Unpolitische Wissenschaft?

kleinen Mann. Vor Veranstaltungsbeginn zeigte ich Lore Rubin Reich den vom Auf- führungsort nur wenige hundert Meter entfernten Bebelplatz gegenüber der ...
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Andreas Peglau

3., durchgesehene, korrigierte und erweiterte Auflage 2017 »Andreas Peglau dürfte für lange Zeit die gründlichste und umfassendste wissenschaftliche Aufarbeitung eines schwierigen Kapitels aus der Geschichte der Psychoanalyse gelungen sein. Seine Verdienste um die Aufklärung einer immer noch von Legenden, Mythenbildungen oder schlichtem Unwissen umhüllten Katastrophe sind immens und kaum zu überschätzen. Viele Leser sollten es im danken.« Hans-Martin Lohmann, LUZIFER-AMOR Von der Krankenbehandlung ausgehend, entwickelte sich Freuds Lehre zu einer Möglichkeit, sich selbst und die Welt zu erkennen – und zu verändern. Dieser gesellschaftskritische Anspruch wurde während des Nationalsozialismus wei-

testgehend in den Hintergrund gedrängt. Die nachhaltigsten Weichenstellungen zu einer »unpolitischen« Psychoanalyse erfolgten in den 1930er Jahren und waren eng verbunden mit dem Versuch, Konfrontationen mit dem NS-Regime zu vermeiden. Dass die Alternative einer aufklärerischen Psychoanalyse weiter bestand, zeigt das Wirken Wilhelm Reichs, der 1933/34 aus den analytischen Organisationen ausgeschlossen wurde. Anhand von zum großen Teil erstmalig veröffentlichtem Archivmaterial geht Andreas Peglau Reichs Schicksal nach und folgt den Entwicklungen im analytischen Hauptstrom während der NS-Zeit. Dabei beantwortet er auch die Frage, ob die Psychoanalyse jemals eine unpolitische Wissenschaft war.

Andreas Peglau

Unpolitische Wissenschaft?

Unpolitische Wissenschaft? Wilhelm Reich und die Psychoanalyse im Nationalsozialismus

Andreas Peglau, Dr. rer. medic., Diplom-Psychologe, ist seit 2008 Psychologischer Psychotherapeut und Psychoanalytiker in eigener Praxis in Berlin. 1990 gründete er die Gemeinschaft zur Förderung der Psychoanalyse e.V. 2013 wurde er am Medizinhistorischen Institut der Berliner Charité promoviert. Peglau: Unpolitische Wissenschaft?

www.psychosozial-verlag.de 680 Seiten – bf – 46 mm

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ISBN 978-3-8379-2637-8

Psychosozial-Verlag

Andreas Peglau Unpolitische Wissenschaft?

D

as Anliegen der Buchreihe Bibliothek der Psychoanalyse besteht darin, ein Forum der Auseinandersetzung zu schaffen, das der Psychoanalyse als Grundlagenwissenschaft, als Human- und Kulturwissenschaft sowie als klinische Theorie und Praxis neue Impulse verleiht. Die verschiedenen Strömungen innerhalb der Psychoanalyse sollen zu Wort kommen, und der kritische Dialog mit den Nachbarwissenschaften soll intensiviert werden. Bislang haben sich folgende Themenschwerpunkte herauskristallisiert: Die Wiederentdeckung lange vergriffener Klassiker der Psychoanalyse – wie beispielsweise der Werke von Otto Fenichel, Karl Abraham, Siegfried Bernfeld, W. R. D. Fairbairn, Sándor Ferenczi und Otto Rank – soll die gemeinsamen Wurzeln der von Zersplitterung bedrohten psychoanalytischen Bewegung stärken. Einen weiteren Baustein psychoanalytischer Identität bildet die Beschäftigung mit dem Werk und der Person Sigmund Freuds und den Diskussionen und Konflikten in der Frühgeschichte der psychoanalytischen Bewegung. Im Zuge ihrer Etablierung als medizinisch-psychologisches Heilverfahren hat die Psychoanalyse ihre geisteswissenschaftlichen, kulturanalytischen und politischen Bezüge vernachlässigt. Indem der Dialog mit den Nachbarwissenschaften wiederaufgenommen wird, soll das kultur- und gesellschaftskritische Erbe der Psychoanalyse wiederbelebt und weiterentwickelt werden. Die Psychoanalyse steht in Konkurrenz zu benachbarten Psychotherapieverfahren und der biologisch-naturwissenschaftlichen Psychiatrie. Als das ambitionierteste unter den psychotherapeutischen Verfahren sollte sich die Psychoanalyse der Überprüfung ihrer Verfahrensweisen und ihrer Therapie-Erfolge durch die empirischen Wissenschaften stellen, aber auch eigene Kriterien und Verfahren zur Erfolgskontrolle entwickeln. In diesen Zusammenhang gehört auch die Wiederaufnahme der Diskussion über den besonderen wissenschaftstheoretischen Status der Psychoanalyse. Hundert Jahre nach ihrer Schöpfung durch Sigmund Freud sieht sich die Psychoanalyse vor neue Herausforderungen gestellt, die sie nur bewältigen kann, wenn sie sich auf ihr kritisches Potenzial besinnt.

