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Detektive mit Spitzohren - vom Hörrätsel zur Geräusche-. Expedition . ..... gischer und narrativer Komponenten für die Ausbildung von Sprache,. Bewusstsein ...
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Susanne Brandt Lauschen und Lesen Hörerlebnisse in der Sprach- und Leseförderung von Kinderbibliotheken. Mit Praxisbeispielen auf einer CD-ROM

2009 Simon Verlag für Bibliothekswissen

ISBN 978-3-940862-06-8 %LEOLRJUDÀVFKH,QIRUPDWLRQHQGHUGHXWVFKHQ%LEOLRWKHN 'LH'HXWVFKH%LEOLRWKHNYHU]HLFKQHWGLHVH3XEOLNDWLRQLQGHU 'HXWVFKH%LEOLRWKHN&DORJQLQJLQ3XEOLFDWLRQ'DWD &RS\ULJKW‹6LPRQ9HUODJIU%LEOLRWKHNVZLVVHQ%HUOLQ $OOH5HFKWHYRUEHKDOWHQ$OOULJKWVUHVHUYHG &RYHU/D\RXWXQG6DW]0DULD%DUDQRYD 'LHVHV :HUN HLQVFKOLH‰OLFK DOOHU VHLQHU 7HLOH LVW XUKHEHUUHFKWOLFK JHVFKW]W -HGH 9HUZHUWXQJ DX‰HUKDOE GHU HQJHQ *UHQ]HQ GHV 8UKHEHUJHVHW]HVLVWRKQH=XVWLPPXQJGHV9HUODJHVXQ]XOlVVLJXQG VWUDIEDU'LHVJLOWLQVEHVRQGHUHIU9HUYLHOIlOWLJXQJHQhEHUVHW]XQJHQ 0LNURYHUÀOPXQJXQGGLH(LQVSHLFKHUXQJXQG9HUDUEHLWXQJLQHOHNWURQLVFKHQ6\VWHPHQ 1RSDUWRI WKLVERRNPD\EHXVHGRUUHSURGXFHGLQDQ\PDQQHU ZKDWVRHYHUZLWKRXWZULWWHQSHUPLVVLRQH[FHSWLQWKHFDVHRI EULHI  TXRWDWLRQVHPERGLHGLQFULWLFDODUWLFOHVRUUHYLHZV *HVDPWKHUVWHOOXQJ 6LPRQ9HUODJIU%LEOLRWKHNVZLVVHQ 5LHKOVWUDVVH %HUOLQ 'HXWVFKODQG ZZZVLPRQEZGH 3ULQWLQJ 'LJLWDO3ULQW*URXS5HJHQVEXUJ

Inhaltsverzeichnis

Vorwort .............................................................................. 9 Die Wiederentdeckung des Hörens in einer „Kultur des Auges“ .......................................................... 12 „Ganz Ohr“ von Anfang an ...................................................................12 Von der Lautsprache zur Schriftsprache ..............................................14 Bedeutung von Stimme und Stimmungen ...........................................15 Kommunikation .......................................................................................15 9RUOHVHQXQG(U]lKOHQ ............................................................................17 Rhythmus und Bewegung in Sprache, Spiel und Musik ........................................................................................18 Zusammenfassung ...................................................................................19

PRAXISTEIL I. Was klingt denn da? Kreative und spielerische Erfahrungen mit Geräuschen, Gedichten, Liedern und Musik (tonträgern) ................................ 21 (LQOHLWXQJ ..................................................................................................21

1. Spielerische Hörerfahrungen mit Geräuschen und Gedichten ..................................................................... 23 1.1 Gedichte verklanglichen ................................................... 23 Die zwei Wurzeln. Klangerfahrungen zu einem Gedicht mit Naturmaterial ....................................................................25 5

Nachts unterm Dach. Verklanglichung eines Gedichtes mit einem Blatt Papier ............................................................................27 Wenn Tiere aus den Geschichten springen. Geräuscherfahrungen mit Büchern zum Gedicht .............................30 Tauwetter. Frühlingsgedicht mit verschiedenen Klangmaterialien ..32 1.2. Gedichte in rhythmischer Bewegung ............................... 34 Singet leise, leise, leise. Sprechzeichnen zu einem Wiegenlied .........35 Der Weidentunnel. Naturgedicht als bewegte Formensprache........36 Muschelfahrt zum Tuschelfest. Rhythmisches Koordinationsspiel in der Gruppe .......................................................38 1.3. Fundgrube: weitere Beispiele und Impulse zu „klingenden Texten“ ......................................................... 40

