drei Landstürmer zur Bewachung. Sie mussten erst Seife und Wasser holen und sich Gesicht und Hände tüchtig waschen und ihre Stiefel säubern. Darauf besteht die Bewachung. Dann holten drei Mann das Abendbrot aus der Küche. Heringe und eine ganze Wanne neuer Kartoffeln. Mittags bekommen sie pro Kopf ein viertel Pfund Fleisch mit viel Kartoffeln und

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Gemüse, morgens früh eine weisse Roggenmehlsuppe mit Brot. Sie nehmen Kaffee mit zur Arbeit und essen sehr viel Brot ganz im Gegensatz zu den Franzosen . – Sonntags müssen sie baden, sich rasieren und Haare schneiden. Sie erhalten pro Kopf 30 Pfg. täglich Löhnung.

Sonntag,d.8.Aug. Rolf v. Günther ist in Berlin im Lazarett mit Gelbsucht, schreibt Ilse. Walter schreibt aus Jaroslaw in Galizien. – Sie reiten die letzten 300 km.zum Regiment.

Montag, d.9.Aug. Heute musste Irene nach Berlin zurück, ebenfalls die Kriegskinder, da morgen die Schule wieder anfängt. Winifried Roever schreibt aus Freiburg, dass die zwei letzten Fliegerbesuche sehr unangenehm gewesen wären. Eine Bombe fiel in ein Milchgeschäft, zwei Häuser von ihnen entfernt.

Dienstag, d.10.Aug. Georgie schreibt, dass er von Ruhr geplagt wird, das Wetter wäre schön und sie machten Fortschritte. Die kölnische Zeitung veröffentlicht folgendes französisches Aktenstück: Préfecture Pas de Calais.

Französische Republik. Arras, 19.Juli 1914.

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Der Präfekt von Pas de Calais an den Herrn Kommissar Lievin. Ich habe die Ehre, Ihnen beigeschlossen zu übersenden: 1. Den Abdruck eines Anschlages, betr. die Polizeimassregeln, die aus dem Belagerungszustand folgen; 2. Den Abdruck der geheimen Weisung vom Oktober 1913 betreffend die Ausübung der Polizeibefugnisse durch die Militärbehörde in den unter dem Belagerungszustand stehenden Gebieten. Sie werden mir gütigst eine Empfangsbescheinigung dieser Aktenstücke, die streng vertraulich sind, übersenden. Die Aktenstücke haben Sie Ihrem Nachfolger nur gegen Empfangsbescheinigung zu übergeben. Von der Empfangsbescheinigung haben Sie, sobald Sie Ihren Posten verlassen, eine Abschrift einzusenden. Sie werden die allergenauesten Vorsichtsmassregeln treffen müssen, damit die Aktenstücke, die Ihrer Verantwortlichkeit anvertraut sind, unangerührt bleiben und nicht zur Kenntnis des Publikums kommen. Sie allein dürfen davon Kenntnis haben, um sich schon jetzt mit den Pflichten vertraut zu machen, die Ihnen im Falle der Mobilmachung auferlegt sind. gez. Der Präfekt.“

Donnerstag, d.12.August Herr und Frau Roese haben ihren zweiten Sohn verloren, nachdem er dreimal verwundet war. Unter so viel Tragik ist dies ein besonders erschütternder Fall. Frau Roese und Töchter sind jetzt hier, beide Söhne tot. Herr Roese ist in London und bekommt keine Erlaubnis, nach Deutschland zu gehen.

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Hunderte von unseren russischen Gefangenen werden jetzt nach Nordfrankreich geschickt, um bei der Ernte zu helfen. Ob die russische Dampfwalze in ihren wildesten Träumen je gedacht hat, soweit zu rollen ?

Freitag, d.13.August Die Times vom 9.August hat alle möglichen Freundlichkeiten und Entschuldigungen für die Russen. Z.B.:“Es gibt Missgeschicke, die glorreicher sind als Siege (!!) Deutschland steht im Osten einem Feinde gegenüber, dessen Geist nie gebrochen werden kann.“ Und in einem Artikel:“ Nach Warschau“, schreibt der Militärkorrespondent:“Nur die numerische Uebermacht der Deutschen und das Uebergewicht ihres Heeresmaterials ermöglichen die deutschen Fortschritte.“ Hat man je solchen Unsinn gehört ? Den ganzen Winter waren wir 1 : 10. Wie das Verhältnis jetzt ist, weiss ich nicht. An der Westfront sollen wir jetzt 1 : 4 sein. Wir kommen auch da nicht weiter. Im Elsass haben die Franzosen nicht unbedeutende Fortschritte gemacht. Manchester Guardian gibt zu, dass in Flandern die englischen Truppen allein 2 : 1 sind. Warum brechen sie denn nicht durch ? Es ist ein reines Wunder, dass wir uns da halten.

Sonnabend, d.14.Aug. Heeresgruppe des Generalfeldmarschalls von Mackensen. Die verbündeten Truppen sind auf der ganzen Front in voller

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Verfolgung. Bei der Vorbewegung stossen die deutschen Marschsäulen auf allen Strassen auf die zurückströmende arme polnische Landbevölkerung, die von den Russen, als sie den Rückzug antraten, mitgeführt worden war, jetzt aber, da sie den recht eiligen russischen Truppenbewegungen natürlich nicht mehr folgen kann, im tiefsten Elend freigegeben ist. Oberste Heeresleitung.“ 117

Montag, d.16.Aug. Mit grosser Sorge wenden wir unsere Blicke nach den Dardanellen und Gallipoli 118. Wenigstens 70 000 englische und französische Truppen sind in den letzten Tagen dort gelandet. Wie werden die Türken das aushalten ? England hat wohl den Durchbruch in Flandern als hoffnungslos aufgegeben und setzt jetzt alles auf Gallipoli und von dort nach Konstantinopel. Sind die Dardanellen offen, kann Russland soviel Munition bekommen,wie nötig und kann wieder von vorne anfangen.

Mittwoch, d.18.Aug. Heeresgruppe des Generalfeldmarschalls von Hindenburg. Die Festung Kowno mit allen Forts und unzähligem Material, darunter weit mehr als 400 Geschützen, ist seit heute nacht in deutschem Besitze. Sie wurde trotz zähesten Widerstandes mit stürmender Hand genommen.

Oberste Heeresleitung.“ 119

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Berlin, 18.August. Am 19.August, 10 Uhr abends, griffen fünf Boote einer unserer Torpedobootsflottillen bei Horns-Riff-Feuerschiff, an der jütischen Westküste, einen englischen modernen kleinen Kreuzer und acht Torpedobootszerstörer an und brachten den Kreuzer und einen der englischen Zerstörer durch Torpedoschüsse zum Sinken. Unsere Streitkräfte hatten keinerlei Verluste. In der Nacht vom 17. zum 18. August griffen unsere Marineluftschiffe wiederum London an. Es wurden die City und wichtige Anlagen an der Themse ausgibig mit Bomben belegt und dabei gute Wirkungen beobachtet. Ausserdem wurden Fabrikanlagen und Hochofenwerke bei Woodbridge und Ipswich erfolgreich mit Bomben beworfen. Die Schiffe erlitten trotz starker Beschiessung keinerlei Beschädigungen und sind sämtlich zurückgekehrt. Der stellvertretende Chef d.Admiralstabs d.Marine gez.Behncke.“ 120 Das arme London ! Dies muss der dritte Zeppelinbesuch in diesem Sommer sein. Es dürfen nur Eisenbahnen und Werften und Fabriken beworfen werden, aber ohne Verluste an Menschenleben kann es doch nicht abgehen. Die Londoner Zeitungen geben keine Einzelheiten. Es ist uns aber gesagt worden, dass im Mai Liverpool-Street Station schwer beschädigt wurde. Wenn die französischen Flieger sich auf Bombenwurf aufmachen, lauten ihre Befehle anders, wie das Grosse Hauptquartier mitteilt: „Einem bei Mülhausen gefangen genommenen französischen Flieger, welcher am Bombenabwurf über Freiburg teilge-

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nommen hatte, wurde folgende, selbstgeschriebene Notiz abgenommen:“ „Capitain Happe a ordonné de lancer des bombes sur Fribourg. Sur la demande du bombardier sur quel point de la ville il fallait les laisser tomber, il a repondu, n’importe pas où, pourvu que ça fasse des victimes boches.“ Walter schreibt einen sehr interessanten Brief über den Angriff einer ganzen Division, den er auf Patrouillenritt übersehen konnte. Die britische Admiralität hat sieben gekarperte deutsche Handelsschiffe umgetauft und zwar auf Namen die alle mit „Hun“ anfangen: Lautenfels

in

Hungerford

Werdenfels

in

Hunstanton

Ophelia

in

Huntly

Arnfried

in

Hunsdon

Frisca

in

Huntress

Altair

in

Hunsgate

Lützow

in

Huntsend.

Hätte man so etwas je für möglich gehalten ?

Freitag,d.20.Aug. „ Die Festung Nowo Georgiersk“, der letzte Halt des Feindes in Polen, ist nach hartnäckigem Widerstand genommen. Die gesamte Besatzung, 6 Generale, über 85 000 Mann, davon gestern im End-

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kampf allein über 20 000 wurden zu Gefangenen gemacht. Die Zahl der erbeuteten Geschütze erhöhte sich auf über 700, der Umfang des gewonnenen sonstigen Kriegsmaterials lässt sich noch nicht übersehen. (W.T.B.) Oberste Heeresleitung“. 121 Heute läuten die Kirchenglocken ! Die Hühnerjagd geht heute auf, aber bei Regenwetter war nicht viel zu machen. Aus der Rede des Reichskanzlers v.Bethamnn-Hollweg im Reichstag: „ Meine Herren. Diese in allen Grundlinien übereinstimmenden Berichte der belgischen Diplomaten geben ein klares Bild von der Entente. Politik der letzten zehn Jahre. Gegen diese Zeugnisse kommen alle Versuche der gegnerischen Seite nicht auf, uns als die Urheber des Krieges hinzustellen und sich selbst als die frivol angegriffenen. Meine Herren, ist die deutsche Politik über diese Vorgänge unterrichtet gewesen oder hat sie absichtlich die Augen vor ihnen verschlossen, indem sie immer wieder einen Ausweg suchte? Nicht das eine, noch das andere. Es gibt Kreise, die mir politische Kurzsichtigkeit vorwerfen, weil ich es immer wieder versucht habe, eine Verständigung mit England anzubahnen. Ich danke Gott, meine Herren, dass ich es getan habe ! Mit so geringer Hoffung ich die Versuche immer wieder erneuerte, klar liegt es zu Tage, dass das Verhängnis dieses ungeheuren Weltbrandes hätte verhindert werden können, wenn eine aufrichtig auf Frieden gerichtete

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Verständigung zwischen Deutschland und England zustande gekommen wäre. Wer in Europa hätte dann wohl noch Krieg machen wollen ? Durfte ich mit einem solchen Ziel im Auge eine Arbeit von mir weisen, weil sie mir schwer war und sich immer wieder als fruchtlos erwies ? Meine Herren, wo es sich um den letzten Ernst im Weltenleben handelt, wo Millionen von Menschenleben auf dem Spiele stehen, da gilt für mich, bei Gott, kein Ding unmöglich. Ich will lieber in einem Kampfe fallen, als ihm aus dem Wege gegangen sein.“

Montag, 23.Aug. Die Times vom 14.August macht ihren Lesern den“Vorschlag“, „in this strange, unreal August“ zuhause zu bleiben und London zu entdecken. Logischerweise müsste doch auch in England der August 1914 viel sonderbarer gewesen sein, als August 1915. Bei uns war es jedenfalls so. Bis zu einem gewissen Grade haben wir uns jetzt an den Krieg gewöhnt, haben uns daran gewöhnt, Tag und Nacht in einer nie sich lösenden Spannung zu leben. Aber, als im August 1914 der Sturm losbrach, da war es kaum zu fassen ! Wie werden wir es durchführen gegen solche Uebermacht ? Wie wird es enden ? Und dann machte sich ganz Deutschland an die Arbeit. Aber in England im August 1914 war alles ein Jubel und eitel Prahlerei.“Business as usual“, „Rats in a trap“. Die Flotte

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war ja da und namentlich die zwei grossen Faktoren, Russland und Reuter, um die Arbeit zu leisten. Also, warum sich sorgen ? Deutschland wird ja vernichtet, von der Erde weggefegt. Erst im Frühling dieses Jahres ist es der britischen Nation aufgegangen, dass sie ihre eigenen Schlachten schlagen muss, in dem Kriege, den sie so leichtherzig vom Zaune gebrochen hat oder vielmehr, den eine Hand voll Ministern und Unterstaatssekretären und Zeitungsredakteuren vom Zaune gebrochen hat. Jetzt ist England aber voll erwacht !

Donnerstag.26.Aug. Grannys Geburtstag ! Das Wetter war so schön, dass wir uns entschlossen, Vater unter den Brescher Tannen zu treffen und draussen zu frühstücken.Abends um sechs Uhr kam Frau Brüning aus Putlitz mit der Nachricht, dass Brest-Litowsk gefallen sei. Die Fahne musste gleich gehisst werden ! Frau Brüning sagte, sämtliche Grammophone in Putlitz hätten gleichzeitig gespielt und die Kinder hätten in den Strassen gesungen und getanzt. „ Heeresgruppe des Generalfeldmarschalls von Mackensen. Die Festung Brest Litowsk ist gefallen. Während das oesterreichisch-ungarische Korps des Feldmarschallleutnants v.Arz gestern Nachmittag nach Kampf zwei Forts der Westfront nahm, stürmte das brandenburgische XXII.Reserve-Korps die Werke der Nordwestfront und drang in der Nacht in das Kernwerk ein. Der Feind

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gab darauf die Festung preis . Auf der ganzen Front der Heeresgruppe, vom Bialowieska-Forst bis zum Sumpfgebiet am Pripjet (südöstlich von Brest-Litowsk) ist die Verfolgung in vollem Gange. 122 Oberste Heeresleitung(W.T.B.) „Vergegenwärtigen wir uns den Gang der Dinge nach den Hauptdaten. Von den befestigten Plätzen und Festungen Westrusslands fielen in die Hände der Verbündeten : am 5.August Warschau und Jwangorod am 10.August Lomza am 18.August Kowno am 20.August Nowo-Georgiewsk am 23.August Ossowies am 25.August Brest-Litowsk.“

123

26.

Sonnabend, d.28.August. Wir haben von Walter zwei nette Briefe bekommen. Er hat Georgie nicht gesehen, obgleich sie einmal nur 15 km voneinander entfernt waren.Walter erzählt sehr anschaulich – der unbeschreibliche Schmutz, die entsetzliche Zerstörung, die die Russen bei jedem Rückzug hinter sich lassen – kein Haus steht mehr – mal ein Schornstein als alleiniger Ueberrest ! Pressequartier, 29.August. „ Auf der Vormarschlinie des 6. oesterreichisch-ungarischen Korps Arz gelangte ich kurz nach der Besetzung durch die siegreichen Truppen in das brennende Brest-Litowsk. Wiederum bot

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sich mir ein Bild grauenvoller, sinnloser Zerstörung: Wie Wladimir-Wolynski und NowoAlexandria haben die Russen auch Brest-Litowsk vor der Preisgabe angezündet. Der weitaus grösste Teil der ganzen Stadt ist bis auf kahle Trümmer niedergebrannt. Noch lohten, als wir einfuhren, an vielen Stellen Flammen empor. In den niederen Häusern und an den Gartenzäunen, die die breiten sandigen Strassen säumen, schwelte das Feuer fort, aus eben erst eingestürzten Mauern züngelte es rot empor, und gelbe, beissende Qualmwolken hemmten den Weg in die ausgebrannte Zitadelle. Auf dem ganzen Wege von den Aussenwerken bis in das Stadtinnere Ruine neben Ruine ! Niedergebrannt die Innenforts, zerstört der grosse,schöne Bahnhof, wüste Trümmer, wo sich einst das vornehme Stadtviertel reihte. Ein Chaos von Kaminen der Marktplatz, ein seltsam grausiges Durcheinander eiserner Oefen und geschwärzter Ziegelhaufen die Fabrikgegend ! Die Bahnlinie besät mit umgestürzten, zertrümmerten roten Waggons und dazwischen verendetes Vieh und vernichtete Wagenstapel ! Wo die Häuser von den Flammen verschont blieben, hat vorher die russische Soldateska gewütet. Alles Gerät ist kurz und klein geschlagen. Eine hohe, helle Kirche mit blauen Kuppeln und leuchtend goldenen Kreuzen ragt über die weiten Stätten der Vernichtung, die gestern noch mehr als 50 000 Menschen Heimat und Obdach war. Die Strassen waren völlig menschenleer. Einsam stand in der Hauptallee ein kleines Schaukelpferd und in einem Garten hockte der einzige Bewohner von Brest-Litowsk, dem es gelungen war,

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in einem Versteck in der Stadt zu bleiben, vor seinem niedergebrannten Haus mit seiner Frau und vier Kindern. Eugen Lennhoff,Kriegsberichterstatter.“ „Heeresgruppe des Generalfeldmarschalls von Mackensen. Unter Nachhutkämpfen wurden die Russen bis in die Linie Poddubno-Kobryn gedrängt. Mit einer Roheit, die unsere Truppen und unser Volk mit tiefstem Abscheu erfüllen muss, haben die Russen zur Maskierung ihrer Stellungen tausende von Einwohnern, ihre eigenen Landsleute, darunter viele Frauen und Kinder, unseren Angriffen entgegengetrieben. Ungewollt hat unser Feuer unter ihnen einige Opfer gefordert.“

Freitag, d.31.Aug. Vom 21.August schreibt Georgie, dass sie eben über den Bug gesetzt hätten und auf dem Wege nach Brest-Litowsk seien. „ Heeresgruppe von Mackensen. Um den Rückzug ihrer rückwärtigen Staffeln durch das Sumpfgebiet östlich von Prusana zu ermöglichen, stellten sich die Russen gestern in der Linie Poddubno-Gegend südlich von Kobryn noch einmal zum Kampf. Sie wurden geschlagen, trotzdem sie bereits abmarschierende Teile wieder in den Kampf warfen. Auch die Fortführung des in der Kriegsgeschichte aller Zeiten unerhörten Verfahrens, zum Schutze der flüchtenden Armeen die auf dem Rückzug mitgeschleppte Bevölkerung des eigenen Landes zu vielen Tausenden, darunter hauptsächlich Frauen und

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Kinder, in unseren Angriff hineinzutreiben, nutzte ihnen nichts. Oberste Heeresleitung“. 124 Morgen kehren wir nach Berlin zurück. Es waren zwei so schöne Monate, wie sie es unter den Umständen sein konnten. Else und Irene hatten Freundinnen zu Besuch und es wurde viel Tennis gespielt. Obst und Gemüse hatten wir mehr als je und es wurde dauernd eingemacht für uns und für die Lazarette. Nur Eier gibt es herzlich wenig. Eine Diät von Kartoffelschalen, Abfall und Salat genügt den Hühnern nicht und Korn haben wir nicht.

Mittwoch,d.1.Sept. Die Höhe der im Monat August auf dem östlichen und südöstlichen Kriegsschauplatz gemachten Gefangenen und des erbeuteten Kriegsmaterials beläuft sich auf über 2000 Offiziere 269 839 Mann an Gefangenen über 2 200 Geschütze weit über 560 Maschinengewehre. Die Vorräte an Munition, Lebensmitteln und Hafer in den beiden Festungen Kowno und NowoGeorgiewsk sind vorläufig nicht zu übersehen. Die Zahl der Gefangenen, die seit dem 2.Mai, dem Beginn des Frühjahrsfeldzuges in Galizien gemacht wurden, ist nunmehr auf weit über eine Million gestiegen. Oberste Heeresleitung.“ 125

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Der Monat August ist an der Ostfront vielversprechend gewesen. Man braucht nur die Kriegskarte vom 1.August mit der vom 1.September zu vergleichen. Jetzt eine schnurgerade Linie, die immer weiter ostwärts vorrückt. Wie weit wird Hindenburg wohl den Russen nachlaufen ?

Donnerstag, d.2.Sept. Berlin hat sich weiter nicht verändert. Es gibt allerdings weniger Autos und Droschken in den Strassen und an den Eisenbahnen, welches unbequem sein kann. Auch einzelne Geschäfte haben geschlossen, weil die Inhaber einberufen sind. Die Fahrer auf der Elektrischen und an der Hochbahn sind Frauen. Aber in den Läden und Restaurants das übliche Leben und Oper und Theater sind in vollem Gange.

Mittwoch,d.8.Sept. Pressentin gibt uns bekannt, dass seine Stute ein Fohlen geboren habe, welches glückliche Ereignis unter dem Kanonendonner von Kowno stattfand. Von der Kriegsbeute könne man sich keinen Begriff machen. An Konserven, Mehl u.s.w.genügend, um eine halbe Million Mann anderthalb Jahre zu ernähren. Aber unsere Verluste sind leider sehr schwer gewesen.Franz hat in Frankreich einen alten Stich gefunden, den er hat fotografieren lassen und schickt mir einen Abdruck. Das Bild stellt folgendes vor: Eine Frau, „Marianne, “sitzt am Tisch und Kaiser Wilhelm will gerade ihre Brust mit seinem Dolch durch-

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bohren. Bismarck und Moltke, mit vorgehaltenem Revolver erzwingen von ihr eine Unterschrift. Babies werden von deutschen Soldaten erdrosselt und zertreten. Im Hintergrunde werden Gold- und Silberschätze von Soldaten in Kisten gepackt. Das sind die Methoden, mit denen Frankreich 45 Jahre gearbeitet hat, die Hirne einer ganzen Nation vergiftend.

Donnerstag,d.9.Sept. Der Grossherzog Nikolai Nikolajewitsch ist entlassen worden und der Zar selbst hat das Oberkommando übernommen. Was bedeutet das wohl ? Fürchtet man Revolution und hofft durch „Väterchen“ die Gemüter zu beruhigen ? Das letzte Manöver des Grossherzogs, die eigene Bevölkerung mit gezücktem Schwert vor sich herzutreiben, ist charakteristisch. Der Jammer dieser unglücklichen Menschen ist nicht zu schildern. Mackensen’s Stabschef, Oberst v.Seeckt, hat an seine Frau geschrieben:“ Es ist Dante’s Inferno“. O Licht, o Freiheit, dein Name ist Russland, ist Nikolai Nikolajewitsch ! Die Russen, bevor sie Kowno preisgaben, töteten 12 000 Pferde. Diese wurden sofort von unseren Truppen gehäutet, der wertvollen Häute wegen und dann im Interesse der Hygiene vergraben. Sobald angängig, sollen sie aber wieder ausgegraben werden und auf chemischem Wege werden aus den Knochen Oele und Fette entnommen, die wir so sehr nötig haben. Diese Einzelheiten hörte Vater heute in der Abteilung der Deutschen Bank, die sich

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mit Rohprodukten beschäftigt.

Montag, d.15.Sept. Ein Brief von Walter mit merkwürdigen Nachrichten. Er ist wieder in Deutschland, irgendwo in Ostpreussen; nach tagelangem Reiten durch Polen, wo die Truppen ausser Kartoffeln nichts zu essen hatten, nicht mal Brot, wurden sie am 11. in Bialystock verladen. Von den Paketen, die wir dauernd schickten, hat er nie etwas erhalten. In Lyck wurden sie ausgeladen, desinfiziert und gebadet, alles mit fabelhafter Gründlichkeit. Das heisse Bad wäre eine Wonne gewesen. Wohin es jetzt geht, weiss er nicht, wahrscheinlich nach dem Westen. Wenn wir ihn auf der Fahrt durch Berlin sehen könnten ! Wenn es klingelt, denke ich immer, er muss es sein. -

Donnerstag, 16.Sept. Wieder ein Brief . – Er ist durch Berlin gekommen und wir haben ihn nicht gesehen. Sein Brief klingt etwas trüb und nach Heimweh. Sie hätten wieder 24 Stunden nichts zu essen gehabt und er fühlt sich ziemlich elend. – Bis wir seine neue Adresse haben, können wir nichts mehr schicken. Dutzende von Paketen und ein schöner Gummimantel wandern irgendwo in Polen hinter ihm her.

Sonntag, d.19.Sept. Wilna ist in unseren Händen.

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Dienstag, d.21.Sept. Endlich zwei Briefe von Georgie. Sie sind in den Rokitno Sümpfen 126, wohl einer der ungesundesten Teile Europas in dauerndem Kampfe mit den russischen Nachhuten. Dichte Wälder und sumpfiger Boden erschweren das Weiterkommen. Er schreibt auch von der Misère der russischen Bevölkerung, die jetzt in den Wäldern zu Hunderten an Cholera sterben.

Mittwoch, d.22.Sept. Ein beseligter Brief von Walter aus Antwerpen ! Er ist von Belgien begeistert. Sie wohnen in schönen, sauberen Kasernen und schwelgen in Weissbrot, Butter, Eiern und Obst. Nun braucht er schnellstens Geld um diese Herrlichkeiten zu kaufen und bedauert nur, dass Georgie nicht auch da ist um sich von der russischen „Civilisation“ auszuruhen. Abends beabsichtigte er im Hotel „Terminus“ zu dinieren, mit einem anderen Kriegsfreiwilligen, einem Dr.Phil., deutscher Konsul in Bergen. Sie sind die einzige Kavallerie in Antwerpen. Ich glaube, das ganze Garde-Corps ist wieder nach dem Westen gekommen. Bedeutet das eine Offensive im Westen ? Bulgarien hat mobilisiert, der Krieg tritt in eine neue Phase ein. Wenn Bulgarien wirklich mit der Türkei gemeinsame Sache macht, dann haben wir endlich einen diplomatischen Sieg errungen. Deren gar zu viele kommen nicht auf unser Konto. Lord Kitchener, Lord Herbert hat im House of Lords eine lange Rede gehalten über die militärische Lage im Osten. Er sagt unter ande-

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rem, dass die „sogenannten deutschen Erfolge“ in Wirklichkeit nur verschleierte Niederlagen seien und dass nur die numerische Ueberlegenheit der Deutschen an Soldaten und Munition es ihnen ermöglicht habe, die Russen zurückzudrängen (!!!). Der russische Soldat, wo er sich zum Kampf gestellt hat, ist seinem Gegner immer überlegen gewesen u.s.w. u.s.w. Gewiss, die Russen haben sich oft tapfer gewehrt und haben uns viel Opfer gekostet, auch ist jetzt anscheinend die grosse Umklammerung in der Wilnaer Gegend, welche wirklich die Vernichtung der russischen Armee bedeutet hätte, nicht gelungen, aber, dass eine Armee, die dauernd im Rückzug ist, ihrem Gegner überlegen sein soll, das ist ein Problem, welches nur der Verstand von Lord Kitchener, Lord Herbert zu lösen vermag.

Freitag, d.24.Sept. Walter hat 25 Pakete gleichzeitig in Antwerpen erhalten. In Russland wären sie nötiger gewesen. Heute haben Elsa und Irene silberne Nägel in die grosse Holzfigur von Hindenburg auf dem Königsplatz eingeschlagen. Ein goldener Nagel kostet 20 Mk., ein silberner 5 Mk. und ein eiserner 1 Mk. Die Erträgnisse sind für den Witwen-und Waisenfonds bestimmt. A propos, über diese Figur hat der Berichterstatter der „Daily mail“ eine merkwürdige Theorie aufgestellt. Er sagt: „Die Deutschen müssen irgend jemand hassen, deshalb schlagen sie Nägel in Hindenburg, um ihre Wut über seine Misserfolge an der Ostfront zu demonstrieren !“

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Sonnabend, d.25.Sept. Berlin, d.24.Sept. (W.T.B.) “ Die Zeichnungen auf die dritte deutsche Kriegsanleihe haben nach den bisher jetzt vorliegenden Ergebnissen eine Summe von 12,030 Millionen erbracht. Einzelne kleine Teilergebnisse stehen noch aus.“ 127 Dem Kultusminister ist folgendes Telegramm zugegangen: „ Wie ich höre, hat zu dem Ergebnis der Zeichnungen auf die dritte Kriegsanleihe die Tätigkeit der Lehrer und Schüler in erfreulicher Weise beigetragen. In Würdigung des überraschend grossen Erfolges wünsche ich, der Schuljugend meinen Dank zum Ausdruck zu bringen und bestimme, dass in den Schulen der Monarchie am morgigen Tage der Unterricht ausfällt.“ gez.Wilhelm. J.R.

Montag, d.27.Sept. Das längst erwartete hat stattgefunden und die englischen und französischen Truppen haben eine grosse Offensive angefangen. Es ist merkwürdig, dass dieses nicht schon längst geschehen. Kitchener, Lord Herbert’s neue Armee ist da in seinen Tausenden, in allen Farben schillernd, und unsere dünne graue Linie ist schwer bedrängt. Stellenweise sind wir drei Kilometer zurückgegangen. Die Engländer brauchten Gasbomben. Also, in dem Punkte sind wir quitt.

Mittwoch, d.19.Sept. Wir wehren uns noch immer erfolgreich, aber es ist ein

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furchtbarer Kampf. Sonnabend,d.2.Okt. Eine furchtbare Woche ist diese gewesen, die sorgenvollste seit Kriegsanfang. Malcomess hat an seine Frau geschrieben. Er sagt, es wäre ein desperater Kampf und unsere Verluste wären fürchterlich, dass aber unsere Truppen in fast übermenschlicher Weise sich gegen die englische und französische Uebermacht hielten. Keiner, der es gehört hätte, würde das wilde Geheul der angreifenden indischen und farbigen Truppen vergessen – stinkende Horden, die man einem Heere von Professoren, Aerzten, Dichtern, Theologen, Chemikern, Philosophen, Juristen,Musikern, Architekten entgegengeworfen hat. ! Malcomess meint, dass, wenn die Offensive zusammenbricht, und es wären schon Anhalte für einen Zusammenbruch da, sie eine neue nicht so bald anfangen würden. Von Walter haben wir garnichts gehört. Heute ist Hindenburgs Geburtstag. Tausend Schulkinder versammelten sich am Königsplatz und sangen Lieder. Eine Ansprache wurde gehalten und eine Musikkapelle spielte.

Montag, d.4.Okt. Endlich ein Brief von Walter. Sie wurden in Antwerpen alarmiert beim Einsetzen der Offensive und kamen nach der Champagne. Er beschreibt in anschaulichster Weise das mörderische Getöse der Kanonen, 32 Cent.,38 Cent. englische Schiffskanonen, Gewehr-

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feuer, Minen, platzende Granaten, alles gleichzeitig und ununterbrochen, während er als Meldereiter zum vordersten Schützengraben beschäftigt war. Sein Pferd, obgleich von Russland an vieles gewöhnt, schlug dauernd nach rechts und links, nach hinten und vorn aus. Jetzt sind sie in Dricourt

40 km. von Reims in Reserve. Er freut sich so über die hübsche

Gegend, die Wälder und Wiesen und Singvögel, verglichen mit der „Leb-und Lieblosigkeit des östlichen Drecklandes“. Elsbeth und Richard Gagzow sind einige Tage in Berlin. Er ist Oberstabsarzt an der Westfront und macht einen Gaskursus durch. Aus einem Bericht von General Deimling, der vor Ypern steht. „ Der Kaiser hat das Wort vom stillen Heldentum gesprochen: Das war es und das ist es hier. Und das vergessen sie in der Heimat so leicht. Da sehen sie das riesige Gebiet, das der Bewegungskrieg im Osten als Theater hat, da wird ihnen das Einerlei der gleichen Stellung, auf der wir sitzen müssen, zum Alltag. Herführen möchte ich sie und ihnen zeigen können, wie dieser Alltag ist – was dieser Alltag von jedem einzelnen Manne fordert. Aushalten im Angesicht des Todes, der täglich vielemale kommt und ein paar Kameraden reisst – keinen Erfolg im grossen sehen – auf alle Anerkennung verzichten müssen und nur wissen, dass es schon ungeheuer ist, wenn es gelingt, vor dieser Uebermacht da drüben zu bestehen ! So ist der Krieg im Westen. Und auch das sollten die zuhause nicht vergessen: Beinahe die ganze Armee von

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Frankreich steht da drüben, beinahe die ganze Armee von England, dazu die Belgier. Und wir ? Wir sind die halbe deutsche Armee - - wenn wir die halbe sind. Das geht nur mit Blut. Dass weiss jeder Mann. Aber jeder Mann gibt sein Blut, wenn es so kommen soll.“

Mittwoch, d.6.Okt. Heute haben wir unseren alten Freund, Mr. Lonth, begraben. Dieser furchtbare Krieg hat ihm den Todesstoss gegeben. Englands Anteil daran konnte er nicht überwinden. Er hinterlässt so viele gute Freunde in Deutschland. Wie immer, nach einem militärischen Misserfolg, ergiesst sich die englische Presse in wüsten Beschimpfungen. Das neueste, ist die Ermordung halb-entbundener Frauen, anscheinend eine Lieblingsbeschäftigung unserer Soldaten. Es ist ein merkwürdiger Zufall, dass Richard Gagzow mir vor drei Tagen erzählte, wie oft er in Frankreich und Belgien, namentlich in den ersten Monaten, Geburtshilfe hätte leisten müssen. Oft hätte er das Neugeborene waschen und anziehen müssen. Wenn er für diesen Dienst eine weibliche Person heranziehen wollte, sagte sie lächelnd:“ah c’est bien l’affaire de Monsieur le medecin“.

Donnerstag, d.7.Okt. Die englischen Verluste werden nicht, wie bei uns, in besonderen Listen, sondern in den grossen Tageszeitungen veröffent-

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licht. Da finde ich in der letzten Zeit viele bekannte Namen, Söhne alter Freunde, und entferntere Verwandte. Walter schickt eine neue Adresse. Er hat ein Kav.-Wachtkommando des X.Korps, was bedeutet, dass er zwischen Artilleriestellungen hin und herreitet mit Meldungen.

Freitag, d.8.Okt. Vater und ich sind auf 8 Tage nach Schönholz gekommen. Das Wetter ist trübe. Die Kartoffeln sind geerntet und der Gemüsegarten produziert die letzten grünen Erbsen und Blumenkohl. Die Lage auf dem Balkan wird täglich komplizierter. Sir Jan Hamilton hat englische und französische Truppen in Saloniki gelandet. Wer spricht nun von belgischer Neutralität, Sir Edward Grey, wenn ich bitten darf ? Aber der König von Griechenland hat seine eigenen Ideen über Neutralität und Venizelos, der Freund der Entente, hat seine Demission einreichen müssen. Das ist ein schwerer Schlag für die Alliierten. Soweit wir wissen, ist die ganze Mackensen Armee jetzt in Serbien. Das bedeutet noch eine Front für uns. Der Weg soll wohl geöffnet werden durch Bulgarien nach der Türkei.

Montag, d.11.Okt. Seit vier Wochen dieerste Nachricht von Georgie. Er ist nicht in Serbien, sondern immer noch in den Sümpfen bei Kowel. Drei Wochen lang haben sie sich dauernd mit den Kossacken ab-

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gegeben, aber als er schrieb, waren sie in Ruhe. Sein Kamerad Voelke mit einer Patrouille von 20 Mann ist in Gefangenschaft geraten. Walter ist in Courcy bei Reims, in einem „Sicherheitsposten“ wie er etwas höhnisch schreibt. Der Luftverkehr hätte enorme Dimensionen angenommen. Eben höre ich Vater beim Lesen der Times laut lachen. Er zeigte mir einen Artikel der City News, der wie folgt lautet: „ Es ist Pflicht jeder englischen Firma, die Liste ihrer Agenten zu revidieren und jedes deutsche Element zu streichen, wenn dieses gemacht werden kann, ohne das Geschäft zu schädigen“. Die rettende Klausel ist entzückend!

Dienstag, d.12.Okt. Die Times vom 9.Oktober hat wieder einen wütenden Artikel über unsere Gefangenenbehandlung. „Unsere Leute können nicht von Kornkaffee, Brot aus Roggen, Kartoffeln und Sägemehl und Bohnensuppe mit Reis existieren.“ Ist es nicht lächerlich ? Wir haben ungefähr 2 Millionen Gefangene. Wir bekommen keine Vorräte, nicht ein Weizenkorn von ausserhalb. Aber die verwöhnten Herren sollen kein Roggenbrot bekommen, dasselbe Brot, was wir täglich essen. Gewiss enthält es Kartoffeln, ob Sägemehl, weiss ich nicht, aber das kann noch kommen. Es schmeckt uns ebenso wenig wie den Gefangenen.

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Am 6.August zitierte ich den Küchenzettel der russischen Gefangenen bei Winterfeld’s Ich kostete auch ihren Kornkaffee. Er war frisch geröstet und heiss, natürlich war es kein Mocca, warum denn auch ? Dann – Stiefel. Warum wir den Gefangenen keine neuen Stiefel geben ? Nicht eine Kuhhaut können wir einführen. Ein Paar Stiefel, welches voriges Jahr M.12.- kostete, kostet jetzt M.36.-. „Besohlen“ wird jeden Tag teurer. In den Berliner Schulen hat man die Parole ausgegeben, die gesunden Kinder bei schönem Wetter barfuss gehen zu lassen. Unter keinen Umständen soll dieses als Schande angesehen werden.Gestern sah ich in Bresch zwei französische Gefangene in Holzpantinen gehen und sie erfüllen ihren Zweck. Also nun, mein lieber Herr, wissen Sie, warum wir unseren Gefangenen keine neuen Stiefel geben können; auch werden sie weiter auf Weizenbrot verzichten müssen, bis sie wieder zuhause sind. Sie müssten dieses alles von alleine wissen, aber Sie werden wohl weiter fortfahren, der Ungebildetheit der grossen Masse Vorschub zu leisten !

Donnerstag, d.14.Okt. Ein wunderbarer Tag und ich frühstückte im Walde mit Vater. Die Herbstfärbungen sind zu schön.

Sonnabend, d.15.Okt. Nach Berlin zurück mit Gemüse, Birnen, Tomaten und Wallnüs-

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sen beladen. Siegfried ist jetzt in Frankreich mit dem zweiten Halbregiment von K 6. Nach dreizehn Monaten in Russland geniesst er ein Bett, sauberes Wasser, Salat u.s.w. Es scheint, dass Regimenter, die im vorigen Winter in Russland waren, ausgewechselt werden sollen. -

Dienstag, d.19.Okt. Die englischen Zeitungen sind in einem panikartigen Zustande, weil der König von Griechenland sich den Alliierten nicht anschliesst. Ausserdem fangen sie an, die Schwierigkeiten der interalliierten Diplomatie einzusehen, namentlich die italienischen ostadriatischen Gelüste geben ihnen zu denken. Aber fürs erste ist der britische Einfluss auf dem Quirinal massgebend. Sir Rennell Rodds kontrolliert Salandra und Sonnino, und bewacht mit Argusauge den Export. Das hindert aber nicht, dass Mandeln und Zitronen uns über Holland und die Schweiz erreichen.

Mittwoch, d.20.Okt. Wir assen bei Eckelmanns. Erich geht vielleicht das nächste Mal mit den Zeppelinen nach London. Wir unterhielten uns des längeren darüber. Vater und ich stehen auf dem Standpunkt, dass die militärischen Erfolge eines Zeppelinbombardements nicht genügend sind, um den Verlust unschuldiger Menschenleben zu recht-

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fertigen. Wahrscheinlich werde ich von den englischen Zeitungen beeinflusst. Erich widersprach mir. Er sagt, der letzte Angriff wäre von grossem militärischen Erfolg gewesen. Sie greifen nur Werften, Schiffahrt, Warenlager und Eisenbahnen an, haben ihre genauen Weisungen und können sich genau orientieren. Westminster Abbey, St. Pauls, the National Gallery, British Museum wären, wie man in England sagt, “ as safe as the Bank of England”. Nein, das stimmt nicht, denn die Bank of England würden sie sehr gerne treffen ! Erich sagte noch:“ Die Zeppeline und U-Boote sind unsere einzige Antwort auf Englands Hungerblockade. Wir wollen englische Nahrungsmittel und Kriegsvorräte und Munition zerstören und es ist lächerlich, wenn die englischen Zeitungen sagen, wir kämen, um englische Frauen und Kinder zu töten. Wir wollen ihnen kein Haar krümmen, wenn es zu vermeiden ist.“ Trotzdem bin ich überzeugt, dass oft eine Bombe daneben fällt.

Donnerstag, d.21.Okt. Heute ist Hohenzollernfeier. Der 500. Jahrestag des ersten Hohenzollern, Friedrich von Nürnberg. Wir warten mit Spannung ab,was die alliierten Truppen in Saloniki vorhaben. Die bulgarischen Truppen haben die Eisenbahn zwischen Saloniki und Nisch besetzt.

Montag, d.25.Okt. Wenn ein holländisches Schiff mit einem holländischen Kapi-

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tän und einer holländischen Besatzung von England kommend in einen holländischen Hafen einläuft, darf auf Befehl des englischen Konsuls die Besatzung nicht an Land gehen ! Diese Massnahme, die sich Holland gefallen lassen muss, bezweckt die Geheimhaltung der Wirkungen der Zeppelinangriffe. Dies ist auch eine Art, die Meere zu beherrschen ! Es kommt aber manchmal vor, dass ein Matrose durch die Schiffsluke einem anderen Matrosen auf dem Quai Nachrichten zuruft ! Unsere Lebensmittelpreise werden jetzt von der Regierung kontrolliert. Butter war auf 3.30 M. das Pfund gestiegen, ist jetzt auf 2,20 M.herabgesetzt. Auch ist eine neue Speiseordnung für Gastwirtschaften vorgesehen. Milchkarten werden eingeführt. Babies sollen täglich einen Liter bekommen, ältere Kinder im Verhältnis weniger.

Dienstag, d.26.Okt. Malcomess ist aus Frankreich gekommen, vollständig zusammengebrochen und nur garnisondienstfähig. Er klingelte an, um zu fragen, ob wir von Walter Nachricht hätten. Aber seit dem 11. haben wir nichts gehört. Er meinte, das ganze X.Corps wäre verladen. Wir sind alle ganz gebrochen über die Erschiessung von Miss Cavell. Sie war eine Schwester, welche englische und französische Soldaten in Belgien versteckt hatte und ihnen geholfen hatte, über die Grenze zu entkommen. Sie wurde vor einigen Tagen nach einem Kriegsgericht als Spionin erschossen. Natürlich war

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die Erschiessung vom Kriegsstandpunkte voll berechtigt. Trotzdem sind sich die meisten Menschen einig, dass das Urteil nicht hätte ausgeführt werden dürfen. Der Kaiser und das Auswärtige Amt sollen sehr ausser sich darüber sein, sie wurden aber zu spät benachrichtigt, um rechtzeitig eingreifen zu können. Dies ist wieder einmal eine militärische Notwendigkeit, die diplomatisch und menschlich besser unterblieben wäre. Merkwürdig, der Kommentar der „Times“ zu diesem bedauernswerten Fall ist ganz würdig. Sie haben vom sentimentalen Standpunkte diesmal das Recht auf ihrer Seite. Sie sagen. „No deed could have been done, better calculated to serve the British Cause.“ Dies ist ganz bestimmt wahr; nicht wahr ist aber die Behauptung, dass „the judicial murder of Miss Cavell will be popular throughout the length and breath of Germany.” Wir assen bei Königsmarcks in Esplanade und es war ein trauriges Gesprächsthema. Da wirkte folgende wahre Geschichte erheiternd: Ein englisches Flugzeug wurde neulich in Flandern abgeschossen, und Prinz Carl von Hessen, der einer Marine-Division zugeteilt ist, nahm den Offizier gefangen. „J say“, sagte der Offizier zu Prinz Carl, „J’m just about fed up with this war.” “So am I,” antwortete der Prinz, “come along and have a drink.”

Freitag,d.29.Oktober. Acht Grad Kälte! Angesichts der Tatsache, dass infolge Leutemangels die meisten Kartoffeln noch in der Erde sind, ist dies eine unangenehme Zugabe.

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Walter schreibt aus Marchais bei Laon. Sein Generalkommando liegt in einem herrlichen Schloss aus dem XVI.Jahrhundert, welches dem Prinzen von Monaco gehört. Die Dienerschaft ist dort geblieben,und Haus , Gärten, Ställe sind in vorzüglichstem Zustande, die Treibhäuser gefüllt mit den schönsten Exoten. Walter meint, der Prinz müsse eine besondere Vereinbarung mit Joffre getroffen haben, diesen schönen Besitz mit Bomben zu verschonen, denn die Franzosen müssen ganz genau wissen, dass jetzt ein hoher deutscher Stab dort liegt.

Sonntag.d.31.Oktober. Graf Waldersee schreibt aus Ostende, wo er Bahnhofs-Kommandant ist, um sich nach Walter zu erkundigen. Er hat einen interessanten Posten, und mit Ausnahme von Fliegerbomben ganz gefahrlos. Frieda von Massenbach aus Aachen besuchte uns heute. Wenn man Menschen hört, die aus Aachen kommen, so wird einem klar, dass man hier in Berlin von den Wirklichkeiten des Krieges nichts ahnt. Frieda sagt, wir wären in den ersten Augusttagen nur um knappe vier Stunden den Belgiern zuvorgekommen. Wieder ein Beweis, dass die Neutralitätsfrage für die anderen nur ein Vorwand war. Massenbachs wohnen im Sommer auf dem alten Familiengut meiner Clermont’schen Vorfahren in Vaals, nahe bei Aachen, aber jenseits der holländischen Grenze. Mitte Juli vorigen Jahres wurde auf einem belgischen Hügel, in der Nähe der „Drei-Königs-Ecke“ eine Fahnenstange aufgestellt. Viele Menschen, sowohl in Deutschland wie in Holland, bemerkten dieses, ohne der Sache irgendwelche Be-

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Bedeutung beizumessen. Ende des Monats verschwand die Fahnenstange – es muss irgend ein Signal gewesen sein. In holländischen Kreisen wird behauptet, dass die Königin von Holland die erste gewesen ist, dem Kaiser privatim mitzuteilen, dass es höchste Zeit sei, aus Norwegen zurückzukehren und seine Augen offen zu halten. Diese Nachricht gebe ich mit allem Vorbehalt wieder. Aachen hat nicht weniger als 36 Lazarette. Während der grossen Offensive Ende September, wurden alle transportfähigen Verwundeten in Lazarettzügen abgeschoben, nach Cöln, Hamburg usw., um Platz zu schaffen für die neuen Fälle. Tag und Nacht fuhren die Lazarettzüge ein, Deutsche, Franzosen, Engländer, weisse und schwarze, und mit solch furchtbaren Verwundungen. Marika von Massenbach ist jetzt an der Bahnhofsverbandstelle. Eine Ladung verwundeter Engländer war in einem solch entsetzlichen Zustand, dass sie jedem eine Morphiumspritze geben musste, ehe es möglich war, sie auf die Tragbahren zu bringen. Sie wehrten sich krampfhaft gegen die Spritze, dachten, sie würden noch obendrein vergiftet werden. Die Zahl der im Oktober von deutschen Truppen im Osten eingebrachten Gefangenen und die von ihnen gemachte Beute beträgt: 244 Offiziere 40,949 Mann

23 Geschütze 50 Maschinengewehre.

Oberste Heeresleitung (W.T.B.).“

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Montag, d.1.November. Eine eilige Postkarte von Georgie. Sie sind wieder im Schützengraben und haben soeben einen schweren russischen Angriff zurückgewiesen und 800 Gefangene gemacht. Die Gefangenen hat er photographiert. „Die neue Speiseordnung.“ Montag: In den Wirtshäusern dürfen Fleisch, Wild, Geflügel und Fische, ebenso alle anderen Speisen nicht mit Fett zubereitet werden, sie sind vielmehr lediglich in gekochtem Zustande zu verabreichen. Dienstag: Fleisch und Fleischwaren oder Fleischspeisen dürfen nicht gewerbemässig an die Konsumenten verkauft werden. Mittwoch: Keine Beschränkungen. Donnerstag: Es gelten die gleichen Bestimmungen wie am Montag. Freitag: Es gelten die gleichen Bestimmungen wie am Dienstag. Sonnabend: In den Wirtshäusern darf Schweinefleisch nicht verabfolgt werden. Sonntag: Keine Beschränkungen.

Dienstag,d.2.November. Heute war der erste fleischlose Tag, und Vater und ich frühstückten im Bristol. Die Fisch-, Eier- und Gemüsegerichte waren exquisit und erweckte in mir Erinnerungen an die Charwoche in Rom. Damals beneidete ich die Katholiken, die ihre Mahlzeiten am „maigre“ Tisch einnahmen.

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Sonnabend,d.6.November. Die Bulgaren haben Nisch besetzt und sind in Berührung mit unseren Truppen. Der Vormarsch in Serbien geht gut von statten, und in wenigen Tagen wird wohl die ganze Bahnlinie in unseren Händen sein. Dann kann der Orientexpress wieder ununterbrochen von Berlin nach Konstantinopel laufen, beladen mit Munition für die Türken und mit Lebensmitteln für uns. Täglich erwarte ich die Erscheinung eines Extrablattes, welches die Ermordung des Königs von Griechenland bekannt gibt! Wenn es nicht passiert, ist Uebermass von Moralität seitens der Entente nicht der Grund. Nicht dass sie in einem solchen Falle die Verantwortung übernehmen würden. O nein! Sie haben für solche Fälle ihre Werkzeuge und können sie gut bezahlen, siehe die Ermordungen von Jaurès 129 und Graf Witte und in Sarajewo.

Montag,d.8.November. Georgie schreibt an einem Ruhetag; nachdem sie neun Tage im Schützengraben waren, ohne sich zu waschen und mit sehr wenig Schlaf. Die Russen machen grosse Anstrengungen, um am Styr durchzubrechen. Sie wurden aber zurückgeschlagen, und die Schwadron hat grosses Lob geerntet. Es ist ja klar, dass die Russen jetzt wieder angreifen, da die halbe Ostarmee in Serbien ist. Um so wunderbarer, dass weder an der Ost=, noch an der Westfront die Offensiven erfolgreich waren. Wir sind überall nur eine dünne graue Linie. Mr. Asquith sagt, in seiner neulichen grossen Rede, dass

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seit April die deutschen Truppen an der Westfront nicht vorwärts gekommen sind. Merkt er nicht, dass er uns kein grösseres Lob spenden kann ? Das Wunder ist, nicht, dass wir nicht vorwärts gekommen sind, sondern dass wir nicht zurückgegangen sind. Sir Edward Carson beantwortet Mr.Asquith’s Rede und scheut nicht Englands Allerheiligstes, das parlamentarische System, anzugreifen. Es wäre gut genug, sagt er, als Debattierklub im Frieden, für Parteifragen aber vollständig unzulänglich in Kriegszeiten. Stattdessen würde er alle Entscheidungen von zwei oder drei Männern treffen lassen, eine Art Militärdiktatur. Das klingt merkwürdig von den Lippen eines Mitglieds der Nation, die in den Krieg gegangen ist, um den „Militarismus“ zu zerstören. Sehr interessant sind auch die Debatten über den Censor, dessen Befugnisse nach Ansicht vieler Engländer zu weit gehen. Lord Morley zitiert einen holländischen Freund, der gesagt hat: „Bis vor kurzem war die englische Presse die zuverlässigste der ganzen Welt, das ist jetzt nicht mehr der Fall.“ Miss Maud Durham schreibt an die „Times“ über das „Reign of terror“ in Belgien. Sie sagt : „Viele deutsche Familien leben jetzt in Brüssel. Sie brechen in jedes Haus ein, welches von den Eigentümern verlassen ist. Wenn gute Möbel oder Bilder da sind, kommt ein Möbelwagen, und die Sachen werden nach Deutschland geschafft. Die Landschlösser sind zerstört. Nichts bleibt übrig als kaputte Haufen. Was nicht verschleppt wird, wird zerstört.“ Nun ist Miss Maud Durham durchaus kein hysterisches Frauenzimmer.

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Sie ist die sehr nüchterne, resolute Dame, die im letzten Balkankrieg Militärkorrespondent des „Daily Telegraph“ war. Sie muss doch wissen, dass es kaum möglich ist für die Frau eines kranken Offiziers, einen Pass zu bekommen, um ihren Mann in einem Brüsseler Hotel zu besuchen. Dazu würde grosse Protektion nötig sein. Aber sie schreibt, als wäre es an der Tagesordnung, dass Frau Müller und Frau Schultze mit den kleinen Müllers und Schultzes und begleitet von Köchin und Kinderfräulein, nach Brüssel fahren und sich dort in einem beliebigen Hause festsetzen. Für das englische Publikum müssen aber diese Sachen erdichtet werden.

Sonnabend,d.13.November. Lord Courtmey hat im House of Lords gesprochen, eine würdige, ernste Rede, eine Stimme aus der Wildnis. Er erklärte, je länger der Krieg dauere, um so tiefer würde die Zivilisation sinken. „Is there no escape from the rake’s progress on which England had entered, and which meant a continually extending panorama of ruin”! “Nationale Unabhängigkeit ist was Grosses, und des Opfers wert. Aber nationale Unabhängigkeit muss auch mit der Möglichkeit internationaler Freundschaft vereinbart werden. Ist es nicht möglich, diese zwei grossen Prinzipien zu verbinden ? Gibt es keinen Weg aus der Sackgasse ?“ Es haben sich wohl Tausende diese Frage gestellt, aber liegt nicht ein Hoffnungsstrahl darin, dass ein weiser Engländer diese Frage in der Oeffentlichkeit ausgesprochen hat ? Vierundzwanzig Stunden später, beim Lord Mayors Banquet haben

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Mr.Asquith, Mr. Balfour 130 und Mr.Cambon jede geistige Gemeinschaft mit Lord Courtney abgeleugnet, mit den üblichen Versicherungen, die wir so gut kennen. Wir sind ja alle mehr oder weniger in einer Sackgasse. Das ist der Kern der Lage. Deutschland, wie die ganze Welt weiss, ist nach fünfzehn Monaten siegreich, und die ganze Welt staunt ob einer solchen Leistung gegen solche Uebermacht. Aber der Sieg ist nicht derart, dass wir den Schlüssel zu der Lage in den Händen haben. Infolgedessen stieren wir uns gegenseitig an.

Mittwoch,d.17.November. Das Fiasko der Britischen Expedition nach Gallipoli wird uns erst jetzt zum Bewusstsein gebracht, komischerweise durch die Debatten im House of Commons. Die Türken haben uns nie erzählt, was sie da leisten, welche furchtbaren Verluste sie dem Feinde zugefügt haben. Während des ganzen Sommers befürchteten wir den Fall der Dardanellen, und wie oft hat nicht Winston Churchill seinen Hörern erzählt, dass man dort „only a few miles from victory“ sei! Die grosse Tapferkeit der Türken ist für uns eine ganz unerwartete und sehr angenehme Ueberraschung. Was sie jetzt in Mesopotamien machen, können wir nur mutmassen. Reuter ist ganz still darüber. Heute brachte Exzellenz Boden , der Braunschweiger Gesandte, im Namen von Herzog Ernst August Vater des „Offizierkreuz“ zum Orden Heinrich des Löwen.

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Freitag,d.19.November. Georgies 21. Geburtstag. Die Jugend wird heute mit Macht majorenn!

Sonntag,d.21.November. „Totenfest 1915. Nein, keine Klage heut! Heut rauscht der Wind Wie Jubelchor um Kreuz und Trauerweiden, Die Toten, die für uns gefallen sind, Sie sind es, die zuletzt den Sieg entscheiden. Aus ihrer Gräber unermess’nen Reih’n Fliehn die Gedanken ruhelos ins Weite: Heut bist du mit den Schatten nicht allein, Hundert Lebend’ge schreiten dir zur Seite. Hundert Lebend’ge, stolz und kraftdurchglüht, Auf deren starken Arm sich deiner lehnte War nicht ein einz’ger drunter, der schon müd Die kühle Abenddämmerung ersehnte. Und jeder spricht mit dir und lacht dir zu Und singt von seinen Träumen, unvergessen..... Hundert Lebendige, mit denen du Im Frühling noch am runden Tisch gesessen!

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Der Mittag brennt so heiss – was will die Nacht ? Was wind’ ich klagend Kränze ihnen allen ? Sie leben noch, ob sie im Lärm der Schlacht Jauchzend vor rotem Siegesrausch gefallen. Sie leben noch, sehn unsre Fahnen wehn Und binden uns mit heilig stillen Eiden, Dass wir vor ihnen ehrenvoll bestehn Sie sind es, die zuletzt den Sieg entscheiden. Caliban:“ „Der Tag der Toten. (Aus der Vossischen Zeitung). In ernsterer Stimmung als sonst wird in diesem Jahre der Totensonntag von uns Deutschen begangen; schwer und zahlreich sind die Opfer, die der furchtbare Krieg von uns gefordert hat und noch immer fordert.Viele, sehr viele der Tapfersten und Besten haben im blutigen Kampfe ihr Leben lassen müssen. Man gebe sich keiner Täuschung hin: der Verlust an so vielen tüchtigen Männern aus allen Klassen und Ständen, den wir erleiden, ist unersetzlich. Berechtigt ist die Trauer nicht bloss der Angehörigen, das ganze Volk hat ein Recht darüber zu klagen, dass so viele seiner Söhne ihm entrissen wurden. Wahrlich, der Preis, den wir in diesem Kriege einsetzen, ist hoch, höher als der unserer Feinde. Denn Mann gegen Mann gerechnet, das hat der Krieg mit aller Deutlichkeit gezeigt, sind wir allen unseren Feinden geistig und moralisch weit überlegen. Aber freilich, wenn dies nicht der Fall wäre, dann würde es

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uns schwerlich gelungen sein, gegen die ungeheure Uebermacht den Sieg davonzutragen. Mit Recht sagt Fichte: „Nicht die Gewalt der Armee noch die Tüchtigkeit der Waffe, sondern die Kraft des Gemütes ist es, welche Siege erkämpft.“ Dringender noch als sonst tritt am heutigen Totensonntage an uns die Frage heran: War es notwendig, dass diese schweren Opfer gebracht wurden ? Für uns Deutsche kann die Antwort nur bejahend lauten. Deutschland hat sich seit 1870 als einen Hort des Friedens erwiesen. Wenn es jetzt zum Schwert griff, so geschah dies, weil es sich wehren musste gegen die Umkreisung und den Ueberfall durch die mächtigsten Staaten der Welt. Wir alle waren verloren, wenn die Pläne unserer Feinde gelangen. Das Schicksal Ostpreussens beweist zur Genüge, was aus Deutschland geworden wäre, wenn die russische Dampfwalze über das Land ging. Es war die ausgesprochene Absicht unserer Feinde, unsere politische und wirtschaftliche Stellung zu zerstören, Deutschland in einzelne Teile zu zerreissen und es dadurch zur völligen Ohnmacht zu verurteilen. Was unsere Väter und wir in langer treuer Arbeit aufgebaut hatten, das sollte jetzt mit einem Schlage vernichtet werden. Den Gedanken ertrug kein Deutscher. Ob er sich schon bisher laut zu Deutschland bekannt, oder ob er es nur still im Herzen getragen hatte, jeder wusste, dass er für die Erhaltung und Rettung seines Vaterlandes kämpfen müsste bis zum Tode.“

Montag,d.22.November. Walters 20. Geburtstag. Er ist Unteroffizier geworden, und

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nach der „Bauabteilung“ des Divisionsstabes versetzt. Es werden Pumpstationen, und Sägemühlen, Bäder und Baracken gebaut, und er sieht und hört sehr viel Interessantes.

Dienstag,d.23.November. Lord Kitchener, Lord Herbert hat London und das Kriegsamt verlassen und sich auf Reisen begeben, nach Paris, Athen, Gallipoli. Mit König Konstantin hat er Tee getrunken, und sicher haben sie sich gegenseitig freundlichst angelächelt. Der Berichterstatter sagt, dass man politische Fragen nicht berührt habe. Wie schwer muss es sein, in einem solchen Moment ernst zu bleiben und die Diskretion zu wahren.

Donnerstag,d.25.November. Wir trafen Pressentin, der auf 14 Tage Urlaub hier ist, und Malcomess , der demnächst wieder herausgeht, auf dem Lehrter Bahnhof und fuhren zusammen nach Schönholz. Es war sehr kalt und fing an zu schneien.

Freitag,d.26.November. Herrliches Jagdwetter. Fester Schnee unter den Füssen, blauer Himmel und kein Wind. Die Treiber waren alte Greise, Schuljungens und elf französische Gefangene, denen die Jagd grossen Spass machte. Frau v.Winterfeld und ich brachten mittags das Frühstück heraus und machten ein paar Kessel mit.

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Sonnabend,d.27.November. Heute wurden Fasanen geschossen, was noch davon da ist. Sie werden nicht gefüttert, haben also keinen Anlass, in unseren Jagdgrenzen zu bleiben.

Montag,d.29.November. Nach Berlin zurück. Georgie schreibt, dass er neulich um 4 Uhr morgens in einem überschwemmten Unterstand erwachte. Ein Kamerad liess leere Konservenbüchsen darauf schwimmen. Knie tief, wateten sie nach einem trockenen Unterstand, singend: „Stürmisch die Nacht und die See geht hoch!“ „Englische Friedensprogramme“, aufgestellt von Mr.Maxse in „The National Review“. 1. Alle feindlichen Truppen sind von allen Gebieten der Verbündeten zurückzuziehen, bevor über irgendwelche Friedenseröffnungen verhandelt werden kann. 2. Belgien muss von Deutschland für alle Verluste voll entschädigt werden, die es direkt oder indirekt durch Deutschlands unprovozierten Angriff erlitten hat. Ausser dem Betrag dieser Verluste, der durch Bevollmächtigte der Verbündeten zu bestimmen ist, hat Deutschland die Summe von 10 Milliarden an Belgien zu zahlen. 3. Irgend eine weitere Form der Entschädigung Belgiens durch Deutschland ist festzusetzen, die für alle Zeit auf die Vorstellung der Menschen wirken und ein dauerndes Zeugnis für

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das Verbrechen Wilhelms II. sein soll. 4. Frankreich ist im selben Masstab zu entschädigen wie Belgien. 5. Elsass-Lothringen ist an Frankreich zurückzugeben, dazu so viel weiteres Gebiet als es für seine nationale Sicherheit für notwendig hält. 6. Russland ist ähnlich zu entschädigen, wie Belgien und Frankreich und soll ähnliche Sicherheit gegen künftigen Angriff erhalten. 7. Serbiens Ansprüche sind durch die serbische Regierung aufzustellen. 8. Italien soll Trist und das Trentino erhalten. 9. Japans Ansprüche sind durch die japanische Regierung aufzustellen. 10. Mit Oesterreich-Ungarn ist so milde zu verfahren, wie es die russischen Interessen gestatten. 11. Mit der Türkei ist milde zu verfahren. 12. Kein von deutscher Herrschaft während des Krieges in irgendeinem Teile der Welt befreites Gebiet ist an Deutschland zurückzugeben. 13. Die deutsche Flotte ist an die Verbündeten auszuliefern und im Verhältnis unter sie zu verteilen. 14. Alle deutschen Schiffe in verbündeten Häfen sind zu konfiszieren. 15. Der Kieler Kanal ist zu internationalisieren. 16. Preussen ist für immer zu zerschmettern und zu ver-

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krüppeln durch jedes Mittel, das sich den Verbündeten darbietet. 17. (Beschimpfungen, auf deren Wiedergabe wir verzichten). 18. Militärische Besetzung von Berlin bis zur Erfüllung des Vertrages. 19. Drakonische Beschränkung des deutschen Handels.“ „ Die natürliche Grenze, welche einen deutschen Angriff auf Frankreich und Belgien für immer unmöglich machen würde, ist die Rheingrenze. Entweder Belgien oder Frankreich oder ein international garantierter Pufferstaat muss es den deutschen Horden unmöglich machen, mordend, brennend und ausschweifend, wie sie es vor 15 Monaten taten, nach Westen vorzubrechen. Deutschland mag also hinter dem Rhein bleiben, der seine natürliche westliche Grenze ist.“ Man soll diese Bedingungen nicht zu sehr verlachen, dieses oder etwas Aehnliches steht Deutschland bestimmt bevor, wenn es unterliegt. Sie vergessen nie zu sagen, dass der deutsche Handel unterdrückt werden muss, - daran liegt ihnen ja am allermeisten – dafür ist der Krieg gemacht worden.

Mittwoch,d.1.Dezember. (W.T.B.) „Mit der Flucht der kärglichen Reste des serbischen Heeres in die albanischen Gebirge sind die grossen Operationen gegen dasselbe abgeschlossen. Ihr nächster Zweck, die

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Oeffnung freier Verbindung mit Bulgarien und dem türkischen Reich, ist erreicht. Die Bewegungen der unter der Oberleitung des Generalfeldmarschalls von Mackensen stehenden Heeresteile wurden begonnen von der österreichisch-ungarischen Armee des Generals von Koevess, die durch deutsche Truppen verstärkt war, gegen die Drina und Save und von der Armee des Generals von Gallwitz gegen die Donau bei Semendria am 6.Oktober, von der bulgarischen Armee des Generals Bojadjieff gegen die Linie Negotin-Pirot am 14.Oktober. .... Weder unergründliche Wege, noch unwegsame tief verschneite Gebirge, weder der Mangel an Nachschub noch an Unterkunft haben ihr Vordringen irgendwie zu hemmen vermocht. Mehr als 100 000 Mann, d.h. fast die Hälfte der ganzen serbischen Wehrmacht, sind gefangen, ihre Verluste im Kampf und durch Verlassen der Fahnen nicht zu schätzen, Geschütze, darunter schwere, und vorläufig unübersehbares Kriegsmaterial aller Art wurde erbeutet. Die deutschen Verluste dürfen recht mässig genannt werden, so bedauerlich sie an sich auch sind. Unter Krankheiten hat die Truppe überhaupt nicht zu leiden gehabt. Oberste Heeresleitung.“ 131 Das Drama in Serbien naht sich seinem Ende. Lord Kitchener, Lord Herbert hat seinem Bettelbesuch in Athen einen ähnlichen in Rom folgen lassen und berichtet jetzt darüber in Paris und London.

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Sonnabend,d.4.Dezember. Pressentin verabschiedete sich. Er geht wieder nach Nord-Russland, aber wer weiss auf wie lange ? Die Lage in Irland scheint doch etwas kritisch zu werden. Zwar ist Mr.Redmond, Staatssekretär für Irland, des Lobes voll für die irischen Truppen an der Front und in Irland, aber folgende Notiz in der Times lässt tief blicken: „Waffen in Irland. Major-General Friend, der die Truppen in Irland kommandiert, erlässt einen Befehl, dass alle Waffen und Munition, die ohne einen von ihm oder Brigade-General Greenfield unterzeichneten Erlaubnisschein nach Irland eingeführt werden, im Landungshafen zu beschlagnahmen sind.“

Freitag,d.10.Dezember. Wie ist es doch bedauerlich, dass Präsident Wilson die grosse Gelegenheit als Arbitrator, oder Vermittler, oder wie man es nennen mag, aufzutreten, von sich geworfen hat. Wenn er gesagt hätte, dass Amerika durch das furchtbare Blutvergiessen in Europa, sich nicht um einen Dollar bereichern dürfe, würde die ganze Welt aufstehen und ihn segnen. Statt dessen tut er, was er kann, um den Krieg zu verlängern, und sein letzter Angriff im Congress gegen die Deutsch-Amerikaner zeigt klar und deutlich, wie es mit seiner Neutralität steht. Wilson ist nie eine Stunde neutral gewesen, jedenfalls seit der Marine Marne-Schlacht nicht. Dies offenbart sich in geradezu lächerlicher Weise. Amerikanische Bürger dürfen eine Ta-

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fel Chocolade oder ein Paket Zigaretten an einen englischen Soldaten schicken, nicht aber an einen deutschen. Warum ? Weil die englischen Autoritäten in New York es verbieten. Hier ein weiterer Fall. Miss Ray Beveridge, eine Amerikanerin, die viel in München lebt, wo sie eine verheiratete Schwester hat, hat in New York und anderen Städten Vorträge über den Krieg gehalten und dabei nicht gescheut, den deutschen Standpunkt gelten zu lassen. Jetzt wünschte sie nach München zurückzukehren, es wurde ihr aber gesagt, dass der britische Konsul ihr, einer freien Amerikanerin auf amerikanischem Boden, den Pass verweigerte, wegen ihrer deutschen Sympathien ! Wenn England vor Amerika Angst hat, so hat wiederum Amerika vor England Angst. Und zwar wegen der Milliarden England und Frankreich geliehenen Geldes. It is not “love that makes the world go round” – its money!

Dienstag,d.14.Dezember. Georgie ist zum Leutnant befördert, und Siegfried gratuliert dazu in einem sehr netten Brief. Die Schwadron ist jetzt hinter der Front und requiriert für die Division. Georgie ist jetzt Kommandant eines Dorfes und überwacht das Dreschen von Weizen und Hafer, von superber Qualität, wie er sagt. Er wohnt im Gutshaus und ist also vorläufig glänzend geborgen. Die“Morning Post“ vom 10.Dezember schreibt : „Tag für Tag neigt sich die Bilanz des Reichtums mehr und mehr zu unseren Gunsten, mehr und mehr gegen den Feind. Doch

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dürfen wir nicht allein darauf bauen. Die Geschichte lehrt uns, dass Geldmangel nie ein Land gehindert hat, bis zum letzten Atemzuge zu kämpfen, wie Deutschland es jetzt tut.“ Jede englische Zeitung erschallt von den Worten: „we must win the war“. Ein ganz probates Rezept für dieses komplizierte Gericht hat allerdings noch keiner gefunden, es sei denn die Aushungerungstheorie.

Donnerstag,d.16.Dezember. Herr v.Schönebeck, Kommandant eines Offizier-Gefangenenlagers in Fillungen, sagt, die allerherrlichsten Lebensmittelpakete bekämen die Engländer. Wenn er nachmittags zur Teestunde ihr Zimmer betritt, würde er selbst ganz hungrig. Jede Sorte Brot, Kuchen, Biscuits, Jams sind da aufgebaut. Aber in der Korrespondenz, welche er zensieren muss, findet er die lächerlichsten Dinge. Ein Leutnant schrieb: „Jeder deutsche 2-Markschein hat „Gott strafe England“ darauf gedruckt.“ Die Bulgaren haben die französischen und englischen Truppen aus Mazedonien vertrieben, nach Griechenland hinein, und wir erwarten mit Interesse die weiteren Entwicklungen. Griechenland macht „bonne mine au mauvais jeu“. Sir John French hat das Oberkommando der britischen Truppen in Frankreich niedergelegt. Er zieht sich zurück als Viscount French. Sein Nachfolger ist Sir Douglas Haig.

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Sonntag,d.19.Dezember. Der letzte Advent. Mit schwerem Herzen erwarten wir das kommende Fest, mit dem Bewusstsein, dass das Ringen endlos weitergehen wird – und dass wir vielleicht einen dritten Weihnachten unter Waffen verleben müssen.

Dienstag,d.21.Dezember. Der Sieg von Gallipoli.

(Drahtmeldung)

Konstantinopel,20.Dezember. An der Dardanellenfront begannen unsere Truppen in der Nacht vom 18.zum 19.und am Morgen des 19.Dezember bei Anafarta und Ari Burun nach heftiger artilleristischer Vorbereitung die Angriffsbewegung gegen die feindlichen Stellungen. Um diese Bewegung aufzuhalten, unternahm der Feind nachmittags bei Sedd ul Bahr mit allen seinen Kräften einen Angriff, der vollkommen scheiterte. Der Feind musste einsehen, dass der Erfolg unseres gegen Norden vordringenden Angriffs unvermeidlich war, und schiffte in der Nacht vom 19.zum 20.Dezember in aller Eile einen Teil seiner Truppen ein. Nichtsdestoweniger konnte der Feind trotz des dichten Nebels die Verfolgung unserer Truppen während seiner Rückzugsbewegung nicht hindern. Die letzten Berichte von heute sagen, dass unsere Truppen Anafarta und Ari Burun vom Feinde so gründlich gesäubert haben, dass dort auch nicht ein feindlicher Soldat zurückgeblieben ist. Unsere Truppen drangen bis zur Küste vor und machten sehr grosse Beute an Munition, Zelten und Kanonen.“

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So endet „The Gallipoli adventure“, wie sie es in England nennen. Jedoch am 5.Juni, in einer Rede in Dundee hat Winston Churchill, damals First Lord of the Royal Admeirality, gesagt: „The army under General Hamilton and the fleet under Admiral de Robeck are with in a few miles of a victory such as this war has not yet witnessed. It will determine England’s destiny and shorten the war.” Heute hatten mich Zimmermanns zum Tee eingeladen, um Sir Roger Casement zu treffen. Trotz seiner sehr jugendlichen Erscheinung ist er glaube ich näher an 70 als an 60. Es ist mir ganz schleierhaft, wie er sich mit deutscher Hilfe die Befreiung Irlands vorstellt. Ich fürchte, er geht furchtbaren Enttäuschungen und einem schmachvollen Tode entgegen. Die Unterhaltung drehte sich um den Congo. Ein Freund Dr. Zimmermanns zeigte uns einen Brief, den er in den Brüsseler Geheim-Archiven gefunden hatte. Es war ein Privatbrief von dem Afrikareisenden Mr.Henry M.Stanley an König Leopold von Belgien geschrieben nach der Ermordung von Mr.Stokes. Sehr genau erinnere ich mich dieses Falles nicht mehr. Ich glaube, er wurde von den Belgiern am Congo aufgehängt, unter einem nicht einwandfrei bewiesenen Verdachte, Waffen an die Eingeborenen verkauft zu haben. Mr.Stanleys Brief sagt in diplomatischen Worten etwa folgendes: „Obgleich die britische Regierung über die Erschiessung von Mr.Stokes sehr entrüstet ist, jedoch lieber als dass die radikale Presse ein Zetergeschrei darüber anfängt, wenn König Leopold einen Brief schreiben würde, dass er an der Sache unschuldig sei und eine Untersuchung

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verspräche, dann würde die englische Regierung die Sache ruhen lassen.“ Die Wege der Diplomatie sind mannigfach. Hier haben wir wieder einen Beweis, wie eng das Schicksal Belgiens mit England verkettet war. „Trotzdem“, sagte Sir Roger, „wenn der alte Leopold noch lebte, hätten wir diesen Krieg wohl nicht gehabt, wenigstens vorläufig noch nicht. Er hatte die Fähigkeit, eine Nation gegen die anderen auszuspielen, er war beinahe so schlau wie das britische Auswärtige Amt. Ein schlauer alter Racker wie König Leopold richtet oft weniger Unheil an als ein ehrlicher Esel wie König Albert, der sich vollständig einseifen liess.“ Sir Roger erinnerte daran, dass in den letzten Jahren Belgien und belgische Angelegenheiten niemals im englischen Parlament erörtert werden durften. Vom Congo nach Irland. Wohl der Hauptvorwurf, den man dem englischen Regime in Irland machen muss, sind die vielen Hungersnöte, die gewiss zu vermeiden gewesen wären. Irland hat ja einen fabelhaft fruchtbaren Boden, wenigstens zum grossen Teil. Infolgedessen der Hungersnöte befindet sich die Bevölkerungszahl in fortschreitender Abnahme. Irland hatte im Jahre 1840

8,177,000 Einwohner

1850

6,696,000



1870

5,408,000



1900

4,458,000



1911

4,390,000



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Amerika hat bis jetzt alle Iren verschluckt, die zu Hause verhungert wären, aber sie bleiben nicht Iren, sie werden bald genug Amerikaner. Die Grossgrundbesitzer in Irland sind bis auf wenige Ausnahmen überhaupt keine Iren. Es sind Engländer, die meistens ganz andere Einnahmequellen haben.

Mittwoch,d.22.Dezember. „A d v e n t“ von Hans Ehrenbaum. Aus dem Nachlasse des im Felde gefallenen Dichters. Weil wir in Wintersturm und Eisenklang Der stummen Wut der Schanzen hingegeben So bettelarm und abgeschieden leben, Erstarrend zwischen Sieg und Untergang, Weil für uns keine Weihnachtsbäume brennen, Wenn fern die Heimat sich zur Freude schmückt, Da, wo die Kinder froh ins Zimmer rennen Und Frauen sind in Anmut süss verzückt - : Komm zu uns über die verschneiten Hügel, Du alter Christ, vom Leid der Welt bewegt, Breite dich in des Himmels Silberflügel Ueber uns aus, dass auf der dunklen Erde Aus unsrer Wunde deine Wunde werde, Die sanft die Not der grossen Stunde trägt.

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Heilig Abend. Wir waren eine stille kleine Familie um den Christbaum. Die Jungens haben beide geschrieben, sie haben wohl zu viel zu tun, um grosses Heimweh aufkommen zu lassen. Wie heiter sind die Strassen letzthin gewesen, hell erleuchtet, die Läden haben grosse Geschäfte gemacht, und überall sind Soldaten. So ist es äusserlich.-

Sonnabend,d.25.Dezember. Der Sieger von Lüttich, General der Infanterie v.Emmich ist in Hannover gestorben. Gott erhalte unseren Hindenburg. Wenn er uns genommen würde, wer würde die Wache im Osten halten ? Mr.Asquith gibt im House of Commons die Zurücknahme der englischen Truppen von Gallipoli bekannt und sagt, sie wäre ohne Verluste vor sich gegangen, weder an Soldaten noch an Material.Die Türken dagegen sagen, sie hätten ungeheure Beute gemacht. Wer hat nun Recht ? Wir gingen Abends ins Deutsche Theater, wo „Was ihr wollt“ gegeben wurde.

Sonntag,d.26.Dezember. Ich war etwas im Zweifel, wie unser übliches Familiendinner vor sich gehen würde, aber es war doch ein sehr netter Abend, und im Gegensatz von Hunderttausenden von Familien können wir nur von Dank erfüllt sein. Die Jugend gab nach Tisch ein Konzert, drei Mandolinen, zwei Lauten, eine Guitarre und Klavier. Dann setzten

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wir uns um den brennenden Baum und Otto Stahn spielte aus Walküre, Götterdämmerung, Parsifal. Er war so richtig in Stimmung und hat sich selbst übertroffen. Als er geendet hatte, rief Erich Eckelmann, „nun möchte ich Euch zurufen „Hunnen“. Und wirklich, es wäre ein Bild gewesen für den „Temps“ oder „Daily Mail“.Les boches chez-vous eux – the Hun at home“. – Irgend einen Titel hätten sie schon gefunden.

Dienstag, d.28.Dezember. Heute wurde Leutnant Herbert Roese mit militärischen Ehren beigesetzt. Es war eine erschütternde Feier. Seine arme Mutter hat ihn von Russland überführen lassen, um einen der Söhne hierzuhaben. Der andere liegt in Frankreich, in einem namenlosen Grabe. – Der Vater ist noch in London. Das Home office gibt ihm keine Erlaubnis zur Abreise. Ein kalter, regnerischer Tag erhöhte noch die traurige Stimmung. Abends holten wir Agnes Drenckhan vom Lehrter Bahnhof ab und brachten sie nach der Friedrichstrasse en route nach Warschau, wo sie zehn Tage bei ihrem Manne verleben soll. Es ist heutzutage sehr schwer, eine Droschke zu bekommen, man muss aufpassen wie ein Schiesshund. Die Treppen und Bahnsteige von der Friedrichstrasse waren eine undurchdringliche Masse feldgrauer Männlichkeit,man dachte an die Mobilmachungstage. Heute waren es meistens kommende und gehende Weihnachtsurlauber.- Es war ganz schwer, die arme lahme Agnes zu ihrem Schlafwagen zu befördern. Es ist doch merkwürdig, dass die einzige unserer Familie, die ins fremdes, in

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Feindesland geht, Agnes ist, die körperlich so hilflos ist. Sie wird gewiss viel unterwegs zu sehen bekommen.

