und Bezirksausschusses

06.10.2015 - und dann ist halt der Beruf dann plötzlich ganz mitentscheidend für die ...... die Werthaltungen dieses Milieus (Neuorientierung und Experi-.
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21. WAHLPERIODE

Wortprotokoll/Protokoll der öffentlichen Sitzung des Verfassungs- und Bezirksausschusses Sitzungsdatum:

11. September 2015

Sitzungsort:

Hamburg, im Rathaus, Raum 151

Sitzungsdauer:

17:00 Uhr bis 21:41 Uhr

Vorsitz:

Abg. Carola Veit (SPD)

Schriftführung:

Abg. Christiane Schneider (Fraktion DIE LINKE)

Sachbearbeitung:

Sabine Dinse

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Tagesordnung: 1.

Wahlrecht (Selbstbefassung gem. § 53 Absatz 2 der Geschäftsordnung der Hamburgischen Bürgerschaft)

2.

Verschiedenes

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Anwesende:

I.

Ausschussmitglieder Abg. Dr. Andreas Dressel (SPD) Abg. Barbara Duden (SPD) Abg. Dr. Kurt Duwe (FDP) Abg. Regina-Elisabeth Jäck (SPD) Abg. Farid Müller (GRÜNE) Abg. Karin Prien (CDU) Abg. Frank Schmitt (SPD) Abg. Christiane Schneider (Fraktion DIE LINKE) Abg. Olaf Steinbiß (SPD) Abg. Carola Veit (SPD) Abg. Michael Westenberger (CDU)

II.

Ständige Vertreterinnen und Vertreter Abg. Prof. Dr. Jörn Kruse (AfD) Abg. Jens Meyer (FDP) Abg. Milan Pein (SPD) Abg. André Trepoll (CDU)

III.

Weitere Abgeordnete Abg. Danial Ilkhanipour

IV.

Senatsvertreterinnen und Senatsvertreter Behörde für Inneres und Sport RD Oliver Rudolf Statistikamt Nord Wiss. Ang. Juliana Mausfeld

V.

Auskunftspersonen Dr. Manfred Brandt, Mehr Demokratie e.V., Hamburg Dr. Prof. Dr. Cord Jakobeit, Universität Hamburg Dr. Markus Linden, Forschungszentrum Europa der Universität Trier Matthias Moehl, election.de, Hamburg Dr. Valentin Schröder, Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen Christina Tillmann, Bertelsmann Stiftung, Gütersloh Wilko Zicht, wahlrecht.de, Bremische Bürgerschaft

VI.

Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Bürgerschaftskanzlei Frauke Bai

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VII.

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Vertreterinnen und Vertreter der Öffentlichkeit Bis zu 10 Personen.

Zu TOP 1 (als Wortprotokoll) Vorsitzende: So, meine Damen und Herren, so leise ist es ja selten, dann lassen Sie uns beginnen, wenn alle so freudig erwartungsvoll gespannt sind. Ich darf Sie ganz herzlich begrüßen zu unserer Sitzung des Verfassungs- und Bezirksausschusses hier, begrüße natürlich in erster Linie unsere Experten, die heute zu uns gekommen sind: Manfred Brandt, Professor Jakobeit, Dr. Linden, Matthias Moehl, Dr. Schröder, Frau Tillmann und Herrn Zicht, zum Teil auch weit gereist, herzlichen Dank dafür, dass Sie das alle einrichten konnten und hier heute bei uns sind zu unserem einzigen Tagesordnungspunkt, einer Selbstbefassung zum Thema Wahlrecht. Ich begrüße für den Senat ganz herzlich den Leiter des Landeswahlamts, Oliver Rudolf, und vom Statistikamt Nord Frau Mausfeld. Sie sitzen jetzt in der hinteren Reihe, sind aber trotzdem mit Mikrofon ausgestattet, weil wir uns beim letzten Mal vereinbart haben, dass Sie uns zwar nicht als Experten in dem Sinne zur Verfügung stehen und wir auch nicht die Senatsbefragung oder -anhörung vorziehen wollen, wir es aber wichtig finden, dass Sie uns gegebenenfalls mit Ihren Daten und Fakten und Sachwissen auch für Zwischenfragen uns und auch gerne den Expertinnen und Experten zur Verfügung stehen. Das kann ja Sinn machen, dass man die eine oder andere knifflige Fachfrage auch vielleicht sogar direkt lösen kann, die eine oder andere Nachfrage zu Zahlen dann hier gleich klären kann und nicht erst beim nächsten oder übernächsten Mal, wenn wir diese Anhörung hier auswerten. Also, das wird gleich so ablaufen, dass wir erstens gerade uns einig geworden sind, dass wir ein Wortprotokoll machen über diese Sitzung, sodass wir dann auch hinterher alles genau nachlesen können, dass ich jetzt Sie gleich bitten würde, direkt einzusteigen, unsere Expertin und die Experten, mit einem kleinen Eingangsstatement, wirklich, wenn es geht, zwei, drei Minuten, vielleicht den aus Ihrer Sicht wichtigsten oder die beiden aus Ihrer Sicht wichtigsten Punkte, die hier auf die Tagesordnung gehören. Wir haben Ihnen ja vorab die Themenkomplexe zukommen lassen, über die wir gern sprechen würden, die aus unserer Sicht da wichtig sind, aber, wie gesagt, aus Ihrer Sicht, was ist so der wichtigste Punkt, was sind die beiden wichtigsten Punkte, über die es sich heute Abend zu sprechen lohnt. Da würden wir einmal gleich vielleicht eine Runde machen. Wenn die Fraktionen mögen, können sie auch jeweils noch ein Eingangsstatement abgeben, aber das gucken wir, ob das nötig ist, und dann würden wir auch direkt in unsere Themenkomplexe einsteigen und die sozusagen, wenn möglich, der Reihenfolge nach auch abarbeiten, damit man ein bisschen bei den Themen bleibt. Gibt es da aus Ihrer Sicht noch Fragen? Nein, sehe ich nicht. Bitte immer die Mikrofone benutzen, einfach deswegen, damit wir es aufzeichnen können, und dass ich Ihnen immer das Wort gebe und auch die Namen sage, hat auch schlicht etwas damit zu tun, dass wir das hinterher im Wortprotokoll gut zuordnen können. Gut, dann darf ich uns allen eine angenehme Beratung wünschen, auch eine stringente Beratung und interessante Auskünfte. Und ich würde dem Alphabet nach Herrn Dr. Brandt bitten zu beginnen mit einem kurzen Eingangsstatement. Sie haben das Wort. Herr Dr. Brandt: Sie haben ja einen sehr umfangreichen Fragenkatalog gemacht, das ist nicht so ganz einfach dann, das sehr kurz darzustellen. Zunächst lassen Sie mich etwas Grundsätzliches sagen, es ist ein bisschen rekordverdächtig. Hamburg hat 30 Jahre lang, bis 2004, trotz erheblicher Diskussionen nichts am Wahlrecht gemacht und jetzt haben wir

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seitdem zwei, nein, drei Verfassungsänderungen zu dem Thema gehabt und zweimal Änderungen des eigentlichen Wahlgesetzes. Und immer geht es im Kern darum, den Einfluss der Wählerinnen und Wähler doch etwas zurückzudrängen, wenn ich das richtig beurteile. Es ist ein ziemlich zähes Ringen geworden und ich weiß nicht, wie oft wir das insgesamt wiederholen wollen in Zukunft. In rein parlamentarisch verfassten Demokratien ist das natürlicherweise so, dass das Parlament ausschließlich darüber entscheidet, dass die Gewählten darüber entscheiden, nach welchen Regeln sie gewählt werden. Wir haben das in Hamburg ein bisschen anders. Dieses, dass die Gewählten darüber entscheiden, wie Sie gewählt werden, hat ein grundsätzliches demokratietheoretisches Problem, weil sie natürlicherweise befangen sind. Und deswegen sollte man als Gewählter da relativ zurückhaltend sein, vielleicht es in dieser Sache etwas bescheidener gestalten. Es gibt nicht das optimale Wahlrecht, das ist völlig klar. Im Kern soll es immer möglichst einfach sein. Und wir haben dann versucht, den Wählenden auch möglichst viel Einfluss darauf zu geben, nicht nur, von welcher Partei, sondern welche Personen er oder die Wählenden oder sie vertreten werden wollen. Am einfachsten wäre es natürlich, wenn wir uns damals, oder vielleicht ist das ja heute auch noch eine Möglichkeit, sich am bayerischen Landtagswahlrecht zu orientieren. Die haben sieben Bezirke dort auch, haben ein Kreuz jeweils für eine Bezirksliste, und auf dieser Bezirksliste werden die Leute ausgesucht, die sie gerne haben wollen, und das ist eine reine Personenliste. Hat noch eine ziemlich starke Personalisierung. Also so einfach kann man auch ein personalisiertes Wahlrecht gestalten, wenn man es denn ganz einfach haben will, ob mit sieben Fürstentümern Hamburg gut beraten wäre, ist dann hier eine andere Frage. Ein wesentliches Ziel der Wahlrechtsreform wurde sicherlich erreicht durch die Einführung der Wahlkreise, wohnen die Abgeordneten der Bürgerschaft nicht mehr überwiegend in den bevorzugten Stadtteilen, wie das vorher war. Die Stadtteile und somit auch ihre Bewohner sind heute in der Bürgerschaft besser, wesentlich besser repräsentiert und das nicht nur bei einer Partei. Nicht erreicht wurde die bessere Öffnung der Parteien für neue Mitglieder und Kandidaten, die in den Stadtteilen Rückhalt haben und auch anerkannt sind. Erfahrungsgemäß ist die Mitgliederwerbung besonders erfolgreich, wenn ein Anreiz da ist, möglichst viele überzeugende Kandidaten aufzustellen. Ich habe das selbst als Parteivorsitzender erfolgreich betrieben. Daran besteht in den Parteien offensichtlich hier kein vorrangiges Interesse, denn der erfolgreiche Wettbewerb um Mandate könnte erschwert werden, je mehr Mitbewerber es gibt. Diese sogenannten Fairnessabkommen in den Parteien, mit denen Kandidaten auf den hinteren Listenplätzen von der Eigenwerbung möglichst abgehalten werden, belegen diese Aussage. Das Problem könnte sicherlich gemildert werden durch die Einführung einer Kandidatenbroschüre für die Wahlkreise. Eigentlich sollten die Parteien in den Wahlkreisen ein stärkeres Interesse daran haben, mit möglichst vielen Kandidaten aufzutreten, die ein insgesamt gutes Wahlkreisergebnis fördern. Es scheint nicht immer klar zu sein, dass auch in den Wahlkreisen wie für die Landeslisten das Verhältniswahlrecht und kein Mehrheitswahlrecht gelten. Deshalb ist es bisher auch keinem Einzelkandidaten gelungen, ein Mandat zu erringen. Am wirksamsten wäre es vielleicht, nicht nur die Stimmen für die Landeslisten, sondern auch die Wahlkreisstimmen für die Sitzverteilung zwischen den Parteien in der Bürgerschaft heranzuziehen. Dann wäre der Anreiz, überzeugende Kandidaten in den Wahlkreisen und möglichst viele aufzustellen, sicherlich durchschlagend. Das wäre allerdings eine Abweichung von der Grundstruktur des Bundestagswahlrechts und hätte auch Nachteile für kleine Parteien, die in den Wahlkreisen nicht immer genügend Kandidaten oder nicht in allen Wahlkreisen kandidieren können. Und die Wählerinnen und Wähler, und darum geht es ja auch wesentlich beim Wahlrecht, wollen mitunter aus ihrer Sicht überzeugende Personen wählen, aber nicht deren Parteien. Das kommt ja vor.

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Ich möchte jetzt zu Einzelaspekten nur einen Teil Stellung nehmen. Soziale Spaltung: Es ist eigentlich recht gut untersucht, dass unterschiedliche Sozialstrukturen zwischen den Stadtteilen einhergehen mit unterschiedlichen Wahlbeteiligungen. Der Satz: „Die da oben machen ja doch, was sie wollen“, fällt viel häufiger in sozial benachteiligten Gebieten aus. Wer auf der Straße Unterschriften sammelt, kann das sehr gut belegen. Je geringer die allgemeine Wahlbeteiligung ist, desto größer ist auch in der Regel der Unterschied zwischen armen und reichen Stadtteilen bei der Wahlbeteiligung, auch ein wichtiger Gesichtspunkt. Es ist nicht so sehr das Wahlrecht, sondern die sozialen Unterschiede sind also das Problem. Was bedeutet das aber für die Attraktivität von Wahlen? In den Wahlkreisen sollten mehr Leute kandidieren, die vor Ort besser anerkannt sind, besser bekannt sind, die bereit sind, sich zu kümmern und die sich stärker mit den Menschen vor Ort identifizieren. Ich glaube, das sollte das vorrangige Ziel sein, dann kann man auch das Problem der sozialen Spaltung bei der Wahlbeteiligung am besten beheben. Und gerade dies Wahlrecht, wie es jetzt ist, bietet dazu gute Voraussetzungen, sie müssen nur genutzt werden. Diese Aufgabe ist sicherlich schwierig und eine große Herausforderung für die Parteien, aber da hilft auch kein Klagen, da hilft nur machen und sich vor Ort begeben. Die Aussage, ein kompliziertes Wahlrecht schrecke besonders sozial schlechter gestellte Menschen vom Wählen ab, dürfte eine unbewiesene Behauptung sein. In München wird als Beleg 1,1 Millionen Wahlberechtigte bei den Kommunalwahlen mit einem gemessen am Hamburger Wahlrecht recht komplizierten Wahlrecht gewählt. Und es gibt zeitgleich drei Wahlen: der Oberbürgermeister im Mehrheitswahlrecht, die 80 Stadträte werden mit einem Verhältniswahlrecht gewählt, dabei können bis zu 80 Kreuze, Kumulieren und Panaschieren genutzt und ein Listenkreuz vergeben werden, Kandidaten können von der Liste gestrichen und bis zu dreimal auf einer Liste genannt werden. Nach dem gleichen System werden dort auch Bezirksausschüsse zeitgleich gewählt, wobei je nach Größe 15 bis 45 Stimmen zu vergeben sind. Der Anteil der ungültigen Stimmen betrug bei der Kommunalwahl 2014 1,9 Prozent. Es wäre sicherlich gut, auch Kollegen in der Wahlleitung aus München einmal hier mit anzuhören. Die soziale Spaltung bei der Wahlbeteiligung ist vergleichsweise gering, trotz niedriger Wahlbeteiligung. Die war erschreckend gering das letzte Mal 42,9 Prozent. Aber München weist im Vergleich zu Hamburg eine insgesamt geringe soziale Spaltung auf, über die Unterschiede, woher sie kommen, müsste vielleicht stärker nachgedacht werden als über ein zu kompliziertes Wahlrecht. Das Wahlrecht ist in München seit Langem akzeptiert und wird auch nicht vor der Wahl schlechtgeredet. Das hat mich doch gewundert vor der letzten Wahl, zunächst das Wahlrecht schlechtreden und nachher über eine geringere oder vermeintlich geringere Wahlbeteiligung zu klagen. Man darf sich da nicht wundern, wenn insbesondere in Stadtteilen mit ohnehin geringerer Wahlbeteiligung Leute noch stärker zu Hause bleiben. Zur Wahlbeteiligung: Wir haben seit den Neunzigerjahren eine ständig sinkende Wahlbeteiligung, die aber wenig mit der Art und Komplexität des Wahlrechts zu tun hat. Sie wird dadurch weder gefördert noch gehemmt, jedenfalls gibt es dafür keine Belegen. Die Ursachen werden die gleichen sein wie beim drastischen Rückgang der Mitgliederzahlen in den Parteien. Die Entwicklung ist wirklich besorgniserregend, zumal keine Trendwende in Sicht ist. Zu den ungültigen Stimmen, die Zahl der ungültigen Stimmen liegt bei knapp drei Prozent im üblichen Bereich für Wahlrechte mit Kumulieren und Panaschieren und differenzierter Stimmabgabe. Gegenüber 2011 gibt das einen erfreulichen Rückgang, aber es gibt auch Verbesserungsmöglichkeiten. Die vergleichende Analyse zwischen dem Anteil der ungültigen Stimmen in den Wahlkreisen und auf den Landeslisten zeigt große Unterschiede bei der Art der Ungültigkeit. In den Wahlkreisen, also wo Stimmzettel ohne Kopfstimmen sind …