2. Musik zum Hören und Mitmachen ............................ 46 (LQOHLWXQJ)UDJHQDQGDV.LQGHUOLHG...................................................46 Lieder in Bewegung umsetzen - ein Überblick ...................................50 Hören und Hüpfen bei „Luftballonmusik“ ........................................51 Mit Liedern andere Sprachen entdecken .............................................52 Musikalische Hörspiele - ein Überblick ...............................................53

II. Erzähl doch mal! Geschichten vorlesen, erzählen, zum Klingen bringen ..................................... 55 (LQOHLWXQJ .................................................................................................55 Das Alphabet erzählt wie‘s geht! Tipps vom Vorlesen und (U]lKOHQYRQ$= .................................................................................56 9RP/HVHQ]XPIUHLJHVWDOWHWHQ(U]lKOHQHLQ/HLWIDGHQ................57

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1. Beispielgeschichten zum klingenden Vorlesen und Erzählen.................................................... 61 1.1 Geschichten mit Stimme, Klanggesten und Geräuschen...61 Das Ungeheuer. Den Tieren eine Stimme geben ...............................61 Die Alte, die mit den Dingen sprach. Spiel mit Stimmen und Geräuschen .....................................................................................66 Sturmwind und Sonne. Klang- und Bewegungsimprovisationen zu einer Fabel ...........................................................................................68 Rote Grütze für den Riesen. Spannung durch '\QDPLNEHLP(U]lKOHQHU]HXJHQ .......................................................71 1.2 Geschichten mit Musikinstrumenten und Gesang ........... 75 Das Rabengeheimnis. Wie eine Trommel alles verzaubern kann ....75 Wichtels Weihnachtswunsch. Wie die Töne zu ihren Namen kamen ........................................................................................79 Der Fuchstanz. Musik und Bewegung miteinander verbinden ........87

2. Geschichten hören von CD ......................................... 90 $QWRQ(LQWRQ*HVFKLFKWH]XU.ODQJLPDJLQDWLRQ...........................90 Prinzessinnenmärchen - freies Rollenspiel zu Hörgeschichten .......91 Detektive mit Spitzohren - vom Hörrätsel zur Geräusche([SHGLWLRQ ................................................................................................92

III. Klingende Stunden in der Kinderbibliothek. Wie sich Geschichten, Musik und kreatives Gestalten zu einer „Hörstunde“ kombinieren lassen .... 93 (LQOHLWXQJ .................................................................................................93

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Lauschend lernen wir uns kennen. Spiele für die ersten gemeinsamen „Hörstunden“ .................................................................96 „Wolkenphantasie“. Bewegen, lauschen, gestalten ............................97 Heine für Kleine: „Leise zieht durch mein Gemüt“ ..........................97 7KHRGRUGHU=LUNXVHVHO)UHLHV(U]lKOHQ6SLHOHQXQG Bewegen in der Zeit vor Weihnachten ...............................................100 Abenteuer aus dem Pappkarton. Vom Geräusch zur Seefahrergeschichte...............................................................................105

Weiterführende Literaturempfehlungen ........................ 107 Nachwort: Wort Klang Musik ...................................... 110 Anhang zur CD-ROM ................................................... 113 %LRJUDÀVFKH1RWL]HQGHU0LWZLUNHQGHQ ....................... 114

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Lauschen und Lesen

Vorwort :LHHLQ5H]HSWEXFKGDVVFKRQEHLP%OlWWHUQQDFK(VVHQGXIWHW ...so möchte dieses Buch ohne große Umwege aus der Praxis für die Praxis zum Ausprobieren und Mitmachen verlocken und liefert deshalb eine Reihe der dafür nötigen „Zutaten“ in Form von Geschichten und Gedichten gleich mit! Damit unterscheidet sich der Charakter dieses Praxisbuches von anderen Fachbüchern des Bibliothekswesens, die eher theoretische Grundlagen zu einem Thema systematisch aufbereiten und vermitteln, jedoch auf Beispiele der Primärliteratur, die bei der konkreten 8PVHW]XQJ]XP(LQVDW]NRPPHQQXUYHUZHLVHQ Dieses Buch beinhaltet daher auch keine vergleichende Gesamtdarstellung zu allen Hörinitiativen, die sich unter den Dächern verschiedener Institutionen bereits für eine Förderung der „Schlüsselkompetenz Hören“ engagieren. Was in zahlreichen Bundesländern vor allem für den Schulbereich an Hilfen und Handlungsmodellen angeboten wird, ist selbstverständlich auch für Bibliotheken sinnYROO XQG JXW QXW]EDU (LQH 2ULHQWLHUXQJ DXI  GLHVHP UHLFKKDOWLJHQ „Markt der Möglichkeiten“ sei daher gleich zu Beginn ausdrücklich empfohlen und führt über folgende Links zu den jeweils aktuellen Informationen: www.stiftung-zuhoeren.de www.ohrenspitzer.de www.schule-des-hoerens.de www.initiative-hoeren.de www.ganzohrsein.de www.ifak-kindermedien.de Mit besonderem Augenmerk auf die Arbeit in Kinderbibliotheken geht es in den nachfolgenden Kapiteln zunächst um eine vielleicht etwas andere Grundhaltung den Medien und Menschen gegenü9