Donnerstag, d.30.Dezember. Sir Joseph Comton Rickett 132 M.P.gibt seine Friedensbedingungen im Dezember “Contemporary Review” bekannt (Lokalanzeiger) : „ Selbstverständlich müssen Deutschland die Kolonien und die Flotte weggenommen werden, auch eine gehörige Krigeskostenzahlung versteht sich von selbst. Aber damit ist Deutschland noch nicht auf die Dauer tot zu machen. Auch eine militärische Besetzung Deutschlands muss einmal ein Ende haben. Es ist also mehr nötig.Niemand wünscht die deutsche Rasse ihres Rechtes zur Selbstherrschaft zu berauben, aber wir müssen die Völker befreien, die unter der deutschen Herrschaft gelitten haben und die sich Deutschland nicht hat versöhnen und assimilieren können. Wir werden uns die Nordsee wohl dadurch sichern müssen, dass wir die deutsche Seeküste einem neuen Bund kleiner Staaten anvertrauen und für uns selbst eine Flottenstation, etwa Helgoland, behalten, um den Nordostsee-Kanal zu beherrschen. Vielleicht hat der Krieg die Folge, Nord- und Süddeutschland wieder voneinander zu trennen, während die nichtdeutschen Völker von Mitteleuropa in neue Staaten zusammengefasst werden, welche den Zugang nach Südwest behüten. Das Problem ist sehr verwickelt und kann nicht durch eine allgemeine Verdammung der Uebel des Militarismus er-

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ledigt werden. Deutschland muss die Strafe für seine Eroberungssucht bezahlen, aber in irgend einer Weise müssen wir es wieder in die Gesellschaft der zivilisierten Nationen aufnehmen. Dann können wir vielleicht hoffen, dass es, geläutert durch sein Leid, sich zu einem neuen Leben erhebt.“ Dabei gibt es Menschen, welche glauben, England werde über kurz oder lang zu einem für uns genehmen Frieden bereit sein. Wir wären ja mit einem für uns leidlichen Frieden zufrieden, die Engländer wollen aber ganz etwas anderes. Das Pressebüro des türkischen Kriegsministeriums gibt bekannt, dass der „erfolgreiche“ Rückzug der Engländer in Gallipoli darauf zurückzuführen sei, dass ihre Truppen auf Hospitalschiffen abtransportiert wurden. Das Zeichen des Roten Kreuzes wurde von den Türken respektiert. Das ganze Geheimnis des Erfolges des Rückzuges der Engländer beruht also in dem Schutze durch die Genfer Flagge.

Freitag, den 31.Dezember. Kurt von Hartrott ist Weihnachten zuhause gewesen, er und Traudel kamen auf zwei Tage nach Berlin, und wir trafen uns alle Silvester bei Onkel Rudolf – unsere Herzen weit fort nach Osten und nach Westen. – „Ein glückliches neues Jahr“, es klingt wie blutiger Hohn !

Namens-und Ortsregister Aachen 25, 29, 254, 255 Aden 139 Afrika 99, 140 Albert (König v. Belgien) 50, 274 Alexander (Obrenovic; v. 1881 bis 1903 König von Serbien) 47 Amur 99 Anafarta 272 Andenne 58 Annecy 7 Antwerpen 50, 71, 72, 78, 79, 198, 241, 242, 244 Annunzio, Gabriele d´ (vgl. Anm.113) 196, 197 Anvillers 193 Argonnerwald 97 Ari Burun 272 Asien 99, 140 Asquith Herbert Henry (1852-1928; brit.Premierminister 1908-1916) 135, 136, 147, 162, 257, 258, 260, 276 Augustow 151 Avarna, Giuseppe (ital. Botschafter in Österreich) 201 Bacharach 59 Bad Ems 186 Balfour , Arthur James (1848-1930; brit. Außenminister; vgl. Anm. 130) 260 Balkan 189, 247 Ballin, Hr. 30 Bangor 161 Bärenwalde 6 Barnadiston 77, 78 Basel 7, 50 Bashford 27 Battenberg, Lous Prince of (Louis Mountbatten, 1. Marquess of Milford Haven; brit. Admiral hess. Herkunft) 126 Becke, Hr. von dem 180 Behncke, Paul (1866-1937; dt. Admiral) 59, 82, 93, 95, 108, 112, 132, 138, 162, 178, 229 Belfort 28 Belgrad 47, 104 Bellati (ital. Botschafter )110 Bergen 241 Bergmann, Sigmund 22, 24, 25

Berlin 1, 3, 5, 6, 14, 20, 24, 25, 27, 28, 29, 38, 51, 59, 66, 73, 75, 76, 78, 82, 90, 93, 96, 98, 102, 105, 110, 125, 127, 128, 129, 132, 138, 142, 144, 148, 156, 157, 160, 170, 179, 180, 181, 182, 187, 196, 198, 199, 208, 212, 214, 216, 222, 225, 229, 237, 238, 240, 243, 245, 249, 254, 257, 265, 267, 279 Bernstorff (dt. Adelsgeschlechtt; vgl. Anm. 30, 109) 57, 192, 194, 210 Bethmann-Hollweg, Theobald v. (18561921; vgl. Anm. 114 ) 196 Beveridge, Ray 270 Bialystock 240 Bismarck, Otto Eduard Leopold v. (18151898; preuss. Politiker u.Staatsmann)34, 175, 177, 239 Bletchingly 132 Bloem, Walter 64 Blücher, Gebhardt Leberecht v. (17421819, preuss Generalfeldmarschall) 165 Bojadjieff 268 Bombay 139 Bonar Law, Andrew (1858-1923; brit. Politiker u. Staatsmann) 134, 218 Bonn 17 Bordeaux 70 Borkum 126 Böttinger, Fr. von 43 Böttinger, Hr. von 30 Boulogne 40, 77 Brandenburg 1, 3, 4, 28, 29, 31, 40, 50, 55, 73, 95, 99, 114, 115, 129, 134, 155 Brandt, Augustus 132 Braunschweig 8, 11, 18, 69, 90, 103, 129, 162, 170, 208, 218 Bredow 3, 29 Bresch 219, 249 Brest-Litowsk 233, 234, 235, 236 Brockdorff (holst. Adelsgeschlecht; vgl. Anm. 92) 154 Brüning, Fr. 233 Brüning, Herrmann 2, 3, 17, 25, 76, 96, 97, 127, 143, 167 Brüssel 28, 51, 72, 77, 92, 164, 258, 259 Bryan, William J. (1860-1924; amerik. Politiker) 197, 209, 210, 220

Buchanan, Sir John W. (1854-1924, brit. Diplomat) 53 Budapest 50 Buenos Aires 137, 217 Bulgarien 241, 247, 268 Bülow, Karl. W. Paul (1846-1921; dt. Generalfeldmarschall) 43 Bunbury, Sir Charles 149 Burnand, Sir Francis 193 Burnham, Lord 27 Burns 135 Byron, Anna Isabella (1792-1860, bekannt als Lady Byron) 201 Byron, George Gordon N. (1788-1824; brit. Dichter; bekannt als Lord Byron) 164 Caine, Hall 174 Calais 77, 79 Caliban (vgl. Anm.78) 142, 199, 262 Cambon, Paul 135, 260 Cannes 118 Carlyle, Thomas (1745-1881, schott. Historiker u. Essayist) 166 Carson, Sir Edward (1854-1933; irischer Politiker) 258 Cartwright, Sir Fairfax 135 Caruso, Enrico 58 Casement ; Sir Roger (1864-1916; brit. Diplomat, vgl. Anm. 102) 191, 273 Cavell, Edith (1864-1915; brit. Spionin) 252, 253 Cecil, Sir Robert (1864- 1958; brit. Politiker, Friedensnobelpreisträger 1937) 162, 215, 216 Champagne 164, 175, 244 Champneys 5 Chelius 15, 21, 62 Christensen, Adler 191, 192 Christiana 191 Churchill, Sir Winston Leonard (18741965; brit. Staatsmann) 33, 134; 187, 198 260, 273 Cocosinseln 96 Colombo 139 Compton Rickett, Sir Joseph (1847-1919; engl. Politiker) 278 Constanz, s. Konstanz Coronel 108, 181 Cotzhausen, Hr. v.18 Coulter 197 Courcy 248

Courtmey 259 Curson, (Curzon), Sir George 55, 69 Dankwarderode 90 Dardanellen 198, 210, 217, 228, 260 Davignon 51, 52 Davos 132 Degenhardt, Dr. 30, 44, 56, 66 Deimling, Berthold (1853-1944; preuss. General) 245 Desch 183 Dingel 16 Dixmuiden 86, 98, 100 Donaueschingen 155, 183, 184 Donner, Theo 61 Dover 162 Doyle, Arthur Canon (1859-1930; brit. Arzt u. Schriftsteller) 174 Draga (Masin; 1861-1903; serb. Königin 1900-1903) 47 Drenckhan, Agnes 109, 277 Drenckhan, Carl 109, 200 Dricourt 245 Dundee 273 Dünkirchen 77, 79 Durban 109 Durham, Maud 258 Eastbourne 56 Eckelmann, Erich 69, 91, 119, 250, 277 Eduard (VII; engl. König 1901-1910) 18, 32, Eichhorn Herrmann v. (1848-1918; dt. Generalfeldmarschall) 151, 155 Eilenriede 196 Elsa 1, 5, 56, 59, 66, 69, 73, 90, 115, 128, 138, 155, 180, 198, 214, 218, 242 Elsass-Lothringen 7, 266 Emmerich 50 Emmich 276 Engel, Georg 123 Ernst August (hannov. Herzog) 260 Esher, Lord 188, 189 Eulitz 58 Ewers, Hanns Heinz (1871-1943; dt. Journalist u. Schriftsteller) 49 Faber 79 Falke, Dr. v. 58 Falklandinseln 107, 108, 129 Fashoda 207 Fichte, Johann Gottlieb (1762-1814; dt. Philosoph) 263 Fillungen 271

Firks, v, 43 Fisher, Sir John (vgl. hz. Anm. 69) 126, 198 Flandern 97, 98, 116, 157, 175, 181, 191, 227, 228, 253 Flood 133 Fort Said 139 Franck, Hans 71 Freiburg 25, 28, 48, 66, 107, 180, 181, 183, 225, 229 French 117, 165 French, Sir John 271 Friedrich von Nürnberg 251 Friedrich Wilhelm (1831-1888; dt. Kronprinz; als Friedrich III dt. Kaiser 1888) 68 Froitzheim 137 Frücht 186 Fry, Edward 145 Fulda 120 Fürstenberg 183 Gagzow, Elsbeth 245 Gagzow, Richard 245, 246 Galizien 42, 171, 191, 214, 224, 225, 237 Gallipoli (vgl. Anm. 118) 228, 260, 264, 272, 273, 276, 279 Gallwitz, v. 268 Gardiner, A. 208 Genf 212 Genua 139 Georgie 1, 3, 4, 8, 11, 28, 29, 31, 44, 55, 69, 71, 73, 74, 75, 82, 88, 89, 91, 95, 99, 102, 103, 104, 114, 115, 119, 131, 134, 139, 140, 153, 155, 156, 162, 170, 179, 182, 188, 202, 211, 214, 215, 216, 218, 219, 220, 225, 234, 236, 241, 247, 256, 257, 265, 270 Gertung, C. 104, 152 Gibraltar 119, 137, 173 Gilgenburg 38, 41 Givenchy 167 Glasgow 55, 93, 112 Glencossner 150 Goens, Georg (vgl. Anm.2) 8, 20, 42 Goerz, Hellmuth 74 Goschen, Sir Edward 15, 93, 160 Gottlieb 149 Goverts 132 Grabe, Emil Erich Richard 213 Graham, Stephan 156

Granny 1, 30, 46, 47, 56, 59, 62, 88, 116, 169, 179, 180, 206, 233 Graudenz 6, 8 Greeff, Richard (1862-1938; dt. Augenarzt) 99 Greindl, Jules (1835-1933; belg. Diplomat) 78, 80 Grey, Sir Edward (1862-1933; brit. Außenminister 1905-1916) 26, 33, 34, 80, 134, 135, 150, 247 Grierson 77 Grodno 170 Gülitz 80, 198 Günterstal 181 Günther, Rolf v. 225 Haig, Sir Douglas (1861-1928; vgl. Anm.98 ) 167, 271 Haldane, Lord Richard B. (1856-1928; brit. Politiker) 75, 150 Hamburg 213, 255 Hamilton, Sir Jan 217, 247, 273 Hamshire 87, 88 Hannover 71, 75, 117, 195, 213, 276 Happe 230 Hardy, Fr. 41 Harker 2, 127 Harmsworth 62 Harrison 172 Hartlepool 110, 111, 125 Hartrott, Kurt von 195, 279 Hedwig 2, 3, 13, 48, 61, 82 Heiligendamm 46 Helfferich, Dr. Karl Theodor (1872-1924; vgl. Anm. 26) 48 Helgoland 39, 126, 138, 161, 278 Hessen, Prinz Carl v. 253 Hindenburg, Paul v. (1847-1934; dt. Feldmarschall u. Reichspräsident) 38, 44, 54, 98, 99, 100, 101, 102, 106, 107, 111, 117, 148, 149, 151, 157, 160, 169, 186, 228, 238, 242, 244, 276 Hindenburg, Frau v. 157 Hirschsprung 183 Hohenstein 40 Hohentwiel 183 Holzminden 56 Hübner 145 Hume, Grace 87 Hume, Käthe 88 Huy 58 Ilse 5, 29, 73, 170, 225

Indien 55 Ipswich 229 Irene 2, 5, 8, 20, 41, 59, 69, 115, 128, 155, 198, 217, 218, 225, 237, 242 Jaroslaw (Ort in Galizien) 225 Jaurès, Jean (vgl. Anm. 129) 257 Joffre, Joseph Jacques Césaire (18521931; vgl. Anm. 64) 113, 114, 130, 165, 254 Jwangorod 234 Kapellen 185 Karlsbad 180 Karlsruhe 66, 180, 209 Karstädt 2 Kassel 187 Käthe Hume 88 Kattner 17, 93 Kessel , Gustav v. (1846-1918;dt. Generaloberst) 141, 212 Kiautschau 26 King, J. 145 Kingsley, Sir Charles (vgl. Anm. 86) 149, 207 Kingston-Fox, R. 171 Kipling, Rudyard (1865-1935; brit. Schriftsteller) 174, 220 Kirchhoff 140 Kitchener, Lord Herbert (1850-1916; brit. Feldmarschall) 95, 96, 97, 105, 118, 161, 187, 188, 241, 242, 243, 264, 268 Kobryn 236 Koch, Bruno von 137 Koch, Erwin 95, 119 Koevess, Herrmann v. 268 Kolmar 37 Köln 29 Königsmarck 29, 253 Konstantin 264 Konstantinopel 189, 228, 257, 272 Konstanz 184 Kopenhagen 14, 47, 191 Kowel 247 Krakau 107 Kreuzer 137 Kutno (pol. Stadt i.d. Woiwodschaft Lodz) 97, 98 La Bassée 83, 110 Lake Nyassa 31 Langmarck 100 Laon 254 Lassar 154

Le Man, Hendrik (franz. General) 29 Lehmann 25 Lemberg 44, 45, 57, 212 Lenczka 99 Lennhoff, Eugen 236 Leopold ( II, 1835-1909, König v. Belgien) 273, 274 Libau 208 Liberien 99 Lichnowsky, Karl Max Fürst v. (18601928; dt. Diplomat) 15, 80 Lievin 226 Lille 40 Lipno (Stadt i. Polen) 97 Lissauer , Ernst (vgl Anm. 100 ) 173 Liverpool 195 Lloyd George, David (1863-1943; brit. Premierminister 1916-1922) 161, 202 Lodz 99, 101, 102, 114, 119 Lomza 234 London 1, 10, 14, 15, 24, 30, 33, 34, 35, 39, 43, 44, 45, 55, 59, 66, 70, 79, 80, 85, 87, 96, 104, 105, 107, 108, 128, 132, 133, 135, 139, 140, 147, 150, 154, 160, 164, 170, 172, 190, 195, 202, 203, 206, 210, 211, 218, 220, 226, 229, 232, 250, 264, 268, 277 Longwy 36 Lonth 12, 73, 197, 246 Lonvain 37 Loreburn, Lord 217 Lothringen 27, 46, 114 Löwen 56, 58, 90, 92, 260 Lowicz 101 Lübeck 7 Lucy, Sir Henry 223 Luisenhöhe 181 Lüttich 12, 16, 29, 43, 58, 276 Lützen 141 Lyck 240 Lysa Gora 212 Lyttleton, Canon 172, 178 Mackensen, General August v. (18491945; dt. Generalfeldmarschall) 101, 189 219, 227, 233, 236, 239, 247, 268 Maeterlinck 174 Magdeburg 129 Mailand 203 Mainz 21, 184 Malcomess (Frau) 127 Malcomess (Herr) 109, 127, 244, 252, 264

Malta 47 Mannheim 184 Marbach 187 Marburg 187 Marc, Alex 47 Marchais 254 Marconi 23, 196 Marianne 2, 5, 56, 238 Marie Antoinette (Maria Antonia Josepha Erzherzogin v. Österreich; 1755-1793, franz. Königin 1770-1793) 182 Marseille 69, 145 Massenbach, Frieda v. 254 Masuren 150, 153, 155, 156, 164, 179, 190 Maubeuge 45, 48 Maxse 265 Meaux 45 Meckel 17 Melbourne 139 Memel 169 Mensdorff , Graf v. 18 Mesopotamien 260 Metz 27, 28, 165, 169 Meyer-Waldeck, Alfred (vgl. Anm. 51) 95 Millais, John (vgl. Anm. 96 ) 164 Minotto, Demitrio 150 Moltke, Hellmuth Johannes Ludwig v. (1848-1916; vgl. Anm.15) 37, 239 Monaco 254 Montmirail 45 Monts, Anton Graf v. (1852-1930; dt. Diplomat) 31 Morley, Lord 26, 135, 165, 258 Mülhausen 28, 50, 181, 229 Müller, Prof. Max 149 München 31, 134, 135, 184, 270 Münsterlager 147, 148, 162, 191, 195, 196, 203, 208 Namur 30, 58 Nannie 5, 22, 41, 59, 198, 208, 216, 217 Napoléon 177, 211 Nauen 3 Nelson, Horatio (Lord Nelson, 1758-1805; brit. Admiral) 126 New York 23, 49, 50, 57, 186, 192, 213, 270 Newcastle 75 Nicholson 135 Nicolai Nikolajewitsch (russ. Großherzog) 118, 161

Nieuport 86, 110 Nikita (Nicola I. Petrovic Njegos;18411921; v. 1910-1915 König v.. Montenegro) 223 Nisch 251, 257 Nivelles 58 Northcliffe, Alfred H.(1865-1922; britischer Zeitungsmagnat u. Verleger) 15, 27, 105, 157, 206, 207, 208 Nowo-Alexandria 235 Oberelsass 37 Oberlahnstein 184 Offenburg 184 Omdurman 188 Ortelsburg 38, 40, 86 Osborne 47 Ossowies 234 Ostpreussen 38, 40, 55, 86, 97, 101, 152, 155, 156, 169, 190, 209, 240 Oxford 117 Paetzold 42 Papeete 70 Paris 12, 28, 33, 35, 45, 48, 68, 79, 135, 182, 264, 268 Pas de Calais 225, 226 Perleberg 17 Pietermaritzburg 109 Plaue 29 Plock (pol. Stadt in der Woiwodschaft Masowien) 97 Pohl, v. 142, 144 Poincaré , Raymond (1860-1934; franz. Staatspräsident 1913-1920) 223 Porta Westfalica 13 Portugal 82 Potsdam 3, 12, 28, 69 Presber, Rudolf (1868-1935; dt. Schriftsteller) 177 Pressentin 13, 48, 64, 69, 82, 86, 112, 116, 132, 142, 162, 170, 238, 264, 269 Preussen 38, 68, 148, 204, 266 Preussen, Joachim Prinz v. 51 Prusana 236 Przemysl 171, 174, 203 Punta Arenas 112 Putlitz 13, 233 Puttkammer 62 Quirinal 250 Radom 88 Radowitz, Fr. v. 190 Redmond 269

Regnault 68 Reichert-Teschen, A. 63 Reims 42, 43, 60, 66, 67, 111, 193, 245, 248 Reitze 86 Reuter 233, 260 Rheinsberg 163 Riga 50 Roberts, Lord 96, 97 Rochow, Hr. von 84 Rodaburg 24 Rodd, Lady 199 Rodd, Sir Rennell (1858-1941; brit. Diplomat u. Dichter) 250 Roegels, Ursula 19 Roese, Herbert 30, 210, 211, 226, 277 Roever, Winifried 59, 182, 225 Rokitno- Sümpfe (vgl. Anm. 126) 241 Rom 66, 68, 110, 196, 198, 199, 201, 256, 268 Ronaldskay 154 Ropp, Edmond v.d. 43 Ropp, Sofia v.d. 43, 61 Rosner, Karl 159 Ruhleben 92, 160 Russisch-Polen 125 Salandra, Antonio (1853-1931; ital.Politiker; vgl. Anm. 111) 196, 250 Saloniki 247, 251 Sandringham 82 Sarajewo 47, 215, 257 Savoyen 7 Scarborough 110, 111, 125, 126 Schlesien 111 Schleswig-Holstein 129 Schlitter 30, 43 Schönebeck , H. v. 155, 271 Schönholz 1, 3, 4, 5, 6, 10, 13, 76, 92, 127, 143, 177, 198, 213, 216, 219, 247, 264 Schröder, Bruno Baron v. (vgl. Anm. 94) 160 Schulenburg, Graf v.d. (vgl. hz. Anm. 4) 10, 56 Schulenburg, Gräfin v.d. (vgl. hz. Anm. 4) 10, 161 Schultze-Klönne, Dr. 131 Schulz 28 Schumacher 2 Schwarzwald 183 Schweiz 14, 184, 250

Sedd ul Bahr 272 Seele, Hans 92 Selborne , Lord William Palmer 88, 130 Semendria 268 Serbien 47, 52, 96, 216, 247, 257, 268 Sèvres 68 Shaw, George Bernard (1856-1950, irischbrit Dramatiker u. Politiker)168, 169 Sherrness 103 Shetlandinseln 144 Sibirien 223 Siegfried 1, 3, 250 Sieper, Ernst (vgl. Anm. 75) 134 Simson 59 Singen 183 Smart, Harold 56 Soissons 110 Soldau 97 Sonnino, Sydney (1847-1922; vgl. Anm.112) 196, 250 Soyce, Prof. 117 Spandau 180 Spee, Maximilian Graf v. (1861-1914; dt. Vizeadmiral) 108, 140 Speyer, Edgar 211 Stahl 213 Stahn, Otto 277 Stallupönen 97 Stanley, Henry M. 273 Stavenow 1 Stockholm 54 Stokes 273 Studzianski 179 Stuttgart 92 Südpolen 219 Süd-West-Afrika 217 Surray 132 Swalm 24 Swiatopolk 117 Sydenham, Lord 145 Tacken 145 Tahiti 70 Tannenberg 40, 86 Teltow 197 Thoma, Ludwig (1867-1921; dt. Schriftsteller; vgl. Anm. 3) 8 Thorn 13, 56, 98, 109 Thorne 163 Tokio 95 Trentino 196, 266 Trevelyan 135

Triberg 184 Türkei 88, 241, 247, 266 Ulster 191 Vaals 254 Velsen, Frau v. 91, 99 Velsen, Major v. 7, 1, 161, 71, 11, 100 Verdun 36, 42, 46, 61, 109 Verona 184 Viktor Emanuel (III; 1869-1947; ital. König 1900-1946) 223 Vlissingen 79 Voelke 248 Vogesen 27, 46, 114, 181 Waddington 174 Waldersee, Graf v. (vgl. hz. Anm. 42) 81, 90, 254 Wallich , Dr. Paul 157 Walter 2, 5, 7, 8, 11, 12, 15, 18, 21, 25, 29, 40, 42, 46, 64, 70, 71, 75, 81, 90, 103, 112, 114, 128, 129, 147, 148, 162, 165, 169, 174, 184, 191, 195, 196, 198, 203, 208, 218, 219, 225, 230, 234, 240, 241, 242, 244, 247, 248, 252, 254 Wannsee 31, 172 Warschau 98, 102, 223, 224, 227, 234, 277 Washington 193 Waterloo 164, 165, 211 Weddigen, Otto Eduard (1882-1915; vgl. Anm.102) 59, 178 Welldon,James Edward Cowell (18541937; engl. Geistlicher u. Bischof v. Kalkutta 1898-1902) 128

Wellington, Arthur Wellesley (1769-1852; brit.Feldmarschall )165 Werner, Anton von (vgl. Anm. 48) 66, 68, 127 Westfalen 79 Westgalizien 189 Whitby 111 Wien 52, 182, 200 Wilamowitz-Möllendorf , Prof. v. 138 Wilhelm (II; dt. Kaiser 1888-1918) 62, 125, 138, 152, 172, 222, 238, 243 Williams, Rev. H.B. 160 Wilna 240, 242 Wilson, Woodrow (1856-1924; amerik. Präsident 1913-1921) 174, 209, 269 Winchester 23 Winterfeld, Fr. v. (vgl. hz. Anm.1) 58, 81, 145, 264 Winterfeld, Hr. v. (vgl. hz. Anm. 1) 80, 96, 143, 224 Witte, Baron v. 257 Wittenberge 2, 143 Witur 89 Wladimir-Wolynski 235 Yarmouth 91 Yokohama 95, 119 Ypern 98, 186, 245 Zillebeeks 110 Zimmermann 95, 273 Zitzewitz, Estie von 118, 209 Zitzewitz, Frau v. 10, 12, 15, 208, 209 Zitzewitz, Henry v. 89

Anmerkungen

1

Gemeint sind vermutl. Baronin und Baron v. Winterfeld. Die Familie v. Winterfeld zählt zum märkischen Uradel; Stammsitz ist der Ort Winterfeld in Salzwedel (vgl hz. www.wikipedia.de.; Art. „Winterfeld, Adelsgeschlecht“)2 Goens, Göns, Georg (1859-1918), Geheimer Konsistoralrat, Militäroberpfarrer des Gardekorps, Hofprediger,evangelischer Feldoberpfarrer des Westheeres, Seelsorger im kaiserlichen Hauptquartier. 3 Ludwig Thoma, Gesammelte Werke Bd. 6, München, 1990, S. 719 f. (Das Gedicht erschien seinerzeit auf der Titelseite der Münchener Neuesten Nachrichen.). 4 Gemeint ist die Familie von der Schulenburg (=brandenburg-preussisches Adelsgeschlecht mit Stammsitz Schulenburg/Altmark. Vgl. www.wikipedia.de Art. „Schulenburg (Adelsgeschlecht)“. 5 Pressentin (auch Pressenthin), Name eines mecklenburgischen Adelsgeschlechts (vgl. Wikipedia, Art. „Pressentin (Adelsgeschlecht)“. 6 Alfred Harmsworth, 1 Viscount Northcliffe (1865-1922, britische Journalist und Zeitungsmagnat (vgl. ww.wikipedia.de, Art. Alfred Harmsworth, 1 Viscount Northcliffe”)7 Roegels, Ursula; Erntelied, in: Bab, Julius, Die Deutsche Kriegslyrik, Stettin 1920, 4. 8 Vgl. Amtliche Kriegs- Depeschen ( im folgenden Text: AKD) Bd. 1; 49, Berlin 1914. 9 Es handelt sich um Sigmund Bergmann (1851-1927), der die Berliner Elektrizitätswerke mit gegründet hat. 10 Vgl.AKD Bd. 1: S. 50. 11 Vgl. AKD Bd. 1; S. 51. 12 Graf Anton von Monts, Botschafter in Rom. 13 Vgl. Frankfurter Zeitung v. 27. August 1914. 14 Vgl. AKD Bd. 1, S. 57. 15 Moltke, Helmuth Johannes Ludwig v.(1848-1916), Chef des deutschen Generalstabes von 1910 bis September 1916. Nach der verlorenen Marne-Schlacht wurde er von Erich v. Falkenhayn abgelöst (vgl. wikipedia, Art. „Helmuth Johannes Ludwig von Moltke“). Moltke galt als vehementer Befürworter eines "Präventivkrieges" gegen Russland, und zwar "...je früher, desto besser." (vgl. Craig, Gordon A., Deutsche Geschichte 1866-1945, München 1993, S. 292 ). 16 Vgl. AKD Bd. 1, S. 59 f. 17 Vgl. AKD Bd. 1; S. 61. 18 Vgl. AKD Bd. 1; S. 62. F. 19 Vgl. AKD Bd. 1; 61 ff. 20 Vgl. AKD Bd. 1; S. 65. 21 Vgl. AKD Bd. 1; S. 66. 22 Vgl. AKD Bd. 1; S.74. 23 Vgl. AKD Bd. 1, S. 81. 24 Vgl. AKD Bd 1, S. 85. 25 Hermann von Stein (1854-1927). 26 Helfferich, Karl Theodor (1872-1924), deutscher Wirtschaftswissenschaftler, Bankier und Politiker; von Mai 1916 bis Oktober 1917 Staatsekretär des Innern und Vizekanzler bis November 1917 (vgl. Wikipedia, Art. „Karl Helfferich“). 27 Vgl. AKD, Bd. 1; S. 92. 28 gemeint ist Sir George Curzon, (1859-1925), 1 Marquee of Kedlestone und konservativer Politiker. Curzon war während des 1. Weltkrieges der Lordsiegelbewahrer im Kabinett Asquith29 Vgl. ebda. S. 94 30 Die Familie von Bernstorff hat ihren Stammsitz in Bernstorf in Nord-Westmechlenburg und gehört zum mecklenburgischen Uradel (vgl. www.wikipedia.de, Art. "Bernstorff"; vgl. auch Anm. 109. 31 Vgl. AKD Bd. 1; S. 101f. 32 Vgl. AKD Bd. 1; S.111. 33 Paul Behncke, (1866-1937), vgl. www.wikipedia.de. Art. „Paul Behncke“. 34 Vgl. AKD Bd. 1; S. 111f. 35 Vgl. AKD Bd. 1, S. 119f. 36 Vgl. hz. Werner, Theodor Wilhelm: Gebet. Von A. Reichert-Teschen; 1914; für 1 Singstimme mit Klavierbegleitung, Leipzig 1914 37 Bloem, Walter, Unsere Toten, in: Volkmann, Dr. Ernst; Deutsche Dichtung im Weltkrieg, Leipzig 1934, S. 199, in: Kindermann, Dr. Heinz (Hrsg.), Deutsche Literatur-Sammlung literarischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Entwicklungsreihen, Reihe Politische Dichtung Bd. 8, Leipzig 1934

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Anton von Werner (1843-1915) war ein deutscher Maler und Hauptrepräsentant des sog. Wilhelmismus (vgl. www.wikipedia.de, Art. "Anton von Werner. Vgl hz. auch AKD Bd. 1, S. 111; sowie www.wikipedia.de, Art. „Kathedrale von Reims“) 39 Franck, Hans; Mein Kriegsbuch, Berlin 1916, S. 16 40 Vgl. AKD Bd. 1; S. 148 41 Vgl. AKD Bd. 1, S. 153ff. 42 v. Waldersee (preuss. Adelsgeschlecht aus Anhalt-Dessau) vgl. hz. www.wikipedia.de, Art. „Waldersee (Adelsgeschlecht)“ 43 Vgl. AKD Bd. 1; S. 167. 44 Vgl. ebda. S. 165. 45 Vgl.AKD Bd. 1; S. 151. 46 Quelle unbekannt. 47 Vgl. AKD Bd. 1; S. 186. 48 Vgl. AKD Bd. 1, S.207. 49 Vgl. AKD Bd. 1; S. 209. 50 Vgl. AKD Bd. 1; S. 212. 51 Meyer-Waldeck, Alfred (1864-1928; d. Marineoffizier; Gouverneur des Schutzgebietes Kiautschao (19111914; Vgl. www.wikipedia.de; Art. „Alfred Meyer-Waldeck“). 52 Vgl. AKD Bd. 1; S.217. 53 Vgl. AKD Bd.1, S. 230. 54 Vgl. ebd. S. 230. 55 Vgl. ebd. S. 232. 56 Richard Greeff (1862-1938), Professor für Augenheilkunde in Berlin. 57 Vgl. AKD Bd. 1; S. 246. 58 Vgl. AKD Bd. 1, S. 278. 59 Vgl. AKD Bd. 1; S 270; 274 u. 278. 60 Vgl. AKD Bd. 1; S. 279. 61 Vgl. AKD Bd. 1, S. 289. 62 Vgl. AKD Bd. 1, S. 191. 63 Vgl. AKD Bd. 1; S. 292. 64 Joffre, Joseph Jacques Césaire (1852-1931); französischer General. Ihm gelang es, den deutschen Vormarsch in der Marne- Schlacht (September 1914) aufzuhalten (vgl. wikipedia, Art. „Joseph Joffre“). 65 Vgl. AKD Bd. 1; S. 299. 66 Vgl. AKD Bd. 1, S. 318. 67 Vgl. AKD Bd. 1; S. 320. 68 Vgl. ebd. S. 319. 69 John Arbuthnot Fisher (1841-1920) war ein sehr einflussreicher General der Royal Navy, der als Erster Seelord die Großkampfschiffe der Dreadnought-Klasse einführte (vgl. www.wikipedia.d.,Art. „John Fisher, 1. Baron Fisher“) 70 Vgl. AKD Bd. 1; S. 340. 71 Vgl.ebd. S. 331. 72 Vgl. AKD Bd. 1; S.345. 73 The Times, 8. Januar 1915. 74 Vgl. AKD Bd. 1; S. 360. 75 Es handelt sich um den Münchener Anglisten Ernst Sieper, der sich mit dem Verhältnis von Deutschland und England beschäftigt hat. 76 Gemeint ist Sir Edward Grey, brit. Aussenminister 1905-1916 77 Vgl. AKD Bd. 1, S. 370 ff. 78 „Caliban“ war das Pseudonym des deutschen Schriftstellers und Redakteurs Richard Nordhausen (1868-1941). Vgl hz. Bab, Julius; Die Deutsche Kriegslyrik 1914-1918; Stettin 1920, S. 146; Wikipedia, Art. „Richard Nordhausen“. 79 Vgl. AKD Bd.2; S. 386. 80 Vgl. AKD Bd. 2, S. 391. 81 Vgl. ADK Bd. 2,; S. 391. 82 Zur Zensur im Ersten Weltkrieg vgl. Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumreich/Irina Renz (Hg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderbor, 2014, 974f. 83 Vgl. AKD Bd. 2; S. 400. 84 Ebd. S. 398. 85 Vgl. AKD Bd. 2; S. 404.

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Charles Kingsley (1819-1875), angelikanischer Theologe und Geistlicher, prägender Vertreter des "Christian Socialism" (vgl www.wikipedia.de, Art. „Charles Kingsley“). 87 Die Ehefrau des venezianischen Grafen Dimetrius da Minotto war die berühmte Schauspielerin Agnes Sorma (1862-1927). 88 Demetrio Graf Minotto (1856-1920). 89 Vgl. AKD Bd. 2; S. 413. 90 Vgl. AKD Bd. 2; S.420. 91 Vgl. AKD, Bd. 2; S. 421. 92 „Brockdorff“ ist der Name eines holsteinisch-dänischen Adelsgeschlechtes, dem u.a. Ulrich Graf Brockdorff enstammte; er wurde der erste Aussenminister nach der Abdankung von Kaiser Wilhelm II im Jahre 1918 (vgl. Wikipedia, Art „Brockdorff (Adelsgeschlecht)“. 93 Vgl. AKD Bd. 2; S 413. 94 Bruno (von) Schröder (1867-1940), deutsch-britischer Privatbankier, Kunstsammler und Mäzen. 95 Vgl. AKD Bd 2; S. 459. 96 John Everett Millais (1829-1896), britischer Maler. Ihm wurde als erstem britischen Künstler der Titel "Baronet"verliehen. (vgl Wikipedia.de; Art. "John Everett Millais) 97 Korrekte Schreibweise: "Revelry" (Feier, Lustbarkeit, Rummel). Der zitierte Satz bildet die Anfangszeile des Gedichtes „The Eve of Waterloo“ des englischen Dichterfürsten George Gordon Byron (1788-1824; bekannt als Lord Byron, vgl. z.B. www.poetgraves.co.uk./Classic Poems/Byron/the_eve_of_waterloo.htm. 98 Sir Douglas Haig (1861-1928), war der Kommandeur des britischen Expedionskorpses an der Westfront in Belgien und in Frankreich. (vgl. wikipedia.eng., Art. “Earl Haig”). 99 Vgl. AKD Bd 2; S. 492 . 100 Der deutsch-jüdische Dicher Ernst Lissauer (1882-1937) verfasste 1915 das vielbeachtete Gedicht "Hassgesang gegen England" (Ausschnitt: "Wir lieben vereint, wir hassen vereint, wir alle haben nur einen Feind: ENGLAND!") Lissauer wurde von Wilhelm II. der "Rote Adlerorden" verliehen. (vgl. wikipedia.de, Art. „Ernst Lissauer“) 101 Korrekte Schreibweise: Presber, (vgl. Register) 102 Otto Eduard Weddigen (1882-1915), bekannter deutscher U-Boot-Kommandant des 1. Weltkrieges. 103 Vgl. AKD Bd. 2; S. 525. 104 Vgl. AKD Bd. 2, S. 531. 105 Der Sieg einer britisch- ägyptischen Armee über die sudanesischen Madhisten in der Schlacht von Omdurman führte 1998 zur Errichtung eines anglo-ägyptischen Kondominiums in Sudan (vgl. Churchill, Winston, The River War: An Account of the Reconquist of the Sudan; Frankfurt/ Main 2008) 106 Vgl. AKD Bd. 2; S. 580f. 107 Sir Roger Casement (1869-1916), britischer Diplomat. Geboren in Dublin/Irland, aufgewachsen in Ballymena/Nordirland. Leidenschaftlicher Kämpfer für die Unäbhängigkeit Irlands, der 1916 wegen angeblichen Hochverrates hingerichtet wurde.(vgl. wikipedia.de,Art. „Roger Casement“) 108 Die „Lusitania“, seinerzeit einer der zwei größten Passagierdampfer der Welt, wurde am 7. Mai 1915 von einem deutschen U-Boot vor der Südküste Irlands versenkt. Rund 1.500 Menschen kamen dabei um. (vgl. www.wikipedia.de, Art. „RMS Lusitania“) 109 Albrecht Graf von Bernstorff (1890-1945), deutscher Diplomat und Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus; ermordet von der SS im April 1945 (vgl. wikipedia.de, Art. „Albrecht Graf von Bernstorff“ 110 Vgl. AKD Bd. 2; S. 599. 111 Salandra, Antonio (1853-1931), italienischer Premierminister von 1914- 1916. 112 Sonnino, Sydney (1847-1922), ital. Aussenminister der Regierung Salandra. 113 D´Annunzio, Gabriele (1863- 1938), italienischer Politiker und Schriftsteller, in dessen Werk der Krieg und seine Heroisierung eine bedeutende Rolle einnahm. (vgl. wikipedia.de, Art. „Gabriele D. Annunzio“) 114 Bethmann-Hollweg, Theobald v.; deutscher Reichskanzler von 1909 bis 1917. Nach Bethmann-Hollwegs Überzeugung war Russland der Hauptfeind des Deutschen Reiches; für ihn war der Krieg deshalb "...in gewissem Sinne...ein Präventivkrieg". (vgl. hz. Fischer, Fritz; Theobald v. Bethmann-Hollweg, in: ders.: Hitler war kein Betriebsunfall, München 1993, S. 136ff. ). 115 Vgl. AKD Bd. 2, S. 633f. 116 Vgl. ADK Bd. 2; S. 800. 117 Vgl. AKD Bd. 3; S. 826. 118 Gallipoli ist der Name einer türkischen Halbinsel, die das Marmarameer und die Dardanellen von der Bucht von Saros trennt. Austragungsort der Schlacht von Gallipoli (April 1915 - Januar 1916), die für die Entente mit einer Niederlage endete. (vgl. www. lexikon-erster-weltkrieg.de/ Schlacht_um_Gallipoli 119 Vgl. AKD Bd.3; S. 834. 120 Vgl. AKD Bd. 3; S. 835. 121 Vgl. AKD Bd. 3; S 839.

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Vgl. AKD Bd. 3; S. 854. Vgl. AKD Bd. 3, S. 853 f, 124 Vgl. AKD Bd. 3; S.859 ff. 125 Vgl. AKD Bd. 3; S. 865. 126 Auch unter dem Namen Poljessje bekannte größte Sumpflandschaft Europas; Teile gehören zu Polen, der Ukraine, Russland und Weißrussland.(vgl. www.Cyclopaedia.de/wiki/Rokitnospuempfe). 127 Vgl. AKD Bd. 3; S. 911. 128 Vgl. AKD Bd. 3; S. 993f. 129 Jean Jaurès (1859-1914), franz. Historiker und sozialistischer Politiker. Jaurés wurde am 31. Juli 1914 von einem franz. Nationalisten ermodet. (vgl. www.wikipedia.de, Art. „Jean Jaurès“). 130 Balfour, Arthur James; 1. Earl of Balfour (1848- 1930). Balfour bekleidete als Nachfolger von 1915 bis 1916 Winstons Churchills das Amt des Marineministers. Nach der Regierungsübernahme durch David Lloyd George wurde er Aussenminister (1917). Berühmt wurde er durch die sog. „Balfour- Deklaration“ v. 2. November 1917, in der Großbritannien den Zionisten sein Einverständnis bezüglich der Errichtung eines eigenen Staates in Palästina erteilte (vgl.Wikipedia; Art. „Balfour- Deklaration“). 131 Vgl. AKD Bd. 3; S 1047 ff. 132 Korrekte Schreibweise: Compton Rickett, vgl. Register. 123

T a g e b u c h, T e i l II, 1916 - 1928 (1926)

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Von Ottomar Enking. 1 Vom Himmel ward ein roter Stern genommen, Ein zarter Schein ist dafür aufgeglommen. Kommet Freunde ! Lasst uns unterm neuen Zeichen Einander ernst und still die Hände reichen. Wir, die wir soviel Not und Trübsal sehen, Ermessen nicht, wie grosses ist geschehen, Nicht wissen wir, was sich aus diesen Zeiten Fürs Vaterland an Wunden will bereiten, Doch uns durchflutet eines Ahnens Kraft, Die dem umwölkten Blicke Pfade schafft Da dringt es hoch ins Künftige hinein Und letzt sich froh am lautren Sonnenschein. Ja glaubt ! Es ist kein Tag so toterfüllt, Es ist kein Menschenherz so gramumhüllt, Dass endlich nicht das Glück gewandelt käme Und drinnen seine Ruh und Heimstatt nähme. So wird auch uns in Blütenpracht entbrennen, Was wir als dürres Reisig nur erkennen, Und Freude wird die Augen uns verklären, Wenn sie auch noch so tränenmüde wären. Auf ! Lasst uns vorwärts schreiten, kühn und frei, Erhobne Stirne winkt den Sieg herbei,

- 2Und unser Schwur zum heil’gen Unterpfande: Wir wollen alles sein dem Vaterlande, Wir wollen haften nicht am niedrig Kleinen, Die wir gewürdigt sind des Ungemeinen. Vor deutschen Schwertes Tun Gewittermacht Versinken, die uns Arges zugedacht. Dann soll mit ihren linden, starken Händen Die deutsche Liebe unser Werk vollenden. Du neuer Stern, du hast das Wort vernommen.Was Deine Strahlen bringen: Sei willkommen ! Sonnabend, d.1.Jan. „ An das deutsche Heer, die Marine und die Schutztruppen. Kameraden ! Ein Jahr schweren Ringens ist abgelaufen. Wo immer die Ueberzahl der Feinde gegen unsere Linien anstürmte, ist sie an Eurer Treue und Tapferkeit zerschellt. Ueberall, wo Ihr auch zum Schlage ansetztet, habt Ihr den Sieg glorreich errungen. Dankbar erinnern wir uns heute vor allem der Brüder, die ihr Blut freudig dahin gaben, um Sicherheit für unsere Lieben in der Heimat und unvergänglichen Ruhm für das Vaterland zu erstreiten. Was sie begannen, werden wir mit Gottes gnädiger Hilfe vollenden. Noch strecken die Feinde von West und Ost, von Nord und

-3Süd in ohnmächtiger Wut ihre Hand nach allem aus, was das Leben lebenswert macht. Die Hoffnung, uns in ehrlichem Kampfe überwinden zu können, haben sie längst begraben müssen. Nur auf das Gewicht ihrer Masse, auf die Aushungerung unseres ganzen Volkes und auf die Wirkungen ihres ebenso frevelhaften wie heimtückischen Verleumdungsfeldzuges auf die Welt glauben sie noch bauen zu dürfen. Ihre Pläne werden nicht gelingen; aus dem Geist und dem Willen, der Heer und Heimat unerschütterlich eint, werden sie elend zu schanden werden: Dem Geist der Pflichterfüllung für das Vaterland bis zum letzten Atemzuge und dem Willen zum Siege. So schreiten wir denn in das neue Jahr. Vorwärts mit Gott zum Schutze der Heimat und für Deutschlands Grösse ! Gr.Hauptquartier, d.31.Dezember 1915. Wilhelm.“ 2 Herr Hessenberg besuchte uns heute, von Kopenhagen kommend. Er wird dort noch sehr genau von englischen Agenten bewacht. Wir unterhielten uns über die vielen Symptome, welcher dieser furchtbaren Zeit vorangingen, Lord Northcliffe und seine Presse im besonderen. Vieles, was damals geringfügig erschien, sieht man jetzt im richtigen Verhältnis. Herr Hessenberg erzählte uns von einem Vortrag, welchen er im Jahre 1911, während des Balkankrieges in einem politischen Klub in Piccadilly gehört hatte und zu welchem ein Londoner Be-

-4kannter ihn eingeladen hatte. Das Thema sollte „The Irish Question“ sein, wurde aber im letzten Augenblick geändert und ein gewisser Mr.George Lloyd [Jetzt Lord Lloyd – High Commissioner in Ägypten + noch immer sehr deutsch-feindlich! (Anm. des Verf. 1928) ] sprach über „the Orient“. Ehe er seine Rede begann, sagte Mr. George Lloyd „J hope, there are no members of the press present“. Der Vortrag war nichts mehr und nichts weniger als ein bitterer Angriff auf Deutschland. Deutscher und oesterreichischer Einfluss müsse auf dem Balkan und in der Türkei unterdrückt werden, und die beste Art, dieses zu erreichen, wäre, Serbien auf jede Art und Weise zu stützen und dadurch einen Keil zwischen die Zentralmächte und den Orient hineinzuschieben. (Wir wissen ja alle, wie dieser Plan ausgeführt wurde, und dass man nicht vor einem Doppelmord zurückschreckte.) Herrn Hessenberg’s Bekannter war etwas geniert und sagte zu ihm :“ Well, you certainly ought not to be here.“ „Natürlich“, sagte Herr Hessenberg, „ich sehe jetzt ein, dass ich damals die Sache hätte nach Berlin berichten müssen, aber man hat es nicht für ernst genommen.“ Lord Courtney, vornehmer alter Gentleman, der er ist, sagteam 22.Dezember im House of Lords: „Ich halte diesen Krieg für einen grausigen und anscheinend nie zu beendenden Irrtum. Alle regierenden Persönlichkeiten Europas haben Fehler gemacht, unsere eigenen nicht ausgenommen. Wir haben missverstanden und sind missverstanden worden“.Im Gegensatz zu diesen würdigen Worten kommt Mr.

-5Runciman’s Neujahrswunsch. In der Finanzdebatte im House of Commons sagte er: „Was den Handel betrifft, ist Deutschland vollständig geschlagen, und es ist unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass es sich nie wieder erhebt.“ Das sind prägnante Worte seitens eines verantwortlichen Ministers. Sie verraten Englands wahren Kriegsgrund – die Zerstörung deutschen Handels und Wettbewerbs – und diese Politik soll ins Uferlose weitergeführt werden. ! Mittwoch,d.5.Jan. Aus englischen Weihnachtspredigten (Times d.27.Dez.) The Dean of Durham Cethedral: “Wir müssen kämpfen, bis wir den Sieg der Gerechtigkeit erlangt haben, bis wir das deutsche Volk gezwungen haben, die Theorie aufzugeben, welche zu ihrem Verbrechen gegen die Menschheit geführt hat. Einem bussfertigen Deutschland, welches sich wieder dem Christentum zuwenden will, würde man verzeihen, nicht aber einem Deutschland, welches über sein Verbrechen frohlockt !“ Archdeacon Wilberforce at St.John’s, Westminster: „Wir müssen beten, dass die Deutschen vom Fluche des Preussentums erlöst werden und dass sie die Ketten eines grausamen Militarismus sprengen. Die abscheulichen Grausamkeiten, die gotteslästerliche Anmassung der Deutschen müssen unmöglich gemacht werden. Die Alliierten sind Gottes Werkzeuge, um die Welt zu befreien!“

-6Diese Kanzelreden sind wahrscheinlich typisch für viele, beide Herren gehören der höchsten englischen Geistlichkeit an. Man stelle sich so etwas aus dem Munde Dryanders, Conrads oder Lahusens vor! Donnerstag,d.6.Januar. Die Butterversorgung setzt jetzt häufig aus, höchstens drei Tage in der Woche haben die Läden etwas zu verkaufen, und zu gewissen Stunden. Dann sieht man eine lautlose Schlange von Hausfrauen und Köchinnen, von einem Schutzmann bewacht, geduldig wartend ihr halbes Pfund zu erstehen. Marianne, unsere polnische cordon bleu, hat sich schon verschiedene Schnupfen dabei geholt. Es ist aber diesen Damen recht gesund, sich mit weniger Butter begnügen zu müssen. Fleisch ist rasend teuer geworden, und wir müssen uns mit einem Liter Milch für den ganzen Haushalt begnügen. Elsa und ich besuchten heute die Kriegsausstellung des Roten Kreuzes. Das Interessanteste war ein Schützengraben, von den Gardepionieren gebaut, ganz genau feldmässig, und ich bilde mir jetzt ein, genau Bescheid zu wissen. Montag,d.10.Januar. Weiss ich wirklich so genau Bescheid ? „Der Regen, er regnet jeglichen Tag“, ohne aufzuhören. Das Leben in dem best gebauten und best drainierten Unterstand muss bei diesem Wetter grauenhaft sein. Im House of Commons ist das Gesetz über Zwangsrekrutierung

-7in seiner ersten Lesung angenommen. Dienstag,d.11.Januar. Leutnant Hoffmann besuchte uns heute und brachte Grüsse von Georgie. Er erzählte folgende ergötzliche Geschichte: Als Georgie im Dezember Kommandant des Dorfes Nyry war, wohnte er bei einem reichen Bauern mit fünf Töchtern. Eine sollte heiraten. Die Brautgesellschaft fuhr nach Kovel zur Trauung, und Georgie und Will wurden zu 6 Uhr zum Hochzeitsschmaus geladen. Aber es wurde 6, die Gesellschaft kam nicht wieder, es wurde 7, es wurde 8. Um10 Uhr gingen Georgie und Will schlafen. Um 3 Uhr nachts lautes Klopfen. Da stand das glückliche Paar, welches in einen leeren Schützengraben gefallen war. Nun wurde das Dîner aufgetragen, riesige Schweine-, Kalbs- und Gänsebraten, dazu französischer Cognac. Dann wurde getanzt, und die schöne Braut zeigte durch ihr Benehmen, dass Panje Georgie und Panje Will ihr noch lieber gewesen wären als ihr angetrauter Gatte. Um 6 Uhr früh erschien eine zweite Mahlzeit, ähnlich wie die erste, von deutschem Cognac begleitet. Montag,d.17.Januar. Vaters Geburtstag, beide Jungens haben pünktlich geschrieben. Georgie schreibt, dass sie noch immer requirieren und dass er auf seinem ersten selbständigen Kommando mit 30 Kürassieren, 12 Infanteristen und 18 Russen unterwegs ist. Walter macht einen vierwöchigen „Zugführerkursus“ in Laon

-8durch und wohnt bei einer netten Familie, die jüngste Tochter heisst auch Irene. „Südöstlicher Kriegsschauplatz. Der König von Montenegro und die montenegrinische Regierung haben am 13.Januar die Einstellung der Feindseligkeiten und Beginn der Friedensverhandlungen erbeten. Wir antworteten, dass diese Bitte nur nach bedingungsloser Waffenstreckung des Montenegrinischen Heeres entsprochen werden können. Die montenegrinische Regierung hat gestern die von uns gestellte Forderung bedingungsloser Waffenstreckung angenommen. v. Hoefer, Feldmarschalleutnant.“ 3 Es wird uns ja nicht viel helfen, aber es ist wertvoll als erste Sprengung des uns umklammernden eisernen Ringes und wird vielleicht hemmend auf Griechenland und Rumänien wirken. Dienstag,d.25,Januar. Lord Rosebery sagte in einer in Edinbourgh gehaltenen Rede: „Bei der Schnelligkeit, mit der wir Geld ausgeben, wird der Krieg uns finanziell sehr hemmen, aber unsere Feinde werden ruiniert, denn wenn das preussische Deutschland nicht vollständig ruiniert wird, haben wir durch den Krieg nichts gewonnen, und das wahre Christentum wird für Generationen aufhören. Es ist ja klar, dass Preussen beinahe erschöpft ist. Man erinnere sich an die alte Folter, wobei ein Mann zwischen

-9zwei Bretter gelegt wurde, die immer fester zugeschnürt wurden, bis er tot war. So ist jetzt Deutschland;auf der einen Seite die undurchdringliche Mauer der Franzosen und Engländer, auf der anderen der Strom zahlloser Russen. Zwischen diesen Brettern muss Deutschland erdrückt werden.“ Wir gratulieren Lord Rosebery zu einem Christentum, welches von einem ruinierten Preussen abhängig ist. Vielleicht gibt er uns Kapitel und Vers des Evangeliums, in dem er diesen wahrhaft „christlichen“ Lehrsatz gefunden hat. Das Merkwürdigste in diesem Kriege ist die geistige Atmosphäre, die sich in den Reden und Schriften der allerersten Männer Englands äussert. „Englands künftige Handelspolitik.“ Nach einem Bericht der „Times“ hielt Lord Sydenham auf einem Festmahl, das von verschiedenen am australischen Handel interessierten Handelshäusern, Banken und Reedereien zu Ehren des Parlamentsmitgliedes Mr.George.Reid gegeben wurde, folgende Rede: „Ich bin stets ein grosser Freund des Freihandels gewesen und habe auf diesem Gebiet mit Reid vollständig übereingestimmt, aber ich bin sicher, dass Reids Ansichten über diesen Gegenstand sich auch geändert haben. Niemals darf Deutschland wieder so tief in das Herz von Englands Handel und Industrie dringen wie früher. Die Regierung müsse hiergegen alle nur möglichen Vorkehrungen treffen. Wenn der Krieg 10 oder 15 Jahre später ausgebrochen wäre, so würde bis dahin Deutschland wahrscheinlich den ganzen britischen Handel unter seine

- 10 Kontrolle gebracht haben. Australien sei jetzt mit einem guten Beispiel vorangegangen, indem der Ministerpräsident gefordert habe, dass die deutschen Aktionäre von australischen Unternehmungen ausgeschlossen werden müssten.“ „Wofür kämpfen wir eigentlich ?“ Gustav Siösteen schildert in „Goteborgs Handelstidning“ einen Besuch im Döberitzer Gefangenenlager. Ein englischer Fähnrich, der in der englischen Abteilung den Führer gemacht hatte, wandte sich schliesslich, als kein Dritter in der Nähe war, an den Besucher und fragte ihn: „Aber sagen Sie mir nur, wofür kämpft man eigentlich ? Wir können es nicht herausbekommen.“ Ich gab zu, dass ich ebenso wenig Bescheid wüsste. „Man müsste sich vergleichen,“ meinte ich, „England beherrscht die Meere, und Deutschland kann nicht zu Lande besiegt werden.“ Er nickte: „It’s all a horrible mistake.” Dieser junge Fähnrich ist ein weiserer Mann als Lord Rosebery und Lord Sydenham und tausend andere. Donnerstag,d.27.Januar. Kaisers Geburtstag. Die Entwaffnung Montenegros nimmt seinen Verlauf. König Nikita ist nach Rom geflohen, wo er sicher mit Tochter und Schwiegersohn wenig angenehme Stunden verbracht hat, und von dort nach London.

- 11 Italien ist deprimiert, da die österreichischen und bulgarischen Truppen in Albanien Fortschritte machen. Die Entente scheint sich Italien gegenüber nicht ganz sicher zu fühlen. Man hat Minister Briand nach Rom geschickt, in einer besonderen Mission, und Sir Rennell Rodd wird wohl ein Milliönchen oder so seitens seiner Regierung anbieten, um etwaigen Abfall zu verhindern. Friede Von Georg Engel. 4 Wer darf ihn ahnen ? Wer kennt das Geheg, Die Bahnen, Den Weg, Die er schreitet, Der Vielerflehte, Der vielleicht eben aus sonnigen Himmeln reitet Ueber eine Strasse inbrünstiger Gebete, Zitternd geleitet Von hoffender Mütter stammelndem Dank Oder vom Lobgesang Harrender, glühender Bräute ? Weilt er noch fern ? Naht er schon heute Diesem armen,gequälten,verblutenden Stern Unter schwingendem,singendem Glockengeläute ?

- 12 Schaut auf die braunen,sich regenden Schollen! Vielleicht wandert er nackt,vielleicht irrt er fremd Durch die Furchen, die saaten- und segensvollen, Ein Knäblein im windgeschüttelten Hemd! Dann lauert ihm auf, dann lasst ihn uns greifen, Und brächte er nichts als frischen Mut, Wir nehmen ihn treu in sorgende Hut Und lassen ihn kräftig zum Manne reifen. Aber vielleicht sprengt er schon gold- und schätzebeschwert Durchs Tor auf edelsteinblitzendem Pferd, Gefolgt von brechenden, knarrenden Wagen, Die den Ueberfluss, bergehoch getürmt, Weder fassen noch tragen, Und es jauchzt das Volk,und der Beifall stürmt, Dann sei der Gott, der im Kampfe der Riesen Die feindlichen Lanzen vor uns geknickt Und endlich seinen strahlenden Frieden schickt, Demütigen Herzens gelobt und gepriesen. Oh Friede, lange vermisster Gast, Poch, wie Du willst, an meine Pforte, Es bedarf keiner Worte, Sitz nieder zur Rast. Du lieber Flüchtling aus rauchenden Trümmern, Du Wiedergeborener, hold und jung,

- 13 Lass Dich die Armut der Hütte nicht kümmern, Ich reiche Dir freudig den ersten Trunk. Und doch – einen Blick noch auf Deine Züge, Damit mich die Freude des Wirtes nicht trüge. Kannst Du, oh Fremdling aus feindlichen Ländern, Dein Haupt nicht tragen hoch und frei, Schielt aus den prunkenden Gewändern Die Schande und die Büberei, Bist Du der Ehre bar und blank, Dann will ich das Brot aus den Händen Dir reissen, Dann darf Dich kein Deutscher willkommen heissen, Dann hebe Dich fort von Tisch und Bank! Dann soll Dich die Schüssel des Hundes nicht letzen, Dann darf man Dich jagen, dann muss man Dich hetzen, Bis unsere Sonne hinter Dir sank. Dies überlege Dir, fremder Geselle, Doch hast Du furchtlos den Gruss erfasst, So überschreite getrost die Schwelle Und sei mein Gast. (Gesprochen beim Goethebund-Konzert den 17.Januar 1916.)“ (W.T.B.) „Eins unserer Marinelusftschiffgeschwader hat in der Nacht vom 31.Januar Dock-, Hafen- und Fabrikanlagen in und bei Liverpool und Birkenhead, Eisenwerke und Hochöfen von Manchester,

- 14 Fabriken und Hochöfen von Nottingham und Sheffield sowie grosse Industrieanlagen am Humber und bei Great Yarmouth ausgibig mit Spreng- und Brandbomben belegt. Sämtliche Luftschiffe sind trotz der starken Gegenwirkung wohlbehalten zurückgekehrt. Der Chef des Admiralstabes der Marine.“ 5 Dienstag,d.1.Februar. Ich habe mir einige Vorräte an Toilettenseife und Kerzen zugelegt, alles sehr teuer. Wegen Fettmangel wird namentlich Toilettenseife sehr teuer werden. Andere Sorten, sagt man mir, können mit Tran fabriziert werden, welchen wir in genügenden Mengen aus Norwegen bekommnen. Donnerstag,d.3.Februar. „Dreizehn sind in unserer Familie gefallen“, sagte mir heute schluchzend eine alte Frau. „Unsere beiden Söhne, und ein Enkel und drei Neffen, und beide Brüder meiner Schwiegertochter, und fünf weitere, im ganzen dreizehn, und unsere Söhne haben uns ernährt. Dafür hat man sich gequält.“ Poincaré hat in Paris gesagt, dass Deutschland die Absicht habe, die französische Souveränität und Unabhängigkeit zu zerstören. Von welchem deutschen Staatsmann hat Poincaré solche Worte gehört ? Von keinem. Wir haben genug mit uns selber zu tun. Dann sagte Poincaré, das französische Kriegsziel wäre die Wiedergewinnung ElsassLothringens. Das stimmt. Frankreich hat 45 Jahre auf eine politische Konstellation gewartet, um diese zu

- 15 realisieren. Bei einer Aufsichtsratssitzung der National Provincial Bank of England sagte Lord Inchcape : Meiner Ansicht nach ist Deutschland schon hoffnungslos geschlagen. Das weiss keiner besser als Deutschland selbst. Es führt diesen Krieg wie ein Teufel aus der Hölle. Das wird nicht vergessen werden, so lange die Erde rund ist und wird jeden Verkehr zwischen ihm und den Alliierten für Generationen unmöglich machen. (Standard,28.Jan.)“ Sonnabend,d.5.Februar. (W.T.B.) „Das Marineluftschiff“L,19“ ist von einer Aufklärungsfahrt nicht zurückgekehrt. Die angestellten Nachforschungen blieben ergebnislos. Das Luftschiff wurde nach einer Reutermeldung am 2.Februar von dem in Grimsby beheimateten englischen Fischdampfer „King Stephan“ in der Nordsee treibend angetroffen. Gondel und Luftschiffkörper teilweise unter Wasser; die Besatzung befand sich auf dem über Wasser befindlichen Teil des Luftschiffes. Die Bitte um Rettung wurde von dem englischen Fischdampfer abgeschlagen, unter dem Vorgeben, dass seine Besatzung schwächer sei als die des Luftschiffes. Der Fischdampfer kehrte vielmehr nach Grimsby zurück. Der Chef des Admiralstabes der Marine.“ 6 Montag,d.7.Februar. Leutnant Erich Will schreibt mir, dass er und Georgie

- 16 an Kaisers Geburtstag das eiserne Kreuz erhalten haben, Georgie wäre noch abwesend auf seiner Viehbeitreibungspatrouille. Sonntag,d.13.Februar. Der letzte Zeppelin-Angriff hat einen grossen Eindruck in England gemacht, und die Presse greift die Regierung wegen Nachlässigkeit in der Bekämpfung an. Die offiziellen Berichte sagen natürlich nichts über den militärischen Schaden, sondern nur, dass die Zeppeline gekommen sind, um Frauen und Kinder zu morden. Anscheinend ist diesmal eine Bombe in eine Elektrische gefallen und eine in eine Mädchenschule in Broadstairs. Die gerichtliche Untersuchung brachte als Urteil „Vorsätzlichen Mord seitens des Kaisers und des Kronprinzen.“ Wir scheinen doch recht zu behalten mit unserer Meinung, dass eine Bombe manchmal dahin fällt, wo sie nicht hinfallen soll, es ist ja auch gar nicht anders möglich. Es ist ekelhaft, in der ‚Times’ und ‚Daily Mail’ lesen zu müssen, dass die Bevölkerung Berlins voll Jubel sei über die unschuldigen Opfer, und dass grosse Mengen vor dem Schlosse des Grafen Zeppelin gehuldigt hätten! Dass Graf Zeppelin überhaupt keine Wohnung in Berlin hat, ist dem Schreiber dieser Hallucinationen ganz egal. Der Kommandant von „L.19“, der mit seiner ganzen Besatzung von dem Kapitän des „King Stephan“ dem Ertrinkungstod überlassen wurde, war ein ganz jung verheirateter Mann, Freund von Erich Eckelmann.

- 17 Der Bischof von London hat in einer öffentlichen Rede dem Kapitän des „King Stephan“ seine Genugtuung für seine Tat ausgesprochen, und grössere Geldsummen sind ihm als Belohnung überwiesen worden. Nach diesen Greueln ist es erfrischend, eine Broschüre zu lesen, betitelt „On the road to peace“. Sie ist geschrieben von dem Honorable R.D.Denman M.P. und im vorigen März zum Preise von one penny veröffentlicht. Er bittet die englische Kirche (die ja eine viel grössere Rolle spielt und viel mehr Einfluss hat,als man hier im allgemeinen ahnt), dem Volke die einfache Wahrheit zu sagen und alle Heuchelei von einem gerechten Kriege fallen zu lassen. Hier einige Citate: „Der Ausspruch, dass wir in diesen Krieg hineingegangen sind, um die Freiheit Belgiens zu behüten, wird den Historikern der Zukunft sowohl tragisch als komisch vorkommen.“ „Deutschland hatte kein Wahl. Als England gegen Deutschland entschied, war praktisch keine Wahl mehr. Wenn England in derselben Lage gewesen wäre, hätte England genau dasselbe getan, und die Kirche hätte nicht gescheut, zu applaudieren.“ „Eines Tages muss die Tatsache erfasst werden, dass das erhabene Gefühl,gegen eine Uebermacht zu kämpfen, einer überwältigenden Macht gegenüber zu stehen, Deutschland gehört und nicht den Alliierten.“ Es ist wahr, englische Kanzeln haben viel zu verantworten in diesem Krieg. Die höchsten Kirchenwürden sind vorangegangen mit schamloser heuchlerischer Beschimpfung. Kann man sich denn wun-

- 18 dern, wenn Pfarrer und Unterpfarrer ihnen Folge leisten ? Gewiss gibt es Ausnahmen, die wie Mr.Denman denken, aber ihr Tag ist noch nicht gekommen. Wird er je kommen ? Der Reichskanzler hat mit dem Vertreter der „New York World“ eine Unterredung gehabt und ihm gewisse Erklärungen gemacht über die Meinungsverschiedenheiten zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten, die der Berichterstatter wie folgt wiedergibt : „ Die öffentliche Meinung in Deutschland empfindet es durchweg als unmöglich, eine Kriegsmassregel, die von deutschen Seeleuten in Ausübung ihrer Pflicht und gemäss den Grundsätzen des Seekriegsrechts vorgenommen wurde, als willkürlich und verbrecherisch anzuerkennen. Eine grosse Reihe von Rechtslehrern, unter ihnen Männer, deren Namen auch weit über die deutschen Grenzen hinaus einen guten Klang haben, ist für die Rechtmässigkeit des Verfahrens eingetreten. Dagegen wird im Ernst niemand behaupten, dass die „Lusitania“, die mit Geschützen ausgerüstet war und ungeheure Massen Kriegsmaterialien, insbesondere Munition für England, an Bord hatte, nach den Regeln des Völkerrechts den Anspruch hatte, als friedliches Handelsschiff angesehen und geschont zu werden. Die deutsche Regierung hat den amerikanischen Forderungen gegenüber weitgehendes Entgegenkommen bewiesen, wie bei den früheren Verhandlungen, so bei der jüngsten Note des Staatssekretäts Lansing. Aber es gibt einen Punkt, bei dem es heisst: Bis hierher und nicht weiter. Weder kann Deutschland seine Ehre preisgeben, noch sich die Waffe für den Unterseekrieg

- 19 entwinden lassen. Herr v.Bethmann Hollweg hebt hervor, dass Deutschland um so lieber die freundschaftlichen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten aufrecht zu erhalten gewillt war und immer noch ist, als ein deutscher Fürst, Friedrich der Grosse, der Erste war, der die Unabhängigkeit der Union freudig begrüsste und dem jungen Staatswesen seine Glückwünsche sandte. Deutsche Staatsmänner und Feldherren haben an dem Aufschwung des führenden Reiches jenseits des Atlantischen Ozeans regen und wirksamen Anteil genommen. Zwischen den Völkern hat der lebhafteste wirtschaftliche Verkehr bestanden. Es ist daher natürlich, dass Deutschland, wiewohl es seit Ausbruch des Weltkrieges mancherlei Unfreundlichkeit von Amerika erfahren hat, bereit bleibt, wie der Reichskanzler versichert, alles zuzugestehen, was es innerhalb der Grenzen der Vernunft und Billigkeit, innerhalb der Grundsätze des Rechts und der Ehre gewähren kann. Aber darüber hinaus zu gehen, hiesse den Nacken unter ein kaudinisches Joch beugen. Keine deutsche Regierung kann eine solche Erniedrigung des Volkes hinnehmen und überdauern. Herr v.Bethmann Hollweg bezeichnet den Gedanken als wahnsitzig, Deutschland könne einen Krieg mit Amerika herausfordern, wenn er ihn zu vermeiden imstande sei. Wenn derselbe aufrichtige Wunsch, zu einer für beide Staaten ehrenhaften Uebereinstimmung zu gelangen, in Amerika ebenso vorwiegt wie bei der deutschen Regierung und im deutschen Volke, so wird

- 20 kein Bruch in den 125 Jahre alten freundschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern eintreten.“ Berlin,d.11.Februar (W.T.B.) „In der Nacht vom 10.zum 11.Februar trafen bei einem Torpedobootvorstoss unsere Boote auf der Doggerbank auf mehrere englische Kreuzer, die alsbald die Flucht ergriffen. Unsere Boote nahmen die Verfolgung auf, versenkten den neuen Kreuzer „Arabis“ und erzielten einen Torpedotreffer auf einem zweiten Kreuzer. Durch unsere Torpedoboote wurden der Kommandant der „Arabis“, ferner zwei Offiziere und 21 Mann gerettet. Unsere Streitkräfte haben keinerlei Beschädigungen erlitten. Der Chef des Admiralstabes.“ 7 Sonntag,d.20.Februar. „Das Bleibende. Von Franz Ewers 8. Wie auch die Mächte uns führen Sternhin die irdische Bahn, Schöpferische Flamme zu schüren, Heisst Unsterblichem nahn. Freude des Kämpfens und Gebens Läutert, beschwingt uns, erhebt; Immer ist Mitte des Lebens, Wo ein Lebendiger strebt.

- 21 Gott ist im Staube erschienen, Ringende Menschen zu weihn; Wirkend dem Geiste zu dienen, Heisst selber Ebenbild sein.“ „Krieg oder Frieden ? Von Will Vesper. 9 Immer ist Krieg auf Erden. Immer ist auch Frieden. Jedem kann er werden. Nicht jedem ist er beschieden. Mitten im todumwölkten Graben Kann einer für sich Stille sein und Frieden haben. Frieden wohnt innerlich. Dem Kriege kann keiner entrinnen, Doch kann jeder Frieden gewinnen Zu gleicher Frist. Frieden ist Güte, Eine zarte, heimliche Blüte, Die auch unter den Dornen wohlbehütet ist. Freitag,d.25.Februar. Wir haben eine grosse Offensive im Westen angefangen, vor Verdun, und eines der äusseren Forts ist gefallen. Die Verluste werden wieder furchtbar sein.

- 22 Ein langer, vergnügter Brief von Georgie. Er ist Kommandant von acht Dörfern und kann, wenn nötig, Delinquenten bestrafen. In seinen Mussestunden geht er auf „Jagd“, wohnt in einem Schloss und wird von einem Bristol-Chef bekocht. Vorläufig ist er also glänzend geborgen. Walter ist wieder im Schützengraben in der Champagne, wo es ziemlich lebhaft zugeht. Sonntag, d.27.Febr. Am 1.März tritt der U-Boot-Krieg in ein neues Stadium, genötigt, weil die Alliierten ihre sämtlichenHandelsdampfer zum Angriff bewaffnen. Die deutsche Regierung ist soweit gegangen als möglich, um den amerikanischen Wünschen entgegen zu kommen. Krieg mit den Vereinigten Staaten wäre – weiss Gott – das letzte, was wir vertragen könnten ! Die Aktionsbasis der U-Boote hat sich seit Kriegsbeginn sehr vergrössert. Im Mittelmeer haben sie viel geleistet und man munkelt, wir hätten jetzt U.Boote, die den Atlantik queren können und wieder zurück. Der holländischen Zeichner Raemaekers 10, dessen Deutschlandfeindlichkeit in seinen Arbeiten klar zu Tage tritt, hat am 19.Februar für den Amsterdamer „Telegraaf“ ein Bild verfertigt,welches den Todeskampf der ertrinkenden Mannschaften von L 19 verhöhnt und den Kapitän der „King Stephan“ verherrlicht. Raemaekers ist Ritter der französischen Ehrenlegion geworden und seine Ausstellungen sind in London vom englischen Königs-

- 23 paar besucht worden. Sonntag, d.5.März. Influenza ist überall und hat mich auch gepackt, verschlimmert durch Stirnhöhlenentzündung, und ich fühle mich ganz entsetzlich. (WTB.) Berlin, 4.März. S.M.S.“Möve“, Kommandant Korvettenkapitän Burggraf und Graf zu Dohna-Schlodien, ist heute nach mehrmonatiger erfolgreicher Kreuzfahrt mit 4 englischen Offizieren, 29 englischen Seesoldaten und Matrosen, 166 Köpfen feindlicher Dampferbesatzung – darunter 103 Inder – als Gefangenen sowie 1 Million Mark in Goldbarren in einem heimischen Hafen eingelaufen. Das Schiff hat folgende feindliche Dampfer aufgebracht und zum grössten Teil versenkt, zum kleineren als Prisen nach neutralen Häfen gesandt: Corbridge 3687 Br.-Reg.-T., engl. Author 3496 Trader 3608 Ariadne 3035 Dromonby 3627 Farringford 3146 Clan Mactavish 5816 Appam 7781 Westburn 3300 Horace 3335 Flamenco 4629 Edinburgh (Segelschiff) 1473

-24 Saxon Prince 3471 Br.-Reg.-T.,engl Maroni 3109 franz. Luxemburg 4322 belg. S.M.S.“Möve“ hat ferner an mehreren Stellen der feindlichen Küste Minen gelegt, denen u.a. das englische Schlachtschiff „King Edward VII“ zum Opfer gefallen ist. Der Chef des Admiralstabes der Marine.“ 11 Donnerstag, d.9.März. „ (W.T.B.) Der Kaiserliche Gesandte in Lissabon, Dr. Rosen, ist angewiesen, heute von der portugiesischen Regierung unter gleichzeitiger Ueberreichung einer ausführlichen Erklärung der deutschen Regierung seine Pässe zu verlangen. Dem hiesigen portugiesischen Gesandten Dr. Sidonio Paes sind heute ebenfalls seine Pässe zugestellt worden.“ 12 Endlich haben wir dem neuesten britischen Vasallen den Krieg erklärt. Er hat vorige Woche alle deutschen Schiffe, die in portugiesischen Häfen liegen, gekapert, als Frachtschiffe für britische Ladungen, da die englischen Schiffe von den U-Booten so dezimiert worden sind. Was die Entente wohl Portugal versprochen hat, oder womit sie ihm wohl gedroht hat ? Sonnabend, d.11.März. Unbequeme Friedensreden. Drahtmeldung der „Vossischen Zeitung“. Amsterdam,10.März.

