Untitled - AWS

ersten Kuss, nach verschwitzter Haut zweier Liebender, nach der Schwüle vor einem erfrischenden Sommerregen. Nach Salz auf der Haut, den Lippen, der Zunge, dem an- deren, dem ... Es war vorbei und es begann. Immer wieder. Sie setzte sich auf das Bett. Auf dem Nachttisch lag ihr. Tagebuch und daneben stand ein ...
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Astrid Thadewaldt/ Carsten Bauer

Blutblume

Wa s e i n L e b e n w e r t i s t

Der Gärtner ist immer der Mörder – dumm nur, wenn alle Verdächtigen Gärtner sind … In der Regentonne seiner Itzehoer Kleingartenparzelle wird Peter Winkler mit eingeschlagenem Schädel gefunden. Die bereits mit Maden übersäte Leiche wurde offensichtlich mit enormer Gewalt dort hineingepresst. Für Hauptkommissar Frithjof Arndt und sein Team beginnt eine wahre Puzzlearbeit. Es scheint, als hätte jeder, der Peter Winkler näher kannte, einen Grund gehabt ihn umzubringen.

Astrid Thadewaldt Jahrgang 1963, ist in Meldorf an der Nordsee aufgewachsen. Die gelernte Medizinisch-Technische Assistentin arbeitet im Labor des Klinikums Itzehoe. Dort finden sich die Verbindungen zu den Laboruntersuchungen in den „Frithjof Arndt“-Krimis. Carsten Bauer, geboren 1978, ist gelernter Fachangestellter für Medien und Informationsdienste und war viele Jahre bei den Hamburger Öffentlichen Bücherhallen tätig. Neben dem Schreiben gilt seine Liebe dem Theater. Mit seiner Koautorin Astrid Thadewaldt steht er seit fast zehn Jahren zusammen auf der Bühne. Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag: Kreuzkönig (2006)

Astrid thadewaldt/ Carsten Bauer

Blutblume

Original

Der zweite Fall für Frithjof Arndt

Personen und Handlung sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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© 2007 – Gmeiner-Verlag GmbH Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch Telefon 0 75 75/20 95-0 [email protected] Alle Rechte vorbehalten 3. Auflage 2014

Lektorat: Isabell Michelberger, Meßkirch Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart unter Verwendung eines Fotos von sxc.hu ISBN 978-3-8392-3359-7

Prolog Reglos saß sie auf dem Bett in ihrem weißen Kleid, das ihr vor langer Zeit ein Mann geschenkt hatte. Wie lange hatte sie keine Geschenke mehr erhalten? Damals fand sie sich schön, mochte ihre vollen Haare, ihre grünen, strahlenden Augen. Sie mochte es, wenn man ihr Komplimente machte, und nahm das Leben so, wie es kam. Sie nahm alles wie ein Geschenk, das verpackt in einem glänzenden Papier vor ihr lag, egal, was es war. Wie lange ist das her? Mittlerweile existierte nur noch die blasse Erinnerung an das schimmernde Papier. Anfangs hatte sie geweint, wenn sie daran dachte. Jetzt empfand sie rein gar nichts mehr. Eine ganze Weile schon starrte sie an die weiße, kahle Wand. Sie suchte Ruhe an der glatten hellen Oberfläche, doch alles, was um sie herum war, verschwamm. Nichts bekam Gestalt. Ihre Lider verharrten nahezu bewegungslos, während sich, nach langer Zeit, Tränen in ihren Winkeln sammelten. Wie Insekten in einem Spinnennetz blieben sie dort hängen. Heute hatte sie das Haus nicht verlassen. Es war den ganzen Tag über zu heiß gewesen. Und ihre wirren Gedanken verunsicherten sie viel zu sehr. Sie schwirrten um sie herum wie ein Mückenschwarm über der Wasseroberfläche eines Sees. Die Welt hätte sie nur noch mehr irritiert. Es war am besten, niemanden zu sehen. Ruhig saß sie auf ihrem Bett, die Hände auf dem Schoß gefaltet. Die Füße baumelten in der Luft. Der Schmerz, den ihr gekrümmter Rücken ausstrahlte, störte sie nicht, denn ihre ganze Konzentration galt der weißen Wand. Langsam senkte sich die Sonne Richtung Horizont. Ihr Licht zeichnete die Umrisse der mächtigen Kastanie an 8