Susanne Brandt ber, um eine Sensibilisierung für alles, was in der bibliothekarischen Alltagsarbeit mitschwingt und mitklingt - und manchmal kaum wahrgenommen wird. 6SUDFKI|UGHUXQJ XQG GLH (UPXWLJXQJ ]X HLJHQHQ VFK|SIHULVFKHQ Ausdrucksformen spielen in diesem Kontext ebenso eine wichtige Rolle wie Umweltwahrnehmung mit allen Sinnen, soziale und kommunikative Aspekte des Miteinanders und ganzheitliche Lernformen. In der Gemeindebücherei Westoverledingen (Ostfriesland)1, wo die beschriebenen Bausteine und Stundenbilder im Rahmen einer über Jahre kontinuierlich ausgebauten „Hörförderung“ als Projekt entwickelt und erprobt worden sind, orientiert sich die Programmarbeit weitgehend an den Komponenten einer Bildung für nachhaltige (QWZLFNOXQJ2 mit dem Ziel, durch kreative und handlungsorientierte Medienarbeit eine lebendige und phantasievolle Beteiligungskultur, Umweltbewusstsein und soziale Kompetenzen zu unterstützen, anzuregen und in der Kooperation mit Partnern zu vernetzen. Soziale und naturbezogene Themen bilden bei den ausgewählten Texten einen gewissen Schwerpunkt und auch bei der Wahl der verwendeten Gestaltungsmaterialien wurden ökologische Aspekte bedacht. In diesem Sinne möchte dieses Buch Kolleginnen und Kollegen in kleinen und großen Bibliotheken einfach neugierig machen und zum ([SHULPHQWLHUHQ HUPXWLJHQ +|UHUOHEQLVVH LQ %LEOLRWKHNHQ VLQG LQ erster Linie weder eine Kunst noch eine Kostenfrage (wenngleich Kunst wie auch Kosten natürlich auch hier eine berechtigte Rolle spielen können), sondern ein überraschend vielfältiges Praxisfeld, das jedem Menschen an jedem Ort die Chance gibt, eigene Zugänge und *HVWDOWXQJVIRUPHQ]XHQWZLFNHOQ²GXUFK(UIDKUXQJHQPLW6SUDFKH Musik, Natur, Technik, Tonträgern, Alltagsgeräuschen, Stille und Bewegung. Gemeindebücherei Westoverledingen, Bahnhofstr. 18, 26810 Westoverledingen, Tel.04955/933-259, susanne.brandt@westoverledingen. de,Projektinformationen unter: www.westoverledingen.de 2 3RUWDO]XUÅ%LOGXQJIUQDFKKDOWLJH(QWZLFNOXQJ´3URMHNWGHU'HXWVFKHQ 81(6&2.RPPLVVLRQH9YJOZZZEQHSRUWDOGH 1

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Lauschen und Lesen Mit einer achtsamen Haltung der Umwelt und den Mitmenschen gegenüber sowie mit passend ausgewählten Print- und Hörmedien, die in jeder Bibliothek vorhanden sind, lässt sich ein Anfang machen und die „Lust am Lauschen“ wecken und entdecken. Dieses Buch setzt daher sehr niederschwellig an und vermittelt neben Grundwissen leicht umsetzbare Veranstaltungsbausteine und -modelle, die den (LQVWLHJLQGLH+|UDUEHLWHUOHLFKWHUQ Zuhör-Initiativen und -Projekte, zu denen die oben genannten Links :HJH ZHLVHQ N|QQHQ VFKOLH‰OLFK KHOIHQ GLHVH HUVWHQ (UIDKUXQJHQ zu ergänzen, das Wissen je nach Bedarf und Neigung zu vertiefen, die Ausstattung an Medien und Tontechnik zu erweitern oder gezielt 8QWHUVWW]XQJ ]X ÀQGHQ IU ,GHHQ XQG 9RUKDEHQ GLH VLFK GDUDXV ergeben. Susanne Brandt