- 25 „ Der englischen Regierung müssen die Friedensreden im Parlament überaus unangenehm gewesen sein. Das geht nicht nur aus der Tatsache hervor, dass Reuter so gut wie nichts darüber berichten durfte und die englischen Zeitungen die Rede Snowdens nur sehr gekürzt brachten, sondern auch daraus, dass das „Arbeiterblatt „Labour Leader“ vom 2.Februar erst heute in Holland ankam. Das Blatt wurde zurückgehalten, weil es die Friedensreden gar zu ausführlich veröffentlicht und besprochen hat. Die redaktionellen Bemerkungen des Blattes sind sehr beachtenswert. Bei Besprechung der Möglichkeiten eines dauerhaften Friedens sagt es nämlich : Es sind inzwischen Dinge ans Tageslicht gekommen, die eigentlich dem englischen Volke die Augen öffnen müssten. Im Unterhaus erklärte Asquith, dass er bei seiner in Dublin 1914 geäusserten Erklärung bleibe, dass nämlich England nur für das Recht der kleinen Völker kämpfe. Dies aber steht in Widerspruch zu dem, was Sir Arthur Evane im „Manchester Guardian“ über den Geheimvertrags Englands mit Italien bekanntgibt und worüber Snowden in der vergangenen Woche vergebens eine Erklärung von der englischen Regierung zu erhalten versuchte. Dieser Vertrag verspricht Italien zur Belohnung für seine Teilnahme am Kriege u.a. grosse Stücke österreichischen Gebietes, die fast gänzlich von Slawen bewohnt sind. Das, so sagt Evans richtig, steht im striktesten Widerspruch zu der Versicherung der englischen Minister, vor allem zu der Versicherung des ersten Ministers, der im Namen Englands erklärte, für das Recht und

- 26 die Unabhängigkeit der kleinen Nationen zu kämpfen. Eine andere Enthüllung, so fährt der „Labour Leader“ fort, bringt Dr. Dillon in der „Contemporary Review“. Er erklärt, der Kriegszug nach Gallipoli erfolgte in Ausführung eines Uebereinkommens zwischen England und Frankreich, um Russland in den Besitz Konstantinopels zu bringen. Dies wussten Bulgarien und Rumänien und sie verhielten sich danach. Macht es dem englischen Volke Vergnügen, Krieg zu führen, um für Russland Konstantinopel und für Italien Dalmatien zu erobern ? Ist dies die gerechte Sache, für die wir kämpfen ? Der „Labour Leader“ bringt dann folgende Stellen aus der Rede von Sir William Byles, die von der ganzen übrigen englischen Presse unterdrückt wurden: „ Man sagt uns, dass wir nicht die Mehrheit unserer Wähler vertreten. Wir würden sie in viel grösserem Masse vertreten, als es jetzt schon geschieht, wenn wir unsere Meinung offen aussprechen dürften. Das Reichsverteidigungsgesetz verbietet es uns aber. Könnten wir unseren Wählern die ganze Geschichte unserer Teilnahme am Kriege vorlegen, so würden sie zweifellos noch ganz anders urteilen. Als ich mich am 3.August vorigen Jahres auf den Weg machte, um Greys grosse Rede zu hören, erhielt ich ein Telegramm der Kohlenarbeiter meines Bezirks. Dreitausend Mann baten mich, für die Neutralität Englands einzutreten. Dann kam der Einmarsch nach Belgien. Man ersuchte mich, einen anderen Kohlenbergwerksbezirk zu besuchen, um den Leuten zu erklären, dass wir uns wegen dieses Einmarsches am Kriege beteiligen, ob-

- 27 wohl wir ja genau wussten, dass England schon tags zuvor Frankreich seine Flotte zur Verfügung gestellt hatte. Wir wissen jetzt, dass wir in den Krieg gingen, um der Politik des Machtgleichgewichts willen, und dass der Einfall in Belgien nichts damit zu tun hatte. Ich weigerte mich, öffentlich Unwahres zu verkünden, und der Tag wird kommen, wo ich die ganze Wahrheit sagen darf. Ich habe keine Furcht, dass ich meinen Standpunkt nicht werde rechtfertigen können.“ Ueber Belgien meinte Byles ferner : Nach den Worten des Munitionsministers müssen die Deutschen aus Belgien verjagt werden. Müssen wir, fragt Byles, Dorf um Dorf, Stadt um Stadt in Belgien vernichten, bis nichts vom Lande mehr übrig bleibt, nur weil Belgien verteidigt werden muss ? Es heisst, wir fechten für Belgien. Aber liegt es nicht mehr im Interesse Belgiens , die Deutschen lieber durch Unterhandlungen aus dem Lande zu bringen ? Noch ein paar Worte aus der Rede des Abgeordneten Mason : „Wie ging es in Marokko ? fragte er. „Wir sind ja so stolz auf unsere Treue bei Uebereinkommen und Verträgen. Es bestand ein Vertrag zwischen allen Mächten, die in Marokko Interessen hatten, u.a.zwischen Deutschland, England und Frankreich. Haben wir Frankreich nicht geholfen, denVertrag von Algeciras zu zerreissen, der besagte, dass jede Meinungsverschiedenheit einem Schiedsgericht der Mächte unterworfen werden solle. ? Frankreich hat diesen Vertrag 1911 geschändet, und England hat es darin unter-

- 28 stützt. Seit damals war Deutschland auf den Krieg vorbereitet, und es entsteht ernsthaft die Frage, ob wir nicht auch am Ausbruch dieses Krieges mitschuldig sind.“ Montag, d.13.März. Wir haben eine wirkliche Abendgesellschaft gehabt und es war ein grosser Erfolg. Die Gäste erschienen um neun und wurden mit Tee und Kuchen, Bier und Limonade bewirtet. Georg Kuhlenkampff-Post spielte in vollendeter Weise Violine. Dieser junge Mann wird sicher einer der ganz Grossen werden. Es wurde Bridge gespielt und Else und ihre Freundinnen hatten eine vergnügte Ecke.- Die weibliche Jugend kommt nicht zu ihrem Recht, heutzutage – aber sie wissen, dass es nicht anders geht. Mittwoch, d.15.März. „ (WTB) Wie wir hören, hat der Staatssekretär des Reichsmarineamts, Grossadmiral von Tirpitz, seinen Abschied eingereicht. Zu seinem Nachfolger ist der Admiral von Capelle in Aussicht genommen.“ 13 Tirpitz’ Abschied ist Tagesgespräch. Was soll es wohl bedeuten ? Und wie wird der UBoot-Krieg dadurch beeinflusst ? Freitag, d.17.März. Leutnant Erich Will ist auf Urlaub gekommen, bekam aber heute eine Depesche, sofort zur Schwadron zurückzukehren.- Da werden Georgies Urlaubsmöglichkeiten wohl auch zu Wasser werden.

- 29 Seine ruhige Zeit hinter der Front,“halb Landwirt, halb Landrat“, wie er mal schrieb, wird jetzt zu Ende gehen. Die Russen bereiten eine neue Offensive vor. Sie haben sich ja den ganzen Winter darauf vorbereiten können, und das Ringen wird wieder von vorne anfangen. Wahrscheinlich haben sie auch aus London Befehl bekommen, die Offensive wieder aufzunehmen, um Verdun zu entlasten. Sonnabend, d.25.März. „ Vierte Kriegsanleihe : ( W.T.B. ) 10, 6 Milliarden. Das deutsche Volk hat damit für die Kriegszwecke in zwanzig Monaten gegen sechsunddreissig einhalb Milliarden Mark an langfristiger Anleihe aufgebracht.“ Irene und ich gingen heute ins Schauspielhaus zu „Wilhelm Tell“, ein Schauspiel, welches uns in diesen Zeiten ganz besonders bewegt 14. ( W.T.B. ) Berlin, 24.März. „ Nachrichten zufolge, die von verschiedenen Stellen hierher gelangt und neuerdings bestätigt sind, hat am 29.Februar in der nördlichen Nordsee zwischen dem deutschen Hilfskreuzer „Greif“ und drei englischen Kreuzern sowie einem Zerstörer ein Gefecht stattgefunden. S.M.S.“Greif“ hat im Laufe dieses Gefechts einen grossen englischen Kreuzer von etwa 15000 Tons durch Torpedoschuss zum Sinken gebracht und sich zum Schluss

- 30 selbst in die Luft gesprengt.- Von der Besatzung des Schiffes sind etwa 150 Mann in englische Kriegsgefangenschaft geraten, deren Namen noch nicht bekannt sind. Sie werden von den Engländern, die über den ganzen Vorfall das strengste Stillschweigen beobachten, von jedem Verkehr mit der Aussenwelt abgeschlossen. Massnahmen hiergegen sind eingeleitet. Der Chef des Admiralstabs der Marine.“ 15 Freitag, d.31.März. Ein Brief von Georgie vom 24. aber aus militärischen Gründen zurückgehalten. Er ist wieder bei der Schwadron und sie sind auf dem Wege nach Russ Kurland. Die Ostfront muss er jetzt ziemlich genau kennen, erst Polen, dann Galizien, dann Wolhynien und jetzt Kurland. Die baltischen Provinzen sind gewiss angenehmer als die Rokitno-Sümpfe. Ich bin dankbar, dass er nicht nach dem Westen gekommen ist, es ist ein gesünderes Leben an der Ostfront, mehr Bewegung, mehr Fortschritt. Die Westfront ist intensiver und nervenspannender. Carl Drenckhan, der 20 Monate mit seiner Batterie in Russland war, ohne eine Granate abzufeuern, ist jetzt bei Ypern, wohnt in einer Höhle und ist in dauerndem Kampf.Diese letzten zwei Monate, Februar und März, sind wie ein böser Traum gewesen. Das Elend schleppt sich Tag für Tag endlos weiter.- Ich kann die Zukunft nicht mit derselben philosophischen Ruhe betrachten, wie so viele es tun – ich wollte, ich könnte es.

- 31 Und sechs Wochen Influenza und Folgen sind nicht geneigt, die Hoffnungsfreudigkeit zu heben. Sonntag, d.2.April. Der Frühling ist auf einmal da, begleitet von sommerlicher Hitze, ganz unnatürlich, aber sehr angenehm. Elsa und ich fuhren nach Wannsee, die Züge vollgepackt mit dem üblichen Sonntagspublikum, einige in Pelzen, aus alter Gewohnheit, andere in den leichtesten Sommerkleidern.- Eilige, heitere Menschen strömten die Bahnhofstreppen auf und ab, von dem Gedanken beseelt, heraus zu kommen. So sieht Deutschland aus an einem schönen Sonntag nach zwanzig Monaten Krieg. In Wannsee lagen die Verwundeten mit ihren Kaffeetassen in den Gärten. Bei Stahns war eine ganze Gesellschaft. Man erging sich im Garten und dann wurde musiziert. Hinter dem Sonnenschein lauerte die Frage: Holland ! Was ist los ? Warum diese plötzlichen militärischen Vorbereitungen ? Es heisst, dass in der Alliierten-Konferenz in Paris, vorige Woche, , England versucht hat, Holland durch Drohungen auf Seite der Alliierten zu bringen. Holland darf Deutschland keine Nahrungsmittel mehr schicken oder - - - die Folgen tragen. Wir kennen ja die Manöver auswendig – „Schutz den kleinen Nationen und ihren Interessen“ ! Jedenfalls haben sie irgend einen neuen Aushungerungsplan ausgebrütet. Aber Holland ist nicht so folgsam wie Portugal ! Holländischer Käse ist jetzt für uns ein wichtiges Nahrungsmittel, welches wir ungern entbehren würden.

- 32 Mittwoch, d.5.April. Infolge des guten Wetters sind die Zeppeline fünf Nächte hintereinander in England und Schottland gewesen. Einer davon, „L.15“, ist abgeschossen worden und ist an der Themsemündung gesunken, die Mannschaft zum grossen Teil gefangen genommen. Die anderen sind glücklich heimgekehrt. Von London wird das übliche Geheul kommen. „London ist eine ungeschützte Stadt“ u.s.w. Warum soll London eine geschützte Stadt sein ? Es hat nicht Frankreich und Russland als Nachbarn. Aber es hat trotzdem seine Bollwerke, die genau so wertvoll sind wie Verdun und Belfort. Diese Bollwerke sind das Meer, sein unbegrenztester Reichtum und der schamlose Lügenfeldzug. Das sind Englands Waffen, die wir zu bekämpfen haben, oder wir müssen untergehen. Die Deutsche Bank zeigt eine Dividende an von 12 1/2 %, wie die letzte Friedensdividende.- Das Essen im Esplanade für die Direktoren und Aufsichtsräte war recht einfach, und, da es ein Dienstag war – fleischlos. Es gab Spargelsuppe, Seezungen, Spinat mit Ei, Reisspeise mit Birnenkompott. Dazu deutschen Sekt. Donnerstag, d.6.April. Houston Stewart Chamberlain sagt, dass Kriege selten geführt worden sind, um eine Nation zu vernichten. In den meisten Fällen werden Kriege geführt um eine Grenze, um Rechte, oder um Religionsfragen. Das klassische Beispiel für den Vernichtungskrieg ist Rom und Carthago. Das spielt sich heute wieder ab, Vernichtung

- 33 auf der einen Seite, Existenz auf der anderen. Es ist ja geradezu gotteslästerlich, die Vernichtung einer Nation anzukündigen. Diese Nation ist berechtigt, jede Verteidigungsmethode anzuwenden, auf die sie sonst vielleicht verzichtet hätte. Sonntag, d.9.April. Soweit wir ersehen können, wollte England die Schelde forcieren und Antwerpen angreifen – aber dieser Plan ist von dem alerten kleinen Holland vereitelt worden. Es wir uns gesagt, dass der Generalstab mit der militärischen Lage soweit zufrieden sei, jedenfalls hat die von den Alliierten vorausgesagte Frühlingsoffensive noch nicht begonnen, ausser in Russland. Und damit wird Hindenburg schon fertig werden. Mr. Maxse im „National Review“ sagt:“ Wir müssen die Arbeit von Bismarck zerstören“.- Es gab eine Zeit, als in der ganzen Welt die Arbeit Bismarcks als eine Errungenschaft des 19.Jahrhunderts gerühmt wurde. Sie zu zerstören ist jetzt das offizielle britische Programm. Fleisch kostet jetzt 3,80 Mk. das Pfund und wird noch viel teurer werden. Wir essen sowenig Fleisch als möglich.- Der Staat macht jetzt eine Schätzung über alle verfügbaren Tee-und Kaffee-Vorräte. Dienstag, d.11.April. Vater und ich mit Else und Irene fuhren früh um 7,30 Uhr

- 34 nach Baden-Baden, um uns nach dem langen Winter etwas zu erholen. Morgens früh bekommt man keine Droschken und das Gepäck musste tags zuvor zur Bahn gebracht werden.- Das Auto der Deutschen Bank brachte Vater an die Bahn. Es darf aber Damen nicht befördern und wir drei fuhren per Elektrische zum Anhalter Bahnhof. Sonnabend, d.15.April. Vier Tage schlechtesten Wetters sind hinter uns, Regen, Hagel, Wind, mit ganz seltenen Sonnenstrahlen. Die Wanderungen, nach denen meine Seele lechzt, sind unmöglich und Gummischuhe, die wir nicht einpackten, wünschenswert. Tante Marie ist aus Freiburg gekommen, um uns zu besuchen und Oskar Spath ist hier im Lazarett, herz- und nierenkrank, nach seinen Erfahrungen vor Verdun, wo er das Regiment geführt hat. Palmsonntag, d.16.April. Das Wetter hat sich leicht gebessert. In der rumänischen Kapelle wurden heute die Palmen gesegnet und verteilt.- Danach muss die griechische Kirche den gregorianischen Kalender angenommen haben, sonst würden sie heute nicht Palmsonntag feiern. Montag, d.17.April. Es war vormittags schön und wir konnten endlich einen wirklich langen Weg machen, zurück über das alte Schloss, von welchem Elsa und Irene zum ersten Mal den Rhein erblickten. -

- 35 Es haben wohl hier fast alle Leute Francois Delaisire’s „La Guerre qui vient“ gelesen, welcher 1911 in Paris erschien und sich als eine sehr genaue Prognose des jetzigen Krieges erwiesen hat. Aehnlich ist Frédéric Masson s „Autour de Saint Hélène“. Der Verfasser sagt, dass er im Juli 1911 versucht habe, einen Aufsatz zu veröffentlichen gegen die englische liberale Regierung, dass aber keine Zeitung ihn nehmen wollte, mit der Begründung, dass nichts gegen englische Minister veröffentlicht werden dürfe, denn „am dritten Mobilmachungstage wird General French in Belgien landen mit 100 000 Mann“. Mittwoch, d.19.April. Es stürmt und regnet weiter. Das Aschenbrödel der Entente ist jetzt zweifellos Russland. Auf der letzten EntenteKonferenz hat Russland eine Nebenrolle gespielt. Die Rolle, die ihm zuerst zugeteilt worden war,hat es nicht erfüllt. Infolgedessen ist Russland in Ungnade gefallen. Lord Cromer schreibt an die Times, dass es die Pflicht Englands sei, das deutsche Volk von der Herrschaft der Militärkaste zu befreien ! Donnerstag, d.20. April. Von einem Ausflug nach der Fischkultur zurückgekehrt, fanden wir eine Depesche von Georgie vor „14 Tage Urlaub, ankomme

- 36 morgen“,- Wir waren höchst glücklich und freuten uns, dass Nannie ihn in Berlin hat begrüssen können. Unser Hotel Bellevue ist überfüllt, und er wird ausserhalb schlafen müssen. Es ist eine glänzende Saison für Baden-Baden. Karfreitag, d.21.April. Der erste wirklich schöne Tag. Georgie kam abends an. Er hat sich gar nicht verändert in den 14 Monaten, da wir ihn nicht sahen. Sein Spitzname in der Schwadron ist „Bromley, Earl of Chatham.“ Sonnabend, d.22.April. Vater und die Kinder kauften mir heute Geburtstagsgeschenke. Da es wieder regnet, war nichts anderes zu machen. Ostersonntag, d.23.April. Ein nasses und niederdrückendes Fest. Das Wetter könnte man noch ertragen, aber die Nachrichten aus Amerika lassen das Blut in unseren Adern erfrieren ! Die neue Note vom Präsidenten ist ein Ultimatum. Wir müssen den U-Boot-Krieg aufgeben oder- - - die diplomatischen Beziehungen werden abgebrochen werden. Das ist amerikanische Neutralität ! Unsere Männer und Brüder und Söhne dürfen durch amerikanische Munition getötet werden, zuhause dürfen Mann und Frau und Kind verhungern, aber unsere grösste Waffe, das U-Boot, dürfen wir nicht benutzen ! Ich weiss nicht,

- 37 was auffallender ist in der Note, die widerliche Heuchelei der Gesinnungen, oder die Unverschämtheit der Sprache. Ostermontag, d.24.April. Ein schöner Tag. Die Sonne und Georgies Gegenwart helfen uns, die Sorgen zu vergessen. Wir fuhren auf den Merkur und gingen zu Fuss herunter. Der Frühling in BadenBaden ist einzig schön. Die Kanonen in von Verdun sind deutlich hörbar. Dienstag, d.25.April. Georgie fuhr heute nach Berlin, wohin wir anderen am Donnerstag folgen. Nachmittags gingen wir auf die Yburg, das schönste hier unter so viel schönem. Mittwoch, d.26.April. Wir fuhren abends ab und bestiegen in Frankfurt den Schlafwagen. Der Bahnhof wimmelte von Soldaten. Unser Schlafwagen wurde dem Zug angehängt, der aus Charleville gekommen war ! Donnerstag, d.27.April. Man ist merkwürdig fatalistisch hier in Berlin über die amerikanische Krise -. Wenn sie in Krieg endet, so sind es nicht nur die Vereinigten Staaten. Wilson wird ganz Südamerika gegen uns mobilisieren, genau wie England die europäischen „Neutralen“ mobilisiert hat. Darin liegt die furchtbare Gefahr. Sicher wird England sich mehr ärgern, wenn wir mit den Vereinigten Staaten

- 38 Gut Freund bleiben, als wenn wir weiter Schiffe torpedieren. Botschafter Gerard ist jetzt im Grossen Hauptquartier mit dem Kaiser und Bethmann-Hollweg. Könnte man die ganze Sache als Drama ansehen, so wäre dies wohl der höchste dramatische Moment. Diese Höchstpunkte fallen immer mit den grossen Festen. Vorige Pfingsten Italien, jetzt, Ostern, Amerika. Wilson ist fest entschlossen, den Krieg zu Ende zu bringen. Soweit treffen sich unsere Wünsche, nicht aber in der Wahl der Mittel. Er sieht ein, dass die augenblickliche Koalition uns nicht zerschmettern kann, also will er der letzte Strohhalm sein (das Gleichnis ist zwar lächerlich) um den Rücken dieses armen Kamels zu brechen (It’s the last straw that braeks breaks the camel’s back). Leute, die Wilson persönlich kennen, sagen, seine sture Obstinatheit wäre unglaublich. Freitag, d.28.April. Sir Roger Casement sitzt im Tower gefangen. Wir wissen nur, dass er an der irischen Küste bei einem Landungsversuch verhaftet wurde. Wie er dahin kam, ist noch ein Rätsel. Dass er den Versuch gemacht hat, wundert mich nicht. Im Dezember machte er mir den Eindruck eines Mannes, der nur darauf wartet, sein Leben für die Sache hinzugeben. Sein blasses, asketisches Gesicht hatte den Märtyrer Blick.- Er wird gewiss als Verräter erschossen. Der grimmige alte Tower lebt in diesem Kriege wieder auf.

- 39 Sonnabend, d.29.April. Revolution in Dublin – grössere Teile der Stadt sind in den Händen der Sinn Feiners. Sie werden Seiner Majestät Regierung einige unangenehme Tage bereiten, aber ich glaube nicht, dass sie auf die Dauer etwas erreichen werden. Es müssen genug Truppen in Irland sein, um eine Rebellion einzudämmen. Trotzdem ist es für England eine schwarze Woche gewesen. Die Regierung kann sich nicht in der Zwangsrekrutierungsfrage einigen, und als Gipfel melden die Türken,dass Kut el a mara in Mesopotamien mit 30 000 Mann unter General Townshand gefallen ist. Diese Kapitulation scheint schon länger erwartet gewesen. Marshal von der Goltz, der die türkischen Truppen in Mesopotamien befehligte, starb vor acht Tagen an Typhus. Diese schreckliche Krankheit musste bei einem so alten Manne tödlich ausgehen. Rotterdam, 25.April. „Aus London wird gedrahtet: Der Bischof von Kensington hielt am Karfreitag eine Rede, in der er sagte: „Im August 1914 stand England am Rande eines Bürgerkrieges, der bei weitem schrecklicher gewesen wäre, als der heutige Weltkrieg. Nur durch das Wunder des jetzigen Kampfes sind wir davor bewahrt worden. Der Klassenhass war so tief, dass wir mehr durch eine Revolution in unserem nationalen Leben gefährdet waren, als es nunmehr der Fall ist. Ringsum wütete dieser Hass und dennoch erklärten wir überall mit der salbungsvollsten Scheinheiligkeit, deren wir als Nation so überaus fähig sind, dass wir nur den Frieden wollten. Konnten wir erwarten, dass

- 40 die Welt und für ehrlich ansah, als wir so etwas behaupteten ?“ Ich habe die Times vom 22.April mit Auszügen aus Londoner Karfreitagspredigten, aber die obige vom Bischop of Kensington wurde natürlich nicht zitiert, dazu ist sie eben zu ehrlich. Sie ist ganz im Einklang mit der Offenherzigkeit von Lady Maitland, die auf einem Londoner Diner im Juli 14 gesagt hat : „The only thing that can avert civil war, is a war with Germany“.In einem Kommentar zum Tode Marschalls von der Goltz schreibt die Times: „Er verstand die Kriegskunst mit einer Feinheit, wie sie die rohe Unreife Hindenburgs nicht kennt. Und doch muss es Millionen von Russen geben, für deren Geschmack Hindenburg ganz fein genug gewesen ist und seine rohe Unreife hat uns wackere Dienste geleistet ! „Drahtmeldung der Vossischen Zeitung“. “ Steed, der Redakteur der auswärtigen Politik der Times, der sich in seinen früheren Stellungen als Vertreter der Times in Berlin, Rom und Wien als einer der verlogensten Hetzer bewährt hat, stellt folgende Friedensbedingungen auf: „Rückerstattung von Elsass-Lothringen an Frankreich, Neubegrenzung des belgischen Gebietes mit Rücksicht auf die Interessen der nationalen Verteidigung des Landes. Schaffung eines gross-slawischen Reiches, eines autonomen Polens unter russischer Oberhoheit, eines selbständigen Böhmens einschliesslich Mährens und slowakischen Gebiete Nordwestungarns, Zuteilung der

- 41 rumänischen Gebiete in Ungarn und der Bukowina an Rumänien. Freie Schiffahrt im Bosporus und in den Dardanellen nach der Abtretung Konstantinopels an Russland. Vervollständigung der Einheit Italiens durch Angliederung aller italienischen Gebiete im Trentino, in den Kärntner Alpen und an der Küste von Triest und Sicherung der Seeherrschaft Italiens in der Adria durch Zuteilung von Pola, Lissa und Valona an den italienischen Staat. Bis zur Zahlung der Kriegsentschädigung durch die Mittelmächte soll die Handelsblockade fortdauern und während dieser Zeit soll die verbündete Flotte es nicht zulassen, dass Schiffe unter deutscher und österreichischer Flagge frei auf dem Meere verkehren. Für die Zahlung der Kriegsentschädigung müssten dann noch weitere Sicherheiten durch die Besetzung gewisser Landstriche geschaffen werden.“ Die englischer Friedensprogramme sind immer offen und lehrreich. Auf dem Berliner Markt ist in dieser Woche sehr wenig Fleisch gewesen, und das wenige zu enormen Preisen. Die Lebensmittelorganisation macht Fortschritte, aber es sind anfangs grosse Fehler gemacht worden, unter denen wir jetzt leiden. Seife und Zucker bekommen wir jetzt nur auf unsere Brotkarten, per Kopf so und so viel. Die meisten Menschen, die es bezahlen konnten, haben enorme Vorräte aufgekauft, was sozial gedacht, ganz falsch ist. Ich habe so gut wie gar nichts, mit Ausnahme von zwei Zentner Zucker in Schönholz, die Brü-

- 42 ning mir im Laufe des Winters für Einmachzwecke aufgekauft hat. Georgies Urlaub nähert sich seinem Ende, und wir haben viele Besorgungen zusammen gemacht. Sonntag,d.30.April. Das Wetter war so schön, dass Georgie Vater und Elsa bewegte, mit ihm nach Karlshorst zu gehen. Abends hatten wir ein paar Gäste. Montag,d.1.Mai. „Sommerzeit“ wurde zum ersten Mal heute eingeführt und bezweckt die bessere Ausnutzung der Tagesstunden. Gestern Abend, ehe wir zu Bette gingen, stellten wir unsere Uhren eine Stunde vor, und die Sache war gemacht. Mittwoch,d.3.Mai. Es scheint, dass Sir Roger Casement den Versuch gemacht hat, Irland auf einem deutschen Hilfskreuzer zu erreichen. Es war ein verzweifelter Versuch und musste scheitern. Die Revolution ist zu Ende. Viele der Führer sind erschossen, und der grösste Teil der Sinn Feiners haben sich ergeben. Irland ist voll britischer Truppen, die Revolutionäre können also vorläufig nichts machen. Ihr Tag ist heute noch nicht, was auch die Zukunft bringen möge. Aber nach der ‚Times’ zu urteilen, muss die Sache sehr ernst gewesen sein. Es sind Feuersbrünste gewesen und viele Zivilisten sind getötet. In Dublin Castle sind viele Gefangene untergebracht, die sicher noch einem schauderhaften Tode entgegen ge-

- 43 hen, denn damit versteht England keinen Spass. Mr. Birrell, Staatssekretär, hat resigniert, und der Vicekönig, Lord Winborne, wird wohl folgen. Wie weise von Lord und Lady Aberdeen, damals vor circa einem Jahre abzugehen. Sie haben gewiss die Schwierigkeiten vorausgesehen. Auch glaube ich, dass sie zu jenen gehören, welche Englands Kriegsteilnahme missbilligten, denn sie führen jetzt anscheinend ein völlig unpolitisches Dasein. Mr. Asquith und die Regierung können sich über das Zwangsrekrutierungsgesetz nicht einigen. Einmal heisst es, verheiratete Leute sollen ausgenommen werden, dann wieder das Gegenteil. Die Vorlage wird immer wieder geändert. Wenn es zur Abstimmung kommt, so werden sicher die Verheirateten nicht ausgenommen, denn sonst läuft neun Zehntel der ledigen britischen Arbeiterschaft sofort zum Standesamt. Bezeichnend für die Propaganda, die in England zur Kriegsteilnahme nötig ist, ist folgendes Bild, welches alle Zeitungen veröffentlichen : Ein reizendes kleines Mädchen von circa 6 Jahren sagt zu seinem ihrem in einem Klubsessel sitzenden jungen Vater: „What did you do in the great war, Daddy ?“ Unsere jungen Väter haben diese Propaganda nicht nötig gehabt, um ihr Land zu verteidigen. Freitag,d.5.Mai. Die deutsche Antwort auf die Amerikanische Note. (W.T.B.) „Der Unterzeichnete beehrt sich, im Namen der Kaiserlich

- 44 deutschen Regierung Seiner Exzellenz dem Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika, Herrn James W.Gerard, auf das Schreiben vom 20.v.Mts. über die Führung des deutschen Unterseebootkrieges Nachstehendes zu erwidern : Die deutsche Regierung hat das ihr von der Regierung der Vereinigten Staaten in Sachen der „Sussex“ mitgeteilte Material an die beteiligten Marinestellen zur Prüfung weitergegeben. Auf Grund der bisherigen Ergebnisse dieser Prüfung verschliesst sie sich nicht der Möglichkeit, dass das in ihrer Note vom 10.v.Mts.erwähnte, von einem deutschen Unterseeboot torpedierte Schiff in der Tat mit der „Sussex“ identisch ist. Die deutsche Regierung darf sich eine weitere Mitteilung hierüber vorbehalten, bis einige noch ausstehende, für die Beurteilung des Sachverhalts ausschlaggebende Feststellungen erfolgt sind. Falls es sich erweisen sollte, dass die Annahme des Kommandanten, ein Kriegsschiff vor sich zu haben, irrig war, so wird die deutsche Regierung die sich hieraus ergebenden Folgerungen ziehen. Die Regierung der Vereinigten Staaten hat den Fall der „Sussex“ eine Reihe von Behauptungen geknüpft, die in dem Satze gipfeln, dass dieser Fall nur ein Beispiel für die vorbedachte Methode unterschiedsloser Zerstörung von Schiffen aller Art, Nationalität und Bestimmung durch die Befehlshaber der deutschen Unterseeboote sei. Die deutsche Regierung muss diese Behauptung mit Entschiedenheit zurückweisen. Auf eine ins einzelne gehende Zurückweisung glaubt sie indessen

- 45 im gegenwärtigen Stadium der Angelegenheit verzichten zu sollen, zumal da die amerikanische Regierung es unterlassen hat, ihre Behauptung durch konkrete Angaben zu begründen. Die deutsche Regierung begnügt sich mit der Feststellung, dass sie, und zwar lediglich mit Rücksicht auf die Interessen der Neutralen, in dem Gebrauch der Unterseebootwaffe sich weitgehende Beschränkungen auferlegt hat, obwohl diese Beschränkungen notwendigerweise auch den Feinden Deutschland zugute kommen, - eine Rücksicht, der die Neutralen bei England und seinen Verbündeten nicht begegnet sind. In der Tat sind die deutschen Seestreitkräfte angewiesen, den Unterseebootkrieg nach den allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen über die Anhaltung, Durchsuchung und Zerstörung von Handelsschiffen zu führen, mit der einzigen Ausnahme des Handelskrieges gegen die im englischen Kriegsgebiet betroffenen feindlichen Frachtschiffe, deretwegen der Regierung der Vereinigten Staaten niemals, auch nicht durch die Erklärung vom 8.Februar d.J. eine Zusicherung gegeben worden ist. Einen Zweifel daran, dass die entsprechenden Befehle loyal gegeben worden sind und loyal ausgeführt werden, kann die deutsche Regierung niemandem gestatten. Irrtümer, wie sie tatsächlich vorgekommen sind, lassen sich bei keiner Art der Kriegführung ganz vermeiden und sind in dem Seekrieg gegen einen Feind, der sich aller erlaubten und unerlaubten Listen bedient, erklärlich. Aber auch abgesehen von Irrtümern birgt der Seekrieg genau wie der Landkrieg für neutrale Personen

- 46 und Güter, die in den Bereich der Kämpfe gelangen, unvermeidliche Gefahren in sich. Selbst in Fällen, in denen die Kampfeshandlung sich lediglich in den Formen des Kreuzerkrieges abgespielt hat, sind wiederholt neutrale Personen und Güter zu Schaden gekommen. Auf die Minengefahr, der zahlreiche Schiffe zum Opfer gefallen sind, hat die deutsche Regierung wiederholt aufmerksam gemacht. Die deutsche Regierung hat der Regierung der Vereinigten Staaten mehrfach Vorschläge gemacht, die bestimmt waren, die unvermeidlichen Gefahren des Seekrieges für amerikanische Reisende und Güter auf ein Mindestmass zurückzuführen. Leider hat die Regierung der Vereinigten Staaten nicht geglaubt, auf diese Vorschläge eingehen zu sollen; andernfalls würde sie dazu beigetragen haben, einen grossen Teil der Unfälle zu verhindern, von denen inzwischen amerikanische Staatsbürger betroffen worden sind. Die deutsche Regierung hält auch heute noch an ihrem Angebot fest, Vereinbarungen in dieser Richtung zu treffen Entsprechend den wiederholt von ihr abgegebenen Erklärungen kann die deutsche Regierung auf den Gebrauch der Unterseebootwaffe auch im Handelskrieg nicht verzichten. Wenn sie sich heute in der Anpassung der Methoden des Unterseebootkrieges an die Interessen der Neutralen zu einem weiteren Entgegenkommen entschliesst, so sind für sie Gründe bestimmend, die sich über die Bedeutung der vorliegenden Streitfrage erheben.

- 47 Die deutsche Regierung misst den hohen Geboten der Menschlichkeit keine geringere Bedeutung bei als die Regierung der Vereinigten Staaten. Sie trägt auch voll Rechnung der langen gemeinschaftlichen Arbeit der beiden Regierungen an einer von diesen Geboten geleiteten Ausgestaltung des Völkerrechts, deren Ziel stets die Beschränkung des Land= und Seekriegs auf die bewaffnete Macht der Kriegführenden und die tunlichste Sicherung der Nichtkämpfenden gegen die Grausamkeiten des Krieges gewesen ist. Für sich allein würden jedoch diese Gesichtspunkte, so bedeutsam sie sind, für die deutsche Regierung bei dem gegenwärtigen Stand der Dinge nicht den Ausschlag geben können. Denn gegenüber dem Appell der Regierung der Vereinigten Staaten an die geheiligten Grundsätze der Menschlichkeit und des Völkerrechts muss die deutsche Regierung erneut und mit allem Nachdruck feststellen, dass es nicht die deutsche, sondern die britische Regierung gewesen ist, die diesen furchtbaren Krieg unter Missachtung aller zwischen den Völkern vereinbarten Rechtsnormen auf Leben und Eigentum der Nichtkämpfer ausgedehnt hat, und zwar ohne jede Rücksicht auf die durch diese Art der Kriegführung schwer geschädigten Interessen und Rechte der Neutralen und Nichtkämpfenden. In der bittersten Notwehr gegen die rechtswidrige Kriegführung Englands, im Kampf um das Dasein des deutschen Volkes hat die deutsche Kriegführung zu dem harten, aber wirksamen Mittel des Unterseebootkrieges greifen müssen. Bei dieser Sach-

- 48 lage kann die deutsche Regierung nur erneut ihr Bedauern darüber aussprechen, dass die humanitären Gefühle der amerikanischen Regierung, die sich mit so grosser Wärme den bedauernswerten Opfern des Unterseebootkrieges zuwenden, sich nicht mit der gleichen Wärme auch auf die vielen Millionen von Frauen und Kindern erstrecken, die nach der erklärten Absicht der englischen Regierung in den Hunger getrieben werden und durch ihre Hungerqualen die siegreichen Armeen der Zentralmächte zu schimpflicher Kapitulation zwingen sollen. Die deutsche Regierung und mit ihr das deutsche Volk hat für dieses ungleiche Empfinden um so weniger Verständnis, als sie zu wiederholten Malen sich ausdrücklich bereit erklärt hat, sich mit der Anwendung der Unterseebootwaffe streng an die vor dem Kriege anerkannten völkerrechtlichen Normen zu halten, falls England sich dazu bereit findet, diese Normen gleichfalls seiner Kriegführung zugrunde zu legen. Die verschiedenen Versuche der Regierung der Vereinigten Staaten, die grossbritannische Regierung hierzu zu bestimmen, sind an der strikten Ablehnung der britischen Regierung gescheitert. England hat auch weiterhin Völkerrechtsbruch auf Völkerrechtsbruch gehäuft und in der Vergewaltigung der Neutralen jede Grenze überschritten. Seine letzte Massnahme, die Erklärung deutscher Bunkerkohle als Bannware, verbunden mit den Bedingungen, zu denen allein englische Bunkerkohle an die Neutralen abgegeben wird, bedeutet nichts anderes als den Versuch, die Tonnage der Neutralen durch unerhörte

- 49 Erpressung in unmittelbar in den Dienst des englischen Wirtschaftskrieges zu zwingen. Das deutsche Volk weiss, dass es in der Hand der Regierung der Vereinigten Staaten liegt, den Krieg im Sinne der Menschlichkeit und des Völkerrechts auf die Streitkräfte der kämpfenden Staaten zu beschränken. Die amerikanische Regierung wäre dieses Erfolges sicher gewesen, wenn sie sich entschlossen hätte, ihre unbestreitbaren Rechte auf die Freiheit der Meere England gegenüber nachdrücklich geltend zu machen. So aber steht das deutsche Volk unter dem Eindruck, dass die Regierung der Vereinigten Staaten von Deutschland in dessen Existenzkampf die Beschränkung im Gebrauch einer wirksamen Waffe verlangt, und dass sie die Aufrechterhaltung ihrer Beziehungen zu Deutschland von der Erfüllung dieser Forderung abhängig macht, während sie sich gegenüber den völkerrechtswidrigen Methoden seiner Feinde mit Protesten begnügt. Auch ist dem deutschen Volke bekannt, in wie weitem Umfange unsere Feinde aus den Vereinigten Staaten mit Kriegsmitteln aller Art versehen werden. Unter diesen Umständen wird es verstanden werden, dass die Anrufung des Völkerrechts und der Gefühle der Menschlichkeit im deutschen Volke nicht den vollen Widerhall finden kann, dessen ein solcher Appell hier unter anderen Verhältnissen stets sicher ist. Wenn die deutsche Regierung sich trotzdem zu einem äussersten Zugeständnis entschliesst, so ist für sie entschei-

- 50 dend, einmal die mehr als hundertjährige Freundschaft zwischen den beiden grossen Völkern, sodann aber der Gedanke an das schwere Verhängnis, mit dem eine Ausdehnung und Verlängerung dieses grausamen und blutigen Krieges die gesamte zivilisierte Menschheit bedroht. Das Bewusstsein der Stärke hat es der deutschen Regierung erlaubt, zweimal im Laufe der letzten Monate ihre Bereitschaft zu einem Deutschlands Lebensinteressen sichernden Frieden offen und vor aller Welt zu bekunden. Sie hat damit zum Ausdruck gebracht, dass es nicht an ihr liegt,wenn den Völkern Europas der Friede noch länger vorenthalten bleibt. Mit um so stärkerer Berechtigung darf die deutsche Regierung aussprechen, dass es vor der Menschheit und der Geschichte nicht zu verantworten wäre, nach 21 monatiger Kriegsdauer die über den Unterseebootkrieg entstandene Streitfrage eine den Frieden zwischen dem deutschen und dem amerikanischen Volke ernstlich bedrohende Wendung nehmen zu lassen. Einer solchen Entwicklung will die deutsche Regierung, soweit es an ihr liegt, vorbeugen. Sie will gleichzeitig ein letztes dazu beitragen, um – so lange der Krieg noch dauert – die Beschränkung der Kriegführung auf die kämpfenden Streitkräfte zu ermöglichen, ein Ziel, das die Freiheit der Meere einschliesst und in dem sich die deutsche Regierung mit der Regierung der Vereinigten Staaten auch heute noch einig glaubt. Von diesem Gedanken geleitet, teilt die deutsche Regie-

- 51 rung der Regierung der Vereinigten Staaten mit, dass Weisung an die deutschen Seestreitkräfte ergangen ist, in Beobachtung der allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätze über Anhaltung, Durchsuchung und Zerstörung von Handelsschiffen auch innerhalb des Seekriegsgebiets Kauffahrteischiffe nicht ohne Warnung und Rettung der Menschenleben zu versenken, es sei denn, dass sie fliehen oder Widerstand leisten. In dem Daseinskampf, den Deutschland zu führen gezwungen ist, kann ihm jedoch von den Neutralen nicht zugemutet werden, sich mit Rücksicht auf ihre Interessen im Gebrauch einer wirksamen Waffe Beschränkungen aufzuerlegen, wenn seinen Gegnern gestattet bleibt, ihrerseits völkerrechtswidrige Mittel nach Belieben zur Anwendung zu bringen. Ein solches Verlangen würde mit dem Wesen der Neutralität unvereinbar sein. Die deutsche Regierung ist überzeugt, dass der Regierung der Vereinigten Staaten eine derartige Zumutung fern liegt, dies entnimmt sie aus der wiederholten Erklärung der amerikanischen Regierung, dass sie allen Kriegführenden gegenüber die verletzte Freiheit der Meere wiederherzustellen entschlossen sei. Die deutsche Regierung geht demgemäss von der Erwartung aus, dass ihre neue Weisung an die Seestreitkräfte auch in den Augen der Regierung der Vereinigten Staaten jedes Hindernis für die Verwirklichung der in der Note vom 23.Juli 1915 angebotenen Zusammenarbeit zu der noch während des Krieges zu bewirkenden Wiederherstellung der Freiheit der Meere

- 52 aus dem Wege räumt, und sie zweifelt nicht, dass die Regierung der Vereinigten Staaten nunmehr bei der grossbritannischen Regierung die alsbaldige Beobachtung derjenigen völkerrechtlichen Normen mit allem Nachdruck verlangen und durchsetzen wird, die vor dem Kriege allgemein anerkannt waren und die insbesondere in den Noten der amerikanischen Regierung an die britische Regierung vom 28. Dezember 1914 und 5.November 1915 dargelegt sind. Sollten die Schritte der Regierung der Vereinigten Staaten nicht zu dem gewollten Erfolge führen, den Gesetzen der Menschlichkeit bei allen kriegführenden Nationen Geltung zu verschaffen, so würde die deutsche Regierung sich einer neuen Sachlage gegenübersehen, für die sie sich die volle Freiheit der Entschliessungen vorbehalten muss. Der Unterzeichnete benutzt auch diesen Anlass, um dem Herrn Botschafter die Versicherung seiner ausgezeichnetsten Hochachtung zu erneuern. gez. v. Jagow.“ 16 Die obige Antwort der deutschen Regierung auf Wilson’s Osterei findet bei allen Parteien herzlichen Widerhall. Sie ist viel manierlicher im Ton als die amerikanische Note und macht grosse Konzessionen, die vom gesunden Menschenverstand diktiert sind. Persönlich glaube ich, dass wir mit Ausnahme von Zeit nichts gewonnen haben. Bald wird Wilson wieder anfangen, Haare zu spalten und einen anderen Vorwand finden, um die Beziehungen abzubrechen. Er will eben den Krieg, und früher oder später wird er ihn

- 53 wohl haben. Zweifellos denkt er (und darin wird er nicht Unrecht haben), dass Amerika jetzt der lachende Erbe eines Europas werden wird, welches unter den Orgien von Blut und Schrecken zu Grunde geht. Diesen Moment kann er beschleunigen, indem er seine Vampyrkrallen in das deutsche Fleisch eingräbt und unser Lebensblut aussaugt. Die europäische Nation, welche am besten aus dem débacle herauskommen wird, nicht unbeschädigt, aber doch mit dem blauen Auge, ist England. Sonnabend,d.6.Mai. Georgie hat uns heute wieder verlassen. Er hat Tennis gespielt, ist viel im Theater gewesen und hat den Urlaub in vollen Zügen genossen. Nun sind wir wieder allein, und die nächste Aufregung wird hoffentlich Walter sein. Montag,d.8.Mai. Die Schlauheit der deutschen Antwortnote offenbart sich in den ärgerlichen Kommentaren der englischen Presse. Es wäre viel mehr nach ihrem Geschmack gewesen, wenn man auf dem unbeschränkten U-Bootkrieg bestanden hätte. Den Gefallen hat man ihnen aber nicht getan. Die amerikanischen Jingo-Zeitungen ergehen sich in wilden Beschimpfungen und verlangen trotzdem Krieg mit Deutschland. Wir werden ja sehen, wenigstens haben wir etwas Zeit gewonnen. Frau Roese erzählte mir heute, dass der letzte Brief ihres Mannes, der noch immer in London ist, folgende Worte enthält:

- 54 “Man ist sich hier ganz klar, dass man sehr ernsten Zeiten entgegengeht.“ Ich wundere mich, dass der Zensor ihn durchgehen liess. Es ist England, das seine Alliierten bei der Stange hält. Ob nicht einer dabei ist, der das Vasallentum manchmal bereut ? Aber es ist zu spät. Shylock wetzt sein Messer und erklärt immer wieder: „J will have my bond“. Und Shylock, ob man ihn Edward Grey oder Asquith oder Lloyd George nennt, braucht die hübschesten, huldvollsten Phrasen, um die Ketten seiner Alliierten noch fester zu schmieden, denn : „The world is still deceived with ornament In law, what plea so tainted and corrupt, But, being reason’d with a gracious voice, Obscures the show of evil ? In religion, What damned error, but some sober brow Will bless it, and approve it with a text, Hiding the grossness with fair ornament ?” Shakespeare ist an der Tagesordnung gewesen. Seine Tri-Centenar Feier ist mit grosser Gründlichkeit gefeiert worden. Jede grössere Stadt hat ihre Shakespear-Theaterwoche gehabt. Das englische Lesebuch, welches Irene jetzt in der zweiten Klasse gebraucht, ist interessant und heisst „English Life for German girls“, eine Einleitung in das Leben von Gewohnheiten der Engländer von Fräulein J. Schmelcher. Es ist eine allerliebste Chronik eines Besuches drei junger Münchnerinnen in einer englischen Familie. Das Buch beschreibt englische Häuser, Einrichtungen, Mahlzeiten, Hauswirtschaft, Dienstboten, Geselligkeit, Gärten, Gottes-

- 55 dienste, wie man Einladungen beantwortet, Postanweisungen abschickt und Tausenderlei sonst. Fräulein Schmelcher hat das Buch 1911 in Oxford geschrieben, für den deutschen Schulgebrauch, und 1915 wurde eine neue Ausgabe aufgelegt. Nun möchte ich an irgend jemand in England die Frage stellen: Wenn eine Engländerin ein deutsches Buch ähnlichen Typs für den Gebrauch in englischen Schulen geschrieben hätte, würden englische Schulmädchen sich dazu hergeben, es zu gebrauchen ? Würden sie das deutsche Familienleben in allen Einzelheiten studieren ? Ich glaube es nicht, und keine englische Vorsteherin würde ein solches Buch in Gebrauch nehmen. Gewissermassen ist diese Frage von einer der „grandes dames“ Englands, Lady Jersey, beantwortet; vor ungefähr einem Jahr schrieb sie an die ‚Times’ und drückte ihr Entsetzen aus, dass deutsche Lehrerinnen englische Jungen und Mädchen unterrichtet hätten. Lady Jersey’s Brief, Irenes Schulbuch sind typische Beispiele der verschiedenen Mentalität in den beiden Ländern. Donnerstag,d.11.Mai. „Journal de Paris“ vom 3.Mai bringt einen Brief von Mr.Henri Régnier, Membre de l’Académie Française. Er erzählt seinen Lesern, dass man dem jüngsten Kinde des Kronprinzen eine Wiege geschenkt habe, welche aus Holz vom Argonnenwald gemacht ist und bemalt mit dem Blute toter und verwundeter französischer Soldaten. Nicht genug, bringt die Revue Hebdomadaire eine Abbildung dieser Wiege. Wenn die Crême der französischen Intelligenz sich so was leistet,

- 56 denn als solche muss man doch die Académie-Mitglieder benennen, was soll man von dem einfachen Mann verlangen ? Donnerstag,d.18.Mai. Vater und ich sind in Schönholz. Das Leben ist viel erträglicher auf dem Lande. Seinen eigenen Boden zu bebauen, die eigene Familie um sich zu haben, das ist, was man heute braucht. Vater hat zwei Rehbäcke geschossen, sehr angenehm in unserem fleischlosen Dasein. Sie sind sofort in die Eismiete gewandert, nach und nach verbraucht und zum Teil verschenkt zu werden. Wir führen ein Sybaritenleben, haben Milch und Butter und wahre Orgien an Spargel, Spinat und Salat. In Berlin bekommt man weder Fleisch noch Butter. Frauen stehen stundenlang vor den Läden, um endlich mit leeren Händen nach Hause zu gehen. Eben habe ich Herrn v.Winterfelds Russen mit ihrem Landsturmmann photographiert. Sie bekommen immer noch ihr Viertelpfund Fleisch täglich. Abends nach der Arbeit kann man sie ihre musikalischen melancholischen Volkslieder singen hören. Montag,d.22.Mai. Im Juli 1911 sandte das deutsche Konsulat in Johannesburg an das deutsche Auswärtige Amt folgenden Privatbericht: „ Auf einem der englischen Postdampfer, die von Southampton in Kapstadt ankamen, ereignet sich folgende ergötzliche Geschichte. Mit dem Dampfer fuhren unter anderem Brigadegeneral Townshend, the Officer Commanding the Orange Free State

- 57 District, ein früherer Generalstäbler, der neue Direktor des Erziehungsdepartements im Orange-Freistaat Dr.V. und der aus D.gebürtige hiesige deutsche Finanzier F.von H. General Townshend hatte den Dr.V. zuvor nicht getroffen. Infolge eines Versehens hielt er Herrn v.H. für Dr.V. In diesem Irrtum befangen,zog er an einem der ersten Reisetage Herrn v.H.in ein politisches Gespräch. Er erkundigte sich zunächst vorsichtig, ob England jetzt auf die politische Treue der Buren rechnen könne. Nachdem H.ihn über diesen Punkt beruhigt und dadurch sein Vertrauen gewonnen hatte, erzählte der General, er sei wenige Tage vor seiner Abreise nach England bei Lord Roberts gewesen. Dieser habe versichert, es werde bestimmt dieses oder spätestens nächstes Jahr Krieg zwischen Frankreich und Deutschland geben, in dem England sich auf Frankreichs Seite stellen werde. Der ganze Kriegsplan sei bis ins einzelne zwischen Frankreich und England abgekartet. England werde 120.000 Mann in die Gegend von Lille werfen. Im weiteren Verlauf des Feldzuges würden die verbündeten Truppen in Deutschland einziehen; die deutsche Westgrenze sei zu ausgedehnt für eine Verteidigung auf der ganzen Linie. General Townshend ist mit einer Tochter des bekannten jüdischen Bankiers Caen d’Anvers verheiratet und hat anscheinend infolge dieser Heirat ausgesprochene Sympathien im Sinne der Entente Cordiale. Nach der ganzen Persönlichkeit des mir gut bekannten Herrn v.H., meines Gewährsmannes, kann an der Wahrheit der

- 58 Geschichte kein Zweifel obwalten, um so weniger, als ein anderer deutscher Passagier desselben Dampfers, der hiesige Vertreter der Maschinenfabrik A.B., mir erzählt hat, der General, offenbar ein non plus ultra von Naivetät, habe ihm klagenden Tones den ganzen Vorfall mitgeteilt, nachdem er seinen Irrtum erkannt hatte; zu Herrn v.H. sagte der General Townshend später, er möge das Gespräch wie eine Unterhaltung unter Kameraden ansehen; im übrigen mied er aber während der weiteren Reise H.’s Umgang. gez. Kuenzer.“ Dienstag,d.23.Mai. Heute vor einem Jahr schloss sich Italien den Alliierten an, und die Oesterreicher haben den Tag durch eine grosse Offensive in Süd-Tirol gefeiert, haben endlose Gefangene und Geschütze erbeutet, usw. Wie müssen sich die Italiener ärgern. Sie rechneten natürlich auf ein Oesterreich, welches durch die Russen schon hoffnungslos geschwächt war, und auf die Hilfe von Rumänien. Rumänien wird sich freuen, sich nicht an den italienischen Wagen gekettet zu haben. Es heisst, der Herzog von Connaught ist in grösster Eile nach Rom gesandt worden in besonderer Mission. Es ist wohl kein Zufall, dass man den bestgewachsenen und soldatischsten englischen Prinzen gewählt hat, um das kleine Vittorio Emanuelchen einzuschüchtern.

- 59 Mittwoch,d.24.Mai. Herrn v.Bethmann Hollweg’s Gespräch mit einem amerikanischen Korrespondenten „Sir Edward Grey will einen dauerhaften Frieden, den will auch ich. Seit Anfang des Krieges habe ich das immer wieder ausgesprochen. Aber ich fürchte, dass wir dem Frieden, der, wie ich glaube, von allen Völkern herbeigesehnt wird, nicht näher kommen werden, so lange verantwortliche Staatsmänner der Entente sich in Bemerkungen über preussische Tyrannei, preussischen Militarismus und in pathetischen Deklamationen über ihre eigene Ueberlegenheit und Vollkommenheit ergehen, oder gar, wie es jetzt Sir Edward Grey tut, Deutschland mit einer Veränderung seiner politischen Zustände beglücken wollen. Darauf kann ich dem englischen Minister, dem die irischen Zustände doch Zurückhaltung auferlegen sollten, nur erwidern, dass Deutschland Homerule hat, über die es selbständig verfügt. Und, lassen Sie mich das einschalten, hat denn die demokratische Verfassung Englands die englischen Staatsmänner an dem Abschluss geheimer Abmachungen mit Russland und Frankreich gehindert, die eine wesentliche Ursache des jetzigen Weltkrieges sind ? Aber was ich sagen wollte, durch allgemeine Pressepolemiken und öffentliche Reden wird der Hass unter den Völkern nur immer mehr geschürt. Und das ist nicht der Weg, der zu dem Idealzustande Sir Edward Greys führt, in dem freie und gleichberechtigte Völker ihre Rüstungen einschränken und ihre Zwistigkeiten anstatt durch den

- 60 Krieg durch Schiedsspruch lösen. Ich habe zweimal öffentlich festgestellt, dass Deutschland bereit war und ist, die Beendigung des Krieges auf einer Grundlage zu erörtern, die eine Gewähr gegen künftige Angriffe durch eine Koalition seiner Feinde bietet und Europa den Frieden sichert. Herrn Poincarés Antwort darauf haben Sie gehört. Nur wenn sich die Staatsmänner der kriegführenden Länder auf den Boden der wirklichen Tatsachen stellen, wenn sie die Kriegslage so nehmen, wie sie jede Kriegskarte zeigt, wenn sie mit dem ehrlichen Willen, das entsetzliche Blutvergiessen zu beenden, bereit sind, untereinander die Kriegs= und Friedensprobleme praktisch zu erörtern, nur dann werden wir uns dem Frieden nähern. Wer dazu nicht bereit ist, der trägt die Schuld,wenn sich Europa noch fernerhin zerfleischt und verblutet. Ich weise diese Schuld von mir.“ Mr. Wile, der früher Korrespondent des ‚Daily Mail’ war, hat eine neue Theorie. Da die Aushungerung Deutschlands noch nicht von Erfolg gewesen ist, fängt er an ein Loblied zu singen über die Lebensmittelorganisation der deutschen Regierung und die Aufopferung des deutschen Volkes, die alle Härten hinnimmt, ohne zu murren. (Wir sind durchaus nicht mit der Organisation zufrieden, wir meinen, sie hätte ganz anders gehandhabt werden sollen. ) Mr. Wile sagt auch, wenn die Wetterverhältnisse günstig sind, wird Deutschland die grösste Ernte seit Jahren haben. Auch das ist Unsinn. Zu In der Anzahl von Morgen ist vielleicht mehr Land und

- 61 Kultur wie zuvor, aber man darf doch nicht vergessen, dass die Ertragsfähigkeit geringer ist, wegen Mangel an künstlichem Dünger. Der Artikel scheint mir ein direkter Appell an das britische Schwert, „ Man kann die Hunnen nicht aushungern, also müssen sie weiter getötet werden.“ Sonnabend, d.27.Mai. „Bericht des deutschen Botschafters in St.Petersburg an das Auswärtige Amt während der bosnischen Krise im Jahre 1909.“ Kaiserlich Deutsche Botschaft St.Petersburg. 5. April 1909. „ Wie ich von unterrichteter Seite ganz vertraulich erfahre, hat Sir Arthur Nicolson Herrn Jawolski ernste Vorwürfe darüber gemacht, dass er unseren Vermittlungsvorschlag zur friedlichen Lösung der Annexionsfrage angenommen hat, ohne sich vorher mit dem französischen Verbündeten oder der englischen Regierung ins Einvernehmen zu setzen. Der Botschafter hat den Minister gebeten, seine Antwort an mich aufzuschieben, bis die englische Regierung Gelegenheit gehabt habe, dazu Stellung zu nehmen. Her Jawolski hat dies abgelehnt. Auch Sir Edward Grey hat, wie mir mein Gewährsmann erzählt, seine Verstimmung über die Nachgiebigkeit der russischen Politik dem russischen Geschäftsträger gegenüber zum Ausdruck gebracht und das Vorgehen Herrn Jawolski als übereilt bezeichnet. Der englische Minister des Aeusseren ist sogar soweit gegangen, in

- 62 eine Erörterung der Frage einzutreten, welche Haltung England eingenommen haben würde, falls es zu einem Kriege zwischen Russland und Oesterreich-Ungarn sowie Deutschland gekommen wäre. Auf eine dahingehende Frage Herrn Poklewskis hat Sir Edward Grey geantwortet, die Entscheidung über Krieg und Frieden hänge in England nicht von der Regierung, sondern ausschliesslich von der öffentlichen Meinung ab. Er habe aber das Gefühl gehabt, dass die öffentliche Meinung in England genügend vorbereitet gewesen sei, um der Regierung ein Eingreifen Englands an der Seite Russlands in den Krieg zu ermöglichen. gez.F.Pourtalès . Sonntag, d.28.Mai. Heute wurde in allen Kirchen ein Bittgottesdienst für die kommende Ernte gehalten. Die letzten Tage sind warm und regnerisch gewesen, mit ausgibigen Gewittern.- Man kann alles wachsen sehen ! Dienstag, d.30.Mai. Die Friedensgespräche die unsere, und die neutralen Zeitungen füllen, werden von der Northcliffe Presse vollständig ignoriert. Der Hauptantrieb zu diesem Friedensgespräch ist von dem amerikanischen Botschafter Mr. Gerard gegeben worden. Als man ihn nach seinen Gründen fragte, soll er geantwortet haben:

- 63 “general feeling“. Auch andere seiner Aussprüche deuten auf einen Gefühlsumschwung hin, denn bis jetzt ist er alles andere als freundlich gewesen. Georgie macht jetzt einen achtwöchigen Kursus bei einer Offiziersschule in Libau mit. Morgens vier Stunden Instruktion, nachmittags reiten u.s.w. Nach anderthalb Jahren im Felde findet er es etwas langweilig, aber er hat sehr nette Kameraden. Am vorigen Sonntag wurde er vom Gouverneur von Kurland, Exzellenz v.Schwerin, zum Frühstück eingeladen. Es gab einen herrlichen Puter. Sie haben dort keine fleischlosen Tage. Donnerstag, d.1.Juni. Die furchtbaren Kämpfe vor Verdun dauern jetzt vierzehn Wochen. Die Franzosen verbluten sich in ihrer tapferen Verteidigung. Und wir ? Unsere Verlustlisten sind schon lange zum Herzbrechen. Freitag, d.2.Juni. Immer wieder in den englischen Zeitungen und Parlamentsdebatten kommt man auf die Ernährung unserer englischen Gefangenen zurück. Man muss doch in England wissen, dass wir sogut wie kein Fleisch haben. Von nächster Woche an bekommen wir Fleischkarten, 330 gr.per Kopf und Woche. Das gibt für unseren jetzigen Haushalt von acht Personen eine Fleischmahlzeit wöchentlich. Es

- 64 Es ist mir vollständig gleichgiltig, ob ich Fleisch esse oder nicht und wir sind besser daran als tausend andere, mit einem grossen Gemüsegarten und jetzt von Zeit zu Zeit Wild. Aber für grosse Familien in der Stadt mit hungernden hungrigen und heranwachsenden Schulkindern ist es sehr, sehr hart. Aber unsere Gefangenen, wenn ich bitten darf, bekommen täglich ihr Viertelpfund Fleisch. Dann ist die Ueberwachung der Gefangenen, die auf dem Lande arbeiten, sehr streng. Baronin Putlitz-Laaske hat nicht weniger als 70 Russen. Sie sagte mir, alle paar Wochen käme ein Offizier vom Lager um die Schlaf-und sanitären Einrichtungen und die Ernährung zu kontrollieren. Neulich wurde sie gefragt, ob sie den Gefangenen nicht mehr Fett geben könne. Ihre Antwort:“ Die Russen bekommen schon mehr Fett als unsere eigenen Leute und wenn ich ihnen noch mehr gebe, muss ich unseren eigenen Leuten noch weniger geben.“ Sonnabend, d.3.Juni. Eine grosse Seeschlacht hat stattgefunden nahe der jütländischen Küste, am Skagerack. Und das Resultat ? Soweit ersichtlich ,haben die „Ratten“, wie Winston Churchill die deutschen Schiffe nannte, den britischen Löwen mit recht wehem Kopfe heimgeschickt. Die Taktik von Admiral Scheer scheint von grossem Erfolge gewesen zu sein und die neuen Krupp-Kanonen fabelhaft in ihrer Wirkung. Herr v.Cotzhausen schreibt“Black Prince“ wäre nach zwei Minuten weissglühend gesunken. Man ist an entsetzliches

- 65 gewöhnt, aber eine moderne Seeschlacht muss alles andere in den Schatten stellen. Was wohl die britische Flotte veranlasst hat, ihre Zähne zu zeigen ? Wollten sie Helgoland zu einem Sandhaufen zusammenschiessen, wie die Morning Post im vorigen Dezember prophezeite ? Berlin, 1.Juni . „Unsere Hochseeflotte ist bei einer nach Norden gerichteten Unternehmung am 31.Mai auf den uns erheblich überlegenen Hauptteil der englischen Kampfflotte gestossen. Es entwickelte sich am Nachmittag zwischen Skagerack und Horns Riff eine Reihe schwerer, für uns erfolgreicher Kämpfe, die auch während der ganzen folgenden Nacht andauerten. In diesen Kämpfen sind, soweit bisher bekannt, von uns vernichtet worden: das Grosskampfschiff „Warspite“, die Schlachtkreuzer „Queen Mary“ und „Indefatigable“, zwei Panzerkreuzer, anscheinend der Achilles-Klasse, ein kleiner Kreuzer, die neuen Zerstörerführerschiffe „Turbulent“, „Nestor“ und „Alcaster“, sowie eine grosse Anzahl von Torpedobootszerstörern und ein Unterseeboot. Nach einwandfreier Beobachtung hat ferner eine ganze Reihe englischer Schlachtschiffe durch die Artillerie unserer Schiffe und durch Angriffe unserer Torpedobootsflottillen während der Tagesschlacht und in der Nacht schwere Beschädigungen erlitten. Unter anderem hat auch das Grosskampfschiff „Marlborough“, wie Gefangenenaussagen bestätigten, Torpedotreffer erhalten. Durch mehrere unserer Schiffe sind Teile der Besatzungen aufgefischt

- 66 worden, darunter die beiden einzigen Ueberlebenden der „Indefatigable“-. Auf unserer Seite ist der kleine Kreuzer „Wiesbaden“ während der Tagesschlacht durch feindliches Artilleriefeuer und in der Nacht S.M.S.“Pommern“ durch Torpedoschüsse zum Sinken gebracht worden. Ueber das Schicksal S.M.S.“Frauenlob“ die vermisst wird, und einiger Torpedoboote, die noch nicht zurückgekehrt sind, ist bisher nichts bekannt. Die Hochseeflotte ist im Laufe des heutigen Tages in unsere Häfen eingelaufen.“ Der Chef des Admiralstabes der Marine.“ 17 Berlin, 3.Juni. Um Legendenbildungen von vorneherein entgegen zu treten, wird nochmals festgestellt, dass sich in der Schlacht vor dem Skagerack am 31.Mai die deutschen Hochseestreitkräfte mit der gesamten modernen englischen Flotte im Kampf befunden haben. In den bisherigen Bekanntmachungen ist nachzutragen, dass nach amtlichem englischen Bericht noch der Schlachtkreuzer „Invincible“ und der Panzerkreuzer „Warrior“ vernichtet worden sind. Bei uns musste der kleine Kreuzer „Elbing“, der in der Nacht vom 31.5. zum 1.6. infolge Kollision mit einem anderen deutschen Kriegsschiff schwer beschädigt worden war, gesprengt werden, da er nicht mehr eingebracht werden konnte. Die Besatzung wurde durch Torpedoboote geborgen bis auf den Kommandanten, zwei Offiziere und 18 Mann, die zur Sprengung an Bord geblieben waren. Letztere sind nach einer Meldung aus Holland durch einen Schlep-

- 67 per nach Ymuiden gebracht und dort gelandet.“ Der Chef des Admiralstabes der Marine.“ Nun folgt der englische Bericht, der etwas anders klingt: London, 3.Juni. Die Admiralität teilt mit: Am 31.Mai nachmittags entspann sich auf der Höhe der jütländischen Küste ein Seegefecht. Die britischen Schiffe, die in den Kampf gerieten, waren die Schlachtkreuzerflotte, einige Kreuzer und leichte Kreuzer, die von vier schnellen Schlachtschiffen unterstützt wurden. Unter diesen Schiffen sind die Verluste schwer. Der deutschen Schlachtflotte kam das unsichtige Wetter zu Hilfe; sie vermied einen längeren Kampf mit unseren Hauptstreitkräften. Bald, nachdem diese auf dem Kampfplatz erschienen waren, kehrte der Feind in den Hafen zurück, nicht ohne vorher durch unsere Schlachtschiffe schweren Schaden erlitten zu haben. Die Schlachtkreuzer „Queen Mary“, „Indefatigable“, „Invincible“, die Kreuzer „Defence“, „Black Prince“ sind gesunken. „Warrior“, der kampfunfähig wurde, musste, nachdem er ins Schlepptau genommen worden war, von der Mannschaft verlassen werden. Ferner ist gemeldet worden, dass die Zerstörer „Tipperary“, „Turbulent“, „Fortune“, „Sparrowhawk“ und „Ardent“ verloren sind. Von sechs anderen ist noch keine Meldung eingelaufen. Es ist kein britisches Schlachtschiff und kein leichter Kreuzer gesunken. Die Verluste des Feindes sind ernst, wenigstens ein Schlachtkreuzer ist zerstört,

- 68 einer schwer beschädigt. Es wird berichtet, dass ein Schlachtschiff während der Nacht von unseren Zerstörern versenkt worden ist. Zwei leichte Kreuzer, die kampfunfähig waren, sind wahrscheinlich gesunken. Die Zahl der Zerstörer, über die der Feind während des Kampfes verfügte, kann nicht genau angegeben werden, muss aber zweifellos gross gewesen sein.“ Mittwoch, d.7.Juni. Eine Aufregung folgt der anderen. Else kam heute aus Berlin und brachte die Morgenzeitungen mit der Nachricht von Lord Kitcheners Tod. Er befand sich mit seinem Stabe auf dem Kriegsschiff „Hampshire“ auf dem Wege nach Russland. In der Nacht wurde das Schiff westlich der Orkney-Inseln durch eine Mine versenkt.- Die See war sehr stürmisch und, obwohl sofort alle möglichen Schritte unternommen wurden, um rasche Hilfe zu leisten, besteht wenig Hoffnung, dass irgend jemand mit dem Leben davongekommen ist. „Hampshire“ ist ein Panzerkreuzer von 11 000 Tonnen. Es liegt eine gewisse Tragik in Lord Kitcheners Tod. Er hat eine grosse Karrière gehabt, war ein grosser Organisator und hat bis jetzt immer seinen Willen durchsetzen können. Aber dieser Krieg ist selbst für ihn zu viel gewesen. Er befand sich auf Einladung des Zaren und im Auftrage der britischen Regierung auf dem Wege nach Russland, um dort wichtige militärische und Finanzfragen zu besprechen.

- 69 Donnerstag, d.8.Juni. Lord Newton hat endlich im House of Lords den Rasereien von Lords Beresford und Devonport eine vernünftige Antwort gegeben über die deutsche Gefangenenbehandlung. Er sagt, die Ernährung in den deutschen Gefangenenlagern und in Ruhleben könne nicht so schlimm sein, wie man in England sagt, denn sonst wären die Russen, die keine Pakete erhalten, längst verhungert ! Ferner sagte er, Pakete aus England würden den Gefangenen sofort ausgeliefert ( das ist ja selbstverständlich!) und es wäre ein Unrecht gegen die Verwandten zuhause, falsche Berichte zu verbreiten. Sonnabend, d.10.Juni. Die Admiralität gibt heute ferner bekannt, dass auch „Lützow“ und „Rostock“ in der Skagerackschlacht auf dem Heimwege gesunken sind. Die Besatzungen und die Verwundeten sind alle gerettet. Aber warum hat die Admiralität diese Verluste nicht sofort gemeldet ? Sehr auffallend ist die Länge der kanadischen Verlustlisten in der Times. Diese armen Leute müssen anscheinend den Hauptansturm in den vordersten Schützengräben erleiden. Irene kam heute aus Berlin für die Pfingsttage. Wir haben recht schönen Regen gehabt. Nun kann es für die Feiertage und die Heuernte trocken bleiben. In Berlin und anderen Grosstädten ist eine arge Kartoffelknappheit, und die letzten Vorräte auf dem Lande müssen umgehend

- 70 verladen werden. Von unseren kleinen Beständen haben wir heute zehn Zentner abgeliefert.Ich beneide nicht die städtische Hausfrau, die sie kauft, sie sind so schlecht wie alte Kartoffeln um diese Jahreszeit zu sein pflegen. Uns bleibt jetzt nur sehr knapp 1 1/2 Pfund per Kopf und Tag. Die arme Lotte und die Hühner ! Pfingstsonntag, d.11.Juni. Herrn v.Winterfeld’s Russen kamen heute auf den Hof und sangen uns vor. Zum Dank bekamen sie Zigarren. Donnerstag, d.15.Juni. Wir fuhren alle heute nach Berlin. Die Fahrt war nicht langweilig, denn ich hatte vier Nummern der Times mit. In der Nummer vom 5.Juni wird eine Botschaft von Rudyard Kipling an New Zealand veröffentlicht: „ Der Krieg wird enden, indem Deutschland in harmlose Stücke zerschnitten wird. Wir müssen wissen dass, wo ein Deutscher, Mann oder Frau, gedeiht, er oder sie Tod und Verlust für zivilisierte Menschen bedeutet, genau wie Krankheitsbazillen, die sich vermehren, Tod und Verlust für die Menschheit bedeuten. Der Deutsche ist Typhus oder Pest, Pestis Teutonica !!!“ Neben dem Buche „English Life for German girls“, welches ich neulich erwähnte, liesst Irene’s Klasse Kiplings „Jungle Book“. Es gibt so viele hübsche interessante englische Bücher, die für den Klassengebrauch geeignet sind, dass man wirklich Kipling

- 71 streichen könnte. In Uebelkeit der Gesinnung und der Sprache wird er von niemandem übertroffen. „ Wer hat gesiegt ? W.T.B.Berlin, 15.Juni. Der Führer der englischen Flotte in der Seeschlacht vor dem Skagerack, Admiral Jellicoe, hat in einem Befehl an die englische Flotte u.a.zum Ausdruck gebracht, er zweifele nicht daran, zu erfahren, dass die deutschen Verluste nicht geringer seien als die englischen. Demgegenüber wird auf die bereits in der amtlichen Veröffentlichung vom 7.Juni erfolgten Gegenüberstellungen der beiderseitigen Schiffsverluste hingewiesen. Hiernach steht einem Gesamtverlust von 60.720 deutschen Kriegsschifftonnen ein solcher von 117.150 englischen Tonnen gegenüber, wobei nur diejenigen englischen Schiffe und Zerstörer in Ansatz gebracht sind, deren Verlust bisher von amtlicher englischer Seite zugegeben worden ist. Nach Aussagen englischer Gefangener sind noch weitere Schiffe untergegangen, darunter das Grosskampfschiff „Warspite“. An deutschen Schiffsverlusten sind: S.M.S.“Lützow“, „Pommern“, „Wiesbaden“, „Frauenlob“, „Elbing“, „Rostock“ und fünf Torpedoboote. Dementsprechend sind auch die Menschenverluste der Engländer erheblich grösser als die der Deutschen. Während auf englischer Seite bisher die Offiziersverluste allein auf 342 Tote und Vermisste und 51 Verwundete angegeben sind, betragen die Verluste bei uns an Seeoffizieren, Ingenieuren, Sanitätsoffizie-

- 72 ren, Zahlmeistern, Fähnrichen und Deckoffizieren 172 Tote und 41 Verwundete. Der Gesamtverlust an Mannschaften beträgt auf Seiten der Engländer, soweit bisher durch die Admiralität veröffentlicht, 6104 Tote und Vermisste und 513 Verwundete, auf deutscher Seite 2414 Tote und Vermisste und 449 Verwundete. Von unseren Schiffen sind während und nach der Seeschlacht 177 englische Gefangene gemacht, während, soweit bisher bekannt, sich in englischen Händen keine deutschen Gefangenen aus dieser Schlacht befinden. Die Namen der englischen Gefangenen werden auf dem üblichen Wege der englischen Regierung mitgeteilt werden.“ Der Chef des Admiralstabes der Marine. 18 Sonnabend, d.17.Juni. Die Times vom 9.gibt bekannt, dass am folgenden Sonntag nachmittag in St.Pauls Kathedrale ein Te Deum gesungen wird, um den grossen See-Sieg zu feiern.- Uns kommt es beinahe wie Blasphemie vor, und nicht die passende Art, die tapferen Gefallenen zu ehren. Es ist doch zu merkwürdig ! 117 000 britische Tonnage verloren und 7 000 Mann Verluste gegen 60000 deutsche Tonnage und 3000 Mann Verluste.- Und doch ist es ein grosser englischer Sieg ! Königin Elisabeth hatte mehr Grund, als sie im Festgewande durch die Strassen Londons ritt, nach dem Sieg über die spanische Armada, und auf den Stufen von St.Pauls knieend, öffentlich Gott dankte für die Errettung ihres Landes.

- 73 Die Lebensmittelfrage ist jetzt etwas besser organisiert. Die Butterschlangen und Fleischschlangen und Kartoffelschlangen sind vorbei. Man bekommt auf Karten das bischen, was einem zusteht. Eier zwei per Kopf und Woche. Ich brachte 100 aus Schoenholz mit und komme mir wie ein Croesus vor. Es werden jetzt Massenspeisungen eingerichtet, die im Juli anfangen sollen. Für viele arme Leute und für arbeitende Mütter wird es eine grosse Hilfe sein. Dienstag, d.20.Juni. Wir haben keine Ahnung, wo Walter ist. Er schrieb zuletzt aus Frankreich, dass sie verladen würden, wohin, wusste er nicht, es könne Verdun, Ypern oder Russland sein. Die russischen Horden, die während des ganzen Winters sich neu organisiert und mit amerikanischer und japanischer Munition versehen haben, machen grosse Schwierigkeiten in Südpolen und Galizien und haben Czernowitz den Oesterreichern abgenommen. Es ist natürlich eine Contre-Offensive, um Italien zu entlasten und vorläufig erfolgreich. Wir werden da wieder aushelfen müssen.Pressentin ist Major geworden.- Er schrieb, sie hätten jetzt die schwerste Arbeit der ganzen zwei Jahre. Die Russen sind zwanzig zu eins. Sie kommen an in nie endenden Wellen. Sonnabend, d.24.Juni. In Italien und Griechenland hat sich manches ereignet.

- 74 Salandra hat demissioniert. Es Er war der grösste Fisch, den die Entente bis jetzt gelandet hat. Jetzt, nachdem Italien eine halbe Million Soldaten nutzlos geopfert hat, geht es er ab und überlässt die Lage an Boselli ! Und Griechenland ? Die Entente hat, ihrem christlichen Grundsatz getreu, dass kleine Nationen frei sein müssen, ihren Fuss auf den Nacken des armen kleinen Griechenlands gesetzt und eine geladene Pistole vorgehalten mit den Worten“Entweder, Du tust, was wir Dir sagen, oder Du verhungerst“! Infolgedessen mussten König Konstantin und sein Kabinett das Heer demobilisieren und das Ultimatum der Entente unterschreiben. Die britische Flotte, welche in Piraeus wartete, um die Acropolis in Staub zu schiessen(oh! Schatten von Löwen) hat sich gnädigst zurückgezogen und erlaubt, dass einige Mehlsäcke gelandet werden ! Sonntag, d.25.Juni. Eine Karte von Walter aus Wolhynia. Er ist unglücklich, wieder im Osten zu sein ,nach seinen vorjährigen Erfahrungen. Es ist aber jetzt anders, sie müssen die Russen jetzt abwehren, nicht verfolgen. Pressentin erschien plötzlich auf drei Wochen Urlaub. Er kommt aus Smorgon, wo anderthalb deutsche Divisionen einundzwanzig russischen Divisionen gegenüberstehen ! Kein Wunder, dass Hindenburg gesagt haben soll, er würde

- 75 eine russische Offensive abwehren, wenn die Russen zwanzig zu eins sind und selber eine Offensive anfangen, wenn sie zehn zu eins sind ! Die Franzosen haben 40 Bomben auf Karlsruhe fallen lassen. Ein Wandercircus gab gerade eine Nachmittagsvorstellung und die Flieger nahmen wohl an, es wäre ein Militärlager. Infolgedessen sind über hundert Menschen, meistens Kinder, getötet. Mit der üblichen deutschen Objektivität sagt man, die Franzosen hätten Soldaten töten wollen. Hätten wir unter den gleichen Umständen eine französische Stadt bombardiert, würde die französische Presse sagen, wir wären gekommen, um Kinder zu massakrieren. Freitag, d.30.Juni. Walter schreibt, die Russen wären viel weniger geneigt, davonzulaufen als im vorigen Sommer, sie sind besser geführt und sollen französische Artilleristen haben. Aber in Wolhynien scheint ihre Offensive abzuflauen. Linsingen ist dort mit deutschen Truppen. In der Bukowina, wo die Oesterreicher allein fertig werden müssen, kommen die Russen vorwärts.. Die Zeitungen sagen, dass Vorbereitungen getroffen werden für eine gewaltige EnglischFranzösische Offensive. Auf allen Lippen die Frage, wie lange kann die Schlachterei noch weiter gehen – es ist übermenschlich !