Bibliothek der Psychoanalyse Herausgegeben von Hans-Jürgen Wirth

Andreas Peglau

Unpolitische Wissenschaft? Wilhelm Reich und die Psychoanalyse im Nationalsozialismus Mit einem Vorwort von Helmut Dahmer

Psychosozial-Verlag

Die vorliegende Studie wurde von der Medizinischen Fakultät Charité – Universitätsmedizin Berlin im September 2012 als Dissertation angenommen. Für die Veröffentlichung wurde das Manuskript überarbeitet und ergänzt. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 3., durchgesehene, korrigierte und erweiterte Auflage 2017 © der Originalausgabe 2013 Psychosozial-Verlag Walltorstr. 10, D-35390 Gießen Fon: 06 41 - 96 99 78 - 18; Fax: 06 41 -969978-19 E-Mail: [email protected] www.psychosozial-verlag.de Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Umschlagabbildung: Foto der Berggasse 19 in Wien (Wohn- und Arbeitsstätte Sigmund Freuds vor seiner Emigration nach London) zur Zeit der NS-Herrschaft Umschlaggestaltung & Innenlayout nach Entwürfen von Hanspeter Ludwig, Wetzlar ISBN Print-Ausgabe 978-3-8379-2637-8 ISBN E-Book-PDF 978-3-8379-7289-4

Inhalt

Vorwort zur dritten und erweiterten Auflage 2017

11

Wilhelm Reich, die Psychoanalyse und die Politik

15

Vorwort von Helmut Dahmer

Einleitung

23

1 Vorspiele

45

1.1

Frühe Prägungen

45

1.2

Reich in Wien

46 46 58

1.2.1 Psychoanalyse 1.2.2 Politik

1.3 Sexualerregung 1.3.1

Bilaterale Beziehungen

1.3.2 »Schundkampf« 1.3.3

Sieg in erster Instanz: Das Verfahren vor der Berliner Prüfstelle

1.3.4

Niederlage in Leipzig: Die Verhandlung vor der »Oberprüfstelle«

1.3.5

Psychoanalyse und Sexualwissenschaft

1.3.6

Unerwarteter Beistand

70 72 74 78 81 84 86

5

Inhalt

1.4

Reich in Deutschland 1930 bis 1933

1.4.1

Gegen den Paragrafen 218

1.4.2

Die Marxistische Arbeiterschule MASCH

1.4.3

Die Massenorganisationen der KPD

1.4.4

Die Einheitsverbände für proletarische Sexualreform und Mutterschutz

1.4.5

Weitere EV-Aktivitäten: Sexualberatung und die Warte

1.4.6

Massenorganisation oder »kleine Splittergruppe«?

1.4.7

Parteiinterne Spannungsfelder

1.4.8

Der sexuelle Kampf der Jugend

1.4.9

Der Einbruch der Sexualmoral

88 95 99 106

1.4.15 Diffamierungen von »rechts«

108 121 126 133 136 142 146 149 157 161 166 178

1.5

Ein letztes Mal Wien

181

2

Psychoanalytische Schriften und Wilhelm Reich in der Zeit des Nationalsozialismus

189

1.4.10 Für und wider den Todestrieb 1.4.11 Der Masochismus-Artikel: Reichs Freud-Widerlegung 1.4.12 Freud und der Kommunismus 1.4.13 Psychoanalyse in der Sowjetunion 1.4.14 Eskalation in der KPD