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Susanne Brandt

Die Wiederentdeckung des Hörens in einer „Kultur des Auges“ „Ganz Ohr“ von Anfang an Am Anfang war das Hören. Schwingungen, Rhythmen und Töne gehören zu den ersten Sinneseindrücken im Mutterleib. Bereits drei Wochen nach der Befruchtung EHJLQQWGLH(QWZLFNOXQJGHV,QQHQRKUV'DVKHUDQZDFKVHQGH.LQG kann schon Monate vor der Geburt verschiedene Geräusche innerhalb und außerhalb des Körpers wahrnehmen und die Stimme der Mutter erkennen. Diese früh vertrauten Stimmen und Klänge wie auch der Rhythmus des menschlichen Herzschlags vermitteln in den ersten Lebenstagen und weit darüber hinaus ein Gefühl von Geborgenheit und regen zur Nachahmung an. Das erste Lallen und Gebrabbel orientiert sich an der für die Muttersprache charakteristischen Stimmlage, Frequenzbreite und Phonetik. Dabei erweist sich das Ohr als fähig, in Sekundenschnelle Klangfarben, Sprachrhythmen, Tonhöhen und Modulationen zu unterscheiden, um dann die Nachbildung des Gehörten mit Lippen, Zunge, Atem und Bewegung lustvoll zu erproben. Die direkte Verbindung des Ohres zum vegetativen Nervensystem, wie zum limbischen System, dem „Gefühlszentrum des Gehirns“ ist mit dafür verantwortlich, dass wir DXI *HK|UWHVEHVRQGHUVHPRWLRQDOUHDJLHUHQ(YROXWLRQVJHVFKLFKWOLFK lässt sich außerdem die Funktion des Ohres als wichtiges Warnorgan betrachten, das uns beispielsweise auf bestimmte Geräusche unwillkürlich mit einem Fluchtinstinkt und entsprechenden Bewegungen reagieren lässt. Beim Hören im ganzheitlichen Sinne ist somit nie nur das Ohr allein beteiligt. Was es bedeutet, „ganz Ohr“ zu sein, wird eindrucksvoll GHXWOLFKDP%HLVSLHOGHUIDVWWDXEHQ3HUFXVVLRQLVWLQ(YHO\Q*OHQQLH

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Lauschen und Lesen Der Film „Touch the sound“1, der von ihrem Leben und ihrer Musik erzählt, führt mit Bildern, Rhythmen und Klängen vor Augen und 2KUHQZLHHPSÀQGVDPXQGLQWHQVLYHLQ0HQVFKWURW] RGHUJHUDGH wegen) einer sogenannten „Hörbehinderung“ - mit jenen rhythmischen Schwingungen künstlerisch umzugehen vermag, die alles Lebendige durchdringen und berühren. Die Ohren und mit ihnen der gesamte Körper sind durch ihre EHVRQGHUH6HQVLELOLWlWXPVRPHKUHLQHUWlJOLFKHQhEHUÁXWXQJGXUFK Klänge, Stimmen und Geräusche ausgesetzt. Hören ist ein integrierender Prozess. Anders als die Augen, die sich bei Bedarf schließen, kann sich der Hörsinn nicht so gut vor Überforderung schüt]HQ XQG YHUOLHUW ]ZDQJVOlXÀJ DQ 6FKlUIH ZHQQ EHL DNXVWLVFKHU Dauerberieselung die Bereitschaft zum genauen Hinhören mehr und mehr abnimmt. So umfassend die Wirkungszusammenhänge des Hörens auch sein P|JHQNXOWXUHOOH(QWZLFNOXQJHQGHUOHW]WHQ-DKUKXQGHUWHZLHGLH PHVVHQGHXQGEHREDFKWHQGH(UIRUVFKXQJGHU8PZHOWPLW)HUQURKU XQG 0LNURVNRS XQG GLH (UÀQGXQJ GHU 'UXFNSUHVVH KDEHQ HKHU dazu beigetragen, dass sich in der abendländischen Gesellschaft eine „Kultur des Auges“ herausgebildet hat und dem Hörbaren weniger Aufmerksamkeit und Glauben geschenkt wird als dem, was „schwarz auf weiß“ geschrieben steht. Im Vergleich zum Sehen wird das Hören weniger bewusst und ähnlich selbstverständlich wie das Atmen empfunden - ungeachtet der Tatsache, dass gerade bei dem, was da „schwarz auf weiß“ gelesen und verstanden sein will, das Hören als sogenannte „Vorläuferkompetenz“ und mehr noch als eigenständige kreative Rezeption eine entscheidende Rolle spielt. In einer zunehmend multifunktionalen Medienwelt gewinnen diese verschiedenen Kompetenzen im bewussten Umgang mit allen Sinnesorganen umso mehr an Bedeutung. 1