- 76 Sonnabend, d.1.Juli. Herr Roese besuchte uns heute. Nach beinahe zwei Jahren hat er endlich London verlassen dürfen. Er musste uns sehr viel erzählen. Die Deutsche Bank ist seit Kriegsbeginn unter der Kontrolle von Sir William Plender gewesen. „ Ihr Abschluss hat einen sehr guten Eindruck auf Sir William Plender gemacht“, sagte ein freundlich gesinnter Makler zu Herrn von Rapp und Herrn Roese.- „Selbstverständlich“, war die Antwort, „welchen anderen Eindruck konnte er machen“.- Nicht ein zweifelhafter Kunde, oder Verbindung – alles ganz tip-top.“ „Ja“, sagte der Makler, das ist es eben, was sie so ärgert“. Mr. Astall, Direktor der „National Provincial Bank“ (Die Londoner Bankiers der deutschen Bank) sagte, als ihm die Abrechnung vorgelegt wurde und die glänzende Ordnung und Verwaltung erkennen liess:“ J am extremely sorry to hear it“. Diese Kommentare sprechen Bände, nicht weniger die Tatsache, dass Sir William Plender und seine Helfershelfer mit besonderer Genauigkeit die Accreditivas durchsahen, um etwaige regelmässige monatliche Zahlungen an deutsche Kellner, Barbiere, Konditoren u.s.w. nachzuspüren. Sie waren bitter enttäuscht, als sie konstatieren mussten, dass die Deutsche Bank nicht vierzig Jahre in 4, George Yard gesessen hat, um Spione zu bezahlen !! Vaters Lebensarbeit wird in Staub getreten. Der Home Secretary, Mr. Joynson Hicks, der ungefähr jede Woche im Parlament fragt, warum dieser oder jener feindliche

- 77 Ausländer noch nicht interniert ist, nimmt jetzt die Deutsche Bank und die neun letzten deutschen Beamten zwischen seine Klauen. Es ist so leicht, herunterzureissen, zu zerstören, nicht wahr, Mr.Hicks ? Namentlich saubere, ehrliche Arbeit, die Sie nicht geleistet haben und die ihren Neid erregt. – Uns erscheint es eine negative Arbeit, aber Sie werden wohl grosse Befriedigung daran haben. Zerstörung ist die Lösung der englischen Politik, Zerstörung des deutschen Einflusses zuhause und anderswo – die jahrelange geduldige harte Arbeit in den Kolonien ist über Nacht zerstört. Montag, d.3.Juli. Mr.Bonar Law hat neulich in einer Rede gesagt, die Deutschen hätten erbittertere Gefühle gegen ihre englischen Feinde, als gegen die anderen. Bitte, Mr.Bonar Law, stellen Sie sich einmal vor, dass ein Einbrecher bei Ihnen eindringt, Ihren Geldschrank beraubt und versucht, Ihre Kehle durchzuschneiden. Es ist sehr gefährlich und unangenehm, aber Sie händigen ihn der Polizei aus ohne irgendwelchen persönlichen Gefühle. So sind für uns Frankreich und Russland. Nun stellen Sie sich aber vor, der Einbrecher ist jemand, den Sie gekannt und geliebt haben, der Ihr volles Vertrauen hatte, der aber Ihre Stellung und Ihren Reichtum Ihnen neidet und deshalb Sie zu töten versucht. – Würde Ihr Entsetzen über seinen

- 78 Verrat Ihnen nicht das Herz brechen und Sie mit Zorn und Verzweiflung erfüllen ? Das, Mr.Bonar Law, drückt ungefähr unsere Gefühle aus. England war unser natürlichster Freund, unser unvermöglichster Feind, deshalb tragen wir so unendlich schwer an dem Verrat. Donnerstag, d.6.Juli. Walter aus Wolhynien schreibend, sagt, es wäre ein erbitterter Kampf um jeden Meter Boden gegen erstklassige russische Truppen in immenser zahlenmässiger Uebermacht. Wenn nicht im Schützengraben, haben sie letzthin viel auf der blanken Erde geschlafen- trotz stundenlangen Regens. Sonntag, d.9.Juli. Wir sind wieder in Schönholz. Dauernd im Garten und in der Küche beschäftigt. Es gibt so viel zu ernten und einzumachen. Brüning hat mir im Laufe des letzten Winters 13 Zuckerhüte aufgekauft (ungefähr 2 Centner), über die ich sehr glücklich bin, denn jetzt wäre es nicht mehr möglich. Der grosse Rasenplatz, der im vorigen Jahr Kartoffeln trug, ist in diesem Jahre ein Erbsenfeld. Die Erbsen werden später mit der Sense geschnitten und getrocknet. Und doch ist nicht eine Blume weniger im Garten. Die Arbeit, die Brüning leistet, ist fabelhaft. Sonst haben wir nur Frauenarbeit im Garten. Seit über acht Tagen wütet im Westen die langangekündigte

- 79 englisch-französische Offensive. Wir sind an Ausdauer seitens unserer Truppen gewöhnt, aber in späteren Jahren wird man einsehen, was es heisst, die halbe deutsche Armee gegen die ganze französische Armee, gegen die neue, gutausgebildete Millionen Armee Englands, gegen die Belgier, die Berberiten, die Soudan-Neger, die Madagasciten, die Anamiten, die Turkos, die Inder, Australier, Canadier, New Zealänder, von den Produkten der Munitionsfabriken der halben Welt gar nicht zu reden. Wird der Höhepunkt in diesem Kriege nie erreicht werden ? Ypern, Verdun, die Somme, immer denkt man, der Höhepunkt ist erreicht. Aber der Superlativ von heute ist der Positiv von morgen.Mittwoch, den 12.Juli. Ein deutsches Handels-U-Boot, die „Deutschland“ ist aus Bremen in Baltimore angekommen, beladen mit Farbstoffen für Amerika und beabsichtigte, die Rückfahrt mit einer Ladung Gummi und Nickel für uns zu machen. Es ist wirklich eine Leistung. Das Boot ist ganz unbewaffnet und weitere sollen folgen. Man hofft, dadurch die Blockade zu durchbrechen. Die englischen und französischen Zeitungen sind natürlich wütend. Ich glaube nicht, dass ein oder zwei, oder sogar fünfzig Handels-U-Boote praktisch viel Unterschied machen werden, aber es ist ein Triumph für deutsche Initiative und als solcher ein Prestige Erfolg.

- 80 Sonntag, d.16.Juli. Der Himmel ist grau und das Leben ist grauer. Das Ringen ist toller denn je. Natürlich hat der Feind im Westen Fortschritte gemacht. Wie soll er es auch nicht ? Werden wir die Verteidigungslinie halten können ? Unsere Offiziere sagen ja. Ein solches Heldentum hat die Welt noch nicht gesehen. Donnerstag, d.20.Juli. Hermann Brüning ist auf drei Tage hier, während sein Lazarettzug in Berlin desinfiziert wird. Er kommt direkt von der Somme und sagt, alles bisherige erblasse vor diesem Geschehen. Er hat die Rote-Kreuz-Medaille III.Kl. Oh, das schwarze Entsetzen dieser Tage. Nach zwei langen Jahren marschiert der zerstörende Engel, mit einer Unbarmherzigkeit als hätte der Totentanz eben erst begonnen, durch die deutschen Verteidigungslinien. Wir wissen wohl, was für entsetzliche Verluste der Feind gehabt hat, aber wir verschliessen unsere Augen nicht gegen unsere eigenen.Zweifellos soll es die Offensive sein, die uns überfluten soll. Ueber eine Million Truppen konzentriert England auf diese kleine Front. Zwei Jahre wurden sie ausgebildet, ihre Offiziere sind die Blüte des jungen Englands. Werden sie durchbrechen ? Unsere Soldaten sagen nein. Denn was ist schliesslich ein Gewinn von 15 Kilometern an einer gewissen Stelle, wenn das Ziel ist, uns aus Frankreich und Belgien zu vertreiben ?

- 81 Manche Leute glauben, dass wenn die Nutzlosigkeit dieser Offensive vom Feinde anerkannt wird, Frankreich und Russland daraus die Konsequenzen ziehen werden. Ich bin nicht so optimistisch. Sonntag,d.23.Juli. Seit lange die ersten Briefe von Walter. Sie sind am Stochod, wo er viel Patrouillenarbeit hatte. Nun sind sie in Ruhe in Mielienic, eine kleine Stadt in der Nähe von Kovel. Er schreibt: „Wir wohnen in diesem Drecknest unter Zelten, da man natürlich sich in die vor Schmutz starrenden Häuser nicht hineinwagen kann, und die Scheunen für die Pferde gebraucht werden. Die Wohnverhältnisse sind toll. Tische sind wenig in Gebrauch, Stühle garnicht. Einige lange Bänke, die an den Wänden rings ums Zimmer stehen, dienen zum Sitzen und Schlafen, ausserdem ein Vorzugsplatz am Ofen, über letzterem hausen dann, soweit noch welche vorhanden sind, die Hühner. In einem kleinen Vorzimmer befindet sich der Schweine= oder Kuhstall. Unter 12 menschlichen Bewohnern einer solchen Bude ist eine Seltenheit. Der reinste oder vielmehr dreckigste Kaninchenstall! Dies die Kulturbringer!! Recht interessant ist auch die Herstellung der landwirtschaftlichen Maschinen. Nägel findet man selten. Es wird alles durch Holzpflöcke befestigt. Neulich sah ich auch einen Pflug, zu dessen Herstellung auch nicht ein Stückchen Eisen verwandt worden war. Primitiver kann es bei uns in der Gotenzeit auch nicht ausgesehen haben!“

- 82 Sonntag,d.30.Juli. Es ist herrliches goldenes Erntewetter, und unsere Herzen sind mit Dank erfüllt, denn die Qualität und Quantität des Getreides ist glänzend. Elsa ist in Bansin an der Ostsee mit Gerlichs und geniesst es sehr. Zum ersten und wahrscheinlich zum letzten Mal in ihrem Leben ist sie mit königlichen Hoheiten zusammen. Die jüngste Schwester des Kaisers, Prinzessin Margarete von Hessen ist dort mit ihrem Mann und zwei Söhnen. Anscheinend ist die Jugend viel zusammen, spielen Tennis und machen Ausflüge. Montag,d.31.Juli. Die „Financial News“ erzählt ihren Lesern, dass ein siegreiches Deutschland die Ringe von den Fingern der jungen Engländerinnen reissen würde, das Gold aus den Zähnen der Alten, und tausende von Engländerinnen an die türkischen Harems verkaufen würde. Wer in aller Welt kann solch wahnsinniges Zeug schreiben, und wer kann es ohne Protest lesen ? Das Tragische ist, dass das Gift sich in die Herzen des englischen Volkes hereinfrisst. Dienstag,d.1.August. Während ich hier in unserem hübschen Gartenzimmer schreibe, durchdrungen von dem Duft herrlichster Rosen und Wicken, vergleiche ich diese friedliche Stelle mit dem Grauen draussen im Felde. Zwei Jahre Todesqual, und wie viele müssen noch kommen ? Nicht dass unser Dasein durchaus friedvoll zu nennen ist.

- 83 An allen Ecken und Enden werden wir durch die neuen Lebensmittelverordnungen eingeengt. Sie sind wohl notwendig, werden aber dauernd geändert. Wir wissen nicht mal, wie weit wir unsere eigenen Kartoffeln werden verzehren, oder wie viel wir für das Pferd und die Hühner verbrauchen dürfen. Wir essen ja sehr viel Kartoffeln, ungefähr zehn Pfund per Tag für neun Personen. In unserer fleisch- und fettlosen Existenz ist es nicht zu verwundern. Unser Feld produziert circa 70 Zentner. Aber das Erschütterndste für mich ist, dass ich den noch unverbrauchten Teil meines Zuckers habe abliefern müssen. Herr v. Winterfeld als gestrenger Herr Amtsvorsteher, und Vater als ehrlichster Mann sassen zusammen auf dem Balkon über meine Zuckerhüte zu Gericht. Das Urteil lautete „abliefern“. Leise weinend schickte ich Brüning mit dem Zucker an die Sammelstelle in Putlitz. Ein kleiner Triumph wurde mir doch zuteil. „Gnädige Frau,“ sagte Brüning, „der Mann an der Sammelstelle hat gesagt, die Dummen werden nicht alle!!“ Sonntag,d.6.August. Sir Roger Casement ist im Pentoville-Gefängnis erschossen oder erhängt worden. Ihm ist es gewiss gleich gewesen, welche Todesform gewählt wurde. Das Hoffnungslose seiner Lage ist ihm bewusst gewesen. Vielleicht wird Sir Rogers Tod mehr für die Sache in Irland tun als sein Leben erreichen konnte. Aber das liegt alles im Schosse der Zukunft. Mr. Asquith hat im House of Commons gesagt: „Ich hoffe bald

- 84 mitteilen zu können, dass ein Gesetz durchgegangen ist,wonach dem deutschen Volk das Recht der Gemeinschaft mit anderen Völkern verweigert wird, bis die deutschen Verbrechen gerächt sind.“ Mr.Asquith scheint zu vergessen, dass man erst seinen Hasen fangen muss, ehe man ihn brät. Seine freundlichen Absichten können erst durchgeführt werden, wenn wir hoffnungslos besiegt sind. Dann kann er natürlich mit uns machen, was er will. Hierin sieht man deutlich den Unterschied zwischen den deutschen und englischen Kriegszielen. Hier kann niemand sagen, was man nach dem Kriege erwartet, mit Ausnahme von der Aufrechterhaltung unserer bedrohten Existenz. Aber am 4.August 1914 waren die englischen festgelegt. Sie sind Raub und Zerstörung. Montag,d.7.August. Georgie hat das Endexamen in Libau gut bestanden und ist wieder auf dem Weg zur Schwadron. Die letzten Tage in Libau waren sehr angenehm. Er hat viele Marine-Bekanntschaften gemacht und wurde öfters auf Torpedobooten eingeladen. Die Schwadron ist wieder in Wolhynien, hoffentlich werden Georgie und Walter sich endlich sehen. Das Ziel der grossen russischen Offensive ist in Wolhynien ist der wichtige Knotenpunkt Kovel. Südlich wollen sie Lemberg wiedernehmen, und nach Ungarn marschieren. Die Offensive dauert jetzt neun Wochen, die Russen haben ihre Leute erbarmungslos geopfert,aber wenig Erfolg gehabt. Hindenburg hat jetzt das Kommando über einen grossen Teil der österreichischen Truppen.

- 85 Mittwoch,d.9.August. Die Ernte geht gut vonstatten. Roggen ist längst eingefahren, Hafer und Gerste geschnitten. Das Wetter ist herrlich und unsere Pfirsiche sind reif. Sonnabend,d.12.August. Die Jungens berichten beide über schreckliche Kämpfe. Walter ist noch immer am Stochod, die Russen haben die Hoffnung auf Kovel noch nicht aufgegeben. Die 17.Husaren haben schwere Verluste gehabt, sagt Walter. Gott sei Dank, er ist gesund. Wir haben jetzt auch hier Butterkarten. Wir dürfen nicht mehr von Brüning Butter kaufen. Er muss seine Butter an die Sammelstelle schicken, wenn er was über hat. 90 gr.per Kopf und Woche auf unsere Karten ist wenig genug! Wenn Vater einen Bock schiesst, liefere ich unsere Fleischkarten für zwei Wochen ab. Ich glaube, es hat wenig Zweck. Wer wird das Viertelpfund „Gehacktes“ essen, was ich nicht kaufe ? Höchstens der Schlachter selbst. Mit der neuen täglich erscheinenden Lebensmittelverordnung ist nicht Stand zu halten. Es macht viel Extraarbeit für die Gutsbesitzer, Amtsvorsteher,usw. Herr v.Winterfeld schreibt bis in die Nacht hinein, und seine Tagesarbeit ist auch nicht leicht. Sir Edward Grey hatte neulich eine Unterredung mit einem Vertreter der „Chicago Daily News“. Diese Unterredung wird von Mr.Bernard Shaw folgendermassen besprochen: „Bei der Lektüre dieser Unterredung hat man den Eindruck, als wären wir noch im August 1914. Grey ist seit diesem Jam-

- 86 mermonat, in dem die ganze Welt zum Irrenhaus wurde und wozu Grey selbst das seinige getan hat, keinen Schritt weiter gekommen. Wie oft auch Journalisten, Redner, Parlamentarier und andere Leute erklären mögen, dass sie bis zum letzten Penny und bis zum letzten Mann kämpfen wollen, eines schönen Tages wird Grey dem Unterhaus mitteilen, dass der Krieg zu Ende ist. So war es bei Kriegsausbruch, so war es, als das Abkommen mit den Verbündeten, nur gemeinsam Frieden zu schliessen, bekanntgegeben wurde, und so wird es wieder sein, wenn der Augenblick gekommen ist, wo unseren Bundesgenossen der Krieg zum Halse heraushängt. Solange Grey Minister des Aeusseren bleibt, sind Englands Interessen und Zukunft ganz abhängig von seinem Charakter und seinen Fähigkeiten. Er eifert immer noch gegen den deutschen Schriftsteller Treitschke, obwohl die deutsche Regierung und das deutsche Volk, das Treitschkes Bücher wohl kaum gelesen hat, für die Erzeugnisse dieses Schriftstellers ebenso wenig verantwortlich sind wie England für die Schriften eines Buttler und anderer Militaristen. Grey spricht noch immer von der Verletzung der belgischen Neutralität, aber er könnte aus seinen eigenen Weissbüchern lernen wie es eigentlich damit steht. Belgien war ebenso wenig unabhängig wie Irland. Für Frankreich und England war Belgien das Vorwerk gegen Deutschland. Dass weiss jetzt jeder Mensch, ausgenommen die Leser der illustrierten Londoner Halbpennyblätter. Grey hat bei Kriegsausbruch das Volk für sich gewonnen, weil er die belgische Neutralität als etwas so Heiliges

- 87 hinstellte, dass nur ein so tief gesunkenes Volk wie Deutschland sie zu verletzen wagte. Es ist bedauerlich, dass die Entscheidung schliesslich in den Händen von Männern liegt, die aus frömmelnder Abneigung vor allen Kriegsgreueln, die aus dem Militarismus hervorgehen, gerade diesem Militarismus verfallen sind. Sie sind daher gegenüber der deutschen Diplomatie im Nachteile, die, wenn sie auch nicht geschickter ist als die englische, doch nicht viel Worte über moralische Entrüstungen und über den sonstigen Humbug verliert, sondern sich einfach mit den Tatsachen abfindet. Wenn Grey noch immer behauptet, dass England überfallen worden sei, trotzdem das Kriegsministerium buchstäblich anerkannt hat, dass schon fünf Jahre vor diesem Kriege die Pläne in Flandern sorgfältig vorbereitet worden seien, und dass der englische Oberbefehlshaber schon damals das Gelände studiert habe, ferner, dass die Flotte mit Munition für fünf Jahre versehen worden war – so sei es klar, dass Greys Politik dem oft gebrandmarkten Macchiavellismus entspricht. Wenn Grey behauptet, dass die englischen Truppen keine giftigen Gase verwendet hätten, weil ein solches Kriegsmittel für zivilisierte Völker zu abscheulich wäre, so steht demgegenüber die Tatsache, dass die Engländer von demselben Augenblick an von diesen giftigen Gasen Gebrauch gemacht haben, wo die Deutschen ihre Brauchbarkeit erprobt hatten. Wenn Grey immer wieder von seinen eigenen Träumen von einem freien Europa fa-

- 88 selt und dabei von Dalmatien, Polen, Böhmen und Schleswig spricht, so braucht man dengegenüber nur Indien, Aegypten, Irland und Marokko zu stellen.“ Sonnabend,d.19.August. Radfahren ist zu Ende, da alle Reifen abgeliefert werden müssen. Nur wer mehr als 3 km von Arbeit und Schule wohnt, darf ein Rad benutzen. In den Städten geht es noch, da man andere Verkehrsmöglichkeiten hat, aber auf dem Lande wird viel Unbequemlichkeit und Zeitverlust entstehen. Die Reifen werden für die Truppen gebraucht. Folgender Brief Herrn Arthur v. Gwinners, Direktor der Deutschen Bank und Mitglied des Herrenhauses, wurde in der Feldzeitung der 3.Armee veröffentlicht : „ Lieber Karl ! Das Du in allen Gefechtstagen heil geblieben bist und sogar von guter Stimmung berichten konntest, hat uns alle sehr erfreut. Die Frage, die Du mir stellst, ist leicht genug mit dem deutlichsten, überzeugtesten „Nein“ beantwortet. Für Dich füge ich noch hinzu: J wo ! Da Du aber schreibst, die Frage sei bei Deinen Kameraden entstanden und habe merkwürdig verschiedene Antworten bekommen, so will ich Dir meine Ansicht mit einigen Gründen erklären und die Frage etwas näher beleuchten. Du schreibst: „Wird durch Zeichnungen auf die Kriegsanleihen der Friedensschluss hinausgeschoben ?“ Wenn ein Portugiese so fragte, der würde natürlich an portugiesische Kriegsanleihen denken – so könnte man ihm

- 89 antworten : „Jawohl!“ Denn die Portugiesen hatten’s und haben’s nicht nötig, sich in den Weltkrieg einzumischen, und wenn das ganze Volk einmütig der portugiesischen Regierung die Mittel zur Kriegführung verweigert, so wäre der Krieg für Portugal zu Ende. Sogar wenn der Russe die gleiche Frage stellte, könnte man sie vielleicht bejahen; denn Russland könnte zweifellos den Frieden haben, den es allerdings keineswegs verdient hätte. Im Mai 1914 kam Dr. B. über die sibirische Bahn aus Japan zurück und erzählte mir, er habe auf der ganzen Reise Truppenbewegungen auf und längs der Bahn gesehen, und zwar Bewegungen grosser Massen, die alle nach Westen befördert wurden. Aber wie dem auch sei, die Russen könnten den Frieden haben, und wenn das russische Volk bis auf den letzten Mann die Mittel zur Kriegführung verweigern wollte, so würde es seiner Regierung schwer oder unmöglich werden, den Krieg fortzusetzen, und da Russlands Gegner zum Frieden bereit sind, so wäre der Frieden da. Für die Franzosen und für die Engländer wäre ein Nachgeben allerdings schwerer wegen der Folgen. Immerhin könnten sie Frieden machen, wenn sie wollten. Wir aber, mein lieber Neffe, können den Frieden nicht haben, obgleich wir ihn wollen. Stelle Dir vor, wir müssten den Krieg einstellen, weil das deutsche Volk des Krieges müde ist und die Kriegsanleihen nicht mehr unterzubringen wären, so würde dieser verbrecherische Krieg deshalb nicht zu Ende sein. Ich weiss nicht, ob Du dort draussen im Schützengraben dann und wann Gelegenheit hast, etwas aus den ausländischen Zeitungen zu erfahren. Da könntest Du alle Tage lesen, was unsere Feinde vorhaben. Kürzlich gab mir der Freiherr v.

- 90 S. die Schrift eines französischen Offiziers, Schüler der berühmten Kriegsschule von St.Cyr. Darin steht zu lesen, Deutschland müsse, abgesehen von grossen Landabtretungen, eine Kriegsentschädigung von – schreibe – zweihundert Milliarden tragen. (Unsere ersten vier Kriegsanleihen machen bekanntlich 36 Milliarden aus. ) Dafür soll jeder Besitz in Deutschland belastet und unter Zwangsverwaltung gestellt werden! In englischen, russischen und französischen Zeitungen, ebenso wie in aufgefangenen Briefen verteilt man sich einstweilen den deutschen Boden: Ostpreussen an Russland, das linke Rheinufer an Frankreich, Schleswig-Holstein an Dänemark. Ein Londoner Finanzblatt schrieb kürzlich, Deutschland müsse 15 Milliarden Pfund Sterling Kriegsentschädigung zahlen! Das wäre also das gesamte deutsche Volksvermögen. Du siehst, lieber Karl, was uns bevorstände, wenn wir nicht imstande wären, den Krieg bis zu einem siegreichen Ende fortzusetzen: völliger Ruin für Arm und Reich, Vernichtung des deutschen Handels und der deutschen Industrie, Zertrümmerung des Reiches, Verschwinden der Arbeitsgelegenheit, Knechtschaft unter fremdem Joch. Jetzt wirst Du verstehen, weshalb Deine Frage nur eine einzige Antwort zulässt, nämlich die, wir müssen kämpfen, dulden und zahlen bis zum letzten Mann und bis zum letzten Groschen. Dass einige wenige Lieferanten sich bereichern, in Deutschland wie bei unseren Feinden, darf uns nicht wankend machen; das Kriegsgewinnsteuergesetz nimmt diesen Leuten bereits die Hälfte ihrer Gewinne wieder ab, und die hohen Steuern, die uns als eine Folge des Krieges bevorstehen, treffen natürlich auch diese Leute und zwar sehr empfindlich. Die Deutsche

- 91 Bank hat allein 5000 Kämpfer gestellt; die Alten und Dienstuntauglichen arbeiten jeder für drei; aber mit der Hilfe von Frauen und Mädchen kämpfen wir uns durch. Gott befohlen! Dein treuer Onkel Arthur v.Gwinner.“ Die britische Regierung hat Befehl erlassen, dass die Berichte über deutsche Grausamkeiten und Barbarismus in den Schulen gelehrt werden sollen. Das Material des neuen Lehrfachs soll der Tagespresse entnommen werden! Im Gegensatz zu dieser Neuigkeit, die wohl in den Annalen eines grossen Volkes einzig dasteht, finde ich heute in einer Berliner Zeitung folgende Anzeige : „English Conversational-Club, gegründet 1878, 9,30 Uhr Café Koppe, Königgrätzerstr. 117. Gäste willkommen.“ Dienstag,d.22.August. Reuter meldet, dass laut königlicher Bekanntmachung aller Export nach Schweden verboten ist. Schweden hat sich geweigert, sich ganz Englands Diktat unterzuordnen und wird infolgedessen blockiert. Es ist ja alles im Einklang mit der Freiheit der kleinen Nation. Wer aufmuckt, bekommt einen extra Fusstritt. „Schwarze Listen“ werden veröffentlicht, Postraub ist an der Tagesordnung, alles unter der Devise, „Freiheit und Menschlichkeit“. Wir glücklich sind heute die kleinen Nationen!

- 92 Donnerstag,d.24.August. Handels-U-Boot „Deutschland“ ist glücklich in Bremen wieder angekommen. Die Freude ist gross, erstens der wertvollen Ladung wegen, die sie mitbrachte, dann weil es ein Triumph von Seemannskunst und Initiative ist. Englische Kreuzer versuchten sie einzufangen, aber vergebens. Vivant sequentes! Jetzt ist No.2 die „Bremen“ unterwegs. Vater hat ihr einen Brief an Graf Bernstorff mitgegeben. Wie interessant, wenn wir eine Antwort per U-Boot bekämen. Kapitän König ist wohl heute der populärste Mann in Deutschland. Sonnabend,d.26.August. Das Wetter ist sehr wechselnd, und da noch viel Korn draussen liegt, sehnen wir uns nach Trockenheit. Gott weiss, wir brauchen eine gute Ernte. Letzten Endes befinden wir uns in den Wehen einer organisierten Hungersnot. Privatrechte gelten nicht mehr. Es ist ein Zustand von Kommunismus, soweit der Egoismus des Einzelnen das zulässt. Man bezweckt eine gerechte Lebensmittelverteilung, bis zum letzten Ei. Ich glaube nicht, dass dieses zu erreichen ist, und Herr v.Batocki und seine Unterbeamten sind nicht zu beneiden. Am 1. September wird eine Zählung vorgenommen über alle Privatbestände , an Fleisch, Fett und Eiern. Mich wird es weiter nicht aufregen. Ich werde vielleicht zehn Eier haben und zwei Gläser eingeweckte Rehkeule! Vater schiesst jetzt Rebhühner, und wir können auch die Ver-

- 93 wandten damit beglücken, da sie nicht beschlagnahmt sind. Sonntag,d.27.August. Heute schlich sich Prinz (unser Hund) in die Speisekammer und frass unsere Wochenration an Fleisch, ein herrliches Stück Schweinefleisch, gänzlich auf. Dienstag,d.29.August. Jetzt hat sich Italien der Entente gänzlich untergeordnet und hat auch Deutschland den Krieg erklärt, an Goethes Geburtstag d. 28.August. Technisch wird diese Erklärung ja keinen Unterschied machen, aber in ihrem Gefolge hat sie – nicht ganz unerwartet – Rumänien mitgebracht! Rumänien hat Oesterreich den Krieg erklärt, und wir haben Rumänien den Krieg erklärt!! Wir gross, wie unbesiegbar müssen wir der Entente immer noch vorkommen. Eine Nation nach der anderen wird aufgerufen, um die undankbare Rolle des letzten Strohhalms zu spielen. Rumänien wird nicht die letzte sein, im Süden ist noch das arme kleine Griechenland, und im Norden können Dänemark und Norwegen aufgepeitscht werden, die Entente hat noch genug Ei sen im Feuer. Was wird wohl Rumänien gewinnen ? Vielleicht werden wir es in sechs Monaten erfahren. Und wir ? Deutschland hat eine neue Front von 700 Kilometer zu verteidigen. Es wird den Krieg verlängern, aber das will ja gerade die Entente, damit wir inzwischen verhungern. Es ist nur

- 94 ein tägliches Wunder, wie man jeden neuen Schlag mit derselben Geduld hinnimmt. Haben denn die wenigsten Menschen eine Ahnung von der entsetzlichen Lage ? Donnerstag,d.31.August. Hindenburg ist Generalstabschef der Armee geworden, d.h.dass er das absolute Kommando über alle Truppen hat, im Osten und Westen, ein weiser Schritt des Kaisers in diesem kritischen Moment. Wie gut, dass der alte König Carol von Rumänien nicht mehr lebt. Diese Entwicklung unter seinem Neffen hätte ihm und Carmen Sylva das Herz gebrochen. Trotz unserer neuen Front werden in englischen und französischen Zeitungen weiter die Friedensbedingungen behandelt. Für uns ist es ja ganz einfach. Der Krieg wird enden, wenn die Feinde herausgefunden haben, dass wir nicht ausgerottet werden wollen. Unsere Friedensbedingung ist, mit den feindlichen verglichen, recht zahm. Wir haben nie den Wunsch geäussert, König Georg oder Poincaré oder den Zaren in Ketten nach Berlin zu führen. Hunderttausende unserer Tapfersten sind nicht geopfert, um die britische Konstitution zu ändern oder den Zaren zu entthronen. Wir wollen nur existieren. Sonnabend,d.2.September. Das Wetter war so schön, dass Elsa, ihre Freundinnen und ich mit dem Frühstück in die Felder fuhren, wo Vater und Brüning mit Hühnerschiessen beschäftigt waren. Die jungen Mädchen helfen mir manchmal das Entsetzliche zu vergessen. Wir assen harte Eier und

- 95 Kartoffelsalat unter einer Hecke. Das war unsere Sedanfeier. Es gibt nicht sehr viel Hühner. Dienstag,d.15.September. „J e t z t. von Georg Engel. 19 Jetzt wird das Schwert zum Pfluge sprechen: „Aus deinen Furchen wühl’ den letzten Halm“, Jetzt wird der Landmann seinen Pflug zerbrechen Und Waffen schmieden sich in Rauch und Qualm. Jetzt wird der Wald uns seine Kolben geben, Dachrinnen tröpfeln einen Guss von Blei, Jetzt wird der deutsche Aar sein Reich durchschweben, Und jedes Herz wird zittern seinen Schrei. Jetzt will ich Eure Kron’ durchs Dunkel tragen, Durch Blitzgefunkel und durch Wetternacht. Jetzt Söhne – Brüder heisst es alles wagen, Jetzt stimmt ihn fröhlich an den Sang der Schlacht. Jetzt steht der Erdkreis wider eure Stärke, Jetzt wirft ein Gott zur Wage euer Los Glückselig Volk, erwählt zu solchem Werke Die Not ist stark, doch auch der Rum ist gross.“

- 96 Ein deutsches Mädchen, Felicie Pfaadt, ist als Spion in Frankreich erschossen worden. Es ist merkwürdig, aber in keiner deutschen oder neutralen Zeitung habe ich irgend besondere Entrüstung darüber gelesen. Man denke an Miss . Mit welchen Infamien wurden wir überschüttet. Wenn die Hinrichtung von Felicie Pfaadt eine französische militärische Notwendigkeit war, dann war die von Miss Cavell das gleiche bei uns. Oder aber die Erschiessung von Miss Cavell war ein Verbrechen, dann ist die Erschiessung von Felicie Pfaadt ein ebenso grosses Verbrechen. Warum machen nicht Amerika oder Holland viel Aufhebens über diesen Fall ? Hier ist es nicht Mode, aus den Opfern dieses entsetzlichen Krieges Propaganda zu machen. Es wäre wahrscheinlich besser, wenn man es täte. Sonnabend,d.9.September. Die Rumänen werden gewahr, dass man im Kriege unangenehme Ueberraschungen erleben kann. Die Bulgaren sind in der Dobrudscha vorwärts gekommen und haben zwei Donau-Festungen erobert, Tutrakan und Silistria, und 20 000 Gefangene gemacht. Nun dürfen wir hoffen, dass die Rumänen auch in Siebenbürgen aufgehalten werden. Donnerstag,d.14.September. Die Tragikomödie in Griechenland nähert sich dem Ende. Der arme König Konstantin, krank an Leib und Seele, kann sich nicht mehr retten. Die Entente hat seine Städte genommen, und seine Telegraphendrähte, und seines Volkes Nahrungsmittel, denn selbst-

- 97 verständlich, die Entente kommt nur, um die Unabhängigkeit der kleinen Nationen zu beschützen !! Das griechische Heer ist noch immer dem König treu, trotz der Machenschaften von Venizelos. Aber wie lange werden sie dem Drucke standhalten ? Das vierte griechische Korps bei Ravalla in Macedonien ist durch den Bulgarischdeutschen Vormarsch von jeder Verbindung mit Athen abgeschnitten. Infolgedessen hat der kommandierende General sich um Hilfe an die deutsche Oberste Heeresleitung gewandt. Das Resultat ist, dass das ganze griechische Korps nach Deutschland gebracht wird und dort Gastfreundschaft geniessen soll. Offiziere dürfen ihre Familie mitnehmen. Es ist ein merkwürdiges Ereignis in diesem Kriege, der täglich neue Ueberraschungen bringt. Hoffentlich wird die deutsche Gutmütigkeit nicht bestraft. Wäre die Entente an unserer Stelle würde das griechische Korps sofort in Khaki gesteckt werden und dem Schützengraben einverleibt. Aber wir sind ja die „Simpels“, wie Florence uns immer nannte. Sonnabend,d.16.September. Wieder in Berlin, nach einer Abwesenheit von zehn Wochen. Die Ernährungsfrage ist viel akuter geworden. Wegen des Fleischmangels sind Fisch und Gemüse sehr teuer geworden. Unsere Schönholzer Aepfel sind vorläufig beschlagnahmt und dürfen nicht mit der Bahn verschickt werden. Viele Menschen scheinen enorme Vorräte gehamstert zu haben.

- 98 Es ist sozial gedacht natürlich ganz falsch. Wir haben uns nicht auf Kosten anderer bereichert. Ich wollte, mein Gewissen wäre auf allen Gebieten so rein wie auf diesem. Die Brotration soll im Oktober erhöht werden. Ein Resultat der guten Ernte. Die Kartoffelernte ist leider weniger gut. Sonnabend, d.23.Sept. Seit drei Monaten wütet an der Somme die fürchterlichste Schlacht der Weltgeschichte. Natürlich haben die Feinde Fortschritte gemacht, wie sollen sie es auch nicht ? Schwer müssen wir unsere Verteidigung bezahlen, aber der Feind nicht minder. Ich habe wieder mehrere bekannte Namen in der Verlustliste der Times gelesen, wo der Durchschnitt 8000 Namen täglich beträgt. Da dreht sich einem das Herz im Leibe um, wenn man den Interview liest, den Mr.Lloyd George einem amerikanischen Journalisten gab. Als wäre der Krieg ein Boxkampf spricht er von „finish“, knock-out“, „rounds“ und sagt, während Frankreich für Frankreich kämpfe, wäre er „the sporting spirit“, welches das englische Heer beseele ! Englische Eltern und Frauen, können Eure gebrochenen Herzen einen solchen Cynismus ertragen ? Die grösste Tragödie der Weltgeschichte und – „the sporting spirit“ ! Mittwoch, d.27.Sept. Um 7 Uhr kam eine Depesche von Walter, dass er um Mitternacht da sein würde. Er kam ganz pünktlich an. Ist vielleicht etwas breiter geworden, sonst ganz unverändert. Seine Anwesenheit

- 99 ist ein Lichtblick in diesen trüben Tagen. Sonnabend, d.30.Sept. Man ist in grosser Sorge um das Schicksal der „Bremen“, des zweiten Handels-U-Boots, welches Bremen um den 20. August verliess. Vor acht Tagen meldete Reuter, sie warteten an der amerikanischen Küste auf einen Schlepper. Seitdem nichts und man fürchtet, sie ist in amerikanischen Gewässern von einem britischen Zerstörer zum Sinken gebracht worden. Denn, wenn sie auf legitime Weise von England zerstört wäre, würde Reuter schnell genug die Tat bekannt machen. Aber kein Wort – auch nichts aus amerikanischer Quelle. Montag, d.9.Okt. Walter ist wieder fort. 10 Tage sind viel zu kurz nach 14 Monaten. Er hat seinen Urlaub viel stiller verbracht als Georgie. Seine Stimmung war nicht allzuheiter, er geht so ungern nach dem Osten zurück. Gestern Mittag erschien ein Urlauber mit einem Hasen, den Georgie geschossen hatte. Er erzählte uns, dass Georgie einen Maschinengewehrzug habe in einer bombensicheren Stellung. Die Russen würden nie durchbrechen. Die oesterreichischen Truppen sind jetzt mit deutschen vermengt und haben deutsche Offiziere. Es sieht also etwas besser dort aus als vor drei Monaten. Wir verspeisten den Hasen zu Walters Abschiedsfest.- Er fuhr

- 100 11 Uhr abends fort – es geht ziemlich schnell – 18 Stunden bis Brest-Litowsk. Dienstag, d.10.Okt. U.53 ist in Newport, Vereinigten Staaten, angekommen, hat einen Postsack für Graf Bernstorff dagelassen und ist dann wieder abgefahren. Jetzt ist sie auf Beutezug im Atlantik und hat andere Munitionsdampfer versenkt, wobei Mannschaften und Passagiere gerettet wurden.Hier muss was dahinterstecken. Ist es eine Demonstration oder eine Antwort auf das Geheimnis der „Bremen“ ? Denn, wenn Amerika es zugegeben hat, dass die „Bremen“ ohne Protest in neutralen Gewässern versenkt wurde, dann wird wohl die öffentliche Meinung bei uns ganz energisch den uneingeschränkten U-Boot-Krieg verlangen. Wenn wir nur die tausende von Munitionsschiffen aufhalten könnten, dann würde wohl die Hölle an der Somme nachlassen.- Das weisse Meer scheinen unsere U-Boote erfolgreich zu blockieren und haben dort verschiedene Munitionsschiffe für Russland versenkt. Donnerstag, d.12.Okt. Vater und ich fuhren heute nach Wiesbaden, wo wir 14 Tage zubringen wollen.

- 101 Sonnabend, d.14.Okt. Der Wirt vom Hotel Rose treibt schamlosen Kriegswucher. Vielleicht ist dies zu viel gesagt, aber er nimmt riesige Preise für sehr wenig zu essen. Da sich heutzutage niemand beklagt, kann er dies umsomehr tun. Infolgedessen stillt man seinen Hunger nachmittags mit Kuchen. Es klingt lächerlich – aber Kuchen gibt es , nur kein Brot, ausser auf Brotmarken. Es schmeckt schlecht genug – sein Hauptbestandteil ist Mandeln. Die alte Geschichte von Marie Antoinette“Warum essen sie keinen Kuchen?“, hat in diesem Kriege greifbare Form angenommen.Sonntag, d.15.Okt. Heute abend kam eine Depesche von Georgie, er sei in Berlin auf einer Dienstreise nach Brandenburg und hätte anschliessend acht Tage Urlaub. Es ist zu komisch, wir brauchen nur abzureisen oder eine Reise zu planen, kommt einer der Jungens. Als Georgie im Frühjahr kam, waren wir in Baden-Baden – Vor drei Wochen, ehe Walter kam, hatte ich mit Elsa und Irene eine Rhein- und Moseltour geplant, die natürlich aufgegeben wurde. Nun kommt Georgie wieder und wir sind in Wiesbaden. Wir drahteten, dass wir Mittwoch zurückkehren würden. Im Teeraum heute Nachmittag trafen wir meinen Vetter, Dr. Willy Koellreutter und Frau, die aus Karlsruhe über den Sonntag hergekommen waren. Er hat die Königin von Schweden im Sommer wochenlang für ihr Halsleiden behandelt. Die Königin sagte ihm,

- 102 Schweden würde nie der Entente beitreten – Schwedens Erzfeind müsse immer Russland sein – Schweden würde entweder zu den Zentralmächten übergehen, oder, wenn es neutral bliebe, wahrscheinlich ein ähnliches Schicksal wie Griechenland erleiden. Der grosse Einfluss der Königin wird von der Kronprinzessin widerlegt, die als englische Prinzessin auf Seiten der Entente steht, und, da König und Kronprinz reichlich unbedeutend zu sein scheinen, spielen die Damen die grösseren Rollen. Willy sagt, die Korrespondenz zwischen den schwedischen und Karlsruher Aerzten wäre sehr interessant gewesen. Ein Arzt, der unter dem Einfluss der Kronprinzessin steht, schrieb: „Bitte, bereden Sie Ihre Majestät, während des Winters in Baden zu bleiben, das Klima von Stockholm ist ihr sehr ungesund.“ (Der Arzt war Prof.Munthe und hat eine englische Frau.) Ein anderer schrieb: „ Tun Sie bitte Ihr möglichstes, um die Königin bald gesund zu machen, dass sie nach Schweden zurück kann. Ihre Anwesenheit hier ist unbedingt nötig, um dem Einfluss der Entente entgegenzutreten.“ Ruskins Worte in „the Crown of Wild Olive“ fallen mir ein. Er sagt, es sind die Frauen, die für Kriege verantwortlich sind, nicht, indem wir sie verursachen, sondern indem wir sie nicht verhindern. Und wahrlich, bei den zwei Völkern, die ganz unnötigerweise dem Kriege beigetreten sind, Italien und Rumänien,

- 103 da sind es die Königinnen, die die grösste Verantwortung tragen. Barrère und Rennell Rodd, Sonnino und Salandra und Bratiano und Take Jonescu, alle verstanden sie die eitlen, ehrgeizigen Frauen zu nehmen und durch sie den Einfluss auf ihre schwachen Männer zu gewinnen.- Dass Griechenland der Entente nicht beigetreten ist, verdankt man in grossem Masse der Königin und der loyalen Hilfe, die sie ihrem Manne gegeben hat. Montag, d.16.Okt. Die Rumänen werden schnellstens aus Siebenbürgen vertrieben. Hoffentlich hat man ihnen ein für alle Mal die Initiative genommen. Die nächsten Wochen können sehr wichtig sein an der Balkanfront. Siegfried v.Wulffen schreibt recht optimistisch. Er sagt, die Offensivenim Westen und im Osten flauen nach und nach ab, und, da Russland endgiltig jede Hoffnung auf Konstantinopel aufgegeben habe, hätte es keinen Grund, den Krieg weiterzuführen. Ich wollte, ich könnte ihm glauben, aber die feindlichen Zeitungen sprechen eine andere Sprache. Man sieht ja klar und deutlich, was die englische Politik bezweckt. Sie denken, wenn der Krieg endlos ausgedehnt wird, müssen wir nach und nach erschöpft werden. Diesen Glauben basieren sie auf Zahlen. Sie sagen: Wie können 150 Millionen Menschen mit nur 68 Millionen Quad,.Kil.Land sich gegen 777 Millionen Menschen mit 68 Mil:Quad. Kil .Land behaupten ? Angesichts dieser praktischen Zahlen ist es nicht widersprechend, das England es als die heroischste, edelste

- 104 und gottesfürchtigste Tat ausgibt, dass die 777 MillionenEntente die 150 MillionenZentralmächte besiegen sollen ? Mr. Asquith hat im House of Commons nochmals seine Zufriedenheit mit der militärischen Lage ausgesprochen,- gibt aber zu, dass der Frieden in diesem Augenblicke ein Triumph für Deutschland bedeuten würde. Die griechische Flotte ist zwangsweise der Entente übergeben worden. Mittwoch, d.18.Okt. Nach Berlin zurück und Georgie holte uns an der Bahn ab.- Er ist magerer geworden. Es steht ihm aber gut. Donnerstag, d.19.Okt. „ Nach den jetzt vorliegenden genaueren Angaben der Zeichnungs- und Vermittlungsstellen hat sich das Gesamtergebnis der 5. Kriegsanleihe auf Mark 10, 651, 726, 200 erhöht, in welcher Summe jedoch die Feldzeichnungen und Ueberseezeichnungen noch nicht voll enthalten sind, sodass ein weiteres Anwachsen zu erwarten ist.“ Also in Worten: Ueber 10 1/2 Milliarde ! Der französische Korrespondent der italienischen Zeitung „Messagero“ berichtet, dass die deutsche Regierung tuberkulose und andere Krankheitsbazillen bei den Gefangenen verbreitet, um die französische Rasse auszurotten !!

- 105 Wenn man bei ruhiger Ueberlegung diesen Wahnsinn analysiert, ist man geneigt, der unbeherrschten Leidenschaft der lateinischen Rasse die Schuld zu geben. Aber das Argument ist nicht ganz stichhaltig. Wir brauchen uns nur an unseren alten Freund, die „Times“ zu wenden und die Artikelserie eines typischen amerikanischen „Neutralen“, Mr. Curtin, zu lesen. Dieser freundliche Herr gibt an, zehn Monate in Deutschland zugebracht zu haben, wo ihm anscheinend alles offengestanden haben soll - . Es ist durchaus nicht alles Unsinn, was er sagt, einige Artikel sind ganz vernünftig, namentlich die über Ernährung und Fettmangel. Er erkennt die Wichtigkeit der Sardine in unseren Menus und bemerkt, dass die Oelreste aus den Büchsen zum Braten gebraucht werden.- Er meint, der Krieg könne verkürzt werden, wenn man alle Sardinen aus Deutschland fern hält! Dann versucht er,korrekt und neutral zu sein, indem er ein „humanes“ Gefangenenlager, das von Soltau beschreibt, sagt aber hinterher, dass die englischen Gefangenen immerzu hin und her transportiert werden, um sie dem deutschen Publikum zu zeigen, und dass besagtes Publikum auf den Bahnhöfen in ihre Kaffeetassen spucken darf ! Aber das komischste, was ich bis jetzt las, ist folgendes: „Das deutsche Publikum fängt an, einzusehen, dass Hindenburg stark überschätzt worden ist und ausserdem noch ein Trunkenbold ist“ !!!!

- 106 Sonntag, d.22.Okt. Vater und Georgie waren zwei Tage in Schönholz, haben Hasen und Fasanen geschossen. Es war herrliches Wetter und Frau v.Winterfeld brachte ihnen freundlicherweise mittags das Frühstück. Dienstag, d.24.Okt. Die deutschen und bulgarischen Truppen unter Mackensen haben Constanza eingenommen, der einzigste rumänische Hafen am Schwarzen Meer.- Die Beute an Nahrungsmitteln und Petroleum wird wohl gross sein. König Ferdinand und Bratianu müssen sich reichlich dumm vorkommen. Falkenhayn macht auch an der französischen transylvanischen Front Fortschritte, aber es geht langsamer über die Gebirgspässe. Donnerstag, d.26.Okt. Georgie ist wieder fort, gut ausgerüstet für den kommenden Winter. Er will in Russland zwei Gänse kaufen, sie fett machen und durch einen Urlauber schicken.Sonnabend, d.28.Okt. In der Times vom 16.Oktober sagt der Balkan-Korrespondent unter der Ueberschrift“Deutsche diplomatische Verräter“, dass man Vorräte von Explosivstoffen und Krankheitsbazillen in der deutschen Gesandtschaft in Bukarest gefunden habe ! Wenn ich Herrn v.Bussche mal wiedersehe, werde ich ihn fragen, ob

- 107 er in Typhus oder Cholera spezialisiert hat !! Die Times hat einen Leitartikel über die Missetaten der deutschen Banken in London, die Geschäfte machten „on terms which the British bankers regarded as unsound“, und die Times hofft, dass man ihnen nie wieder erlauben würde, ihre hinterlistigen Kräfte auszuüben. Unsere Kinder haben ja keine Ahnung, was sie für einen bösen, bösen Mann zum Vater haben ! Es ist ganz amüsant zu konstatieren, dass der französische Vorschlag, König Konstantin zu entthronen, von den englischen und russischen Alliierten nicht nachgesprochen wird. Vielleicht denken König Georg und der Zar, dass die wahllose Entthronung von Herrschern einen unangenehmen Präzidenzfall geben könne. Dienstag, d.31.Okt. Hauptmann Boelke, der tapferste und unerschrockenste der Kampfflieger ist gefallen. Er hatte 40 feindliche Flugzeuge abgeschossen. – Immelmann und Boelke – ihre Namen werden ewig leben.Morgen ist Allerheiligen. Welch’ eine Gemeinschaft der Seelen hat sich zusammengefunden ! Mittwoch, d.1.Nov. Von heute an werden unsere Einkäufe recht erschwert. Der im Sommer eingeführte Bezugsschein, der bis jetzt nur für die billigsten Kleidungsartikel und Stoffe nötig war, erstreckt sich jetzt

- 108 auf beinahe alle Textilwaren. Nur Seidenstoffe sind frei. Man geht auf das für seine Wohnung zuständige Büro und bringt seine Wünsche vor ein Damenkomitee. Man bittet um einen Bezugsschein für je drei Paar Strümpfe für sich und eine Tochter, (ihr Name muss angegeben werden). Schmerzerfüllt geben sie einen Schein für je zwei Paar. „Was? Sechs Küchentücher ?, vier sind mehr als genug !“ Infolgedessen bittet man um mehr, als man eigentlich haben will. Ich benötigte dringend Battist für Mädchenschürzen. Ich brauchte 12 Meter, verlangte 18, 8 wurden mir zugebilligt und ich war glücklich ! Sonnabend, d.4.Nov. Die „Deutschland“ist auf ihrer zweiten Reise in East-London angekommen und ein grosser Postsack war der Ladung beigegeben. Sie hat mehr Glück als die arme „Bremen“. „U.53“ ist glücklich von ihrem Beutezug im Atlantik heimgekehrt.Mit grossem Interesse hörten wir durch Freunde von Kapitän Lothar v. Arnauld’s Arbeit im mittelländischen Meere. Er ist Kommandant von U.35 und hat ungefähr neunzig Schiffe versenkt, ohne dadurch ein einziges Leben einzubüssen. Seine Fotografien zeigen die verschiedensten Stadien von der ersten Sicht eines Schiffes bis zur Versenkung.- Unter seiner Beute sind zwei grosse Kanonen, die er vor der Versenkung eines englischen Handelsschiffes diesem abnahm.- Der Kapitän dieses Dampfers hätte dauernd gejammert“Oh, do let me go home“. Ausserdem noch einen Affen, der jetzt im Zoo weilt. Kapitän v.Arnauld

- 109 hat den „pour le Mérite “ erhalten. Sonntag, d.5.Nov. Die deutsche Regierung in Warschau hat Polen als unabhängiges Königreich proklamiert. Die Kandidaten für die Krone sollen ein oesterreichischer und ein bayrischer Prinz sein. Es ist für den Moment etwas atemraubend, aber man wird wohl seine Gründe haben . „ Die Nation“ brachte vor einigen Tagen eine Beschreibung von Lloyd George’s grossen Munitionsfabriken, welche ein Areal von 15 Quadratmeilen haben und vierzigtausend Frauen beschäftigen. Trotzdem ist die Munition, der unsere Truppen an der Somme begegnen, meist amerikanischer Herkunft - . Donnerstag, d.9.Nov. Am 23.Oktober hat Lord Grey ( der vor einiger Zeit „was raised to the Peerage“, und infolgedessen nicht mehr Sir Edward Grey genannt wird) eine Rede gehalten, in der er an Englands Alliierte und an die Neutralen appellierte, nach dem Kriege einen internationalen Gerichtshof zu schaffen.“Jahrelang hätte die Welt unter dem Schatten des preussischen Militarismus gelebt“ u.s.w., u.s.w. Diese Rede beantwortete Herr v.Bethmann-Hollweg gestern wie folgt: „Die erste Vorbedingung für eine Entwicklung der internationalen Beziehungen auf dem Wege des Schiedsgerichts und des

- 110 friedlichen Ausgleiches entgegenstehender Gegensätze wäre, dass sich keine aggressiven Koalitionen mehr bilden. Deutschland ist jederzeit bereit, einem Völkerbunde beizutreten, ja, sich an die Spitze eines Völkerbundes zu stellen, der Friedensstörer im Zaume hält. Die Geschichte der internationalen Beziehungen vor dem Kriege liegt klar vor den Augen aller Welt. Was führte Frankreich an Russlands Seite ? Elsass-Lothringen. Was wollte Russland ? Konstantinopel. Warum schloss sich England ihnen an ? Weil ihm Deutschland in friedlicher Arbeit zu gross geworden war. Und was wollten wir ? Grey sagt, Deutschland habe mit seinem ersten Angebot der Integrität Belgiens und Frankreichs die Erlaubnis Englands erkaufen wollen, von den französischen Kolonien zu nehmen, was ihm beliebe. Selbst dem hirnverbranntesten Deutschen ist nicht der Gedanke gekommen, über Frankreich herzufallen, um ihm seine Kolonien zu nehmen. Nicht das war das Verhängnis Europas, sondern, dass die englische Regierung französische und russische Eroberungsziele begünstigte, die ohne einen europäischen Krieg nicht zu erreichen waren. Diesem aggressiven Charakter der Entente gegenüber hat sich der Dreibund stets in Defensivstellung befunden. Kein ehrlicher Beurteiler kann das leugnen. Nicht im Schatten des preussischen Militarismus hat die Welt vor dem Kriege gelebt, sondern im Schatten der Einkreisungspolitik, die Deutschland wiedererhalten sollte. Gegen die Politik, mag sie diplomatisch als Einkreisung,

- 111 militärisch als Vernichtungskrieg, wirtschaftlich als Weltboykott in die Erscheinung treten, haben wir von Anfang an in der Verteidigung gestanden. Das deutsche Volk führt diesen Krieg als Verteidigungskrieg, zur Sicherung seines nationalen Daseins und seiner freien Fortentwicklung. Niemals ist etwas anderes von uns behauptet, etwas anderes gewollt worden. Wie liesse sich auch sonst diese Entfaltung von Riesenkräften, dieser unerschöpfliche, bis zum letzten entschlossene Opfermut erklären, der unerhört in aller Menschengeschichte ist ? An der Hartnäckigkeit des feindlichen Kriegswillens, dem das Aufgebot militärischer und materieller Hilfskräfte aller Welt dienstbar gemacht wird, hat sich unsere Widerstandskraft zu immer härterer Entschlossenheit gestählt. Was England noch an Kräften einsetzen mag – auch Englands Machtgebot hat seine Grenzen – es ist bestimmt, an unserem Lebenswillen zu scheitern. Dieser Wille ist unbezwingbar und unverwüstlich. Wann unseren Feinden die Erkenntnis davon kommen wird, das warten wir in der Zuversicht ab, dass sie kommen muss.“ „Die russische Mobilmachungsorder 1912“ (jetzt in Warschau von unserer dortigen Verwaltung gefunden.) Chef des Stabes des Warschauer Militärbezirkes Sektion des Generalquartiermeisters, Mobilisations-Abteilung.Geheim. 30.Sept.1912. Nr.2450. Stadt Warschau. Eilt. An den Kommandeur des IV. Armeekorps. In Abänderung aller früher erfolgten Anordnungen bezüglich

- 112 des operativen Teiles teile ich Ihnen auf Befehl des Kommandierenden der Truppen nachstehende leitende Gesichtspunkte mit: Allerhöchst ist befohlen, dass die Verkündung der Mobilisation zugleich auch die Verkündung des Krieges gegen Deutschland ist. Die deutsche Armee kann bei voller Kriegsbereitschaft ihren Aufmarsch im Raume der Masurischen Seen am 13.Tage der Mobilmachung beenden. Allerdings ist die Ueberschreitung der Grenze durch die vorderen deutschen Korps schon am 10. Tage vollkommen möglich. Die bewaffneten Kräfte Russlands werden in einige Armeen zerlegt, die vorher bestimmt sind zu Operationen gleichzeitig sowohl gegen Deutschland, wie auch gegen OesterreichUngarn. Die Armeen, die vorher bestimmt sind für Operationen gegen Deutschland, werden zu einer Gruppe zusammengefasst, unter dem Kommando des Oberbefehlshabers der Gruppe der Armeen gegenüber der deutschen Front. Die 2. Armee, zu deren Bestand das VI. Korps gehört, tritt zur Gruppe der Armeen der Nord-West-Front. Der Stab des Oberbefehlshabers der 2. Armee befindet sich bis zum 7. Tage der Mobilisation in Warschau, darauf in Wolkowisk. Die allgemeine Aufgabe der Truppen der Nord-West-Front ist: Nach Beendigung der Konzentrierung, Uebergang zum Vormarsch gegen die bewaffneten Kräfte Deutschlands, mit dem Ziele, den Krieg in dessen Gebiet hinüberzutragen. Die Aufgabe der 2. Armee ist: Verdeckung der Mobilisation und der allgemeinen Konzentrierung der Armee. Den Raum Bialystock-Grodno muss die Armee auf

- 113 jeden Fall in ihren Händen behalten. Zur Erfüllung dieser Aufgabe versammelt sich die 2. Armee an der Front Sopockinie-Lomza (Folgen Einzelanordnungen über Aufmarsch und Aufstellung der Divisionen, Transporte pp.). Der Inhalt dieser Anweisung bildet ein strenges Staatsgeheimnis“. gez. General-Leutnant Kljujew General-Major Postowski Adjutant Oberst Daler.” Ich kann die Times nicht aufmachen, ohne über die “Deutsche Bank“ zu stolpern. Es ist merkwürdig, wieviel Kopfzerbrechen dieses Institut in London verursacht.- Mr. Curtin in seiner Artikelserie sagt.“ Die Deutsche Bank zum Beispiel, welche nicht mit einer englischen oder amerikanischen Bank verglichen werden kann, ist ein Unternehmen für politische und industrielle Propaganda. Diese Mischung von Spionage (!!!!) mit Bankgeschäft und Export ist den englischen Gewohnheiten unverständlich. Vater sagt, alles, was über die Deutsche Bank gesagt wird, ist idiotischster Unsinn. Freitag, d.10.Nov. Lord Rosebery hat in Glasgow folgendes gesagt: „Die ruchlose Verschwörung, welche mit solcher Schlauheit und teuflicher Heuchelei von den Preussen gegen die Freiheit Europas geschmiedet wurde. In einigen Stellen höre ich von einem Frieden faseln, ein Friede, der die Preussen so lassen wür-

- 114 de, wie sie jetzt sind. Haben wir unsere grossen Opfer gebracht, um Preussen die teuflische Macht zu lassen, die sie immer gewesen ist ?“ Sonnabend, d.11.Nov. Beim Guildhall-Banquet an Lord Mayor’s Day, hat Mr. Balfour, der für die Marine sprach, gesagt:“ Was soll man von einer Nation denken, welche Medaillen prägt zu Ehren der Lusitania“? Dies ist eine so schwere Beschuldigung, dass ich darauf eingehen muss. Ich habe öfters die Lusitania-Medaillen in der Times erwähnt gesehen, sie wären auf Bazaren zu Gunsten des Roten Kreuzes u.s.w.verkauft, aber hier habe ich noch keinen Menschen gesprochen, der von ihrer Existenz weiss. Endlich, nach vielen Erkundigungen höre ich, dass im Sommer 1915 ein Münchner Künstler ( mit mehr Talent als Takt und Herzensbildung) eine solche Medaille entworfen und geprägt hat.Sie wurden sofort von der Regierung beschlagnahmt, sodass im ganzen wenig Exemplare ins Publikum gekommen sind. Natürlich, durch freundliche neutrale Hilfe haben sich einige Exemplare nach England verirrt, um dort glänzende Propaganda für deutschen Barbarismus zu machen. Ich fragte Gräfin Brockdorff, die oft in München ist, ob sie wohl die Medaille gesehen habe.- Sie hatte keine Ahnung von ihrer Existenz und jetzt, nach Balfour’s Guildhall Rede fragt sich alle Welt: „Was ist eigentlich die Lusitania-Medaille?“

- 115 Natürlich müssten diese Tatsachen Mr. Balfour genau bekannt sein – infolgedessen ist seine Anklage eine Verleumdung. Bei Schurken wie Northcliffe wundert man sich über nichts, aber es ist des Right Honorable Arthur Balfours, First Lord of the Admiralty, nicht würdig. Und noch eins, Mr.Balfour, die deutsche Regierung hat die Lusitania-Medaille sofort beschlagnahmt und ihre Verbreitung verhindert, aber ganz London, König und Königin an der Spitze, haben der Zeichnung von Raemaekers über die Versenkung von L.19 gehuldigt. Sonntag, den 12.November. Wir verabschiedeten uns heute von Erich Eckelmann, der als erster Offizier auf die „König“ geht, eines der neuesten und grössten Schlachtschiffe. Er ist glücklich, die Admeralität mit der Nordseefront zu vertauschen. Der deutsche „Dezernent für Kultus-Angelegenheiten“ in Warschau hat jetzt das neue Programm für Erziehungsfragen ausarbeiten müssen. Als ob es für die Ewigkeit wäre,“ hat er an seine Schwiegermutter geschrieben. Mittwoch, den 15.November. Es sind sehr sorgenvolle Tage an der Westfront. Unter der französischen und englischen Uebermacht sind wir an der Somme und vor Verdun zurüchgegangen, und haben an Toten und Gefangenen grosse Verluste. Die Oberste Heeresleitung ist ganz offen über

- 116 den Ernst der Lage. Vielleicht sind wir knapp an Munition. Da ist es nicht zu verwundern, dass alle Zivilisten ohne regelmässige Arbeit bis zum Alter von 60 Jahren einberufen werden sollen für den Zivildienst. Die Ernährungsfrage wird ernst, namentlich der Fettmangel. Das Aeusserste wird getan, um Fett für das Heer und für die Einwohner in den grossen Industriezentren zu reservieren. Es kann sein, dass denjenigen, die es am wenigsten benötigen, die Butter ganz entzogen wird. Aber wo soll man da die Grenze ziehen ? Es gibt genug Menschen, die der Ansicht sind, dass alle Schwierigkeiten durch die Beschlagnahmung hervorgerufen sind, und dass Rettung nur in der Freigabe liegt. Die Kartoffelernte ist schlecht und durch Arbeitsmangel verzögert. Was soll geschehen, wenn die grossen Städte ihre Vorräte vor dem Frost nicht lagern können ? Man hat uns erlaubt, zehn Zentner als Schönholz zu bekommen. Sie müssen vom 13.November bis zum 11.Februar reichen. Da wir Produzenten sind, dürfen wir 1½ Pfund per Kopf und Tag verbrauchen. Die Vorräte an Tee, Kaffee, Kakao und Chokolade sind beinahe erschöpft. Die meisten Geschäfte verkaufen nur 1/8 Pfund Tee auf einmal und eine Tafel Chokolade. Vater hat in der Passage einen freundlichen Ladeninhaber entdeckt, der ihm gut gesinnt ist, und er erfreut uns des öfteren mit einem Viertelpfund Pralinés. Auf dem Gebiete der Süssigkeiten ist uns Willy Axt eine grosse Hilfe. Die VanillenFabrik von Haarmann & Reimer in Holzminden hat gute Beziehungen zu den Cakes= und Chokolade-

- 117 Fabrikanten, und daran lässt Willy uns redlich teilnehmen. Seit dem 1.November haben wir keine Milch, sie wird für Kinder und Kranke reserviert. Wenn ich mich in unserem Bekanntenkreis umsehe, so ist es auffallend, wie viel schneller Männer an Gewicht verlieren als Frauen. 30 – 40 Pfd.Verlust seit dem Sommer ist ganz üblich. Einige sehen entsetzlich elend aus. Die Arbeiter, die grosse Gehälter bekommen, sind relativ etwas besser daran, es sind die kleinen Beamten, die am schwersten leiden. Donnerstag, den 16.November. Georgie hat uns durch einen Urlauber die versprochene Gans geschickt. Miss Emily Hobhouse hat in England in vernünftigem Tone über Belgien geschrieben und sagt, Belgien hätte viel weniger gelitten als man in England annimmt, und dass die Bevölkerung unter deutscher Herrschaft ganz gut dran sei. Natürlich Krieg wäre Krieg, sie hätte aber viel mehr Zerstörung im Burenkrieg gesehen. Kein Wunder, dass sie als Verräter gebrandmarkt wird. Die englische Regierung hat in „deutschen Grausamkeiten“ ein so glänzendes Geschäft gemacht, namentlich in Amerika, dass irgend etwas, was diese Seifenblase zerstört, recht unpopulär sein muss. Sonntag, den 19.November. Georgies 22.Geburtstag. Es schneit und ist bitter kalt. Wir assen von seiner Gans, welche uns ein Pfund Schmalz hinterlas-

- 118 sen hat – herrlich ! Mr. Curtin’s Artikelserie in der „Times“ : Ten months in Germany“, die leidlich vernünftig anfing, wird von Mal zu Mal gemeiner. Zwei über deutsche Frauen und deutsche Kinder lösten in mir Tränen von Wut und Verzweiflung. Kann er nicht den Anstand haben, die schwer arbeitenden deutschen Frauen in Ruhe zu lassen und die Kinder ? Warum letztere verhöhnen, weil sie, anstatt Cricket und Fussball zu spielen, ihre Nachmittage mit Kartoffel hacken, mit Brombeeren und Eicheln sammeln verbringen ? Weiter ist es eine Lüge, zu sagen, dass man Kindern in den Schulen lehrt, Schimpflieder auf England zu singen. Vielleicht darf man Mr. Curtin nicht zu sehr die Schuld geben. Es gibt immer Menschen, die gegen Bezahlung alles tun oder schreiben. Es ist Lord Northcliffe’s grausame Arbeit. Man zeige mir die deutsche Zeitung, ich habe sie noch nicht gefunden, die ihre Spalten mit Verhöhnung englischer Frauen und Kinder füllt. Mittwoch,d.22.November. Walters 21. Geburtstag. Anscheinend sind die Jungens nur ungefähr 30 Km auseinander und werden sich vielleicht endlich sehen. Leider sind die Wege ziemlich unpassierbar. Vater und ich sind auf ein paar Tage nach Schönholz gekommen. Es stürmt und regnet, nicht sehr günstig für die Jagd. Vater gab mir heute die Times vom11.in die Hand uns sagte: „Lies das, dann wirst Du sehen, wer in England allein regiert.

- 119 Was ich las waren Briefe von Lord Northcliffe an den „Chancellor of the Exchequer“ Mr.Mc.Kenna und an Sir William Plender, der die Abwicklung der deutschen Banken in Händen hat. Northcliffe wirft diesen beiden Herren vor, die endgültige Abwicklung zu verhindern, und zwar in einer Tonart, nicht als ob er einen verantwortlichen Minister der Krone anrede, sondern faule unartige Schuljungens. Seine Briefe sind voller Drohungen. „Ich habe Sie immer als meinen persönlichen Wächterhund betrachtet“, schreibt er an Plender. Diese Benennung ist bedeutungsvoll, denn sie zeigt, wie Northcliffe seit Jahren dem deutschen Wettbewerb den Krieg macht. Ich habe eben den alten Stich betrachtet von dem „Right Honorable William Pitt, First Lord Commissioner of His Majesty’sTreasury and Chancellor of the Exchequer“. Er hängt hier im Esszimmer zwischen anderen grossen Männern. Ob wohl zu der Zeit, der damalige Inhaber der ‚Times’ gewagt hätte, an Pitt zu schreiben wie Northcliffe an Mc.Kenna schreibt? Ich glaube sogar Asquith und Grey zittern vor Northcliffe. „The anarchy whih is brought on by being governed by the Press“, immer wieder muss ich an Charles Kingsley’s prophetische Worte denken. Und gibt es eine zerstörendere Macht als die eines durch und durch gewissenlosen Mannes ? „Was für Nerven muss Northcliffe haben“, sagt Vater. Donnerstag,d.23.November. Wir öffnen unsere Berliner Zeitung, um die Nachricht vom

- 120 Tode Kaiser Franz Josephs zu lesen. Welch wohlverdiente Ruhe für den alten schwergeprüften Mann. Ich sah ihn mal in Wien im Jahre 1889, bald nach dem tragischen Tode seines Sohnes, da kam er mir wie ein ganz alter Mann vor, und es sind 27 Jahre her ! Die Entente-Truppen unter General Sarrail machen in Macedonien Fortschritte, und wir haben Monastir verloren. „Die Befreiung vom englischen Kabel. (W.T.B.) „Immer mehr ist es gelungen, auch den deutschen Nachrichtendienst von dem Ringe, mit dem England ihn zu umschmieden versucht, zu befreien. Vor allem ist der deutsche Funkspruchdienst (Nauen und Eilvese) nach und nach zu erstaunlichen Leistungen ausgebaut worden. Es hat sich im Laufe der Zeit auch die Möglichkeit der Absendung von Telegrammen des privaten und des Geschäftsverkehrs wesentlich erweitern lassen. Auch die fremden Berichterstatter sind nicht mehr auf englische Kabel angewiesen. Von welchem Werte die Leistungssteigerung unserer überseeischen Funkentelegraphie ist, mag daraus entnommen werden, dass die Bericht unserer Obersten Heeresleitung und der Seekriegsleitung, sowie die Reden unserer Staatsmänner oder sonstige besondere Ereignisse in den grossen Tageszeitungen der Vereinigten Staaten von Amerika zu gleicher Zeit wie in den deutschen Zeitungen erscheinen und damit allen englischen Verdunkelungs= und Verdrehungsversuchen zuvorgekommen wird. Eine sinnreiche Organisation sorgt dafür, dass diese Bericht sofort bis in die kleinsten Staaten Südamerikas und bis in

- 121 in das ferne Ostasien weitergehen.“ 20 Unsere Verluste an der Somme sind weiter fürchterlich, aber mir scheint, die englischen sind noch entsetzlicher. Vom 24.Oktober bis zum 11.November gibt die ‚Times’ 1894 Offiziere uns 54,180 Mann an. So weit ich ersehe sind die Kanadischen und Australischen Verluste nicht mit einbegriffen. Man stelle sich das vor an dieser kleinen Front ! Man sagt, dass wenn der englisch französische Fortschritt in diesem Masse Tempo weitergeht, sie 30 Jahre brauchen werden, um Frankreich und Belgien zu befreien. Frau v. Winterfeld sagt mir, dass ihr gefangener Bruder in ein anderes Lager gekommen ist und in einem Gebäude wohnt ohne Heizungsmöglichkeiten. Unsere Gefangenen bekommen alle warme Quartiere, aber wir sind auch nur ‚boches’ und ‚Hunnen’. In dem Offizierslager zu Fillungen hat man den englischen Offizieren ein Theater erbaut, welches diese Woche mit Glanz eröffnet wird. Der Frost und die Ostwinde vor acht Tagen sind den Kartoffeln schlecht bekommen. Hunderte von Waggonladungen sind erfroren. In Berlin herrscht grosse Knappheit. Der Admiralstab gibt bekannt, dass unsere Schiffe einen Vorstoss gegen die ThemseMündung gemacht haben. Die englische Flotte hat sich nicht blicken lassen. Sonnabend,d.25.November. Gestern nach Berlin zurückgekehrt, mit acht Fasanen und einem Hasen, fanden wir ein Paket mit zehn Pfund Butter aus War-

- 122 schau. Walter hat dort zwei Tage verbracht in Geschäften für seinen Rittmeister. Die Geschäfte bestanden im Ankauf und Spedieren von grossen Lebensmittelpaketen an die Frau des Rittmeisters, da nahm er die Gelegenheit wahr, uns Butter zu schicken. In Warschau ist alles zu haben und viel billiger als in Berlin. Er schreibt: „Ich habe drei Diners eingenommen, wie Ihr sie in Berlin nur noch in der Erinnerung kennt,“ und beschreibt Warschau als eine Kreuzung zwischen Berlin und London. Die Butter wurde sofort in Steintöpfen fest eingestampft, eine leichte Salzlösung darauf, und wird sparsam verbraucht. Montag,d.27.November. Georgie schickt eine Aufnahme eines erfolgreichen Sautreibens. Der Rittmeister hat drei, Georgie eine geschossen. Er will uns eine Keule schicken. Freitag, d.1.Dezember. Der Vormarsch in Rumänien geht grossartig weiter, und unsere Truppen sind nicht weit von Bukarest. Wenn man nur ein für allemal da fertig würde. Aber ich habe Angst, dass die Russen ihre Millionen in der Südost-Ecke der Karpathen und in der nördlichen Dobruscha konzentrieren und diese strategisch glänzende Offensive in den altbekannten Stellungskrieg verwandeln. Rumänien brüllt laut genug um Hilfe, um die Herzen ihrer lieben Russen zu rühren.

- 123 Sonnabend, den 2. Dezember. Heute kam ein Urlauber beladen mit Geschenken von Georgie. Er schickt: 1.) Eine Gans. 2.) Die versprochene Saukeule. 3.) Ein Blatt desselben Tieres. 4.) Zwei Pfund Butter. Oh Tempora, oh Mores! Wie hat sich alles geändert. Erst konnten wir unseren Soldaten nicht genug zu essen schicken, nun sind sie es, die uns mit den Lebensnotwendigkeiten versorgen. Der Rittmeister ist auf Urlaub und Georgie führt die Schwadron. Mittwoch, d.6.Dezember. Mr.Asquith hat resigniert, und der König hat Mr. Bonar Law kommen lassen. Ministerielle Veränderungen werden aber an der Politik nicht viel ändern. Vielleicht wird die öffentliche Meinung eine grosse Marineschlacht verlangen, Admiral Beattyy ist Nachfolger von Admiral Jellicoe geworden. Die zwei letzten Vorstösse der deutschen Torpedobootzerstörer e haben die Beherrscher der Wellen recht geärgert. Es ist heute bitter kalt, und während ich im Norden Berlins Recherchen machte, war es herzbrechend, die geduldigen Mengen vor den Kartoffelläden zu sehen. Jede Strasse hatte zwei oder drei Schlangen. Sobald ein Laden seine Kartoffeln ausverkauft hatte, stürzten die übriggebliebenen der Schlange an das nächste Geschäft, um da die Warterei wieder anzufangen! Es waren Kinder und

- 124 alte Frauen und einige Männer. Meistens ist es die alte Grossmutter, welche zum „Kartoffelstehen“ auserkoren wird. Ihre Zeit ist nicht so wertvoll wie die der jüngeren Frauen. Und sie sehen so gebückt und verkümmert aus. Werden diejenigen, die alles Unheil über uns gebracht haben, je wissen, was es heisst, dem Verhungern nahe zu sein ? Noch lange, lange nicht. Trotzdem werden die Londoner Zeitungen recht nervös, denn die U-Boote gehen dem Tonnengehalt doch recht zu Leibe. Man ruft nach einem Lebensmitteldiktator, wieder eine Gelegenheit für den überaus tüchtigen Lloyd George. In den Hotels und Restaurants soll grosse Sparsamkeit geübt werden. Genau so fingen wir vor einem Jahre an. Englands Hauptsorge ist jetzt die australische Weizenernte heil herüber zu bekommen. Donnerstag, den 7. Dezember. Berlin, 6.Dez. (W.T.B.) „Bukarest ist genommen. Seine Majestät der Kaiser haben Allerhöchst aus diesem Anlass in Preussen und Elsass-Lothringen am 6. Dezember Salutschiessen, Flaggen und Kirchengeläut angeordnet.“ 21 Spät gestern Abend bekamen wir die Nachricht, dass Mackensen in Bukarest ist. Es ist herrlich sagen zu können, „es geschieht ihnen recht“. Denn die Art und Weise von Rumäniens Kriegserklärung an Oester-

- 125 reich war zu gemein. Zwölf Stunden vorher betonten der König und Bratianu ihre absolute Neutralität, und es hiess, dass weizenbeladene Züge an der Grenze warteten, um nach Deutschland abzugehen. Was enthielten diese „Weizenzüge“ ? Männer und Maschinengewehre, welche innerhalb einer Stunde Siebenbürgen überfluteten. Sonnabend, den 9.Dezember. Mr. Bonar Law hat die Ehre abgelehnt, ein Ministerium zu bilden, und Mr. Lloyd George tritt an seine Stelle. Er ist doch der energischste und tatkräftigste Mann in England. Sonntag, den 10.Dezember. Der Reichstag ist für Dienstag Mittag einberufen worden in wichtiger Angelegenheit, und der Reichskanzler soll sprechen. Was ist wohl los ? Montag, den 11. Dezember. Die Konditor- und Süssigkeitsgeschäfte sehen merkwürdig aus. Sie fallen nur durch ihre Leere auf. Entweder hängt das Wort „Ausverkauft“ über geschlossenen Türen, oder eine Schlange, die halbe Straße entlang, wartet auf ein halbes Pfund Cakes oder Pralinés oder Marzipan. Der „Spectator“ veröffentlicht Friedensbedingungen. Die süddeutschen Staaten sollen mit Wien, dem Salzkammergut und Tirol“ein neues katholisches Deutschland“ bilden, denn, sagt der „Spectator“, nur Süddeutschland ist das wahre Deutschland, Preussen und Pommern

- 126 sind primitiver slavischer Natur“. Dienstag, den 12. Dezember. Wir waren alle in grosser Aufregung. Ich hatte gehofft, eine Karte für den Reichstag durch einen Bekannten zu bekommen, war aber zu spät, und musste meine Ungeduld bezwingen, indem ich in einer Volksküche Kohlsuppe austeilte. Um drei kam die Nachricht. Deutschland bietet den Frieden an und schlägt vor in Verhandlungen zu treten. „Armeebefehl des Kaisers“. (W.T.B.) Soldaten ! In dem Gefühl des Sieges, den Ihr durch Eure Tapferkeit errungen habt, haben ich und die Herrscher der treu verbündeten Staaten dem Feinde ein Friedensangebot gemacht. Ob das damit verbundene Ziel erreicht wird, bleibt dahingestellt. Ihr habt weiterhin mit Gottes Hilfe dem Feinde standzuhalten und ihn zu schlagen. Wilhelm I.R. „Diese Order richtet sich auch an Meine Marine, die alle ihre Kräfte treu und wirkungsvoll eingesetzt hat, in dem gemeinsamen Kampfe. Wilhelm I.R.“ 22 Die Note, die im Reichstag von Herrn v. Bethmann Hollweg vorgelesen wurde, hat folgenden Inhalt :

127 „Der furchtbarste Krieg, den die Geschichte je gesehen hat, wütet seit bald 2½ Jahren in einem grossen Teil der Welt. Diese Katastrophe, die das Band einer gemeinsamen tausendjährigen Zivilisation nicht hat aufhalten können, bringt die Menschheit um ihre wertvollsten Errungenschaften. Sie droht, den geistigen und materiellen Fortschritt, der den Stolz Europas zu Beginn des 20.Jahrhunderts bildete, in Trümmer zu legen. Deutschland und seine Verbündeten: Oesterreich-Ungarn, Bulgarien und die Türkei haben in diesem Kampfe ihre unüberwindliche Kraft erwiesen. Sie haben über ihre an Zahl und Kriegsmaterial überlegenen Gegner gewaltige Erfolge errungen. Unerschütterlich halten ihre Linien den immer wiederholten Angriffen der Heere ihrer Feinde stand. Der jüngste Ansturm im Balkan ist schnell und siegreich niedergeworfen worden, die letzten Ereignisse beweisen, dass auch eine weitere Fortdauer des Krieges ihre Widerstandskraft nicht zu brechen vermag, dass vielmehr die gesamte Lage zur Erwartung weiterer Erfolge berechtigt. Zur Verteidigung ihres Daseins und ihrer nationalen Entwicklungsfreiheit wurden die vier verbündeten Mächte gezwungen, zu den Waffen zu greifen. Auch die Ruhmestaten ihrer Heere haben daran nichts geändert. Stets haben sie an der Ueberzeugung festgehalten, dass ihre eigenen Rechte und begründete Ansprüche in keinem Widerspruch zu den Rechten der anderen Nationen stehen. Sie gehen nicht darauf aus, ihre Gegner zu zerschmettern oder zu vernichten. Getragen von dem Bewusstsein ihrer militärischen und wirtschaftlichen Kraft und bereit, den ihnen aufgezwungenen Kampf nötigenfalls bis zum äussersten fortzusetzen, gleichfalls aber von dem Wunsche

- 128 beseelt, weiteres Blutvergiessen zu verhüten, schlagen die vier verbündeten Mächte vor, dem Kampf ein Ende zu machen und alsbald in Friedensverhandlungen einzutreten. Die Vorschläge, die sie zu diesen Verhandlungen mitbringen und die darauf gerichtet sind, Dasein, Ehre und Entwicklungsfreiheit ihrer Völker zu fördern, bilden nach ihrer Ueberzeugung eine geeignete Grundlage für die Herstellung eines dauerhaften Friedens. Wenn trotz dieses Anerbietens zum Frieden und zur Versöhnung der Kampf fortdauern sollte, so sind die vier verbündeten Mächte entschlossen, ihn bis zum siegreichen Ende zu führen. Sie lehnen aber feierlich jede Verantwortung dafür vor der Menschheit und der Geschichte ab.“ Diese Note ist den amerikanischen und spanischen Botschaften ausgehändigt, zur Weitergabe an die Alliierten. Es ist, als ob sich der Himmel geöffnet hätte, das Wort Frieden zu hören. Und doch bin ich überzeugt, dass die Note von den Alliierten mit dem „Hohngelächter der Hölle“ aufgenommen wird. Freitag, den 15. Dezember. Es ist so gekommen. Einer wie der andere, sie toben und schimpfen. Die Note hat sie überrascht, das erhöht nur die Wut. Mittwoch, den 20. Dezember. Mr.Lloyd George hat die Note beantwortet, in einem Tone wie wir es nicht anders gewöhnt sind.