2.1 Bücherverbrennung 2.1.1

Die »Feuersprüche«

2.1.2

Mögliche Inspiratoren

2.1.3

Der 10. Mai 1933

2.1.4

Reichs möglicherweise verbrannte Bücher

2.2

Publikationsverbote I: Die 1933er Kampfbundlisten

189 191 193 196 202

2.2.4 Umsetzung

204 204 211 218 226

2.3

229

2.2.1 Zensoren 2.2.2

Die Kriterien und ihre Anwendung

2.2.3 Opfer

6

Publikationsverbote II: Die »Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums«

Inhalt

2.4

Publikationsverbote III: Weitere Zensurinstanzen

236

2.5

Hauptbetroffene der NS-Bücherverfolgung

238

2.6

Reichs verbotene Schriften

240

2.7

Gab es psychoanalytische Schriften, die sich offen gegen den Faschismus wandten? Eine Suche

246

2.8 Die Massenpsychologie des Faschismus 2.8.1 Vorerfahrungen 2.8.2 Inhalt 2.8.3 Reaktionen

2.9

Trennung von der Psychoanalyseorganisation

2.9.1

Gefährdetes Exil

2.9.2

Der Luzerner IPV-Kongress

2.9.3

Reichs biologische Experimente

2.9.4

Diagnose als Waffe

2.9.5

Allmähliches Ausblenden

266 266 272 284 293 293 295 299 302 306

2.10 Reich und die »Linke« zwischen 1933 und 1939

311

2.11 Das Ende der Sex-Pol-Bewegung

322

2.12 Ausweisung, Observierung

328

2.13 Ausbürgerung

329

2.14 Reich als »Hochverräter« und »jüdischer Pornograph«

338

2.15 Tolerierte und beworbene Psychoanalyse in NS-Publikationen 2.15.1 Was ist (noch) Psychoanalyse? 2.15.2 Veröffentlichungen von (ehemaligen) DPG-Mitgliedern 2.15.3 Das Zentralblatt für Psychotherapie 2.15.4 Das Zentralblatt für die gesamte Neurologie und Psychiatrie 2.15.5 Zwei medizinische Wochenschriften 2.15.6 Der Völkische Beobachter und weitere Publiationen

345 346 350 391 404 407 410

7

Inhalt

3

Wilhelm Reich nach 1945

413

3.1

Zwischen Neuanfang und zweiter Bücherverbrennung – Reich in den USA

413

3.2

Realitätsblinder Sankt Wilhelm? Zum aktuellen Umgang mit Wilhelm Reich im Kontext der Psychoanalyse