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Vorsitzende: Verzeihen Sie, wenn ich Sie einmal unterbreche, aber sozusagen es wird mit zunehmender Länge auch anstrengender, weil Sie so weit weg sind vom Mikrofon. Wenn Sie da etwas dichter reinsprechen könnten, ist es, glaube ich, für alle Zuhörenden ein großer Gewinn. Danke. Herr Dr. Brandt: Wenn Sie das vergleichend untersuchen und sich angucken, die Art oder die Gründe für die Ungültigkeit von Stimmzetteln, dann gibt es eben große Unterschiede auf der Wahlkreisebene und auf der Landesliste. Auf der Landesliste haben wir eben viele Zettel, wo zu viele Stimmen abgegeben werden, wo zweimal fünf Kreuze abgegeben wurden, und das kann man heilen durch Heilungsregeln. Da bestände die Möglichkeit, aber das kann man sich vielleicht auch noch einmal genauer angucken, ist ja insbesondere bei der SPD aufgetreten und da habe ich den Eindruck, dass es eine SPD-Kampagne gab zur speziellen Stimmabgabe, die dann falsch gewirkt hat. Sonst kann man nicht erklären, warum nur bei der SPD so viele Leute mehrfach zu viele Kreuze gemacht haben. Wenn man das sich so ein bisschen anguckt, gibt das offensichtlich ein Grundrauschen von 0,6 Prozent der Stimmen, wo die Ungültigkeit kommt, weil zu viele Stimmen abgegeben wurden. Und wenn man das dann runterrechnet von den 2,3 Prozent, die da sind, das ist also heilbar, entweder dass es besser vermittelt wird oder dass eine Heilungsregel eingeführt wird, dann könnte man bei einem Anteil von ungültigen Stimmen bei ein Prozent etwa liegen, also in der Größenordnung, wie wir sie von Bundestagswahlen kennen. Also das ist nicht das Problem beim Wahlrecht. Schwieriger ist die Interpretation in den Wahlkreisen, warum werden so viele weiße Zettel abgegeben, da kann man einmal denken, die Leute haben begriffen, dass es nur auf die Landesliste ankommt, oder vielleicht gibt es auch eine Korrelation zwischen zweimal fünf abgegebenen Stimmen, denn es kommt an, dass zehn Stimmen insgesamt nur vergeben werden können und dann gibt man sie nur auf dem Zettel für die Landesliste ab und nicht mehr für die Wahlkreise, aber das ist Spekulation. Ich glaube, da wird eine nachträgliche Analyse nur schwer sein, um das genauer zu erkennen. Wichtig ist natürlich auch, dass die Wirkung der Stimmen einfach ist und nachvollzogen werden kann von den Wählern. Und das ist sicher bei den Hamburger Wahlkreislisten gegeben, wo keine Kopfstimme ist, wo völlig klar ist, ich mache mein Kreuz bei den Personen und ich erkenne dann, und das müsste vielleicht sogar stärker dargestellt werden, zunächst werden die Parteien mit diesen Kreuzen gewählt und je mehr Kreuze eine Partei bekommt, desto mehr Mandate bekommt diese Partei und wer die meisten Stimmen bekommt, zieht ein als Erster. Das ist ein sehr einfaches System. Es ist auch nicht kompliziert, wenn man eine Kopfstimme hat. Dann muss das nur richtig vermittelt werden. Dann muss völlig klar sein, alle Stimmen, Kopfstimme und Personenstimmen, entscheiden darüber, wie viel Mandate diese Partei bekommt. Wer keine Person wählt, nimmt auch keinen Einfluss darauf, welche Person in welcher Reihenfolge ins Parlament einzieht. Das lässt sich vermitteln und lässt sich einfach darstellen. Alle Gewichtungen von Stimmen bei der Vergabe von Mandaten führen zur Intransparenz und/oder zu Ungerechtigkeiten und wir haben ständig Diskussionen darüber auch in der Vergangenheit hier in Hamburg. Und damit möchte ich zunächst schließen. Vorsitzende: Ja, herzlichen Dank. Ich hatte das mit dem „Kurz“ an sich durchaus ernst gemeint, aber jetzt haben Sie natürlich so vorgelegt, dass alle anderen auch entsprechend dürfen. Herr Professor Jakobeit, Sie haben das Wort. Herr Dr. Jakobeit: Danke schön, Frau Veit, meine Damen und Herren, erst einmal auch Dank für die Einladung. Ich möchte mich vor allen Dingen in meinen Äußerungen hier beziehen – und mich auch natürlich versuchen an die kürzere Vorgabe der Zeit zu halten – an das, was wir bei unserer Befragung anlässlich der Bürgerschaftswahlen 2011 festgestellt haben hinsichtlich dieser Frage, welche Rolle spielt dabei das Wahlrecht. Unser Ergebnis war relativ eindeutig: Ja, die Nichtwähler sind weniger gut über dieses Wahlrecht informiert, aber das ist nicht der zentrale Grund, warum sie nicht zur Wahl gehen. Und das ist ja

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eigentlich auch das, was der zentrale Befund ist in der Diskussion in der Gegenwart, also dieser, werden wir ja auch noch hören von der Bertelsmann Stiftung, dieser säkulare Trend, der Rückgang dieser Wahlbeteiligung, dieser enge Zusammenhang mit den sozialen Spaltungen in der Gesellschaft, diese Demokratie der Bessergestellten, auf die wir da rauslaufen, das ist für mich der zentrale Punkt. Und damit zusammenhängend natürlich die Frage, welchen Anteil spielt dabei eine mögliche weitere Reform des Wahlrechts oder überhaupt, welchen Anteil hat das Wahlrecht an so einem Befund, der, das hat Herr Brandt auch schon gesagt, im Grunde ja seit 30 Jahren mit mehr oder weniger Schwankungen in fast allen Wahlen festzustellen ist, angefangen von der Bundesebene über die Landesebene über die Europawahl hin zur kommunalen Ebene. Das ist ja nicht nur ein Hamburger Phänomen, sondern eines, was wir republikweit feststellen, und dass es nur in Ausnahmesituationen dann einen Wiederanstieg der Wahlbeteiligung gibt. Wir haben es zu tun mit einem abgekoppelten unteren Drittel, das ganz offensichtlich, und das kann man in Hamburg und das kann man in Bremen und das kann man auch in allen anderen Fällen, in denen das untersucht worden ist, kann man genau lokalisieren, in welchen Stadtteilen wir dieses abgekoppelte untere Drittel feststellen können. Die Frage, die sich dann stellt, wenn diese Aussage jedenfalls zu belegen ist, dass die Rolle des Wahlrechtes dabei nicht zentral ist, dass zwischen der Wahl 2011 und 2015 der Anteil der ungültigen Stimmen gesunken ist, das ist ja genau der Effekt, den man erwarten würde von einem etwas komplizierteren Wahlrecht, das man eingeführt hat, man hätte sich sicher gewünscht, dass dieser Rückgang der ungültigen Stimmen größer gewesen wäre, als das der Fall war, aber die Richtung stimmt, das ist das Zentrale. Damit verbunden natürlich auch der Hinweis darauf, dass es sicher auch nicht gerade zur Akzeptanz der Demokratie beiträgt, wenn man andauernd am Wahlrecht rumändert und rumdoktert. Wenn man klare Schwächen erkennt, dann kann man das an einzelnen Stellen tun, aber das Wahlrecht grundsätzlich zu verändern, wäre dagegen eher kontraproduktiv. Die Frage, die sich dann auch im Zusammenhang der Diskussion in den Parteien ja gerade bei den Generalsekretärinnen und Generalsekretären der Parteien stellt, mein Eindruck ist, was da vorgeschlagen wird, Ausdehnung der Wahlperioden, Wahlkabinen im Supermarkt, sehr viel länger, et cetera pp., dass wir es da im größeren Sinne in diesem Zusammenhang mit Symbolpolitik zu tun haben, es ändert nichts an der sozialen Spaltung der Gesellschaft. Man könnte sich gezielt überlegen, wenn man sich die Befunde in Hamburg genau anguckt, wo ist dieser Anteil der ungültigen Stimmen am größten. Stellt man fest, das sind eher die älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger, ob man nicht im Sinne der politischen Bildung, was jetzt die Vorbereitung auf die Wahlen angeht, da besonders gezielt ansetzt, also dafür zu sorgen, dass dieser Anteil der ungültigen Stimmen gerade in dieser Alterskohorte zurückgedrängt wird, aber möglicherweise nicht im Sinne einer neueren, weitergehenden Reform des Wahlrechts insgesamt. Also, was kann man tun insgesamt? Dann ist es eher wahrscheinlich die politische Bildung. Die anderen Dinge, die mit sozialer Spaltung zu tun haben, die gehören nicht in diesen Ausschuss, sondern in einen anderen oder an die Adresse der Parteien insgesamt, also dass man von dieser Form der Symbolpolitik des Herumdokterns am Wahlrecht wegkommt und sich eben ernsthafter mit dieser sozialen Spaltung auseinandersetzt. Man könnte darüber nachdenken, das ist aber sicher eine sehr viel weitergehende Diskussion, die ja in anderen Ländern in Europa unter der Problematik der Wahlpflicht diskutiert wird, dass also diejenigen, die zur Wahl gehen und natürlich auch dann das Mandat geben an eine Politik, die selbstverständlich für diejenigen vor allen Dingen Politik macht, die gewählt haben, und nicht für die, die nicht gewählt haben oder jedenfalls das nicht in erster Linie die Zielgruppe ist, insofern wäre eben auch darüber nachzudenken, ob man nicht in diese Richtung geht. Das ist allerdings eine so weiter reichende Veränderung, dass ich das eher zurückdrängen würde. Meine Intention vor allen Dingen in dieser Sitzung wäre, gezielter darüber nachzudenken, was man tun kann, um diesen Trend umzudrehen. Und ich würde eben meine Skepsis zum Ausdruck bringen, dass das in erster Linie mit dem Wahlrecht zu tun hat. Danke schön.

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Vorsitzende: Vielen Dank für diese Einschätzung. Jetzt kommen wir weiter durch die Republik sozusagen und begrüßen Herrn Dr. Linden aus Trier vom Forschungszentrum Europa der Uni dort. Sie haben das Wort. Herr Dr. Linden: Herzlichen Dank für die Einladung. Ich komme von außen und habe mir dieses Wahlrecht schon seit Längerem angesehen, auch das Bremer Wahlrecht, und bin da über manches, was in Hamburg stattfindet, etwas verblüfft. Ich möchte zunächst einmal Herrn Brandt widersprechen, der ein sehr plebiszitäres Demokratieverständnis vertritt. Und Herr Brandt sagt ja, nicht die Gewählten, sondern die Bürger sollen für das Wahlrecht verantwortlich sein. Da ist gerade das Problem, natürlich kann nur ein Parlament das Wahlrecht bestimmen, weil nur das Parlament verantwortlich und sanktionierbar ist durch die Bürgerschaft, also das wäre eine Abschaffung von Demokratie, wenn Sie darüber jetzt die Bürgerschaft entscheiden lassen, insbesondere wenn Sie einem zivilgesellschaftlichen Verein, der überhaupt keine Sanktionen zu befürchten hat, zu viel Macht einräumen. In einem anderen Punkt hat … das würde ich von außen so sehen. Also, mich verblüfft das schon. Zum Zweiten, natürlich hat er Recht, ein perfektes Wahlrecht gibt es nicht, und ich will auf die Kritikpunkte kurz eingehen, versuche, mich an die Zeit zu halten. Das Hamburger Wahlrecht wird ja vor allem wegen seiner Komplexität kritisiert, das heißt, fünf Stimmen auf Landesebene und fünf Stimmen auf Wahlkreisebene. Das ist für mich nicht so sehr der entscheidende Punkt, den ich hier hervorheben möchte. Für mich geht es eher darum, wie die Umrechnung der Stimmen, der Wahlstimmen in Sitze vonstattengeht. Und ich glaube, da gibt es Probleme und da gibt es auch Verständnisprobleme auch bei der Bevölkerung. Herr Jakobeit hat in seiner Untersuchung abgefragt, ob die Bürger glauben, das Wahlrecht zu verstehen, das heißt aber noch nicht, dass sie wissen, ob sie das Wahlrecht verstehen. Und selbst ich, also ich wusste lange nicht, wie es auf Wahlkreisebene funktioniert, ehe ich mich damit etwas intensiver beschäftigt habe, wie nämlich die Umrechnung passiert. Kommen wir zu den zwei Punkten. Das eine ist die Landesliste. Die Personenwahl auf der Landesliste, die Möglichkeit der Personenwahl auf der Landesliste, im aktuellen Fall waren es viele Stimmen für Olaf Scholz, kommt ein neuer Spitzenkandidat, eine neue Spitzenkandidatin, werden es viele Stimmen für sie oder ihn sein. Diese Personenwahl suggeriert ja, dass diese Stimmen auch dieser Person zugutekommen. Dem ist aber nur indirekt so beziehungsweise nicht so, denn ähnlich wie in Bremen ist es so, dass vor allem die zahlreichen Stimmen für die Spitzenkandidaten die Personenbank stärken, das heißt, das Verhältnis der Personenbank im Vergleich zur Listenbank. Wem kommt das zugute? Das kommt denjenigen zugute, die auf den unteren Listenplätzen und bei Leuten, die vergleichsweise wenig Stimmen erringen konnten und nicht über die Liste reingewählt wurden, im Verhältnis noch viele Stimmen erringen konnten. Ich habe einmal nachgeguckt, bei der SPD waren es, glaube ich, drei Tausend Stimmen, bei anderen Parteien reichten tausend Stimmen aus. Das heißt, wer Olaf Scholz wählt, drückt damit aus, dass er die Personenbank der SPD stärken möchte, ebenso, wer den Spitzenkandidaten der CDU oder der AfD wählt. Das wissen die Bürger nicht und das werden Sie den Bürgern, glaube ich, auch nicht verständlich machen können. Dazu bedarf es eines politikwissenschaftlichen Seminars. Und das gehört einfach nicht ins Wahlrecht. Das Personenstimmenparadox, was jetzt in Hamburg aufgetreten ist und auch in Bremen aufgetreten ist, das heißt, dass Personenstimmen dazu führen, dass ein Kandidat nicht ins Parlament kommt, hätte er diese Personenstimmen nicht erhalten, würde er ins Parlament kommen, das ist bei diesem System der Gewichtung von Listenstimme und Personenstimme, von Listenbank und Personenbank immanent. Das wird man nicht auflösen können. Es tritt tendenziell immer auf. Und jetzt haben Sie zwei Fälle, wo Sie es ausrechnen können. Aber wenn eine Person mit relativ wenig Personenstimmen, auf einen

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oberen Listenplatz per Personenwahl gewählt wird, dann kommt das dieser Person nicht zugute, diese Stimme. Da gibt man sie dieser Person besser nicht. Zum Zweiten, die Wahlkreislisten. Hier wird ja den Bürgern eine reine Personenwahl suggeriert, wie Herr Brandt das richtig dargestellt hat. Es fehlt ja die Listenstimme. Das stimmt aber nicht, das ist eine Listenwahl. Und das ist ein falscher Eindruck, den dieses Wahlrecht vermittelt. Wer eine Person wählt, wählt nämlich die anderen auf der Liste mit. Das heißt, es können unter Umständen Personen ins Parlament kommen, ich habe das einmal geguckt, das ist in drei Fällen der Fall, dass SPD-Kandidaten nicht ins Parlament kamen, obwohl sie mehr Personenstimmen hatten, als jemand, der ins Parlament kam. Das liegt daran, dass es eine kumulierte Listenstimme ist auf Wahlkreisebene. Wenn dieses Wahlrecht weiter aufrechterhalten wird, dann werden das die Parteien auch irgendwann besser kapieren und dann werden sie in Wahlkreisen etwas inszenieren, was man heutzutage einen Beef(?) nennt. Das heißt, sie lassen zum Beispiel Herrn Kruse und Herrn Nockemann, Sie sitzen jetzt da, das ist nur … Kandidat X und Kandidat Y haben unterschiedliche parteipolitische Positionen, die lassen Sie in einem Wahlkreis gegeneinander antreten und suggerieren dem Bürger hier, ihr könnt Einfluss nehmen darauf, wie sich diese Partei in Zukunft aufstellt. Aber wer Kruse wählt, der wählt dann Nockemann mit. Und wer Nockemann wählt, der wählt Kruse mit, da diese Stimmen addiert werden. Das ist für mich die zweite Paradoxie dieses Wahlrechts und die habe ich auch erst verstanden, als ich ins Wahlgesetz reingeschaut habe, da das umfangreiche Informationsmaterial, also das war schon alles sehr gut aufbereitet, aber der Punkt wurde nicht erläutert, zumindest in den Sachen, die mir zugänglich waren. Daraus folgen dann für mich drei Punkte: Erstens, das Wahlsystem ist intransparent, vor allem in Bezug auf die Wirkungsweise der Stimmen. Meines Erachtens befördert es die soziale Selektivität des Wählens auch. Also das ist eins der wenigen politikwissenschaftlichen Gesetze, in Anführungszeichen, das man so nachvollziehen kann. Je anspruchsvoller eine Partizipationsform, desto eher fördert sie soziale Selektivität. Und hier ist sie vor allem anspruchsvoll in Bezug auf das Verständnis der Auswirkung der eigenen Stimmabgabe. Die Bürger glauben nämlich, dass sie zum Beispiel wählen können eine Koalition aus CDU und GRÜNEN mit dem Bürgermeister Olaf Scholz, das heißt, sie geben dem Scholz zwei Stimmen, dann geben sie der CDU eine Stimme und den GRÜNEN noch zwei Stimmen. Das ist aber nicht so. Also dieses Wahlrecht versucht superdemokratisch zu sein, bewirkt aber genau das Gegenteil. Das Wahlrecht führt zweitens zu einer noch größeren Bedeutung der Spitzenkandidaten, das heißt zu einer Präsidentialisierung des politischen Systems. Das kann man so wollen, aber damit geht hier eine Schwächung des Parlaments einher. Und präsidentialisierte Systeme neigen zu einer geringeren Wahlbeteiligung. Und drittens werden kleine Subgruppen gestärkt, also kleine Subgruppen mit einer vergleichsweise starken Identität. Man kann sagen, dass, weil Sie einfach über die Personenstimme mit relativ wenigen Personenstimmen, sofern Sie auf einer Liste kandidieren, die einen populären Spitzenkandidaten hat, Ihre Leute ins Parlament bringen können. Das heißt, mit dem Präsidentialismus geht ein Klientelismus einher. Und deshalb halte ich dieses Wahlsystem für verbesserungswürdig, reformbedürftig, da müssten aber die Fraktionen erst einmal bestimmen, nach welchen Kriterien sie das neue Wahlrecht ausrichten wollen und da muss man sich einig werden. Vielen Dank. Vorsitzende: Ja, ganz herzlichen Dank. Jetzt kommen wir zu election.de, Herr Moehl bitte. Herr Moehl: Ja, Frau Vorsitzende, meine Damen und Herren, zunächst ganz herzlichen Dank für die Einladung. Ich bin hier als Vertreter von election.de, das ist ein Wahlforschungsunternehmen, das vollständig parteiunabhängig ist und in diesem Sinne möchte ich also auch nicht nur als unabhängiger Experte, sondern auch als ganz normaler Bürger und Anwender des Wahlsystems heute sprechen. Ich kann Ihnen versichern, ich