- 129 Es ist eine furchtbare Rede, kalt wie Eis und hart wie Stahl. Welch Unterschied zwischen Lloyd George’s Rede und Bethmann Hollwegs. Hier ruhige Zuversicht und ein Appell an das Beste in der menschlichen Natur, da die wilde Leidenschaft eines verwundeten Riesen, der nach Strafe und Rache schreit. Ich muss an den Cyklopen denken, der dem abfahrenden Odysseus den Felsen nachschleudert. Briand in Frankreich und Trepow in Russland haben im selben Sinne gesprochen. Die Franzosen sind in dieser Woche bei Verdun vorwärts gekommen, und wir haben viele Verluste an Gefangenen. Dieser französische Vorteil wird in diesem Augenblick von politischer Bedeutung sein. Donnerstag, den 21. Dezember. Es gibt wenig Weihnachtsbäume, und die wenigen waren bald zu hohen Preisen ausverkauft. Die Arbeitskräfte zum Fällen fehlen, ebenfalls die Waggons, um sie in die Städte zu befördern. Eisenbahnzüge werden immer weniger und langsamer und infolgedessen überfüllter als je. Es soll an Kohle gespart werden. Ich habe Vater und den Kindern eine Menge Bücher zu Weihnachten gekauft. Die Buchhändler machen die besten Geschäfte, da kein Bezugschein nötig ist. Lord Curzon und Lord Courtney haben im House of Lords über die deutsche Friedensofferte gesprochen, Curzon natürlich im selben Sinne wie Lloyd George. Lord Courtney missbilligt diese Ansicht in einer ernsten von Trauer erfüllten Rede. „J much regret

- 130 the noble Lord’s speech”, endigte er. Sonnabend, den 23. Dezember. Wir erwarteten nichts mehr über den Frieden zu hören, umso grösser war die Ueberraschung, als gestern die Zeitungen eine Note von Wilson an sämtliche kriegführende Mächte veröffentlichten, in der er sie bittet, sich zu einigen oder wenigstens in Verhandlungen einzutreten. Die Note ist in höflich neutraler Form gehalten, wofür wir dankbar sind, denn es ist eine neue Erfahrung. Für Deutschland ist es ein angenehmes Weihnachtsgeschenk,aber was wird die Entente sagen ? Heilig Abend. Die Schweiz ist in Wilsons Fusstapfen gefolgt und hat auch eine Note geschickt. Man sieht, dass der deutsche Vorschlag vom 12.Dezember auf die Neutralen grossen Eindruck gemacht hat. Die ersten Echos aus London haben uns heute erreicht. Die ‚Times’ ist auf Wilson wütend und sagt (richtigerweise), dass ein augenblicklicher Frieden ein Triumph für Deutschland bedeuten würde. Wie wagt Präsident Wilson zu behaupten, dass die Ziele bei den Parteien mehr oder weniger die gleichen sind ? Man ist nicht entzückt, dass Wilson mit dem Hunnen, dem Barbaren in der gleichen Sprache spricht, als mit England und ihren Alliierten ! Letzten Endes ist ihre Wut vielleicht begreiflich. Sie werden gebeten, Frieden zu machen, während alles, was sie mit solchem

- 131 Bombast verkündet haben, noch ungeschehen ist. Gewiss, sie haben unsere Kolonien, aber unsere Flotte schwimmt noch, weder hat Russland Konstantinopel, noch Italien Triest. Rumänien liegt in Todeswehen und Deutschland ist noch nicht in „nette, harmlose Stücke zerschnitten“, wie Kipling vor der Somme-Offensive, die unser Todesstoss sein sollte, prophezeite. Gewiss, wir sind alle sehr mager und häufig recht hungrig. Aber wenn wir nur Leib und Seele beisammenhalten können, mehr verlangen wir im Augenblick nicht. Mittwoch, den 27.Dezember. Weihnachten ist vorüber. Heilig Abend waren wir allein, am ersten Feiertag gingen wir alle in ‚Julius Caesar’. Es schneite, und wir warteten ewig auf die Elektrische. In schlechtem Wetter ist unsere droschkenlose Existenz recht lästig. Die Elektrischen sind überfüllt mit einer nassen, ringenden Menge. Am 26. waren wir vierzehn Personen zu unserem Familiendîner. Und es war ein sehr schönes Menu, gewiss mehr als nötig, um Leib und Seele beisammen zu halten. Erst ein grosser Zander, für den ich den unerhörten Preis von 45 Mark bezahlt hatte. Die dazugehörige Butter war Walters Geschenk aus Warschau. Aber alles andere, Rehrücken mit eingeweckten leckeren Gemüsen und Kompott war aus Schönholz. Die Jungens hatten beide geschrieben, und Walter ist endlich Vize-Wachtmeister.

- 132 „Weihnachten 1916. Schwarz umstarrt von tausend Uebeln Träumt die Welt den Weihnachtstraum Und in schwerem Menschengrübeln Sitzt so mancher vor dem Baum. Auf orkanumbrülltem Eiland Klagend klingt das Echo nach Dessen, was ein Erdenheiland Von der Macht der Liebe sprach. Manches Schicksal ward zerhämmert, Von Lawinen übertost Doch am dunklen Himmel dämmert Eines Lichtes erster Trost. Mancher Bruder, mancher Schwäher Trollte sich zur bleichen Schar Dennoch strahlt Erlösung näher Als vor einem harten Jahr. Straffer steht, wo Feuer lohten, Ein gehärtetes Geschlecht. Helft den Helfern. Ehrt die Toten. Gebt den Lebenden sein Recht.

- 133 Manches Märchen ist zerstoben, Manches Glück zerschlug das Schwert..... Doch ob tausend Teufel toben, Lebt die Hoffnung – unversehrt. Gottlieb.“ (W.T.B.) Berlin, 26.Dezember. Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts hat heute dem Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika in Beantwortung des Schreibens vom 21.d.M. folgende Note übergeben: Die Kaiserliche Regierung hat die hochherzige Anregung des Herrn Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Grundlagen für die Herstellung eines dauernden Friedens zu schaffen, in dem freundschaftlichen Geiste aufgenommen und erwogen, der in der Mitteilung des Herrn Präsidenten zum Ausdruck kommt. Der Herr Präsident zeigt das Ziel, das ihm am Herzen liegt und lässt die Wahl des Weges offen. Der Kaiserlichen Regierung erscheint ein unmittelbarer Gedankenaustausch als der geeignetste Weg, um zu dem gewünschten Ergebnis zu gelangen. Sie beehrt sich daher, im Sinne ihrer Erklärung vom 12.d.Mts., die zu Friedensverhandlungen die Hand bot, den alsbaldigen Zusammentritt von Delegierten der kriegführenden Staaten an einem neutralen Orte vorzuschlagen. Auch die Kaiserliche Regierung ist der Ansicht, dass das grosse Werk der Verhütung künftiger Kriege erst nach Beendigung des gegenwärtigen Völkerringens in Angriff genommen werden

- 134 kann. Sie wird, wenn dieser Zeitpunkt gekommen ist, mit Freuden bereit sein, zusammen mit den Vereinigten Staaten von Amerika an dieser erhabenen Aufgabe mitzuarbeiten.“ 23 Vielleicht würde es Amerika passen, wenn der Krieg jetzt zu Ende käme. Es fehlt ihnen manches, wie Farbstoffe. Aber namentlich gibt ihm die Folge einer Englisch-Japanischen Allianz zu denken. Sonnabend, den 30.Dezember. Hier sind viele Menschen der Ansicht, dass Wilsons Note im englischen Interesse gehalten ist, um England vor den Folgen einer U-Boot Blockade zu retten. Ich kann mir nicht denken, dass die U-Boote ja in der Lage sein können, diese zu tun. Gewiss, die Lebensmittelfrage macht England schon Sorge. Oder warum hat Mr.Protheroe, der neue Landwirtschaftsminister, gesagt, dass der Krieg auf den Korn- und Kartoffelfeldern Grossbritanniens gewonnen oder verloren würde. Wir warten noch immer auf die Antwort der Entente auf unsere Note vom 12.Dezember. Ihre Saumseligkeit ist vielleicht zu entschuldigen. Es sind ihrer so viele, und jeder will was anderes. Russland will eine Kleinigkeit wie Konstantinopel und die Dardanellen haben, das passt wiederum Italien nicht, u.s.w.ad libitum. „(W.T.B.) Berlin, den 28. Dezember. Eines unserer Unterseeboote hat vor einiger Zeit im nörd-

- 135 lichen Eismeer östlich vom Nordkap den Dampfer „Suchan“ der russischen Freiwilligenflotte aufgebracht. Der Dampfer war mit Kriegsmaterial beladen und befand sich auf dem Wege von Amerika nach Archangelsk. Nachdem die russischen Schiffsoffiziere als Gefangene auf das Unterseeboot genommen und ein deutscher Seeoffizier mit einigen Unteroffizieren die Führung des Dampfers übernommen hatte, wurde dieser, begleitet von dem U-Boot, nach einem deutschen Hafen gebracht. Hier stellte sich heraus, dass es der von den Russen bei Kriegsausbruch im Hafen von Wladiwostock beschlagnahmte Dampfer der HamburgAmerika-Linie „Spezia“ war. Die einen Wert von vielen Millionen darstellende Ladung des Dampfers bestand aus : 100.000: 7.5 Zentimeter Schrapnells, 75.000: 7.5 cm Sprenggranaten, 150.000: 3.7 cm Patronen, 250.000 Zündern für Sprenggranaten, 100.000 Zeitzündern, 125.000 Zündschrauben, 150.000 Kilogramm Trinitrotoluol, 175.000 kg Röhrenpulver, 40.000 kg Schwarzpulver, 127 30 cm Geschossen, 150 Zylindern mit Säure, 1.230.000 kg Blei in Barren, 7 Lastautomobilen, 200 Ballen Sohlenleder, 500 Spulen Stacheldraht und 6.000 Stück Eisenbahnschienen.“ 24 Walter macht jetzt einen sechswöchigen Kursus bei einer Offizierkriegsschule hinter der Front in Galizien mit. Die Kopfarbeit empfindet er als angenehme Abwechslung. Unter den Schülern sind viele österreichische Offiziere. Diese gemütlichen Herren sollen wohl etwas in Form gebracht werden!

- 136 Sonntag, den 31. Dezember. Jahreswende 1916/17. Zum Kampfe entschlossen, Zum Frieden bereit: Dies Wort sei gegossen In Erz alle Zeit! Das Jahr geht zu Ende, Ein neues steigt auf: Herr, lenke und wende Zum Heil seinen Lauf! Nun weise die Pfade Den Völkern voll Huld! Wer brauchte nicht Gnade ? Wo fehlte die Schuld ? Im Wirrsal des Böden Versagt Menschenrat; Nur Du kannst es lösen, Du Meister der Tat! B. Kritzinger.“ Wir sagen 1916 lebewohl. Wir sehen es gerne scheiden, dieses fürchterlichste Jahr aller Zeiten! Was Deutschland während seiner Dauer geleistet, gelitten und geopfert hat, wird späteren Generationen als das Wunder aller Wunder erscheinen. Was prophezeite die Entente-Presse auf der Schwelle von

- 137 1916 ? Das Jahr sollte Sieg für die Entente und vollständige Zerrüttung Deutschlands bringen. Es ist eine merkwürdige Zerrüttung, welche eine Somme-Offensive aufhalten kann, und einen neuen Feind, Rumänien, besiegen. „Zum Kampfe entschlossen, zum Frieden bereit“, so lautet unser Gruss dem neuen Jahre, das vielleicht schwerer sein wird als alles, was wir bis jetzt erlebten. Nur die ganz ganz Grossen dürfen prophezeien. Hat Goethe vorausgesehen, was Deutschland einmal durchmachen würde, als er im zweiten Teil des ‚Faust’ Euphorion sagen lässt : „Träumt ihr den Friedenstag ? Träume, wer träumen mag. Krieg ist das Losungswort! Sieg! Und so klingt es fort! Welche dies Land gebar Aus Gefahr in Gefahr, Frei, unbegrenzten Muts, Verschwenderisch eignen Bluts Mit nicht zu dämpfendem Heiligen Sinn, Allen den Kämpfenden Bring es Gewinn!

- 138 Keine Wälle, keine Mauern, Jeder nur sich selbst bewusst; Feste Burg, um auszudauern, Ist des Mannes eh’rne Brust. Wollt ihr unerobert wohnen, Leicht bewaffnet rasch ins Feld; Frauen werden Amazonen Und ein jedes Kind ein Held.“ -------

1917. ----------------- 139 – Dienstag, den 2. Januar. „Krieg ist das Losungswort!“ Musste es so sein ? Die Antwort lautet leider ja, wenn man die Entente Antwort auf das deutsche Friedensangebot liest. Sie tanzt nach derselben alten Pfeife – die Zerstörung des deutschen Militarismus, die üblichen Beschimpfungen. Eine höhnische, verächtliche Absage. Eine Absage, die nur Blut und Blut und immer wieder Blut sieht. Der Frieden ist nicht möglich, weil es ein deutscher Frieden sein würde. „Der deutsche Vorschlag ist unehrlich und ohne Grundlage, es ist nur ein neues Kriegsmanöver.“ Im ‚Temps’ vom 22.Dezember schreibt Haustan: „L’extermination du militarisme allemand ne peut avoir qu’un sens, se qui veut dire l’ ?[é ?] Termination de la nation allemande. “ Immer wieder dasselbe. Trotzdem musste das House of Commons einmal einen Sturm Stimme aus der Wüste anhören, in der Person von Corporal Lees Smith, liberalen Abgeordneten für Nottingham, der als Frontsoldat in würdigen Worten seine Meinung abgab, dass man die deutschen Vorschläge überlegen solle. Er sagte : „ Würde man den Soldaten an der Front den Vorschlag machen, ernstlich die kriegerischen Parteien zusammenzubringen, der Vorschlag würde einstimmig angenommen werden. Der Ausrottungskrieg bedeutet nur einen Austausch von Toten, ein entsetzlicher Gedanke. Es wäre von der grössten Wichtigkeit, die deutschen Vorschläge zu hören. Noch ein Jahr und das deutsche

-140 Volk steht vor dem Hungertode. Kein Volk würde das erdulden wenn es nicht durchdrungen wäre von der Heiligkeit seiner Verteidigung.“ Diese weisen Worte beantwortete Mr. Bonar Law mit den wahrsten, traurigsten Worten, die das House of Commons je gehört hat: „ Ich muss zugeben, dass wenn der Geist des Vorredners dieses Land durchdringen sollte, dann werden alle unsere Opfer vergebens sein.“ Werden nicht diese Worte wehmütig in den Herzen Tausender nachhallen ? Donnerstag, den 4. Januar. Die ‚Times’ vom 23.Dezember bringt einen Artikel ihres Korrespondenten in Madrid, der sagt, Spanien wäre glücklich, mit England Handel zu treiben, trotz „deutscher Propaganda“. „Die Spanier wollen ihr Recht als Neutrale mit jedem zu handeln, der ihnen passt, nicht aufgeben.“ Die Heuchelei dieses letzten Satzes schreit zum Himmel. Spanien oder irgend ein anderes Land darf mit England handeln. Das ist gewiss neutral. Aber wenn Norwegen oder Spanien oder Holland ebenfalls ihre neutralen Rechte zu wahren suchen und mit Deutschland Handel treiben, dann hängt man ihnen einen Maulkorb um, bringt sie auf die schwarze Liste, gibt ihnen keine Kohlen. Dass England so vorgeht, ist seine Sache, aber man soll es wenigstens beim rechten Namen nennen.

- 141 Sonnabend, den 6.Januar. Georgie erschien heute auf Urlaub. Wir hatten ihn erst im März erwartet. Aber Gott weiss, was für Offensiven oder Defensiven uns dann bevorstehen. Er brachte eine Gans, einen herrlichen Kalbsrücken und etwas Butter. Das Kalb hatten sie vor Weihnachten für 45 Mark gekauft. Galizien scheint das Land von Milch und Honig zu sein. Leutnant Will ist auch hier. Dienstag, den 9.Januar. Georgie, Elsa, Will und ich fuhren nach Schönholz. Vater ist erkältet und durfte es nicht riskieren, was für Georgie eine besondere Enttäuschung war. Mittwoch, den 10.Januar. Brüning hatte einige Treiber aufgegriffen (meistens Schuljungens), und wir hatten eine kleine Treibjagd mit mässigem Resultat, vierzig Hasen und drei Fasanen. Es war sehr kalt und das Frühstück, heisse Erbsensuppe, Gänseleberbrote und Rotweinpunsch, wurde sehr genossen. Abends assen wir bei Winterfelds. Donnerstag, den 11.Januar. Will verliess uns, und Georgie hatte noch einen Jagdtag in Neuhausen, wo die Beute viel besser war. Er kam erst nach zehn wieder, und dann sassen wir noch bis Mitternacht schwatzend am

- 142 Ofen, leichtsinnigerweise unsere Spirituslampe brennend, obgleich ich genau weiss, dass wir sehr sparsam damit umgehen müssen. Freitag, den 12.Januar. Nach Berlin zurück. Durch glücklichen Zufall fanden wir eine leere Droschke, die sich mal nicht weigerte, uns, unser Gepäck, und unsere Aepfel, Kohlköpfe und Hasen in die Wohnung zu bringen. In Zug hatte ich die zweifelhafte Freude, die Antwort der Entente auf Wilsons Friedensvorschläge zu lesen. Sie ist ganz einfach. Man will Deutschland nur im Norden, Osten und Westen ein paar Stücke abhacken. Oesterreich-Ungarn soll als politische Existenz verschwinden, ebenfalls die Türkei, und Russland bekommt Konstantinopel. Die Entente hat beinahe einen Monat gebraucht, um diese diplomatische Monstrosität auszubrüten. „An mein Heer und meine Marine. Im Verein mit den Mir verbündeten Herrschern hatte Ich unseren Feinden vorgeschlagen, alsbald in Friedensverhandlungen einzutreten. Die Feinde haben meinen Vorschlag abgelehnt. Ihr Machthunger will Deutschland vernichten. Der Krieg nimmt seinen Fortgang. Vor Gott und der Menschheit fällt den feindlichen Regierungen allein die schwere Verantwortung für alle weiteren furchtbaren Opfer zu, die mein Wille Euch hat ersparen wollen... Unsere Feinde haben die von mir angebotene Verständigung

- 143 nicht gewollt, mit Gottes Hilfe werden unsere Waffen sie dazu zwingen. Gr.Hauptquartier, 5.I.17. Wilhelm .I.R.“ „An das deutsche Volk. Unsere Feinde haben die Maske fallen lassen. Erst haben sie mit Hohn und heuchlerischen Worten von Freiheitsliebe und Menschlichkeit unser ehrliches Friedensangebot zurückgewiesen. In ihrer Antwort an die Vereinigten Staaten haben sie sich jetzt darüber hinaus zu einer Eroberungssucht bekannt, deren Schändlichkeit durch ihre verleumderische Begründung noch gesteigert wird. Ihr Ziel ist die Niederwerfung Deutschlands, die Zerstückelung der mit uns verbündeten Mächte und die Knechtung der Freiheit Europas und der Meere unter dasselbe Joch, das zähneknirschend jetzt Griechenland trägt. Aber was sie in dreissig Monaten des blutigsten Kampfes und des gewissenlosesten Wirtschaftskrieges nicht erreichen konnten, das werden sie auch in aller Zukunft nicht vollbringen. . . . Der Gott, der den Geist der Freiheit in unseres tapferen Volkes Herz gepflanzt hat, wird uns und unseren treuen, sturmerprobten Verbündeten auch den vollen Sieg über alle feindliche Machtgier und Vernichtungswut geben. Gr.Hauptquartier. Wilhelm. J.R. 25“

- 144 Sonnabend, den 13.Januar. Georgie hat heute die Nachricht bekommen, dass er zur Infanterie abkommandiert ist, was zu erwarten war. Es ist das Schicksal aller jungen Kavallerieoffiziere. Mittwoch, den 17.Januar. Wir waren vierzehn Personen zu Vaters Geburtstag. Georgies Kalbsrücken schmückte die Tafel. Fisch ist nicht zu haben, es heisst, aller Fisch ginge in die Rheinprovinz für die Schwerarbeiter. Aber wir hatten dänische Fischklösse (aus einer Büchse), die „au gratin“ gut schmecken. Ein Apfelstrudel, den Georgies Butter ermöglicht hatte, beendete das Festmahl. Sonnabend, den 20.Januar. Das Wetter ist bitter kalt. Heutzutage gibt es kein Heer von Männern und Wagen und Pferden, um den Schnee zu beseitigen. Die Strassen der saubersten Stadt der Welt sehen schlimm aus. Auch die Müllabfuhr ist ganz unregelmässig, der Müll häuft sich in den Höfen. Aber das Schlimmste ist die Kohlenknappheit. Es werden schon genug Kohlen da sein, aber die Transportmöglichkeiten fehlen. Man sieht jetzt die armen Frauen und Kinder ebenso wie nach Kartoffeln nach Kohlen stehen. Dienstag kamen zwei kleine neunjährige Jungens viel zu spät zu ihrem Essen in der Volksküche, weil sie Kohlen stehen mussten.

- 145 Sonntag, den 21.Januar. Mr.Balfour hat die Antwort der Entente an Wilson durch einen Kabel ergänzt, in dem er die politische Zerstörung der Zentralmächte als Friedensbasis verlangt. Dabei ist Deutschland die einzige europäische Grossmacht gewesen, die seit 1870 nicht einen oder mehrere Eroberungskriege geführt hat. Dienstag, den 23.Januar. Georgie bekam heute ein Telegramm : „Sofort zurückkommen“. Er verliess uns heute Nachmittag. Nach jedem Urlaub wird der Abschied schwerer. Dienstag, den 30.Januar. Er schreibt, dass er mit erfrorenen Ohren in Buzany angekommen, sie sind sehr rot und geschwollen, und er sähe infolgedessen noch dämlicher aus wie sonst. Er wollte Kaisers Geburtstag bei der Schwadron verleben, und dann seinen neuen Posten antreten. Donnerstag, den 1.Februar. „In dem zu gestern Nachmittag 3 Uhr zusammenberufenen Hauptausschuss des Reichstages wurde eine bedeutsame Entschliessung der Regierung mitgeteilt, die unserer Seekriegführung von heute ab eine neue Grundlage gibt: Der uneingeschränkte U-Bootkrieg innerhalb von Sperrgebieten um England und Frankreich und im Mittelmeer um Italien. Der Reichskanzler begründete diese Massnahme mit

- 146 einer langen Rede. Der Beschluss der deutschen Regierung ist dem amerikanischen Botschafter gestern Abend in einer Note mitgeteilt worden. Auch den anderen neutralen Regierungen wurden Noten entsprechenden Inhalts übermittelt. Allen Noten ist eine Denkschrift der deutschen Regierung nebst zwei Karten beigefügt.“ Es ist also das gekommen, worauf wir seit der Verschmähung der Friedensvorschläge warten. Der verschärfte U-Bootkrieg! Wenn ich nur glauben könnte, dass das erreicht wird, was wir erreichen möchten ! Und Amerika ? Die Oberste Heeresleitung sagt, man hätte alle Konsequenzen gewissenhaft erwogen. Freitag, den 2.Februar. Es ist bitter kalt. Die Temperaturen in Deutschland schwanken zwischen 10 und 30 Grad unter Null. Wir haben hier 12 Grad. Der dieser Tage gefallene Schnee konnte nicht beseitigt werden, und die Strassen sind mit einer Eisschicht bedeckt, die den Verkehr sehr hemmt. Die Elektrischen bleiben stecken, Wagen und Pferde kommen nicht vorwärts, Bäckereien sind ohne Mehl, Haushaltungen sind ohne Brot oder stehen stundenlang danach in Eiseskälte. Hunderte von Häusern sind ohne Kohlen. In mehreren Städten, wie München und Dresden hat man Schulen, Theater und Museen schliessen müssen. In den Schulen werden die Jungens und auch die Mädchen organisiert, um die Strassen zu reinigen. Es ist schwere Arbeit für

- 147 die jungen Dinger. Es ist nicht Schneeschippen, es ist Eishacken. Und sie werden davon nur noch hungriger. Elsa und Irene sind immer hungrig, sie stehen nie gesättigt von einer Mahlzeit auf, und wir haben so viel mehr als andere. Namentlich haben wir Kartoffeln. Für viele unserer Freunde sind Kartoffeln nur ein schöner Traum geworden. Und die Brotration ist so klein. So lange dieser furchtbare Frost dauert, können keine Kartoffeln in die Städte befördert werden. In der nächsten Woche sollen extra Brot= und Mehlrationen ausgegeben werden. Die meisten Menschen leben von Kohlrüben. Züge sind meistens verspätet, Maschinen werden defekt, an Kohle muss gespart werden. Es finden viele Truppentransporte statt, und das ist natürlich das notwendigste. Leute, die nicht gezwungen sind zu reisen, sollen lieber zu Hause bleiben, statt sich in den eisigen Zügen zu erkälten. Täglich vergrössere ich meinen Vorrat an Sardinen und Gänseleberpasteten. Es sind die einzigen nahrhaften Sachen, die es gibt. Durch diese Luxusartikel können wir Bevorzugte den totalen Mangel an Notwendigkeiten, wie Mehl, Butter, Eier, Reis, bis zu einem gewissen Grade ergänzen. Jeden Tag geht jemand aus, um Kuchen zu kaufen, für welchen man eine absolute Begierde hat, es füllt ein Loch aus für den Moment Unser Haus hat noch für fünf Tage Kohlen. Ich telephonierte heute mit unserer liebenswürdigen Wirtin, die versprach, ihr Möglichstes zu tun.

- 148 Sonntag, den 4.Februar. Seit vier Woche habe ich einen neuen interessanten Dienst, die Ausgabe von Lebensmittelkarten an die Urlauber am Potsdamer-Bahnhof. Dieser Dienst findet auf allen Berliner Bahnhöfen statt und ist ganz von Damen übernommen worden. Wir unterstehen der Kommandantur, die eine sehr genaue Kontrolle über uns ausübt. Der Dienst ist fünf Stunden, dreimal wöchentlich. Heute Nachmittag händigte mir ein Offizier die B.Z., auf die Ueberschrift zeigend : Präsident Wilson hat die diplomatischen Beziehungen zu Deutschland abgebrochen.! „So ist’s recht,“ rief eine vorübergehende Dame aus, die ebenfalls die B.Z.hatte. Ich war sprachlos. Wie kann es Menschen geben, die Amerikas Feindschaft als Bagatelle hinnehmen ? Wissen sie nicht, dass Amerika „das Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ heisst ? Dienstag, den 6.Februar. Wilson hat eine Note an alle europäischen Neutrale gerichtet mit der Aufforderung, an dem Kesseltreiben teilzunehmen und Deutschland den Krieg zu erklären. – in ihrem eigenen Interesse! Es ist merkwürdig, der Krieg hat zwei ein halb Jahre gedauert, ohne dass es Wilson eingefallen ist, als Behüter der Neutralen aufzutreten. Dazu war der Verkauf von Munition an England ein viel zu glänzendes Geschäft. Die Rollen der kleinen neutralen Staaten waren nie beneidenswert, trotzdem hat sich Wilson nie mit ihnen beschäftigt. Aber

- 149 als amerikanische Schiffe angegriffen wurden und amerikanische Bürger ums Leben kamen, da war auf einmal der Deubel los. Jetzt fängt Wilson an, sich für die kleinen Neutralen zu interessieren und fleht sie an, das Schicksal Serbiens und Rumäniens zu teilen. Ich glaube nicht recht an den Erfolg des uneingeschränkten U-Bootkrieges und fürchte, dass der Bruch mit Amerika recht verhängnisvoll für uns werden kann. Walter schreibt, dass er das E.K.II erhalten hat. Mittwoch, den 7.Februar. Zwei Waggons Kohlen kamen heute, und wir sind gerettet. Es friert weiter. Kinderwagen, Schlitten, Koffer auf Handkarren, von den kräftigsten Familienmitgliedern gezogen, zu diesen Mitteln müssen viele Menschen greifen, um Kohlen herbeizuschaffen. Sie gehen auf die Bahnhöfe und bringen heim was sie können. Freitag, den 9.Februar. Die Schweiz, Holland, Dänemark, Norwegen und Schweden haben sämtlich Wilson eine verneinende Antwort geschickt. Schweden insbesondere wird sehr deutlich wie folgt: „ Der Vorschlag, der den Gegenstand des gegenwärtigen Schriftwechsels bildet, gibt als Ziel die Abkürzung des Uebels des Krieges an. Aber die Regierung der Vereinigten Staaten hat als Mittel, um zu diesem Ziel zu kommen, ein Verfahren gewählt, das durchaus im Gegensatz zu den Grundsätzen steht, die bis zur gegenwärtigen Stunde die Politik der Königlichen Regierung

- 150 geleitet haben. Die Regierung des Königs, die sich stützte auf die Meinung der Union, wie sie durch die einstimmigen Resolutionen ihrer Vertreter dargetan wurde, will in Zukunft wie in der Vergangenheit den Weg der Neutralität und Unparteilichkeit gegenüber den beiden kriegführenden Parteien weiter verfolgen, und auch nur dann ihn zu verlassen geneigt sein, wenn die Lebensinteressen des Landes und die Würde der Nation sie zwingen, ihre Politik zu ändern. gez. K.A. Wallenberg.“ Georgie schreibt, er wäre am 28.Januar zu seinem neuen Regiment gegangen (83.Inf.Reg.) und wurde der 3.Kompagnie zugeteilt. Aber nach drei Stunden kam der Befehl, sich sofort als Adjutant der Offizier-Feldschule in Radziechow zu melden. Als er schrieb, sollte gerade ein dreitägiger Gaskursus anfangen, und fünfzig Offiziere aus allen Richtungen waren unterzubringen. Die Kälte wäre entsetzlich, Minus 25 Grad. Sonntag, den 11.Februar. Elsa hat Influenza gehabt und ist sehr elend. Sie müsste Milch, Eier, Fleisch und sonst Nahrhaftes bekommen, aber entweder bekommt man diese Sachen überhaupt nicht, oder nur in winzigen Quantitäten. Sie verbraucht jetzt mein letztes Pfund Kakao, welches ich für besondere Fälle aufgehoben hatte. Der uneingeschränkte U-Bootkrieg hat in Londoner Minister-

- 151 kreisen die üblichen Schimpfreden losgelöst. Lloyd George in einer Rede in Queen’s Hall nannte uns wilde Barbaren wenigstens sechs Mal in fünf Minuten, und Bonar Law zitierte Kiplings Ausspruch, dass es in der Welt zwei Parteien gäbe, Menschen und Deutsche! Wie wagen wir überhaupt noch das Tageslicht zu geniessen (ungefähr das einzige, was nicht zu blockieren ist), wo es doch unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit wäre, schon längst verhungert zu sein! Dienstag, den 13.Februar. Durch ärztliches Attest hat man Elsa einen halben Liter Milch täglich bis zum 1.April bewilligt. Sonnabend, den 17.Februar. Der Frost lässt nach. Es taut und der Zustand der Strassen ist unbeschreiblich. Mr.Gerard, der amerikanische Botschafter,hat Berlin verlassen. Die Botschaft hat seit zwei Jahren die Rolle eines Spionage-Bureaus gespielt. Wie viele wertvollen Geheimnisse durch die geheiligten Postsäcke der amerikanischen Botschaft an England verraten sind, werden wir nie erfahren. Sicher ist es, dass sie Sir Roger Casement dem Henker ausgeliefert haben. Dienstag, den 20.Februar. Folgender Brief wurde im vorigen Juli von Lord Hardinge an

- 152 den englischen Botschafter in Petersburg, Sir George Buchanan, den man den ungekrönten Zaren nennt, geschrieben : Foreign Office, 21.Juli 1916. Privat. “Mein lieber George. Ihr privates Telegramm von heute Morgen, das den Rücktritt Sazanoffs meldet, ist entschieden betrübend. Es ist sehr misslich, dass in diesem Augenblick ein Wechsel in Betracht gezogen wird, besonders während die Verhandlungen wegen des Eintritts Rumäniens in den Krieg im Fortschreiten sind und wahrscheinlich befriedigend ausgehen werden. Es ist erstaunlich, eine wie schlechte Rolle die russischen Reaktionäre immer spielen. Ich bin froh, dass Sie Ihr Telegramm an den Zaren sandten, und hoffe, es möge eine Wirkung haben. Benckendorff scheint jetzt sehr niedergedrückt zu sein wegen der Schwierigkeiten, die er in seinen finanziellen Arrangements mit Mc.Kenna erfährt. Die wirkliche Crux ist das Geld, das er von uns zu bekommen wünscht, um den Rubelkurs zu halten. Mr.Kenna, wie alle Finanzleute, ist engherzig und pedantisch und behauptet, der Rubelkurs sei keine den Krieg berührende Frage. Seine Ansicht ist falsch und es ist möglich, dass wir intervenieren müssen, um ihn zu überzeugen, sofern kein Uebereinkommen erzielt wird. Die Verhandlungen mit Rumänien scheinen befriedigend fortzuschreiten, aber ich werde von ihrem Erfolg nicht eher über-

- 153 zeugt sein, bis ich Rumäniens Kriegserklärung sehe; denn Bratianu ist der ausweichendste Mensch und ist es immer gewesen. Sogar jetzt versucht er sich herauszuwinden mit der Behauptung, unsere Offensive in Saloniki sei nicht alles, was er wünsche. Doch muss er einsehen, dass Rumänien nicht die enormen Länderstücke, nach denen es strebt, bekommen wird, sofern es nicht etwas dafür tut. Ich hoffe noch, dass alles gut gehen wird innerhalb der nächsten Tage. In Flandern geht alles gut. Wir haben eine Menge Menschen und Munition, und nach allen Berichten erleiden die Deutschen sehr starke Verluste. Unterdessen scheinen die russischen Befehlshaber ihren siegreichen Vormarsch fortzusetzen, und ich hoffe nur, dass sie nicht in der nächsten Zeit mit der Munition knapp werden. Stets Ihr gez. Hardinge of P. ” Der Satz: “Rumänien muss einsehen, dass es nicht die enormen Länderstücke, nach denen es strebt, bekommen kann, sofern es nicht etwas dafür tut”, ist recht interessant. Die Entente behauptet doch seit Kriegsanfang, dass Belgien, Serbien, Rumänien und wie sie alle heissen, nur für die Freiheit der kleinen Nationen kämpfen! Sonnabend, den 24.Februar. Wir haben wieder eine Essware streichen müssen, nämlich Kuchen. Bäcker und Konditor sind eingeschränkt worden und verkaufen

- 154 nur Kuchen , der bei ihnen verzehrt wird. Die Konditoreien sind nachmittags überfüllt, aber davon haben die Menschen nichts, die einen einfachen Kuchen kaufen möchten, um das knappe Brot zu ergänzen. Zu Hause backen kann man auch nicht, man hat weder Mehl, Zucker noch Butter. Mr.Trevelyan hat im House of Commons gesagt : „Wenn wir nicht die Möglichkeit haben, den Frieden zu diktieren, so haben wir doch die Möglichkeit, darüber zu verhandeln. Warum in Himmels Namen können wir das nicht versuchen ?“ Ja, warum nicht ? Sonntag, den 25.Februar. Irene und ihre Schulfreundinnen haben ein niedliches Stück in Rokoko-Kostüm aufgeführt. Es hiess “Pechvogels Brautfahrt“, und Irene hatte die Hauptrolle. Die Eintrittsgelder, über Mk.500.-, wurden einer Sammelstelle überwiesen, welche Liebesgaben an ausrückende Soldaten verteilt. Donnerstag, den 1.März. Die Admiralität ist mit den Folgen der ersten Monate U-Bootkrieg sehr zufrieden. Sie haben viele Schiffe versenkt, und die neutrale Schiffahrt wird immer geringer. Wie Erich Eckelmann immer sagte: „Es sind nicht die versenkten Schiffe, die den Ausschlag geben, sondern diejenigen, die wir nicht versenken, weil sie im Hafen bleiben. Das ist, was wir erreichen wollen, die Schiffe zu Hause zu behalten.“

- 155 Hoffentlich behält er Recht. Freitag, den 2.März. Wir sind alle geimpft worden. Es sind eine ganze Anzahl Pockenfälle in Berlin, Hamburg und sonst wo, und es ist besser vorsichtig zu sein. Namentlich sollen ältere Leute der Gefahr der Ansteckung ausgesetzt sein. Sonntag, den 4.März. Elsa ist heute nach Baden-Baden gefahren, wo sie vier Monate in der GrossherzoginLuise – Haushaltungsschule verbringen wird. Hoffentlich wird ein solches Institut sie besser ernähren als ich es kann, und ihre Gesundheit sich kräftigen. Dienstag, den 6.März. Es ist wieder bitter kalt, - 10 Grad, mit eisigem Ostwind aber ohne Schnee, schlimm für die Wintersaat. Wird dieser schreckliche Winter nie enden ? Wilson zankt sich mit dem Senat. Er möchte einen Gesetzentwurf einbringen, welcher es ihm ermöglicht, alle Handelsschiffe zu bewaffnen. Amerikas Kriegserklärung ist bestimmt nur eine Frage der Zeit. Nun hat China, infolge von Englands Drohungen, auch die diplomatischen Beziehungen abgebrochen. Man soll das nicht unterschätzen. China hat 400 Millionen Menschen. Irgendwie wird die Entente sie zu benutzen wissen, als Schiffsbesatzungen oder in

- 156 Mesopotamien. Die Türken haben Kut-el-Amara wieder verloren. Donnerstag, den 8.März. Ein schwerer Schneefall und die Strassen mal wieder unpassierbar. Morgen schippt Irenes Schulklasse. Graf Zeppelin ist an einer Lungenentzündung gestorben. Wie traurig, dass es so manchem grossen Manne beschieden ist, vor dem Frieden zu sterben – wenn überhaupt der Frieden je kommt! Freitag, den 9.März. Es gibt täglich weniger zu essen. Wir haben die ‚Times’ vom 8.-16.Februar: Um der U-Bootgefahr zu begegnen, schlägt Lord Devenport eine freiwillige Rationierung vor. Niemand möge mehr als 2½ Pfd.Fleisch, 4 Pfd.Brot und 3/4 Pfd. Zucker per Kopf und Woche verbrauchen. Diese Quantitäten kommen uns geradezu verschwenderisch vor. Ausserdem haben sie Reis und Makkaroni, und Bananen und Kakao und Speck, und was noch alles. U-Boote, ihr müsst noch gewaltige Arbeit leisten! Dienstag, den 13.März. Georgie und Walter haben vier Tage zusammen in Lemberg verlebt, sie hatten sich zwei und ein viertel Jahr nicht gesehen und fanden in Lemberg ein gutes Hotel und Theater und waren glücklich miteinander. Galizien hat eine grosse Rolle in ihrem Kriegsleben gespielt, namentlich in Georgies. Ich denke oft, wenn es einen

- 157 Flecken auf der Karte Europas gibt, wo man früher bestimmt nie hingekommen wäre, dieser Flecken ist Galizien. Mittwoch, den 14.März. Graf und Gräfin Bernstorff mit dem Botschaftsstab und circa hundert deutsche Untertanen sind aus Washington zurückgekehrt, nach einer recht merkwürdigen Fahrt. Das traditionelle freie Geleit eines Botschafters wurde von den britischen und kanadischen Beamten in Halifax, wo das Schiff zwölf Tage festgehalten wurde, aufs krasseste verletzt. Aber heutzutage ist alles so verrückt, dass man sich über nichts mehr wundert. Gräfin Bernstorff wurde entkleidet und das Futter aus ihren Schuhen gerissen, wie bei allen anderen. Prinzess Hatzfelds Baby wurde auch untersucht bis auf die Windeln. Im Londoner „Daily News“ vom 6.Febr. erörtert Price Bell, Londoner Korrespondent der Chicago „Daily News“, die Beziehungen der Vereinigten Staaten zu der Entente, wie folgt : „ Der Präsident wird den Krieg nicht erklären, bis sein Interesse es erfordert. Aber abgesehen von dieser Formalität haben wir Amerikaner uns vom ersten Moment an diesem Krieg beteiligt. Unsere Staatsmänner haben der deutschen Sache in jeder Phase des Krieges geschadet und haben die unermesslichen Hilfsquellen unseres Landes den Nationen zur Verfügung gestellt, welche für die Freiheit kämpfen. Seit vielen Jahren hat Präsident Wilson jede Gelegenheit wahrgenommen, um dem amerikanischen Volk das hässliche Gesicht des preussischen Militarismus

- 158 vor Augen zu führen.“ Diese Worte sind erfrischend wahr und offen. Aber in den Noten an Deutschland operiert posiert Wilson als Friedensengel und allgemeiner Weltbeglücker. Er muss ein Erzheuchler sein. Donnerstag, den 15.März. Heute erhalten wir die erschütternde Nachricht, dass in Russland Revolution ausgebrochen ist. Aber bis zu welchem Grade, was soll es heissen ? Die Lebensmittel sind schon lange sehr knapp, die Eisenbahnen so desorganisiert, dass die Städte ohne Brot und Kohlen sind. Die Korruption, die in allen russischen Behörden herrscht, macht eine Lebensmittelorganisation unmöglich. Es werden wohl Hungerrevolten sein, deren man schliesslich Herr werden wird. Freitag, den 16.März. Es ist brennend interessant. Wir haben die Nachricht durch Reuter, wie sie offiziell von Bonar Law im Unterhause bekannt gegeben wurde. Der Grossherzog Michael Alexandrowitsch, des Zaren jüngster Bruder, ist zum Regenten ernannt. Die Minister des Zaren sind im Gefängnis. Bonar Law fügte hinzu, die revolutionäre Bewegung wäre nicht friedensgünstig, aber der Krieg würde in Folge mit um so grösserer Entschiedenheit geführt werden. Sonnabend, den 17.März. Es ist mehr oder weniger Rätsel raten, aber es scheint, dass

- 159 der Zar in dem diplomatischen Netz britischer Intrige gefangen wurde. Das letzte Stadium dieses merkwürdigen Dramas begann, als Rasputin – des Zaren geheimnisvoll mystischer Mönch – auf Befehl von Sir George Buchanan vor einigen Wochen ermordet wurde. Den „ungekrönten Zar“ nennt man Buchanan in Petersburg. Wird nun Revolution in Anarchie enden ? Wenn ja, dann wird die Entente nicht viel davon haben, und auf die Moral der Truppen kann es nur den schlechtesten Einfluss haben. Könnte man nur voraussehen, drei Monate, sechs Monate! Montag, den 19.März. Reuter sagt, dass die Revolution mit verhältnismässig wenig Blutvergiessen sich vollzogen hat. Kann es wahr sein, dass die reaktionären Neigungen des Zars und der Zarin sie um ihre Kronen gebracht haben ? Ich habe sie immer für die unglücklichen Opfer eines korrupten Systems gehalten, welches zu beseitigen ihnen die Kraft fehlte. Aber es heisst, sie wären oft gewarnt worden, von mehr als einem gekrönten Haupt Europas, und dass viel hätte geändert werden können, wenn der Zar gewollt hätte. Aber der verderbliche Einfluss Rasputins auf das Zarenpaar war zu mächtig. Sicher ist, dass die russische absolute Monarchie für immer zu Ende ist. Dienstag, den 20.März. Die hochgespannten Ereignisse auf allen Seiten können unsere armen Köpfe kaum fassen. Denn während wir in Wunder und Erstaunen

- 160 nach Russland sehen, hat Hindenburg im Westen eine der strategisch glänzendsten Leistungen des Krieges vollbracht. Er hat die Front in der Somme= und Ancre-Gegend um viele Kilometer verkürzt und hat Peronne und Bapaume aufgegeben. Aber das Merkwürdige ist, dass es geschehen ist ohne Wissen der Feinde. Ehe der Rückzug angetreten wurde, wurde alles zerstört. Alle Schützengräben wurden unbrauchbar gemacht, jeder Baum gefällt, die Wege unpassierbar gemacht. Die zwei entzückenden Provinzstädte Peronne und Bapaume sind nicht mehr. Alles was dem Feinde in seiner Verfolgung nutzbar sein konnte, musste beseitigt werden. Kein Weg, keine Brücke, kein Keller, kein Brunnen. Das aufgegebene Gebiet ist ein Reich des Todes, keine Wüste kommt ihm an Verlassenheit gleich, melden die Berichterstatter. Es ist gewiss kein leichter Entschluss gewesen, seitens der Obersten Heeresleitung, ein schönes fruchtbares Land, welches zwei ein halb Jahre von unseren Truppen gepflegt wurde, der Vernichtung preiszugeben. Aber sie hatte keine andere Wahl, und der Rückzug ist nicht einen Tag zu früh ausgeführt, denn die grosse Britisch-Französische Offensive sollte beginnen. Was die Welt an Männern und Material zusammenhäufen konnte, sollte gegen unsere Linien geworfen werden. Die Somme-Offensive vom vorigen Sommer wäre dagegen ein Nichts gewesen. Die Initiative sollte die ihre sein, Hindenburg hat aber anders beschlossen, und unsere Herzen sind dankerfüllt. Nicht nur hat er Hunderttausende von Leben gerettet, er hat auch die feindliche Offensive, wie sie gedacht war, vorläufig unmöglich gemacht.

- 161 Wahrscheinlich werden sie es später anderswo versuchen, denn ihr Material ist natürlich intakt und braucht nur umgruppiert zu werden. Freitag, den 23.März. Graf Dohna auf der Möwe, ist von seiner zweiten Kreuzerfahrt im Atlantik zurückgekehrt, hat im ganzen 123.000 Tonnen versenkt. Es war Graf Dohna, der im vorigen Dezember die „Yarrowdale“ als Prise heimschickte, beladen mit Munition, Lastwagen usw. Diese selbigen Lastwagen sieht man öfters in den Strassen Berlins Kohlen fahrend. Darauf hat die amerikanische Firma, welche sie an England verkaufte, nicht gerechnet! Sonntag, den 25.März. Soweit man erfahren kann, sind Zar, Zarin und die Kinder in Czarskoe Selo gefangen. In dieser dramatischen Lage ist es nicht ein Sprung vom Erhabenen zum Lächerlichen, dass die kleinen Zars alle die Masern haben sollen ? Dienstag, den 27.März. Um 7 Uhr kam Hedwig und meldete. „Herr Leutnant“. Ich sprang aus dem Bett und fand ihn im Esszimmer seine Gaben aufbauend. Er hat gebracht: Butter, Wurst, Chokolade, Kakao, Marmelade, halb Pfund Tee, zwei Pakete Honigkuchen und eine Menge herrliche Toilettenseife, die hier nicht zu haben ist. Es war eine unerwartete Freude, ihn zu sehen, er hat Besorgungen für Major Clausius zu

- 162 machen von der Offizierfeldschule. Wir unterhielten uns sofort über Theaterbillets. Mittwoch, den 28.März. Langsam und sicher steuern wir dem Kriege mit Amerika entgegen. Seit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen spielt Wilson ein mutwillig heimtückisches Spiel mit dem Schicksal grosser Nationen. Wenn er den Krieg haben will, wird er ihn schon herbeiführen, aber die Verantwortung trägt er. Letzthin habe ich eine kleine Broschüre gelesen, welche mir sehr gefallen hat. Sie heisst: „Ein Wort an die unten und oben von einem deutschen Sozialdemokraten“. In knappen prägnanten Worten spricht der Schreiber zu seinen Kameraden, macht ihnen klar, dass knappe Lebensmittel sie nie und nimmer von ihrem Vorsatz abbringen dürfen, durchzuhalten, dass England die klare Absicht habe, uns ein für allemal zu vernichten, und dass ein verlorener Krieg uns eben alles nehmen würde. Darauf schrieb ich an die Kommandantur und bat um Erlaubnis, auf meine Kosten 1000 Exemplare zu besorgen und sie gleichzeitig mit den Lebensmittelkarten an Urlauber zu verteilen. Folgender liebenswürdiger Brief war die Antwort: Berlin C, den 27.März 1917. „Kommandantur der Residenz Berlin. Euer Hochwohlgeboren danke ich ergebenst für das geehrte Schreiben vom 18.d.M. und die Uebersendung des Heftes „Ein Wort an die unten und oben von

- 163 einem deutschen Sozialdemokraten“. Die Klagen der Urlauber über zu geringe Lebensmittelmengen, welche die Damen des Hilfsbundes „Mein Deutschland“ bei ihrer so anerkennenswerten Tätigkeit auf den Verteilungsstellen der Bahnhöfe zu hören bekommen, sind auch mir bekannt geworden, und ich teile voll und ganz das Bestreben Euer Hochwohlgeboren, gegenüber solchen Klagen die Urlauber und Kriegerfrauen auf die unbedingte Notwendigkeit des Durchhaltens und sparsamster Lebensführung immer und immer wieder hinzuweisen. Ich bin auch überzeugt, dass solche Hinweise, gerade wenn sie von den Damen des Hilfsbundes ausgehen, die ihre Kräfte in uneigennützigster Weise in den Dienst des Vaterlandes stellen, ihre Wirkung nicht verfehlen werden. Von einer Verteilung des übersandten Heftes bitte ich aber Euer Hochwohlgeboren absehen zu wollen. Ich verkenne nicht, dass sein Inhalt wohl geeignet ist, auf weite Kreise aufklärend zu wirken. Eine Ausgabe bei den unter der Verwaltung der Kommandantur stehenden Lebensmittelkarten-Verteilungsstellen erscheint jedoch nicht angängig, da sich die militärischen Dienststellen grundsätzlich und unbedingt von jeder unmittelbaren oder mittelbaren politischen Betätigung fernzuhalten haben. Mit dem Ausdruck meiner vorzüglichsten Hochachtung habe ich die Ehre zu sein Euer Hochwohlgeboren ergebenster (gez.) v. Boehm General der Kavallerie.“

- 164 Es tut mir wirklich leid, dass ich das Heft nicht verteilen darf. Dann meine ich auch, dass besondere Zeiten besondere Massnahmen bedürfen. Sonnabend, den 31.März. Rittmeister von Seidlitz kam zum Tee. Er ist unser alter Bekannter, der 1903 in London als Volontär auf der Bank arbeitete und Vater als sein Sekretär nach Amerika begleitete. Vor zwei Tagen händigte ich ihm am Potsdamer Bahnhof seine Lebensmittelkarten ein. Heute brachte er mir ein Pfund französische Butter und ein Pfund Kakao „als Dank für die Karten“. Er erzählte uns interessante Einzelheiten über den Rückzug an der Somme. Die Verzweiflung der armen französischen Bevölkerung, welche ihre Heime verlassen und anderswo untergebracht werden mussten, wäre herzbrechend gewesen. Seidlitz erzählte, dass man die englische Methode, die Brunnen zu zerstören, angenommen habe, die Methode, welche Colonel Thompson erfunden und mit grossem Erfolg vorigen Herbst in den Rumänischen Oelquellen angewandt hat, bis der Vormarsch von Mackensen und Falkenhayn ihn auszukneifen nötigte. Die Schachte werden mit grossen quergelegten Nägel= und Eisenbarren versperrt. Der einzige Unterschied ist, dass, wenn wir diese Sachen machen, ist es „grausamer Barbarismus“, für England „heiliger Zweck“. Palmsonntag, den 1.April. - - - - aber die Tage bleiben kalt und grau. Nirgends ein

- 165 grünes Hälmchen. Ob der Frühling nicht zurückkehren vermag über eine Erde, welche rot von Blut und nur von den Tränen von Millionen bewässert wird ? Und wir haben ihn so nötig, um die hartgefrorene Erde für die Saaten bereit zu machen und unser Herzeleid zu lindern. Ungefähr zwanzig Personen kamen zum Tee. Kuchen ist in Berlin nicht zu haben, aber Gericke, Potsdam, lieferte eine leidliche Torte, und die guten Holzmindener hatten wieder ein Keks-Paket geschickt. Dienstag, den 5.April. Pressentin schreibt, das letzte Wort über den grossen Rückzug wäre noch nicht gesagt. Ob es wohl nur ein Vorspiel ist zu was anderem, zu etwas Endgültigem? Man wagt es nicht zu hoffen. Charfreitag, den 6.April. Clewing gab einen Vortragsabend. Zuerst einen Bericht über die „Deutsche Allerseelenfeier in Bapaume im Oktober 1914“. Er beschrieb die herrliche Kathedrale, die jetzt ein Opfer dieses grausigen Krieges geworden ist. Zum Schluss eine Auswahl von Paul Gerhardts Liedern mit Harmonium-Begleitung. Sonnabend, den 7.April. Wir haben Elsa ein Osterpaket geschickt, Sardinen, Gänseleberpastete und harte Eier, denn die Ernährung in der Haushaltungsschule ist doch recht knapp. Sie arbeiten von früh bis spät, und

- 166 sind folglich immer hungrig. Ostersonntag, den 8.April. Voriges Jahr schenkte uns Wilson seine berühmte Note als Osterei, dieses Jahr hat er ein noch besseres gelegt. Seine Botschaft an den Kongress vom 2.April ist ein furchtbares Dokument, welches in jedem Wort seine Unwissenheit über deutsche Verhältnisse verrät. Die Heuchelei, welche einen Tag den Fürbitter für den Frieden anordnet, gleichzeitig aber für Millionen Granaten schickt um uns zu zerstören, schreit zum Himmel. Diese selbe Heuchelei lächelt über die Aushungerung eines siebzig Millionen Volkes, aber unsere einzige Verteidigung wird als Verbrechen geschildert, weil einige amerikanische Bürger auf ihr eigenes Risiko umgekommen sind. Vielleicht wird Wilson von den russischen Zuständen beeinflusst. Es ist im Interesse Amerikas, dass Russland den Krieg fortsetzt. Die honigsüssen Worte, mit denen Wilson das neue Régime in Russland begrüsst, reizen zum Lachen. Und dann wendet er sich an die Demokraten der Welt! Vater sagt, es wäre eine merkwürdige Ironie, dass ausgerechnet das Land, welches nächst Russland die korrupteste Verwaltung habe, nämlich die Vereinigten Staaten, dasjenige sein sollte, über Moralität, Humanität und Freiheit zu plappern! Es gibt keine Abteilung in irgend einem Staate oder Stadt, wo die Korruption nicht herrscht. Als Vater 1903 in den Vereinigten Staaten war, wunderte er

- 167 sich über den schlechten Zustand des Strassenpflasters in New York und anderen Städten. Auf seine Anfrage wurde ihm gesagt, dass jedes Jahr hunderttausende von Dollar für diese und ähnliche öffentliche Arbeiten bewilligt würden, dass das Geld aber ebenso regelmässig in unsauberen unlauteren Seitenkanälen versickere! Vor mir liegt ein Buch „The shame of the Cities“ von Lincoln Steffens. Es ist eine Serie von Aufsätzen , welche 1903 in McClures Magazin erschienen sind. In dem Vorwort sagt er : „Unsere Politik ist korrupt. Warum ? Weil bei uns Politik ein Geschäft ist, und Geschäfte müssen sich bezahlt machen. Man mache aus der Politik einen Sport, wie in England, oder einen Beruf, wie in Deutschland, und wir werden etwas haben , was wir bis jetzt nicht haben. Der Handelsgeist in der Politik ist der Geist des Profits, nicht des Patriotismus; des Kredits, nicht der Ehre; des persönlichen Gewinns, nicht des nationalen Gedeihens.“ So Mr. Steffens, und dann folgen genaue Beschreibungen der „Schanden“ von Pittsburg, Mineapolis, Chicago, usw. Und nun hat der allmächtige Dollar eine grössere Macht als je zuvor. Gräfin Bernstorff sagt, eine ekelerregendere Stadt als New York im vorigen Winter könne man sich nicht vorstellen. Die Menschen lebten in einer wahren Orgie von Geld und Luxus und Vergnügen. Frauen schleppten ihre Zobelpelze in den Staub. Das Geld wurde nicht ausgegeben, es wurde ausgeschüttet. Das ist New York, während Europa sich verblutet. Ostern 1917, wir werden dich nicht so bald vergessen.

- 168 Mittwoch, den 11.April. Wie zu erwarten war, hat Sir Douglas Haig, dessen Absichten an der Somme durch Hindenburgs Rückzug vereitelt wurden, eine Monsterattacke bei Arras angefangen, vorbereitet durch eine Kanonade, wie sie noch nie da war. Zwei unserer Divisionen, hauptsächlich Bayern, sind abgeschnitten worden, und der Feind hat Fortschritte gemacht. Er ist jetzt nicht weit von St.Quentin, und da die Stadt dauernd unter Feuer steht, hat man die Bevölkerung fortschaffen müssen. Zum letzten Mal versammelten sie sich zum Gottesdienst in ihrer herrlichen alten gotischen Kathedrale, eine der schönsten Nordfrankreichs, die vielleicht in einigen Wochen nicht mehr stehen wird. Diese armen unglücklichen Menschen Montag, den 16.April. Ein schwarzer Tag für viele, für die meisten. Die Brotration ist um ein Viertel verringert worden. Irenes Zusatzbrotkarte für Jugendliche fällt auch fort. Als völlig sinnlosen Protest, denn das Mehl ist eben nicht vorhanden, haben einige Fabriken gestreikt. Man munkelt alles mögliche, Demonstrationen sollten stattfinden, man wolle die Fenster der Reichen einschlagen, usw. Ausser ein paar Umzügen in den Strassen ist nichts passiert. Gott sei Dank, denn es wäre trostlos gewesen und Wasser auf die Mühle der Entente. Die Entente hat den sehnlichsten Wunsch, bei uns Unruhen zu stiften. Lloyd George’s letzte schreckliche Rede im amerikanischen

- 169 Klub, Wilsons Botschaft an den Kongress, alle atmen sie die Hoffnung, dass eine Revolution das erreichen möge, was die Waffen nicht erreichen können. „Kein Friede mit den Hohenzollern“ ist Northcliffes neuester Schlachtruf. Wir sind aber nicht Russland, wir sind nie von einer Gruppe hoffnungslos korrupter Männer regiert worden, welche uns wahllos nach Sibirien schicken. Revolution würde für uns gleichbedeutend mit Vernichtung sein. Die magersten und hungrigsten unter uns sind nicht die Sozialdemokraten, die am lautesten schreien. Die „Schwerarbeiter“ bekommen mit vollem Recht Extrarationen soweit es geht. Die magersten und hungrigsten sind das grosse Heer der kleinen Beamten, die im wahren Sinne des Wortes wissen, was Hungersnot heisst. Als Ausgleich sollen sie wir ein halbes Pfund Fleisch haben, und auf unsere Karten bekommen wir öfters Hafergrütze und Gerste – Hühnerfutter sozusagen. Waffenstillstand mit Russland scheint vor der Tür zu stehen. Ein Teil des neuen Régimes ist verhandlungsbereit. Aber im selben Masse, wie im Osten der Friedenswunsch wächst, so peitscht die französische, englische und amerikanische Presse die Kriegsfurie zu immer neuen Anstrengungen .... Die Entente hat einige Krokodilstränen über das Schicksal ihres einst so heiss geliebten Verbündeten, den Zaren, geweint, und versucht nun durch Sir George Buchanan Einfluss auf die neue Demokratie zu gewinnen. „Dass Ihr es nicht wagt, mit den Zentral-

- 170 mächten Frieden zu schliessen!“ Buchanan’s Diplomatie, oder unsere ? Das ist jetzt die Frage. Dienstag, den 17.April. (W.T.B.) Gr. Hauptquartier. 17. April. „An der Aisne ist eine der grössten Schlachten des gewaltigen Krieges und somit der Weltgeschichte im Gange. Die Truppe sieht den kommenden schweren Kämpfen voll Vertrauen entgegen.“ 26 Obige Worte sind der erste und der letzte Satz des heutigen Heeresberichts vom Generalquartiermeister General Ludendorff unterschrieben. Was Sir Douglas Haig erreichen wollte, Durchbruch und Umklammerung, erfolglos bei Arras, versucht nun das französische Heer zwischen Reims und Soissons. „Die grösste Schlacht der Weltgeschichte! Wir können es nicht fassen, was das heisst. Sonntag, den 22.April. (W.T.B.) Gr.Hauptquartier. 24.April. „Auf dem Schlachtfeld von Arras führte die auf Frankreichs Boden stehende britische Macht gestern den zweiten grossen Stoss, um die deutschen Linien zu durchbrechen. ....... Wie an der Aisne und in der Champagne, so ist hier bei Arras der feindliche Durchbruchsversuch unter ungeheuren Versten gescheitert .......

- 171 An den Erfolgen der letzten Schlachten hat seinen besonderen Anteil jeder deutsche Mann oder Frau, Bauer oder Arbeiter, der sich in den Dienst des Vaterlandes stellt, seine Kräfte einsetzt für die Versorgung des Heeres. Der deutsche Mann an der Front weiss, dass ein jeder daheim seine Schuldigkeit tut und rastlos schafft, um ihm draussen in der Schwere des Kampfes auf Leben und Tod, um Sein oder Nichtsein beizustehen. Der erste Generalquartiermeister Ludendorff.“ 27 Frankreich pausiert, um Atem zu schöpfen, nun ist England wieder an der Reihe, aber den Durchbruch haben sie wieder nicht geschafft. Sonnabend, den 28.April. Heute fand bei uns in der Wohnung ein kleines Konzert zu Gunsten der Nationalstiftung statt. Birdie von Zitzewitz hatte das Programm aufgestellt, Gesang, Cello. Montag, den 30.April. Zum dritten Male sind sie gekommen und wieder haben sie wenig oder nichts erreicht. Wie lange soll es so weitergehen ? Was ahnen wir von den beiderseitigen entsetzlichen Verlusten ? Pressentin schreibt: „Es ist die wahre Hölle hier.“ So weit wir ersehen, haben sich unsere Truppen auf die be-

- 172 rühmte „Siegfriedstellung“ zurückgezogen. Gott weiss, wie viel Stein und Zement im vorigen Winter gebraucht worden ist, um diese Stellung auszubauen. Es scheint, dass Sir Douglas Haig versucht, die Stellung zu umzingeln, da sie durch Angriff nicht zu nehmen ist. Dieser April ist wohl der kritischste Monat des Krieges gewesen. Im Augenblick merkt man es nicht, so gewöhnt ist man an die Spannung. Erst wenn die momentane Gefahr vorüber ist, sieht man ein, was gewesen ist. Die Truppen haben wieder wahre Heldentaten vollbracht. Sonnabend, den 5.Mai. Graf Bernstorff besuchte uns heute. Er war im Grossen Hauptquartier gewesen, wo man sich recht zufrieden äusserte über den Zusammenbruch der grossen Entente-Offensive. Sie wird ja weiter fortgeführt werden, vielleicht den ganzen Sommer durch, aber sollten wir bald mit Russland Frieden haben, wird die Entspannung gross. Graf Bernstorff teilt unsere Ansicht, dass kein U-Bootkrieg der Welt imstande ist, England auszuhungern. Wir sehen ja an uns, mit wie wenig wir auskommen können, obgleich wir weiss Gott genug leiden. Es ist ganz unmöglich, England zu blockieren, wie England uns blockiert. (W.T.B.) Berlin 8.Mai. „Die französischen und englischen Zeitungen wiederholen

- 173 hartnäckig die Beschuldigung, die deutschen Truppen hätten im geräumten Gebiet Kunstschätze zerstört und entwendet. Demgegenüber sei amtlich folgendes festgestellt: Bei den Vorbereitungen für die Frontzurücknahme hat die deutsche Heeresleitung auch von langer Hand her Massnahmen zur Sicherung der Kunstschätze des aufgegebenen wie des gefährdeten Gebietes getroffen. Aus den Ortschaften, Kirchen und Schlössern, die bei der durch militärische Notwendigkeit gebotenen Anlage eines Festungsglacis vor der neuen Stellung geopfert werden mussten, sind die bedeutendsten Kunstwerke aller Art , vor allem Gemälde, Tapisserien, Skulpturen, Möbel, dazu die kostbarsten Handschriften und Bücher unter der Leitung berufener Sachverständiger gerettet und in Sicherheit gebracht worden. Dasselbe ist bei den in und hinter der Front gelegenen Orten geschehen, die jetzt den französischen und englischen Granaten ausgesetzt sind. So sind aus St.Quentin, das jetzt mit der grössten Rücksichtslosigkeit vom Gegner beschossen wird, die Schätze des Musée Lecuyer, vor allem die unvergleichlichen Sammlungen von Pastellen des Quentin de la Tour und alle hervorragenden Kunstwerke des städtischen Museums abgeführt. Während schon die Granaten auf die Stadt fielen, haben aus der Heimat herbeigerufene Techniker die wundervollen Glasgemälde der Kathedrale geborgen. Ebenso ist aus den sonst gefährdeten oder durch den Feind irgendwie bedrohten Städten an der ganzen französischen Front in monatelanger Arbeit der wertvollste Inhalt der Museen und Bibliotheken mit Unterstützung der franzö-

- 174 sischen Behörden gesichert worden. Aus einer grossen Zahl der jetzt aufgegebenen oder gefährdeten Schlösser sind mit unendlicher Mühe die kunstgeschichtlich wichtigsten Schätze herausgenommen und nach rückwärts gebracht worden; wo die Eigentümer noch anwesend waren, auf deren Bitten hin. Die untergegangenen oder dem Untergang geweihten Bauwerke sind noch sorgsam und eingehend aufgenommen worden, um sie wenigstens der Wissenschaft zu erhalten. Die Rückführung ist nach verschiedenen weiter zurückliegenden französischen Städten bewirkt worden, wo die Kunstwerke sachverständige Pflege durch Fachleute finden. Nur an der schmalen lothringischen Front, wo kein geeigneter und sicherer Ort auf französischem Boden hinter der Gefahrzone lag, sind die geretteten Kunstwerke über die französische Grenze vorläufig nach Metz gebracht. Die gesamten weitgehenden Sicherungs= und Rettungsarbeiten sind von der deutschen Obersten Heeresleitung angeordnet und durchgeführt worden, um diese Werke dauernd der Kunstgeschichte und der Kultur zu erhalten.“ Sonntag, den 6.Mai. Peronne und Bapaume sind tot und St.Quentin liegt im Sterben. Dasselbe Geschick scheint auch Laon und La Fère zu bedrohen, La Fère mit seinen entzückenden Hügeln und Wäldern, welche Walter im Herbst 1915 und Frühling 1916 so begeisterten, ehe das Schicksal ihn nach der russischen Wildnis versetzte. Und doch ist es ein gütiges Geschick, welches vorläufig beide Jungens dem Entsetzen der Westfront fernhält.

- 175 Siegfried Wulffen war heute bei uns, auf seinem zweiten Urlaub in beinahe drei Jahren. Er erzählte uns von der Verbrüderung, welche jetzt zwischen den deutschen und russischen Truppen stattfindet. Sie tauschen Zigaretten aus und unterhalten sich über Friedensaussichten. Es kursieren alle möglichen Gerüchte über Buchanan. Einmal heisst es, er wäre nach Norwegen geflohen, dann wieder ist er in Kronstadt und in Petersburg in voller Machtstellung. Wer kann es wissen ? Donnerstag, den 10.Mai. Der Gipfel an vorsätzlicher und ministerieller Verlogenheit ist jetzt in London erreicht worden. Einer unserer Korrespondenten an der Westfront beschrieb eine Kadaververwertungsanstalt, wo die Leichname toter Pferde und Rinder gehäutet werden, die Knochen gemahlen und daraus die Oele entzogen, die uns so fehlen. Die Londoner Zeitungen haben das Wort „Kadaver“ mit „corpse“ übersetzt anstatt mit „carcass“ und unterstehen sich zu behaupten, dass wir unsere gefallenen Helden in obiger Weise verwerten. Auf eine diesbezügliche Frage im Unterhaus antwortete Lord Robert Cecil: „Wie er die Deutschen kenne, hielte er die Sache für sehr wahrscheinlich“!! Die ‚Times’ strotzt von beleidigenden Briefen. General Sir Alfred Turner beliebt zu schreiben, dass die Neger in Borneo, welche ihre Toten respektieren, Engel seien im Vergleich mit den deutschen Wilden, und Lord Curzon sagte in einer Rede in Glasgow:

- 176 „Jedes Entsetzen, welches der menschliche Scharfsinn ausdenken kann, ist den Deutschen recht. Sie schonen nicht mal die Leichen derer, die für sie in der Schlacht gefallen sind.!“ Das sind doch Sachen, die einfach nicht zu vergessen sind! Sonnabend, den 12.Mai. Es ist sehr heiss geworden. Frühling hatten wir nicht, bitteren Winter und jetzt heissen Sommer. Der warme Regen, der so nötig wäre, ist ausgeblieben. Dienstag, den 15.Mai. Heute hatte ich das Glück, eine Karte für die Bundesratsloge im Reichstag zu erhalten, um den Reichskanzler zu hören. Erst sprach der Ultra-Konservative Dr.Roesicke, dann der Sozialdemokrat Scheidemann. Zwischen diesen beiden Polen manövrierte Herr von Bethmann Hollweg, seinen Hörern zu verstehen gebend, dass die Friedensziele weder durch die extremen Ansichten der einen noch der anderen Partei bestimmt würden, sondern einzig und allein durch die Erfordernisse der politischen Lage. Er bat seine Hörer, sich zu erinnern, von welcher Seite die Friedensvorschläge herrührten. Etwa von London oder Paris ? Und haben nicht die letzten Reden von Lloyd George und Anderen gezeigt, dass die britischen Friedensziele noch immer die gleichen sind ? Wie soll also Deutschland mit einem festgelegten Programm kommen ?

- 177 Sonnabend, den 19.Mai. Vater und ich nach Schönholz. Wir brauchen Regen, Regen und immer wieder Regen, und es ist manches im Rückstand, obgleich Brüning wie immer das denkbar Möglichste leistet. Das Spargelstechen allein nimmt so viel Zeit in Anspruch. An Unkraut und ungepflegten Rasen gewöhnt sich mein Auge schwer, aber die Hauptsache ist, dass wir sehr viel Gemüse haben. Sonntag, den 20.Mai. Vater schoss gestern Abend sofort einen Bock, und wieder liefere ich gehorsam die Fleischkarten ab. Herrlich ist es wieder einen Tropfen Milch im Kaffee zu haben und Magermilch zum Kochen oder für Käse. Eigentlich dürfen wir überhaupt keine Vollmilch gebrauchen, aber die Versuchung ist zu gross nach dem milchlosen Winter. Nun sollen uns sogar die paar Eier aus unserem Hühnerstall genommen und nur je zwei per Kopf und Woche gelassen werden. Wird irgend jemand diese Verordnung ehrlich erfüllen? (W.T.B.) Berlin, 19.Mai. „Nach endgültiger Feststellung sind im Monat April an Handelsschiffsraum insgesamt 1.091.000 Brutto-Register-Tonnen durch kriegerische Massnahmen der Mittelmächte vernichtet worden, darunter auch 822.000 Brutto-Register-Tonnen feindlichen Schiffsraumes, und von diesen 664.000 Brutto-Register-Tonnen englisch. Hiervon wurden 80.000 BruttoRegister-Tonnen von

- 178 „U 35“, Kommandant Kapitänsleutnant von Arnauld de la Perrière, während einer Unternehmung versenkt. Seit Beginn des uneingeschränkten U-Bootkrieges sind insgesamt 2.772.000 Brutto-Register-Tonnen Handelsschiffsraumes infolge kriegerischer Massnahmen der Mittelmächte verloren gegangen, davon waren 1.707.000 BruttoRegister-Tonnen englisch. Der Chef des Admiralstabes der Marine.“ 28 Donnerstag, den 24.Mai. Irene kam heute für die Pfingstferien. Mittags läutete das Telephon, ich wurde aus Berlin verlangt. Georgie hat wieder Urlaub und wird morgen hier sein. Herrlich! Abends gab es ein furchtbares Gewitter, aber anstatt des erfrischenden Regens ein Hagelschlag, wie ich ihn noch nie erlebte und der grosses Unheil in den Feldern angerichtet hat. Freitag, den 25.Mai. Georgie erschien in guter Form und geschenkbeladen. Er brachte Speck, Eier, Mehl und Zucker. Auf seiner Fahrt mit der Kleinbahn kam er durch die durch das gestrige Gewitter völlig zerstörten Felder. Abends ging er auf Jagd und brachte zwei Böcke heim. Freitag, den 1.Juni. Wir haben eine schöne,ruhige Woche verlebt, im Garten und auf Jagd.

- 179 Heute verliess uns Georgie, die Feldkriegsschule wird jetzt aufgelöst, und er weiss nicht, wohin das Schicksal ihn verschlägt. Montag, den 4.Juni. Irene musste heute nach Berlin zurück. Ich hätte sie zu gern länger behalten, sie hatte es so genossen, zehn Tage lang genug zu essen zu haben und Milch zu trinken. Wenn ich von dieser Oase verhältnismässiger Opulenz an den vergangenen Winter zurückdenke, so sehe ich jetzt erst ein, wie schrecklich er war. Und unwillkürlich steigt die Frage auf, wie wird man einen ähnlichen ertragen, oder einen schlimmeren! Mittwoch, den 6.Juni. Die erste Jahresfeier der Skagerack-Schlacht ist gewesen. Wie wurde der Tag gefeiert hier und in London ? Der Vergleich ist bezeichnend. Auf einem Dankesgottesdienst in London für den „grossen Seesieg“ (!!!) wurde Admiral Sims von der amerikanischen Marine sehr gefeiert. Er hielt eine Rede, worin er sagte, dass die gefallenen englischen Seehelden ihr Leben dahingegeben hätten, damit die Welt wieder eine Stätte würde, worin anständige Menschen leben könnten! Und Berlin, und Kiel ? In Kiel war eine Gedächtnisfeier an den Gräbern derer, die nach der Schlacht dort beigesetzt wurden.

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180 –

Berlin feierte durch eine Vorstellung von „Parsifal“ zu Gunsten der Witwen und Waisen der Gefallenen. „Durch Mitleid wissend, der reine Tor“. Es war ein symbolischer Appell an alle, die in diesen schrecklichen Jahren „durch Mitleid wissend“ geworden sind, den Angehörigen der toten Helden zu helfen. Nein, ich bin nicht der Ansicht, dass die Ehre des Tages bei Admiral Sims zu suchen ist. Aber der letzte Rekrut für die Sache der Entente ist immer der Held des Tages in London. Italien, Rumänien, sie hasstten alle ihren Tag, nun ist die Reihe an den Vereinigten Staaten Sonnabend, den 9.Juni. Die Dürre nimmt kein Ende. Wir müssen sprengen, sprengen, sprengen. Und doch auch da ist Vorsicht geboten, nicht wegen Wasser=, sondern Benzolmangel. Die Mücken sind entsetzlich. Walter bittet aus Galizien um einen Mückenschleier, von dem Westen kommt dieselbe Klage. Sonntag, den 10.Juni. Eine neue Offensive, diesmal in Flandern, bei Ypern. Fürs erste ein Erfolg der Engländer, welche wieder mal immense Kräfte an einer kleinen Stelle konzentrierten. Hoffentlich wird die Offensive sich verlaufen wie bei Arras und in der Champagne. Augenblicklich tagt die sozialdemokratische internationale Friedenskonferenz in Stockholm. Frankreich und England weigerten sich erst, ihren Delegierten Pässe auszustellen, Russland wurde

- 181 darauf sehr deutlich, und nolens volens, um Russland nicht vor den Kopf zu stossen, mussten Lord Robert Cecil und Ribot nachgeben. Ramsay Macdonald und Jowett bekamen die Abreiseerlaubnis unter der Bedingung, keine direkten Verhandlungen mit den deutschen Sozialisten zu führen. Die deutschen Sozialisten tagen schon wochenlang in Stockholm. Es steht ihnen ganz frei, mit Freund oder Feind zu konderieren. Das allein ist ein Zeichen, dass Deutschland für den Frieden arbeitet, den England und Frankreich immer wieder sabotieren. Montag, den 11.Juni. Wir kehrten nach Berlin zurück und fanden Irene mit Rötheln behaftet. Es ist sehr heiss und trocken, und der Tiergarten bietet einen traurigen Anblick, da die Bäume, namentlich die Eichen von einer Raupenplage kahlgefressen sind. Mittwoch, den 13.Juni. Friedenspräsident Wilson hat eine Kriegsbotschaft an die neue russische Regierung geschickt. Es ist unbegreiflich, dass Wilson über die Verbrüderung der Menschheit faseln kann und gleichzeitig alles tun, um den schrecklichen Krieg aller Zeiten zu verlängern. Es ist unverständlich, dass jemand, der den Krieg verabscheut, sein eigenes Land hineintreibt. Was ist der Zweck von Wilson’s Botschaft an Russland ? Um den Frieden zu beschleunigen ? Nein, um ihn zu verhindern. Denn aus der russischen Revolution entpuppt sich nach und nach ein

- 182 Wunsch nach Frieden – unter der Parole:“Frieden ohne Annexionen“. Durchaus kein Separatfrieden, denn die russische Demokratie ist ganz gewillt, bei der Entente zu bleiben. In ihrem Wunsch nach Frieden blickten sie über den Atlantischen Ozean. Da lebt ja Woodrow Wilson, der grosse Friedensapostel, wird er nicht helfen ? Wilson denkt aber nicht daran! Seine Botschaft verlangt den Krieg bis zum letzten Atemzuge. Dass Russland nicht wage, von Frieden zu reden, denn das böse, verbrecherische Deutschland könne vielleicht die ausgestreckte Friedenshand ergreifen! Wilson hat ein für allemal die Maske fallen lassen. Die ‚Norddeutsche Allgemeine Zeitung’ veröffentlicht folgende Antwort an Wilson : „Das Reutersche Bureau veröffentlicht eine Mitteilung des Präsidenten Wilson an die russische Regierung, um die Ziele festzustellen, die die Vereinigten Staaten bei ihrem Eintritt in den Krieg hatten. Präsident Wilson fühlt hierzu ein Bedürfnis, weil, wie er sagt, diese Ziele in letzter Zeit durch Missverständnisse stark verdunkelt worden seien. Das ist vollkommen erklärlich. Dem Schicksale der Verdunkelung konnten die Kriegsziele des Präsidenten Wilson nicht entgehen, wenn man sich die Wandlungen vergegenwärtigt, die seine Haltung durchgemacht hat. Eine vollkommene Freigabe der von ihm selbst früher vorgenommenen Feststellungen ist es, wenn Präsident Wilson jetzt behauptet, in den Krieg eingetreten zu sein, um die Welt von

- 183 den Angriffen einer autokratischen Macht zu befreien. Nach seinen eigenen früheren Erklärungen war sein alleiniger Kriegsgrund die Gefährdung der amerikanischen Schiffahrt im deutschen Speergebiet durch den uneingeschränkten U-Bootkrieg. Allerdings war dieser Grund auf die Dauer schwer vertretbar, denn von England hatte sich Amerika jegliche Willkür gefallen lassen. Jetzt, wo es gilt, die Gönnerschaft des neuen freiheitlichen Russlands zu gewinnen, genügt es vollends nicht mehr. Daher jetzt das grosse Wort, Amerika habe den Krieg begonnen, um die deutsche Autokratie zu beseitigen. Das Wort steht im Widerspruch mit den Tatsachen und nimmt sich um so wunderlicher in dem Munde des Präsidenten Wilson aus, als dieser bei seiner Kriegserklärung eine autokratische Macht entfaltet hat, wie sie kaum dem ehemaligen Kaiser von Russland zustand. Dabei lässt er durchklingen, wie er es schon mehrfach getan hat, sein Kampf gegen uns solle auch dazu dienen, in Deutschland selbst freiheitliche Einrichtungen zu schaffen. Präsident Wilson sollte endlich davon ablassen, sich um die inneren Verhältnisse Deutschlands zu sorgen. Mit der Bekämpfung der Plutokratie im eigenen Lande, mit der sozialpolitischen Fürsorge für die amerikanischen Arbeiter hat er doch genug zu tun. In würdigen Worten hat ihm noch vor kurzem der Präsident des mit dem demokratischsten Wahlrecht der Welt gewählten deutschen Reichstages gesagt, dass wir uns die Ordnung unserer eigenen Verhältnisse selbst vorbehalten und jedes fremde Dreinreden verbitten.