vgl. www.touch-the-sound.de 13

Susanne Brandt

Von der Lautsprache zur Schriftsprache Das Hören hilft beim Lesen. Ursachen für Schwierigkeiten beim Lesen- und Schreibenlernen sind nach neueren wissenschaftlichen Forschungen vor allem in einem 'HÀ]LW GHU SKRQRORJLVFKHQ %HZXVVWKHLW ]X VHKHQ 8QWHU SKRQRORJLVFKHU %HZXVVWKHLWYHUVWHKWPDQ GHQ(LQEOLFN GHU .LQGHU LQ GLH Strukturen der gesprochenen Sprache mit Wörtern, Silben und Reimen. Im engeren Sinne geht es um die Fähigkeit, gesprochene :|UWHULQLKUH/DXWEHVWDQGWHLOHZLH$QODXW0LWWHOODXWXQG(QGODXW ]X]HUOHJHQ(LQJHQDXHV+|UHQXQG8QWHUVFKHLGHQYRQ/DXWHQJLOW demnach als eine elementare „Vorläuferkompetenz“ für das Lesen und Schreiben. $OOHUGLQJVEHOHXFKWHQGLHVH(UNHQQWQLVVHOHGLJOLFKHLQHQ$VSHNWGHV Hörens im Bezug zum Sprechen, Schreiben und Lesen. Gesprochene wie geschriebene Sprache im umfassenderen Sinne erschließt sich über YLHOIlOWLJH(UIDKUXQJVXQG:DKUQHKPXQJVZHLVHQXQGLVWQLFKWQXU als eine Aneinanderreihung von Lautbestandteilen zu verstehen. Die PHKUDOVÅYRUOlXÀJH´GXUFKDXVHLJHQVWlQGLJH%HGHXWXQJGHV+|UHQV für die mündliche wie schriftliche Kommunikation, das literarische Lernen und andere Formen der hörenden, sinnkonstituierenden Begegnung mit Kunst, Kultur und Umwelt wird von psychologischen, emotionalen, künstlerischen, schöpferischen und sinnlichen Aspekte bestimmt. Bibliotheken mit ihrem breiten Medien-, Themen- und Aufgabenspektrum können und sollten in der Arbeit mit Kindern diese Vielschichtigkeit als Chance nutzen, um auf Hörwegen durch die Medienwelt neue Möglichkeiten einer „etwas anderen“ Sprachund Leseförderung zu entdecken. Dabei ist der Auftrag von Bibliotheken von primär therapeutischen, pädagogischen oder künstlerischen Arbeitsfeldern zu unterVFKHLGHQ (V JHKW KLHU ]XQlFKVW GDUXP VLFK LQ %LEOLRWKHNHQ HLQHU Grundeinstellung im Umgang mit Menschen wie mit Medien bewusst zu werden, die dem Hören als Haltung der Zuwendung, Sprachund Welterfahrung mehr Raum und Zeit schenkt. Das bedeutet auch, der Dominanz von gedruckten Büchern, Bildschirmen und 14

Lauschen und Lesen Datenverarbeitungstechniken mit einer solchen „Hörhaltung“ neu und anders zu begegnen. Aus einer solchen „Hörhaltung“ heraus gilt es, folgende Aspekte der bibliothekarischen Praxis besonders aufmerksam wahrzunehmen:

Bedeutung von Stimme und Stimmungen 6SUHFKYHUKDOWHQXQG6WLPPHZHUGHQPLWEHHLQÁXVVWYRQLQQHUHQXQG äußeren Umständen, unter denen wir sprechen: Raumverhältnisse, der Umgebungslärm und die Beziehung zur Zuhörerschaft spielen dabei ebenso eine Rolle wie die persönliche Grundstimmung, Kontaktund Kommunikationsfähigkeit, die körperliche Konstitution, Körperhaltung und -spannung, die Atmung, die individuellen Bedingungen des Stimmapparates und des Gehörs. Stimme und Person sind eng miteinander verbunden. Wo Stimme XQG3HUVRQLP(LQNODQJVLQGZLUGDXFKGLHEHUPLWWHOWHÅ%RWVFKDIW´ als überzeugend empfunden. 0|JOLFKHhEXQJHQGLH(UIDKUXQJHQPLW6SUDFKHXQG6WLPPHYHUmitteln, sind z.B.: ‡ ‡ ‡ ‡