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habe mich nicht mit meinem Vorredner, Herrn Dr. Linden, abgesprochen, aber ich werde so ziemlich das Gleiche sagen. Ich habe eine ganz kleine Präsentation vorbereitet, um in der gebotenen Kürze der Zeit Ihnen ein, zwei Dinge inhaltlich zu illustrieren. Sofern Sie jetzt alle freie Sicht haben, würde ich dann auch beginnen. Diese Präsentation ist entstanden unter Mitwirkung von Dr. Andreas Hahn in Berlin, der unserem Unternehmen als freier Mitarbeiter schon jahrelang verbunden ist, und wir haben die Perspektive der Wahlstatistik, der sehr kleinteiligen Statistik und eigentlich die Perspektive aus der Praxis. Ich möchte ganz kurz zu vier Punkten sprechen. Das Wahlverhalten der Bevölkerung, da geht es auch um die Wahrnehmung der Gesetze und wie tatsächlich in der Praxis dann die Mandate sich verteilen. Wie sieht es eigentlich aus bei der Personenstimmvergabe? Ist es tatsächlich so, dass wir von informierten Wählerinnen und Wählern ausgehen können, die tatsächlich alle Kandidatinnen und Kandidaten persönlich kennen, oder gibt es vielleicht ein anderes Kriterium, das sich hier in Klammern schon angedeutet hat, nämlich den Stadtteil, in dem der Kandidat oder die Kandidatin wohnhaft ist. Ganz kurz zum Thema ungültige Stimmen und soziale Strukturen und angedeutet Vorschläge zur Weiterentwicklung des Wahlsystems. Ich kann das, wie gesagt, in der Kürze der Zeit nur ganz kurz anreißen. Wir werden ja sicherlich noch weitere Runden haben. Dann haben wir Gelegenheit, da vielleicht auch noch einmal das eine oder andere zu vertiefen. Ganz kurz in der Übersicht, das ist Ihnen allen bekannt, die Sitzverteilung nach der Bürgerschaftswahl 2015. Ich würde Ihre Aufmerksamkeit gerne auf die Zeile „Spitzenkandidaten“ lenken. Dort sehen wir genau das, was Herr Dr. Linden gerade angesprochen hat, den Spitzenkandidaten-Effekt. Olaf Scholz alleine hat 10,51 Mandate errungen. Letztendlich kam ihm das nicht zugute, da ja zunächst einmal die Liste gezogen hat. Er wurde also auf Platz 1 der Liste gewählt. Es sind letztendlich ganz andere Kandidaten gewesen. Sie sehen das unten in den beiden letzten Spalten, Personen maximal und minimal. Bei der SPD ging die Spanne von 9.208 Stimmen, die erforderlich waren, zu 3.436. Herr Scholz hat ja etwa 736.000 Stimmen bekommen. Etwas schwächerer Effekt in dieser Art bei der FDP, Frau Suding hat auch 2,6 Mandate errungen. Sie brauchte es letztendlich auch überhaupt nicht, weil sie ja bereits im Wahlkreis 4 direkt gewählt wurde. Sie sehen die extreme Spanne im Wahlkreis. Es geht zwischen 6.343 Stimmen, die für ein Wahlkreismandat reichten, bis zu 83.303. Es ist also ein Faktor von etwa 12 bis 13. Zum Vergleich: Bei der Bundestagswahl geht es etwa von 35.000 Stimmen, die in der Prignitz notwendig waren, bis zu etwa 105.000 Stimmen in Ingolstadt. Das heißt, da haben wir einen Faktor 3. Hier haben wir einen Faktor 13, was die Anzahl der notwendigen Stimmen für ein Wahlkreismandat angeht. Bei den Personen dann auf der Landesliste ist es dann auch noch einmal ausgeprägt. Sie sehen die Spanne zwischen 12.794 Stimmen und das Mandat, das mit den wenigsten Stimmen vergeben wurde, ging an die FDP mit 1.078 Stimmen, also umgerechnet etwa 200 Wähler. Und hier möchte ich noch darauf hinweisen, das ist durchaus eine bedenkliche Tendenz aus meiner Sicht, wenn 200 Wähler an dieser Stelle reichen, an anderer Stelle aber nicht, denn stellen Sie sich vor, Sie sind Einzelbewerber, sind also parteifern und Bürger, der einziehen möchte. Dann brauchen Sie wesentlich mehr als diese 200 Wählerinnen und Wähler. Das kann Ihnen in dieser Stimmzahl nur gelingen, wenn Sie eben in einer Partei sind. Also, hier hält das Wahlrecht nicht das, was es verspricht. Und ich sehe hier auch noch einmal sehr deutlich illustriert die Tendenz, dass hier die Großen den Kleinen helfen. So kann man es vielleicht zusammenfassen. Also, ein Olaf Scholz mit seinen 10,5 Sitzen zieht also sehr viele Kandidaten, die man vielleicht jetzt so salopp als kleine und unbekanntere Kandidaten bezeichnen darf, mit ins Parlament. In der Übersicht möchte ich dann noch einmal ganz kurz hier auf die GRÜNEN verweisen. Wir haben es hier noch einmal farblich unterlegt, welche Wahlkreissitze bereits vergeben wurden. Das heißt, hier haben Wählerinnen und Wähler Stimmen vergeben sehr fleißig auf

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die Spitzenkandidaten, über 36.000 Stimmen, dann 8.900 Stimmen auf dem Platz 2 und so weiter. Diese Stimmen waren alle völlig verloren, da diese gelb unterlegten Mandate bereits in Wahlkreisen vergeben wurden. Das ist sicherlich eine Problematik, die wir in ähnlicher Form auch bei der Bundestagswahl kennen. Trotzdem wäre vielleicht darüber nachzudenken, das wäre einer unserer Vorschläge, ob überhaupt eine Doppelkandidatur künftig möglich sein soll. Es ist ja so, dass SPD und CDU grundsätzlich das ausgeschlossen haben mit ganz wenigen Ausnahmen. Hier wird dem Wähler also etwas vorgemacht, was eben nicht der Realität entspricht, denn diese Stimmen sind letztendlich gar nicht dort verrechnet worden, wo die Wähler die Stimmen abgegeben haben, nämlich nicht mehr auf der Landesliste. Noch kurz zum Paradoxon der niedrigen Stimmen. Hier möchte ich die Überschrift wählen „Die Kleinen helfen den Großen“. Wenn man sich die gelb unterlegten Stimmzahlen anguckt, dann reichen die eben nach den normalen, nach dem jetzt gültigen Verfahren zu einem Sitz, aber nur wegen der Addition. Das heißt dieser Sitz mit 6.343 Stimmen an die LINKE, der ging nur an die LINKE, weil ja alle Plätze 1 bis 6 addiert wurden. Der Leidtragende war der SPD-Platz 3 mit 15.811 Stimmen. Der hat zweieinhalb Mal so viele Stimmen gehabt und ist nicht eingezogen ins Parlament. Und da ist die Frage, wie transparent ist eigentlich das Wahlverfahren. Auch hier lassen sich durchaus Alternativen denken. Ganz kurz zu den Auswahlkriterien. Wir haben als Querschnittsbezirk den Bezirk Eimsbüttel genommen, weil der sich so schön von der Innenstadt bis an den Stadtrand, Landesgrenze Schleswig-Holstein zieht, mit unterschiedlichen Wohn- und Sozialstrukturen. Wir hatten 87 Kandidaturen insgesamt. 72 Kandidierende wohnten auch im Wahlkreis. 66 davon haben überdurchschnittliche Ergebnisse in ihrem Heimatstadtteil bekommen, also in dem Stadtteil, der auf dem Stimmzettel angegeben war für die Kandidatin oder den Kandidaten. Überdurchschnittlich heißt hier, dass sie vom Parteianteil her, also mit ihrem Parteianteil höher waren. Also, jemand, der beispielsweise insgesamt 20 Prozent der SPD-Stimmen bekommen hat, hat in seinem Stadtteil zum Beispiel 30 Prozent bekommen. Das ist in der weit überwiegenden Anzahl der Kandidaturen passiert. 59 davon haben sogar das höchste Ergebnis bekommen in dem Stadtteil, der dort auf dem Stimmzettel war. Das vielleicht noch einmal kurz differenziert, Wahlkreis 5 ist der Innenstadt-Stadtteil mit Rotherbaum, Harvestehude, Eimsbüttel. Wahlkreis 6 liegt etwas dazwischen, Eimsbüttel und Stellingen. Wahlkreis 7 ist Lokstedt, Niendorf, Schnelsen ganz am Rand. Je weiter an den Rand, desto deutlicher wird dieser Effekt, je klarer also diese Stadtteile auch in der Wahrnehmung der Wählerinnen und Wähler bestehen. Die Abgrenzung zwischen Rotherbaum und Harvestehude ist nicht immer klar. Die Abgrenzung zwischen Lokstedt, Niendorf und Schnelsen dürfte deutlicher sein. Das noch einmal auch quantifiziert. Wenn wir sagen, ein durchschnittliches, zu erwartendes Ergebnis für einen Kandidaten wäre gleich 100 gesetzt, dann sehen Sie in dem Randwahlkreis 7 dort einen sehr starken Effekt. Das heißt, das Ergebnis eines Kandidaten ist um 47 Prozent höher in dem Stadtteil, der dort auf dem Stimmzettel ausgewiesen ist. Interessant wäre es zu sehen, was denn passiert, wenn diese Stadtteile nicht mehr angegeben sind, denn es ist ja natürlich auch denkbar, dass die Kandidaten dort eben bekannter sind auch aus anderen Zusammenhängen. Zum Komplex der ungültigen Stimmen. Wir haben hier die 1.780 Wahlbezirke beziehungsweise 1.274 Urnenwahlbezirke untersucht. Zunächst fällt auf, dass bei der Briefwahl die Ungültigkeit nur halb so hoch ist. Das heißt, wer zu Hause in Ruhe durch die Wahlunterlagen durchschauen kann, versteht das Wahlrecht besser und wählt korrekter, an der Wahlurne, wo nur wenig Zeit bleibt, sind die ungültigen Stimmen mit 3,3 Prozent deutlich höher. Lokalisiert auf der Karte, die hier diese Urnenwahlbezirke darstellt, je dunkler, desto ungültiger, Sie sehen die fünf grünen Punkte. Das sind die Wahllokale mit den niedrigsten Werten und ungültigen Stimmen. Es gibt tatsächlich einen in Eimsbüttel, in dem alle Stimmzettel korrekt ausgefüllt wurden. Dann kommt Barmbek-Süd, Eppendorf, Eilbek und Eppendorf. Um das plakativ zu sagen, je urbaner, je gebildeter, je jünger, desto gültig. Wenn Sie das andere Ende der Skala anschauen, Billstedt, Wilhelmsburg, Rahlstedt, Jenfeld, je

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älter, je peripherer von der Stadtlage her, je niedriger die Formalbildung, übrigens auch bedingt eben durch die höheren Altersgruppen, in denen Volksschule durchaus noch ein normaler Schulabschluss gewesen ist in der Generation 60plus und 70plus. Dort sehen Sie sehr hohe Werte. Wenn wir da noch einmal kurz sehen, wo ist es extrem hoch. Es gibt 16 Wahlbezirke mit mehr als 10 Prozent ungültigen Stimmen, fünf davon in Billstedt, drei in Jenfeld, zwei in Wilhelmsburg, den Rest sehen Sie dort. Das A in Klammern bedeutet, dass es ein Anstaltswahlbezirk in einem Altenheim ist. Dann die 16 auf der anderen Skala, in Eppendorf, in Eimsbüttel, dort versteht man also, wie das Wahlsystem funktioniert. Ganz interessant, das einmal in Abhängigkeit der Wählerschaft und der Wahlbeteiligung zu sehen. Wir sehen, es gibt eine ganz stark negative Korrelation mit der Wahlbeteiligung. Das heißt also, je höher die Wahlbeteiligung, desto gültiger wird gewählt. Je niedriger, desto ungültiger wird gewählt. Und wir sehen die beiden Parteien SPD und AfD, die offensichtlich von ihrer Wählerschaft her eine Tendenz zum Ungültigwählen haben, ganz anders bei GRÜNEN und FDP, CDU und LINKE praktisch neutral unkorreliert. Dann haben wir auch noch einmal die Wahlbezirke herausgesucht. Das sind 184 Stück, die einen sehr überdurchschnittlichen Anteil ungültiger Stimmen haben, und stellen hier fest – ich sehe gerade, das ist ein Fehler, das muss heißen „größer 5,6 Prozent“ –, die Wahlbeteiligung ist recht gering mit 42 Prozent. Dafür ist der SPD-Anteil hoch. Die GRÜNEN liegen bei 6,7 Prozent. Wenn man das einmal vom anderen Ende her sieht, die Wahlbezirke mit einem niedrigen Anteil ungültiger Stimmen, dann sehen Sie eine sehr hohe Beteiligung, ein doch bescheidenes SPD-Ergebnis von 40,9 Prozent, ein sehr hohes GRÜNEN-Ergebnis. Und schließlich, wenn wir das parteipolitische Terrain noch einmal verlassen wollen, auf die Altersgruppen schauen, das ist die Auswertung des Statistikamtes Nord, sehr bedenklich aus meiner Sicht, wenn ganze Altersgruppen, die Gruppe 60 bis 69 in dem Fall und 70 und älter, große Probleme haben mit der Nutzung dieses Wahlsystems. Die Ursachen, darüber ist gesprochen worden. Frau Mausfeld hatte es hier in einer der vorherigen Sitzungen präsentiert. Bei den Landesstimmen ist das Hauptproblem, dass zu viele Stimmen vergeben werden, bei den Wahlkreisstimmen eher zu wenige. Wenn wir uns die Landesstimmen dann noch einmal anschauen, da haben wir jetzt noch eine Auswertung erhalten. Der Klassiker ist hier, zehn Stimmen zu machen. In 71,3 Prozent der Fälle ist das passiert entsprechend dieser Auswertung. Wem ist das vor allen Dingen passiert? Das ist vor allen Dingen SPD-Wählern passiert. Das ist möglicherweise eben auf die mediale Wahrnehmung des Spitzenkandidaten und Ersten Bürgermeisters zurückzuführen. Ganz eindrucksvoll finde ich allerdings auch, dass GRÜNEN das nicht so häufig passiert, in dem Fall eigentlich überhaupt nicht. Ich möchte ganz kurz andeuten, was wir für Varianten hier vorsehen. Wenn später Interesse besteht, gehe ich gerne weiter darauf ein, wie man bestimmte Dinge heilen kann, die hier doch intransparent oder gar paradox wirken. Man könnte also die Verteilung der Listen- und Personenmandate umdrehen, sodass dann wenigstens für die 736.000 Stimmen für einen Spitzenkandidaten tatsächlich wenigstens ein Mandat vergeben wird. Aus unserer Sicht wäre auch daran zu denken, das zu begrenzen, dass also nicht mehr 10,5 Mandate dort errungen werden, sondern wirklich nur noch eins. Auch das ist von Dr. Linden vorhin angedeutet worden, dass es eben Gewählte in den Wahlkreisen gibt, die tatsächlich gar nicht die höchsten Stimmzahlen haben. Wenn man auch das ändern würde, sehen Sie gewisse Unterschiede, wenn auch gar nicht so gravierend. Interessanterweise leiden SPD und CDU unter einer solchen Änderung nicht oder nur unwesentlich, obwohl sie überall die maximale Zahl an Kandidaten aufgestellt haben. Das heißt also, diese Verteilung auf viele Kandidaten schadet diesen beiden Parteien nicht. Man sieht aber, dass die GRÜNEN, die ja häufig nur einen oder zwei oder drei Kandidaten aufgestellt haben, tatsächlich hier zwei Mandate verlieren würden, wenn man

