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Dabei war ich über 40, wohnte in Potsdam und war so solo, wie man in dieser Welt ... von mir angebrachtes. Schild, darauf stand: Siegfried Gass, Privatdetektiv.
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Wolfgang Zander

Wolfgang Zander

Kriminalroman

Wir machen’’ss sspannend W pannend

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Personen und Handlung sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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© 2008 – Gmeiner-Verlag GmbH Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch Telefon 0 75 75/20 95-0 [email protected] Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2008 Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart Unter Verwendung eines Fotos pixelio.de Gesetzt aus der / Punkt GV Garamond Druck: Fuldaer Verlagsanstalt, Fulda Printed in Germany ISBN 978-3-89977-751-2

1 Freitag. Die Zeiger der Funkuhr rückten auf 23.43 Uhr vor. Ich saß am Schreibtisch, hielt ein Glas Wein in der Hand und wartete auf das Ende der Woche. Ich war in Feierstimmung. Aus gutem Grund. Ich hatte die Miete für den nächsten Monat zusammen, war in keinen Rechtsstreit verwickelt und kannte Psychoanalytiker bislang nur aus alten Büchern und noch älteren Woody-Allen-Filmen. Dabei war ich über 40, wohnte in Potsdam und war so solo, wie man in dieser Welt nur sein kann. Cleo, meine Frau, hatte mich vor drei Monaten verlassen. Oder ich sie? Vergessen. Alles lief bestens. Wenn man nicht allzu genau hinsah. Unten an der Tür befand sich ein von mir angebrachtes Schild, darauf stand: Siegfried Gass, Privatdetektiv. Also war ich Privatdetektiv. Für mich und vor allem für den Rest der Welt. 23.50 Uhr. Zeit für die Tageswertung. Ich ging daran, dem zurückliegenden Tag die Note sieben auf meiner privaten Gass-Skala von eins – wie unterirdisch – bis zehn – wie phänomenal – zu verpassen. Siebener Tage sind selten. Etwa so selten wie Schiffsuntergänge auf der Havel. Meistens lief es auf eine Zwei oder Drei hinaus. Hin und wieder auf eine Eins. Die letzten vierundzwanzig Stunden schienen den Wochendurchschnitt um ein paar Prozentpunkte heben zu wollen. Ich hatte nichts dagegen. 23.54 Uhr. Der Tag ging in die entscheidende Phase. Aus den Boxen perlte Mozarts Requiem. Karajan heizte den Phil5

harmonikern ordentlich ein. Meine Stimmung stieg. Walter Berry brachte seinen Part hinter sich und Anton Dermota kam langsam auf Touren. Da ging das Telefon. Verdammt! Die Sieben schrumpfte zu einer passablen Sechs. Ich hoffte, das Niveau würde sich halten lassen. Ich griff zum Telefon. »Siegfried Gass ganz privat.« Am anderen Ende wurde aufgelegt. Auch gut. Ich stufte die Sechs hoch zu einer Sechs plus. Die Sieben allerdings war gestorben. Ich beerdigte sie mit einem kräftigen Schluck. Dann klingelte es erneut. Wenn ich damals gewusst hätte, was ich heute weiß, hätte ich mich sicher für die Sechs plus entschieden. Die Sechs plus ist keine Sieben und schon gar keine Zehn, aber sie ist eine Zahl weit weg von der Eins. Sie ist besser als ein unfreiwilliger Aufenthalt in einer Klinik und wesentlich besser als zwei übel zugerichtete Leichen. Ich griff zum Hörer. »Ja, bitte.« Keine Antwort. »Sie haben mir die Sieben versaut und Sie sind gerade dabei, die Sechs plus auf unter Fünf zu drücken. Sie dürfen sich gratulieren. Sie haben einen perfekten Tag ziemlich rüde ruiniert. Sozusagen in allerletzter Sekunde.« Draußen setzten die Kirchenglocken ein. Mitternacht. Der Geist im Telefon rührte sich nicht. »Ich zähle bis acht. Dann lege ich auf. Eins, zwei, drei …« »Bitte legen Sie nicht auf.« Es war die Stimme einer Frau. Dem Klang nach lag ihr Alter klar unter 40, vielleicht sogar unter 30. 6