Wörter und Namen zum Klingen bringen den Klang verschiedener (Fremd-)sprachen miteinander vergleichen Alltagsgeräusche versprachlichen (lautmalerisches Sprechen) mit der Stimme an lyrischen und prosaischen Texten experimentieren

Kommunikation Kinder lernen im Gespräch, sich mit anderen Menschen, Dingen und Themen auseinander zu setzen. Das stärkt die Beziehungsfähigkeit und trägt zum Abbau von Gewaltbereitschaft bei. Im Gespräch muss VLFK GHU (LQ]HOQH JDQ] DXI  VHLQ *HJHQEHU HLQODVVHQ GHP DQGHUHQ GDV :RUW JHEHQ XQG VHOEVW GDV :RUW HUJUHLIHQ (LQVLFKWHQ GLH beim Zuhören gewonnen werden, wirken in Vergleich zu visuellen (LQGUFNHQWLHIHUXQGNOLQJHQOlQJHUQDFK 15

Susanne Brandt Zuhörgeschulten Kindern gelingt es leichter, menschliche Grundstimmungen zu erkennen. Als gute Zuhörer sind sie in der Lage, aus Gesprächen Zwischentöne heraus zu hören, die „versteckte“ VR]LDOH,QIRUPDWLRQHQHQWKDOWHQ2EHUÁlFKOLFKHRIWPDOVVWHUHRW\SH Wahrnehmungsmuster werden so aufgebrochen. Für das Kommunikationsverhalten in Bibliotheken bedeutet das: Die Sprach- und Leseförderung beginnt bereits bei einem freundlichen Wortwechsel im wertschätzenden Umgang miteinander und ist keineswegs allein an der Zahl der entliehenen Medien zu ermessen. Alle hier geführten Gespräche helfen, den Schatz an Vorbildern und Anlässen zur alltagssprachlichen Interaktion zu füllen, aus dem die Kinder (nicht nur) beim Lesenlernen schöpfen. Dass es an „Gesprächs- und Zuhörsituationen“ im Kinderalltag viel zu oft mangelt, hat die Anfang 2007 veröffentlichte Unicef-Kinderstudie bestätigt.2(VJHKWDOVR]XQlFKVWXPHLQHDXIPHUNVDPHZHFKVHOVHLWLJH „Zuhörhaltung“, die vom Interesse an den Fragen, Antworten und (U]lKOXQJHQGHU.LQGHUJHSUlJWLVW )U HLQH VROFKH *HVSUlFKVEHUHLWVFKDIW DOV XQYHU]LFKWEDUHV (OHPHQW in der Sprach- und Leseförderung spricht sich auch Petra Wieler aus, die zu den Anfängen literarisch-kultureller Sozialisation zahlreiche Untersuchungen durchgeführt hat und die maßgebliche Bedeutung des Zusammenspiels sozial-interaktiver, sprachlich-kognitiver, dialogischer und narrativer Komponenten für die Ausbildung von Sprache, Bewusstsein und Literalität überzeugend belegen kann.3 Vor diesem Hintergrund ist die vielzitierte PISA-Studie4 ergänzungsbedürftig und kritisierbar, die der elementaren Wichtigkeit von lesebegleitenden Gesprächsprozessen nicht gerecht wird, wenn sie vorrangig die erfolgreiche Vermittlung der Techniken des Lesens und Schreibens im Blick hat. %HUWUDP+DQV +J 0LWWHOPD‰IU.LQGHU'HU81,&()%HULFKW]XU Lage der Kinder in Deutschland. München, 2008 3 Wieler, Petra: Narratives Lernen in medialen und anderen Kontexten. Freiburg, 2005 4 vgl. www.pisa.oecd.org 2