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denn tatsächlich im Sinne einer Wahl mit den höchsten Stimmenzahlen vorgehen würde. Um dem Argument vorzugreifen, dass dann Parteienungerechtigkeiten dort herrschen, möchte ich sagen, natürlich, eine Wahlkreiswahl ist immer im gewissen Sinne ungerecht. Und das wird dann ausgeglichen natürlich, wie es in Deutschland seit 1953 mit dem Bundestagswahlrecht üblich ist, über die Zweitstimme beziehungsweise Landeslistenstimmen. Also, ich denke, wir können damit leben und auch jetzt mit dem Wahlsystem ist ja eine Ungerechtigkeit zu sehen. Eine FDP hat nur ein Wahlkreismandat errungen, die AfD gar keine, obwohl sie beide relativ stark in die Bürgerschaft eingezogen sind. Ganz zum Schluss ein interessanter Vorschlag aus dem Bundesland Hessen, wie man eine Heilung von zu viel vergebenen Personenstimmen vornehmen könnte. Dort ist vorgesehen, ein Parteikreuz zu machen, hier an dieser Stelle bei Partei A, und sogar bei Verteilung von Personenstimmen auf andere Parteien wird dieses Kreuz so gewertet, dass nur noch die überzähligen Stimmen dann tatsächlich auf diese Partei A entfallen. Also, wenn Sie sich vorstellen, dass hier fünfmal der Spitzenkandidat einer Partei gewählt wird und noch ein Parteikreuz oder meinetwegen auch fünf Parteikreuze dort sind, würde man sagen, die Personenkreuze gehen vor und alles, was der Wähler dort noch auf der Parteigesamtliste vorgehabt hat, tritt zurück, aber die Stimme wird nicht komplett ungültig gewertet. Ja, soweit mein Beitrag dazu. Wie gesagt, wenn Interesse besteht, kann ich Ihnen noch weitere Daten, Informationen und Vorschläge präsentieren dazu. Erst einmal vielen Dank. Abg. Farid Müller: Frau Präsident, ich nehme an, dass wir solche Präsentationen zu Protokoll geben. Vorsitzende: Herr Müller, wünschen Sie das Wort? Abg. Farid Müller: Ja. Vorsitzende: Also, vielen Dank erst einmal, Herr Moehl. Ich gehe davon aus, dass wir das bekommen können und Sie das dem Ausschuss zur Verfügung stellen, sodass wir das dem Protokoll beifügen würden oder auch vorher schon einmal vermailen zum Hineinschauen (Anlage 3). Das war ja sehr informativ. Vielen Dank für die Zusammenstellung. Wir kommen zu Herrn Schröder, wenn Sie mögen und bereit sind, aus Bremen aus dem Zentrum für Sozialpolitik. Bitte schön. Herr Dr. Schröder: Richtig, genau, vielen Dank. Ich mag und bin bereit. Ich bin nur mittlerweile nicht mehr aus dem Zentrum für Sozialpolitik, sondern vom Sozium, dem Forschungszentrum für Soziale Ungleichheit und Sozialpolitik. Wir haben fusioniert und das sollte ich vielleicht um meines Chefs willen sagen. Aber zur Sache. Also, ich denke, die Punkte, die ich bringen würde, sind in gewisser Weise eine Prononcierung dessen, was Herr Linden schon sagte, und zwar denke ich mit Blick auf zwei Punkte zum einen auf die Bedenken, die Sie ja auch hier als Thema anschlagen, mit Blick auf die verfassungsrechtliche Zulässigkeit, wenn Sie so möchten, denn mir scheint, dass es da insbesondere zwei Punkte gibt, wo das jetzige Wahlrecht nicht ganz den Wahlrechtsgrundsätzen der Gleichheit und der Direktheit entspricht. Zum Thema Gleichheit hatte Herr Linden ja schon angesprochen, dass es sein kann, dass jemand kein Mandat erhält, weil er Personenstimmen bekommen hat. Es ist sozusagen normal, dass man einmal das nicht kriegt, obwohl man die Stimmen bekommen hat. Das passiert. Dann haben sie halt nicht gereicht, die Stimmen, aber es darf niemals sein, dass genau das Umgekehrte passiert. Denn das heißt ja für den Wähler, also für jeden Wähler, alle, die sich überlegen, ich möchte jemanden besonders fördern, dass sie es riskieren, dass genau diese Person dann eben kein Mandat bekommt, weil sie ihn fördern. Und das hat zum

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einen eben Konsequenzen für die Wahlrechtsgleichheit, so wie wir es jetzt aktuell in Bremen gesehen haben im Fall der FDP, wo ein Kandidat eben nicht gewählt wurde, weil auf ihn Personenstimmen entfallen sind. Es hat aber auch Konsequenzen für die auch schon angesprochene Transparenz der Wahl und damit für die Direktheit der Wahl. Sie müssen als Wähler zwar nicht sicher sein können, dass das, was Sie tun, sich unbedingt zu Ihren Gunsten auswirkt. Es kann sein, dass es sozusagen keine Wirkung hat, was Sie tun. Aber Sie müssen nicht damit rechnen können, dass sich das, was Sie tun, genau entgegen Ihrer Intention auswirkt, die ja, wenn Sie eine Person wählen, offensichtlich darin besteht, dass Sie diese Person gerne im Parlament sehen möchten. Und das bringt mich zu dem anderen Punkt, den ich vielleicht machen würde, und zwar zu der Frage, inwieweit das derzeitige Wahlrecht hier in Hamburg, also mit Blick auf meinen Hintergrund in Bremen auch in Bremen, denn eigentlich bei der Wählerschaft wirklich verstanden worden ist. Denn so wie die Kontingente zurzeit gebildet werden aus Listen und Personenmandat, ist es ja eigentlich klar, dass es nicht viel Sinn ergibt, rein mandatstechnisch gesehen, den Spitzenkandidaten überhaupt mit Personenstimmen zu wählen. Es wäre da generell besser, man würde dann sozusagen mehr Listenstimmen abgeben, um die Chance zu erhöhen, dass die Person eben über Liste einzieht und sozusagen nicht das Risiko, wenn Sie so möchten, einzugehen, dass es nur über die Personenstimmen sein muss. Na ja, und jetzt beobachten wir aber, dass, ich glaube, 60 oder 70 Prozent zum Teil der Personenstimmen für manche Parteien eben auf den oder die Spitzenkandidaten entfallen sind. Und, gut, ich meine, das mögen Sympathiebekundungen sein, aber auch das würde letzten Endes bedeuten, dass da ein Missverständnis besteht bei sehr vielen Wählern, was eigentlich die Personenstimme auf sich hat, unabhängig von den Punkten, die man noch machen könnte mit Blick auf Verrechnung und so weiter, die Herr Linden ja schon getan hat. Und ehrlich gesagt, das, denke ich, wird unter anderem dadurch hervorgerufen, dass wir es mit zum Teil sehr langen Listen zu tun haben. Und das bringt mich zum letzten Problem, nämlich einem mehr entscheidungstheoretischen. Je mehr Auswahl Sie haben, egal ob Sie im Supermarkt sind und sich zwischen Jogurts entscheiden müssen oder halt in der Wahlkabine und sich zwischen Kandidaten entscheiden müssen, je mehr Auswahl Sie haben, umso mehr Informationen sozusagen stürzen auf Sie ein beziehungsweise umso mehr Informationen brauchen Sie auch. Und beim Jogurt, da steht ja wenigstens drauf, ob das jetzt Erdbeere oder Kirsch ist, aber bei den Kandidaten steht eben nicht notwendigerweise drauf, was deren Eigenschaften sind. Und je mehr verschiedene Kandidaten Sie haben, umso mehr Aufwand müssten Sie eigentlich betreiben als Wähler, um sich nun wirklich zu informieren, wer von diesen Personen denn jetzt nun der- oder diejenige ist, die Sie am liebsten finden oder am liebsten mögen, wenn Sie so wollen, und angesichts von zum Teil 60 oder mehr Kandidaten auf den Listen ein sehr hoher Aufwand, der da auf jeden Fall wahrscheinlich auf Sie zukommen würde, wenn Sie das wirklich machen würden. Denn Sie müssten ja dann danach auch noch alle von denen in eine Reihenfolge bringen und dann in dieser Reihenfolge am Ende Ihre Stimmen abgeben. Gut, ich kenne mich in Hamburg jetzt nicht so direkt aus. Ich kann es nur für Bremen aus der eigenen Erfahrung sagen von der Wahl. Also, ich persönlich kannte von der Partei, die ich gewählt habe, jetzt nicht alle Kandidaten. Und ehrlich gesagt, ich hielt es auch mit Blick auf den vergleichsweise geringen Anteil, den jetzt meine Stimmen da ausgemacht haben, für nicht sehr nützlich, mich da nun im Detail zu informieren, wie die Lebensläufe und solche Dinge für diese Kandidaten waren. Und ich glaube, dieses Problem besteht spezifisch jetzt in den Stadtstaaten wie Bremen und Hamburg mit diesen sehr langen Listen und das haben Sie in den Orten, wo Sie bisher offene Listenwahlsysteme haben, also bei Kommunalwahlen, nicht so stark, denn da kennt man oftmals die Kandidaten persönlich. Das heißt, der ganze Informationsaufwand, den Sie jetzt hier hätten, wenn Sie das wirklich ernst nehmen würden, der fällt dann normalerweise einfach nicht an, weil Sie es ohnehin schon wissen.

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Ja, dieses Potpourri von Ideen beschließt dann auch meinen Beitrag soweit, denke ich. Danke schön. Vorsitzende: Ja, ganz herzlichen Dank für diese Aspekte. Ich fühle mich ja wie Tiramisu, und du? So ein bisschen im Regal. Nein, Quatsch. Jetzt kommen wir zu Frau Tillmann von der Bertelsmann Stiftung, die ja auch mit einer Studie oder einer Untersuchung noch einmal ein bisschen für Furore gesorgt hat und ein Thema nach oben gebracht hat, was wir schon lange spüren, was aber bisher nicht so untersucht worden war. Sie haben das Wort. Frau Tillmann: Vielen Dank. Ja, ich glaube, ich habe den Vorteil, am Ende einer solchen Reihe zu sitzen. Ich werde tatsächlich mich kurz fassen und drei Punkte, die zwar jetzt alle schon angesprochen sind, möchte ich einfach gerne noch einmal framen und tatsächlich in der Dramatik der Entwicklung deutlich machen. Der erste Punkt: Wir nähern uns von der Bertelsmann Stiftung dem Thema Wahlrecht nicht in erster Linie, sondern dem Thema Wahlbeteiligung und sind da natürlich auf die Auswirkung des Wahlrechts auf die Wahlbeteiligung, daran sind wir interessiert. Wir sehen, wenn man erst einmal auf die Wahlbeteiligung schaut, dass natürlich Hamburg sich da einreiht. Wir haben es eben schon gehört in dem bundesweiten Trend. Es hilft nicht, wenn man andere noch bei sich stehen hat, aber nichtsdestotrotz ist es eben kein singuläres Phänomen hier in Hamburg. Was hier allerdings besonders drastisch war, war tatsächlich die soziale Spaltung. Wir haben das eben schon gehört. Um die Zahlen aber noch einmal zu sagen, wir sehen tatsächlich zwischen den Wählerhochburgen und den Wählernichthochburgen über 35 Prozentpunkte. Das ist dramatisch, wenn man sich das vorstellt. Um das noch einmal deutlich zu machen, wir haben in den Nichtwählerhochburgen fünfmal so viele Arbeitslose. Wir haben mehr als doppelt so viele Menschen ohne Schulabschluss und wir haben eine Kaufkraft, die nur ein Drittel von der beträgt, die Sie in den Wählerhochburgen finden. Das muss man sich auch noch einmal, finde ich, auf der Zunge zergehen lassen, um sich das wirklich in den Auswirkungen vorstellen zu können. Die Frage, inwiefern das Wahlergebnis dann noch sozial repräsentativ ist, finde ich, darf man stellen, muss man stellen und ich hätte da auch eine Antwort darauf. Wie Sie das bewerten, müssen Sie für sich selbst vielleicht noch einmal diskutieren. Der zweite Punkt, den ich machen möchte, eben auch schon angesprochen. Inwiefern wirkt das komplexe Wahlrecht, das jetzt hier in Hamburg umgesetzt wird, sich auf diese soziale Spaltung aus, die wir in der Wahlbeteiligung sehen? Wir haben eben schon einmal die Zahlen dort gesehen. Dort, wo eh wenig Menschen wählen gehen, ist der Anteil der ungültigen Stimmen drastisch viel höher als in den Stadtteilen, in denen eh schon viele Menschen wählen gehen. Das heißt, aus der Logik heraus verschärft das Wahlrecht die soziale Spaltung in der Wählerschaft. Inwiefern der Wahlrechtsgrundsatz der Allgemeinheit der Wahl, der auch vom Verfassungsgerichtshof in Nordrhein-Westfalen angesprochen wurde, der auch leitend sein soll, damit noch verwirklicht ist, wenn wirklich sich die Schichten zum einen selbstständig zurückziehen aus der Wahl, zum anderen, wenn gewählt wird, dann aber auch noch häufig ungültig gewählt wird, sollte sich durchaus gestellt werden, vor allen Dingen vor dem Hintergrund, da wir hier wissen auf Grundlage der sehr schönen Auswertung des Landeswahlleiters, dass eben ein Großteil der Stimmen, und zwar wirklich drei Viertel, zurückzuführen sind auf das Wahlrecht und eben nicht des bewussten Ungültigmachens und des Nichtausdrückens von Support oder einer Art Enthaltungsstimme. Das möchte ich zu bedenken geben. Der dritte Punkt, und da würde ich mich Herrn Jakobeit anschließen, dreht sich eher um die Frage, was können wir eigentlich nun tun. Wir können am Wahlrecht etwas ändern. Dazu sitzen Sie, dazu sitzen wir heute hier zusammen. Es gibt andere Dinge, die man meines Erachtens, wenn es um die Steigerung der Wahlbeteiligung geht, weiterhin diskutieren sollte. Wahlrecht, wie gesagt, diskutieren wir heute. Wahlorganisation habe ich auch auf Ihrer