die Wand, die draußen im Garten stand. Ihr Schatten war langsam in den letzten Stunden vorbei gezogen, von einer Ecke des Zimmers in die andere. Die flatternd tänzelnden schwarzen Flecken legten sich schwerelos über ihr Bett und über den kleinen Tisch an der Wand. Der spärlich eingerichtete Raum tat ihr gut, sie mochte diese klare Einrichtung. Sie mochte es, wenn sich ihre Gedanken nicht an unnützen Dingen festhielten. Träumerisch hatte sie den Schatten nachgesehen, wie sie zeitlupenartig alles zu ertasten suchten. So langsam, dachte sie. Die Welt dreht sich so langsam. Wir Menschen drehen uns schneller. Das passt nicht zusammen. So etwas musste dann passieren. War es ihre Schuld? Langsam stand sie auf. Die Beine fühlten sich wackelig an und in den Füßen kribbelte es, als ob sie in einem Ameisenhaufen stünde und Abermillionen dieser kleinen Tiere über sie hinwegwuselten. Sie hörte Stimmen von irgendwoher. Sie waren ihr vertraut. Manchmal lauschte sie ihnen. Es waren traurige Stimmen zu traurigen Geschichten. So traurig wie die ihre. Nun stand sie am Fenster und sah hinaus. Ihre Stirn hatte sie an die Scheibe des geschlossenen Flügels gelehnt. Ihre Finger umklammerten die Fensterbank. Wenn sie sich anstrengte, konnte sie durch die Kastanien den Hafen sehen, die Lichter der Kräne und der Fähren. Ab und an erklang ein dumpfes Horn, wenn die imposanten Schiffe ausliefen. Über den Kastanien hing der Mond wie ein überdimensionaler Dotter, kräftig gelb und grell. Als sie einen Schritt nach hinten trat, knirschte es unter ihren Füßen. Sie mochte das Geräusch dieser kleinen Sandkörnchen, die sich nach ihren letzten Strandspaziergängen mit hineingeschlichen hatten in das Haus. 9

Ein leichter Wind versetzte die Blätter der Kastanien, der Büsche und Hecken in Bewegung und ließ sie aneinander rascheln. Die Natur brachte die schönsten Geräusche hervor, fand sie. Außerdem roch es wunderbar nach Sommer und der ersten Liebe, nach Sonnencreme und dem ersten Kuss, nach verschwitzter Haut zweier Liebender, nach der Schwüle vor einem erfrischenden Sommerregen. Nach Salz auf der Haut, den Lippen, der Zunge, dem anderen, dem Aufgeben der Unschuld, dem Sichhingeben und Nie-wieder-loslassen-wollen. Sie war glücklich. Mit den Händen strich sie sich sanft über ihre Unterarme, wo sie den weichen Flaum der aufgestellten Haare spürte. Sie ging in den Raum hinein. Der Mond schien so hell, dass sie ihre Füße deutlich erkennen konnte. Sie blickte auf ihre kleinen, wohlgeformten Zehen. Manchmal hatte sie sie lackiert. In grellen Farben. Als sie auf ihre Zehen sah, bemerkte sie zum ersten Mal bewusst, dass es Nacht geworden war. Der Tag hatte sich verabschiedet. Ganz unbemerkt von ihr. Wie so vieles in der letzten Zeit. Plötzlich veränderte sich etwas. In ihr. In der Umgebung. Im Raum. Sie spürte auf ihrem Hals eine Hand. Sie war feucht und schnürte ihr den Atem ab. Sie wollte den Kopf drehen, sich aus der Gefangenschaft der fremden Arme befreien, die ihren Körper von hinten hielten. Jedoch vergeblich. Sie fühlte sich gefangen, umgarnt wie ein flatterndes Insekt, das keine Chance hatte, sich aus den klebrigen Fäden des Spinnennetzes zu befreien. Ihr Herz blieb stehen – für immer, dachte sie. Stillstehen. Verharren. Zeit verlieren. Die eine Hand wurde zu hunderten, die sie überall berührten. 10