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Lauschen und Lesen

Vorlesen und Erzählen 9RUOHVHQ XQG (U]lKOHQ LVW LQ GHU 6SUDFK XQG /HVHI|UGHUXQJ QLFKW allein als wichtige Vorbereitung auf die Schriftlichkeit zu betrachten. hEHU(UIDKUXQJHQPLWPQGOLFKHQ*HVWDOWXQJVPLWWHOQZLH:RUWZLW] oder das Anregen von Bildvorstellungen mit Worten wird in besonderem Maße auch die Zuhörkompetenz der Kinder erweitert, Phantasie und Kreativität angeregt. Dazu muss es im Kindergarten, in der Bibliothek, in der Schule RGHU ]X +DXVH Å*HVFKLFKWHQ]HLWHQ´ JHEHQ LQ GHQHQ GDV (U]lKOHQ und Vorlesen im Mittelpunkt steht, in denen zugehört wird und Zuhörsituationen so gestaltet sind, dass sich eine lebendige Interaktion ]ZLVFKHQ(U]lKOHUXQG=XK|UHUHQWZLFNHOQNDQQ Literarisches Lernen, wie es durch und mit Bibliotheken gefördert werden sollte, ist auf solche Zuhörerfahrungen angewiesen und kann allein über die Schriftsprache und das stille Lesen nicht zur vollen (QWIDOWXQJ NRPPHQ /LWHUDULVFKHV /HUQHQ EHJLQQW ODQJH YRU GHP /HVHQOHUQHQPLWNLQGOLFKHQ(UIDKUXQJHQEHLP+|UHQYRQHU]lKOHQGHQ Tonträgern, beim Vorlesen, bei freien oder szenischen Darbietungen von Gedichten und Geschichten - und setzt sich hoffentlich ein /HEHQ ODQJ DXI  YLHOIlOWLJH :HLVH IRUW (LQ VROFKHV =XK|UHQ LVW IU das literarische Lernen deshalb wichtig, weil es zur Konzentration beiträgt und den Kindern von Anfang an die Begegnung mit literarisch dichten, anregenden Geschichten ermöglicht. Zudem schließt OLWHUDULVFKHV /HUQHQ LPPHU HLQH VLQQOLFKH XQG VHHOLVFKH (UIDKUXQJ von Sprache mit ein. Kinder entwickeln früh einen lustvollen Zugang zu Klang und Rhythmus von Sprache, wie sie zum Beispiel in Reim und Lautmalerei erfahrbar werden. Solche positiven Hörerfahrungen wirken sich schließlich auch auf das stille Lesen aus. Sie fördern die Fähigkeit, mit dem inneren Ohr mitzuhören, Seelenbildern einen Klang zu geben, und tragen so dazu bei, dass aus den schwarzen Buchstaben ein inneres Hörerlebnis wird. Literarische Texte sind darauf angelegt, dass sie in der Vorstellung der Zuhörenden oder Lesenden lebendig werden. Beim Zuhören haben 17

Susanne Brandt die Kinder Gelegenheit, ihre Vorstellungskraft frei zu entfalten, was ihnen auch beim Selberlesen zugute kommt. Nicht zuletzt lässt sich über Vorlesesituationen wiederum eine besondere Gesprächskultur anbahnen, die dazu ermuntert, den Deutungsspielraum eines Textes JHPHLQVDP ]X HQWGHFNHQ VRZLH (LQGUFNH (PSÀQGXQJHQ XQG (UIDKUXQJHQPLWHLQDQGHUDXV]XWDXVFKHQ

Rhythmus und Bewegung in Sprache, Spiel und Musik Musik scheint mit dem Hören besonders eng verbunden - und zugleich von der bibliothekarischen Praxis besonders weit entfernt. Zwar zählen Musikmedien als Tonträger, Liederbücher oder gebräuchliche Notenausgaben zum Bestand nahezu jeder Bibliothek, doch ist die Bereitschaft, Musik „hörbar“ und lebendig in die bibliothekarische Arbeit mit einzubeziehen ungleich schwächer ausgeprägt als die Bereitschaft, mit Sprache und Geschichten zu arbeiten. Gewiss spielt dabei die verbreitete und oftmals „anerzogene“ Behauptung, „nicht singen zu können“ oder „unmusikalisch“ zu sein, eine wichtige Rolle, auch wenn Musikwissenschaftler nachweisen können, dass es keine unmusikalischen Menschen gibt. Auch hier mag ein Blick zu den Anfängen helfen, solche Hemmschwellen zu überwinden: In der frühen Phase der Sprachentwicklung beim Säugling lässt sich zwischen Sprache und Lauten kaum eine Trennung ausmachen und DXFKVSlWHUEOHLEHQGLHhEHUJlQJHVWHWVÁLH‰HQG'LHHQJHQ%H]JH zwischen Sprache, Musik und Rhythmik, die für die ontogenetische ZLHSK\ORJHQHWLVFKH(QWZLFNOXQJGHV0HQVFKHQJOHLFKHUPD‰HQIHVWzustellen sind, legen also nahe, diese unbedingt in einem ganzheitlich ausgerichteten Sprach- und Leseförderkonzept zu nutzen - und somit auch in Bibliotheken stärker als bisher zu berücksichtigen und „hörbar“ zu machen. Das beginnt mit einfachen rhythmischen Versen und Fingerspielen für die Kleinsten, etwa im Rahmen der derzeit stark propagierten