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Frageliste wiedergefunden. Darüber habe ich mich sehr gefreut. Möglichkeiten der Briefwahl, Möglichkeiten des Advance Votings, was immer mehr zunimmt, tatsächlich schon vorher flexibel, so wie ich möchte wählen können, all das sollte weiter diskutiert werden. Der dritte Punkt, der, glaube ich, noch sehr viel Beachtung verdient, sind wahlmotivatorische Ansätze. Also, wie komme ich eigentlich wirklich wieder in die Stadtviertel, in denen die Wahlbeteiligung jetzt bei unter 30 Prozent liegt? Was kann ich tun, um dort wieder Nichtwähler und Wähler anzusprechen? Wir haben Anfang der Woche eine Analyse vorgelegt, in der wir die Wahlbeteiligungsraten in den sozialen Milieus, in den Sinusmilieus, mit Infratest dimap gemeinsam geschätzt haben auf Basis der letzten Bundestagswahl 2013, die eine sehr schöne Idee geben, wie die Nichtwähler sich in verschiedenen sozialen Gruppen verteilen und wie groß eigentlich ihr Anteil ist. Das heißt, jede Diskussion über Möglichkeiten, Wahlbeteiligung wieder zu steigern, sollte darauf achten und schauen, okay, mit welchem Mittel motiviere ich eigentlich welche Gruppe, was für Potenziale stehen dahinter. Ich glaube, da werden wir alle über einen großen Blumenstrauß irgendwann diskutieren müssen. Einiges ist schon auf dem Tisch, aber eben gerade das Thema wahlmotivatorische Ansätze, wie schaffe ich es eigentlich wieder, Menschen, die so weit weg sind von Politik, zu bewegen, glaube ich, sollten noch viel mehr Aufmerksamkeit bekommen. Vielen Dank soweit. Vorsitzende: Ganz herzlichen Dank dafür. Und die erste Runde beschließt Wilko Zicht, Kollege aus Bremen, wenn ich das so sagen darf. Herr Zicht: Ja, vielen Dank. Den Ausführungen von Frau Tillmann könnte ich mich fast vollumfänglich anschließen. Bei den Vorrednern gelingt mir das nicht so ganz. Es wurden viele Kritikpunkte an dem Hamburger Wahlrecht genannt. Einige sind berechtigt in dem Sinne, dass sie tatsächlich Optimierungsbedarf aufzeigen. Einige andere sind scheinbar berechtigt, aber wenn man sich dann die möglichen Lösungen anschaut, stellt man fest, dass sie entweder nicht existieren oder dass sie dann wiederum Effekte mit sich bringen, die noch viel weniger erwünscht sind. Und manche Kritikpunkte gehen aber auch, wie ich finde, an dem Kern der Sache vorbei. Es wird zum Beispiel dem Wahlrecht zu Unrecht unterstellt, es sei in erster Linie ein Persönlichkeitswahlrecht. Und daraus wird ja dann eine Menge an Kritikpunkten abgeleitet, weil man das Wahlrecht dann letztlich an Kriterien scheitern lässt, die dieses Wahlrecht aber auch gar nicht beanspruchen kann zu erfüllen. Es ist in erster Linie eine Parteienwahl. Es wäre auch kaum vermittelbar, wenn es anders wäre. Wenn die Balkengrafiken, und was einem sonst noch so am Wahlabend im Fernsehen präsentiert wird, gar nicht das ausschlaggebende Ergebnis wäre, sondern es in erster Linie um irgendwelche Personenstimmen ginge, dann würde das der medialen Aufbereitung und auch dem, wie die Wähler das Wahlrecht und die politische Entscheidung, die sie damit zum Ausdruck bringen, verstehen, das würde dem völlig widersprechen. Jemand, der zum Beispiel den Spitzenkandidaten der SPD, Herrn Scholz, wählt und jetzt bekommen wir hier zu hören, dass seine Stimme für Herrn Scholz gar nicht so gewertet wurde, wie er die gemeint hat, dann muss man sich natürlich das schon noch einmal genau anschauen. Das wollte dann dieser Wähler. Der Wähler hat sicherlich in erster Linie die SPD gewählt und dabei dann mit besonderem Augenmerk Herrn Scholz. Beide Ziele hat er dann auch erreicht. Herr Scholz ist gewählt worden. Er hat zwar seinen Sitz gar nicht angenommen, sondern sein Mandat ruht jetzt, aber der Wahlerfolg hinsichtlich der Personenwahl ist da und der SPD hat die Stimme dann auch genützt. Nun gibt es nun einmal nur einen Herrn Scholz bei der SPD. Also, wenn die SPD dann einen Effekt durch die vielen Scholz-Wähler haben soll, dann kann das natürlich denknotwendig nur dadurch passieren, indem ein anderer SPD-Kandidat einen Sitz bekommt. Da ist noch kein Problem drin zu erkennen. Es ist bei jedem Wahlrecht letztlich so. Also, auch bei der Bundestagswahl, da kann man sich natürlich überlegen, wie viele CDUBundestagsabgeordnete ihr Mandat letztlich der Spitzenkandidatin Frau Merkel verdanken, auch viele, die nicht in Mecklenburg-Vorpommern kandidiert haben.

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Der Effekt, dass man mit seiner Stimme indirekt Bewerbern nützt, die man nicht auf dem Schirm hatte, das ist ein unvermeidbarer Effekt. Denken Sie bei der Bundestagswahl hier in Hamburg, wenn Sie der SPD die Zweitstimme für die Landesliste geben, dann haben Sie dann auf dem Stimmzettel die ersten fünf Kandidaten dieser Landesliste, aber es kann dann durchaus sein, und so ist es bei vergangenen Bundestagswahlen ja auch schon passiert, dass die SPD dann auch so viele Wahlkreissitze hier in Hamburg gewonnen hat, dass die Landesliste gar nicht gezogen hat. Trotzdem wurde natürlich ihre Zweitstimme für die SPD gezählt und dafür ist dann vielleicht jemand von der Landesliste Rheinland-Pfalz hineingekommen. Völlig normaler Vorgang, widerspricht auch nicht dem Wählerwillen, solange sichergestellt ist, dass die Person, die man ankreuzt, dann auch gewählt ist und die Stimme insgesamt der gewählten Partei nützt, ist das in Ordnung. Es wurde hier vorgetragen, und das ist berechtigt, es gibt auch den Fall, dass es nicht so eingehalten wird, das sogenannte Personenstimmenparadoxon. Da haben wir dann in der Tat ein lösungsbedürftiges Problem und das kann man aber auch minimal-invasiv, wie es so schön heißt, lösen. Da hat Herr Schröder auch jetzt hier nicht mündlich vorgetragen, aber in seinen schriftlichen Ausführungen auch einen Lösungsvorschlag gemacht, wie man das minimal-invasiv hinbekommt. Das kann man so tatsächlich übernehmen. Dann hat man auch das Problem gelöst. Man kann das Problem nicht dadurch lösen, wurde hier zwar nicht ausdrücklich behauptet, aber das Missverständnis besteht häufig, indem man die Reihenfolge zwischen Listenwahl- und Personenwahlberücksichtigung umkehrt. Das ändert nichts an dem Prinzip, dass man, wenn man die Stimme einer Person gibt, dann letztlich der Personenbank nützt und eben nicht der Listenwahl. Aber das ist ja auch okay, wenn das Wahlgesetz die Personenwahl im Vergleich zur Listenwahl als Standard sieht, und man also, wenn man die Listenreihenfolge zur Geltung bringen will, muss man eben die Liste ankreuzen und kann nicht, wenn man eine Person ankreuzt, die dann aber gewählt ist, sagen, aber ich hätte jetzt ersatzweise lieber, dass die Liste davon profitiert und nicht irgendeine Person, die aufgrund vieler Personenstimmen gewonnen hat. Wo ich denke, dass die vergangenen beiden Bürgerschaftswahlen ein Potenzial erkennen lassen haben, wo man noch Verbesserungen erreichen kann, ist, denke ich schon, das Thema Wahlkreise. Wir haben hier ja auch das spezielle Problem, traditionell bei den GRÜNEN, aber jetzt auch beim letzten Mal bei der CDU aufgetreten, dass die Wahlkreisaufteilung dazu führen kann, dass nur noch sehr wenige Sitze nach der Landesliste besetzt werden können. Das ist so nicht im Sinne des Erfinders, weil ja auch dann die Wahl auf der Landesliste ein Stück weit für die Katz war, für die Wähler und auch für die Kandidaten. Also da kann man durchaus überlegen, ob man zum Beispiel den Anteil der Wahlkreissitze, der derzeit 70 von 120 beträgt, ob man den auf 60 reduziert. Das würde dann bedeuten, dass man zwei Wahlkreise einsparen müsste. Das wird vermutlich in Eimsbüttel und in Harburg dazu führen, dass man dort die zwei sehr kleinen Wahlkreise dann zusammenlegt, aber dann hätte man wieder eine Aufteilung von Wahlkreisen, die drei bis fünf Sitze groß sind, 15 Stück statt 17 Stück an der Zahl und insgesamt nur noch 60 Sitze. Die Verteilung wäre dann so, dass auch bei dem jetzigen Wahlergebnis in diesem Jahr noch sowohl für die CDU-Landesliste als auch für die GRÜNE-Landesliste einige Sitze mehr übriggeblieben wären. Unterstützt werden würde das noch, indem man Wahlkreis- und Landeslistenstimmen zusammenzählt. Das entspricht auch der Vorgehensweise in Bayern. Da kann man sich durchaus manchmal etwas abschauen, auch dafür würde ich plädieren. Um den Bekanntheitsgrad der Kandidaten zu erhöhen, der ist nämlich in der Tat noch nicht so, wie er dem Wahlrecht eigentlich angemessen wäre, ist die Idee zu unterstützen, dass man ein Infoheft mit den Vorstellungen der Kandidaten an die Wahlberechtigten verschickt. Es wird ja derzeit ein Musterstimmzettel verschickt, ich denke ‘mal, den könnte man ersetzen

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durch ein Informationsheft über die Kandidaten. Anscheinend gelingt es den Parteien selber bisher nicht, ihre Kandidaten im ausreichenden Maß bekannt zu machen, manche wollen es ja vielleicht auch nicht, der Verdacht steht zumindest im Raume. Auf diesem Wege wäre das aber dann möglich. Bei den ungültigen Stimmen ist ja festzustellen, dass die bei der Landesliste doch zu einem ganz erheblichen Teil darauf beruhen, dass mehr als fünf Stimmen vergeben wurden. Wir haben ja schöne Auswertungen vom Statistikamt Nord bekommen. Aus der Übersicht, die heute dann noch nachgereicht wurde, geht hervor, dass fast 80 Prozent all dieser Stimmzettel, also der 2,3 Prozentpunkte, die insgesamt ungültig waren wegen mehr als fünf vergebenen Stimmen, dass man davon fast 80 Prozent heilen kann. Das sind nämlich diese Stimmzettel, auf denen mehr als fünf Stimmen ausschließlich für Gesamtliste und Kandidaten derselben Partei vergeben wurden. Hier ist ja klar, das ist eine Wählerin oder ein Wähler, die oder der für diese Partei Stimmen abgeben wollte und dabei sich aber entweder verzählt hat oder das mit der Zweimal-fünf-Stimmen-Kampagne der SPD dann vielleicht ein bisschen missverstanden hat und dementsprechend die zweimal fünf nicht auf die beiden Stimmzettel verteilt hat, sondern auf dem einen Zettel dann gleich zehn gemacht hat. Es gibt ja verschiedene Möglichkeiten. Also in Niedersachsen macht man das dann so beim Kommunalwahlrecht, dass dann nur die Personenstimmen gezählt werden und die Listenstimmen dann nur, falls dann noch Platz ist, aber bei dem üblichen Fehler mit fünf bei der Gesamtliste und fünf bei den Kandidaten würde man dann nur die fünf Personenstimmen zählen. Umgekehrt könnte man natürlich auch überlegen, ob man nur die Gesamtlistenstimmen nimmt, aber ich denke ‘mal, da würde man dann den verfassungsrechtlich noch akzeptablen Rahmen verlassen, weil man natürlich nicht eine Stimmengruppe umdeuten darf. Man darf sie quasi reduzieren, um sie zu heilen auf das, was noch eindeutig erkennbar ist, und das ist in dem Fall dann die Unterstützung für die Partei, aber man kann jetzt nicht jemandem, der fünfmal SPD-Gesamtliste und fünfmal Scholz angekreuzt hat, unterstellen, ihm geht es eigentlich eher um die Gesamtliste als um Herrn Scholz. Das wäre, glaube ich, eine in den meisten Fällen zumindest unberechtigte Interpretation und darum darf man so weit nicht gehen. Ich würde dafür plädieren, dass Sie wiederum, wie es der bayrische Landesgesetzgeber macht, die Stimmen nur bei der Verteilung auf die Partei zählen, also Sie zählen dann den Stimmzettel mit fünfmal SPD, und im weiteren Verfahren, wo es dann darum geht, Listenbank, Personenbank und so weiter, da sind die Stimmen dann, diese Stimmzettel dann raus, aber die Wähler haben dann zumindest ihre fünf Stimmen für die Partei ins Ziel gerettet. Und wenn es tatsächlich stimmt, dass es da knapp 80 Prozent der Stimmzettel betrifft mit mehr als fünf Stimmen – das Statistikamt weist ja selber darauf hin, dass das nicht ganz repräsentativ ist, aber, ich denke ‘mal, von der Größenordnung kann man sich daran orientieren –, dann würde das am Ende bedeuten, dass man circa 1,8 Prozentpunkte weniger ungültige Stimmen hätte bei den Landeslisten, und dann wären wir auf einen Wert von gerade einmal 1 Prozent an ungültigen Stimmen, und das wäre ein, ja, fast bombastischer Wert, weil, das entspricht dann dem, was auch bei sehr einfachen Einstimmenwahlsystemen möglich ist. So viel von mir erst einmal. Vorsitzende: Ja, ganz herzlichen Dank. Jetzt geht allen durch den Kopf, dass Letzteres vielleicht auch ein völlig anderes Wahlergebnis gewesen wäre, aber das lassen wir einmal dahingestellt. Also, ganz herzlichen Dank für Ihre Eingangsstatements, für die wir jetzt aber immerhin auch schon eine gute Stunde benötigt haben, was völlig in Ordnung ist, wir müssen nur gucken, wie wir sozusagen durch unsere Fragen jetzt kommen. Aber vielleicht sortiert sich das hier auch schon von selbst ein wenig.

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Besteht der Wunsch seitens der Fraktionen, schon auf das eine oder andere zu Beginn einzugehen, oder wollen wir direkt einsteigen? Ich glaube, das machen wir. Vielleicht noch einmal zum Material, was wir hier so miteinander bewegen. Ich glaube, wir haben alle alles, wir haben schon zum letzten Protokoll ja genommen gehabt die Auswertung des Statistikamtes und jetzt haben wir die election.de-Zahlen, die wir auch noch einmal zum Protokoll nehmen, und ich denke, wir sollten auch die Bertelsmann-Untersuchung „Prekäre Wahl“ noch einmal offiziell als Material dazu nehmen (Anlage 4), damit das einfach mit dranhängt in der Datenbank. Und ich weiß gar nicht, ob wir die Analyse des Landeswahlleiters schon offiziell mitgenommen hatten, das würden wir dann auch noch einmal tun. So, dann ist das bei uns auch einfach komplett und klar, worauf sich bezogen wird. Wenn jemandem noch etwas anderes einfällt, dann können wir das ja noch nachreichen. Gut. Dann steigen wir jetzt ein in unsere Themenkomplexe. Wollen wir die in der Reihenfolge abarbeiten, wie wir uns verständigt haben? Ja, dann fangen wir an mit der Wahlbeteiligung und eventuell zusammenhängend mit dem Wahlrecht. Dazu haben ja ... jetzt ist ja auch schon einiges gesagt worden, also Ursachen der sinkenden Wahlbeteiligung, soziale Spaltung, das sind so die ersten beiden Punkte. Die Frage an Sie, wer darauf noch einmal vertieft eingehen möchte. Ja, sozusagen jenseits der Feststellung, dass wir Politiker alle langweilig sind und deswegen keiner wählen geht, das haben wir schon verstanden, aber, sozusagen, das hilft uns jetzt ja noch nicht ganz weiter bei der Frage, ob es auch in Richtung Wahlrecht noch Punkte gibt, die wir da unternehmen können. Herr Dr. Duwe hat eine vertiefende Frage. Abg. Dr. Kurt Duwe: Ja, eine vertiefende Frage, eine einfache Frage. Können Sie sich ein Wahlrecht vorstellen, wo die Wahlbeteiligung nur durch dieses Wahlrecht eklatant höher werden wird, als wir es jetzt haben, sprich, gibt es überhaupt Möglichkeiten, mit dem Wahlrecht, sagen wir einmal, eine Erhöhung um 5 Prozent oder 8 Prozent, also wirklich etwas Messbares, zu erreichen? Und das Zweite, natürlich, wenn Sie so eines kennen, würde dann wahrscheinlich ein einfacheres, natürlich auch weniger Möglichkeiten der Wahlmöglichkeiten der Bürger … ob das dann dadurch ausgewogen ist oder dass man eben meinetwegen 5 Prozent oder 2 Prozent mehr Wahlbeteiligung bekommt, aber dafür dann den anderen 98 oder 95 Prozent der Wählerinnen und Wähler Wahlmöglichkeiten entzieht. Ob das dann gerechtfertigt sein kann oder ob das nicht gerechtfertigt ist. Vorsitzende: Und dazu direkt Herr Trepoll und Frau Prien ergänzend. Abg. André Trepoll: Ich habe auch eine kurze Frage. Ich denke, Herr Duwe, man muss die Frage eigentlich anders stellen. Uns wurde ja auch von Mehr Demokratie versprochen, mit diesem neuen Wahlrecht können wir sozusagen den Trend umkehren. Deshalb muss man ja die Frage stellen: Das ist ja offensichtlich nicht passiert, wie erklären Sie sich das? Wann tritt aus Ihrer Sicht dieser Gewöhnungseffekt, den Sie beschrieben haben, endlich ein? Also, wie lange müssen wir das machen, damit sich dieser Trend umkehrt, das würde mich interessieren. Vorsitzende: Frau Prien und dann Herr Müller. Abg. Karin Prien: Ja, in die Richtung geht meine Frage auch. Ein Grund, warum das neue Wahlrecht eingeführt wurde, war ja die These, dass eben durch diese stärkere Betonung der Personenstimme eine höhere Attraktivität des Wahlrechtes erreicht werden könnte. Ich habe zwar jetzt eben Sie, Herr Zicht, so verstanden, dass das alles eigentlich Unsinn ist, weil, das ist gar keine Personenwahl, sondern es trotzdem nur eine Parteienwahl, da fragt man sich natürlich aber, wofür machen wir denn dann den ganzen Kram, wenn das ohnehin keine