»Ich brauche Hilfe«, sagte die Stimme. »Brauchen wir die nicht alle? Auf Wiederhören.« »Ich weiß nicht, was ich machen soll.« Der Chor sang jetzt sein ›Agnus dei‹. Karajan tobte. »Es ist kurz nach Mitternacht, eine etwas ungewöhnliche Zeit für einen Hilferuf. Finden Sie nicht?« »Hören Sie gerade das Requiem d-Moll?« »Was?« »Sie sind allein.« Es war keine Frage, eher eine Feststellung. Scheinbar kannte sie sich in solchen Dingen aus. »Wie kommen Sie darauf?« »Ich fürchtete schon, ich würde stören.« »Ach …« »Ich habe Geld gefunden.« »Gratuliere!« »Sehr viel Geld.« »Ich bin Privatdetektiv, kein Anlageberater.« »Ich weiß.« »Möchten Sie Begleitschutz für Ihren schweren und gefährlichen Gang zum Fundbüro? Termine bitte über meine Sekretärin …« »Hören Sie …« Sie ging tapfer über meine Unhöflichkeiten hinweg. Langsam wurde es interessant. »… Ich habe es nicht irgendwo gefunden. Ich habe es bei mir zu Hause gefunden. Unter dem Bett.« »Sie haben … Sie haben viel Geld unter Ihrem Bett gefunden. Und deshalb rufen Sie mich an? Sie sollten lieber Ihre Freunde und einen Cateringservice anrufen. Veranstalten Sie eine anständige Party. Lassen sie es richtig krachen. Aber bitte denken Sie an die Nachbarn.« 7

Ich dachte kurz an meine Nachbarn, ließ allerdings sogleich wieder davon ab. Es war zu deprimierend. Der Innenminister sprach von der Erblast der Proletarisierung. Die innerhäuslichen Umgangsformen schienen ihm recht zu geben. Sie sagte: »Würden Sie mir bitte zuhören!« Ich sagte: »Aber ja. Nur eins noch. Geld gehört nicht unters Bett. Viel Geld schon gar nicht.« Natürlich gehörte es nicht dort hin. Wenn es wirklich viel war, gehörte es auf ein Bankkonto. Oder in einen Investmentfonds, mit 57 Prozent Rendite, oder unter Leute. Aber selbst wenn es unter dem Bett lag, wo war das Problem? Es gab wesentlich größere Probleme. Kein Geld unter dem Bett zu haben, war eins davon. Oder hatte sie angesichts des Geldes ihre Mutter-Teresa-Ader entdeckt? War sie gerade dabei, ihr Füllhorn über die Bedürftigen dieser Welt auszuschütten? Hatte sie mich als Bedürftigen ausgemacht? »Danke für die Belehrung«, sagte sie. »Kann ich mit Ihrer Hilfe rechnen?« »Natürlich helfe ich Ihnen gern. Wie viel ist es denn?« »Ich bin mit dem Zählen noch nicht durch.« »Wie viel?« »Nach der ersten Million habe ich aufgehört. Ich zähle später weiter.« »Was?« Mein Mund wurde trocken. »Das Geld ist in einem Koffer. Mein Freund hat ihn hier abgestellt und mir gesagt, ich solle den Koffer nicht öffnen.« »Verstehe«, sagte ich. »Was verstehen Sie?« »Alles.« 8

Na klar. Sie hatte den Koffer geöffnet, wahrscheinlich gerade, weil es der Freund ihr verboten hatte. Ihr Freund würde sich freuen. Wie heftig, das blieb abzuwarten. Sie war auf Beistand aus. Warum aber wollte sie diesen Beistand gerade von mir? »Herr Gass. Sind Sie noch da?« »Mmh … Ja.« Meine Stimme klang jetzt belegt. Geld bedeutet Ärger, viel Geld bedeutet viel Ärger. Das ist eine Erkenntnis, die genauso unumstößlich ist wie irgendein Axiom von Newton. »Sie fragen sich sicher, warum ich ausgerechnet Sie angerufen habe. Ich habe in der Zeitung von Ihrem letzten Fall gelesen und da dachte ich, Sie könnten mir sicher helfen.« »Ach.« Mein letzter Fall lag vier Wochen zurück. Der Zeitungsartikel auch. Trotzdem konnte ich mich noch gut an den Artikel erinnern. Die Zahl der Klienten war nach der ungeplanten Werbeaktion leicht in den Keller gegangen. Bis jetzt hatte sich daran nichts geändert. Beruflich gesehen wohnte ich im Souterrain, vielleicht sogar in einem Bergwerk. »Wann, sagten Sie, hat Ihr Freund …« »Vor drei Tagen. Er wollte nur schnell in den Supermarkt.« »Wie bitte?«, fragte ich leicht irritiert. Sie ließ sich nicht aus dem Rhythmus bringen. »Ich habe Angst, dass ihm was passiert ist«, fuhr sie fort. »Im Klinikum habe ich bereits nachgefragt. Da ist er nicht.« »Warten Sie! Habe ich das richtig verstanden, drei Tage? Das heißt, Sie schlafen seit drei Tagen auf einem Koffer voller Geld? Was träumt man da so?« »Ich will, dass Sie Mark finden!« Ihr Lover hieß also Mark. Auch das noch. Ich hätte meinen kleinen Zeh verwettet, dass er Goldkettchen trug, Tattoos sammelte und an Körperstellen gepierct war, die normale 9