Auch mit den Ursachen des Krieges beschäftigt sich Präsident Wilson, und auch hier kommt er zu Behauptungen, die ihm früher fremd waren, die er aber jetzt braucht, um die Kriegsleidenschaft in Russland neu zu entfachen. Präsident Wilson hat plötzlich die Entdeckung gemacht, Regierung auf Regierung habe in Deutschland durch ihren Einfluss ohne offene Eroberung von Gebiet die Fäden zu einem Netz der Intrige geknüpft, das zur Befriedigung deutscher Machtpläne, die alle von Berlin über Bagdad hinausgingen, gegen nichts weniger gerichtet sei als gegen den Frieden und die Freiheit der Welt. Wir richten an den Präsidenten Wilson die Frage, woher er diese Wissenschaft hat. Im Laufe des vorigen Jahres hat uns Präsident Wilson wiederholt erklärt, dass er den Frieden zu vermitteln wünsche, dass er es aber nicht tun könne, ehe seine Wiederwahl gesichert sei. Aber auch als dies geschehen war, konnte er zu keinem Entschluss kommen, obwohl wir ihm seine Aktion durch unser Friedensangebot vom 12.Dezember 1916 in jeder Weise erleichtert hatten. Aber sei dem wie ihm wolle. Solange die Interessen des amerikanischen Schiffshandels, solange England durch den U-Bootkrieg nicht gefährlich bedroht war, da wusste Präsident Wilson nichts von dem autokratischen und intrigenhaften Deutschland, dessen Macht im Interesse des Friedens und der Freiheit der Welt gebrochen werden müsse, da erklärte er sich mit Wor-

- 185 ten, wenn auch nicht mit der Tat bereit, für die Welt und damit auch für das böse Deutschland den Frieden wieder herzustellen. Woher kommt denn jetzt plötzlich dem Präsidenten der Vereinigten Staaten seine Kenntnis von jahrzehntelangen Intrigen Deutschlands ? Die Dreibundverträge und ihr absolut defensiver Charakter sind doch aller Welt bekannt. Und wenn Präsident Wilson Berlin-Bagdad besonders betont, so stellen wir ihm anheim, sich von seinen englischen und russischen und auch von seinen französischen Bundesgenossen über die offenen, von jeder Intrige freien Abmachungen unterrichten zu lassen, die wir unter Zuziehung der Türkei über die wirtschaftliche Aufschliessung Kleinasiens getroffen haben oder zu treffen im Begriff waren, als der Krieg ausbrach. Dringend aber möchten wir dem Präsidenten Wilson emphehlen, sich zugleich von seinen Bundesgenossen die Verträge vorlegen zu lassen, in denen sich die Glieder der Entente ihre gegenseitigen Kriegsgewinne zugesichert haben. Er wird finden, dass – Herr Briand hat das kürzlich in einer Geheimsitzung der französischen Kammer zugeben müssen – Frankreich und mit ihm England Konstantinopel an Russland, und dass als Gegengabe Russland an Frankreich nicht nur Elsass-Lothringen, sondern das linke Rheinufer versprochen hat. Er wird ferner finden, dass die Entente für Kleinasien einen vollständigen Aufteilungsplan aufgestellt hat,

- 186 dessen Regelung im einzelnen in den Verhandlungen, die die Westmächte hinter dem Rücken Russlands führen, allerdings immer noch Schwierigkeiten begegnet, weil der italienische Machthunger mehr verlangt, als England und Frankreich gut finden. Um so grösseres Entgegenkommen hat Italien allerdings bei der Zusage weiter österreichischungarischer Ländereien gefunden, ebenso wie das bei Rumänien der Fall gewesen ist. Recht interessant wird es für die Vereinigten Staaten auch sein, dabei zu erfahren, welche Versprechungen auf Kosten des serbischen Alliierten an Bulgarien als Preis für seinen Eintritt in den Krieg an Seite der Entente gemacht worden sind. Wenn Präsident Wilson so viel Wert darauf legt, dass das ganze menschliche Geschlecht genau wisse, für welche Zwecke Amerika Krieg führt, dann wird er darauf dringen müssen, dass die Kriegsziele seiner Alliierten durch Publikation der Verträge aller Welt bekannt gemacht werden. Erst dann wird die Welt klar darüber urteilen können, ob die friedlichen und freiheitlichen Ziele, die Präsident Wilson proklamiert, mit den Zielen der Entente noch vereinbar sind. Und dann wird das Kartenhaus von dem autokratischen und intrigenhaften Deutschland zusammenbrechen und an seiner Stelle wird ein Trust von Völkern stehen, die durch Intrigen der terroristischsten Art immer neue Völker in das Blutbad der Welt hineinpressen, um die Mittelmächte zu zertrümmern. Das neue Russland hat wiederholt erklärt, das Kriegsziele wie diese nicht die

- 187 seinigen sind. Russland hat vielmehr für seine Wünsche die Formel eines Friedens ohne Annexionen und Kriegskontributionen geprägt. Diese Formel bildet keinerlei Hinderungsgrund für einen Frieden zwischen Russland und den verbündeten Mächten, die von Russland nie Annexionen und Kontributionen gefordert haben. Die Mittelmächte und ihre Verbündeten wollen vielmehr in freier gegenseitiger Verständigung mit Russland durch Ausgleich einen Zustand schaffen, der ihnen fortan ein friedliches und freundnachbarliches Nebeneinanderleben auf alle Dauer gewährleistet. Wir möchten glauben, dass diese Erklärungen, wie sie schon in allen bisherigen Kundgebungen der verbündeten Mächte ausgesprochen wurden, an Klarheit und Bestimmtheit die Ausführungen des Präsidenten Wilson bei weitem übertreffen.“ Donnerstag, den 14.Juni. Der König von Griechenland ist abgesetzt worden. Die Entente hat vor nichts halt gemacht, sondern hat ihn, seine Frau und seine Kinder vertrieben, mit Ausnahme des zweiten Sohnes Alexander, den sie nominell auf den Thron gesetzt haben. Es ist der Schlussakt einer grossen Tragödie. Nun, Woodrow Wilson, hier war Deine Gelegenheit, um eine kleine Nation zu schützen! Seit Monaten hatte die Entente jede Lebensmittelzufuhr nach Griechenland verhindert. Kein Weizenkorn kam herein. Um Blutvergiessen zu vermeiden und um seinem Volke Brot zu schaffen, hat der König abgedankt. Wie schrecklich müssen diese drei Jahre für ihn und seine Gattin gewesen sein. Sie sind jetzt

- 188 unterwegs nach der Schweiz, diese Zufluchtsstätte für so viele! Sonnabend, den 16. Juni. Nachdem die britische Regierung widerwillig an Ramsay Macdonald und an Jowett Pässe gegeben hatte für die Friedenskonferenz in Stockholm, streikte auf einmal die Besatzung des Schiffes, welches sie nach Schweden befördern sollte, und sie konnten nicht abreisen. Ich möchte wissen, wie viel Geld die englische Regierung den Agenten bewilligt hat, die diesen neumodischen Streik insceniert haben. Auf einer Kriegsdemonstration in Trafalgar Square wurde der Streik mit Jubel begrüsst. Wieder mal die subtile englische Diplomatie, die genau weiss, dass mit Geld alles zu machen ist! Das Stockholmer Friedensprogramm der deutschen Sozialisten ist jetzt veröffentlicht. Wenn man auch in allen Punkten nicht mit ihnen konform gehen kann, so ist es ein würdiges, mässiges Dokument, ganz anders als die Raubprogramme, die aus London und Paris kommen. Sonntag, den 17.Juni. Welche Hitze und welche Dürre, es scheint nicht regnen zu können, der Boden ist wie Asche. Die Heuernte ist miserabel, und wer weiss, wie die Getreideernte ausfallen wird ? Mittwoch, den 20.Juni. Gestern Abend assen wir mit Roeses bei Hessler. Es gelang uns,

- 189 eine sehr leichte, sehr teure Mahlzeit aus Fisch, Tomaten und Erdbeeren bestehend, zu ergattern, und wir leerten ein Glas auf das Gedächtnis der Londoner Filiale! Gestern sollten die Gebäude in George Yard versteigert werden. Ueber vierzig Jahre ehrliche Arbeit zerstört. Heute unternahm Marianne mit der Gemüsefrau von gegenüber eine Pilgerfahrt nach Werder um Erdbeeren/zu kaufen. Durch gutes Zureden gelang es ihnen, einen halben Zentner mitzubringen, aus denen Marmelade gemacht wird. Walter hat mir vor einiger Zeit aus Galizien Zucker geschickt, und ich habe einen Zentner gekauft, zu M.3 das Pfund! Durch was für unsaubere Hände unlautere Quellen dieser Zucker gekommen ist, habe ich weiter nicht gefragt! Die meisten Menschen verkaufen ihre Seele für Schweinefleisch, ich verkaufe meine für Zucker! Sonntag, den 24.Juni. Die ‚Times’ berichtet über eine Episode, die am 25.Mai auf einem Festessen des ‚Empire Association“ im Savoy-Hotel stattgefunden hat. Lord Beresford hielt eine Rede und beklagte sich, dass sich immer noch Deutsche in England befänden. Darauf nahm er den vor ihm liegenden Teller in die Hand, drehte ihn um und sagte: „Was, wir haben von deutschen Tellern gegessen ?“ Sprachs und zerbrach den Teller. Viele von den Gästen machten es ihm nach und zerbrachen ebenfalls ihre Teller. Der Inhaber des Savoy-Hotels hat sich nachher entschuldigt

- 190 und versprach, dass in Zukunft keine Teller oder sonstige Gerätschaften deutschen Ursprungs gebraucht werden sollten. Es erscheint nach dieser Geschichte, dass der letzte Rest gesunden Menschenverstandes Lord Beresford und Consorten verlassen hat! Kann man sich noch über irgend etwas wundern? Mittwoch, den 27.Juni. Heute bekamen wir die traurige Nachricht, dass Vaters einzige liebe Schwester Marianne in Holzminden gestorben ist – siebzig Jahre alt. Ihre immer schwächliche Gesundheit hat wohl die Spannung und Erregung der letzten Jahre nicht ausgehalten. Die Einäscherung soll Sonnabend in Lübeck stattfinden. Donnerstag, den 28.Juni. Der Verkauf der Gebäude der Deutschen Bank in London wird in den Londoner Zeitungen unter der Ueberschrift „Hun Property Passes“ bekannt gegeben. Elsa kehrte heute aus Baden-Baden heim, sie ist sehr mager, aber im ganzen doch erholt. Freitag, den 29.Juni. Vater und ich hatten eine sehr heisse Fahrt nach Lübeck. Das Leben scheint hier etwas leichter zu sein als in Berlin. Im Hotel bekamen wir Fisch und neue Kartoffeln und Omelette ohne Schwierigkeiten. In Berlin ist keine Kartoffel zu haben, von Gemüse gar nicht zu reden. Wir trafen uns abends alle bei Hermann Gebhard.

- 191 Carl Drenckhan und Richard Gagzow sind in Frankreich und können nicht anwesend sein. Sonnabend, den 30.Juni. Die Einäscherung war eine würdige erhebende Feier, begleitet von schönem Gesang. Den Abend verlebte alle bei uns im Hotel. Sonntag, den 1.Juli. Die Fahrt von Lübeck nach Schönholz war etwas kühler. In Schönholz fanden wir die neuesten Familienmitglieder, zwei Ziegen, die uns mit Milch versehen sollen.

Montag, den 2.Juli. Elsa, Irene und Nannie kamen heute. Zum ersten Mal in den drei Jahren hat Nannie die Erlaubnis bekommen, Berlin zu verlassen. Donnerstag, den 5.Juli. Eine neue erfolgreiche russische Offensive, welche alle Berechnungen über den Haufen wirft, ist in Galizien in vollem Gange. Sie ist natürlich aufgehalten worden, aber es ist doch sehr enttäuschend. Wir hoffen so sehr, dass die Jungens zu unserer silbernen Hochzeit werden abkommen können. Ein Urlaub steht Walter schon lange zu. Die Kochbücher, die Elsa aus Baden-Baden mitbrachte, sind voll der herrlichsten Rezepte. Aber was machen ohne Mehl ? Augenblicklich besitze ich nur Haferflocken.

- 192 Montag, den 9.Juli. Bombenwerfen ist an der Tagesordnung. Ueber London und Margate und Harwich und Freiburg und Essen und Trier sind Bomben geworfen worden, in wiederholter und nutzloser Vergeltung unschuldige Opfer fordernd. Weil England keinen Frieden haben will. Gott sei Dank hat es beinahe den ganzen Tag geregnet, es muss aber noch mehr regnen, um wirksam zu sein, sonst ist es schlimm für die Kartoffeln. Mittwoch, den 11.Juli. Georgie schreibt, dass die Offizierfeldschule aufgelöst wird. Sie wurden von General von Falkenhayn inspiziert, und er erntete Lob für seine Reitabteilung. Damit geht seine kavalleristische Tätigkeit zu Ende, und er ist jetzt beim Inf.Reg.83. Major Clausius, sein Chef von der Feldschule, führt das Regiment. Freitag, den 13.Juli. Irenes Geburtstag, hauptsächlich bemerkbar durch einen von Elsa gebackenen, mit Himbeermarmelade gefüllten Haferflockenkuchen. Ist es nicht irrsinnig, welche Rolle so was spielt ? Montag, den 16.Juli. Die innerpolitische Situation steht jetzt im Vordergrund des Interesses. Bethmann Hollweg wird wahrscheinlich zurücktreten. Viele Menschen sagen, er wäre zu schwach, zu schwankend für diese kritischen Zeiten. Mir kommen die wenigen Reden, die er hält, als

- 193 Muster von Anstand und Mässigung vor. Aber vielleicht ist eine starke Hand durchzuhalten wichtiger. Am Donnerstag soll eine formelle Friedensresolution vor den Reichstag gebracht werden. Da sie von der Entente bestimmt mit dem üblichen Hohn empfangen wird, scheint mir der Wert recht zweifelhaft zu sein. Donnerstag, den 19.Juli. Ich fuhr heute wegen verschiedener Angelegenheiten nach Berlin und übernachtete im Kaiserhof. Es gab wenig zu essen, und das Wenige zu erschreckenden Preisen. Vor den Grünkramläden standen endlose Schlangen, um vielleicht eine Gurke oder zwei Salatköpfe zu erhaschen. Kartoffeln sind nicht zu haben. Mit Suse Stahn verabredete ich ihren Besuch zu unserer Silberhochzeit. Ich sehe dem Tage mit gemischten Gefühlen und einer gewissen Angst entgegen. Aber es wäre unrecht gegen Elsa und Irene, ihn ganz zu ignorieren. Von unseren Lieben in London wird niemand zugegen sein. Vater wird von dem Gefühl beherrscht, dass seine Lebensarbeit in frevelhafter Weise zerstört worden ist. Das und die Sorge um die Söhne und „der Menschheit ganzer Jammer“ macht es ihm unmöglich, der Feier mit irgendwelcher Freude entgegen zu sehen. Sonnabend, den 21.Juli. Ich war dankbar, Berlin zu verlassen und zu unserem fruchtbaren Garten zurückzukehren.

- 194 Der neue Reichskanzler ist Dr.Michaelis, ein bewährter Beamter, aber ohne politische Erfahrung. Die Friedensresolution ist mit einer grossen Majorität durchgegangen. Ist das ein Symbol der neuen Demokratie ? Die Entente will doch nur mit einem demokratischen Deutschland Frieden machen. Ich glaube, unseren Feinden ist es weniger um unsere Demokratie zu tun, als um die Zerstörung unserer nationalen, militärischen und ökonomischen Machtstellung. Das ist Englands Kriegsziel. Sonntag, den 22.Juli. Hindenburg hat die russische Offensive mit einem grossen Vormarsch in Südgalizien beantwortet. Unsere Truppen haben die russischen Linien durchstossen und sind in voller Verfolgung. Es erscheint eine riesige Leistung so bald nach dem russischen Erfolg, welcher wie gewöhnlich der Schlappheit der Oesterreicher zuzuschreiben war. Georgie ist mitten drin, aber Walter kann jeden Tag erscheinen. Montag, den 23.Juli. Die Wiesen sind voller Champignons. Abends pflückt man sie kahl, am folgenden Morgen sind sie wieder da, rund, glänzend, weiss! Täglich werden sie eingeweckt, und Mittags und Abends pfundweise verzehrt. Eine Mahlzeit Champignons mit neuen Kartoffeln ist ebenso wohlschmeckend als nahrhaft.

- 195 Dienstag, den 24.Juli. Walter ist angekommen, schwer beladen mit guten Sachen. Ein Schinken, Speck, Zucker, Mehl, Butter. Seit Mai 1915 war er nicht in Schönholz. Er sieht nicht einen Tag älter aus. Mittwoch, den 25.Juli. Sir Edward Carson hat sich in einer Rede in Belfast mit Ruhm bedeckt. Er kündigt an, dass man erst über Frieden reden könne, wenn Deutschland das linke Rheinufer aufgegeben habe! Sir Edward hat wohl in der Schule wenig Geographie gelernt (mit Ausnahme von der Provinz Ulster!). Aber man sollte meinen, dass er in den letzten drei Jahren Gelegenheit gehabt hat, eine Landkarte zu betrachten. Da muss er doch gesehen haben, dass das linke Rheinufer mit Cöln, Mainz, Aachen, Trier und anderen nicht gerade unbedeutenden Städten dem deutschen Reiche seit undenklichen Zeiten gehören. Sonnabend, den 28.Juli. Gestern kam Suse und heute die Tanten aus Braunschweig und die Nichten aus Holzminden und Lübeck. Fünf Gäste, aber der Zeitpunkt konnte nicht besser sein. Gemüse, Kartoffeln, Champignons und Himbeeren, so viel unser Herz verlangt, ein Rehbock in der Eismiete. Elsa und Irene sind mit heimlichen Vorbereitungen beschäftigt, oder Elsa ist in der Küche. Ueber das Menu für Montag soll ich nicht viel wissen, habe aber doch mit dem Gülitzer Schlächter wegen eines Kalbrückens konferiert. Er hatte ein Kalb „schwarz“

- 196 geschlachtet, für seine eigenen Zwecke, und beide sind wir nun fürs Gefängnis reif. Sonntag, den 29.Juli. Walter erhielt heute ein Telegramm von seinem Regiment mit der Nachricht, dass er zum Offizier befördert ist. Endlich! Montag, den 30.Juli. Es war doch ein wunderschöner Tag. Vater und ich wurden morgens früh mit einem Liede empfangen, und Brüning hatte das Haus bekränzt. Wir hatten gebeten, dass keine Geschenke gemacht wurden, aber es erwarteten uns doch welche. Elsa hatte zwei Torten gebacken. Um fünf Uhr kamen Winterfelds mit den beiden ältesten Kindern, und die Vorstellung begann, von Elsa geleitet. Sie hatte die Gedichte geschrieben, die sie vortrugen, spielte die Klavierbegleitung zu den lebenden Bildern, alles mit viel Talent und Initiative. Nachher schenkte sie mir ein Buch mit den Gedichten, die von Irene ganz reizend in Farben illustriert waren. Wir waren 15 Personen zu Tisch, und Vater und ich sassen auf bekränzten Stühlen. Walter hielt – in Georgies Abwesenheit – eine Rede auf uns, welche inhaltlich so wunderhübsch war und so gut vorgetragen, dass ich ganz erstaunt war. Vater antwortete darauf, indem er unsere lieben Gäste leben liess und derer gedachte, die in glücklicheren Zeiten auch bei uns gewesen wären. Das Festmahl war ausgezeichnet. Es gab:

- 197 Hühnersuppe. Römische Pastetchen. Kalbsrücken mit verschiedenen Gemüsen. Himbeer-Eis. Saure Milch-Eis. Kleines Gebäck. Das Eis hatte Elsa gemacht, und beide Sorten waren ohne Sahne. Winterfelds schenkten uns zwei wunderbare schneeweisse Enten, die in 14 Tagen geschlachtet werden sollen. Das Wetter war herrlich, nur Georgie fehlte sehr. Mittwoch, den 1.August. Unsere Gäste verliessen uns heute früh um sieben, und in der Aufregung des Abschieds hatte man kaum Zeit, sich klar zu machen, dass der erste August wieder da ist. Es soll uns doch nichts erspart werden. Freitag, den 3.August. Walter hat 14 Tage Nachurlaub, um seine Equipierung zu besorgen, und wir geniessen ihn sehr. Wir haben sogar angefangen, Tennis zu spielen, wofür man bis jetzt weder Zeit noch Interesse hatte. Wieder eine britische Offensive in Flandern, eingeleitet mit einer fürchterlichen Kanonade und mit unendlichen „Tanks“, diese entsetzlichen zermalmenden Monstrositäten. Die Absicht war diesmal, uns von Ostende und Zeebrügge abzuschneiden, und da die U-BootStützpunkte in die Hand zu bekommen. Es ist ihnen nicht gelungen.

- 198 Um so mehr wird geredet. Lloyd George, Winston Churchill, Bonar Law, Edward Carson, alle reden sie, um ihre Enttäuschung durch Beschimpfungen zu verbergen, um der Heimat Mut zuzusprechen und Sand in die Augen der Neutralen zu streuen. Jetzt rechnen sie auf die internen Zwistigkeiten in Deutschland, denn der„Scotsman“ schreibt : „Unser Hauptziel muss sein, Zwietracht in die deutsche politische Arena zu säen. Wir müssen die Flammen der Revolution bei den Zentralmächten anfachen. Wir können die ganze Macht der europäischen Demokratie mobilisieren. Das ist unser Ziel.“ Wahrlich, ein edler Grund, um Millionen Menschen weiter zu opfern! Die Juli-Nummer der „North American Review“ kündet an, dass Amerika in den Krieg getreten ist, weil die Regierung in Washington überzeugt war, dass die Entente ohne amerikanische Hilfe verloren war. Wörtlich : Frankreich kann kaum noch mit den Alliierten Schritt halten. In einem Jahr wird England durch Hunger geschwächt und der Wille des Volkes gebrochen werden. Auf Russland kann man nicht mehr rechnen. Die Alliierten mit Italien, Japan, China und die kleineren Staaten können den Krieg nicht gewinnen. Deshalb musste Amerika intervenieren, um den Krieg zu gewinnen.“ Um die Intervention dem amerikanischen Publikum schmackhafter zu machen, hat der Staatssekretär Lansing eine herrliche Rede in Princetown gehalten, in der er sich als gelehriger Schüler der Entente-Staatsmänner zeigt. Er sagte:

- 199 „Wir haben gesehen, wie die wilden Bestien Zentral-Europas das friedliche Belgien zerrissen, wir sahen, wie rohe Folterqualen, Sklaverei und Plünderung durch den Willen des Kaisers gutgeheissen wurden, wir sahen, wie die Mörder zur See und in der Luft sich an der Tötung von Frauen und Kindern ergötzten, und wir sahen, wie diese Mörder für ihre Unmenschlichkeiten belohnt wurden.“ Montag, den 6.August. Wir haben verschiedene interessante Briefe von Georgie, seit sie die russischen Linien durchbrochen haben, die Offensive, die er zum ersten Male als Infanterist mitmachte. Die Beute ist enorm, wenn auch die Russen vor ihrem Rückzug viel zerstört haben. Die Wege sind besät mit Munition, Autos, Maschinen, Lebensmittel und Futter. Eine Anzahl Dampfkraftwagen haben die Aufschrift „John Fowler, Leeds“. Sogar eine Unmenge Grammophon-Platten wurden gefunden. Georgie schreibt, es wäre schade, dass nicht mehr Kavallerie verfügbar war, um zu verfolgen, man hätte dann noch mehr Gefangene und Beute machen können. Aber letzthin ist viel Kavallerie aufgelöst worden. Mittwoch, den 15.August. Walters Urlaub ist zu Ende, ich begleitete ihn nach Berlin, und wir übernachteten in der einsamen und schmutzigen Wohnung. Nachmittags telephonierte Elsa, dass Vater einen Schwindelanfall gehabt habe, und ich möchte sobald wie möglich wiederkommen. Ich

- 200 war in grosser Sorge, denn er hat letzthin verschiedene solcher Anfälle gehabt, aber diesmal scheint es ernster zu sein. Donnerstag, den 16.August. Schweren Herzens trennte ich mich von Walter. Heute Abend muss der arme Junge allein zur Bahn und abreisen, Aber ich hatte keine Ruhe mehr. Ich fand Vater zu Bett und etwas besser. Sonntag, den 19.August. Irene und Nannie fuhren nach Berlin, denn die Schule hat schon angefangen. Es geht Vater besser, aber sehr leistungsfähig ist er noch nicht. Montag, den 20.August. Hühnerjagd! Aber welche Ironie – Vater und Brüning gingen um 10 los, nach zwei Stunden hatte Vater genug und brachte ein einziges Huhn mit. Bis zum Abend hatte Brüning nur fünf geschossen. Donnerstag, den 23.August. Neue Offensive in Flandern und eine französische Offensive bei Verdun. Dazwischen mal eine Atempause, dann geht die Hölle von neuem los. Der Papst, Gott segne ihn, hat eine Note an alle kriegführenden Mächte geschickt, mit der Bitte um Verhandlungen. Es ist ein massvolles und würdiges Dokument, und Deutschland wird in demselben Tone antworten. Die Kritik der Londoner Presse ist natürlich

- 201 verächtlich. Die britische Regierung boykottiert noch immer die Stockholmer Konferenz. Nur nicht ihre Arbeiter mit den deutschen Arbeitern zusammenbringen, es könnten zu viele Unwahrheiten an den Tag kommen! Jetzt wird auf Amerika gebaut. „Kommt“, sagen sie, „um Himmels Willen, kommt schnell!“ Freitag, den 24.August. Zwei etwas deprimierte Briefe von Georgie. Er hat Ruhr und Rheumatismus und scheint Heimweh zu haben nach seiner alten „sechsten Schwadron“. Sonntag, den 26.August. Wir waren mehr als überrascht, eine Karte von Georgie aus Berlin zu erhalten. Wir fuhren nachmittags hin und er holte uns am Lehrter Bahnhof ab. Er sieht etwas angegriffen aus. Durch die neuen Bestimmungen sollen Offiziere alle sechs Monate Urlaub haben, und da seine Urlaube im März und im Mai „inoffiziell“ waren, war er wieder fällig. Er geht mit dem Gedanken um, sich zu den Fliegern zu melden. Donnerstag, den 30.August. Wir kehrten heute nach Schönholz zurück. In unserer Abwesenheit hatte Elsa Kartoffelmehl gemacht. Es ist eine umständliche Arbeit und in einer Art eine verschwenderische, denn man benötigt

- 202 1½ Zentner Kartoffeln, um 20 Pfund Kartoffelmehl zu erzielen. Aber es ist ein solcher Segen, etwas weisses Mehl zu haben. Georgie erzählte uns, dass Hindenburg im Norden einen neuen Vormarsch plante und dass Riga bald fallen würde. Sonnabend, den 1.September. Es ist herrliches Wetter, und seit Georgie da ist, gibt es mehr Hühner. Er brachte ein grosses Stück Leder mit, welches er einem alten galizischen Juden abhandelte, genügend für zwei Paar Stiefel. Ja, Stiefel und Schuhe ! Wie wird es damit werden im kommenden Winter ? Unser alter Mann in Berlin gibt uns keine ganzen Sohlen mehr. Er flickt nur möglichst kleine Lederstückchen darauf. Montag, den 3.September. Riga ist gefallen, und die russischen Truppen sind in voller Flucht. Zum ersten Mal seit Monaten haben wir wieder geflaggt. Es ist ganz gut, wenn die Entente einsieht, dass wir auch anderes können als nur Friedensofferten machen. Diese bringen uns nicht weiter, im Gegenteil. Dienstag, den 4.September. Der Prozess gegen Suchomlinow in Petersburg öffnet unsere Augen über vieles. Jetzt wissen wir, dass er Ende Juli 1914 dem Zaren versichert hatte, die Mobilisation würde zurückgenommen werden. Er ging nach Hause und befahl: “weiter mobilisieren“.

- 203 Donnerstag, den 6.September. Präsident Wilson hat die Friedensnote des Papstes beantwortet. Während der drei Jahre hat wohl nichts so viel Entrüstung in Deutschland hervorgerufen als dieses Schriftstück. Wilson sieht ein, dass Deutschland mit den Waffen nicht zu besiegen ist, darum versucht er eine neue und heimtückische Methode. Er wagt es, das deutsche Volk zur Revolution aufzuhetzen, zum Umsturz der Hohenzollern-Dynastie. Er ist aber an die Falschen gekommen. In jeder Stadt werden Protestversammlungen abgehalten, und es scheint, als gäbe uns diese Unerhörtheit neuen Mut, neue Kraft. Ja, man war schon recht niedergeschlagen, aber Wilson hat es erreicht, dass wir wieder die Zähne aufeinander beissen. Wilson hegt den freundlichen Wunsch, aus dem deutschen Volke ein „freies Volk“ mit einer „verantwortlichen Regierung“ zu machen. Sieht denn die Wilson’sche Diktatur nach Freiheit aus ? Es ist interessant, dass seine Note mit dem Suchomlinow-Prozess zusammenfällt. Das Trio: Suchomlinow, Januschkewitsch und Sasanow haben ein frevelhaftes Spiel mit dem Zaren getrieben. Montag, den 10.September. Georgie verliess uns heute. Für Vater war es sehr gut, dass er da war. Georgie heitert ihn auf und überredet ihn mal eine Flinte in die Hand zu nehmen. Wir bleiben auch nicht mehr lange, die Tage werden kürzer, und unser Spiritus geht zu Ende. Petroleum ist auch sehr knapp.

- 204 Dienstag, den 11.September. Wir haben sehr viele Birnen und verkauften heute drei Zentner. Sie wurden an der Bahn verladen, als wären sie Kartoffeln oder Kohlen. Bis sie die Marmeladenfabrik erreichen, werden sie bestimmt unbrauchbar sein. Sonnabend, den 15.September. Das Auswärtige Amt veröffentlicht interessante Telegramme, welche Kaiser und Zar 1904 – 1905 gewechselt haben während des russisch-japanischen Krieges. England war beschäftigt, Kohlen an Japan zu liefern. Das muss ich auch wissen, denn mein Vater in London war einer der Agenten, durch dessen Hände die japanischen Kohlenbestellungen gingen. Aber als Deutschland den Wunsch hatte, Kohlen an Russland zu liefern, wurde dies als Neutralitätsbruch aufgefasst, und England und Japan waren nah daran, Deutschland den Krieg zu erklären. Nirgends finde ich eine zuverlässigere Beleuchtung der jeweiligen politischen Richtung als in unseren alten eingebundenen Bänden von „Punch“. Heute nahm ich den Band 1904 vor und fand sogleich einen Dialog zwischen zwei Kaufleuten über diese selbigen Kohlenlieferungen. Der Dialog endet: „Natürlich, ich habe es ja immer gesagt, Deutschland ist unser einziger Feind.“ Und ich brauchte nur weiter zu blättern, um alle möglichen Aeusserungen zu finden, einige mehr, andere weniger verschleiert, aber alle in derselben Richtung.

- 205 Montag, den 17.September. Wir kehrten heute nach Berlin zurück, schwer beladen wie immer. Als wir beim Abendbrot sassen, klingelte Major Clausius an, in der Annahme, Georgie wäre noch in Berlin. Ich bat ihn zu kommen, und wir verlebten einen netten Abend. Es ist eine Freude, einen Gast zu haben, wenn man ihn mit kalten Rebhühnern, Tomaten und Birnen bewirten kann, lauter Sachen, die in Berlin nicht zu kaufen sind. Vor drei Tagen ist Ulli Stahn ins Feld gegangen. Er wird wohl der letzte Krieger in der Familie sein, es sei denn, dass der Krieg dauert, bis Richard so weit ist. Er ist zu einer Telegraphen-Abteilung gekommen. Sonnabend, den 22.September. Ich habe meine Arbeit am Potsdamer Bahnhof wieder aufgenommen. Die Verteilung der Lebensmittelkarten ist komplizierter geworden, und täglich kommen mehr Urlauber. Müde und verschmutzt, und schwerbeladen kommen sie an, viele niedergeschlagen und deprimiert, andere leidlich vergnügt, aber alle einstimmig in der Meinung, dass das Leben in Berlin recht knapp ist. Die Züge wegen Kohlen= und Betriebsmangel haben ihre Pünktlichkeit verloren und haben oft stundenlange Verspätung. Wir assen bei Zimmermanns und trafen dort Professor Sautter, der deutsche Maler, der 25 Jahre in London gelebt hat und Schwager vom Schriftsteller Galsworthy ist. Während der letzten sechs Monate war er in Wakefield interniert, es wäre aber eine Erleichte-

- 206 rung gewesen nach den langen Monaten der Verdächtigung und Ueberwachung. Herr von dem Bussche erzählte uns Einzelheiten über die Gefangenen-Konferenz in Haag. Die deutschen und englischen Delegierten unter General Friedrich und Lord Newton haben sich sehr gut vertragen und haben wirklich zusammen konferiert. Aber die deutschen und französischen Delegierten sassen in verschiedenen Zimmern, und ihre Besprechungen mussten durch einen Dritten vermittelt werden. Dieses auf Wunsch der französischen Delegierten. Am Ende der Konferenz wurde jede Gruppe photographiert und tauschten gegenseitig die Bilder aus! Wir wollen hoffen, dass das Los der armen Gefangenen wirklich erleichtert wird, der Austausch soll im November vor sich gehen. Donnerstag, den 27.September. Es ist unendlich interessant, in der ‚Times’ die Gerichtsverhandlungen gegen Mr.Morell zu lesen, der zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt ist, weil er Friedensbroschüren in neutrale Länder hereingeschmuggelt hat. Hier ein Zitat aus einer dieser Broschüren: „Ich kann es nicht ansehen, dass Britannien ins Unglück geführt wird. Das wird der Fall sein, wenn die Kriegspolitik darauf basiert wird, dass nur Deutschland Schuld hat. Die Ursache des Krieges liegt nicht in den Verbrechen einer oder zwei Regierungen, sondern in den Torheiten aller Regierungen.“ Der Richter, der den Spruch fällte, sagte, es wäre ein Ver-

- 207 such, Deutschland von der Beschuldigung des Angreifers rein zu waschen, und gleichzeitig ein Appell an den Frieden. Die Strafbarkeit von Mr.Morell wäre bewiesen. Dann liest man noch von Friedensversammlungen, die in Kirchen und sonst wo abgehalten und von Polizei und Militär gesprengt werden und meistens in Schlägereien enden. Sonnabend, den 29.September. Die Schlacht tobt wieder in Flandern. Kaum flaut eine Offensive ab, so fängt schon eine andere an. Es sind enorme britische Truppen da aufgestellt, und ihre Geschütze sind im selben Verhältnis, während die amerikanischen Truppen meistens durch zahllose Flieger vertreten sind. Der Feind macht gerade genug Fortschritte, um die öffentliche Meinung in London anzuregen, und ministerielle Reden machen das weitere. Montag, den 1.Oktober. Unsere Warmwasserversorgung ist beschnitten worden, es gibt Warmwasser nur von Freitag Mittag bis Sonntag Mittag. Wahrlich, der Krieg nimmt unästhetische Dimensionen an. Zwar ist wohl das tägliche heisse Bad mehr eine eingebildete als eine wirkliche Notwendigkeit, aber die grosse Härte liegt darin, dass wir kein warmes Wasser zum Abwaschen haben, ohne jeden Tropfen auf Gas warm zu machen. Und wenn wir zu viel Gas gebrauchen, werden wir auch bestraft!

- 208 Mittwoch, den 3.Oktober. Marianne hatte acht Tage Urlaub zu Hause in Posen und ist beladen wiedergekommen. Erstens vier Gänse. Diese sind ganz legitim und brauchen keine Angstgefühle hervorzurufen, wenn der Gendarm das Gepäck kontrolliert. Aber nebenbei ist es ihr gelungen, Butter und Eier mitzubringen, und – grösster Schatz von allem – fünfzehn Pfund Weizenmehl, welches ihr Bruder, der auf Urlaub war, selbst zwischen Steinen gemahlen hatte. Nannie hat vergebens die Läden nach einer Rolle Garn abgesucht. Die Geschäfte sind natürlich voll der lächerlichsten Sachen, die kein Mensch braucht oder brauchen sollte, aber die einfachsten Notwendigkeiten fehlen, hölzerne Kochlöffel zum Beispiel. Wollene und baumwollene Sachen sind nur auf Bezugschein zu haben, aber es wäre ganz leicht und sehr teuer, sich in Seide zu hüllen von Kopf bis zu Fuss. Dienstag, den 9.Oktober. Herr von Kühlmann’s Rede über die politische Lage klang recht mässig und vernünftig mit den Ausführungen von Lloyd George verglichen. Er sagte, die belgische Frage wäre kein Hindernis für Verhandlungen, wenn der Feind gewillt wäre, zu verhandeln (was er ja bestimmt nicht ist). Dann sagte er auch, dass Elsass-Lothringen nie und nimmer Verhandlungsobjekt sein könnte. Das ist jetzt der neueste Entente-Kriegsruf! Natürlich nicht neu für die Franzosen, wohl aber für die Engländer, denen man bis jetzt gesagt hat, sie kämpften um Belgien. Jetzt, nachdem Millionen

- 209 Leben geopfert sind, heisst es auf einmal, man kämpft um Elsass-Lothringen. Es würde gewiss den meisten sehr schwer fallen, Elsass-Lothringen auf der Karte zu finden. Sonntag, den 14.Oktober. Die Insel Oesel in der Ostsee ist gefallen, durch die glänzende Zusammenarbeit von Heer und Flotte. Der Fall von Riga war nur das Vorspiel zu anderen Taten. Diese baltischen Inseln sind die Hauptbasis der russischen Flotte und sehr stark befestigt. Der Verlust wird Krenski nicht glücklich machen. Man bekommt wenig zuverlässige Nachrichten aus Russland, man weiss nur, dass der Chaos regiert, und der ist ein weit gefährlicherer Herrscher als Zar Nicolaus. So steht es im Norden, und man munkelt von einer bevorstehenden Offensive an der italienischen Front. Grosse Truppentransporte bewegen sich von Galizien durch Oesterreich nach dem Isonzo. Ich bin in grosser Sorge um Vater, der nach wiederholten Schwindelanfällen sich sehr elend fühlt. Er wird täglich dünner. Dienstag, den 16.Oktober. Eine Postkarte von Georgie aus Hanau, nicht Feldpost, sondern eine Ansichtspostkarte mit Briefmarke und „Gruss von der Reise“. Er ist also unterwegs nach dem Westen. Man wird sie aber nicht gleich an die schlimmste Ecke in Flandern bringen. Eine Division, die drei Jahre im Osten gekämpft hat, kennt das Verfahren im Westen nicht und muss erst damit vertraut werden.

- 210 Montag, den 22.Oktober. Wir waren heute bei Professor Zinn, der Vater sehr genau untersuchte. Er sagte, es wäre nicht mehr Arterio Sklerose vorhanden als in den meisten Leuten von 68 Jahren und dass das Hauptübel die Nerven wären. Ruhe, keine Sorgen, frische Luft und gute Ernährung wäre die Hauptsache. Ruhe und frische Luft sind möglich, gute Ernährung und keine Sorgen menschlich unmöglich. Und doch sind wir nicht schlecht genährt. Wir haben Wild und Gemüse und Obst aus Schönholz, aber die Fettlosigkeit und der Brotmangel sind schrecklich. Wie die Menschen existieren, die keinen Garten haben, ist mir ein Rätsel. Das Leben ist eine nie aufhörende Suche nach Nahrungsmitteln. Leute, welche kaum gekannte Verwandte oder Bekannte auf dem Lande haben, benutzen diese Beziehungen, um dieses oder jenes zu erbetteln. Andere unternehmen lange und teure Reisen, um sich zu verproviantieren. Bestechung und Korruption sind an der Tagesordnung, Theater= und KinoBillets ein fruchtbares Mittel, von den Lieferanten Extras zu erhalten. Es gibt reiche Familien, welche heute ein hübsches Armband für die Schlächtersfrau haben, morgen eine Broche für die Bäckerstochter. Selbst die Menschen, die eine schmeichelnde Ueberredungsgabe haben, sind mir weit voraus. Ich kann mich nicht mit jedem Menschen auf Du und Du stellen, um was aus ihnen herauszuholen, obgleich ich Vaters wegen mein Möglichstes tue. Agnes Drenckhan, die Edle, schickt uns, was sie entbehren kann. Von Hermann Brüning bekam ich letzthin 10 Pfund feinstes Weizenmehl aus Serbien und von Oscar Spath 4 Pfd. aus Bukarest und

- 211 15 Pfd.Gerste. Er ist dort Platzmajor. Ja, Lebensmittel, oder vielmehr ihre Ermangelung, sind ein nie endender Alpdruck. Ich wundere mich, dass wir alles so ruhig hinnehmen, dass uns nicht öfter eine heillose Wut packt, dass England es wagt, eine ganze Nation dem Hungertode preiszugeben. Es gibt auch dort viele Menschen, die diese Politik verdammen. Einer von diesen ist Dr. Lyttleton, der seinen wichtigen und glanzvollen Posten als Head Master von Eton College infolgedessen hat aufgeben müssen, der Hon.Richard Denman und andere. Aber ein paar vernünftige Seelen in einer rasenden Majorität können uns nicht viel helfen. Wenn man sich die Sache überlegt, ist es doch unerhört, dass die Entente bis heute die päpstliche Note vollständig ignoriert hat. Sie wissen eben nicht, was sie antworten sollen. Alle ihre Beteuerungen und Ministerreden strafen ihre herrlichen Ideen von Demokratie und Freiheit Lügen. Wiederum eine Kriegsanleihe, die siebente, und wieder eine grosse Leistung, 10½ Milliarden. Alle Menschen scheinen Bargeld zur Anlage zu haben. Es wird auch viel ausgegeben für Luxussachen wie Schmuck, Bilder, Antiquitäten. Neulich soll eine Arbeiterfrau bei Borchardt ein halbes Pfund Caviar, das Pfund zu 100 Mk. gekauft haben. Freitag, den 26.Oktober. Die Offensive an der Isonzofront hat mit Erfolg eingesetzt. Die feindliche Front durchstossen, 30.000 Gefangene, 300 Geschütze und sonstige Beute. Der Heeresbericht betont, dass die Operationen

- 212 bei glänzendem Wetter stattgefunden haben, Cadorna kann jetzt nicht sagen, dass er wegen Regenwetter hat zurückgehen müssen!! Sonntag, den 28.Oktober. Görz ist genommen. 80.000 Gefangene. Dienstag, den 30.Oktober. Cadorna geht immer weiter zurück, und wir sind jetzt in Cividale und Udine. Montag, den 5.November. Die zweiten und dritten italienischen Armeen unter dem Herzog von Aosta sind geschlagen, und nun fängt die Bergfront in den Dolomiten auch zu wackeln an. Ueber 250.000 Gefangene! Die kleinen von den Italienern in 2½ Jahren errungenen Fortschritte hat Hindenburg ihnen in zehn Tagen entrissen! Es ist wohl die grösste Ueberraschung des Krieges und muss uns doch den Frieden etwas näher bringen. Donnerstag, den 8.November. Colonel Repington, der Militärsachverständige der ‚Times’, schrieb, ehe unsere Offensive einsetzte: „Die Italiener und Cadorna werden gewiss diese Offensive bewillkommen, namentlich um diese Jahreszeit. Sie haben genügend Truppen, um sie aufzuhalten.“ Am 24.Oktober sagte Sir John Jellicoe:

- 213 „Wir brauchen uns nicht zu sorgen, der Krieg ist so gut als gewonnen.“ Freitag, den 9.November. Neue Ueberraschungen aus Russland. Die Bolschewiken unter Lenin haben die InterimRegierung gestürzt und haben momentan die Macht. Sie verlangen sofortigen Frieden und die Aufteilung aller Ländereien zwischen den Bauern. Der ungebildete russische Bauer wird mit diesem kommunistischen Geiste wenig anfangen können. Niemand weiss, wo Kerenski ist und wie weit das demoralisierte russische Heer sich von Lenin leiten lässt. Wir werden wohl nie wieder eine russische Offensive erleiden und haben wohl jetzt nur ganz wenig Truppen an der Ostfront. Sonnabend, den 10.November. Ich glaube nicht, dass die Herren gestern am Lord Mayor’s Bankett in der Guildhall ihre Schildkrötensuppe genossen haben. Ihre Reden klangen nicht ganz so zuversichtlich als sonst. Italien wurde kondoliert (im vorigen Jahr war es Rumänien und 1915 Serbien). Russland wurde ignoriert, der russische Botschafter muss sich wie ein getadelter Schuljunge vorgekommen sein. Lloyd George war nicht zugegen. Er ist in Rapallo, wo er wohl nicht die angenehmsten Stunden mit französischen und italienischen Generälen und Staatsmännern verlebt. Jede Macht versucht die Verantwortung des Misserfolgs auf die andere abzuladen. Von Georgie einen langen und interessanten Brief, in Abstän-

- 214 den geschrieben aus ihrem Unterstand nördlich Verdun im Forges Wald. Sie werden nach zwölf Tagen abgelöst und haben dann sechs Tage Ruhe. Es wäre ganz anders und viel schlimmer als der Osten, und ihr einmütiger Schrei wäre: „Redde, Galiciam“. Augenblicklich haben sie nicht mal richtige Stellungen, nur Granatentrichter und zerstörte Schützengräben, die nachts in aller Heimlichkeit ausgebessert werden. Mittwoch, den 14.November. Wenn man die Karte von Italien betrachtet, empfindet man eine gewisse Genugtuung. Die Front ist wunderbar verkürzt, und unsere Truppen sind in weiterer Verfolgung. Lloyd George hat auf der Heimreise von Rapallo in Paris eine Rede gehalten, und so ernsten Sinnes, dass in London beinahe eine Panik entstanden ist. In Russland herrscht der Bürgerkrieg. Kerenskis Truppen sind auf Petersburg marschiert und sind mit Lenins zusammengetroffen. Das Resultat ist unbekannt. Walter hat uns durch einen Urlauber 2 Pfd.fetten Speck und 5 Büchsen kondensierte Milch geschickt. Auf unsere Butterkarten bekommen wir jetzt nur 30 gr Butter und 50 gr Margarine, und auf die Fleischkarten nur ganz mageres Rindfleisch, der Speck ist also sehr willkommen. Franz hat mir zwei Garnrollen aus Ghent geschickt. Nannie hat sie in Verwahrung.

- 215 Montag, den 19.November. Georgie schreibt, sie wären wieder in Stellung, aber diesmal in einem bombensicheren Unterstand. Pressentin ist auf Urlaub und kam zu Tisch. Ihm zu Ehren gab es einen Puter (Kostenpunkt 60 Mk.) und Sekt. Er sieht gut aus, obgleich er monatelang in der Flandrischen „Hölle“ gewesen ist. Dienstag, den 20.November. Es ist die Artois Hölle jetzt zur Abwechslung. Ein englischer Angriff bei Cambrai im grössten Masstabe, mit hunderten von Tanks. Das bedeutet immer einen englischen Gewinn von einigen Kilometern, bis die deutsche Gegenoffensive beginnt. Freitag, den 23.November. Alle Urlauber aus dem Westen haben zehn Tage Nachurlaub, und wir von der Lebensmittelkarten-Abteilung müssen doppelten Dienst machen. Hunderte von leeren Zügen sollen nach dem Osten unterwegs sein, um von dort Truppen zu holen, die nicht mehr gebraucht werden. Wie bald werden wir wohl mit Russland Waffenstillstand haben ? Der englische Angriff auf Cambrai ist aufgehalten, und der Durchbruch ist wieder gescheitert. Aber wir haben sehr viele Geschütze opfern müssen und haben erschreckende Verluste. Es ist ja alles so sinnlos.

- 216 Donnerstag, den 29.November. Der Fahrkartenpreis ist für die Dauer des Krieges verdoppelt, um unnötiges hin= und Herreisen zu verhindern. Freitag, den 30.November. Unser neuer Reichskanzler, Graf Hertling, der zu aller Freude Michaelis abgelöst hat, konnte verkünden, dass Russland um Waffenstillstand gebeten und dass Deutschland eine günstige Antwort erteilt habe. Seine Antrittsrede im Reichstag stand unter einem guten Stern. Herr von Kühlmann hielt eine meisterhafte Rede über die auswärtige Lage. Er berührte alle Entente Mitglieder, Italien, dessen kurzsichtige Politik das Land in Unglück gestürzt hat, England und Frankreich, die als Hüter der Freiheit posieren, dabei jede Freiheit des Wortes oder des Gedankens terrorisieren. Kühlmann versetzte auch zu meiner grossen Freude Lord Robert Cecil eine ernste Rüge. Lord Robert, nicht zufrieden mit seiner unerhörten Verleumdung „corpse utilisation“ (Leichennutzbarmachung), kündete an, dass Deutschland beabsichtige, die Vielweiberei einzuführen, welche Prozedur durchaus mit dem deutschen Geist in Einklang wäre! Unter allen Entente-Staatsmännern ist mir keiner rätselhafter als Lord Robert Cecil. Wenn „der kleine Zauberer aus Wales“, wie man Lloyd George nennt, zu weit geht, so sagt man, er hat es nicht besser gelernt, aber ein Cecil, in Hatfield gross geworden, in diesem Hause der Tradition! Man hat einfach keine Worte dafür.

- 217 Es ist merkwürdig, dass diese Verleumdungen immer wieder bei den Neutralen ein offenes Ohr finden. Warum begegnen unsere Staatsmänner diesen Lügen nicht mit einer Antwort innerhalb 24 Stunden ? Sie sind wohl an so etwas nicht gewöhnt, und ihre politischen Methoden sind langsam und schwerfällig. Sonnabend, den 1.Dezember. Russlands Bitte um Waffenstillstand ist durch einen Brief, den der Marquis of Lansdowne an den „Daily Telegraph“ geschrieben hat, in den Schatten gestellt. Er ist die Sensation der Stunde, denn er ist mehr oder weniger ein Appell an seine Landsleute, Vernunft anzunehmen und sobald als möglich Frieden zu schliessen. Frieden, Frieden, Frieden, dieses Wort ist ernstlich ausgesprochen von einem Manne in der Stellung von Lord Lansdowne. Es ist als ob der Himmel sich öffnet. Der Brief endet wie folgt: „Ich glaube, dass der Krieg, wenn er beendet wird, um eine Weltkatastrophe zu vermeiden, zu Ende gehen wird, weil die Völker der beteiligten Länder einsehen, dass er schon viel zu lange gedauert hat.“ Worin liegt nun der Unterschied zwischen diesen Worten und denen von Mr.Morell im September. „Ich kann es nicht ansehen, dass Britannien ins Unglück geführt wird.“ Aber Mr.Morell wurde ins Gefängnis gesteckt unter dem Landesschutzgesetz. Nicht mal Lloyd George würde es wagen, diese summarische Prozedur auf Lord Lansdowne auszudehnen, deshalb ist diese Stimme aus der Wüste so sehr

- 218 wichtig. Lord Lansdowne sandte seinen Brief zuerst an die ‚Times’, die aber den Abdruck verweigerte. Sonntag, den 2.Dezember. Die Northcliffe-Presse ist wütend. ‚Daily Mail’ hat einen tobenden Artikel unter der Ueberschrift „Die weisse Fahne“. Die Kommentare der liberalen ‚Daily News’ und „Manchester Guardian’ sind sehr freundlich, auch die liberale Partei im Unterhaus begrüsst die Haltung von Lord Lansdowne. Wir trafen heute Geheimrat Goerz. Er ist im Kriegsministerium, wo ein Film gezeigt worden ist, den unsere Truppen in Italien gefunden hatten. Immer die alte Geschichte, ein schamloses Erzeugnis „Belgischer Grausamkeiten“, so widerlich, dass es unmöglich wäre, hier den Film zu veröffentlichen. Die Hauptrolle in dem Film ist ein Kürassier-Offizier, mit dem Gesicht des Kaisers. Ist es zu verwundern, dass die Entente Propaganda so erfolgreich gewesen ist ? Dieser Film ist natürlich in jedem italienischen Kino gezeigt worden. Montag, den 3.Dezember. Das neue russische Régime unter Trotzky und Lenin veröffentlicht den Text der geheimen Abmachungen Italiens mit der Entente. Es ist ein hübsches Programm von Diebstahl und Annexion seitens der Völker, die auf ihre Fahne schreiben: „Keine Annexion und Freiheit für kleine Nationen.“

- 219 Halb Oesterreich soll an Italien kommen, ebenfalls Armenien und ein Teil von Griechenland, und der Papst soll unter keiner Bedingung eine Stimme in der Friedenskonferenz haben. Nun wissen wir, warum die Entente nie die päpstliche Note beantwortet hat. Die Entente ist ausser sich über die Veröffentlichung, welche sie als Vertrauensbruch seitens ihres einst lieben Alliierten ansehen, und das ist es auch. Dienstag, den 4.Dezember. Man kann nur vermuten, in wie weit Lord Lansdowne in seinem Brief aus sich selbst heraus gehandelt hat, oder ob er vielleicht Asquith und sonstige Mitglieder der liberalen Partei hinter sich hat. Es sieht aber nicht aus, als ob das Kabinett sich irgendwie dadurch beeinflussen lässt. Mittwoch, den 5.Dezember. Der englische Vorstoss auf Cambrai ist durch deutsche Gegenstösse ausgeglichen worden. Immer wieder das gleiche, erst holt sich die eine Front blutige Köpfe, dann wieder die andere. Donnerstag, den 6.Dezember. Waffenruhe an der Ostfront ist jetzt „fait accompli“. Walter schreibt, das Leben wäre tötlich langweilig, kein Schuss fällt, und sie bringen ihre Zeit damit hin, alte Uhren, Taschenmesser und Rasierklingen gegen die herrlichste Seife auszutauschen. Welch

- 220 primitiver Zustand! Sie erwarten täglich ihren Abtransport nach einem anderen Kriegsschauplatz. Es sind wohl schon viele Divisionen herübergekommen. Die Urlaubssperre, welche jedem Urlauber aus dem Westen 10 Tage Nachurlaub gab, ist jetzt zu Ende. Es war rührend, ihre Seligkeit zu sehen, als sie sich am Bahnhof einfanden und die Weisung bekamen, auf weitere zehn Tage nach Hause zu gehen. Einige,und erst recht ihre Frauen,weinten vor Freude. Ich sah nur eine Ausnahme. „Was soll ich hier in Berlin,“ jammerte er. „Draussen geht es mir viel besser, ich bin Koch an einer Feldküche.“ Diesem triftigen Argument hatte ich nichts Besseres gegenüberzustellen. Freitag, den 7.Dezember. Die offizielle Waffenruhe ist von heute Mittag bis zum 17. mittags, und Konferenzen werden täglich abgehalten. Die Entente hat reichlich Zeit mit einzugreifen, wenn sie will. Aber sie wird es nicht wollen, trotz Lord Lansdowne. Es wird ja nicht ganz leicht sein, sich mit den Russen zu vergleichen, aber sie scheiden doch als aktive Feinde aus, ebenso wie Rumänien, das nichts mehr unternehmen kann. „Rumänien kann nicht an der Beute teilnehmen, wenn es nicht in den Krieg eintritt,“ schrieb vor einem Jahr Lord Hardinge an Sir George Buchanan. „There’s many a slip twixt the cup and the lip!”

- 221 Sonntag, den 9.Dezember. Soldaten von der Ostfront wundern sich, dass Berlin die russischen Nachrichten so ruhig und phlegmatisch hinnimmt. Draussen sind sie vor Freude toll. Es dürfte nicht sein, aber ich fürchte, dass man hier die Elastizität und die Ausdauer zu verlieren beginnt, der Hunger nagt doch zu bedenklich. Man kann es noch nicht recht fassen, dass das Licht von Osten kommt.

Montag, den 10.Dezember. Zu unserer grossen Ueberraschung erschien heute Carl Drenckhan direkt aus Oesel, wo er die schwere Artillerie kommandiert hat. Er ist unterwegs nach Magdeburg, wo sein neues Bataillon aufgestellt wird, und hat Agnes gedrahtet, ihn hier zu treffen. Natürlich müssen sie bei uns wohnen. Carl berichtete sehr interessant über die Einnahme von Oesel und Moon. Eine seiner Batterien ist leider auf eine Mine gelaufen und gesunken. Er selbst war gnädig behütet, denn nur ein Zufall verhinderte seine Ueberfahrt auf dem gesunkenen Schiff. Mittwoch, den 12.Dezember. Sie fuhren heute nach Magdeburg. Karl muss dort seine Befehle abwarten. Er hofft auf Italien, ist aber auf den Westen vorbereitet. Er brachte uns eine schöne grosse graue Gans aus Oesel, und Agnes brachte eine Ente, ein Huhn und acht Eier. Besuch, der mehr Lebensmittel dalässt als er konsumiert, ist ganz besonders willkommen.

- 222 Die Türken haben Jerusalem nicht halten können, die Engländer sind dort eingezogen. Donnerstag, den 13.Dezember. Victor v.Koch kam heute aus einem Stuttgarter Lazarett. Er hatte sich einen Kopfschuss am Tagliamento geholt, welcher aber gut geheilt ist. Das Wasser lief mir im Munde zusammen bei seiner Beschreibung von der italienischen Beute, die unsere Truppen überall fanden. Er brachte mir etwas Pfeffer mit – Maccaroni wären mir lieber gewesen. Die Lebensmittelversorgung scheint in Süddeutschland und Württemberg besser zu sein als bei uns. Victor bekam in Stuttgart im Restaurant ein Beefsteak mit Bratkartoffeln ohne Fleischkarte für Mk.3,50. Es klingt wie ein Traum. Sonnabend, den 16.Dezember. Vater brachte heute eine Nachricht von der Bank heim, welche zu gut klingt, um wahr zu sein. Drei Neutrale, einer aus London, einer aus Paris und ein dritter aus Rom hätten gesagt: „Wenn die Deutschen nur wüssten, wie die allgemeine Stimmung in London, Paris und Rom wäre, würden sie jetzt schon die Fahnen heraushängen.“ Montag, den 17.Dezember. Wenn es wahr wäre, dass die allgemeine Stimmung flau ist, lässt Lloyd George uns nichts davon merken. Auf einem Flieger-dîner nannte er uns erst „Verbrecher und Banditen“. Weiter versicherte

- 223 er seinen Hörern, Lord Lansdowne habe seinen Brief gar nicht so gemeint, er habe sich nur schlecht ausgedrückt und wäre mit Wilson ganz d’accord. Ob es Lord Lansdowne angenehm ist, von Lloyd George hören zu müssen, dass er sich auf gut Englisch nicht ausdrücken kann ? Der ‚New Statesman’ sagt, Lansdownes Brief wäre schon vor einem Jahr geschrieben, als Asquith sein Amt niederlegte. Man überredete ihn aber, den Brief noch nicht zu veröffentlichen und erst mal zu sehen, was die Regierung von Lloyd George erreichen würde. Aber jetzt, wo nichts erreicht wäre, wollte er sich mit seiner Ansicht nicht mehr zurückhalten. So weit der ‚New Statesman’. Wer kann es wissen ? Mittwoch, den 19.Dezember. Der vorläufige Friedenstisch ist gedeckt, nicht am Haag oder in Bern, oder in Stockholm, aber in Brest-Litowsk, der östlichste Punkt unserer Front, 1915 von unseren Truppen genommen und von den Russen bei ihrem Rückzuge zerstört. Diese historische Scene kann keiner früheren Friedenskonferenz gleichen. Man stelle sich die deutschen Generäle vor, Prinz Leopold von Bayern und General Hoffmann, in ernster Konklave mit der Mutter der Revolution und Trotzkis Delegierten. Unten am Tische sitzen einige russische Generäle, aber sie werden nur über technische und militärische Fragen konsultiert und reden nur,wenn sie angeredet werden!

- 224 Donnerstag, den 20.Dezember. Der Dean of Worcester, Mr. Inge, ist derselben Ansicht wie Lord Lansdowne. Wenn einmal das Eis gebrochen wäre, wenn einflussreiche Männer in England frei sprechen dürften, würden sie bald eine Gefolgschaft haben. Sonntag, den 23.Dezember. Es hat tagelang geschneit, und wir geniessen die grosse Seltenheit „weisse Weihnachten“. Es sind nicht gar zu viel Vorbereitungen möglich für unsere vierte Kriegsweihnacht. Lebensmittel und Kleidungsstücke sind knapp. Man kann nur Luxussachen kaufen. Möbel sind kaum zu haben, zum Kummer der Heiratskandidaten. Man kann einen schönen antiken Stuhl oder Tisch kaufen, aber nicht Küchen- oder Schlafzimmermöbel. Heilig Abend. Von eins bis sieben war ich am Potsdamer Bahnhof. Urlauber kamen in Bataillonen an. Auf meinem Tisch brannte ein kleiner Weihnachtsbaum,und der Hilfsbund verteilte Zigarren. In allen Bahnhofshallen brannten grosse Bäume, um die Urlauber zu bewillkommnen. Um 7 Uhr lief ich schnell durch den Schnee nach Hause, und wir hatten unsere kleine Bescherung. Um acht setzten wir uns zu Tisch, zu der Gans, die Carl Drenckhan aus Oesel mitgebracht hatte, und während wir diesem Genusse huldigten, kam ein Telegramm von Georgie aus Eisenach, welches seine Ankunft für 10 Uhr 30 meldete. Elsa und ich holten ihn an der Bahn ab, der Zug hatte aber 70 Mi-

- 225 nuten Verspätung. Durchgefroren aber glücklich kam er endlich an. Er hat vier Tage Urlaub. Mittwoch, den 26.Dezember. Wir waren sechzehn Personen zu unserem Weihnachtsessen, und da Rolf und Dieter auch auf Urlaub waren, war es eine vergnügte Gesellschaft. Brüning hatte eine Ricke geschossen, auf dass wir nicht verhungerten. Das Licht von Osten hat uns Mut gemacht,und die Hoffnung, dass eine wahnsinnige Welt langsam zur Besinnung kommt, wächst. Von Walter keine Nachricht, aber seine Division soll am 12. nach Frankreich verladen sein. Freitag, den 28.Dezember. Die vier Urlaubstage waren bald um – Georgie verliess uns heute. Wir werden uns wohl auf eine gewaltige Offensive im Westen gefasst machen, wenn die Entente nicht einsieht, dass weiterer Widerstand nutzlos ist und so Tausende von Leben gerettet werden. Sonnabend, den 29.Dezember. Aus Waffenruhe an der Ostfront ist jetzt Waffenstillstand geworden, und die Friedenskonferenz wird sofort anfangen. Man hat der Entente zehn Tage Frist gegeben, um sich daran zu beteiligen. Jetzt muss Lloyd George Farbe bekennen, denn die demokratischen Prinzipien, für die er so uneigennützig kämpft, werden verwirklicht, wahrscheinlich mehr als für unsere zukünftige Sicherheit

- 226 gut ist. Im Unterhaus stellte Mr.King an Mr.Balfour die Frage, welche Auskunft er über die deutsche „Vielweiberei“ zu geben habe, und sagte ganz offen, es wäre eine Gemeinheit, dass man auf Grund eines Berichtes in einer obskuren neutralen Zeitung, er (Balfour) und seine ehrenwerter Verwandter (Lord Robert Cecil) solche Aussagen verbreiteten. Balfour antwortete, die Frage müsse an seinen ehrenwerten Verwandten gestellt werden, gab sich aber nicht die Mühe zu sagen, dass man (um sich milde auszudrücken) unvorsichtig gewesen war. Wenn die englische Regierung so Stellung nimmt, kann man sich kaum wundern, in der ‚Times’ folgende Worte zu lesen: „Wir erfahren, dass die Deutschen mit charakteristischer Brutalität sich durch sekundäre Heiraten für ihre Verluste entschädigen wollen, d.h. durch Polygamie und allgemeine Prostitution.“ Diese Worte sind gesprochen nicht von dem Teufel in Person, nicht einmal von Rudyard Kipling, sondern von dem bekannten Arzt Sir James Crichton-Browne, bei einer Sitzung der Reichsgesundheitsgesellschaft (National Health Society). Montag, den 31.Dezember. Das schrecklichste Jahr aller Zeiten geht zu Ende und hinterlässt unauslöschliche Spuren auf unsere Herzen, Seelen und Körper, wenigstens auf die älteren Generationen, die Jugend hält dem Sturm

- 227 wunderbar stand. Trotzdem sind wir hoffnungsvoller als vor einem Jahr. Seit unserer Friedensofferte vom Dezember 1916 hat sich die Scene geändert. Russland hat sich von der Bühne zurückgezogen, erstens infolge unserer Siege, zweitens infolge der übertriebenen englischen Kriegsziele. Die Dampfwalze, welche uns zermalmen sollte, ist hors de combat. An der Schwelle von 1916 prophezeite der Chor der Entente-Presse den sicheren Sieg der Entente und den Zusammenbruch Deutschlands, trotzdem jedes Kriegsjahr eine EntenteHoffnung zu Grabe getragen hat, siehe Gallipoli, Rumänien, Italien. Nun klammern sie sich an ihre letzte Hoffnung,Amerika, und schicken gellende Hilferufe über den Atlantik. Lloyd George und Clémenceau geben offen zu, dass nur Amerika Hilfe bringen kann. Ja, es war ein schreckliches Jahr, der eine Lichtpunkt war unsere silberne Hochzeit. Für diesen Tag werde ich immer dankbar sein. Seitdem bedeutet Vaters Gesundheitszustand dauernde Sorge. Die Jungens sind bis jetzt gnädig behütet, die Töchter eine Quelle täglicher Freude. Gestern erhielten wir von Walter Nachricht. Sie sind Heilig Abend in Frankreich angekommen – in seine alte Gegend von 1915, also anscheinend bei Laon.

- 228 -

1918.

- 229 Freitag, den 1.Februar. Der ganze Januar ist verflossen, ohne dass ich ein Wort geschrieben habe. Es werden diejenigen wohl recht behalten, welche behaupten, ich würde mein Tagebuch bis Kriegsende nicht durchführen. Es ist auch schwer, wenn man sich totelend fühlt und in banger, banger Sorge um die Zukunft ist. In der ersten Hälfte Januar fiel sehr viel Schnee, mit den üblichen Verkehrsstörungen als Begleiterscheinungen. Züge blieben auf der Strecke liegen, und Berlin war stundenlang ohne Elektrische. Gefangene und Zivilisten wurden eingesetzt, um den Schnee zu beseitigen, bis Tauwetter, welches die Strassen zuerst in Flüsse verwandelte, ihm endlich ein Ende machte. Vieles hat sich im Januar ereignet und das meiste ist unerfreulich. Brest-Litowsk brachte Enttäuschungen. Zweimal wurden die Verhandlungen abgebrochen. Trotzky und Lenin zeigen sich in ihren wahren Farben, und diese sind durchaus nicht friedlich. Gewisse Ereignisse in Berlin, auf die ich noch zurückkommen werde, zeigen, aus welcher Richtung der Wind weht. Wilson und Lloyd George redeten beide um Neujahr, und beide finden ihre Verlangen höchst mässig. Sie verlangen nur Elsass-Lothringen für Frankreich, das Trentino, Görz und Istrien für Italien, Posen für Polen, Deutschland soll die Kolonien nicht wieder haben, sie sollen bei der Friedenskonferenz eine offene Frage bleiben, und die „Schwarzen“ sollen bestimmen, wem sie zuerteilt werden. Dies letzte ist wirklich das Allernaivste. Wilson ist es noch sehr fraglich, ob wir Rohmaterialien be-

- 230 kommen dürfen! So soll Deutschland für seine Verbrechen bestraft, und wenn dies alles erreicht ist, so soll ihm edel und grossmütig verziehen werden! Ach, wir haben es schon so oft gehört!! Sie warten immer noch auf Amerika, aber sie werden schon etwas nervös. Lebensmittelschlangen sind ihnen ebenso unangenehm wie uns, wenn auch ihre Entbehrungen nichts gegen die unsrigen sind. Frisches Fleisch und Butter und Eier sind knapp, dafür haben sie aber unendlich viel Speck, Reis, Fisch und Gemüse, und zu Preisen, die wir als verschenkt ansehen würden! Habe ich doch eben für einen Schinken Mk. 311 bezahlt, und Fisch haben wir den ganzen Winter nicht gesehen. Der Bischof von London sagte in seinem Neujahrsbrief an seine Diözese: „Die Zukunft der Welt hängt von der Tapferkeit, der Ausdauer, den Hilfsquellen der britischen Nation ab, bis die erste Million amerikanischer Soldaten in Europa landet. Wenn wir jetzt versagen, hätten wir den Krieg besser gar nicht angefangen.“ Etwas Aehnliches vom deutschen Standpunkte sollte unsere Oberste Heeresleitung in ihren Heeresberichten immer wieder sagen, damit es dem deutschen Volke klar würde, dass nur Ausdauer uns retten kann. Ich bin der Ansicht, dass daraufhin nicht genügend gearbeitet wird und – dass man dem Volke die entsetzlichen Gefahren eines verlorenen Krieges nicht genug einprägt. Aber da die amerikanische Hilfe nicht ganz so schnell kommt

- 231 wie gehofft (obgleich sie bestimmt kommen wird), hat die Entente einen neuen Plan ausgebrütet, um die Wartezeit auszufüllen. Es ist ein herrlicher Plan und seiner Anstifter, Lord Northcliffe und Co. würdig. Amerikanische Dollar sind schneller bei der Hand als gut ausgebildete amerikanische Soldaten, also warum nicht die Dollars nehmen und eine grosse deutsche Revolution organisieren ? Dann wird der Krieg schnell beendigt. So war es ganz leicht, trotzdem die Entente äusserlich den Bolschewismus verdammt, Trotzki zu veranlassen, die Friedensverhandlungen mit Deutschland immer wieder hinauszuschieben. Trotzki will ja keinen Frieden mit den Zentralmächten, er will allgemeine Revolution. Er hat sozusagen am offenen Fenster gestanden und seine Revolutionslehre in die Welt geschrieen, und bis zu einem gewissen Grade ist es ihm geglückt. Es fing in Wien mit einem Streik an; und am 28.Januar wurde ein grosser Streik in Berlin organisiert, mit englischem und amerikanischem Geld. Es gibt hier und überall genügend undisziplinierte Köpfe, denen die Geschehnisse in Russland als eine neue Morgendämmerung erscheinen. Es gab in Berlin eine Schiesserei, und leider wurde ein Schutzmann getötet und mehrere verwundet. In Moabit wurden einige elektrische Wagen angegriffen und die Leitungen zerstört. Aber zum Glück brauchte das Militär nicht einzugreifen. Die Verhafteten wurden ziemlich schwer bestraft, und die Drohung, dass, wenn die Arbeit nicht sofort wieder aufgenommen, die Nichterscheinenden eingezogen würden, wirkte ernüchternd. Die Anführer waren meistens

- 232 grüne Jungs und Mädchen. Während dieser Tage besprach ich die Sache wiederholt mit den Urlaubern, die ihre Karten bei mir holten. Es war tröstend, dass sie einstimmig den Streik als kriegsverlängernd verurteilten. „Wenn sie nur wüssten, was es heisst, vor Ypern zu liegen, und die Munition kommt nicht heran,“ sagte einer. Nein, wir wollen hier keine russischen Analogien. Der Revolutionsbazillus ist ebenso ansteckend wie der Influenzabazillus, und der kam zuerst aus Russland. In Petersburg scheint die Anarchie zu herrschen. Es gibt keine Verfassung, kein Gesetz. Die Bolschewisten haben die Maschinengewehre und erreichen alles mit dieser Waffe. Widerstand wird mit dem Peter Paul Gefängnis beantwortet. Das ist russische Freiheit! Es ist eben eine Sklavenrevolte mit den Begleiterscheinungen von Hass, Rache und Grausamkeit, deren nur ein seit Jahrhunderten geknechtetes Proletariat fähig ist. Blut fliesst wie Wasser. Wenn ich an Russland denke, sehe ich immer jene grauenerregende Freske im Campo Santo zu Pisa, das letzte Gericht, ein wildes Gemisch von Armen und Beinen und Folterqualen und verzerrten Gesichtern! Jeder Mann, jede Frau, die sich in den Strassen Petersburgs anständig angezogen, in einem guten Pelz zeigt, wird entkleidet. Mit ähnlichen Zuständen wollen Wilson, Lloyd George und Trotzki uns beglücken. Es wäre ihnen auch beinahe gelungen. Aber Zucht und Ordnung gelten hier immer noch, selbst in einem so hungrigen Volke wie wir es sind. Es sind die unwissenden Horden, die durch Banknoten oder Phrasen oder Maschinengewehre aufgehetzt werden.

- 233 Lloyd George hat mit schönen Worten dem englischen Arbeiter klar gemacht, dass der Militärdienst bis 55 Jahre ausgedehnt werden muss. Nebenbei werden Frauen aller Stände in grossem Masstabe für den freiwilligen Zivildienst zu Hause und hinter der Front in Frankreich organisiert. Sie haben hübsche Uniformen und werden glänzend verpflegt, und der Andrang ist gross. Lloyd George beendete seine Rede an die Arbeiter mit den folgenden Worten : „Wenn irgend jemand in meiner Stellung auf ehrenhafte Weise den Konflikt beenden kann, ohne weiter zu kämpfen, so soll er es in Gottes Namen sagen.“ Nichts desto trotz, Berlin tanzt, ja tanzt, und wir sind keine Ausnahme gewesen, denn neulich empfingen wir nach dem Abendbrot zwanzig junge Mädchen, Elsas Freundinnen, und ebenso viele Offiziere. Sie tanzten nach Herzenslust und wurden mit Tee, Kuchen, Salaten, Bier und Bowle bewirtet. Ich meinte reichlich aufgetischt zu haben, aber es war wie ein Heuschreckenschwarm, das Doppelte wäre vertilgt worden! Vater war zuerst nicht ganz damit einverstanden. Aber er sieht ein, dass die Jugend auch mal ein harmloses Vergnügen haben muss, und sie waren so dankbar und glücklich. Sonntag, den 3.Februar. Walter überraschte uns, indem er aus Altenburg telephonierte, wo er bei einer ErsatzFlieger-Abteilung für die Luft ausgebildet wird. Vater ist entsetzt, aber was ist dabei zu machen ?