3.2.3 Beschweigen

428 428 432 434

4

Einordnungen und Erklärungen

437

4.1

NS-Funktionäre und Psychoanalyse

438

4.2

Freud über den Faschismus

445

4.3

Antifaschistisches Engagement

451

4.4

Das 1933er Memorandum

456

4.5

Hauptakteure, Protegés

459

4.6

»Neue deutsche Seelenheilkunde«

468

3.2.1 Diffamierung 3.2.2 Abwertung

4.7 »Arisierung«

474

4.8

Zuarbeiten zur »Eugenik«

476

4.9

Tiefenpsychologische Kriegsführung

481

4.10 Geheimhaltung und Medienlenkung

484

4.11 Wissenschaftspolitik

487

4.12 Kulturrichtlinien

490

4.13 Sexualität im Dritten Reich

494

4.14 Die (nachlassende) Reflexion der Psychoanalyse

508

4.15 Das lange Schweigen der Analytiker

513

8

Inhalt

4.16 Unpolitische Psychoanalyse?

4.16.3 Wiederhoungen

520 520 528 533

5

537

4.16.1 Psychoanalytiker und US-Geheimdienste 4.16.2 Freud und die Soziopolitik

Psychoanalyse: eine politische Wissenschaft. Bilanz

Anhang Dokumente und Abbildungen

557

Die wichtigsten Abkürzungen

609

Quellen und Literatur 1 Quellen

611 611

2

624

Literatur inklusive Nachschlagewerken und Texten von Webseiten

Personenregister

659

Vorschläge für Weiterführungen

673

Pressestimmen zur ersten und zweiten Auflage

677

9

Vorwort zur dritten und erweiterten Auflage 2017

Die Vorarbeiten zu diesem Buch begannen 2007, im Jahr von Wilhelm Reichs 110. Geburts- und 50. Todestag. An Reichs Berliner Wohnhaus – das mit Fug und Recht als »Geburtshaus der Körperpsychotherapie« angesehen werden kann – wurde damals eine Gedenktafel eingeweiht.1 Dabei kam ich mit Lore Rubin Reich, Psychoanalytikerin und jüngere Tochter Reichs, in Kontakt, was sowohl einen lebendigen Austausch als auch eine Verabredung zum Theaterbesuch nach sich zog. Denn in der Probebühne der Staatsoper wurde gerade – glückliche Fügung! – ein 1946 entstandener Text ihres Vaters in dramatisierter Fassung gegeben: Rede an den kleinen Mann. Vor Veranstaltungsbeginn zeigte ich Lore Rubin Reich den vom Aufführungsort nur wenige hundert Meter entfernten Bebelplatz gegenüber der Humboldt-Universität: Hier wurden am 10. Mai 1933 tausende mit nationalsozialistischen Auffassungen unvereinbare Schriften verbrannt. Nur vier den Initiatoren der Vernichtungsaktion offenbar besonders verhasste Psychoanalytiker waren, soweit bekannt, davon betroffen. Lore Rubin Reichs Vater war einer von ihnen. Dieses Zusammentreffen verstärkte meinen Wunsch, zu erfahren, wie überhaupt im faschistischen Deutschland mit analytischen Schriften umgegangen wurde. Erstaunlicherweise lagen dazu jedoch keine gründlichen Ausarbeitungen vor. Ich entschloss mich, selbst zu recherchieren – ohne zu ahnen, dass daraus eine siebenjährige Suche in unzähligen Dokumenten, diversen Archiven und Institutionen werden sollte, bei der sich die zu beantwortenden Fragen immer mehr ausweiteten. Was ich dabei entdeckte, widersprach vielfach meinen Erwartungen. Der pauschale Vernichtungswille, der sich bei der Bücherverbrennung am 10.  Mai 1933 noch demonstrativ in einem eigenen »Feuerspruch« für die 1

Siehe Abb. S. 608.

11

Vorwort zur dritten und erweiterten Auflage 2017

»Freud’sche Schule« artikuliert hatte, wurde von der NS-Administration nicht umgesetzt. Entgegen tradierter Behauptungen unterlag die Psychoanalyse im Hitler-Staat keiner umfassenden Unterdrückung, sondern fand, von Sozialkritik »bereinigt«, weitgehende Anerkennung im Gesundheitswesen, wurde später zur Aufrechterhaltung der »Wehrbereitschaft« und für die psychologische Kriegsführung genutzt. Nur ein kleiner Teil der psychoanalytischen Literatur war im »Dritten Reich« verboten; kein einziger Analytiker wurde verfolgt, weil er Analytiker war. In den tausenden psychoanalytischen Publikationen, die weltweit zwischen 1933 und 1940 erschienen, wurde der Faschismus so gut wie gar nicht thematisiert, ab 1941 gab es vereinzelte Gegenbeispiele. Wo ich mit Konfrontation gerechnet hatte, fand ich im Wesentlichen Anpassung, Schweigen, Kollaboration. Der einzige Psychoanalytiker, der vor 1941 öffentlich eine Psychoanalyse des Faschismus und gegen den Faschismus betrieb, war Wilhelm Reich – der nicht zuletzt wegen seines antifaschistischen Engagements von der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung zunehmend geächtet wurde. Während ich mühsam begriff, in welchem Umfang ich die real existierende Psychoanalyse idealisiert hatte, wuchs mein Respekt für Reich. In der psychoanalytischen Geschichtsschreibung meist totgeschwiegen, diffamiert oder zumindest marginalisiert, war er in Wirklichkeit einer der bekanntesten Psychoanalytiker – und ist einer der wichtigsten geblieben. Neben Erich Fromm hat er den sozialkritischen Gehalt der Freud’schen Theorie am konsequentesten und ertragreichsten weiterentwickelt, mit der Originalfassung seiner Massenpsychologie des Faschismus 1933 eines der bedeutsamsten psychoanalytischen Werke verfasst, das je erschienen ist. Heute, da von einem europäischen »Rechtsruck« gesprochen werden muss, sich in Deutschland per AfD und PEGIDA eine »enthemmte Mitte« (Decker et al. 2016) immer lauter artikuliert, nimmt die Brisanz dieser Schrift wieder zu. Reich mithilfe meines Buches ein Stück seiner verdienten Popularität zurückzugeben, sollte daher, so hoffte ich, auch dazu beitragen, dass sich die Psychoanalyse endlich wieder ihrer gesellschaftlichen Verantwortung besinnt und ihr vorgeblich »unpolitisches« Image aufgibt: eine dringende Forderung in einer Welt, in der sich unverstandene psychosoziale Konflikte zwischen Menschengruppen und Völkern häufen. Zu Reichs 120. Geburtstag am 24. März 2017 erscheint Unpolitische Wissenschaft? nun in dritter Auflage. Hat sich zehn Jahre nach dem Zusammentreffen mit Lore Rubin Reich und vier Jahre nach Veröffentlichung der Erstauflage tatsächlich etwas geändert in der Bewertung Wilhelm Reichs? 12