Menschen gegen Verstümmelung schützten. Ich war so ein normaler Mensch. »Hat er im Lotto gewonnen?«, fragte ich. »Er spielt kein Lotto.« »Ist er Stricher, schmuggelt er Menschen, Zigaretten oder spaltbares Material?« »Nein.« »Ist er Politiker?« »Nein!« »Na schön. Geben Sie mir Ihre Adresse.« »Nein.« »Nein?« »Ich komme morgen in Ihr Büro. Gegen acht Uhr, wenn es Ihnen recht ist.« »Mein Büro öffnet erst um zehn«, gab ich zurück, aber sie hatte bereits aufgelegt. Klar. Wer die Millionen hat, der fragt nicht nach Öffnungszeiten. Sie hatte ihre zwar erst seit wenigen Stunden, mit den entsprechenden Privilegien jedoch schien sie bereits bestens vertraut.

2 Sie war pünktlich, leider, und sie sah gut aus. Sie wäre selbst mit drei Stunden Verspätung pünktlich gewesen. Wenn Sie verstehen, was ich meine. Ihre Augen waren braun, ihr Mund rot, die Haare waren schwarz und die Beine lang. Sie trug eine knappe Jeans und ein noch knapperes pinkfarbenes Top. 10

Ich starrte sie an. Nein. Eine solche Frau ließ man nicht drei Tage allein, ob man nun Mark hieß oder nicht. Na schön, vielleicht war ihr Charakter mies. Und vielleicht waren ihre Umgangsformen noch mieser als ihr Charakter. Aber da war immer noch das Geld. Ein paar rote Lämpchen leuchteten auf, Alarmglocken schrillten. Ich ignorierte Lampen und Glocken. Ich ignorierte die Warnungen meiner inneren Stimme. Wie es schien, hatte ich immer noch nichts gelernt. »Darf ich?« »Was?« »Ich würde mich gern setzen. Herr Gass?« »Aber ja. Bitte nehmen Sie Platz, Frau … Wie war doch gleich Ihr Name?« »Keller. Sylvia Keller. Wird es lange dauern?« Sie nahm Platz. Und wie. Ich schaute aus dem Fenster, dann wieder zu ihr. Ihr Anblick war der weitaus bessere. »Herr Gass?« »Was?« »Ich fragte, ob es lange dauern wird.« »Womit?« »Bis Sie ihn finden werden.« »Das kommt darauf an.« »Worauf?« »Nun ja.« »Geld spielt keine Rolle …« Es war schön, zu sehen, wie sie bereits über die Millionen verfügte. Sie machte das mit einer gewissen abgeklärten Naivität, einer unangreifbaren Form der Realitätsverleugnung. »Schön, Frau Keller. Vielleicht erzählen Sie mir erst einmal die ganze Geschichte.« 11