- 234 Sonnabend, den 9.Februar. Frieden mit der Ukraine, welche sich gegen das revolutionäre Russland für unabhängig erklärt hat, ist in Brest-Litowsk unterzeichnet worden. Da die Ukraine die HauptKornkammer ist, werden wir hoffentlich von dort Lebensmittel bekommen. Montag, den 11.Februar. „Der Kriegszustand mit ganz Russland beendet“, stand heute über unseren Morgenblättern. Trotzki will keinen formellen Frieden unterschreiben, aber er weiss, dass er jetzt mit einem demoralisierten russischen Heer nichts anfangen kann und hat die Demobilmachung angeordnet. Was er weiter vor hat, bleibt abzuwarten. Donnerstag, den 14.Februar. Professor Bertrand Russell, Sohn des Earl Russell, hat im ‚Tribunal’ geschrieben, dass die Forstsetzung des Krieges eine Katastrophe für England und eine absolute Hegemonie Amerikas bedeuten würde. Für diese einfachen Wahrheiten musste er auf sechs Monate ins Gefängnis wandern und seine Professur in Cambridge niederlegen. Freitag, den 15.Februar. In London kriselt es und Lloyd Georges Stellung ist etwas wackelig. Es handelt sich um die letzte Versailler Konferenz, bei der beschlossen wurde, dass General Foch die Stellung als Generalissimus der ganzen Entente-Armeen bekleiden soll. Die englischen

- 235 Generäle Robertson und Sir Douglas Haig sind entrüstet, dass man sie in Versailles um nichts gefragt hat und dass sie einem französischen Generalissimus unterstehen müssen. Nun hat Colonel Repington, früher Militärsachverständiger der ‚Times’, in der ‚Morning Post’ einen bitteren Angriff auf Lloyd George gemacht, und beschuldigt ihn, die Sicherheit der englischen Armeen gefährdet zu haben. England könne jetzt nur noch einen Defensivkrieg führen, und Lloyd George wäre nicht fähig, England zu regieren. Der Anstifter dieses Angriffs ist der Generalstabschef General Robertson. Er hat infolgedessen seinen Posten niederlegen müssen und Repington ist wegen Hochverrats verhaftet worden. Diese kleinen Meinungsverschiedenheiten in London und Paris können uns nur gut passen. Sonnabend, den 16.Februar. Aus Russland hört man täglich nur Grauenerregendes. Die revolutionäre rote Garde raubt und plündert und mordet. In Finnland, England und Kurland sind die Einwohner in der grössten Gefahr. Männer, Frauen und Kinder werden aus ihren Häusern gerissen und ins Innere verschleppt. Südlich marschieren die Bolschewisten in die Ukraine, um die Rada wegen des Friedens mit Deutschland zu bestrafen. Hier auch Mord und Plünderung, und sie werden wohl die Lebensmittel zerstören, auf die wir hofften. Von allen Seiten gellende Hilferufe. Es ist klar, was Trotzki meinte, als er sagte, der Krieg wä-

- 236 re zu Ende, aber Frieden mache er nicht. Er dachte durch die Demobilisierung des russischen Heeres ein Revolutionsheer zu schaffen. Aber diese Rechnung wird falsch sein. Wir haben genug Truppen an der Ostfront, um den armen Menschen zu Hilfe zu kommen. Dienstag, den 19.Februar. Der Vormarsch ist mit blitzartiger Geschwindigkeit angetreten. Unsere Truppen aus Oesel und Riga marschieren unter General v. Eichhorn auf Dünaburg und Reval. Im Süden kommt Linsingen der Ukraine zu Hilfe. Mit welcher Freude werden sie empfangen. Ihre Anwesenheit bedeutet Gesetz und Ordnung und persönliche Sicherheit, anstatt Mord und Plünderung. Freitag, den 22.Februar. Es hat die gewünschte Wirkung gehabt. Trotzki hat der deutschen Regierung zu verstehen gegeben, dass er unsere Friedensbedingungen annimmt. Warum nicht gleich ? Es ist ihm teuer zu stehen gekommen, denn auf dem Vormarsch haben unsere Truppen wertvolle Beute gefunden, namentlich in Eisenbahnzügen, Maschinen und anderen Transportmitteln. Sonnabend, den 23.Februar. Wir sind ganz „friedlich“ beschäftigt, denn Kühlmann ist nach Bukarest unterwegs, wo der Frieden mit Rumänien verhandelt wird. Dieses schlecht beratene Land kann nichts mehr unternehmen, seit die Ukraine Frieden gemacht hat. Wir werden wohl Garantien für

- 237 die Zukunft verlangen. Rumänien wird wohl die Dobrudscha an Bulgarien abgeben und dafür Bessarabien erhalten. Ferdinand und seine schöne Gattin Maria sind in der Patsche, vielleicht wird es ihnen ihre Kronen kosten. Aber dann können sie ihre Sommer in einem englischen Landhaus, ihre Winter in einer Villa an der Riviera verbringen, ein weit besseres Los als sie verdienen. Sonntag, den 24.Februar. Der Hilfskreuzer „Wolf“ ist nach einer fünfzehn monatigen Kreuztour zurückgekehrt. Und wie oft haben Londoner Minister erklärt, die deutsche Flagge wäre vom Meere weggefegt. Er hat grosse Beute mitgebracht, Gummi, Fette, Kakao usw. Man stelle sich vor, was das heisst, fünfzehn Monate ohne Unterbrechung auf Kaperfahrt zu sein, welche Spannung für Kommandant, Offiziere und Besatzung. Ihre Lebensmittel und Kohlen nahmen sie den versenkten Schiffen ab. Ausserdem brachten sie Gefangene aller Stämme und Farben mit. Mittwoch, den 26.Februar. Der Reichskanzler Graf Hertling hat im Reichstage Worte gesprochen, die nichts mehr oder weniger ein Ultimatum an England sind, dem Frieden ein williges Ohr zu bieten oder die Verantwortung zu tragen. Seine Rede ist mässig, würdevoll, versöhnend und anständig. Graf Hertling kann gehobenen Hauptes seine Sache verteidigen, sie ist eine gute. Aber nie ist die Wahrheit so verdreht und mit

- 238 Füssen getreten worden, als seitens der Entente während der letzten vier Jahre. In ihrem weissglühenden Hass sehen sie nichts als Blut. Hertling dagegen spricht mit der Stimme der Vernunft. Er schlägt persönliche Verhandlungen vor, über Belgien, welches wir nicht die Absicht zu annektieren haben, unser einziger Vorbehalt, dass in Zukunft Belgien nicht als Aufmarschgebiet für feindliche Truppen gelten darf. Aber England verlangt noch immer die Zerstörung der deutschen Flotte, die Fortnahme unserer Kolonien und Elsass-Lothringen, und Wilson verlangt eine neue Weltordnung. So sind wir noch immer polweit entfernt, aber ich hege die leise Hoffnung, dass vielleicht Lord Lansdowne, Lord Buckmaster und Mr.Runciman, welcher letzthin seine Taktik geändert und etwas friedlicher geworden ist, die wütenden Lloyd Georges und Balfours beeinflussen werden. Der deutsche Vormarsch in Nord-Russland hat jetzt Reval erreicht und in derselben Rede konnte der Reichskanzler verkünden, dass die Petersburger Regierung unsere Bedingungen annimmt. Unsere Delegierten sind nach Brest-Litowsk abgereist. Mittwoch, den 27.Februar. Carl und Agnes sind drei Tage hier gewesen, ersterer für einen Gaskursus. Carl steht jetzt bei Cambrai, sein Bataillon hat ganz neue Geschütze, und er sagt, die Vorbereitungen für die Offensive seien erstaunlich.

- 239 Ich hoffe und bete, dass uns diese Offensive erspart bleibt, sie so entsetzlich sein wird, wohl die grösste Kraftprobe, die der Krieg gesehen hat. Das war eben der Refrain von Hertlings Rede, der Welt die Fortdauer des Entsetzens zu ersparen. Sonnabend, den 2.März. Meine Hoffungen, die nie sehr stark waren, sind erschüttert. Balfour hat vorsätzlich jedes Wort in Hertlings Rede missdeutet und will nichts davon wissen. Das letzte und schlimmste Stadium dieser entsetzlichen Geschichte wird uns nicht erspart werden. Ich finde auch keinen Trost in den Worten, die mir neulich eine Astrologin sagte: „Dieser Krieg ist eine Weltkatastrophe, die nur ein Mal in 12 000 Jahren stattfindet.“ Nebenbei prophezeite sie ein baldiges Kriegsende und das Ende der sozialen Kämpfe für April. Hätte sie nicht das letztere gesagt, wäre ich geneigter, das erstere zu glauben. Montag, den 4.März. Frieden mit Russland ist in Brest-Litowsk unterzeichnet. Der zwei Fronten Krieg ist zu Ende, aber die alte Wahrheit, dass die Erwartung schöner ist als die Verwirklichung, bewährt sich. Die Fahnen wehen, aber nirgends helle Freude, kaum ein Kommentar oder Gefühl der Erleichterung. Es ist nur eine selbstverständliche Tatsache, und man wendet sich an das nächste Stadium dieser „strange, eventful history“. Der Gefangenenaustausch soll sobald als möglich stattfinden.

- 240 Es werden wohl Wochen verstreichen, bis die Gefangenen wirklich heimkehren. Erst müssen sie einige Wochen im Quarantäne-Lager verweilen, um Epidemien in Deutschland zu verhindern. Aber ihre Knechtschaft hat doch ein absehbares Ende, und wo immer ein Gefangener zu seinen Lieben heimkehrt, wird Frieden mit Russland eine lebendige Tatsache. Dienstag, den 5.März. Ich sprach heute einen Mann, der drei Jahre in London interniert war. Sie wurden an der Küste von Lincolnshire eingeschifft und während der achtstündigen Ueberfahrt sahen sie kein einziges Schiff. Er erzählte uns, dass London so gut wie ohne frisches Fleisch, Butter, Margarine und Tee wäre, dass aber Brot, Reis, Hülsenfrüchte und Speck reichlich vorhanden seien. London wäre immer noch von der Northcliffe-Presse beherrscht, aber Schottland, Wales und die Provinzen im allgemeinen hätten ganz andere Ansichten. Im grossen ganzen geht es uns nicht ganz so schlecht wie im vorigen Winter. Es war kein Mangel an Kartoffeln. Die gute Ernte und der milde Winter waren günstig. Jeder, der es bezahlen kann, und die meisten scheinen das möglich zu machen, proviantiert sich auf illegitime Weise, heute ein Schinken, morgen Käse und Butter, oder Gelatine oder Zucker. Die Preise sind erschütternd, 15-18 Mk. für ein Pfund Butter! Ich schreibe meine Auslagen nicht mehr an, es ist zu schamlos. Und das sonderbare ist, dass man trotzdem täglich magerer wird.

- 241 Sonntag, den 10.März. Irenes Einsegnung, und Walter hatte zwei Tage Urlaub aus Altenburg. Er ist begeistert von der Fliegerei und hat nette Kameraden. Es ist eben nicht das schlechteste Material, das zu den Fliegern geht. Abends ein kleines Familienessen zu Ehren unseres lieben Babys. Sonnabend, den 16.März. England und Amerika haben alle holländischen Schiffe in britischen, amerikanischen oder neutralen Gewässern beschlagnahmt, und das arme kleine Holland muss sich nolensvolens fügen. Was soll es auch sonst machen ? Der einzige Trost für uns liegt in der Tatsache, dass die Entente-Tonnage langsam und sicher abnimmt. Unsere U-Boote nagen doch ganz beträchtlich. Mittwoch, den 20.März. Die Northcliffe-Presse hat doch einige Feinde in London. In einer Versammlung in der Exeter Hall, um Lord Lansdownes Friedensstandpunkt zu besprechen, sagte Lord Beauchamp: die Northcliffe-Presse wäre eine nationale Schande. Colonel Herbert nannte die Presse „unsere eigenen Hunnen-Zeitungen“. Mr.Philip Snowden kritisierte Balfours Antwort auf Hertlings Rede und sagte: „Die Art und Weise, in welcher der auswärtige Minister die Rede des deutschen Reichskanzlers behandelt hätte, zeige eine erstaunliche Unwissenheit und erkläre die Theorie, dass der ehrenwerte Herr nie die Zeitungen lese.“

- 242 Diese und andere Stimmen sind um so interessanter, als wir uns täglich, stündlich fragen, kommt die Offensive oder nicht ? Graf Hertlings letzte Rede war ein Ultimatum an die Entente im Interesse der Menschlichkeit Vernunft anzunehmen und Verhandlungen anzubahnen. Seine Worte sind leer verhallt. Balfour verhöhnte sie als „Hertlings Gemeinplätze“, der ‚New York Herald’ „Hertlings Geschwätz“. Vor drei Wochen sagte Bonar Law: „Trotz der neuen deutschen Truppen sind wir ihnen jetzt zahlenmässig weit überlegen.“ Da beschleicht uns mich das in diesem Falle unangenehme Gefühl, dass nach Friedrich dem Grossen der liebe Gott immer bei dem stärksten Bataillon ist. Einige Menschen meinen, es wird gar keine Offensive geben. Man weiss es eben nicht, es liegt in Hindenburgs Händen, und er und Ludendorff tun nichts, wofür sie nicht die Verantwortung tragen. Palmsonntag, den 24.März. Wir waren heute alle in Wannsee zu Richard Stahns Einsegnung. Er ist der letzte der jungen Generation. Montag, den 25.März. Die Offensive ist mit blitzartiger Schnelligkeit ausgebrochen und wir haben die britischen Linien durchstossen. 30.000 Gefangene – 60 Kil.Vormarsch! Was die ganzen Entente-Armeen in drei Jahren nicht vollbracht haben, ist Hindenburg und Ludendorff und unseren wackeren Truppen in drei Tagen gelungen.

- 243 Aber die grösste Ueberraschung ist das Bombardement von Paris mit einem Geschütz, welches 120 Kilometer weit schiessen kann. Es scheint keine Grenze zu geben für das, was Krupp fertig bringt. Welche Ueberraschung für die Pariser ! Donnerstag, den 28.März. Bis 70.000 Gefangene. Zum ersten Male seit langer Zeit kein Hohn und keine Prahlerei seitens der Londoner und Pariser Presse. Sie wissen, wie ernst es ist. Amiens ist bedroht, und wenn Amiens fällt, verlieren die französischen und englischen Heere die Verbindung. Charfreitag, den 29. März. Vorläufig eine Ruhepause, wohl um die schwere Artillerie vorzubringen. Das muss ja in der verwüsteten Somme-Gegend eine Titanenarbeit sein. Ostersonntag, und ein herrlicher Frühlingstag. Elsa und ich gingen Abends in „Parsifal“. Es war über alle Massen schön. So neigt sich das erste Vierteljahr seinem Ende. Die schnell fliegenden Tage sind das einzige Gute in dieser schrecklichen Zeit. Montag, den 8.April. Walter schreibt beglückt über sein Leben in der Luft. Er flog neulich über Weimar und dachte gewiss an die schönen Herbst-

- 244 ferien 1912, die er und Elsa und ich dort und in Thüringen verbrachten. Wie fern liegt das jetzt alles! Wann wird es wieder möglich sein, zu wandern und zu reisen, ein leeres Coupé oder eine Droschke zu finden, und in ein Hotel einzutretenkehren, ohne zu debattieren, ob es etwas zu essen geben wird ? Mittwoch, den 10.April. Es ist ein furchtbarer Kampf, aber wir scheinen weiter zu kommen. Der Weg nach Amiens ist noch immer mit französischen Reservetruppen gesperrt, welche General Foch, der Oberbefehlshaber der ganzen Entente-Truppen, dorthin gesandt hat. Im Norden sind wir auch durchgebrochen und sind in der Nähe von Armentières; wir haben die dortigen portugiesischen Truppen verhauen. Sonntag, den 14.April. Armentières ist gefallen. Die wundervollen englischen Lebensmittel und Vorräte, die unsere Truppen überall finden, sind ihnen ein grosser Trost. Das Beste vom Besten, auch Depôts von Kupfer, Gummi und andere nützliche Sachen. Der Sommer ist auf einmal da, Obstbäume in voller Blüte, alles in Sonne gebadet. Ich verlebte einen reizenden Nachmittag in Potsdam bei Zitzewitz’. Er ist da Polizeipräsident. Welch Kontrast zwischen diesem himmlischen Wetter und dem Elend da draussen!

- 245 Montag, den 22.April. Ein Geburtstagsbrief von Georgie aus Brüssel, wohin Major Clausius ihn geschickt hatte. Er sagt, Brüssel wäre die eleganteste Stadt, die er je sah, und genoss das Theater, die Restaurants und den Anblick der eleganten Frauen. Er hat an mich ein Lebensmittelpaket abgeschickt. Donnerstag, den 25.April. Die Deutsche Bank erklärt eine Dividende von 14 %, die höchste, die je da war. Was wird Sir William Plender dazu sagen ? Die ‚Financial News’ hatte vor einigen Tagen einen gemeinen Artikel über die Direktoren der deutschen Banken, die in London noch frei sind. Sie ständen auf demselben Niveau wie die Deutschen, die belgische Frauen geschändet und belgische Kinder verstümmelt hätten. Legitime Propaganda, um das Herz des Mannes von der Strasse zu erfreuen! Wir haben noch viel zu lernen! Das warme Wetter hat die Rau Raupenplage, die Berlin seit drei Jahren heimsucht, in verstärktem Masse hervorgebracht. Der Tiergarten ist unmöglich geworden, jede Bank mit Raupen bedeckt, und die Bäume werden bald kahl gefressen sein. Sonnabend, den 27.April. Die achte Kriegsanleihe hat den Rekord geschlagen, 14½ Milliarden Mark. Braucht unsere Weigerung, uns vernichten zu lassen, weiteren Beweis ? Und die britischen Truppen ziehen sich bei Ypern mit entsetzlichen Verlusten zurück.

- 246 Die schmerzliche Nachricht von Manfred von Richthofens Tod, nachdem er 80 feindliche Flugzeuge abgeschossen hatte, berührte beinahe, als hätte man ihn persönlich gekannt. Er war ein so intimer, lebendiger Held. Der Kemmel, der höchste Punkt bei Ypern, ist im Sturm genommen. Nach britischen Armeebefehlen sollte er unter allen Umständen gehalten werden. General Foch hat Reserven schicken müssen, um die englische Front zu verstärken. Donnerstag, den 9.Mai. (W.T.B.) Berlin. 8.Mai. „Ein aus dem Sperrgebiet um die Azoren zurückgekehrter Kreuzer, Kommandant Korvettenkapitän Eckelmann, hat dort 9 wertvolle Dampfer und 7 Segler von 38.747 Br.Reg.To. sowie das italienische Hilfskriegsschiff „Sterope“ von 9500 Br.Reg.To. insgesamt Frachtraum von 48.247 Br.Reg.To. versenkt. Die versenkten Ladungen bestanden, soweit festgestellt werden konnte, aus 9700 Tonnen Getreide, 7500 Tonnen Mehl, 5000 Tonnen Reis, 6000 Tonnen Messing und Draht, 10.000 Tonnen Naphta, 700 Tonnen Baumwolle, 450 Tonnen Nutzhölzer; 45 Tonnen Messing wurden für die heimische Kriegswirtschaft mitgebracht. Der Chef des Admiralstabs der Marine.“ Gertrud schreibt, sie hätte während der ganzen Kreuzerfahrt nichts von Erich gehört, und während hundertelf Tagen hätte er nicht ein Mal die Kleider vom Leibe gehabt. Welche Freude muss

- 246 seine Heimkehr gewesen sein. Sonnabend, den 11.Mai. Walter kam heute auf zwei Tage, unterwegs nach Jüterbog, wo der nächste Fliegerkursus stattfindet. In Altenburg hat er einen Schneider gefunden, der noch ziemlich viel Stoffe am Lager hatte, und er nahm die Gelegenheit wahr, sich mit Zivilkleidung auszustatten. Wenn ich für den Meter Mk.100 bezahlen will, kann ich auch noch Stoffe bekommen, und ich werde wohl die Gelegenheit wahrnehmen und mir etwas zulegen. Unsere Schuhe wurden jetzt mit Irenes alter Schulmappe besohlt. Montag, den 13.Mai. Georgie hat einen interessanten neuen Posten in Lille, als Nachrichten-Offizier beim A.O.K.6. Er bekam den Posten à conto seiner Zweisprachlichkeit. Er wird aber wohl nur von kurzer Dauer sein, denn wenn unsere Offensive da nicht fortschreitet, geht die Arbeit zu Ende. Donnerstag, den 16.Mai. Wir sind gestern alle nach Schönholz gefahren. Die Reiseschwierigkeiten haben sich vergrössert. Wir stehen nicht mehr nach Lebensmitteln, man steht jetzt nach Fahrkarten, stundenlange Schlangen vor den Schaltern!

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vor den Schaltern! Gemüse und Obst sind sehr vielversprechend, und das ist ja die Hauptsache, sonst ist mein wundervoller Garten eine Wüste, wenigstens in meinen anspruchsvollen Augen. Vater schoss heute morgen gleich einen Rehbock, was mich ganz besonders erfreute, weniger des Bockes wegen, als dass er der Anstrengung fähig war. Es geht ihm wirklich viel besser. Montag, den 20.Mai. Walter ist aus Jüterbog gekommen, auf zwei Tage Pfingsturlaub. Dienstag, den 21.Mai. Gülitz, das Gut und das Dorf , bewirtete heute die Perleberger Lazarette. Die transportfähigen Verwundeten, ungefähr 100 Mann, mit dem Stabsarzt und vier Schwestern wurden in Vahrnow mit bekränzten Wagen abgeholt und zum Mittagessen unter den verschiedenen Haushaltungen verteilt. Nachmittags fand im Dorfkrug eine Aufführung statt, und Herr von Winterfeld hielt eine Ansprache. Dann wurde im Freien getanzt und Kaffee getrunken. Die Hausfrauen hatten Berge von Kuchen gebacken. Es zeigt, wie viel Mehl sie für ihre eigenen Zwecke bei Seite schaffen. Ich würde es ebenso machen, wenn ich das Korn baute Donnerstag, den 23.Mai. Es ist immer noch sehr heiss, und wir brauchen dringend Regen.

- 249 Zwei Offiziere vom 39.Art.Reg. in Perleberg, Hauptmann Pogge und Leutnant v. Brockdorff, besuchten uns heute zu Kaffee und Abendbrot. Sie sind beide verwundet gewesen, ersterer sehr schwer vor anderthalb Jahren in Rumänien, und machen jetzt Garnisondienst. Wir leben jetzt hauptsächlich von Spargel, oder wie Irene sagt. „Mittags Spargel ohne Butter, Abends Spargelsalat (mit etwas Essig).“ Montag, den 27.Mai. Georgie erschien ganz unerwartet auf drei Tage Urlaub. Sein Posten in Lille ist zu Ende, und er geht jetzt zum Inf.Reg.83 zurück. In Lille hatte er viele englische Gefangene zu vernehmen, meistens Minenarbeiter aus Durham und Yorkshire. Sie beschimpften Lloyd George und sagten, die Gefangenenbehandlung wäre besser, als sie nach den englischen Zeitungsberichten erwartet hätten. „Do you know Yorkshire pudding, Sir ?“ fragte ein biederer Minenarbeiter. “Of course, J do,” sagte Georgie. “Well, Sir, Yorkshire pudding if it be right, should be just a piece of fluff.” Wir sind doch meistens ganz unkomplizierte Menschen, ob Freund oder Feind! Dienstag, den 4.Juni. Wir haben letzthin schreckliches Wetter gehabt, statt heiss und trocken war es immer kalt und trocken, mit Nachtfrösten, denen die Bohnen und Tomaten zum Opfer gefallen sind, und das Korn

- 250 wird notreif werden, wenn wir nicht bald warmen Regen bekommen. Freitag, den 7.Juni. Nach langer Pause ist die Offensive wieder aufgenommen, zwischen La Fère und Laon und die Chemin des Dames, und 45.000 Gefangene fielen in unsere Hände. Dienstag, den 11.Juni. Georgie schreibt, dass er auf der Suche nach seinem Regiment, welches jetzt bei Reims liegt, durch viele zerstörte Gegenden gekommen ist, und er betrauerte den Verlust der schönen alten Städte und Kirchen. „C’est la gare“, wie die Soldaten sagen, aber keiner gewöhnt sich daran, es ist schrecklich wie am ersten Tage. England hat einen neuen Propheten in der Person von Lord Denbigh, dessen Mission es ist, Friedensneigungen entgegen zu wirken. Er reist von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf, Vorträge haltend, in denen er die deutschen Verbrechen und den deutschen Wunsch „die Welt zu beherrschen“ berichtet. Deutschland müsse ein für allemal vernichtet werden. Wir müssten hier auch gottbegnadete Redner haben, die das Durchhalten predigen. Das Wort wird leider bei uns sehr unterschätzt. Freitag, den 14.Juni. Wir fuhren heute mit Elsa und Irene nach Berlin, um etwas von Walter zu sehen, so lange er noch in Jüterbog ist. Wir brach-

- 251 ten circa zwei Zentner Erdbeeren mit und telephonierten an alle Bekannten, sie möchten Erdbeeren abholen, was sie sich nicht zweimal sagen liessen. Sonnabend, den 22.Juni. Berlin hat weder Gemüse noch Obst. Ein Salatkopf oder eine Handvoll Kohlrabi kosten ein Vermögen. Wir haben zweimal im Restaurant gegessen, aber die Rechnungen sind zu beschämend. Wie können die kleinen Einkommen überhaupt leben ? Und wie erschreckend elend und ausgemergelt sehen sie aus! Mittwoch, den 26.Juni. Elsas 21.Geburtstag. Sie hatte sich Gäste eingeladen. Walter kam zum Abendbrot und raubte uns den Atem, indem er sich für den kommenden Sonnabend eine Tanzerei ausbat! Er würde aus Jüterbog drei Kameraden mitbringen, für alles andere müssten wir sorgen“ Vater und ich waren erst dagegen. Selbst in der einfachsten Art und Weise geht es uns gegen den Strich, tanzen zu lassen,während draussen diese furchtbare Offensive tobt. Wiederum schlage ich ihm nicht gern die Bitte ab, wer weiss, wann ich ihm wieder eine Freude machen kann. Wir telephonierten unsere Einladungen, und Elsa und ich besprachen die Verpflegung, das heisst, wie viel Kuchen wir mit wie wenig Material zustande bringen könnten. Sonntag, den 30 Juni. Es war ein sehr netter Abend, und die Erdeerbowle fand

- 252 grossen Anklang. Wir hatten mein ganzes Mehl verbacken, bis zum letzten Gramm. Walter war ein reizender Wirt und tanzt gut. Montag, den 1.Juli. Wieder in Schönholz, der Regen der letzten Tage hat dem Korn sehr geholfen. Es sieht alles erholt aus. In Berlin hat alles „spanische Grippe“. Sonnabend, den 6.Juli. Walters Kursus in Jüterbog ist zu Ende und er hat 14 Tage Urlaub. Er hat schwere Grippe gehabt, zusammen mit 60 Kameraden. Er hustet noch fürchterlich, es ist gut, dass er sich hier erholen kann. Elsa ist so elend und bleichsüchtig, dass wir beschlossen haben, sie im August nach Pyrmont zu schicken. Irene dagegen ist in gutem Zustand. Sind es die Kartoffeln, die sie in solch alarmierenden Mengen vertilgt ? Montag, den 8.Juli. Graf Mirbach, der deutsche Botschafter in Moskau, der jetzige Sitz der russischen Regierung, ist dort von Agenten der Entente ermordet worden. Politische Morde sind der Entente nichts Neues, man braucht nur die Namen Sarajewo, Jaurès, Witte zu nennen, oder Findlays missglückten Versuch, Sir Roger Casement zu beseitigen. Sie haben überall ihre Werkzeuge, und für Geld kann man alles haben. Bedenkliche Hindernisse scheinen sich im Osten vor uns auf-

- 253 zutürmen. Sonnabend, den 13.Juli. Georgie ist wieder bei seinem alten Regiment und seiner Schwadron. Sie sind ganz nahe bei Reims und kampieren in wunderschönen erbeuteten englischen Zelten. Sie erwarten täglich einen neuen Vorstoss auf Reims zu machen. Die französische und amerikanische Kanonade wäre überwältigend, und die Luft schwarz von Fliegern. Mittwoch, den 17.Juli. Der Vormarsch auf Reims hat erfolgreich eingesetzt, 12.000 Gefangene. Donnerstag, den 18.Juli. Der Zar ist in Ykaterinburg von revolutionären Truppen erschossen worden. Man kann sich kaum darüber wundern. Letzten Endes war er als Schwächling das Opfer eines unvermeidlichen Schicksals, von denen zu Grunde gerichtet, welche die Kriegsflamme anfachten. Es ist merkwürdig, dass seine früheren Alliierten, die Entente, die vor drei Jahren ihn als ihren geliebtesten aller Verbündeten priesen, keinen Schritt getan haben, ihn zu retten. Die allmächtige britische Flotte hätte doch beim Ausbruch der Revolution ein paar Kriegsschiffe nach Kronstadt schicken und ihn und seine Familie nach England bringen können. Aber vielleicht fürchteten sie in der Ostsee einen zweiten Skagerack zu erleben. Je-

- 254 denfalls haben sie „den Herrscher aller Reussen“, da Russland ihnen nichts mehr nützen kann, wie einen Hund verrecken lassen. Niemand weiss, wo die Zarin und ihre Töchter sind und der arme kleine Unglückswurm, der Zarewitsch. Sonnabend, den 20.Juli. Eine bittere Enttäuschung! Foch hat einen Gegenstoss gemacht, und unsere Truppen mussten, um einer Umzingelung zu entgehen, zurückgenommen werden. Foch hat eine Offensive angefangen, in einem Masstabe, die seinen unerschöpflichen Reserven entspricht. Franzosen, Amerikaner, Engländer, Neger aller Schattierungen, Kanadier, Australier! Es sind jetzt über eine Million Amerikaner in Frankreich. Und was für Truppen! Die bestgewachsenen, wohlgenährtesten amerikanischen Bürger, im Alter von 20 – 30 Jahren, und Millionen noch in Reserve.! Wie sehen unsere Reserven aus ? 18 jährige Jungens und ältere Männer, und alle halb verhungert! Dass wir uns überhaupt halten, ist ein Wunder. Donnerstag, den 25.Juli. Ich ging mit Walter nach Berlin, und abends fuhr er ab nach A..... ?? in Belgien, wo ein letzter 14 tägiger Kursus stattfindet. Dann wird er einer Fliegerabteilung zugeteilt. Er hat noch immer sein hübsches Jungensgesicht, und ist in diesen vier Jahren auch nicht einen Tag älter geworden. Seine Kameraden sagten mir, er hätte brillante Zeugnisse aus Altenburg und Jüterbog.

- 255 Freitag, den 26.Juli. In Schönholz fand ich zwei Briefe von Georgie, der erste beglückt über den erfolgreichen Vorstoss auf ..... ?? , der zweite ..... ?? enttäuscht über den Rückzug. Er sagt, die letzten zwei Monate wären das Entsetzlichste der ganzen vier Kriegsjahre gewesen. Sonntag, den 28.Juli. Pfarrer .... ?? ist ganz unerwartet in Berlin nach einer Blinddarmoperation gestorben. Nach vier Jahren im Grossen Hauptquartier hatte er im Mai seine Tätigkeit bei der Gemeinde wieder aufgenommen und hielt im Juni eine Versammlung ab für seine vielen ?? Konfirmationen. Wir betrauern ihn sehr, als Mensch und als Kanzelredner. Montag, den 29.Juli. Die heutige Post brachte uns Nachrichten über Georgie darin einen Brief seines Rittmeisters. Nachdem er ihn als treu ?? und als Freund sehr lobte, sagte er, dass Georgie in den letzten schweren Tagen durch seine Aufklärungsarbeit in dem fürchterlichsten Feuer der Division grosse Dienste geleistet habe. Er wäre dankbar, dass er ihn lebend wiederbekommen habe und hat ihn sofort für das H.T.I ?? eingegeben. Jetzt wäre Georgie mit Grippe zusammengebrochen und sollte ins Lazarett gebracht werden. Die Grippe hat sich zu einer wahren ..... ?? entwickelt, die ..... ?? Opfer im Felde und in der Heimat fordert, gerade die Jüngsten und Gesündesten werden davon gepackt.

- 256 Mittwoch, den 31.Juli. General v.Eichhorn und sein Adjutant sind auf der Strasse in Kieff von einem bezahlten Agenten der Entente ermordet worden. Wer wird wohl der nächste Offizier Opfer sein ? Er war ein grosser Soldat und eine wertvolle Persönlichkeit. Seine im vorigen Jahr verstorbene Schwiegertochter hat mir oft von ihm erzählt. Englische Truppen sind in Archangel gelandet. England will durchaus Russland erneut als feindliche Macht gegen Deutschland aufstellen, und Amerika hilft hier wie überall. Lord Derby, der englische Botschafter in Paris, hielt in Liverpool eine Rede, worin er den Handelskrieg gegen Deutschland nach unterzeichnetem Frieden befürwortete. Unter keiner Bedingung dürfe Deutschland Rohmaterialien einführen. Dabei spricht man in England und Amerika von „Völkerbund“, „Humanität“, „Gerechtigkeit“, „idealem Frieden“! Frieden und Völkerbund auf dieser Basis ist ein missgeborener Sohn des Teufels. Er bedeutet unsere Aushungerung und Vernichtung. Donnerstag, den 1.August. Ein neues Kriegsjahr beginnt. Wir halten uns aufrecht, von dem moralischen Wunder beseelt, das grösste, das die Welt je sah, den Feinden immer noch standzuhalten. Und so werden wir fortfahren, bis zum letzten, und dann wird Britannien den herrlichen Triumph haben, dass es ihm 100.000 zu eins gekostet hat, an Männern, an Material und an Geld, um ein

- 257 kleines Deutschland zu besiegen. Wahrhaftig, eine göttliche Tat! Sonnabend, den 3.August. Ruhig und äusserlich friedvoll ist hier unser Leben. Obst ernten und einmachen füllen die Tage aus. Zu 5 Mk. das Pfund habe ich so viel Zucker kaufen können als ich brauchte, und wir machen die herrlichste Marmelade. Viel Marmelade auf viel zu wenig Brot gibt uns den nötigen Zucker in gesunder Form; und das Obst würde ja sonst verkommen. Dienstag, den 6.August. Während die Entente-Presse mit dem Kriegsruf Demokratie erschallt, feiert Präsident Wilson wahre autokratische Orgien. Er kommandiert das Herr und die Flotte, er regelt die Industrien. Aber er beherrscht nicht nur das Material, er beherrscht auch den Geist. Wer sich seiner Allmacht nicht beugt, wird gefesselt. Er ist ein plutokratisch republikanischer Inquisitor, der die spanische Inquisition in den Schatten stellt. Die wenigsten wagen ein Wort des Protests. Einer der wenigen, Senator Brandeyce sagte in einer Senatssitzung vor einigen Wochen, die Senatoren seien abgerichtete Pudel in Wilsons Hundezirkus, und der Präsident entfalte mehr Macht als irgend ein Monarch auf Erden. In seinem Namen sterben Hunderttausende auf den Schlachtfeldern Frankreichs, in seinem Namen bersten täglich Tausende von Granaten in den deutschen Gräben, er versorgt die Entente-Heere, er ernährt ihre Völker. Er schwingt die Hungerpeitsche über die

- 258 Neutralen, und selbst Lloyd George und Clémenceau, geringere Despoten, müssen nach seiner Pfeife tanzen. Vier Jahre lang hat der grösste Despot der Geschichte dem Blutvergiessen zugesehen, wohl wissend, dass er allein das Wort Frieden aussprechen könne, aber er will nicht sprechen, bis er seine Mission erfüllt hat. Noch nie hat ein Demokrat gelebt, der den Begriff Demokratie so in Misskredit gebracht hat, als dieser allmächtige Präsident des demokratischsten aller Staaten. Freitag, den 9.August. Man fängt bei uns endlich an, einzusehen, dass nichts gemacht wird, um der RedePropaganda der Entente entgegenzuwirken. Wenn Bonar Law auf einem offiziellen Dîner oder Frühstück sagt, dass nach Unterzeichnung des Friedens die Deutschen als Abschaum der Menschheit zu behandeln sind, so sagt unsere Regierung – nichts! Unsere Regierung sagt nie etwas. Aber Bonar Law und Konsorten wissen ganz genau, warum sie so sprechen. Es macht sich tausendfach bezahlt, ist ein wohldurchdachtes System. Die Menschen dieser Erde sind zumeist nicht Philosophen, sondern untrainierte Massen. Sie sagen sich: Wenn die Deutschen auf diese Insulten mit keiner Silbe antworten, müssen sie sich schuldig fühlen. Das ist nur logisch. Und unsere Regierung schweigt. Unsere Zeitungen bringen von Zeit zu Zeit gut geschriebene anständige Erwiderungen, aber das hilft uns nicht im geringsten.

- 259 Jede verleumdende englische oder amerikanische Rede müsste innerhalb 24 Stunden von einem verantwortlichen deutschen Staatsmann erwidert werden. Selbstverständlich ist in England das ganze System ein anderes. Klubs und Komitees, Körperschaften und Behörden frühstücken und dinieren zusammen bei jeder Gelegenheit. Es ist eben ein schwer reiches und geselliges Land, und weiss Gott, sie haben auch viel mehr zu frühstücken und zu dinieren als wir! Während des ersten Kriegsjahres konnte England 80.000 Propaganda-Vorträge in allen Teilen des Landes halten lassen. Das Wort wird eben von frühester Jugend an dort gepflegt, und das Resultat ist ein politisch weit geschulteres Volk als wir es sind. Jeder Engländer weiss, dass er nicht ethische Fragen auf einem Weltkongress behandelt, sondern dass er Krieg führt und dass es seine Pflicht ist, den Feind zu schlagen wo und wie er kann. Wenn mal hier eine ganz vereinzelte Rede gehalten wird, so erklärt der Redner meistens, er habe nicht die Absicht, die Insulten der feindlichen Staatsmänner nachzuahmen. Sehr anständig, aber ganz unangebracht. Der Gegner lacht uns einfach aus. Wir sind der Ansicht, dass es nicht so weiter gehen kann. Und in Amerika hat die Kriegshysterie eine Höhe erreicht, die sogar England und Frankreich weit übertrifft. Sonnabend, den 10.August. Wir gehen immer weiter zurück, die im März eroberten Gebiete werden preisgegeben, um Truppen und Geschütze zu retten. Georgie schreibt, es wäre so ungemütlich im Lazarett gewesen,

- 260 dass er dort nur drei Tage verblieb. Wir können ihn täglich auf Urlaub erwarten. Montag, den 12.August. Elsa ist heute nach Pyrmont gefahren, wo sie die Kur gebrauchen soll. Mittwoch, den 14.August. Georgie kam heute, zu unserer Ueberraschung auch Walter bis auf Abruf. Es ist nett, beide Jungens hier zu haben. Georgie sieht sehr angegriffen und sehr ernst aus, was nicht zu verwundern ist. Freitag, den 16.August. Wie zu erwarten war, kam heute für Walter telegraphischer Befehl, sich sofort bei einem Armeeflugpark zu melden – schweren Herzens sahen wir ihn gehen. Montag, den 19.August. Vor einigen Wochen kam die – ich will nicht sagen überraschende Nachricht, denn heute kann uns nichts mehr überraschen, dass England den Befehl an China erlassen habe, alle deutschen Untertanen in China nach Australien zur Internierung auszuliefern. Nur um den deutschen Handel, den deutschen Einfluss in China auszurotten, verlangt England diesen Schritt seitens der chnesischen Regierung. Aber zum Glück haben wir eine Waffe, die als Ver-

- 261 geltungsmassregel benutzt werden kann. Im Juni konferierten im Haag die deutschen, französischen und englischen Delegierten über den Gefangenenaustausch. Mit vieler Mühe wurde ein befriedigendes Ergebnis beschlossen. Solche, die über 18 Monate in Gefangenschaft waren, sollen Mann für Mann ausgetauscht werden, ebenfalls die Zivilgefangenen. Ruhleben wird ganz geschlossen. Selbstverständlich muss dieses Uebereinkommen von den einzelnen Regierungen ratifiziert werden. Die deutsche Regierung hat nun auf üblichem Wege der englischen Regierung mitteilen lassen, dass wenn die englische Regierung dieses scheussliche Vorgehen in China nicht rückgängig macht, die deutsche Regierung den Gefangenen-Austausch nicht ratifizieren wird. Diese Drohung hat gewirkt, denn die britische Regierung kabelte der chinesischen Regierung, die Verschickung zu unterlassen. In England ist man wütend, nach den vielen Briefen, die in der ‚Times’ erscheinen, zu urteilen, welche einstimmig behaupten, England dürfe sich nicht einschüchtern lassen, die Sache ginge nur China an, mit dem Gefangenen-Austausch hätte sie gar nichts zu tun!! Als ob es China eingefallen wäre, die Deutschen nach Australien zu verschicken ohne Englands Befehl! Das Traurige ist, dass das Schicksal der armen Gefangenen fraglich geworden ist durch diesen hässlichen Vorfall. Dienstag, den 20.August. Heute fing die Hühnerjagd an. Vater und Georgie und Brüning zogen los, mit ganz minimalem Erfolg. Was ist in diesen vier Jah-

- 262 ren aus unserer schönen Jagd geworden ? Mittwoch, den 21.August. Unser letzter Verleumder im House of Commons war Balfour, und es war wohldurchdachte und bösartige Verleumdung. Er schloss mit den Worten: „Der Abgrund zwischen den Alliierten und den Zentralmächten ist so tief, dass er nie und nimmer überbrückt werden kann.“ Das ist der Geist, den Balfour verewigen will, ein Krieg der Vernichtung. Und englische Ohren, in gehobener Stimmung durch die letzten mit Amerikas Hilfe militärischen Erfolge, lauschen bereitwillig. Die Lansdownes und Beauchamps und Buckmasters und Snowdens finden kein Gehör, die „Knock-out“-Theorie ist Trumph! Aber dieses Mal hat der Kolonialminister Dr. Solf Balfours Rede beantwortet, Punkt für Punkt, mit ihren Verleumdungen und Verdrehungen. Ich glaube nicht, dass die NorthcliffePresse Solfs Rede abdrucken wird, höchstens in ganz kurzen Auszügen. Sie werden es wahrscheinlich ein deutsches „Gequieke nach Frieden“ nennen. Das ist der übliche Ausdruck, wenn irgend jemand einen Verständigungsfrieden befürwortet. Solfs Rede hat unsere Herzen erwärmt, die nach einem Worte zur rechten Zeit lechzten. Sonnabend, den 24.August. Wir haben sehr schlechtes Erntewetter. Weizen und Hafer sind noch nicht eingefahren und wachsen schon aus infolge der täglichen

- 263 regengüsse. Wie gern hätten wir im April und Mai diesen Regen gehabt. Es hat sich doch alles gegen uns verschworen. Montag, den 26.August. Heute ist Grannys 70.Geburtstag. Sie schreibt so selten und die Briefe sind so mager und nichtssagend. Ich glaube man hat drüben grosse Angst vor dem Zensor, viel mehr als bei uns. Georgie fuhr heute nach Pyrmont, um ein paar Tage mit Elsa zu verleben. Mittwoch, den 28.August. In Amerika sind jetzt so viele Fälle von Lynchjustiz mit dem begleitenden „tarring und flathering“, dass Wilson dagegen Protest erhoben hat. Aber auf eine Art und Weise, die uns die Fäuste ballen macht. Er hat die Stirn gehabt zu sagen, dass das deutsche Heer ein Heer von Lynchern ist und dass die amerikanischen Lyncher nur dem schamlosen deutschen Beispiel gefolgt sind. Oh Gott, nehmen diese Infamien kein Ende ? Sonntag, den 1.September. Unser Rückzug geht ruhig weiter. Die Entente-Truppen machen Fortschritte, und ihr Triumphgeheul, ihre Vernichtungsrufe sind im gleichen Verhältnis. Ihre Presse feiert wahre Orgien von Hass und Wut, von bombastischem Stolz für ihre Leistungen begleitet. Das magische Losungswort „Völkerbund“, welches das goldene Zeitalter heraufbeschwören sollte, wird auf einmal unpopulär in England. Dank Amerikas glaubt die Entente uns ein für allemal zu

- 264 vernichten, ökonomisch aus uns eine „quantité négligeable“ zu machen, also kann man das sozialistische Ideal fallen lassen. Das war ganz schön, aber deutsche Vernichtung ist viel besser. Mittwoch, den 4.September. Die Zustände in Russland spotten jeder Beschreibung. Die Alliierten haben nur das eine Interesse, das Chaos zu verschlimmern. Es ist alles egal, wenn es ihnen nur gelingt, eine neue Front gegen Deutschland aufzustellen. Die englischen Vertreter bei der Moskauer Regierung benutzen ihre diplomatische Immunität, um neue Intrigen auszubrüten. Man fälscht Dokumente, man bietet Millionen von Rubel an willige Werkzeuge. Auf die Köpfe von Lenin und andere Sowjetmitglieder werden Preise gesetzt. Es wurde auch ein Attentat auf Lenin verübt, aber er wurde nur leicht verwundet. Die Hauptanstifter sind die Herren Lockhart und Ragley von der englischen Botschaft. Sie wurden von der Sowjetregierung festgenommen, aber à conto ihrer diplomatischen Immunität wieder freigelassen. Ich bin neugierig, was Lord Robert Cecil sagen wird, wenn im Unterhause ein Mitglied Fragen über Russland an ihn stellt. Aber ich vergesse, das Parlament ist ja in Ferien gegangen. Dabei fällt mir ein, dass am letzten Sitzungstage Anfang des Monats eine Friedensdebatte stattfand. Die englischen Zeitungen brachten nur ganz knappe Auszüge aus Ponsonby’s und anderen Reden. Den vollständigen Text bekamen wir durch die holländische Presse. Georgie kam gestern aus Pyrmont, um sich zu verabschieden und fuhr heute ab. Er hat sich schön erholt. Er wird sein Regiment

- 265 suchen müssen, er meint irgendwo an der Somme Sonntag, den 8.September. Bis zum gewissen Grade spielt Amerika jetzt die Rolle England gegenüber, die England vier Jahre lang Frankreich gegenüber gespielt hat – ich meine als Kriegshetzer. Es gibt in England gewiss genug Menschen, welche die Gefahr erkennen, die darin liegt, sich mit Haut und Haar an Amerika zu verkaufen. Jetzt schon übertrifft der amerikanische Tonnengehalt den englischen. Das muss sich die Nation gefallen lassen, die uns zur Vernichtung verdammte, weil zu viele deutsche Flaggen auf hoher See wehten! „We must go on killing Germans!“ Wie oft habe ich diese Worte in der englischen Presse gelesen. Denn jeder tote Deutsche bedeutet einen Konkurrenten weniger. Und wenn wir alle tot sind, oder was dasselbe bedeutet, durch gewaltigste Uebermacht und wohl erwogene Aushungerung niedergeschlagen, so werden für jeden toten Deutschen hundert schlaue Yankees aufsteigen, die ihre Finger in jedes Geschäft, in jede Werft, in jeden Hafen stecken. „Die ich rief, die Geister, werd’ ich nun nicht los!“ Amerika ist Trumph, Amerika schwingt die Hetzpeitsche über widerspenstige und kriegsmüde Seelen. Und der Kriegsrausch hat sie geerfasst in einer Weise, die nur bei einem Volke, das den Krieg nicht kennt, möglich ist. Woher sollen sie auch den Krieg kennen – eine Geschichte, eine Tradition haben sie nicht. Die Hunderttausende Amerikaner, die in Frankreich gelandet werden, sollen die russische Dampfwalze ersetzen. Es sind die fri-

- 266 schesten, gesündesten, bestgenährten Truppen, die mit der Zeit den Widerstand des deutschen Heeres untergraben müssen. Was unsere Soldaten vier Jahre lang unter den furchtbarsten Umständen geleistet haben, geniessen die Amerikaner seit drei Monaten in vollen Zügen. Es ist ein Wunder, dass wir noch eine ungebrochene Front zeigen können, dass wir ein ungeschlagenes Heer in Feindesland sind. Aber wie lange noch ? Wie lange werden die Nerven derer an der Front, und vielleicht noch gefährlicher, derer, die zu Hause verhungern, standhalten ? Wir brauchen uns nicht einzubilden, dass, wenn auch England und Frankreich zum Frieden geneigt wären, die Amerikaner ihre Zelte abbrechen würden. Sie fangen ja jetzt erst an, ihr Dasein zu geniessen. Sie schwelgen förmlich in dem Militarismus, den sie zu vernichten angeben. Die hundert tausend Amerikaner, welche fallen, was bedeuten sie in ihrem ungeheuren Kontinent ? Ein Tropfen im Meer, kommen gar nicht in Betracht! Vor zwei Jahren sagte Wilson: „In diesem Krieg dürfen weder Sieger noch Besiegte sein“. Nun sagt er: „Sieg durch brutale Macht bis zum unweigerlichen Ende!“. Montag, den 9.September. Dieter Günther und Alfred von der Ropp sind gefallen. Dieter gehörte einer Bombenwerferstaffel an. Alfred Ropp starb als Compagnieführer im Schützengraben.

- 267 Dienstag, den 10.September. Der Dichter Rostand, dessen „Cyrano de Bergerac“ uns alle begeisterte, hat unter dem Namen „L’île des Chiens“ ein Gedicht – wenn man es überhaupt so nennen darf – (es liegt im Original vor mir) geschrieben, welches so voll von widerlichem Schmutz ist, dass ich nichts daraus zitieren kann. Der Premier von Australien, Mr.Hughes, ruft einem applaudierenden Publikum zu: „Germany must be smashed, even if we have to kill half the German nation“. Der Arbeitsminister Mr. S.H.Roberts sagte am 5.August: „Es widerstrebt uns, je wieder Beziehungen anzuknüpfen mit der bestialischsten Rasse, die die Zivilisation je gesehen hat.“ So geht es weiter Tag für Tag. Ich kann mir keine Tortur vorstellen, die geeigneter wäre, unsere Herzen und Nerven zu brechen. Dienstag, den 1.Oktober. Es wird Zeit, dieses Tagebuch zu schliessen. Seit drei Wochen wieder in Berlin, sehen und hören wir nur Herzbrechendes. Der Bahnhofsdienst wird täglich schwieriger, besonders abends, wenn um neun Uhr der Haupturlauberzug aus Frankreich kommt. Dann wälzt sich in meine kleine Stube eine Horde totmüder, verschmutzter, verbissener Männer. Jeder will zuerst bedient werden, keiner will warten. Einige nehmen stumm ihr Couvert mit den – weiss Gott sehr minimalen Karten in Empfang, andere schimpfen. Aber viel schlimmer als die Soldaten sind die abholenden Frauen.“Damit soll

- 268 ich meinen Mann satt machen ?“ heisst es. Man versucht ihnen klar zu machen, dass heute niemand satt werden kann. Einige geben mir recht, aber wie oft höre ich: „Totschiessen darf er sich lassen, aber zu essen kriegt er nichts.“ Oder es werden höhnische und sicher berechtigte Vergleiche zwischen den „Schiebern“, die alles haben , und den Urlaubern von der Front aufgestellt. In den ruhigeren Stunden kann man oft ein vernünftiges und aufmunterndes Wort mit den Soldaten reden. Ich bin der Ansicht, dass die Kommandantur uns nicht genügend freie Hand in der Verteilung gibt. Ein paar Gramm mehr Brot oder Fleisch, oder eine Eierkarte (meistens sind sowieso keine Eier darauf zu haben) würden oft beschwichtigend wirken. Es würde wohl in der allgemeinen Verteilung wenig Unterschied machen, und es müsste alles getan werden, um das Durchhalten zu erleichtern. Aber ich gebe zu, dass es oft schwer wäre, die Grenze zu ziehen. Wenn ich so Tag für Tag meine Zeitungen lese, habe ich das dumpfe Gefühl, auf ein Wunder zu warten, ohne zu wissen, woher das Wunder kommen soll. Wir sind von Dank erfüllt, dass wir bis heute die Söhne behalten durften, aber Walter fliegt jetzt über dem Feind – wie lange noch ? Diese Aufzeichnungen waren immer ein Interesse, oft ein bitterer Schmerz, lange eine mir selbst auferlegte Pflicht, aber eine, die sich jetzt überlebt hat. Ich werde nicht mehr schreiben. Die Zukunft ist in Dunkel gehüllt, vielleicht wird sie noch viel Entsetzlicheres bringen, als alles, was wir bis jetzt er-

- 269 lebten. Eins nur ist sicher, wie auch alles enden mag, uns Alten wird nie wieder eine glückliche Stunde schlagen! Der Jugend ? Wer weiss! Aber es wird herkulanische Kraft nötig sein, um das Leben der Nation aus dem Chaos, der uns umgibt, aufzubauen. Gebe Gott, dass ihnen eine solche Kraft verliehen werde! ---------

- 270 -

- 271 Nach zehn Jahren. Meine Kinder, wenn sie diese Worte lesen, werden sagen: „Mutter kannegiessert“, denn was ist über die akute Frage der „Kriegsschuld“ noch zu sagen, was nicht schon von den beredtsten Politikern und Schriftstellern erörtert ist ? Zudem gibt es viele Deutsche, namentlich unter der schwer arbeitenden, schwer ringenden Jugend, welche meinen: „Ach was, man soll die ganze Sache lieber ruhen lassen und vergessen. Die vernünftigen Engländer und Franzosen wissen ja ganz genau, dass alle Nationen schuld hatten, und was die anderen denken, ist einerlei. Ein „Bremenflug“ ist viel geeigneter, den deutschen Namen zu Ehren zu bringen, als alles Wühlen in der trüben Vergangenheit.“ Und doch ist dieses nur unbedingt richtig: Im März dieses Jahres las ich im Londoner ‚Daily Telegraph“ eine Kritik über Hermann Stegemanns „Das Trugbild von Versailles“. Der Kritiker hatte natürlich keine Ahnung, dass Stegemann Schweizer Historiker von europäischem Rufe ist, sondern geht mit ihm um, als wäre er einer jener lästigen, unverbesserlichen Deutschen, die den Mund nicht halten können in einer Angelegenheit, die niemanden mehr interessiert. Die Alleinschuld Deutschlands ist nun einmal bewiesen, also Basta! Man verschone uns mit Büchern, welche es Deutschland nur erschweren können, mit den ehemaligen Feinden in ein leidliches Verhältnis zu kommen. Nun ist gerade in diesem Buch, welches hauptsächlich die Wirkungen des Versailler Vertrages auf ganz Europa behandelt, wenig von „Kriegsschuld“ die Rede. Stegemann sagt nur im vorletzten

- 272 Kapitel: „Der 231.Artikel des Friedensvertrages von Versailles hat keinen anderen Zweck, als den Vertrag selbst in den Augen der Welt zu rechtfertigen. Die Bezichtigung Deutschlands als Friedensbrecher bildet gewissermassen das moralische Fundament des Vertrages, der als politisches Machtinstrument an sich – nach den in ihm wirksamen macchiavellistischen Grundsätzen – an Sittlichkeit nicht gebunden scheint. Auf diesem Schuldbekenntnis fussend wurde dem deutschen Volk nicht ein eigentlicher Vertrag gewährt, sondern in 400 Artikeln Schuld, Strafe und Sühne zugemessen, und der Krieg als solcher, der bisher als eine geschichtliche Erscheinung anerkannt war und als „ein Akt menschlichen Verkehrs“ gegolten hatte, rückwirkend als eine strafwürdige Handlung gekennzeichnet. Kein über den Parteien thronendes Gericht fällte diesen Schuldspruch, und die Schuldfrage selbst blieb der Erörterung entzogen. Man betrachtete es einfach als erwiesen, dass Deutschland den Krieg gewollt und herbeigeführt habe, machte aus der Legende ein Organ der Politik, schloss die eigenen Archive, ging über die geschichtliche Entwicklung eines halben Jahrhunderts mit Stillschweigen hinweg und hielt sich an die Tatsache, dass Deutschland sich im letzten Augenblick in die Rolle des Angreifers hatte manövrieren lassen und im Drange der Stunde über die innerlich geschwächte, äusserlich aufrecht erhaltene belgische Neutralität hinweggeschritten ist, ohne irgend ein diplomatisches Instrument aus der Rüstkammer der Geschichte hervorzusuchen und sich etwa auf das Besatzungsrecht der belgi

- 273 schen Gründungsakte zu berufen oder die Gegner zum Vortritt zu verleiten.“ Kurz nachdem ich dieses Buch gelesen hatte, fiel mir ein anderes in die Hände : „Von Serajewo bis zum Weltbrand, die kritischen 39 Tage, wie sie wirklich waren“, von Eugen Fischer, Sachverständiger im Untersuchungsausschuss des deutschen Reichstages für die Kriegsschuldfrage, 1928 bei Ullstein erschienen. Es ist ein überaus spannend geschriebenes und wahrscheinlich im grossen ganzen wahres Bild dieser Tage und beleuchtet die unglückliche deutsche Verkettung mit den österreichserbisch-russischen Fragen im grellsten Licht. Und doch bin ich der Ansicht, dass der Autor in seiner typisch deutschen übertriebenen Objektivität weit über das Ziel hinausschiesst und ein gefährliches, die Gesamtlage verdrehendes Buch geschrieben hat, welches Wasser auf die Mühlen der Entente giessen wird. Denn ich glaube mit vielen Anderen die Ansicht zu teilen, dass die Kriegsschuld nur zum Teil in den 39 Tagen zwischen Serajewo und dem 1.August zu suchen ist, sondern in erster Linie in den Fehlern, Unvorsichtigkeiten, Torheiten, Revanchegelüsten, Eifersüchteleien aller Regierungen und aller Länder in den vorausgegangenen zwei Jahrzehnten. Es ist mir unfasslich, wie Fischer oder sonst irgend jemand ein Buch über die Vorkriegszeit schreiben kann, ohne mit einem Wort den Namen Northcliffe zu erwähnen. In dem Kapitel „Regierungen und öffentliche Meinung“ sagt er nun auf Seite 136: „Besonders die Engländer standen in Deutschland im Verdacht,

- 274 dass sie sich sobald wie möglich des gefährlichen Wettbewerbes entledigen wollten. Fragte man damals und fragt man heute nach den Beweisen für diese Ansicht, so tönen einem bestimmte englische Aussprüche entgegen oder man hört von dem niederschmetternden Eindruck, den die oder jene Tatsache des Wirtschaftslebens, der oder jener Beweis deutscher Leistungsfähigkeit auf das englische Volk gemacht haben.“ Aber dass diese „bestimmten englischen AnAussprüche“ dem englischen Volke immer wieder , weit über ein Jahrzehnt eingehämmert worden sind, davon kein Wort. Es ist in England leichter als in irgend einem anderen Lande, die öffentliche Meinung zusammen zu schweissen, nachdem sie Jahr für Jahr, Woche für Woche bearbeitet worden ist. So konnte auch Sir Edward Grey in den letzten Julitagen ausweichen und immer wieder den Frieden betonen. Vertraglich an Frankreich gebunden, wusste er, ist es so weit, so war er der öffentlichen Meinung sicher. So gelang es Grey auch Fürst Lichnowsky, dessen Buch „Heading for the Abyss“ jetzt in London erschienen ist und gewiss viele Leser finden wird, irre zu führen. Ein weiterer Grund, warum das Gros des englischen Volkes heute noch Deutschland die ganze Kriegsschuld aufbürdet, liegt in dem Gefühl der Rache, dass wir ihnen den Sieg so erschwert haben. England sollte doch wenig von dem Kriege berührt werden. Das Expeditionskorps würde mitkämpfen, einige Tausende würden fallen, das ist selbstverständlich, für die Ehre und die Grösse Englands, aber

- 275 im übrigen machen die Flotte, Frankreich und Russland die Arbeit. Trotz des Sieges ist der Gedanke an seine furchtbaren Opfer England heute unerträglich, deshalb wird dort im allgemeinen nie mehr von dem Krieg gesprochen. Von berufener Seite höre ich, dass Amerika heute überhaupt nicht sagen kann, warum es eigentlich in den Krieg getreten ist, abgesehen von dem Wunsch, das an England und Frankreich geliehene Geld zurückzubekommen. Auf Seite 15 des oben erwähnten Buches sagt Fischer : „Findet der Tugendbold Teilnahme ? Nein, und schon deshalb ist es nutzlos, Deutschland zum Tugendbold in der Kriegsschuldfrage zu machen.“ Aber welcher vernünftige Mensch spricht bei uns überhaupt von Tugendbold ? Deutschland will nicht von seinen diplomatischen und taktischen Fehlern, sondern von der Beschuldigung, den Weltkrieg vorsätzlich entfacht zu haben, gereinigt werden. Es ist wahrlich noch viel Arbeit zu leisten, bis (ich zitiere noch einmal Stegemann) „dieses erzwungene Schuldbekenntnis über dem Eingang des Friedenstores, durch das das deutsche Volk in das Inferno der Nachkriegszeit hinabgestiegen ist“, aus dem Versailler Vertrag entfernt wird. Allen denen, die in Deutschland auf dieses Ziel hinarbeiten, wünsche ich von ganzem Herzen, dass es ihnen gelingen möge. Im August 1928.

Register

Aachen, 195 Aberdeen, Lady, 43 Aberdeen, Lord, 43 Aisne 170 Alexander (1893-1920; griech.König 1917-1920) 187 Alexandrowitsch, Michail (Romanov, 1878-1918, russ. Großherzog)158 Antwerpen, 33 Arnauld, Lothar v. (dt. U-BootKommandant) 108 Asquith, Herbert Henry (1852-1928; brit. Premierminister 1908-1916) 25, 43, 54, 83, 84, 104, 119, 123, 219, 223 Astall (Bankdirektor) , 76 Axt, Willy, 116 Balfour, Arthur James (1848-1930; brit. Außenminister; vgl. Bd. I Anm. 130) 114, 115, 145, 226, 238, 239, 241, 242, 262 Bapaume 174 Barrère, Camille (1851-1949; franz. Diplomat)103 Beatty, David (1871-1936; brit. Admiral) 123 Beauchamps 262 Belfort 32 Beresford, Charles (1846- 1919; brit. Admiral) 69, 189, 190 Bernstorff 92, 100, 157, 167, 172 Bethmann Hollweg, Theobald v. (18561921; dt. Reichskanzler, vgl. Bd. I Anm. 114) 19, 38, 59, 109, 126, 129, 176, 192 Birell 43 Bonar Law, Andrew (1858-1923; brit. Politiker u. Staatsmann) 77, 123, 125, 158, 198, 258 Brandenburg, 101 Braunschweig, 195 Brest-Litowsk, 100, 223, 229, 234, 238, 239 Briand, Aristide (1862-1932; franz. Politiker und Staatsmann) 11

Brockdorff, Fr. v. (holst. Adelsgeschlecht; vg. Bd.1, 92) 114 Brockdorff, Hr.v. (vgl. Bd. 1 Anm. 92) 249 Brüning, Herrmann 42, 78, 80, 83, 85, 94, 141, 177, 196, 200, 210, 225, 261 Brüssel, 245 Buchanan,Sir John W. (1854-1924; brit. Diplomat) 152, 159, 169, 170, 175, 220 Buckmaster, Stanley (1861-1934; brit. Jurist u. Politiker) 238, 262 Bussche, Hr. v., 106 Byles 27 Cambrai 215 Carson, Sir Edward (1854-1933; irisch. Politiker) 195, 198 Casement, Sir Roger (1864-1916; vgl. Bd. I Anm.102) 38, 42, 83, 151, 252 Cavell, Edith (1864- 1915; brit. Spionin) 96 Cecil, Sir Robert (1864-1958; brit. Politiker u. Friedensnobelpreisträger 1937) 175, 181, 216, 226, 264 Chamberlain, Houston Steward (18551927; engl.- dt. Schriftsteller) 32 Champagne 22, 170, 180 Churchill, Sir Winston Leonard (18741965; brit. Staatsmann) 64, 198 Clausius 161, 192, 205, 245 Clémenceau, Georges (1841-1929; franz. Journalist, Politiker u. Staatsmann) 258 Connaught, Arthur of 58 Cotzhausen, Hr. v. 64 Courtney 4, 129 Crichton-Browne, Sir James, 226 Cromer, Rowland 35 Curtin 118 Curzon, Sir George (1859-1025; brit. Staatsmann) 129, 175 Dardanellen 41, 134 Delaisire, Francois, 35 Denman, R.D. 17, 18, 211 Derby, Sir Edward George 256 Devenport 69, 156 Dillon, Dr. 26

Dohna, Graf.v. 161 Drenckhan, Agnes 210, 238 Drenckhan, Carl, 30, 191, 221, 224, 238 Durham, Maud 5, 249 Eckelmann, Erich 16, 115, 154, 246 Eichhorn, Herrmann v. (1848-1918; dt. Generalfeldmarschall) 236, 256 Elsa, 6, 31, 34, 42, 82, 94, 101, 141, 147, 150, 151, 155, 165, 190, 191, 192, 193, 195, 196, 197, 199, 201, 224, 243, 244, 250, 251, 252, 260, 263 Elsass-Lothringen 40, 110, 124, 185, 208, 209, 229, 238 Engel, Georg (vgl Anm. ) 11, 95, 80, 175 Enking, Ottomar (vgl. Anm. 1) 1 Evane, Sir Arthur 25 Evers, Franz 20 Falkenhayn, Erich v. (1861-1922; preuss. General u. Staatsmann) 192 Ferdinand I. (1861-1922; rumän. König) 237 Fillungen 121 Fischer, Eugen 272, 274 Flandern 87, 153, 180, 197, 200, 207, 209 Frankfurt 37 Franz Joseph I. (1830-1916; österr. Kaiser)120 Freiburg 34, 192 French 35 Gagzow, Richard, 191 Galizien 30, 73, 135, 141, 156, 157, 180, 189, 191, 209 Gallipoli 26, 227 Galsworthy, John (1868-1933, britischer Schrftsteller) 205 Gebhard, Hermann, 190 Georgie 7, 15, 16, 22, 28, 30, 35, 36, 37, 42, 53, 63, 84, 99, 101, 104, 106, 117, 122, 123, 141, 144, 145, 150, 156, 178, 179, 192, 194, 197, 199, 201, 202, 203, 205, 209, 213, 215, 224, 225, 245, 247, 249, 250, 253, 255, 259, 260, 261, 263, 264 Gerard, James W. (1867-1951; amerik. Diplomat) 38, 151 Glasgow, 113, 175 Goerz, Hellmuth 218

Goltz, Wilhelm Leopold v.d. (1843-1916; preuss. Generalfeldmarschall) 39, 40 Gottlieb 133 Granny 263 Grey, Sir Edward (1862-1933; brit Außenminister 1905-1916) 26, 54, 59, 61, 62, 85, 86, 87, 109, 110, 119, 273 Gülitz 248 Günther, Dieter, 266 Gwinner, Arthur v., 88, 91 Haig, Sir Douglas (1861-1933, britischer Feldmarschall) 168, 170, 172, 235 Hamburg 155 Hedwig 161 Helgoland 65 Hertling, Georg Graf v. (1843-1919; dt. Reichskanzler 1917-1918) 216, 237, 239 Hessenberg 3 Hessler 188 Hicks, Joynson, 76, 77 Hindenburg, Paul v. (1847-1934; dt. Feldmarschall u. Reichspräsident) 33, 40, 74, 84, 94, 105, 160, 194, 202, 212, 242 Hobhouse, Emily, 117 Hoefer, Franz v. (1861-1918; österr. Feldmarschalleutnant) 8 Hoffmann, (Leutnant) 7 Hoffmann, Max (1869-1927; dt. General), 223 Holzminden 116, 190, 195 Inchape 15 Indien 88 Inge 224 Irene 8, 29, 33, 34, 54, 69, 70, 101, 147, 154, 178, 179, 181, 191, 192, 193, 195, 196, 200, 247, 249, 250, 252 Jagow, Gottlieb v. (1863-1935; dt. Diplomat u. Staatsmann) 52 Jawolski 61 Jellicoe, John (1859-1936; brit. Admiral) 123, 212 Jersey, Lady 55 Jowett 181, 188 Karlsruhe 75, 101 Karpathen 122 Kerenski 213

Kingsley, Sir Charles (vgl. Bd. 1, Anm. 86) 119 Kipling, Rudyard (1865-1935;brit. Schriftsteller) 70, 131, 226 Kitchener, Lord Herbert (1850-1916; brit. Feldmarschall) 68 Koch, Victor, v., 222 Köln 195 onstantin, 96, 107 Konstantin I. (König v. Griechenland 1913-1917) 74, 96, 107 Konstantinopel 26, 103, 110, 131, 134, 142, 185 Kopenhagen 3 Kritzinger, B, 136 Kühlmann, Hr. v. 216, 236 Kurland 30 Lansdowne, Lord Henry Charles (18451916; brit. Politiker u. Staatsmann) 217, 218, 219, 223, 238, 262 Laon 7, 174, 227, 250 Lemberg 84, 156 Lenin, Wladimir I. (1870-1924) russ. kommunistischer Politiker u. Revolutionär) 218, 229 Leopold Prinz v. Bayern (1846-1939; dt. Generalfeldmarschall) 223 Libau 63, 84 Lichnowsky, Karl Max Fürst v. (18601928; dt. Diplomat) 273 Lille 57, 247, 249 Lloyd George, David (1863-1943; brit. Premierminister 1916-1922) 4, 54, 98, 109, 124, 125, 128, 129, 151, 168, 176, 198, 208, 213, 214, 216, 217, 222, 223, 225, 227, 229, 232, 233, 234, 235, 238, 249, 258 London 10, 17, 22, 29, 32, 39, 53, 67, 76, 107, 113, 115, 122, 130, 164, 175, 176, 179, 180, 188, 190, 192, 193, 204, 205, 207, 214, 222, 230, 234, 235, 240, 241, 245, 273 Löwen 64, 74 Lübeck 190, 191, 195 Ludendorff, Erich (1865-1937; dt. General u. Politiker) 170, 171 Lyttleton 211 MacDonald, Ramsay, 181, 188

Mackensen, General August v. (18491945; dt. Generalfeldmarschall) 106, 124, 164 Magdeburg 221 Mainz 195 Manchester 13, 25, 218 Marianne, 190 Marie Antoinette (Maria Antonia Josepha Erzherzogin v. Oesterreich; 1755-1793; franz. Königin 1770-1793) 101 Mason, 27 Masson, Frédéric 35 Maxse 33 McKenna, 119 Mesopotamien 39, 156 Metz 174 Michaelis, Georg (1857-1936; dt. Reichskanzler Juli-Oktober 1917) 194, 216 Mirbach 252 Morell 217 München 114, 146 Munthe, Axel 102 Nannie 36, 191, 200, 208, 214 Nauen 120 New York 18, 167, 242 Newton, Ld. 69 Nicolson, Sir Arthur, 61 Nikita (Nicola I. Petrovic Njegos; 18411921; König v. Montenegro 1910-1913) 10 Nikolaus II. (Romanow, russ. Zar v. 18941917) 209 Northcliffe, Alfred H. (1865-1922; brit. Zeitungsmagnat u. Verleger) 3, 62, 115, 118, 119, 231, 241, 272 Ostpreussen 90 Oxford 55 Paris 14, 31, 35, 55, 176, 188, 214, 222, 235, 243, 256 Perleberg 127, 209, 248, 249 Peronne 174 Petersburg 61, 152, 159, 175, 202, 214, 232 Pfaadt, Felicie (dt. Spionin) 96 Plender, Sir William 76, 119, 245 Pogge 249

Poincaré, Raymond (1860-1934; franz. Staatspräsident 1913-1920) 14, 60, 94 Potsdam 164, 165, 205, 224, 244 Pourtalès, Friedrich Graf v. (1853-1928; dt. Diplomat) 62 Pressentin 73, 74, 165, 171, 215 Preussen 8, 9, 113, 114, 124, 125 Protheroe, Rowland (1851-1937; brit. Agrarexperte u. Staatsmann) 134 Putlitz 83 Putlitz-Laaske, Baronin. v., 64 Raemaekers, Louis 22 Rapp, Hr. v.76 Régnier, Henri, 55 Reid, George, 9 Reims 170, 250, 253 Repington, Charles (1858-1925; brit Offizier u. Kriegberichterstatter) 212, 235 Riga 202, 209, 236 Roberts, S. H. (brit. Arbeitsminister) 267 Rodd, Sir Rennell (1858-1941; brit. Diplomat u. Dichter) 11, 103 Roese, 53 76, 188 Roesicke, Gustav (1856-1924; dt. Politiker) 176 Rokitno-Sümpfe (vgl. Bd. I. Anm. 126) 30 Rom 10, 11, 32, 40, 58, 222 Ropp, Alfred v. d., 266 Rosebery, Lord Archibald Primrose (18471929, brit. Politiker u. Staatsmann) 8, 10, 113 Rostand, Edmond (1868-1918; franz. Schriftsteller) 267 Ruhleben 69, 261 Runciman, Lord Walter (1870-1949; brit. Politiker) 5, 238 Russell, Sir Bertrand Arthur (1872-1970; brit. Philosoph u. Nobelpreistrager) 234 Salandra, Antonio (1853-1931; ital. Politiker; vgl. Bd. I., Anm 111) 74, 103 Saloniki 153 Sarajewo 252 Sautter, Prof. 205 Scheidemann, Philipp (1865-1939, dt. Politiker u. dt. Reichspräsident 1919) 176 Schleswig-Holstein, 90 Schmelcher 55

Schönholz 41, 56, 78, 106, 116, 118, 131, 141, 177, 191, 195, 201, 210, 247, 252, 255 Seidlitz, Hr. v. 164 Serbien 4, 153, 210, 213 Shaw, George Bernard (1856-1959; irischbrit. Dramatiker u. Politiker) 85 Sibirien 169 Snowden, Lord Philip (1864-1937; brit Politiker) 25, 241, 262 Soissons 170 Sonnino, Sydney (1847-1917; vgl. Bd. I Anm. 112) 103 Spath, Oscar, 34, 210 St. Quentin 174 Stahn, August 31 Stahn, Richard 242 Stahn, Suse 31, 193, 195 Stahn, Ulli 205 Stegemann, Heinrich, 270 Stockholm 102, 180, 181, 188, 223 Stuttgart 222 Südpolen 73 Sydenham, Lord George (1848-1933; brit. Offizier u. Kolonialadministrator) 9, 10 Thompson 164 Tirpitz, Alfred v. (1849-1930; dt. Großadmiral) 28 Townshend, Charles 57 Trentino 41, 229 Trevelyan, Sir Charles (1870-1958, britsicher Politiker) 154 Trotzki, Leo (1879-1940; russ. Politiker u. Revolutionär) 218, 229, 235 Türkei 4, 127, 142, 185 Turner, Sir Alfred, 175 Ulster 195 Verdun 21, 29, 32, 34, 37, 63, 73, 79, 115, 129, 200, 214 Vesper, Will (1882-1962, deutschnationaler Schrifftssteller) 21 Wallenberg, Karl Agathon (1853-1938; schwed. Außenminister 1914-1917) 150 Walter 7, 22, 53, 73, 74, 75, 78, 81, 84, 85, 98, 99, 101, 122, 131, 135, 149, 156, 174, 180, 189, 191, 194, 195, 196, 197,

200, 214, 219, 225, 227, 233, 241, 243, 247, 248, 250, 251, 252, 254, 260, 268 Wannsee 31, 242 Warschau 109, 111, 112, 115, 122, 131 Wien 40, 120, 125, 231 Wilhelm II. ( v. Hohenzollern, 1859-1941; dt. Kaiser 1888- 1918) 3, 126, 143 Will, Erich 15, 28 Wilson, Woodrow (1856-1924, amerik. Präsident 1913-192) 37, 38, 52, 130, 145, 148, 149, 155, 157, 158, 162, 166, 181, 182, 183, 184, 185, 186, 187, 203, 223, 229, 232, 238, 257, 263, 266 Winborne, 43 Winterfeld, Fr. v. (vgl. Bd. I, Anm. 1) 196

Winterfeld, Hr. v. (vgl. Bd. I, Anm. 1) 56, 70, 83, 196 Wollhynien (Region i. d. nordwestl. Ukraine) 30 Wulffen, Siefried, 175 Yarmouth 14 Ypern 30, 73, 79, 180, 232, 245, 246 Zeppelin, Ferdinand Graf v. (1838-1917; Begründer des dt. Luftschiffbaus) 156 Zimmermann 205 Zinn 210 Zitzewitz, Birdie v., 171

Anmerkungen 1

Ottomar Enking (28.September 1867 - 13. Februar 1945) war ein deutscher Schriftsteller u. Journalist (vgl. www.wikipedia.de,; Art. „Ottomar Enking“. 2 vgl. AKD Bd. 3, S. 1115f. 3 vgl. AKD Bd. 3, S. 1153. 4 Georg Julius Leopold Engel (29. Oktober 1866- 19. Oktober 1931 war ein erfolgreicher deutscher Schriftsteller und Journalist. In nationalsozialistischer Zeit galten seine Werke als „unerwünscht“. Vgl. www.wikipedia.de, Art. „Georg Engel“ 5 Vgl. AKD Bd. 4, S. 1185f. 6 Vgl. AKD Bd. 4, S. 1193. 7 Vgl. AKD Bd. 4, S. 1204f. 8 Gemeint ist Franz Evers (1871- 1947). Evers war Herausgeber der Monatszeitschrift „Literarische Blätter“ (vgl. www.wikipedia.de; Art „Franz Evers“. 9 Will Vesper (1882-1962) war ein deutscher Schriftsteller und Literaturkritiker, der als außerordentlich nationalistisch galt (vgl. hz. www.wikipedia.de, Art. „Will Vesper“). 10 Der niederländische Zeichner Louis Raemakers wurde vom britischen War Propaganda Bureau (WPB) zum Zwecke der Illustration von Propagandaschriften eingesetzt (vgl. www.wikipedia.de, Art. „War Propaganda Bureau“). 11 Vgl. AKD Bd. 4. S. 1255. 12 Vgl. AKD Bd., 4 S. 1265. 13 Vgl. AKD Bd. 4, S. 1279. 14 Vgl. AKD Bd. 4, S. 1295. 15 Vgl. AKD Bd. 4, S. 1297. 16 Vgl. AKD Bd. 4, S. 1354 ff. 17 Vgl. AKD Bd. 4, S. 1441. 18 Vgl. AKD Bd. 4, S. 1476. 19 S. Anm. 4. 20 Vgl. hz. Preusser, Heinz-Peter (Hrsg.), Krieg in den Medien; in: Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik, Nr. 57, Amsterdam 2005, S. 253ff. 21 Vgl. AKD Bd. 5, S. 1871. 22 Vgl. AKD Bd. 5, S. 1885. 23 Vgl. AKD Bd. 5 S. 1908 f. 24 Vgl. AKD Bd. 5, S. 1913. 25 Vgl AKD Bd. 5, S. 1946 f. 26 Vgl. AKD Bd. 6, S. 2144 ff. 27 Vgl. AKD Bd. 6, S. 2160. 28 Vgl. AKD Bd. 6, S. 2217f.

Mary Sophie Zwilgmeyer, geb. Witt Tagebücher Teil 3 Nachtrag 1933

19331

Ich bin oft gefragt worden von Menschen, die die große Geduld hatten, mein bis September 1918 geführtes Kriegstagebuch ganz oder teilweise durchzulesen, warum ich die Aufzeichnungen nicht bis …. durchgeführt habe, also bis zum .. November 1918. Ich habe immer nur geantwortet: „Ich konnte nicht!“ Das dumpfe Gefühl, welches, trotz aller Hoffnungen, seit dem 4. August 1910 mir wie ein entsetzlicher Traum bevorstand, und mit dem Eintritt Amerikas in den Krieg aufs höchste gesteigert wurde, schlug mir die Feder aus der Hand. Was sollte man auch schreiben? Es war ja täglich dasselbe Bild; vom Kriegsschauplatz die nichtssagenden, die Lage verschleiernden Heeresberichte, zu Hause Hunger, Hunger und nochmals Hunger! Allerdings wie schrecklich, wie schmerzvoll das Ende sein würde, das haben wir nicht geahnt. Nachträgliche Kritik ist ja billig, aber es wäre vielleicht besser gewesen, wenn die Regierung und die oberste Heeresleitung dem deutschen Volk den furchtbaren Ernst der Lage eingehämmert hätten, statt vieles zu beschönigen. Man hätte mehr auf die verheerenden Folgen einer …lage aufmerksam machen müssen; die feindlichen Zeitungen machten ja kein Geheimnis daraus, wie sie mit uns umgehen würden. Aber es wurde nichts derartiges unternommen. Die Unterwühlung machte stündlich Fortschritte. Die Truppen vorne waren ja noch zuverlässig, … Etappe … in der Heimat (letzteres konnte ich ja täglich bei der Lebensmittelkartenausgabe mit eigenen Augen konstatieren, wurde der … ist immer schlechter. Die Urlauber wurden, kaum in Berlin angekommen, geradezu verseucht, und in den anderen Industriezentren wird es ähnlich gewesen sein, vielleicht schlimmer. Durch den Abfall Österreich-Ungarns wurde die Krise sehr beschleunigt,2 die ihren Höhepunkt …schaft des Prinzen Max von Baden3 erreichte. … hat, das kann man heute offen aussprechen, obgleich es mir zurzeit durchaus nicht klar war, mindestens so viel schuld an dem Umsturz, wie die Sozialdemokraten. Die Regierung hatte in diesem Augenblick der höchsten Gefahr die unzweideutige Pflicht, die Staatsform zu schützen. Tat man das nicht, lieferte man das ganze deutsche Volk, vom Kaiser bis zum letzten Arbeitersäugling, den Feinden aus. Den Alpdruck der ersten Novembertage werde ich nie vergessen. Aber wenn ich vom November 1918 berichten will, so darf ich es nicht mit den sehenden Augen von 1933 tun, sondern mit der ganzen Ungewißheit des zusehenden, weiblichen Laien. Am 9. November früh 7/2 Uhr verließ ich das Haus, um auf dem Potsdamer Bahnhof meinen Dienst an der Lebensmittelkartenausgabe für Urlauber zu versehen. Die Herkulesbrücke wurde gerade von Gardeschützen aus Lichterfelde besetzt, die gemütlich mit einer Feldküche angefahren kamen. Es muß also um die Stunde noch die Absicht geherrscht haben, Berlin gegen die Revolutionäre zu halten. Aber um neun Uhr schlich ein Leutnant von der Kommandantur im Zivil zu mir in mein Zimmerchen und flüsterte in mysteriösem Tone „ob die Damen nicht lieber nach Hause gehen würden“. Ich sagte „nein, ich hätte Dienst“. An diesem Tage hat die Berliner Kommandantur hoffnungslos versagt. Da ich nicht um ein Uhr abgelöst wurde, entschloß ich mich, gegen drei Uhr nach Hause zu gehen. Als ich auf die Freitreppe des Potsdamer Bahnhofs heraustrat, konnte ich meinen Augen nicht trauen. Schwerbeladene Autos, Wagen, Lastwagen fuhren vorbei, mit lautjohlenden Menschen,

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wehenden roten Fahnen, die Mädels mit grellroten Schleifen geschmückt. Die meisten schienen siebzehnjährig zu sein, grüne Jungens und Mädchen. Rein äußerlich betrachtet ist von diesen dummen, verführten Jünglingen und Jungfrauen die November-Revolution in Berlin gemacht worden. Ich wage zu behaupten, daß zwei Maschinengewehre auf der Freitreppe des Bahnhofs, im Lustgarten und an anderen Plätzen den ganzen roten Spuk verscheucht hätten. Aber inzwischen hatte die Regierung Max von Baden, die sich bedingungslos den Genossen Scheidemann, Ebert usw. unterwarf, das unglückliche Schießverbot erlassen und hiermit war Deutschland dem roten Gesindel preisgegeben. Jedem Offizier auf der Straße wurde die Achselklappen abgerissen, widersetzte er sich, wurde er niedergeschlagen. Ich ging zu Fuß durch die Tiergartenstraße nach Hause und als ich auf die Herkulesbrücke kam, sah ich, wie die Gardeschützen etwas über die Brüstung in den Kanal warfen, welches von weitem wie ein alter Kinderwagen aussah. Im selben Augenblick warfen die Soldaten mit lautem Hurra ihre Gewehre ins Wasser. Der Kinderwagen war aber ein Maschinengewehr, der heute noch mit den Gewehren im Landwehrkanal rostet.