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Personenwahl ist. Aber ich würde gerne Ihre Einschätzung erfahren, ob mit diesem stärker auf die Personen Abstellen auch eine höhere Attraktivität Ihrer Meinung einhergeht und ob das dann des Weiteren auch heißt, dass, wenn wir das nicht eingeführt hätten, möglicherweise die Wahlbeteiligung noch geringer wäre. Vorsitzende: Vielen Dank. Und Herr Müller auch noch und Herr Steinbiß danach. Abg. Farid Müller: Ja, vielen Dank, Frau Präsidentin. Ja, ich hätte eine Frage an den Herrn Dr. Valentin Schröder aus Bremen. Und zwar habe ich auch Ihre Studie gelesen im Vorfeld, und auf Seite 9, wo Sie auch noch einmal auf den Zusammenhang zwischen Wahlbeteiligung, soziale Milieus und ungültige Stimmen eingehen, habe ich dann als Fazit gelesen: „Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das Wahlsystem selber keinen entscheidenden Einfluss auf den Rückgang der Wahlbeteiligung hat. Ein gewisser Effekt lässt sich allenfalls auf die Anzahl der ungültigen Stimmen feststellen“. Und am Ende, wo Sie so ein paar Vorschläge machen, machen Sie allerdings nur einen einzigen, also in eine Richtung einen Vorschlag, das Wahlsystem in Bremen so zu ändern, dass das Stimmenparadoxon dann sozusagen aufgehoben wird oder vermindert wird. Meine Frage ist: Ist Ihnen zu den anderen Feststellungen, die Sie in Ihrer Studie hatten, dann konkret nichts eingefallen an Vorschlägen, oder haben Sie sich bewusst bei dem Punkt zurückgehalten, weil Sie tatsächlich nur auf das Stimmenparadoxon sozusagen fokussiert hatten? Vorsitzende: So, das ist jetzt noch eine Reihe von konkreteren Punkten. Ach so, Herr Steinbiß auch noch. Genau. Abg. Olaf Steinbiß: Ja, herzlichen Dank erst einmal für Ihre Stellungnahme im Namen meiner Fraktion. Nur einmal kurz zur Ergänzung dazu, ich sehe das ähnlich, wie auch das schon die Kollegen von der CDU sagten, also eine Steigerung haben wir ja jetzt nicht gerade erlebt. Aber noch einmal ganz spezifisch, gibt es irgendwo im Bundesgebiet … gab es irgendwie Steigerungen in den letzten Jahren, also gab es Veränderungen im Wahlrecht in anderen Bundesländern vielleicht, wo man nachher einen positiven Effekt auch gesehen hat auf die Wahlbeteiligung? Das würde mich interessieren. Vorsitzende: Okay, dann haben wir jetzt eine Reihe von Fragen gesammelt. Wer mag beginnen? Professor Jakobeit, bitte. Herr Dr. Jakobeit: Ganz kurz zu dieser Frage, die ja in sehr vielen dieser einzelnen Beiträge mitgeschwungen hat, wenn es ein anderes Wahlrecht gäbe, hätten wir dann die Gewissheit, dass die Wahlbeteiligung gestiegen wäre. Das ist das Problem aller Sozialwissenschaft, dass man in der gleichen Situation keine Alternative testen kann. Es gibt eben nur die Vielfalt der verschiedenen Bestimmungen in den einzelnen Bundesländern. In dem Kontext möchte ich darauf verweisen, dass wir ja auch mehrheitlich hier bei der Beantwortung dieser Frage darauf hingewiesen haben, dass dieser Trend unabhängig von den jeweils spezifischen Wahlrechten sich ausformuliert hat. Andererseits ist natürlich die Kritik berechtigt. Eine der Hoffnungen bei der Einführung dieses neuen Wahlrechtes war, das sollte die Wahlbeteiligung erhöhen, das hat sie nicht, aber ob das am Wahlrecht liegt, das können wir nur überprüfen – das wäre nur eine theoretische Möglichkeit –, wenn bei dem alten bestehenden Wahlrecht sozusagen parallel gewählt worden wäre. Das können wir nicht überprüfen. Es gibt keine Aussage darüber. Meine These zu dieser gesamten Frage ist, wir haben eine Vielzahl von unterschiedlichen Wahlrechten, das kann man natürlich auch im europäischen Ausland und darüber hinaus beobachten, dieser Trend, den wir hier beschrieben haben, der ist aber auch im Ausland überall feststellbar. Wo die soziale Spaltung und wo bestimmte andere Phänomene ähnlich ablaufen in postmodernen Industriegesellschaften stellen wir fest, diese Wahlbeteiligung steigt nicht und es wird auch immer quälender, in den Ländern, in denen es eine Wahlpflicht

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gibt, das durchzusetzen. Das scheint also eine Tendenz zu sein, die unabhängig von den wahlrechtsspezifischen Bestimmungen festzustellen ist. So viel vielleicht von meiner Seite. Vorsitzende: Vielen Dank. Wer mag? Ja, bitte, Herr Dr. Linden. Herr Dr. Linden: Zu diesem Problemkomplex, da kann ich Herrn Jakobeit nur zustimmen. Wir schießen natürlich ins Blaue rein, stochern ein bisschen mit der Lanze im Nebel und können hier nur argumentativ vorgehen, aber ich denke, man hat ganz gute Argumente dafür, dass das Wahlrecht mit dieser stärkeren Persönlichkeitskomponente, und das ist in der Tat ein personalisiertes Verhältniswahlrecht, was letztlich ein Parteienwahlrecht ist, dass dieses Wahlrecht zumindest die soziale Selektivität befördert und damit auch die Wahlenthaltung, die steigende Wahlenthaltung befördert, ja. Wir können nicht sagen, dass wir jetzt mit einem anderen Wahlrecht auf einmal 5 oder 6 Prozent mehr Beteiligung haben. Das ist Unsinn. Aber wir können es bremsen. Und da will ich auf das eingehen, was Frau Tillmann gesagt hat. Frau Tillmann hat gesagt, wir brauchen mehr Wahlmotivation. Wahlmotivation findet bei Europawahlen zum Beispiel dergestalt statt, dass dort Prominente in Fernsehspots auftreten und sagen, geht wählen. Wenn Sie sich aber die Motive der Wahlenthaltung anschauen, dann ist ja gerade in sozial schwächeren Milieus eine ziemliche Apathie feststellbar, teilweise noch, beim überdurchschnittlichen politischen Interesse, das ist in Deutschland hoch, haben wir eine totale Abwendung gegenüber der politischen Klasse, die dort als geschlossene, zwar in Fraktionen unterteilte, aber nicht ideologisch verortbare oder verschieden verortbare Parteien wahrgenommen wird. Und das befördern Sie damit. Das befördert man mit Motivationskampagnen, die auf so eine symbolische, mediale Ebene – ich meine nicht, dass Sie das gemeint haben, Frau Tillmann, Sie meinen etwas anderes mit der Bertelsmann Stiftung – aber so, wie sie im Moment gemacht werden, diese Kampagnen, sind sie schlecht. Was ist die Motivation zur Wahl? Die Motivation zur Wahl ist Wettbewerb. Wettbewerb zwischen Parteien, dass es um etwas geht. Und dieses Wahlrecht, ein so stark personalisiertes, auf Spitzenkandidaten und auf kleine Klientelgruppen sekundär zugespitztes Wahlrecht entwertet den Parteienwettbewerb. Also für einen Spitzenkandidaten ist es sehr, für eine Partei ist es sehr wichtig, einen stark konsensuellen Spitzenkandidaten aufzustellen, der ins andere Lager hinein – noch viel mehr als bei Bundestagswahlen – breit motivieren kann, dafür aber eine Klientel außer Acht lässt, die sowieso nicht mehr wählen geht. Diese Belange werden in Wahlen deshalb tendenziell weniger angesprochen. Also ich würde sagen, dass ein Wahlrecht mit so einer stark personalisierten Komponente und das so kompliziert ist, immer dazu führt, dass die Wahlbeteiligung tendenziell sinkt, weil es den Wettbewerb zwischen den Parteien, den programmatischen Wettbewerb zwischen den Parteien, tendenziell schwächt. Vorsitzende: Ja, vielen Dank. Habe ich gesehen, Professor Kruse. Jetzt zunächst Herr Zicht, dann Herr Brandt. Herr Zicht: Also, dieser Effekt, dass Wahlkämpfe personalisiert werden, den sehen wir ja auf der Bundesebene und auf anderen politischen Ebenen genauso, wo ein völlig anderes Wahlrecht herrscht. Also in der Theorie könnte man tatsächlich meinen, das würde mit dem Wahlrecht zusammenhängen, aber tatsächlich lässt sich diese These doch in der Realität leicht widerlegen. Es wäre schön, wenn es ein Wahlrecht gäbe, mit dem man tatsächlich so einen richtig kräftigen Effekt auf die Wahlbeteiligung nehmen könnte. (Abg. André Trepoll: Das wurde uns versprochen.) – Ich weiß nicht, ob Ihnen das versprochen wurde. Ich habe derartige Versprechen nicht gehört. Also ich habe sie zumindest, soweit ich damals die Kampagne verfolgt habe, auch nicht in den Unterlagen von Mehr Demokratie in den Werbematerialien vorgefunden.

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Man kann ein paar Prozentpunkte sicherlich durch wahlorganisatorische Maßnahmen rausholen. Man kann sich natürlich ein bisschen etwas im Ausland abschauen, aber das sind dann auch teilweise Sachen, die man dann schon wiederum schwer mit in Deutschland übernehmen kann. Wenn man sich zum Beispiel nach Dänemark wendet, wo ja eine sehr, sehr hohe Wahlbeteiligung herrscht, wo aber die Wahlen an einem Donnerstag stattfinden und nicht an einem Sonntag und wo die Wahlbeteiligung aber auch vielleicht deshalb so hoch ist, weil es sich eingebürgert hat, dass die zumindest arbeitende Bevölkerung dann halt auch eine bezahlte Pause nehmen darf, um zum Wahllokal zu gehen. Das ist natürlich eine Maßnahme, die die Wahlbeteiligung in die Höhe treibt. Aber an einem Sonntag ist das schwer umzusetzen. An einem Sonntag könnte man vielleicht eher überlegen, wenn man dann beim Sonntag bleiben will, ob man dann nicht tatsächlich ein paar Wahllokale in großen Einkaufszentren aufstellt und dann dort einen verkaufsoffenen Sonntag macht. Das wäre dann eher eine Maßnahme. Man kann natürlich schon diese paar Wählerinnen und Wähler, die dann letztlich aus Bequemlichkeit an einem Sonntag nicht hingegangen sind, die kann man noch irgendwie einfangen, indem man es ihnen einfacher macht, entweder am Wahlsonntag selber oder auch im Vorfeld, indem man eben dort, wo die Leute unter der Woche sich aufhalten, dort die Möglichkeit der Wahl, der Stimmabgabe, einräumt. Aber ich glaube nicht, dass der Effekt auf mehr als zwei, drei Prozentpunkte Wahlbeteiligung bei dann doch sehr hohem Auffand, den man betreiben muss, hinauslaufen wird. Vorsitzende: Vielen Dank. Herr Dr. Brandt, ihm folgt Herr Schröder, dann Frau Tillmann, dann Herr Moehl. Herr Dr. Brandt: Ja, so ein Wahlrecht gibt es nicht, das gravierend … Dann muss man Wahlpflicht einführen, das ist die einzige Möglichkeit, um da einen Sprung zu bekommen. Von Mehr Demokratie und auch von mir ist nie gesagt worden, das Kernziel ist die Steigerung des Wahlrechts. Das Kernziel war eine stärkere Personalisierung. Und wir wussten ja aus der Literatur, dass es nach Einführung von komplexeren Wahlrechten sowohl positive als auch negative Effekte gegeben hat. Das hing möglicherweise sehr stark damit zusammen, wie das Wahlrecht, das neue, was eingeführt ist, auch verkauft oder dargestellt wird. Niemand soll glauben, dass nachhaltig mit einer Wahlrechtsänderung die Wahlbeteiligung gesteigert werden kann. Welche Hoffnung damit verbunden war, und das ist nach wie vor so, dass gerade in den sozial schwachen Stadtteilen, wenn es dort gelingt, in den Wahlkreisen Kandidaten aufzustellen, die dieses Kriterium, das ist einer von uns, das sind Kümmerer, wenn das verstärkt gelingt, dann kann es tatsächlich möglich sein, dass in diesen Stadtteilen die Wahlbeteiligung steigt. Aber das ist eine sehr mühsame Arbeit und da müssen sich die Parteien einfach aufmachen. Ich weiß, wie anstrengend so etwas sein muss, aber das kann man nur vor Ort erreichen. Ich sehe gar keine andere Möglichkeit, dort die Wahlbeteiligung zu steigern oder auch damit die soziale Spaltung zu verhindern. Überzeugende Personen in den Wahlkreisen aufzustellen, das ist die größte Motivation, da die Unterschiede, die programmatischen Unterschiede, zwischen den Parteien immer geringer werden, werden die Personen, auch die Problemlöser, denen man die Lösung von Problemen zutraut, werden immer wichtiger, und das muss in Zukunft stärker auch in den Parteien deutlich werden. Vorsitzende: Vielen Dank. Herr Schröder und dann Frau Tillmann. Herr Dr. Schröder: Ja, also vielen Dank zuerst einmal, Herrn Müller, für Ihre Nachfrage. Ich müsste, glaube ich, einen Punkt vielleicht noch deutlich machen, ich denke diese Studie, die Sie meinen, ist eine, die zusammen mit Lothar Probst erschienen ist, und wo nun gerade zu dem Punkt, den Sie mit Blick auf die ungültigen Stimmen ansprachen, Lothar Probstens Teil sozusagen sich darauf bezieht, also meiner fängt erst danach an und da geht es eben ums

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Wahlrecht. Überliest sich aber sehr leicht, also, deswegen, insofern ist das nicht notwendig. Also jetzt würde ich da jetzt eigentlich sonst erst gar keine große Position eingenommen haben. Umso dankbarer bin ich hier einmal für die Frage, also an mich zumal, denn, also, die Effekte, die man überhaupt durch ein irgendwie geartetes Wahlrecht auf solche Größen wie Wahlbeteiligung sozusagen hervorrufen kann, die können ja nicht groß sein, denn das liegt … Letzten Endes sind die Gründe so stark im Individuum und durch eine ganze Reihe von Faktoren dann damit halt belegt, dass sie durch so eine einfache Variable wie das Wahlrecht, hat jetzt die und die Möglichkeit mehr oder die und die Möglichkeit weniger, da eigentlich nur marginale Effekte erzeugen können. Und das gilt insofern für die Wahlbeteiligung und in gewisser Weise auch für die ungültigen Stimmen, denn da ist es, sozusagen soweit da überhaupt ein Zusammenhang herzustellen wäre zwischen der Komplexität des Wahlrechts, was ja sozusagen in gewisser Weise das attraktiver machen sollte im aktuellen Fall, und dessen Einfachheit, die ja in der Vergangenheit durch die starren Listen ja zumindest, also, geradezu musterhaft gegeben war, auch wenn man sozusagen sagte, gut, man möchte mehr Personalisierung, dann wäre natürlich die Antwort, ja, dann wäre es am besten, man geht wieder zurück zu dem Wahlsystem, was Sie bis, ich glaube, 2004 in Hamburg hatten, wo Sie genau eine Stimme hatten als Wähler und das ist es dann eben. Denn in der Tat, ich meine, dann würden Sie … Man könnte sich ja überlegen, dass man sagt, gut, man lässt weiterhin noch Personen wählen, aber es gibt zum Beispiel eine Hürde, die man mindestens nehmen muss, um dann ein Personenmandat zu bekommen oder so, also irgendwie so eine Art intrinsische Mischform, das ist auch das, was wir da vorschlagen. Der Anteil, den Sie haben zwischen der höheren Attraktivität des Wahlrechts durch dessen Komplizierung, der sozusagen hat ja im Effekt, dass Sie da höchstwahrscheinlich auch Leute dann treffen, die das einfach missverstehen und dann eben ungültig stimmen, versehentlich. Und was noch vielleicht einen Punkt angeht, also, ich weiß nicht, ob sich das machen lässt, aber, ich meine, natürlich könnte man sich das vorstellen, dass man sagt, man gibt irgendwie materielle Anreize oder so, ja. (Zwischenruf: Was?) (Zwischenruf: Materielle Anreize?) Fünf Euro für den … oder so. Also ich meine, das wäre jedenfalls direkt messbar und … Aber es ist, weiß ich nicht, ob … Das wäre jetzt vielleicht keine direkt wahlrechtliche Möglichkeit. (Zwischenruf: Ein Urlaubsgutschein.) Vorsitzende: Ja, vielen Dank. Frau Tillmann bitte. Frau Tillmann: Ja, ich möchte das Problem eigentlich erst noch verschärfen, ohne zynisch sein zu wollen, aber ich glaube, der Anspruch, die Wahlbeteiligung zu steigern, ist schon sehr hoch gegriffen. Ich glaube, das Ziel, eine Stabilisierung zu erreichen, ist schon groß genug. Also, es liegen Analysen vor, dass alleine durch den demographischen Wandel, wenn wir jetzt nichts tun, sondern die Entwicklung sich einfach fortschreibt, wir schon darüber sprechen, dass die Wahlbeteiligung auf Bundesebene um 5 bis 7 Prozent absacken wird. Während alles andere gleich bleibt und auch der Trend, den wir eben international sehen, zu einer immer sinkenden Wahlbeteiligung sich nicht fortschreiben würde. Das heißt, das möchte ich zum einen zu bedenken geben.