Auf ihrem Hals, dem Mund, der Brust, dem Unterleib, den Schenkeln. Jemand drückte ihr Gesicht auf den Boden. Wieder das Rascheln der Büsche. Der Geruch nach Blumen und Gras. Kein Abenteuer mehr, keine Freiheit, keine Jugend. Alles vorbei. Nur in einem einzigen Moment. Sie würde versuchen über den Verlust zu trauern, der so jäh kam, den man nicht erleben konnte, der ihr aufgezwungen wurde. Das weiße Kleid verfärbte sich und alle Geräusche verschwanden. Sie hörte nur seine Stimme in ihrem Ohr. Lechzend, röchelnd, wahnsinnig. Bis Dunkelheit über sie hereinbrach. Etwas Warmes überströmte sie. Ihr wurde schwindelig, die Beine gaben nach, ihre Augenlider zuckten, sie weinte lautlos. Doch kein Laut wollte ihrer Kehle entspringen, brüllen, nach Hilfe rufen, nach Vergebung, nach Gnade. Nichts konnte sie tun, nichts, was die Welt stehen bleiben ließ. Dann war es vorbei. Die Hände hatten sich zurückgezogen und gaben ihr wieder die Möglichkeit zu atmen. Erschöpft stand sie in ihrem Zimmer und wiegte sich wie ein Ast des Kastanienbaums hin und her. Das dunkle Horn einer Fähre drang in ihr Zimmer und sie wünschte sich auf dieses Schiff, weit weg, alles neu beginnen, das Alte hinter sich lassen, kein Blick zurück, denn das wäre zu grausam. Einfach alles im Rauschen der Kastanien verwehen zu lassen. Als der letzte Ton des Horns verklungen war, löste sich auch ihre Hoffnung auf, dass alles irgendwann wieder gut werden könnte. Es war vorbei. Lächelnd lehnte sie wieder ihre Stirn gegen die Scheibe des Fensters. 11

Es war vorbei und es begann. Immer wieder. Sie setzte sich auf das Bett. Auf dem Nachttisch lag ihr Tagebuch und daneben stand ein Kunststoffbecher mit Mineralwasser, aus dem die Kohlensäure längst entwichen war. Unter ihrem Bett, fein säuberlich aufeinandergeschichtet, lagen ihre Kohlezeichnungen. Ruhig hob sie den linken Arm und führte ihre Hand an den Mund. In ihrem Kopf herrschte vollkommene Leere, als die Lippen das Handgelenk berührten. Ihre Zähne schlugen in das Fleisch über der Pulsader. Wie ein Raubtier seine Beute reißt, gruben sich ihre Zähne in ihre Haut. Für sie war es nicht ihre Haut, es schien vielmehr, als würde sie in eine Frucht beißen, die längst verdorben war. Sehnen und Muskeln wurden beim Zubeißen verletzt. Sie hatte jedes Gefühl von Schmerz ausgeschaltet, das hatte sie in all der Zeit gelernt. Alles geschah wie in Trance, wie ein Befehl, eine Aufgabe, der sie sich nicht entziehen konnte. Warmes Blut spritzte ins Gesicht. Einige Male musste sie die Augen schließen. Tief dunkles Rot verfärbte das weiße Kleid. In dunklen Bahnen rann es den Arm hinunter und tropfte dickflüssig auf den Boden. Die Füße baumelten wieder hin und her. Es pochte in der offenen Wunde. In dicken, pulsierenden Rhythmen ergoss sich das rote Elixier aus ihrem Körper. Wie eine Außenstehende, eine nicht Beteiligte, blickte sie emotional leer auf das Geschehen. Etwas geschah, was geschehen musste, was richtig war. Mit blutverschmiertem Mund, roten Lippen und Zähnen, beugte sie sich über das rechte Handgelenk und biss auch dort hinein. Und wieder verbreitete sich in ihrem 12

Mund der Geschmack von rohem Fleisch und kupfernem Blut. Sie lächelte. Es war vorbei und es begann.

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1 Hauptkommissar Frithjof Arndt stellte vorsichtig, aber noch hustend, den Kaffee ab, an dem er sich gerade verschluckt hatte. »Wo hat man die Leiche gefunden?«, fragte er, obwohl er ganz genau verstanden hatte. »In einer Regentonne. Man hat den Mann dort förmlich hineingequetscht.« Gabrielle, die Sekretärin der Mordkommission Vier, kurz M4, stand in Frithjofs Büro und nestelte nervös an ihrer toupierten Frisur herum. Die Vorstellung war ihr wohl ebenfalls unbehaglich. Frithjof hatte während seiner Dienstkarriere schon so einige Leichenfundorte kennen gelernt: Kühlschränke, Gefriertruhen, Öltanks, Holzfässer, sogar ein Wäschetrockner eines öffentlichen Waschsalons, aber an eine Regentonne konnte er sich beim besten Willen nicht erinnern. »Ist er dort ertränkt worden?«, hakte er nach und schob gleichzeitig einen riesigen Stapel Akten ein Stück zur Seite, damit vor ihm wenigstens Platz für ein normales Din-A-4-Blatt entstand. »Nein. So wie es aussieht, hat man ihn vorher erschlagen.« »Aha, also hat man ihn dort lediglich entsorgt«, sprach er mehr zu sich als zu Gabrielle. Sein Blick wanderte von seiner Kaffeetasse, die auf der kleinen Freifläche des Schreibtisches stand, auf die gerahmte Fotografie dahinter. 14