Henrichs riefen an und baten uns zum Abendessen zusammen mit General von Liebert, um die Lage zu besprechen. Zurückdenkend sehe ich, daß wir das geschehene mit einer aus Dummheit und Unwissenheit gebotenen Ruhe und Unvermeidlichkeit auffaßten. „Deutschland ist jetzt eine Republik“. „Der Kaiser ist nach Holland geflohen“. Das waren die Kernpunkte, aber es war ja alles ohne Blutvergießen vor sich gegangen; es gibt viele Republiken auf der Welt, in denen man ganz gut lebt und prosperiert, warum soll Deutschland das nicht auch können!? War es gut, daß wir nicht ahnten, was uns bevorstand, war es schlecht? Wer kann es wissen? Selbst die Waffenstillstandsbedingungen, als sie in den nächsten Tagen bekannt wurden, haben nicht in allen Kreisen die Entrüstungsschreie ausgelöst, die sie verdienten. Jetzt – nach Jahren – denkt man nur mit geballter Faust und knirschenden Zähnen daran, daß man es gewagt hat, ein Volk, das sich so tapfer gewehrt hatte, das nun die Waffen fortgeworfen hatte, weiter unter Blockade zu halten, daß man das ganze deutsche Volk, vom Säugling bis zum Greise, weiter dem Hungertode auslieferte. Diese Bedingung allein, die ein ewiger Schandfleck für die Alliierten sein wird, müßte in jedem Geschichtsbuch festgehalten und an den Pranger gestellt werden. Aber 1918 war man noch weit von dieser Einstellung. der Krieg ist verloren; das erklärte für gar zu viele Menschen alles, und im übrigen war er, Gott sei dank, vorbei! Als ich am nächsten Morgen nach dem Potsdamer Bahnhof ging, um zu sehen, was aus meinem Dienst geworden war, fand ich alles in Konfusion. Ich erfuhr von unserem Offizierstellvertreter, daß tags vorher, um drei Uhr, also gleich, nachdem ich das Zimmer verlassen hatte, Hamburger Matrosen über Perleberg kommend, den Dienst beschlagnahmt hatten. Eine Meuterei war ja in erster Linie von den unbeschäftigten Matrosen, der in Wilhelmshaven und Kiel stillliegenden Kriegsschiffe ausgegangen, und wälzte sich von den Hafenstädten ins Innere, wie ein rollender Schneeball. In Perleberg hatten sie den Landrat herausgeworfen und sich häuslich eingerichtet.4 Jetzt kamen französische Kriegsgefangene nach dem Bahnhof, um sich nach den Zugverbindungen nach Frankreich zu erkundigen. Man gab ihnen, soweit möglich, höflich Auskunft. Heute noch sehe ich in den Augen einer dieser Männer die tötliche Verachtung, die er, gehobenen Hauptes vor uns stehen, zur Schau trug. Und damit berühre ich einen anderen, tief entehrenden Punkt der Waffenstillstandsbedingungen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit beruhte der Austausch der Gefangenen nicht auf Gegenseitigkeit. Wir gaben die Gefangenen sofort heraus, aber die deutschen Gefangenen in England und Frankreich wurden wochen- und monatelang zurückgehalten. Keine Demütigung sollte den verhaßten, von der ganzen Welt verschmähten Deutschen, erspart bleiben.5 Innerhalb 14 Tage waren Georgie und Walter wieder zu Hause. Georgie brachte die Schwadron in Abwesenheit des Rittmeisters in bester Verfassung und Disziplin nach Brandenburg. Walters Fliegerabteilung wurde an der Front aufgelöst. Georgie erhielt seinen Abschied und das Soldatenleben war aus. Das ganze deutsche Heer war aufgelöst! Bis im März 1919 die Spartakistenzeit ausbrach, und die verschmähten deutschen Offiziere auf einmal gut genug waren, die sozialistische deutsche Republik unter seinem ersten Präsidenten, Sattlermeister Ebert, gegen die Kommunisten zu schützen. Da durften sie wieder feldgrau tragen, und am Schloß und an der Jannowitzbrücke kämpfen. Das waren die Monate von Aufruhr, von Straßenkampf, von Generalstreik, und alles nahm man mit gelassener Miene hin. Das war die Zeit, als zwölf deutsche Offiziere im Schöneberg von Kommunisten

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hingemetzelt wurden; die Leichen wurden auf die Schienen unweit des Potsdamer Bahnhofs geworfen. In unseren Zeitungen stand hiervon nichts. Die jüdisch-sozialistische Republik unterdrückte Nachrichten dieser Art. Ich habe es zufällig von meiner Schneiderin erfahren, die gegenüber dem Tatorte wohnte.6 Inzwischen rückte die Zeit heran, wo in Versailles endgültig über das deutsche Schicksal entschieden werden sollte. Die angstvolle Sorge, mit der ich dieses Geschehen voraussah, wurde durchaus nicht von allen, mit denen ich in Berührung trat, geteilt. Ich weiß noch so genau, als ich eines Morgens auf der Leipzigerstraße eine befreundete Dame, die Frau eines sehr hohen Diplomaten, traf, ich ihr gegenüber meine schweren Besorgnisse aussprach, und sie mir antwortete:“Ach, es kann ja nicht ganz schlimm werden, Wilson kommt, und wird sein Bestes für uns tun, und außerdem kommt der Völkerbund und Deutschland wird bald Mitglied des Völkerbundes werden“. Was es nun damit auf sich hatte, das hat das deutsche Volk in vierzehn unsagbar bitteren Jahren gelernt. Nicht einmal Wilsons vierzehn Punkte, aufgrund deren man die Waffenstillstandsbedingungen angenommen hatte, wurden eingehalten.7 Vom März bis Mai 1919 hatten die Siegerstaaten in Paris getagt, zankend, feilschend, einer gegen den anderen ausspielend, einig nur in ihrem Haß und ihrer Rachsucht gegen Deutschland, bis endlich das furchtbarste Dokument der Geschichte der deutschen Delegation unter Graf Brockdorff-Rantzau überreicht wurde. In ihren Mußestunden saß die deutsche Delegation, wie Kaninchen hinter Stacheldraht, eingesperrt! Da fing es in Deutschland an zu dämmern. Im Reichstag brach ein Sturm der Entrüstung aus, und Herr Scheidemann erklärte großprotzig: „Die Hand, die einen solchen Vertrag annehme, möge verdorren!“8 Aber unerbittlich eilte das Verhängnis. Über diese Zeit zu berichten, sind Berufenere da als ich. Meinen Enkeln, für die ich diese Notizen aufschreibe, möchte ich dringend empfehlen, „Der Weg durch die Hölle, sieben Kapitel deutscher Geschichte“ von Rolf Brandt,9 zu lesen. Dieser war die ganze Zeit in Paris und Versailles persönlich anwesend. In seinem Buch findet die heranwachsende Generation, was sie als Deutsche wissen müssen. Oh! die Feinde wußten, warum sie zur Unterzeichnung des Versailler Vertrages den Spiegelsaal des Versailler Schlosses wählten! Doch ich will nicht von den furchtbaren Zeiten der deutschen Schmach berichten, sondern von der deutschen Erhebung. Nur ist es ungemein schwer, vom 9. November 1918 bis zum 30. Januar 1933 eine Brücke zu spannen. Ohne die tieftraurigen Meilensteine dieser vierzehn Jahre zu berühren. Man vergegenwärtige sich: eine Regierung von Juden und Sozialdemokraten hatte die ganze Macht an sich gerissen, und ein von Hunger zermürbtes Volk ließ sich alles, aber auch alles, von diesen Herren gefallen. „Nur immer fein stille sein“, sagte der feige Bürger, „wenn wir auftrumpfen, wird es noch viel schlimmer, und die Feinde werden dann in die unbesetzten Teile Deutschlands einrücken“. Und so lasse ich einige wenige Punkte kaleidoskopartig vor meinem Auge Revue passieren. Eine politische Zersplitterung, zwanzig, oder mehr Parteien hatte Deutschland! Nie vergesse ich den ersten Wahlgang der deutschen Republik in Januar 1919, als wir bei Schnee und eisiger Kälte frierend, in langen Schlangen, vor den wenigen und ganz und gar

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unzulänglichen Wahllokalen standen und unsre Stimme für die deutsch-nationale Partei abgaben.10 Wie oft mußten wir in den folgenden Jahren unsere Stimme abgeben, für nichts und wieder nicht, weil der unselige Parteihader jede ersprießliche Aufbauarbeit vereitelte. Nachträglich beneiden könnte man nur die kleine, 100.000 Mann Reichswehr mit ihren 400 Offizieren, das einzigste, was das Versailler Diktat uns für die Landesverteidigung gelassen hatte. Diese Männer haben unter General v. Seeckt in mühsamer Zukunftsarbeit überall gehemmt, von den Entete-Militärkommissionen an allen Ecken und Enden beschnüffelt und kontrolliert, eine Kraft geschaffen, aus dessen Kern ein neues deutsches Reichsheer entstehen wird. Mit Entsetzen denke ich noch an ein Frühstück, zu dem ich eingeladen war, um den Chef der englischen Militärkommission, General Malcolm, zu treffen. Die Wirte haben es fertiggebracht, vor diesem Engländer in durchaus ablehnender und ungehöriger Weise von dem Kaiser zu sprechen. Ich habe mich nie in Gesellschaft so beschämt gefühlt! Es kamen die Abstimmungen an den Grenzen in Ost- und Westpreußen, in Schleswig, der vergebliche Kampf um Oberschlesien durch die deutschen Freikorps, und die Teilung dieses wichtigen Industriegebietes. Eupen-Malmedy wurde einfach von Belgien annektiert!11 Es kam der wohl mit unzulänglichen Mittel vorbereitete Kapp-Putsch, aus dem ich nie klug geworden bin. Vier Tage sah Berlin aus wie ein Heerlager -, dann war alles vorbei.12 Es kam der kommunistische Terror in Thüringen durch Max Holz,13 bis die Reichswehr der Sache ein Ende machte. Es kam die Besetzung von Frankfurt a/Main und anderen Städten durch Frankreich und Belgien, ohne jede rechtliche Grundlage.Es kam von Konferenz zu Konferenz in Spa, in London, in Genua, in denen immer mehr aus Deutschland herausgepreßt wurde. Jede Konferenz endete mit einem neuen Diktat, weil die Weimarer Verfassung, gestärkt durch die Finanzautokratie in Berlin, zu allem den Nacken beugte. Es kam die furchtbare Ruhrbesetzung, mit dem heldenmütigen, aber aussichtslosen Kampf des passiven Widerstandes, und die Erschießung von Leo Schlageter durch die Franzosen in Düsseldorf.14 Und während dieser Jahre lag über Deutschland, arm und reich, alt und jung treffend, die Geisel der Inflation; sie machte die Wohlhabenden arm, die armen und die Rentner zu Bettlern. Tag und Nacht arbeitete die Notenpresse, bis der Dollar eine Billion Mark gleich war. Bis im Herbst 1923 Dr. Helfferich und Dr. Schacht, um dem drohenden Chaos abzuwehren, die Notenpresse still legten und die Rentenmark schufen. Aber das deutsche Volk, die deutsche Wirtschaft ist verarmt. Da besinnen sich die Feinde, daß aus einem weißgebluteten Deutschland nichts mehr zu holen ist, und die Dawes-Konferenz mit dem Dawes-Plan tritt in Scene. Der bringt Deutschland aus dem goldstrotzenden Amerika eine Anleihe von 80 Millionen Dollar, aber dafür müssen hirnverbrannte Reparationen bezahlt werden. In diesen Jahren waren Marx und Stresemann Reichskanzler und Außenminister.15

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Ein Lichtblick in dieser furchtbaren Zeit war die Wahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten. Am 28. Februar 1925 war Reichspräsident Ebert gestorben und an diesem Tage wurde mein erster Enkel geboren. „Ein historischer Tag“, sagte sein Vater. Sieben Kandidaten wurden aufgestellt, darunter von den Rechtsparteien Jarres, vom Centrum Marx, von den Sozialdemokraten Braun, von den Kommunisten Thälmann. Da bringt, auf Zureden von Admiral von Tirpitz, der alte Feldmarschall das unendlich große Opfer, sich als Kandidaten in diesem Hexenkessel Deutschland aufzustellen, getragen nur von seiner Liebe zum Vaterlande und seiner nie endenden Pflichterfüllung. Da geht aber eine Hetze los von links, „Hindenburg bedeutet Krieg“! Und dieses Wort habe ich sogar in unseren Rechtskreisen gehört, und es gab sogar Leute, die überhaupt nicht gewählt haben, warum? Ja, Marx wollten sie nicht wählen, aber, sagten sie, Hindenburg konnten sie nicht wählen, weil man damit der Entente und der Erfüllungspolitik eine neue Waffe in die Hand geben würde! Kann man so etwas für möglich halten? Und trotzdem kam Hindenburg mit 14 Millionen Stimmen an die Spitze. Und ich vergesse nie den Abend des Wahltages. Bis tief in die Nacht saßen Georgie und ich, nachdem Vater zu Bett gegangen war, am Rundfunkapparat (damals noch ein primitives Instrument mit Kopfhörern). Ganz sicher wurde das Resultat erst, als die Wahlergebnisse aus Ost- und Westpreußen durchkamen. „Weiß Gott, er schafft’s“, rief Georgie aus. Die im Osten hatten Tannenberg nicht vergessen! In derselben Aprilwoche, in der der neuerwählte Reichspräsident in Berlin einzog, wurde unser Enkel bei uns getauft und erhielt die Namen Georg Friedrich Carl Paul.16 Aber selbst ein Hindenburg, den man als Rocher de bronze 17empfand, konnte das Rad des deutschen Schicksals weder aufhalten, noch zurückdrehen. Es kam zu Locarno. 18Bei diesem Vertrage, den man in Berlin, außer in der deutsch-nationalen Hugenbergpresse, als der Wahrheit letzten Schluß rühmte, standen drei Männer, drei Außenminister zu Gevatter, Briand, Sir Austen Chamberlain, und Stresemann. Briand, der die kriegerischen Methoden Poincarés jetzt auf wirtschaftlichem Gebiet weiterführte, Chamberlain, im Gegensatz zu seinem großen Vater Joseph Chamberlain, ein Deutschenhasser und ein inniger Franzosenfreund, und der aalgeschmeidige, immer sich anpassen könnende Stresemann, der täglich seine Weisungen vom englischen Botschafter, Lord d’Abernon holt, wie er sich zu verhalten habe, um kein Stirnrunzeln der Alliierten zu verursachen. Es gibt aber heute, im Jahre 1933, noch Stimmen, welche Stresemann als einen der größten Diplomaten aller Zeiten loben, weil er durch den Locarnovertrag die frühere Räumung des Rheinlandes erzielt habe. Mir kam es gleich vor, daß wir diese zweifelsohne für die armen Rheinländer große Erleichteerung, die aber erst im November 1929 in Erfüllung ging, also 4 Jahre später, teuer erkauften. Denn die Gegenleistungen, die Verewigung aller durch Versailles geschaffenen Grenzen, die weiteren Entwaffnungsbestimmungen sind furchtbar. Aber ja, wir dürfen dafür in den Völkerbund, das hatte ich beinahe vergessen!19 Am 15. November 1925 feierten wir Ilse von Günthers 50. Geburtstag, als die Berliner Zeitungen, immer mit Ausnahme der Hugenberg-Presse, Locarno als Triumpf feierten. Es war für mich eine Erlösung, als Friedrich von Koch ganz sachlich sagte: „Mir scheint, wir sind durch diesen Vertrag gehörig hereingelegt“.

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Als ich zwei Jahre später, nach Vaters Tod, mit Granny in Cannero am Lago Maggiore weilte, wurde nach Locarno eine Autofahrt unternommen. Alle Engländerinnen aus unserem Hotel stürzten in den Konferenzsaal, um sich ehrfurchtsvoll die goldene Feder anzusehen, mit der die drei Männer, Briand, Chamberlain und Stresemann unterschrieben hatten. Für mich hatte dieser herrliche Ort für immer an Reiz verloren, und dasselbe kann ich von meinem früher so heiß geliebten Genf sagen. Es sind ganz bestimmte Gefühle, für die durchaus nichts kann, ich gebe aber gerne zu, daß die meisten Menschen sie als lächerlich ansehen würden. Es ist mir ganz klar, daß meine Enkel sich aus diesen ganz losen, schemenhaften Aufzeichnungen kein rechtes Bild machen können. Es fehlt eben der von Etappe zu Etappe sichere Ariadnefaden, den ein Tagebuch gewährt hätte. Denn ein solches ist, wenn man auch mit der Zeit etwaige Ansichten ändert, für Daten und Tatsachen ein sichererer Leitfaden. Aber ich möchte ihnen wiederum ein Buch empfehlen. „Das deutsche Reich als Republik“ (19181928), von August Winnig,20 ein wunderbares Buch, in dem er uns zeigt, daß nur die Zusammenschmelzung von Volk und Führertum den Staat formen kann. Zudem war ich in diesen Jahren von anderen, persönlichen Momenten in Anspruch genommen. Es waren die Heiraten und die zum Teil schweren Schicksale der Kinder, Vaters körperliches Leiden, das ihm immer hilfloser machte und ihn schließlich ganz an seinen Lehnstuhl fesselte. Mit welch unendlicher Geduld hat er diese letzten Jahre getragen. Im September 1925 wurde er operiert, um im März 1927 von seinem Leiden erlöst zu werden. Ich bedauere immer wieder, daß seine Enkel zu klein waren, um eine Erinnerung an den Großvater zu haben. Walter war schon 1920 nach Valparaiso gegangen, wo er erst auf der Deutschen ÜberseeBank arbeitete. Jetzt lebt er verheiratet in Montevideo und wird wohl zeitlebens auf diesem Kontinent bleiben. Während seines ersten Urlaubs vom November 1924 – März 1925 hat er seinen Vater zum letzten Male gesehen. Mit Vaters Tod hörte auch das Leben in der von der Heydt-Straße auf. Zwanzig ereignisvolle, erst sehr glückliche, dann sehr schwere Jahre hatten sich dort abgespielt. Ich zog nach der Haberland-Straße, Georgie, der mit Frau und Kind bis zuletzt bei uns gewohnt hatte, nach der Kufsteiner Straße. Jetzt konnte ich wieder reisen. 1927 habe ich Elsa die Schweiz gezeigt. Wir verlebten herrliche Tage am Genfer See, in der duftenden Pracht der Narzissenfelder. Dies ist eines der schönsten Eindrücke, die eine gottbegnadete Natur dem Menschen gewähren kann. Von weitem sehen die Berge aus wie beschneit. Von da aus ging es in das Berner Oberland. 1928 war ich mit Frau von Winterfeld, von der Ihr so oft in meinen Kriegstagebuch gelesen habt, in Bordighera. Durch die Anwesenheit von Granny und meinem Bruder Otto und seiner Gattin, der gerade seine Beamtenzeit in Indien abgeschlossen hatte, haben wir in seinem schönen Fiatwagen viel von der Rivera zu sehen bekommen. Von da ging ich nach Florenz, Siena, Perugia und Assisi und San Gemignano. 1929 war ich zum ersten Male seit fünfzehn Jahren in England, erst bei Granny und dann bei unseren alten Freunden Whytes in Bromley. Granny war trotz ihrer 81 Jahre noch jugendlich elastisch, wenn auch recht taub, ein Leiden, welches sie ja mit Vater gemeinsam hatte. Mit meiner eigenen Familie über unser verhängnisvolles Schicksal zu sprechen, war weder

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möglich, noch ersprießlich. Whytes dagegen hörten interessiert zu, und stellten Fragen. Für sie, wie für ganz England, war der Völkerbund der Weisheit letzter Schluß; an dem darf nicht gerüttelt werden. Ich strömte meine ganze Beredsamkeit aus, um ihnen klar zu machen, daß der Völkerbund vorerst nichts weiter sei, als die Verewigung von Versailles, also ein Krieg mit anderen Mitteln. Aber für England hatte der Krieg am 9. November 1918 aufgehört. Punktum, nie wieder Krieg, eine ganz einfache, und für die siegreichen Mächte durchaus normale Lösung. In diesem Jahre siedelte Georgie nach New York um, wo er in dem Bankhaus Harris, Forbes (später Chase Bank) arbeitete. Gosta und Jris folgten ihm im Herbst 1930 nach. Nun sind beide Söhne im Ausland. Was ist nun aus Deutschland geworden seit Locarno? September 1926 nimmt die deutsche Delegation zum ersten Male ihren Platz im Völkerbund ein, um von Demütigung zu Demütigung zu schreiten. Die Sachverständigen von der Reichswehr, von der Marine, von der Wirtschaft, haben sieben Jahre in Genf einen aussichtslosen Kampf geführt gegen die starre Unvernunft, die Gehässigkeit der Nutznießer von Versailles. Der Kampf zwischen rechts und links wird immer heftiger. Die Linksparteien rüsten sich zum Kampf gegen die Regierung, gegen die Reichswehr und verweigern den Bau von Panzerkreuzer R, durch eine wilde Agitation gegen die Rechten, um im Ausland Sympathie zu erregen. Sie bringen es so weit, daß im Juni 1928 der Sozialdemokrat und Unterzeichner des Versailler Vertrages, Hermann Müller, Reichskanzler wird.21 Der Young-Plan tritt in Kraft.22 Owen Young, wie weiland Dawes, ist Amerikaner, und ihnen gehört die Welt und das Gold, das aus unserer Reichsbank über die Grenzen verfrachtet wird. Dr. Schacht hat den Young-Plan in Paris vergeblich bekämpft, er wußte, daß die Auslandsverschuldung durch ihn wachsen müsse, aber unterschrieben hat er ihn trotzdem. Gegen die Annahme machten die deutsch-nationale Partei, die Nationalsozialisten und der Stahlhelm geschlossen Front und verlangten ein Ende der Tributzahlungen. Aber der Volksentscheid, von dem man hoffte, er würde die Annahme verhindern, brachte 20 Millionen Stimmen zu wenig, und scheiterte. Es ist alles so unsinnig. Um wahnwitzige politische Reparationen zu zahlen, muß Deutschland immer mehr Geld borgen, um seine Wirtschaft im Gange zu halten. Also immer neue Lasten, und das Heer der Arbeitslosen wächst von Tag zu Tag. Kein deutsches Schulkind hat aber je zu hören bekommen, daß von jeder verkauften Eisenbahnfahrkarte ein Drittel des Kaufpreises für Reparationen abgeliefert werden muß. Und als endlich die letzten französischen Besatzungstruppen am 30. November 1929 das Rheinland verließen, war dies eine Befreiung, diese „Vergünstigung“, über und über durch den Young-Plan bezahlt. In der ganzen Kette der feindlichen Demütigungen dieser Jahre, steht am krassesten vor meinem geistigen Auge das 1930 erfolgte Verbot des Zollanschlusses mit Österreich. Als der Anschluß, der nur wirtschaftlich, nicht politisch war, bekannt wurde, ging ein Aufatmen durch das ganze Land; man fühlte: endlich ist eine Bresche geschlagen, endlich wird es einen Aufstieg geben durch den wirtschaftlichen Anschluß der beiden Nachbarländer. Und in wenigen Tagen war dieser Traum aus, verboten von der Entente. Ich glaube, der

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internationale Gerichtshof im Haag hat dieses Urteil geprägt. Oder war es in Genf? Einerlei, Deutschland hat sich diesem Schiedsspruch zu fügen und fügt sich. Nur ja nichts erlauben, wodurch Deutschland wieder hochkommen könnte, denken die lieben Feinde. Wann ist mir Adolf Hitler ein wirklicher, ein monumentaler Begriff geworden? Durchaus nicht im Anfang seines gewaltigen Kampfes um die deutsche Befreiung. Denn München, wo sein Wirken anfing, ist weit von Berlin. Auch die furchtbare Zeit der Münchener Räteregierung23 vom Februar bis Mai 1919, und die Greueltaten der dortigen Kommunisten, wurden uns nur oberflächlich durch die Tagespresse gemeldet. Rückdenkend wird es immer klarer, wie geflissentlich die Regierung uns diese Tatsachen vorenthielt, aus Angst vor Entrüstung von rechts. Jede sozialistisch-kommunistische Ausschreitung wurde bemäntelt, jede anständige nationale Regierung als Volksverrat verdammt. Damit meinte man besonders auf England Eindruck zu machen, die dortige Regierung milde zu stimmen, eine Hoffnung, die sich von Jahr zu Jahr trügerischer erwies. Man hat kein deutsches Schulkind gelehrt, daß 750.000 nicht kämpfende Männer, Frauen und Kinder durch die Hungerblockade, die erst zwei Jahre nach Kriegsende aufgehoben wurde, zugrunde gegangen sind. Davon kein Wort. Auch den Hitler-Putsch vom 9. November 1923, an dem General Ludendorff sich beteiligte, habe ich nicht als den Anfang einer neuen Welt angesehen. Aber im Herbst 1926, als Hitler nach seiner verbüßten Festungshaft in Landsberg a. d. Warthe wieder im Reich sein Wirken aufgenommen hatte, besuchte ich die Tanten in Braunschweig auf ein paar Tage. Gleich am ersten Abend sagten sie: „Morgen hören wir Hitler sprechen“.24 Natürlich war ich begeistert. Früh nahmen wir unsere Plätze in der vordersten Reihe eines nicht allzu stark besetzten Saales ein. Der schmächtige Mann, in einem leicht fadenscheinigen, dunkelblauen Anzug, sprach dreiundeinehalbe Stunde ohne zu stocken, und als diese Stunden zu Ende gingen, sagte ich zu den Tanten, „wenn er nur vorne wieder anfangen würde“. Es war ja für mich, ganz im nationalen Fahrwasser, und innerlich gegen die Weimarer Verfassung lebend, nichts allzu neues, was er sagte, aber daß er es sagte, daß er schonungslos die politischen Zustände im Nachkriegsdeutschland in täglichen Versammlungen beleuchtete, das war eben das Neue. Und seine Haut trug er täglich zu Markte, wenn er immer wieder dem deutschen Volk einhämmerte, daß es restlos dem Bolschewismus verfallen würde, wenn es sich nicht aufraffte und in geschlossener Einheit marschierte, statt in unseligen Parteizwisten sich zu zersplittern. Vor Tante Agnes und Tante Gete, können die Urenkel und Großneffen und Nichten, die diese hervorragenden Frauen nicht mehr gekannt haben, den Hut abnehmen. Ihr geschulter Geist, ihr hervorragendes geschichtliches Wissen, ihre Vaterlandsliebe und ihr großes Gottvertrauen haben ihnen eine Sehergabe eingeflößt, die uns anderen abging. Und sie haben sich der Hitlerbewegung nicht nur geistig angeschlossen, sondern trotz Altersschwäche, in täglicher mühevoller Kleinarbeit, unter großen pekuniären Opfern, in Braunschweig für die Volksaufklärung gewirkt. Gottlob leben sie noch, wenn auch alt und krank, in diesem großen Jahre 1933, und haben die Früchte ihrer unermüdlichen Arbeit reifen sehen. Ich frage mich so oft, warum die nationale Erhebung in ihrem Kampf gegen Demokratie und Sozialdemokratie, nicht von den Deutschnationalen zusammen mit dem Stahlhelm zu schaffen gewesen wäre. Es waren da große und ehrliche Kräfte am Werk. Sie hatten aber nicht die innere Dynamik, etwas wirklich neues, überzeugendes zu schaffen, und sie hatten

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nicht die deutsche Jugend hinter sich. Sie wollten Wiederaufbau im besten Sinne der alten Tradition. Was aber nötig war, um ein so völlig zertretenes Volk, wie das deutsche, wieder aufzurichten, war Neubau, nicht die Wiederherstellung veralteter Zustände. Vom konservativen Geist, sagt Winnig, in dem vorhin erwähnten Buch: „Es ist sein geschichtlicher Beruf, sich an Zeitmaße der vordringlichen Auflösung zum schöpferischen Revolutionärtum zu entfalten“. Dieses Revolutionärtum blieben uns die Deutschnationalen schuldig. Hitler brachte es auf, in einer Zeit, als die Staatsmacht nur bestrebt war, das Volk dumm zu halten. Die Größe des deutschen Unglücks wurde doch dem Volk nach allen Regeln der Kunst vorenthalten. Man sagte nicht: “Ja, das Unglück ist da, nun mit aller Kraft und Zähigkeit dagegen angehen“. Im Gegenteil, es wurde gesagt: „In der Erfüllungspolitik der feindlichen Befehle, da liegt Euer Heil“. Zum 10. Jahrestag der Unterschreibung des Versailler Diktats am 28. Juni 1929 hatte der Historiker Prof. Hans Delbrück eine wunderbare Gedenkrede verfaßt, „Der Friede von Versailles“, die er vor der Studentenschaft der Berliner Hochschulen zu halten gedachte. Die Rede war in ihrer Vornehmheit und Sachlichkeit vorbildlich; ich lege sie diesen Aufzeichnungen bei, damit Ihr Euch selbst davon überzeugen könnt, aber zwei Tage vorher wurde die Veranstaltung vom Ministerium des Innern verboten. Vierzehn Tage später ist Prof. Delbrück gestorben.25 Sollte man diese für möglich halten? Aber - - - „der Feind steht rechts“. Dieses schmähliche Wort hat Dr. Josef Wirt26 geprägt, der in diesen Jahren Innenminister war. Fürwahr, es war höchste Zeit, daß ein Adolf Hitler diesem Wort ein „Deutschland erwache“ entgegenschmetterte, und von Versammlung zu Versammlung ging, um dem deutschen Volke einzuhämmern, daß die Sache der Nation, die Sache des Arbeiters ist. Denn die Welle des Unglücks geht immer weiter, täglich steigen die Ziffern der Arbeitslosen, die Fabriken schließen, die Schlote rauchen nicht mehr. Im September 1930 wieder in England, wurde ich mit ironischem Lächeln gefragt: „And how is Herr Hitler?“ Man fing an aufzuhorchen. Ohne daß man die Bewegung wirklich ernst nahm, etwas unheimlich war sie den Engländern doch, denn sie und die Franzosen ahnten, daß ein Erwachen nationaler Kräfte in Deutschland, eine ganz andere Weltlage schaffen könnte. Dann folgte die zweite Frage: „Does Hitler want war?“ Da war aber die Ironie auf meiner Seite, ich erkundigte mich freundlich: „Womit?“ Mit Reitpeitschen oder Gummiknüppel etwa? Sollte die 1000.000 Mann Reichswehr, ohne Geschütze, ohne Tanks gegen ganz Europa Krieg führen? Die Ahnungslosigkeit des englischen Volkes beruht eben auf ihrer völligen Unkenntnis des Inhaltes des Versailler Vertrags, und der Tatsache, daß 65.000 Menschen auf einem verstümmelten und seinen Kolonien beraubten Deutschland nicht mehr existieren können. Unerwähnt darf man den kulturellen Abstieg dieser Jahre nicht lassen. Oper, Theater, Presse, alles war in jüdische Hände gekommen. Sie beherrschten alles, die Wahl der aufzuführenden Stücke, die in den kleineren Theatern oft schamlosester Art waren. An den großen herrlichen Opern war ja, Gott sei Dank, nichts zu verderben, wohl aber an der Wahl der ausübenden Kräfte. Die Juden waren Trumpf, und die Anstellung einer Sängerin hing zumeist von ihrem persönlichen Verhältnis zu den jüdischen Intendanten ab. Der Baßist an der Oper, ein guter

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Bekannter von Georgie, erzählt mir, wie aussichtslos es für ihn sei, als Arier gute Rollen zu bekommen. Große Schamlosigkeit herrschte auch in der Presse und in der sogenannten „bildenden Kunst“. Ich habe Kunstzeitschriften gesehen, die in ihrer zersetzenden Dekadenz jeder Beschreibung spotten. Eine über alles grauenhafte Holzskulptur wurde, glaube ich, in der Voßischen Zeitung abgebildet: „Christus in der Gasmaske“27, und dieses Schandwerk hat man – sage und schreibe – im altehrwürdigen Lübecker Dom aufgehängt – als Gefallenendenkmal.28 Zu Ehren der Lübecker muß ich aber hinzusetzen, daß beherzte Lübecker Bürger eines Nachts den Kopf entwendet haben und ihn in die Trave geworfen. Dieses erzählte mir Elsbeth Gagzow, denn bei der Konfirmation ihres jüngsten Sohnes war die Figur bis zu ihrer Wiederherstellung verhängt. Es spielte sich eben in Deutschland allmählich alles ab, wie es die Juden in der merkwürdigen Schrift „Die Protokolle der Weisen von Zion“29 festgelegt hatten. Durch die Ausmerzung jeder sauberen nationalen Gesinnung, sollte Platz gemacht werden für die jüdische Internationale, und dem russischen Bolschewismus jenseits der Grenzen Tür und Tür geöffnet werden. Aber um dieses Ziel zu erreichen, mußte vor allen Dingen an das A. und O. jeder gesunden Wirtschaft gerüttelt werden, nämlich an die Landwirtschaft. Das ist ein Kapitel für sich. Infolge der Friedensverträge und der Freihandelsanschauungen der deutschen Regierung, wurden landwirtschaftliche Produkte vom Ausland zu Weltmarktpreisen, die niedriger, als die Inlandspreise waren, ohne Zollschutz über die Grenzen gelassen. Daher erhielten die deutschen Landwirte für ihre Produkte niedrigere Preise, als sie zur Bestreitung der Ausgaben, insbesondere der durch die marxistischen Maßnahmen fortwährend steigenden Löhne, hätten bekommen müssen. Die Landwirte hatten kein Geld, um ihre Betriebe auf der Höhe zu halten, um notwendige Anschaffungen zu machen, sodaß die Betriebe immer weiter verwahrlosten. Sie konnten ihren Verpflichtungen gegenüber den Gläubigern (meistens jüdische Getreidehändler) nicht mehr nachkommen. Die Gläubiger verklagten die Betriebsinhaber und trieben sie zur Zwangsversteigerung. Den Höhepunkt erreichte diese Not 1930/31. Im Herbst 1931 bestand die Gefahr, daß viele Betriebe nicht mehr das notwendige Saatgut und den Dünger anschaffen konnten, um ihre Äcker zu bestellen. Große Flächen hätten brach liegen müssen. Da griff er Staat mit den Osthilfemaßnahmen ein, gab Kredite zur Beschaffung von Saatgut und Düngemitteln. Außerdem wurde der Zollschutz für die landwirtschaftlichen Produkte erhöht, sodaß die Preise stiegen, und allmählich eine Besserung, aber keine ausreichende Besserung eintrat. Durch die Osthilfe wurden Zwangsversteigerungen und Zwangsvollstreckungen für die Landwirtschaft untersagt. Die gestiegenen Zinssätze hatten die Landwirtschaft in den Jahren 1923-1931 schwer bedrückt. 1931 mußte man für Bankkredite 15-12% Zinsen bezahlen, da eine Verarmung an Kapital durch die irrsinnigen Reparationszahlungen, durch die Inflation und die lange Notzeit entstanden war. Die Banken und die großen Herren, die an der Spitze standen, hatten sich eben auf Kosten der Allgemeinheit und der Landwirtschaft in diesen Jahren unendlich bereichert. Das muß ich leider als Bankierswitwe ungern aber wahrheitsliebend zugeben.

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Um diese Zeit war Brüning Reichskanzler. Er war entschieden der Beste, den wir in diesen System-Jahren seit Stresemann gehabt haben. Alle anderen Minister waren von so kleinem Format, daß sie gerne in Vergessenheit geraten können. Ihre Reihenfolge ist mir entfallen. Erst als von Papen Reichskanzler wurde, kam ein frischer Zug in das durch stereotype Phrasen festgefahrene System. 1931 habe ich zuerst Hitlers „Mein Kampf“ gelesen.30 Eine glückliche Erinnerung an diesen Frühsommer ist die herrliche Autoreise, zu der ich Fritz und Irene eingeladen hatte. In Fritz’s gemütlichem Opelwagen, von ihm sicher gesteuert, fuhren wir an einem köstlichen Maienmorgen von Berlin ab. Die Fahrt ging über Coburg, durch Bayern und Württemberg, nach dem Rheinfall bei Schaffhausen. Das ganze Süddeutschland war ein Rausch von Apfelblüten. Jetzt quer durch die Schweiz, über und durch den Gotthardtunnel nach Lugano. Das Auto wird für die Fahrt durch den Tunnel auf dem Zuge verladen. Irene sah nun zum ersten Mal die Schweiz. Am Lugano-See und in den Tessiner Bergen verlebten wir herrliche Tage. Unvergeßlich ist die Fahrt auf dem Monte Generoso, wo wir Körbe voll Enzian und andere Herrlichkeiten pflückten. Nach einem Tage am Comer See, ein kurzer Abstecher nach Mailand, um den Dom und die leider absterbenden Überreste von Lionardos herrlichem Abendmahl zu sehen. Zurück wieder über den Gotthard, und dann durch den Schwarzwald, über Heidelberg, Odenwald, das Maintal und Thüringen nach Hause voller wunderbarer Eindrücke. Ich habe dann für Irene ein Album zusammengestellt mit Bildern von dieser Reise. Ihr könnt sie genau verfolgen. Immer, wenn ich an schönen Orten bin, mache ich Pläne für die Zukunft, wie ich wohl mal den Enkeln die Zukunft zeigen kann. Aber bis sie so weit sind, werde ich wahrscheinlich dafür zu alt sein. Dann kam plötzlich und unerwartet der Bankkrach am 13. Juli, an Irenes Geburtstag, den ich in Warnemünde mit ihr verlebte. Die Ursache dieses dynamischen Schlages ist, kurz zusammengefaßt, etwa folgendermaßen: Der Abzug von ausländischen Guthaben in Deutschland, verursacht durch den Konkurs von der Bremer Wollfirma Lahusen & Co., bedrohte die deutsche Devisenlage.31 Dieser plötzliche Zusammenbruch einer der bedeutendsten internationalen Handelsfirmen löste im Ausland Mißtrauen aus. Es folgten starke Abhebungen von ausländischen Werten bei den deutschen Banken. Diese Situation wurde im Inlande sehr verschärft, als bekannt wurde, daß die Darmstädter Bank bei der Bremer Wollkämmerei sehr stark engagiert sei. Dadurch kamen besonders starke Abzüge bei der Darmstädter Bank, die ihre Zahlungen einstellen müßte. Es entstand eine allgemeine Panik im Publikum, sodaß „runs“ auf alle Banken und Sparkassen einsetzten. Darauf wurde von der Regierung ein allgemeines Moratorium erlassen. Die Banken schlossen auf vier bis fünf Tage vollständig, und dieses mitten in den Sommerferien, wo die meisten Menschen verreist waren! Viele konnten weder die Hotelrechnung bezahlen, noch nach Hause reisen. Ich wollte zu Ilse Günther nach Ballenstedt fahren, dafür reichte mein Geld eben. Kurz entschlossen schrieb ich an Granny nach London und bat sie, mir ₤ 5 zu schicken, was sie prompt tat. Ich wechselte sie in Quedlinburg bei der Commerz-Bank ein, mit dem leicht erhebenden Gefühl, der deutschen Reichsbank ganze ₤ 5 in Devisen eingebracht zu haben! Als dann im Oktober darauf England von dem Goldstandard abging, wurde die Devisenlage in Deutschland weiter sehr verschärft, weil die Konkurrenzfähigkeit

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der deutschen Waren sich gegen die englischen verschlechterte. Auch aus politischen Gründen war das Ausland nicht bereit, deutsche Waren in bisheriger Weise abzunehmen. Die ganze Trostlosigkeit der deutschen Wirtschaft offenbart sich in dem Devisenstand der Reichsbank, und diese ist auch jetzt im Jahre 1933 nicht besser geworden, ja sie wird von Tag zu Tag schlechter und eine Besserung ist überhaupt nicht abzusehen. Ich lebe ja persönlich, dank der weisen und gütigen Vorsorge Vaters, und der umsichtigen Verwaltung Georgies, in leidlich ordentlichen Verhältnissen, obgleich es mir von anderer Seite in diesen Jahren sehr schwer gemacht wurde, finanziell solide zu wirtschaften. Politisch wird die Lage immer verworrener. Wir gingen von Wahlgang zu Wahlgang, da jede Regierung versagte und zurücktrat. Jede Wahl brachte eine Vergrößerung der beiden extremen Parteien, der nationalsozialistischen und der kommunistischen Stimmen. Die Deutschnationale und das Centrum hielten sich, die Demokraten verloren am meisten, Sozialdemokraten hielten sich. Aber neben diesen Hauptparteien, gab es, dank der typisch deutschen Eigenbrödelei, unzählige Splitterparteien, um die Verwirrung noch zu vergrößern. Ja, ich glaube, wir haben es schließlich auf bis zu siebenundzwanzig gebracht! Die Gesamtzahl der abgegebenen Stimmen wurde aber immer weniger. Das Publikum sei „wahlmüde“ hieß es, ein dummer Ausdruck, der mich sehr ärgerte. Warum dann nicht „Mittagessen müde“ oder „Spaziergehen müde?“ Die Versammlungen, von denen ich auch einige besuchte, wurden immer erregter. Auf der Straße hielt man Rechenschaft über die ausgehängten Fahnen und freute sich, wenn das Schwarz-weiß-rot der Deutschnationalen und das Hakenkreuzbanner der N.S.D.A.P. über das Schwarz-rot-gold der Demokraten und Hammer und Sichel der Kommunisten triumphierten. Die immer öfter werdenden Aufmärsche der kommunistischen Arbeitslosen konnten den ganzen Straßenverkehr aufhalten. Diese von Juden und Moskau verführten Leute sangen die „Internationale“ und riefen mit herabhängenden Daumen ihr „Nieder, nieder, nieder“. Es war schaurig anzusehen und man konnte sich einen Begriff davon machen, was aus uns werden würde, wenn diese Leute an die Macht kämen. Im Oktober 1931 fand die berühmte Harzburger Tagung der Deutschnationalen und des Stahlhelms unter Hugenberg und der Nationalsozialisten unter Hitler statt.32 Die Annäherung hatte Reichskanzler von Papen zuwege gebracht. Man empfand es als ein Glück, daß diese großen nationalen Kräfte sich zusammen fanden. deshalb kann ich es nur sehr bedauern, daß diese Zusammenarbeit sich später nicht weitere entwickelt hat. Es war vielleicht unvermeidlich, daß das lawinenartige, dynamische des dritten Reiches alles andere vor sich wegfegte, was ganz neues schaffend. Aber schade ist es um jede brachliegende nationale Kraft. Das Jahr 1932 war infolge von familiären Umständen eines der schwersten meines Lebens, an das ich nur mit Schauern zurückdenke. Es war eine glückliche Fügung, daß im Herbst Traudel von Hartrott und ihr Sohn Helmut zu mir zogen. Mit diesen zwei lieben Menschen habe ich intensiv das Aufgehen der neuen Zeit erlebt.

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Die Welle des Unglücks von Versailles ausstrahlend, verbreitete sich jetzt über die ganze Welt. Überall Arbeitslose, Hunger und Not, nicht nur in Deutschland. Wird man einen Ausweg finden? Man beruft wieder eine Konferenz, diesmal in Lausanne, bei strahlendem Spätsommerwetter. Die deutsche Delegation unter Reichskanzler von Papen und Außenminister Freiherr von Neurath ist von etwas anderem Schrot und Korn, als bei früheren Konferenzen. Beide haben sich schonungslos über die Wirtschaftslage und ihre Ursachen ausgesprochen. Aber die festgelegten Formeln der anderen Staaten waren auch diesmal nicht zu sprengen. Man ging wieder auseinander und das Heer der Arbeitslosen stand weiter stumpf und träge an den Straßenecken aller Hauptstädte, ob in Berlin, London oder Paris. Weihnachten 1932 ging vorüber, und dann - - - auf einmal war es da, das dritte Reich Adolf Hitlers, auf einmal hatte es ganz Deutschland erobert. Reichspräsident von Hindenburg ernannte ihn zum Reichskanzler, und legte alle Macht in seine Hände. Es war der dreißigste Januar 1933. Traudel und ich erlebten diesen Tag am Rundfunk, auch den abendlichen Fackelzug von S.A, S.S., Reichswehr und Stahlhelm, die zu Abertausenden durch die Wilhelmstraße zogen, und Hindenburg und Hitler zu huldigen.33 Erst nach und nach wurde uns klar, daß das, was in vollendeter Ruhe sich erfüllte, die gewaltigste und unblutigste Revolution aller Zeiten war. Aber die Bäume wachsen nicht in den Himmel. Bald setzte in Ausland eine Pressehetze ein, gegen Hitler, gegen den Nationalsozialismus, die alles in den Schatten stellte, was wir in den Kriegsjahren erlebt hatten. Die englischen und französischen Zeitungen atmeten einen frenetischen Haß. Was? Die Deutschen wagen sich über die heiligen Prinzipen der Demokratie hinwegzusetzen? Dieser österreichische Gefreite untersteht sich, die Ordnung umzustoßen? Mit einer so umfassenden Umwälzung in Deutschland hatte das Ausland doch nicht gerechnet, und ihre Wut stand im Verhältnis zu ihrer Überraschung. Ein Zeichen, daß Adolf Hitler auf dem rechten Wege war! Ganz schlimm wurde es, als Ende Februar der Reichstag brannte. Unser Deutscher Willkommenklub hat seinen italienischen Gesellschaftsabend im Kaiserhof. Um 9 Uhr hieß es: „der Reichstag brennt“. Anwesende Herren von Partei und Regierung verließen sofort den Saal. Viele der männlichen Tanzjugend eilten, um das Schauspiel zu sehen, kamen aber kaum auf ihre Kosten, denn Reichswehr und S.A. sperrten das brennende Gebäude in großem Bogen sofort ab. In den Wandelgängen entdeckte man einen jungen Mann, der sich als holländischer Kommunist entpuppte und von dem man annahm, daß er mit dem Kommunisten Dimitroff auf bolschewistische Anordnung den Brand verursacht hat. Dieser Brand hat die ganze Welt in die ungeheuerste Aufregung gestürzt, aber wie gewöhnlich, hagelte es nur so von Verdächtigungen und Beschuldigungen gegen Deutschland. Man sagte ganz offen, wir hätten den Brand entfacht, um unser strenges Vorgehen gegen unsere Kommunisten, die jetzt im Konzentrationslager saßen, wo sie kein Unheil mehr anrichten können, zu rechtfertigen. Thälmann, der Führer der kommunistischen

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Partei sitzt jetzt im Gefängnis, und wird wohl nicht so bald wieder herauskommen. Die Judenpresse der ganzen Welt schmähte Hitler und den Nationalsozialismus. Diesen Herren war es klar, daß ihre Rolle in Deutschland bald ausgespielt sein würde. Und das ist auch gut so. Zur Eröffnung des, durch Mehrheitsbeschluß des deutschen Volkes gewählten, neuen Deutschen Reichstages, wurde der 21. März gewählt. Einen neuen Frühlingsanfang sollte das deutsche Volk im tiefsten Sinne des Wortes erleben. Und dieses gewaltige Fest fand in Potsdam statt. Durch die Freundlichkeit von dem Potsdamer Polizeipräsidenten, Herrn von Zitzewitz, konnte ich in seinem Hause daran teilnehmen. Frühmorgens holten mich Sogemeiers im Auto ab, und mit den nötigen Polizeiausweisen versehen, kamen wir glatt durch alle Sperren. Die Sonne schien; das war aber auch das einzigste, was an den Lenz erinnerte. Ein eisiger Nordostwind und öfters Schneegestöber fegte uns um die Ohren. Das schöne, im klassischen Stil von Knobelsdorff erbaute Polizeipräsidium liegt ja direkt am Lustgarten. Die Zeit wurde uns nicht lang, denn was gab es nicht alles zu sehen? Nie endende Aufmärsche von braunen Bataillonen, von Reichsheer, Musik und Fahnen, und glückliche, begeisterte Volksmassen. Um 10 Uhr früh fuhr Herr von Zitzewitz nach der Glienicker Brücke, die Grenze von Berlin und Potsdam, um den Reichspräsidenten in Empfang zu nehmen, und ihn in die Nikolaikirche zu begleiten, wo der evangelische Gottesdienst für die Mitglieder des Reichstages und der Reichsregierung stattfand. Nach Beendigung des Gottesdienstes zogen die Teilnehmer in geschlossenem Zuge, unter dem Glockenläuten aller Kirchen in die Garnisonskirche. Das war für uns der Höhepunkt des Tages, denn sie gingen an unseren Fenstern vorbei, Hindenburg mit Zitzewitz langsam im offenen Auto, aber alle anderen zu Fuß. Da waren sie, Hitler, Papen, die Minister, die Generäle, Mackensen in seiner Husarenuniform, der alte Litzmann, der Kronprinz, Hugenberg, Seldte, Goering, Goebbels; man hatte Mühe, sie alle festzuhalten. Und überall standen die S.A., und die Nationalen Verbände Spalier. Der Feier in der Garnisonkirche konnten wir Wort für Wort folgen, da ein riesiger Lautsprecher unter unserem Fenster stand. Die einleitenden Worte Hindenburgs an die Mitglieder des neuerwählten Reichstags endeten: „Möge der alte Geist dieser Ruhmesstätte auch das heilige Geschlecht beseelen, möge er uns frei machen von Eigensucht und Parteizank und uns in nationaler Selbstbesinnung und seelischen Erneuerung zusammenführen zum Segen eines in sich geeinten, freien, stolzen Deutschlands.“ Dann erteilte er dem Reichskanzler Adolf Hitler das Wort. Während ich der Rede Hitlers lauschte, hatte ich das Empfinden, nach vierzehnjähriger Kerkerhaft wieder das Tageslicht zu erblicken. Die Rede lege ich im Wortlaut diesen Aufzeichnungen bei. Dann erklang herrliche Musik. Nach einigen Augenblicken tiefsten Schweigens, betrat der Reichspräsident die Gruft Friedrich Wilhelm I. und Friedrich des Großen und legte an beiden Särgen Kränze nieder. Einundzwanzig Salutschüsse wurden unter unseren Fenstern im Lustgarten abgegeben, und in der Garnisonkirche ertönte das „Niederländische Dankgebet“.

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Damit hatte der Weiheakt seinen Abschluß gefunden. Der neue Staat, das dritte Reich Adolf Hitlers hatte seine Taufe erhalten. Frau Sogemeister, die das Glück hatte einen Platz in der Garnisonkirche zu erhalten, konnte, als sie wieder ins Präsidium kam, vor innerer Erregung kaum sprechen. Kein Auge ist dort trocken geblieben. Wie oft habe ich in diesen Stunden gewünscht, daß Tante Agnes und Tante Gete hier den Tag hätten erleben können. Das darauf folgende militärische Schauspiel haben wir erst später in der Wochenschau und durch die Zeitungsblätter zu sehen bekommen. Über eine Stunde hat der Generalfeldmarschall vor der Garnisonkirche den Vorbeimarsch aller militärischen Formationen abgenommen. Dann kehrte er nach Berlin zurück. Die Stadtbahn hatte allerhand zu tun, um die Hunderttausende von Schaulustigen, die diesen großen Tag in Potsdam mitmachen wollten, zu befördern, aber es ging alles ganz glatt und ich war schnell wieder am Zoo. Nachmittags um 5 Uhr wurde die erste kurze Sitzung des neuen Reichstags in der Krolloper durch Reichstagspräsident Göring eröffnet. Nach Hause kommend, erzählte Traudel von ihren Erlebnissen. Sie war den ganzen Tag herumgewandert, Unter den Linden, Wilhelmstraße zwischen schaulustigen Menschenmassen, hatte Hindenburg und Hitler auf der Rückfahrt gesehen. Um sechs Uhr fand in der Staatsoper eine Festaufführung von den Meistersingern statt, da staute sich wieder die Menge, um Hitler zu sehen. Ich telefonierte an meinen und Georgies guten amerikanischen Freund, Mr. Hulse, von der Chase Bank, und bat um Erlaubnis, mit Traudel und Helmut zu ihm aufs Büro kommen zu dürfen, um den Fackelzug zu sehen. Wenigstens zwei Stunden hat er gedauert; Reichswehr, Stahlhelm und die schier unendlichen „braunen Bataillonen“. Von dem 4. Stock konnten wir die Linden, beinahe in ihrer ganzen Länge bis zum Brandenburger Tor übersehen, mit den brennenden Fackeln, den Symbolen eines neuen geeinten Deutschlands. Am 24. März hielt Hitler seine erste große Rede als Führer der deutschen Nation im Reichstag, eine Abrechnung mit der Vergangenheit, ein Programm für die Zukunft, für die Freiheit und Ehre der deutschen Nation, und gegen die Scheidung der Völker in Sieger und Besiegte. Ich schließe diese Aufzeichnungen, denn was jetzt kommt, gehört eben dieser Zukunft. Sie wird von einer ganz neuen Weltanschauung beherrscht werden. Leicht wird sie nicht sein, vielleicht schwerer, als sich mancher in der Begeisterung des Augenblicks träumt. Denn eins steht fest. Das Ausland wird dem neuen Deutschland nur feindlich gegenüberstehen. Die ausländische Presse, von unterirdischen, internationalen Kräften gespeist, läßt darüber keine Zweifel aufkommen. Folgende Worte, die Hitler in der Garnisonkirche sprach: „Der Welt gegenüber aber wollen wir, die Opfer des Krieges von einst ermessend, aufrichtige Freunde

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sein eines Friedens, der endlich die Wunden heilen soll, unter denen alle leiden“, - - - sind in der gesamten englischen Presse unerwähnt geblieben. Mut und Beharrlichkeit werden den deutschen Volk nötiger sei, als zu irgendeiner Zeit. In diesem Sinne

Heil Hitler

Im Frühjahr 1933

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Orts- und Namensregister Abernon, Lord d´ 6 Agnes 9, 16 Assisi 7 Baden, Prinz Max v. (1869-1929; dt. Reichskanzler v. Oktober bis November 1918) 1, 2 Bad Harzburg 13 Ballenstedt 12 Berlin 1, 2, 5, 9, 12, 16 Bordighera 7 Brandt, Rolf (1886-1953; dt. Schriftsteller ) 4 Braunschweig 9 Briand, Aristide (1882-1932; franz. Politiker u. Staatsmann) 6 Brockdorff-Rantzau, Ulrich v. (1869-1928; dt. Diplomat u. Außenminister 1918-1919) 4 Brüning, Heinrich (1885-1970; dt. Politiker u. Reichskanzler 1918-1919) 12 Chamberlain, Sir Joseph Austen (1863-1937; brit. Politiker u. Außenminister 1927-1929) 6 Chamberlain, Sir Joseph (1836-1914; brit. Staatsmann) 6 Coburg 12 Dawes, Charles (1865-1951; amer. Staatsmann; Friedensnobelpreisträger 1925) 5, 8 Delbrück, Hans Gottlieb (1848-1929, dt. Historiker u. Politiker) 10 Den Haag 9 Dimitroff, Georgi (1882-1942, bulg. Kommunist) 14 Düsseldorf 5 Ebert, Friedrich (1871-1925; dt. Politiker u. 1. Reichspräsident d. Weimarer Republik 19191925) 2, 3, 6 Elsa 7 Eupen 5 Florenz 7 Frankfurt/Main 5 Friedrich II ( "der Große", 1712-1786; preuß. König 1740-1786) 15 Friedrich Wilhelm I. (1688-1740; preuß. König 1730-1740) 15 Fritz 12 Gagzow, Elsbeth 11 Genf 8, 9 Genua 5 Georgie 3, 6, 11, 13 Gete 9, 16 Goebbels, Joseph (1897 1945; nationalsoz. Politiker, Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda 1933-1945) 15 Göring, Hermann (1893-1946;, nationalsoz. Politiker, ab 1933 Rcichsminister f. Luftfahrt, Reichsmarschall 1940-1945) 15, 16 Gosta 8 Granny 7

Günther, Ilse v. 6, 12

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Hartrott, Helmut v. 13, 16 Hartrott, Traudel v. 13, 14, 16 Heidelberg 12 Helfferich, Dr. Karl Theodor (1872-1924; vgl. Bd. 1 Anm. 27) 5 Henrich 3 Hindenburg, Paul v.(1847-1934; dt. Feldmarschall u. Reichspräsident) 6, 14, 15, 16 Hitler, Adolf (1889-1945; nationalsoz. Poltiker, dt. Reichskanzler u. Diktator 1933-1945) 9, 10, 12, 13, 14, 15, 16 Hölz, Max (1898-1933; dt. kommunistischer Politiker, ab 1918 Mitglied der DKP; vgl. Anm. 13) 5 Hugenberg, Alfred (1865-1951; dt. Rüstungs-u. Medienunternehmer) 6, 15 Hulse 16 Irene 12 Jarres, Karl (1874-1951; dt. Politiker) 6 Jiris 8 Kiel 3 Knobelsdorff , Georg Wenzeslaus (1649-1753; preuss. Maler u. Architekt) 15 Koch, Friedrich v. 6 Lahusen 12 Landsberg 9 Lausanne 14 Lichterfelde 1 Liebert, Eduard v. 3 Litzmann 15 Locarno 6, 8 London 5 Ludendorff , Erich v. (1865-1937; dt. General u. Politiker) 9 Lugano 12 Lübeck 11 Mailand 12 Mackensen, August v. (1849- 1945; dt. Generalfeldmarschall) 15 Malcolm 5 Malmedy 5 Marx, Wilhelm (1863-1946; dt. Reichskanzler 1926-1928) 6 Montevideo 7 Moskau 13 Müller, Hermann (1876-1931; dt. Reichskanzler 1928-1939) 8 München 9 Neurath, Konstantin v. (1873-1956; dt. Außenminister 1932-1938) New York 8 Otto 7 Papen, Franz v. (1879-1969; dt. Reichskanzler Juni - Dezember 1932) 12, 13, 14, 15

Paris 4, 8 Perleberg 3 Perugia 7

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Poincarè, Raymond (1860- 1934; franz. Staatspräsident 1913- 1920) 6 Potsdam 15, 16 Quedlinburg 12 San Gemignano 7 Schacht, Hjalmar (1877-1970; dt. Bankier; Reichswirtschaftsminister 1934-1937) 5 Schaffhausen 12 Schlageter, Albert Leo (1894-1923; dt. Freikorpskämpfer und militanter Rechtsaktivist; vgl. Anm. 14) 5 Scheidemann, Philipp (1865-1939; dt. Politiker u. dt. Reichspräsident 1919) 2, 4 Schöneberg 3 Seeckt, Hans v. (1866-1936; Chef der Heeresleitung der Reichswehr 1920-1926) 5 Seldte, Franz (1882-1947; NSDAP-Politiker und Reichsarbeitsminister 1933-1945) 15 Sogemei(st)er 15, 16 Spa 5 Stresemann, Gustav (1878-1929; dt. Reichskanzler 1923; Reichsaußenminister 1923-1929) 6, 12, Thälmann, Ernst (1886-1944; dt. komm. Politiker) 14 Tirpitz , Alfred v. (1849-1930; dt. Großadmiral) 6 Trave (Fluss) 11 Valparaiso 7 Versailles 4, 5, 6, 8, 10, 14 Walter 3, 7 Warnemünde 12 Wilhelmshafen 3 Wilson, Woodrow (1856-1924; amerik. Präsident 1913-1921) 4 Winnig, August (1878-1956; dt. sozialdemokratischer Politiker und Gewerkschafter; vgl. Anm. 20) 7, 10 Winterfeldt, Fr. v. 7 Wirth, Joseph (1879-1956; dt. Reichskanzler 1921-1922) 10 Whyte 7, 8 Young, Owen D. (1874-1862; amerik. Industrieller u. Diplomat) 8 Zitzewitz, Hr. v. 15

1

Vorbemerkung: Von dem Tagebuch liegt nur eine Abschrift vor. Die wenigen Auslassungen finden sich auch dort, sie sind offenbar beim Abschreiben nicht entziffert worden. Das Original liegt nicht vor. 2

Der seit 21. November 1916 herrschende Kaiser Karl hatte im Herbst 1918 verschiedene Anläufe unternommen, einen eigenen Waffenstillstand für Österreich-Ungarn auszuhandeln, die militärische Lage des Landes war verzweifelt; schließlich kam es Anfang November zur Unterzeichnung eines Waffenstillstandes in Padua, vgl. dazu Gerhard Hirschfeld u.a. (Hgg), Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2015, 80-85. 3

Max von Baden war von Anfang Oktober bis zum 9. November 1918 Reichskanzler; er übergab die Macht an den Sozialdemokraten Friedrich Ebert. 4

Vgl. zu den Novemberereignissen allgemein Urich Kluge, Die deutsche Revolution 1918/1919, Frankfurt 1985. 5

Der Umgang mit den Kriegsgefangenen, die erst nach der Unterzeichnung der Versailler Friedensverträge im Januar 1920 nach Deutschland zurückkehren konnte, wurde in den innenpolitischen Auseinandersetzungen immer wieder für propagandistische Argumente benutzt, vgl. dazu Enzyklopädie Erster Weltkrieg, 643. 6

Allgemein wird auf die schweren politischen und gewalttätgen Unruhen im Januar 1919 angespielt, vgl. dazu allgemein Heinrich August Winkler, Weimarer 1918-1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie, München 1993, 57ff 7

Vgl. dazu Enzyklopädie Erster Weltkrieg, 950f

8

So Philipp Scheidemann vor der Nationalversammlung am 12. Mai 1919 vgl. Christian Gellinek: Philipp Scheidemann. Gedächtnis und Erinnerung, Münster 2006, 44. 9

Rolf Brandt (1886-1953) war ein nationalsozialistischer Schriftsteller, Der Weg durch die Hölle. 7 Kapitel Deutscher Geschichte 1918-1933, Berlin 1933. 10

Gemeint ist sicherlich die Deutschnationale Volkspartei (DNVP), die am 24. November 1918 aus verschiedenen Konservativen Parteien gegründet worden; in der Endphase der Weimarer Republik schloß sie sich eng an die NSDAP an. 11

Bezogen wird sich hier und im folgenden auf die verschiedenen im Versailler Vertrag niedergelegten Regelungen um strittige Grenzregionen, vgl. zum Friedensvertrag allgemein Winkler, Weimar, 87ff. 12

Der sog. Kapp-Lüttwitz Putsch vom März 1920 war der gescheiterte Versuch einiger Offiziere, die alte Ordnung wieder herzustellen, vgl. dazu Sebastian Haffner, Der Verrat, Berlin 1993. 13

Gemeint ist der kommunistische Aufstand von Max Hölz (1898-1933) im März 1920 im Vogtland, vgl. dazu Winkler, Weimar, 153.

14

~ 22 ~

Albert Leo Schlageter (1894-1923), der nach einem missglückten Anschlag während der Ruhrbesetzung von den Franzosen zum Tode verurteilt und getötet wurde, wurde von nationalistischen und nationalsozialistischen Kreisen seit zu einem Märtyrer gemacht, vgl. dazu Winkler, Weimar, 194f. 15

Zur Beurteilung des Dawes-Plans vom August 1924 vgl. Winkler, Weimar, 258f.

16

Zur Wahl Hindenburgs vgl. Winkler, Weimar, 278ff.

17

Vgl. Wikipedia: „Rocher de bronze (frz., [rɔˈʃeːdəˈbrõːs]), »eherner Fels«[1], Sinnbild unerschütterlicher Festigkeit, ein geflügeltes Wort, das auf den König Friedrich Wilhelm I. von Preußen, den sogenannten Soldatenkönig, zurückgeht, der am 25. April 1716 auf eine Eingabe die Randbemerkung schrieb: „Ich … stabiliere die Souveränität und setze die Krone fest wie einen rocher von bronze.“ Er rechtfertigte damit eine absolutistische Vorgehensweise, indem er den Argumenten ostelbischer Junker gegen eine Steuererhöhung, die das Land ihrer Meinung nach zu ruinieren drohte, kein Gehör schenkte, seinen eigenen Willen durchsetzte und so die Eigenständigkeit des Adels beschränkte.” 18

Vgl. zum Vertrag von Locarno Winkler, Weimar, 206f.

19

Das Deutsche Reich trat 1926 dem 1920 gegründeten Völkerbund bei, Teil der außenpolitischen Normalisierung in der Weimarer Republik durch die Veträge von Locarno; unter Adolf Hitler erfolgte 1933 wieder der Austritt, vgl. Winkler, Weimarer, 306ff. 20

August Winnig gehörte zum rechten Flügel dr SPD, vgl. zur Person Wilhelm Ribhegge: August Winnig. Eine historische Persönlichkeitsanalyse. Verlag Neue Gesellschaft, BonnBad Godesberg 1973. 21

Hermann Müller amtierte von 1928 bis 1930 und war der letzte demokratisch legitimierte Reichskanzler, er wurde von Heinrich Brüning abgelöst. 22

Der Young-Plan zur Klärung der finanziellen Reparationsfragen wird in der Literatur gegenüber dem Dawes-Plan trotz gravierender Nachteile als Fortschrittt gesehen, vgl. dazu Winkler, Weimar, 347f. 23

Vgl. dazu den informativen Artikel “Münchner Räterepublik” in wikipedia.de.

24

In der Forschung überliefert sind zwei Auftritte Hitlers am 4. November 1925 und am 25. November 1927. Vor jeweils mehreren tausend Anhängern sprach Hitler über seine außenpolitischen Ziele – dies korrespondiert sehr mit dem Äußerungen von Mary Zwilgmeyer – sowie seinen eleminatorischen Judenhass. Vgl. zu den Reden: Hitler. Reden Schriften Anordnungen; hg. vom Institut für Zeitgeschichte. Band 1: Die Wiedergründung der NSDAP Februar 1925-Juni 1926, München 1992, 206ff; Band II: Vom Weimarer Parteitag bis zur Reichstagswahl, teil 2: August 1927-Mai 1928, München 1992, 558f. 25

Hans Delbrück, Der Friede von Versailles. Gedenkrede, geplant zu der vom Ministerium untersagten Veranstaltung der 5 vereinigten Berliner Hochschulen am 28. Juni 1929. Georg

~ 23 ~ Stilke, Berlin 1929. 16 S. (= Sonderdruck aus den Preußischen Jahrbüchern, Bd. 217. 1929, H. 1); 2. Auflage 1930. 26

Der Zentrumspolitiker Joseph Wirth hatte (1879-1956) als Reichskanzler diesen Satz nach der Ermordung von Walter Rathenau am 25. Juni 1922 im Reichstag gesagt; vgl. zur Person: Bernd Braun, Die Reichskanzler der Weimarer Republik. Zwölf Lebensläufe in Bildern. Düsseldorf 2011, 202–235. 27

Von George Grosz, 1928.

28

Hier ist wohl eher das 1921 von dem Künstler Ludwig Gies (1887-1966) geschaffene Kruzifix gemeint, vgl. dazu Heinrich Lützeler, Christliche Bildkunst der Gegenwart, Freiburg 1962, 10. 29

Vgl. zu diesen angeblichen jüdischen Protokollen, die gerade in der Weimarer Republik durch die nationalsozialistsche Bewegung populär wurden, Wolfgang Benz: Die Protokolle der Weisen von Zion. Die Legende von der jüdischen Weltverschwörung, München 2007. 30

Vgl. zur Wahrnehmung des vermeintlich nicht gelesenen Buches die Überlegungen bei Volker Ulrich, Adolf Hitler Biographie. Band 1: Die Jahre des Aufstiegs 1889-1939, Frankfurt/Main 2013.205f. 31

Der Zusammenbruch der Bremer Kammgarnfabrik und der sich anschließende Konkurs zweier Banken hatte Einfluß auf die Weltwirtschaftskrise, vgl. dazu allgemein zur Wirtschaftskrise die Hinweise bei Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte Bd, IV: Vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten, München 2003, 249ff. 32

Gemeint ist die Harzburger Front, ein antidemokratischer Zusammenschluß gegen die Weimarer Demokratie, dazu Karl Dietrich Bracher, Die Auflösung der Weimarer Republik. Eine Studie zum Problem des Machtverfalls in der Demokratie, Düsseldorf 1971, S. 360–367. 33

Vgl. dazu Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen. Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reiches bis zum Untergang der Weimarer Republik, München 2000, 549f.

Eine Schlussbetrachtung – Mary Zwilgmeyer und ihre Tagebücher Norbert Friedrich Tagebuchquellen stellen eine Gattung der historischen Zeugnisse dar, sie wurden und werden schon immer in der historischen Forschung gern benutzt. Nicht umsonst hat der Skandal um die angeblichen Hitler-Tagebücher 1983 eine sehr große Öffentlichkeit erreicht und auch eindrücklich gezeigt, für wie bedeutend man Tagebücher für die historische Forschung hält.1 Eine gewisse Berühmtheit haben sicherlich für das 20. Jahrhundert auch die Tagebücher des deutschen Diplomaten und Vertrauten des Reichskanzlers Bethmann-Hollweg, Kurt Riezler (1882-1955), erlangt, die in der Frage nach der deutschen Kriegsschuld am Ersten Weltkrieg innerhalb der Debatte um Fritz Fischer eine herausragende mediale Bedeutung erlangt haben.2 Tagebücher werden mit so großem Interesse gelesen, da sie, anders als viele Dokumente, die bei der historischen Forschung analysiert werden, in erster Linie für den persönlichen Gebrauch geschrieben wurden. Eine Veröffentlichung ist in der Regel nicht beabsichtigt. Vielmehr erfüllen sie für den Verfasser die Funktion der „Sinnstiftung“3 und helfen sowohl Krisen und eigene schwierige Erlebnisse zu verarbeiten und den eigenen Ort in der Gesellschaft zu finden als auch bei der Erinnerung an tägliche Ereignisse. Sie bilden eine subjektive Quelle, so dass sie für die Suche nach Fakten nur eingeschränkt geeignet erscheinen. Gerade aber deswegen eröffnen Tagebuchquellen dem Historiker den „Blick auf Gefühls- und Gedankenwelten, an die sich diejenigen, die diese Zeit erlebten, seither selbst nur schwer erinnern können und wollen“.4 Da gerade in Zeiten von Veränderungen und Umbrüchen Tagebücher eine wichtige selbstversichernde Funktion darstellen, werden Tagebücher, die beispielsweise das Jahr 1933 betreffen, momentan in der Geschichtswissenschaft besonders betrachtet.5 Und auch in dem großen internationalen Projekt „Europeana“ zu Quellen zum Ersten Weltkrieg findet man natürlich viele Tagebücher.6 Dabei gehören Tagebücher zur Gattung der sog. „Ego-

Vgl. dazu Michael Seufert, Der Skandal um die (itler‐Tagebücher, Frankfurt/Main . Vgl. dazu Bernd Sösemann, die Tagebücher Kurt Riezlers, in: (istorische Zeitschrift . 3 Susanne zur Nieden, Alltag im Ausnahmezustand. Frauentagebücher im zerstörten Deutschland bis , Berlin , . Zur Nieden, Frauentagebücher, . Bajohr, Frank u.a. (rsg. , Bedrohung, (offnung, Skepsis. Vier Tagebücher des Jahres , Göttingen . Vgl. dazu http://www.europeana ‐ .eu/de.

Dokumente“, ein Begriff, der von Winfried Schulze geprägt wurde.7 Dieser mikrohistorische Ansatz geht davon aus, dass bei einem Interesse an „individuelle[r] Wahrnehmung gesellschaftlichen Leben(s)“ die eigenen Zeugnisse des Lebens besonders aussagekräftig sind. Man versteht so unter „Ego-Dokumenten“ diejenigen Quellen, in denen Menschen Auskunft über sich selbst geben. Schulze schlägt diese Definition vor: „Gemeinsames Kriterium aller Texte, die als Ego-Dokumente bezeichnet werden können, sollte es sein, daß Aussagen oder Aussagepartikel vorliegen, die – wenn auch in rudimentärer und verdeckter Form – über die freiwillige oder erzwungene Selbstwahrnehmung eines Menschen in seiner Familie, seiner Gemeinde, seinem Land oder seiner sozialen Schicht Auskunft geben oder sein Verhältnis zu diesen Systemen und deren Veränderungen reflektieren. Sie sollten individuell-menschliches Verhalten rechtfertigen, Ängste offenbaren, Wissensbestände darlegen, Wertvorstellungen beleuchten, Lebenserfahrungen und –erwartungen widerspiegeln.“8 Auch wenn Mary Zwilgmeyer gerade in den Tagebüchern im Verlauf des Krieges mehr und mehr zitiert und lange Quellenabschriften liefert, kann festgestellt werden, dass das Tagebuch durch die eigenen Wertungen in klassischer Form als Ego-Dokument zu bezeichnen ist. Durch die Verarbeitung der intensiven Lektüre deutscher und internationaler Zeitungen mit einer aus der deutsch-englischen Kultursynthese kommenden eigenen konservativen politischen Meinung, spiegelt das Tagebuch die Stimmung im bildungs- und besitzbürgerlichen Milieu Berlins wider. Immer wieder wird der Wunsch, ein ruhiges und stabiles Leben in Wohlstand und Ordnung zu führen, kontrastiert mit den für sie irritierenden und zunehmend beunruhigend wirkenden politischen und militärischen Ereignissen, die immer schwerer zu verstehen und einzuordnen sind. Die fortwährenden Berichte über militärische Erfolge oder aber eine mindestens politisch stabile Lage sind eigentlich aus der Sicht des rekonstruierenden Historikers nur schwer mit den ihr ebenfalls zugänglichen Quellen (über die sie verfügte) in Einklang bringen. Die unverbrüchliche Solidarität mit der eigenen Bevölkerung und die Enttäuschung über die Haltung der alten Heimat England bestärken die chauvinistische Haltung von Mary Zwilgmeyer gegenseitig. Sie konnte den englischen Chauvinismus zunehmend verstehen, stand er doch ihrer deutschen Lebenswelt, die ebenfalls von Chauvinismus geprägt war, gegenüber. Winfried Schulze, Ego‐Dokumente: Annäherung an den Menschen in der Geschichte? Vorüberlegungen für die Tagung „Ego‐Dokumente“, in: ders. (g. : Ego‐Dokumente: Annäherung an den Menschen in der Geschichte Selbstzeugnisse der Neuzeit Bd. , Berlin , S. ‐ . Schulze, Ego‐Dokumente,

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Auch ihr gegenüber vielen anderen Deutschen vorhandener gradueller Wissensvorsprung, entstanden durch ihre Internationalität und ihr Kontaktnetzwerk in Berlin, wurde für Mary Zwilgmeyer in keiner Weise zu einer Vorbereitung auf die Ereignisse nach dem Krieg. Die Kriegsniederlage, die Novemberevolution und die sich anschließenden Unruhen, der schwierige und konfliktreiche Beginn der von vielen ungeliebten Weimar Demokratie, all dies konnte sie weder innerlich noch äußerlich mittragen, auch wenn die Lebenszeugnisse klar zeigen, dass es im privaten Bereich – trotz des Todes des geliebten Ehemanns – viele gute Momente gab und man auch materiell abgesichert blieb (Urlaubsreisen). All dies erfahren wir aus einer 1933 angefertigten Nachschrift, die – nach einem Rückblick auf die Jahre ab 1918 – besonders die ersten Wochen 1933 und die Machtübertragung und Machtergreifung Hitlers beschreibt, Ereignisse, die sie quasi aus der ersten Reihe als Zuschauerin erleben konnte. Man kann die wenigen Seiten der Deutsch-Engländerin oder englischen Deutschen natürlich mit einer moralischen Entrüstung über die Tatsache lesen, wie verblendet und unpolitisch sie das Geschehen beschreibt und erlebt hat – ohne die tiefere Dimension des Kommenden zu begreifen; man kann diese Seiten auch lesen und feststellen, wie effizient die nationalsozialistische Propaganda bereits die Öffentlichkeit rund um den 30. Januar und den 4. März 1933 zu manipulieren wusste. Ebenso verblüffend ist aber auch, wie dieser Text fast exemplarisch für die nationalkonservativen bürgerlichen Eliten eine Vorwegnahme der historischen Forschung zur politischen Geschichte der Weimarer Republik als eine tragische Vorgeschichte des Nationalsozialismus repräsentiert: Antidemokratisches Denken verbindet sich hier mit Antisemitismus und einem ausgeprägten Klassenbewusstsein. Mary Zwilgmeyer, die mit der Sozialdemokratie schon aus Standesbewusstsein nichts anfangen konnte, sah in Hitler einen Garanten für den Wiederaufstieg der alten undemokratischen Werte des Kaiserreiches. Die Ideen einer nationalen Einheit, eines starken großen deutschen Reiches, welches im Konzert der großen Mächte gemeinsam mit England für Ordnung in der Welt sorgen konnte. Bemerkenswert daran ist übrigens, dass sich die demokratische britische Tradition in dem Tagebuch nicht findet, Mary Zwilgmeyer hat sich hier voll und ganz der deutschen Gruppe angepasst, in den sie hineingeheirat hatte. Dazu kam das ausgeprägte Klassenbewusstsein, verbunden mit der Hoffnung, dass sich durch die Verbindung der Nationalsozialisten mit den deutschnationalen Kräften die kleinbürgerlichen oder auch antibürgerlichen Kräfte des Nationalsozialismus, die sie durchaus sah, nicht durchsetzen konnten. Dass diese Hoffnungen trogen, konnte man schon im Frühjahr 1933 sehen. Zugleich konnte man aber auch sehen, dass sich durch die Machtinszenierungen 3

der Nationalsozialisten die Zustimmung gerade der alten bürgerlichen Eliten teilweise leicht gewinnen ließen. Aber die Hoffnungen von Mary Zwilgmeyer sollten später teilweise enttäuscht werden. Sie selbst musste in der Kriegszeit schmerzlich erleben, wie Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg Deutschland und den europäischen Kontinent zerstörten.

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