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Der andere Punkt, wahlmotivatorische Maßnahmen. Genau, da meinte ich, Herr Linden, eben nicht das, was jetzt gerade im … (Herr Dr. Linden: Ja, klar, natürlich.) … Moment im Fernsehen passiert, sondern etwas ganz anderes. Wir haben es gerade hier schon einmal gehört, Anreize schaffen, wie kann das geschehen, wenn es keine finanziellen sind. Also wir sehen, wählen ist ein sozialer Akt. Menschen, die alleine leben, alleinstehend sind, in Haushalten mit nur einer oder zwei Personen leben, wählen häufiger Brief, als dass sie zur Urnenwahl gehen, weil sie das anscheinend lieber alleine zu Hause machen. Also wählen ist tatsächlich etwas, was ganz stark mit dem Freundeskreis, mit dem Personenkreis im Umfeld zusammenhängt, was mit einer gefühlten Wahlnorm und wie okay ist es, dass ich nicht zur Wahl gegangen bin, zusammenhängt. Und ich glaube, das ist ein Ansatzpunkt, den wir sehr, sehr stark in den Blick nehmen müssen. Es gibt in Australien Wahlfeste, wo versucht wird, in Wahllokalen einfach eine andere Stimmung zu haben. Wir haben gerade eine Umfrage auf dem Tisch, wo wir nach Altersklassen gefragt haben: Wählen im Wahllokal ist doch eigentlich altmodisch, oder? Wie sähe es denn zum Beispiel mit wählen über das Internet aus? Die Altersunterschiede dabei sind natürlich dramatisch. Also, während irgendwie knapp über 20 Prozent der Jüngeren sagen, ja, wählen im Wahllokal ist gut, sagen das natürlich noch viel mehr der Älteren, die aber halt irgendwann aus dem demographischen Wandel heraus einfach sowieso nicht mehr ins Wahllokal werden gehen können. Das heißt, das Problem wird sich in der Zukunft eher verschärfen, und deswegen möchte ich sehr dafür werben, gerade auch zu schauen, wie kann ich eigentlich Jugendliche, wie kann ich junge Menschen, die in der Tendenz eh weniger wählen gehen, über andere Arten der Wahlorganisation, gegebenenfalls aber auch über wahlmotivatorische Ansätze in dem Sinne, wie das zum Beispiel auch in den USA versucht wird, über positiven sozialen Druck und ein Gemeinschaftsgefühl wieder zur Wahlurne zu bekommen. Vorsitzende: Ja, vielen Dank für diesen Impuls. Herr Moehl. Herr Moehl: Ja, vielen Dank. Ich habe ad hoc noch eine kleine Folie vorbereitet zum Thema Komplexität des Wahlsystems, Wahlmotivation, Wahlbeteiligung. Das ist die Wahlbeteiligung bei der Europawahl 2014, runtergebrochen auf die Kreise und kreisfreien Städte. Dazu muss man sagen, dass Europawahl ja das einfachste Wahlsystem hat, das überhaupt denkbar ist. Man hat schlicht und einfach eine Stimme für die Partei und das ist es dann auch schon. Die Europawahl leidet unter chronisch niedriger Beteiligung. Wir sind da etwa bei 43 Prozent bundesweit. Wir hatten irgendwann einmal so bei etwa 70 Prozent, glaube ich, begonnen, als die Europawahl noch neu war. Woran liegt es? Eigentlich nach einhelliger Sicht der Wahlforschung liegt es daran, dass es wenig greifbar ist, wir haben wenig profilierte Spitzenkandidaten, sie haben wenige Themen. Interessant ist vielleicht auf der Karte hier, dass Sie die Umrisse einiger Bundesländer erkennen können, wie zum Beispiel Hessen ist ganz gut zu sehen und Bayern. Dort ist eine niedrige Wahlbeteiligung schlicht und einfach aus dem Grund, weil dort nicht gleichzeitig Kommunalwahlen stattfanden. Wir sehen Baden-Württemberg sehr deutlich, RheinlandPfalz, Saarland, Thüringen, Nordrhein-Westfalen. Insbesondere ist es schön messbar eigentlich als sozialwissenschaftliches Experiment, weil wir in Nordrhein-Westfalen und Brandenburg dieses Jahr erstmals die Kommunalwahl parallel hatten zur Europawahl und es hat einen signifikanten Anstieg der Beteiligung gegeben. Das heißt, für die Wählerinnen und Wähler ist es dann interessant, wenn es einen greifbaren Anreiz gibt, sich nämlich in der Gemeinde, im Kreis, in der Stadt um die kommunalpolitischen Themen zu kümmern, dann gehen sie auch zur Europawahl. Wenn das wegfällt, wie in Hessen und Bayern, ist das Interesse eher gering. Das möchte ich vielleicht einfach einmal jetzt aus der Praxis so zu denken geben.

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Noch ein Punkt, es ist hier mehrfach das Ausland angesprochen worden. Wir hatten das Beispiel Australien mit der Wahlpflicht. Ich möchte noch auf zwei andere Staaten hinweisen, die eine chronisch niedrige Wahlbeteiligung haben, obwohl sie unterschiedlicher eigentlich nicht sein könnten. Wir haben ein quasipräsidentelles System und einen sehr zugespitzten Wahlkampf in den USA. Dort ist die Beteiligung etwa bei 50 Prozent. Wir haben aber auch das völlige Gegenteil in der Schweiz, dort treten Spitzenkandidaten kaum in Erscheinung, dort gibt es relativ wenige zugespitzte Themen, dort herrscht eine Konsensregierung aus vier verschiedenen Parteien seit über 50 Jahren und auch dort ist die Beteiligung etwa 50 Prozent. Ich möchte vielleicht auch noch einmal dafür plädieren, von der Wahlbeteiligung als Gradmesser für den Zustand einer Demokratie vielleicht etwas abzurücken. Es ist ja durchaus verständlich, ähnlich wie beispielsweise Einschaltquoten im Fernsehen wird natürlich aus der Politik die Wahlbeteiligung verstanden als Art Qualitätsbeurteilung. Wenn Sie sich das Beispiel Schweiz anschauen, das ist eben ein sehr stabiles System, in dem es auch eine hohe Bürgerbeteiligung gibt und eine hohe Zufriedenheit mit dem System, trotzdem existiert dieses Land eben mit einer Beteiligung von 50 Prozent. Eine solche Zahl kann eben auch ausdrücken, dass hohe Zufriedenheit herrscht. Das vielleicht als Gedanke dazu. Vielen Dank. Vorsitzende: Ja, vielen Dank. Dann würde jetzt wieder eine Runde Abgeordnetenfragen anschließen, und da beginnt Herr Professor Kruse, gefolgt von Herrn Dr. Dressel. Abg. Dr. Jörn Kruse: Ja, die Frau Tillmann hat schon in diese Richtung eben gesprochen. In der ökonomischen Theorie der Politik gibt es einen Ansatz, der versucht, die Wahlentscheidung, also die Entscheidung, zur Wahl zu gehen oder nicht, als ein rein individuelles Kosten-Nutzen-Kalkül anzustellen. Also abstrahiert von allen sozialen Wahlnormen, zum Beispiel, so etwas wie „ein guter Bürger geht zur Wahl“ oder so ist da abstrahiert. Ja? Versucht also, das individuelle Kalkül in Kosten und Nutzen aufzuteilen. Und der Nutzen ist in aller Regel sehr klein, weil, die Wahrscheinlichkeit, dass der einzelne Wähler das Wahlergebnis beeinflussen kann, ist extrem niedrig. Die meisten Leute wissen gar nicht, wie niedrig die Wahrscheinlichkeit ist. Daran können wir auch nichts tun, glaube ich, wirklich, aber an den Kosten können wir etwas tun. Und deshalb wundere ich mich, dass hier bisher die Alternative, die mir als Erstes einfällt, nämlich gewissermaßen die Briefwahl zum Normalfall zu machen, noch nicht diskutiert worden ist. Weil, ganz viele Leute sagen, ach, ich gehe dann wohl zur Wahl, und wenn der Wahltag dann kommt, dann, entweder ist da gerade Regen oder die Sonne ist so schön, dass man lieber spazieren geht, oder der Freund hat gesagt, wir gehen angeln oder was auch immer. Ja? Weil, der einzelne Wähler hat eben nichts vom Wählen wirklich, ja, sofern er nicht extrem politisch engagiert ist, aber er hat davon Kosten. Und auch die Kosten sind natürlich unterschiedlich in verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Ältere Leute, die vielleicht schon ein bisschen gehbehindert sind, die haben es eben sehr viel schwerer dann sich aufzuraffen, zu organisieren vielleicht, dass sie hingefahren werden und so, und die werden dann vielleicht eher einmal zu Hause bleiben. Und ich glaube, das erklärt einen Teil der geringeren Wahlbeteiligung von älteren Leuten. Ja? Und deshalb denke ich einmal, dass, wenn man es extrem einfach machen würde, also indem man zum Beispiel sechs Wochen vor einem bestimmten Stichtag Briefwahlunterlagen verschickt und dann kann man das in den Briefkasten schmeißen oder zum Rathaus bringen, wann man will, würde mit Sicherheit die Wahlbeteiligung deutlich erhöhen, glaube ich. Eine noch größere Steigerung würde man wahrscheinlich bekommen, wenn man elektronisch abstimmen könnte. Ich weiß natürlich, dass es eine ganze Menge Probleme gibt, ja, die da bestehen. Der Mangel der Sicherheit, ob es nicht vielleicht gehackt werden

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kann oder so. Aber ich glaube, die können wir auf Dauer alle lösen und dann würden sicherlich bestimmte Leute auch eher wählen, als sie es im Augenblick tun würden. Aber auf jeden Fall, solange wir diesen elektronischen Verfahren noch nicht vertrauen, und die meisten Leute vertrauen dem ja noch nicht. Ja? … (Abg. Farid Müller: Zu Recht.) – Ja, ich habe auch gewisse Zweifel daran, aber die meisten Leute machen Internetbanking und vertrauen also gewissermaßen ihr Konto dem an, aber … Aber solange wir das nicht haben, Briefwahl ist etwas furchtbar Simples und hat außerdem die Möglichkeit, das ist für mich der zentrale Punkt, der ist aber noch nicht hier angesprochen, nämlich die Information über die Wahlalternativen sind meistens extrem schlecht. Und wenn man Briefwahlunterlagen verschickt, dann kann man natürlich sehr viel Informationen mitliefern, sodass der Bürger das Gefühl hat, er kann wirklich zwischen den Personen A, B und C unterscheiden, sehr viel mehr, als wenn er nur eine ganz dürre Information in der Liste in der Wahlkabine hat. Und deshalb frage ich Sie einmal, warum das eigentlich bei Ihnen mit Ausnahme von dem keine Rolle gespielt hat, gewissermaßen Briefwahl zum Regelfall zu machen, um damit die Wahlbeteiligung zu erhöhen. Vorsitzende: Vielen Dank für diese Frage, an die wir jetzt noch gleich zwei weitere anschließen, nämlich die von Herrn Dr. Dressel und dann die von Herrn Müller. Abg. Dr. Andreas Dressel: Ja, ich würde gerne bei dem Thema Beteiligung auch noch einmal das, was jetzt in Schleswig-Holstein, in Bremen … Es hat ja auf Bundesebene auch Diskussionen zwischen den Generalsekretären der Parteien gegeben zu sagen, welche besonderen Motivationskampagnen man sich noch vorstellt. Das gipfelte dann irgendwie in „Wählen bei ALDI“, war so ein Schlagwort. Also Bremen hat, und deshalb haben wir es gut, glaube ich, dass wir Wilko Zicht heute dabeihaben, ja versucht, einen Teil dieser Organisationsmöglichkeiten auch jetzt bei sich mit, bei der Bremischen Bürgerschaftswahl, auch mit zu implementieren. Ich weiß nicht, vielleicht kann man da noch einmal sagen, welche Rückmeldungen es davon gibt. Weil das durchaus auch etwas ist, was wir uns angucken. Vielleicht jetzt nicht gleich „Wählen bei ALDI“, aber die Frage ist, ob man zum Beispiel sagt, es gibt eine Art Briefwahllokal, was irgendwo in der City an einem Hotspot, am besten irgendwie in einem Bereich hier auf dem Rathausmarkt, in Rathausnähe ist, wo die Leute tatsächlich, wenn sie hier in der City bummeln gehen, schon quasi drei Wochen vorher schon ihre … nicht nur quasi die Wahlunterlagen abholen können, ich meine, die haben sie ja nach Hause bekommen, sondern mit ihrer Benachrichtigungskarte, die sie zu Hause haben, oder ihrem Personalausweis direkt hingehen können und schon wählen können. Das wäre ja theoretisch möglich. Also, wird das hier von der Runde eher als Folklore angesehen oder ist das etwas, was real etwas helfen kann? Vorsitzende: Nur, wenn man davon ausgeht, dass die Menschen aus den Stadtteilen, wo die Wahlbeteiligungen so niedrig sind, auch diejenigen sind, die in der Mönckebergstraße und rund um das Rathaus einkaufen gehen. Abg. Dr. Andreas Dressel: Wir können auch im Billstedt-Center so etwas überlegen. Vorsitzende: Ah ja. Und dann haben wir noch die Stadtteile ganz ohne Einkaufszentrum. Herr Müller. Abg. Farid Müller: Ja, ich wollte noch einmal von den Experten hören, wir haben ja jetzt sehr fokussiert Wahlrecht geguckt und soziale Milieus, Einfluss auf die Wahlbeteiligung, ja oder nein. Ich wollte von Ihnen noch einmal hören, was Sie glauben, wie hoch der Anteil ist