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Lauschen und Lesen „Lesestart“-Programme,5 VFKOLH‰W H[SHULPHQWHOOH (UIDKUXQJHQ XQG Gestaltungsversuche mit Geräuschen und Klängen der Umwelt ein, schafft über Musik hilfreiche Verbindungen zwischen Sprache und Bewegung und reicht bis hin zu Gesprächskonzerten oder Liederprogrammen mit eingeladenen Künstlerinnen und Künstlern in Bibliotheken.6 Angesichts der Tatsache, dass Schulen oftmals ihrem Bildungsauftrag für musische Fächer nicht ausreichend nachkommen und Kinder aus sozial schwächeren Familien seltener von GHQ SULYDW ]X ]DKOHQGHQ $QJHERWHQ GHU 0XVLNVFKXOHQ SURÀWLHren, können Bibliotheken aus einer solchen „Hörhaltung“ heraus zahlreiche Verknüpfungen zwischen Sprache und Musik in ihr Leseförder-Konzept integrieren und hier einen wesentlichen Beitrag zur Chancengleichheit leisten. Zuhörförderung mit Sprache, Musik, Spiel und Bewegung bietet zudem interessante Möglichkeiten, um mit den vielfältigen Stimmen (XURSDV XQG GHU ZHLWHUHQ :HOW YHUWUDXW ]X PDFKHQ 7KHDWHU Singgruppen und Puppenspieler aus der eigenen Umgebung und aus JUHQ]QDKHQ 5HJLRQHQ(XURSDVN|QQHQ²MHQDFK(QJDJHPHQWXQG ÀQDQ]LHOOHQ0|JOLFKNHLWHQ²HLQJHODGHQZHUGHQ(LQHDQVSUHFKHQGH Art, die Kinder frühzeitig mit der kulturellen Vielfalt der Welt bekannt zu machen.

Zusammenfassung Zusammenfassend lassen sich drei zentrale Thesen zur Bedeutung des Hörens im bibliothekarischen Alltag formulieren: 1. Hören bringt Körper, Geist und Seele miteinander in Bewegung 5

vgl. www.lesestartdeutschland.de

YJO6LPRQ(OLVDEHWK'LH%LEOLRWKHNIU0XVLN²0XVLNIUGLH%LEOLRthek. In: Libreas. elektronische Zeitschrift am Institut für Bibliotheksund Informationswissenschaft, Berlin. 4/2006, www.libreas.de

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Susanne Brandt Hören ist ein Akt, an dem nicht allein die Ohren beteiligt sind. Höreindrücke klingen und schwingen innerlich wie äußerlich nach. Sie berühren die Menschen in vielfältiger Weise und öffnen ebenso vielfältige Wege der Sprach- und Leseförderung. Bibliotheken, die mit ihren (Hör-)Angeboten ein gutes Gespür für Atmosphäre, Umwelt, Zeit, Raum, kreative Möglichkeiten und Beziehungen entwickeln und anregen, wirken auf Menschen bewegend und beweglich. 2. Hören vertieft Beziehungen zur Umwelt, zu anderen Menschen, zu mir selbst Beim Hören bin ich mit meiner Wahrnehmung ganz präsent und nehme mich gleichzeitig zurück, um das Hörbare nicht zu übertönen oder zu stören. Die damit verbundenen ethischen, mitunter auch ökologischen Aspekte, liefern wichtige Impulse für das soziale Lernen, für den achtsamen Umgang mit Medien und Natur wie für das Miteinander von Menschen in Bibliotheken. +|UHQHUP|JOLFKWVFK|SIHULVFKHXQGlVWKHWLVFKH(UIDKUXQJHQ Hörend können wir prüfen und erproben, wie sich gesprochene Botschaften durch verschiedene „Untertöne“ verändern, wie sich Töne und Geräusche immer wieder neu hervorbringen, verbinden und variieren lassen. Wir können Hörbares dadurch in unterschiedlicher Weise bewusst gestalten wie auch Gehörtes neu für uns interpretieren. Für Bibliotheken als Orte der Kunst- und Kulturbegegnung wie GHU(UNXQGXQJYRQNUHDWLYHQXQGSKDQWDVLHYROOHQ$XVGUXFNVIRUPHQ und gesellschaftlichen Beteiligungschancen stellt dies eine besondere Herausforderung dar.

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