»Geschichte? Was für eine Geschichte? Wo ist Ihr Hund?« »Welcher Hund?« »In dem Zeitungsartikel stand, Sie hätten Ihre Fälle mit Hilfe eines französischen Schäferhundes gelöst.« »Ach ja, der Hund. Der Typ von der Zeitung meinte, ein Hund würde sich ganz gut machen. Sie wissen doch, wie das mit diesen Zeitungsleuten ist. Reichlich Fantasie, wenig Wahrheit.« Sie nickte voller Verständnis. Sehr schön. Das ersparte es mir, das Thema zu vertiefen. Fakt war, der Hund existierte. Er hörte, wenn er denn hörte, auf den Namen Hannibal und wohnte seit genau neun Tagen nicht mehr bei mir. Wie es dazu gekommen war? Hannibal und ich hatten Cleo besucht. Fehler. Cleo köderte Hannibal mit einer Dose ›Chappi‹ und schon war es passiert: Er wollte bleiben und Cleo wollte auch, dass er zu ihr zog. Beim Abschied sagte mir Cleo, ich könne Hanni so oft sehen, wie ich wolle. Von anderen Paaren hatte ich solche Sprüche auch schon gehört. Allerdings lehrte die Erfahrung, dass meist nichts dahinter ist. Soviel zu den Themen Hund, Treue und Paarverhalten nach vollzogener Trennung. Jetzt galt es, nach vorn zu blicken. Und das tat ich auch. Ich sah Sylvia tief in die Augen. »Wann haben Sie das Geld gefunden, Frau Keller?« »Gestern Nacht. Etwa eine Stunde, bevor ich bei Ihnen anrief.« »Und …« »Was und?« »Warum gehen Sie nicht zur Polizei?« Sie sah mich erstaunt an. »Meinen Sie das im Ernst?« 12

Ich seufzte still in mich hinein. Natürlich meinte ich es ernst. »Sind Sie schon mal auf den Gedanken gekommen, dass mit dem Geld etwas nicht in Ordnung sein könnte?« »Nein«, sagte sie. Es klang wie: Na und. Ich wechselte das Thema. »Wer ist dieser Mark? Was macht er, wo wohnt er? Wie sieht er aus?« Es dauerte noch gut eine Stunde, bis ich alles zusammen hatte. Mark war 27, kurzhaarig, naturblond und sportlich. Sein Body-Maß-Index lag bei etwa 22, was ihn zu einer ziemlich seltenen Spezies in dieser zur Fettsucht und einigen anderen Süchten neigenden Gesellschaft machte. Aber er war noch jung. Ihm stand noch reichlich Zeit zur Verfügung, sich anzupassen. Mark arbeitete als Fachverkäufer für Elektrowaren in einem dieser Riesenmärkte und ließ hin und wieder CDs und DVDs mitgehen, natürlich nur, um sie zu kopieren. Danach stellte er sie in die Regale zurück. Vor der Inventur. Er ging gern ins Kino, zum Italiener, betrank sich hin und wieder sinnlos und wies auch sonst ein eher unauffälliges Verhaltensmuster auf. Etwa drei Mal die Woche besuchte er Sylvia, meist mit eindeutigen, aber nicht unnormalen Absichten. So weit, so gut. Bis auf den BMI ging es hier um den puren Durchschnitt. Wie passten die Millionen dazu? Existierten sie überhaupt? »Zeigen Sie mir die Millionen!« »Wieso?« »Welchen Beruf üben Sie aus, Frau Keller?« »Sie glauben nicht, dass das Geld existiert!« »Wissen Sie, mit dem Glauben ist das so eine Sache. Für einen richtigen Glauben braucht man auch ein paar grundlegende Gewissheiten.« 13

»Ach wirklich.« Sie öffnete ihre Handtasche, schob die rechte Hand hinein und holte einen Packen Papier hervor. Der Packen bestand aus vielen einzelnen Scheinen. Alle waren violett und trugen die Zahl 500. Ich holte tief Luft und suchte nach Worten. Frau Keller kam mir zuvor. »Das sind hundert 500er. Können Sie rechnen?« »Ach …«, sagte ich, um überhaupt etwas zu sagen. »Ich habe noch mehr davon.« Sie sah mich erwartungsfroh an. Endlich fand ich die Sprache wieder. »500 die …, ich meine, 50 die Stunde, plus Spesen, plus Sonstigem.«

3 Als sie weg war, saß ich noch eine Weile verträumt auf meinem Stuhl. Langsam normalisierten sich Atmung und Kreislauf. In meinem Gehirn dagegen herrschte weiterhin Konfusion. Kein Wunder, es ging um 2.173.000 Euro, Frau Keller hatte auch noch den Rest gezählt, und es ging um einen verschwundenen Lover namens Mark. Ich drehte und wendete die Geschichte, keine innere Logik. Selbst die Kurzfassung, Typ stellt Koffer ab und verschwindet anschließend spurlos, kam nicht viel besser weg. Andererseits, Frau Keller hatte mir 50.000 Euro gezeigt. Einfach so. Leider hatte sie alles wieder eingesteckt. Ziemlich rasch sogar. Schade. 14