Vorwort zur dritten und erweiterten Auflage 2017

Ich denke: ja. Nicht nur haben zwei bereits verkaufte Auflagen interessierte Leserinnen und Leser gefunden, ich hatte auch Gelegenheit, wesentliche Inhalte des Buches in diversen Artikeln, Vorträgen und Diskussionen darzustellen sowie durch zusätzliche Forschungsergebnisse auf meiner Internetseite zu ergänzen. 2 Zusätzlich gab es eine ganze Reihe positiver Rezensionen in wichtigen deutschen Psychoanalyse-Periodika sowie in anderen Zeitschriften und Zeitungen.3 Deshalb ist wohl die folgende Einschätzung nicht übertrieben: Wilhelm Reich ist wieder deutlich fester in der Historiografie der Psychoanalyse verankert. Insbesondere wer zu den Entwicklungen bis 1934 seriöse Forschung betreiben will, wird unweigerlich auf ihn stoßen. Wer ihn ausspart, kann die Geschichte der Freud’schen Lehre ohnehin nicht schlüssig erzählen. Dieser Erfolg ist freilich nicht damit gleichzusetzen, dass Reich wieder den gebührenden Platz in Theorie und Praxis der Psychoanalyse eingenommen hätte. Ich kann bislang wenig Anzeichen dafür entdecken, dass sich der analytische »Hauptstrom« der Herausforderung (und Chance!) stellen wollte, die eine ReIntegration Reichs mit sich brächte.4 Viele Einsichten Wilhelm Reichs sind jedoch über den Rahmen der Psychoanalyse hinaus bedeutsam.5 Wer die wachsende Ausländerfeindlichkeit in Deutschland und die zunehmende Destruktivität in den internationalen Beziehungen begreifen will, findet bei ihm Erklärungen, die weit über das hinausgehen, was üblicherweise in der Tiefenpsychologie oder andernorts dazu angeboten wird.6 Wer nach sinnvollen Alternativen, nach einem realitätsnahen Menschen2 3 4

5

6

andreas-peglau-psychoanalyse.de/category/geschichte-reich/ (Stand: 22.09.2016). Siehe Auszüge auf S. 677f. Dass ich meine Forschungsergebnisse 2014 der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung und 2015 auf der Frühjahrstagung der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung vorstellen konnte oder dass die Psyche ein ausführliches Essay abdruckte, in dem Bernd Nitzschke (2014) sich anerkennend zu meinem Buch äußerte, lässt sich allerdings schon als positive Reaktionen dieses »Hauptstroms« einordnen. Die spannende Frage ist, ob daraus noch etwas folgt. Daher war ich sehr erfreut, als mich Samuel Salzborn 2013 bat, in dem von ihm herausgegebenen Band 100 Klassiker der Sozialwissenschaften Reichs Massenpsychologie des Faschismus zu portraitieren (Peglau 2016a). Dass Kurt Pätzold (2015) einige wichtige Stellen aus Reichs Büchern in seine Sammlung von »Faschismusdiagnosen« aufnahm, nährt die Hoffnung, Reich könnte auch unter »Linken« endlich wieder mehr Aufmerksamkeit gezollt werden, ebenso, dass ich 2015 eingeladen wurde, über Reich auf der Internationalen WilliMünzenberg-Konferenz in Berlin zu sprechen (Peglau i.V.). Siehe dazu auch Andreas Peglau: Anregungen zu einer Psychoanalyse des europäischen »Rechtsrucks«, andreas-peglau-psychoanalyse.de/anregungen-zu-einer-psychoanalysedes-europaeischen-rechtsrucks/#more-281 (Stand: 22.09.2016).

13