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von der Frage, wie die Wähler die Wichtigkeit einer Wahl einschätzen. Also wir müssen ja feststellen, dass bei der Bundestagswahl die Wahlbeteiligung am höchsten ist und bei den Kommunalwahlen am niedrigsten, mit Europawahl zusammen. Ob das der jeweiligen Realität entspricht, sei dahingestellt, aber das ist die Wahrnehmung der Wähler. Da wollte ich gerne noch einmal von Ihnen hören, was Sie glauben, was das für einen Anteil hätte bei den Nichtwählern, die jetzt sozusagen bei den Landtagswahlen und bei den Kommunalwahlen immer weniger wählen gehen, aber bei den Bundestagswahlen zum Beispiel dann doch. Wie groß ist da aus Ihrer Sicht sozusagen dieses Gap? Und dann noch einmal den Einfluss vielleicht – das ist ja nun auch in diversen Studien immer wieder geschrieben worden –, was macht es aus, wenn es um eine spannende Wahl geht. Also, was kann eine Wahl spannend machen aus Sicht der Wähler und Wählerinnen? Also die Wahl haben sie ja immer. Aber was ist sozusagen … was ist abtörnend und was ist der Anteil … Vielleicht gibt es da Zahlen oder erste Einschätzungen derer, die dann vielleicht grundsätzlich wählen gehen würden, aber weil es aus ihrer Sicht unspannend ist oder/und auch nicht wichtig genug, sozusagen dann nicht hingehen, aber grundsätzlich bereit wären, bei der Bundestagswahl zum Beispiel wählen zu gehen. Also, gibt es da schon erste sozusagen Ergebnisse oder Erkenntnisse, die uns hier weiterhelfen könnten, zu mindestens diejenigen noch einmal zu motivieren, die grundsätzlich wählen gehen, aber speziell zur Landtagswahl oder zur Kommunalwahl dann nicht? Vorsitzende: Jetzt noch zum Abschluss Frau Schneider mit einer Frage. Abg. Christiane Schneider: Ja, ich habe gar nicht so viele große Fragen, weil, ich fand jetzt die Vorträge alle sehr interessant, und für mich stellt sich eigentlich raus, dass es sozusagen zwei Prinzipien gibt, die ein bisschen gegeneinander stehen, und dass beide Prinzipien ihre Nachteile haben. Und die Frage wäre jetzt für mich: Die Kritiker dieses herrschenden, also hier in Hamburg gültigen Wahlrechts haben sich nicht dazu geäußert oder nicht sehr stark dazu geäußert, ob eigentlich einzelne Probleme, die genannten, die Sie genannt haben, ob die eigentlich heilbar sind im Rahmen dieses Wahlrechts, also durch kleinere oder durch Korrekturen, oder nicht. Und mit den zwei Prinzipien meine ich, das eine ist ja eine starke Personalisierung und das andere ist eine stärkere Betonung der Partei, aber ich erinnere mich ja auch, wie es überhaupt, diese Debatte, um das Wahlrecht gegangen hat. Das hatte ja einen langen Vorlauf, weil es ja auch das Problem ist bei diesen … Bei den Wahlen vorher, also ich glaube, da gab es eine Partei CDU, die ja da echt das Problem hatte, dass, wer nicht gespurt hat, sozusagen, nicht aufgestellt worden ist. Und das ist ja so (Zwischenruf) – Ja, ist schon lange her, lange vor Ihrer Zeit, Frau Prien. Ich meine Sie jetzt auch gar nicht. Man kann es auch von der CDU abstrahieren. Da ist aber ein bisschen das Problem, wer setzt sich da überhaupt auf den Listen durch. Und das führt zu einer Formierung und ein bisschen vielleicht auch zu einer Unterdrückung von Meinungsvielfalt in den Parteien, die ja auch sein muss. Also das ist jetzt erst einmal bei mir ein bisschen eine Sortierung. Ich habe da auch noch einmal eine Frage, weil Herr Brandt gesagt hat, was hilft auf Dauer, aber eben viel Arbeit ist, ist sozusagen der Kümmererpolitiker. Meine Frage ist: Würden Sie jetzt sagen … Irgendeiner hatte ja auch, in Ihrer Präsentation war das, fand ich gut, ist ja auch noch einmal deutlich geworden, ich weiß es auch aus eigener Erfahrung, dass bei den Wahlkreislisten, dort, wo jemand kandidiert, und dann stand da Hamm auf dem Wahlzettel, und dann hat man in Hamm besonders viel Stimmen gekriegt, und man musste schon relativ viel tun, um in den anderen Stadtteile ungefähr auf etwas Ähnliches zu kommen. Spricht es nicht für die These, für Herrn Brandt? Also warum wählen die Leute jemanden, der aus dem

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Stadtteil kommt? Das ist doch eine interessante Frage. Einfach nur aus Stadtteilverbundenheit oder vielleicht, weil sie die Person eben doch kennen? Und was wäre dann zu tun, damit eben man nicht nur in einem Stadtteil bekannt ist, sondern eben auch in dem ganzen Wahlkreis? Also, vielleicht könnte da noch einmal etwas zu gesagt werden. Danke. Vorsitzende: Ja, wer mag antworten? Beginnen? Ja bitte, Herr Dr. Linden. Herr Dr. Linden: Ja, vielen Dank für die Fragen. Wie man das heilen könnte? Also, ziemlich jedes Problem, was hier aufgetan wurde, könnte dadurch geheilt werden, dass man analog zum Bundestagswahlrecht ein reines Verhältniswahlrecht macht, das ausschlaggebend ist für die Größenanteile der Parteien, sowie ein Persönlichkeitswahlrecht, wahlweise, ich würde denken an ein absolutes Mehrheitswahlrecht in den Wahlkreisen – 17 Wahlkreise in Hamburg scheint mir ein bisschen viel, es könnten weniger sein, aber das ist eher eine sekundäre Frage –, aber indem Sie wieder ein reines Verhältniswahlrecht einführen. Aber die Gründe für die Entstehung dieses Wahlrechts haben Sie ja damit nicht beseitigt. Ich habe einmal ein bisschen zurückgelesen in der Literatur, die Literatur war „Hamburger Abendblatt“. Was war die Intention dieses Wahlrechts? Es ist ja vor allen Dingen die Intention, die Listenaufstellung der Parteien durch Wähler verändern zu lassen, und zwar nur durch die Anhänger der eigenen Partei und nicht durch Fremde. Es gab hier in Hamburg, glaube ich, einmal den Versuch der Übernahme der FDP durch Fremde. (Zwischenrufe) Das haben Sie damit nicht … (Zwischenrufe) – Ja, das ist schon länger her, ja. Aber das „Hamburger Abendblatt“ hat ein gutes Archiv. (Zwischenrufe) – Ja. Es sind dann teilweise sogar welche bei der FDP geblieben. (Zwischenrufe) Das Problem der innerparteilichen Demokratie haben Sie damit nicht gelöst. Also der Oligarchisierung in Parteien. Und das ist das Kernproblem. Ja? Und das, dieses Problem, jetzt sagen Sie, so ein Persönlichkeitswahlrecht, ist das gut oder schlecht für die Wahlbeteiligung. Ist ja Ihre Frage. Und die Antwort ist eigentlich, ein Persönlichkeitswahlrecht führt eher zu einer Konsensualisierung, zu einer Entpolitisierung. Ja? Einfach, weil es für Parteien attraktiv ist, Kandidaten aufzustellen, die, obwohl die Wahlbeteiligung niedriger ist, die Wahl gewinnen. Also es gibt Leute, die gehen nicht zur Wahl, und es ist für Parteien auch nicht rational, sie argumentieren ökonomisch, es ist für Parteien dann nicht rational, gerade in diesen Wahlbezirken einen konfliktiven Wahlkampf zu betreiben, weil sie sich damit sehr viele Stimmen in der Mitte verscherzen. Eine Ausnahme sind Protestparteien, die haben wir im Moment in Form der AfD hier eher aus der liberalkonservativen Ecke, deshalb auch nicht attraktiv. Sie müssen also das Wettbewerbselement stärken, und dabei müssen Sie an Parteien appellieren, dass sie nicht kurzfristig denken. Wir haben Trier zum Beispiel, ich gebe ein Beispiel, in Trier hatten wir lange Zeit CDU-Vorherrschaft, dann hat die SPD die Wahl gewonnen mit einem Kandidaten, der zwar SPD-Mitglied ist, aber ohne SPD-Ticket

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angetreten ist. Das SPD-Logo war nicht auf dem Plakat. Und dann, die Wahlbeteiligung ist aber … Herr Ott in Köln wollte auch kandidieren ohne das SPD-Logo, da steht statt SPD Ott drin. Das ist auf lange Sicht für Parteien ein Pyrrhussieg. Sie werden damit kurzfristig Wahlen gewinnen, aber langfristig an Mitgliedschaft, an Unterstützerschaft verlieren. Machen Sie das Parteien klar. Es ist gegen die Eigenlogik der Parteien, über diese Wahlperiode von vier Jahren hinaus zu denken, aber sie sollten es tun. Nun zu den konkreten Fragen. Erstens: Heilung der Wahl. Ich bin, da bin ich vielleicht der einzige, gegen große Heilungsmöglichkeiten der Wahl, weil es unglaublich viele Möglichkeiten der ungültigen Stimmabgabe gibt und weil dadurch die Wahlvorstände eine sehr große Verantwortung bekommen und weil im Gegensatz zu dem, was öfters zu hören ist, gerade in Vielparteiensystemen, die wir in Deutschland haben, sehr viele Wahlen sehr, sehr knapp ausgehen. Ja? Es ist unkalkulierbar, was passiert. Die Wahlvorstände haben unglaubliche Macht. Es kreuzt einer an die gesamte SPD-Liste inklusive Olaf Scholz und schreibt darüber, der ist so toll. Ja, ist das jetzt eine ironische Wahl oder ist das eine Abgabe für die SPD? Es ist einfach für den Wahlvorstand unglaublich schwer, hier eine Entscheidung zu treffen. Zum Thema Briefwahl, Briefwahlunterlagen vorher verschicken an alle. Das Problem ist, dass Sie die Wahl damit weiter entwerten. Wir haben also die Wahl im Wahllokal als republikanischen Akt, wo sich die Bevölkerung trifft. Wo der CDU-Mann und die SPD-Frau sich treffen und sagen, ah, du wählst wieder die Falschen. Das ist ja eine vergangene Zeit, aber es ist ein republikanischer Akt der Zugehörigkeit zu einem Gemeinwesen, den man nicht entwerten darf. Meines Erachtens. Hier kann man auch sehen, dass auf Bundesebene die Wahlbeteiligung im internationalen Vergleich immer noch sehr hoch ist wegen der starken Politisierung auf Bundesebene. Ja? Also es ist immer wieder Politisierung der Kernaspekt. Wichtigkeit der Wahl. Auch die Wahlen auf lokaler Ebene werden als wichtig eingestuft, wobei, die letzten Daten, die mir bekannt sind, sind aus ALLBUS, Allgemeine Bevölkerungsumfrage in den Sozialwissenschaften, und von 2010. Sie hinken damit hinterher. Trotzdem gehen die Leute nicht hin, einfach, weil die Komplexität mittlerweile derart gestiegen ist, also gerade in den Systemen auf kommunaler Ebene, und auf Länderebene, wo herumgedoktert wird, sehr viel herumgedoktert wird, wo es sehr viele Beteiligungsmöglichkeiten gibt, wo Sie einen Bürger… auf kommunaler Ebene einen Bürgerhaushalt haben, wo Sie die Direktwahl des Landrats haben, im Kommunalwahlrecht, also wo Sie sehr viele Wahlen haben, wurde die Wahl des Parlaments entwertet. Während das auf Bundesebene noch nicht der Fall ist und wir da immer noch eine im internationalen Vergleich sehr hohe Wahlbeteiligung haben. Das war es. Danke. Vorsitzende: Vielen Dank. Frau Tillmann und dann Herr Zicht. Frau Tillmann: Ich kann fast direkt anschließen, also zu dem Thema Briefwahl, und ich hatte das in meinem kurzen Eingangsstatement als advanced voting bezeichnet, also wie kann ich eigentlich vor dem Tag der Wahl eigentlich schon meine Stimme abgeben. Das kann ich über Briefwahl tun, ich kann es das aber auch heute schon natürlich in Rathäusern tun. Dort muss man zwingenderweise, so wie mir bekannt ist, korrigieren Sie mich sonst, einen Platz vorhalten, wo ich meine Stimme abgeben kann. Das wird, soweit ich weiß, nicht separat ausgewiesen, man hört aber von allen kommunalen und auch sonstigen Wahlleitern, dass das immer mehr zunimmt. Dass also viele Leute tatsächlich dieses Angebot an Flexibilisierung, die sich an einen viel mobileren Lebensalltag der Bürger anpasst, tatsächlich gerne haben und das auch tatsächlich gerne nutzen.

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Wir haben gerade gehört, es ist ein wichtiger Akt, im wirklichen Wahllokal zu wählen. Das ist so. Nur scheint das nicht mehr mit allen, in allen Bevölkerungsschichten und in allen Altersgruppen, in unserer politischen Kultur in Deutschland so verankert zu sein. Wenn ich eben die Zahlen hatte, dass gerade Jüngere sagen, die jetzt auch in Interviews dann schildern, ich will ja nicht da hingehen und dann vor so einem Tribunal irgendwie Unterlagen aushändigen und etwas zurückzubekommen, sondern ich möchte wählen, wie ich alles andere tue, wie ich das möchte, nämlich entweder online, sei das auch noch weite Zukunftsmusik, oder so, wie das in meinen Tagesablauf passt, dann ist das etwas, womit wir uns perspektivisch auseinandersetzen müssen, weil das einfach ein Fakt und eine Änderung der Gegebenheiten ist, so sehr man auch an dem anderen Bild hängt und so sehr ja im Moment auch noch das Bundesverfassungsgericht von dem Leitbild der Urnenwahl spricht. Nichtsdestotrotz habe ich eine große Präferenz für alle Dinge, die das Wählen näher an den Bürger heranbringen und, ja, sich an dessen Tagesablauf anpassen. Die Frage, ist es nicht möglich, irgendwo bei ALDI oder so zu wählen, das ist noch eine ganz andere. Aber für mich ist es natürlich eine ganz organisatorische Frage, wie mache ich das, wenn ich irgendwo wähle, wo ich nicht meinen Stimmzettel vorliegen habe. Wird der dann ausgedruckt? Wie geschieht das? Also ich glaube, da hängen ganz viele organisatorische Fragen dahinter. In NRW hatten wir gerade Probleme mit Stimmzetteln, die nicht ganz richtig waren. (Zwischenrufe: In Köln.) In Köln, um das konkret zu sagen. (Zwischenrufe) Also ich glaube, da stecken tatsächlich viele Fragen hinter. Aber es ist es wert, sich damit auseinanderzusetzen, um eben einfach zukunftsfähiger im Rahmen der Wahlorganisation zu sein. Vorsitzende: Vielen Dank, Frau Tillmann. Jetzt Herr Zicht und dann Herr Moehl. Herr Zicht: Genau dieses advanced voting oder early voting haben wir schon in Form der Briefwahl vor Ort, so nennen wir das bisher, wo man halt im Wahlamt wählen kann. Dort liegt ja das Wählerverzeichnis dann auch vor und auch Stimmzettel für alle Wahlkreise der Kommune, sodass das organisatorisch dann auch kein Problem ist. In Bremen haben wir tatsächlich überlegt, allerdings sind wir damit ein bisschen zu spät vor der letzten Wahl angefangen, deswegen war das wahlorganisatorisch nicht mehr umsetzbar, aber das werden wir jetzt zur nächsten Wahl neu überlegen. Wobei dann wiederum das Problem ist, dass die womöglich gleichzeitig mit der Europawahl stattfindet, und dann kann man nicht irgendwie quasi irgendwelche Wahllokale aufstellen, wo man für die Bremische Bürgerschaft abstimmen kann, aber dann nicht für die Europawahl. Deswegen muss das auch mit dem Europawahlgesetz und der Europawahlordnung synchronisiert werden. Also praktisch sind das Probleme, aber grundsätzlich ist denkbar, dass man diese Briefwahl vor Ort ausweitet auf Hotspots, auf Einkaufszentren, womit natürlich nicht gemeint ist, dass das irgendwie an der Supermarktkasse oder zwischen den Regalen ist, sondern natürlich in vernünftigen Räumlichkeiten, Universitäten, Hauptbahnhöfen, überall, wo viele Leute sich unter der Woche befinden. Voraussetzung ist, dass diese Wahllokale dann untereinander vernetzt sind, dass eben das Wählerverzeichnis irgendwo zentral auf einem Server geführt wird und dort dann eben vermerkt wird, der hat jetzt abgestimmt. Weil, ansonsten könnte man natürlich erst am Hauptbahnhof wählen, dann fährt man zur Uni, wählt da, und dann noch einmal beim Einkaufzentrum. Das muss natürlich ausgeschlossen sein. Aber das ist ansonsten grundsätzlich machbar. In anderen Ländern funktioniert es dann teilweise auch so, dass man

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sogar tatsächlich mehrfach wählen kann, aber die Stimmen werden dann immer zu seinem Heimatwahllokal geschickt, wo dann auch am Sonntag man noch einmal wählen könnte, und dort wird dann geguckt, hat man fünf Stimmen abgegeben, dann zählt nur die letzte, die man abgegeben hat, die anderen werden weggeworfen. Also selbst das könnte man noch hinbekommen. Aber ich denke einmal, dass … mit einem elektronischen Wählerverzeichnis wäre das einfacher. Wenn man jetzt die Briefwahl so generalisiert, dass man tatsächlich an alle die Unterlagen schickt, dann hätte ich doch arge Bedenken. Also wir haben jetzt ja schon bei der letzten Bürgerschaftswahl in Billstedt einen mutmaßlichen Briefwahlfälschungsversuch, wir haben das bei Kommunalwahlen eigentlich immer. Immer, wenn in irgendeinem Bundesland Kommunalwahlen sind, gibt es irgendwo ein, zwei Kommunen, fällt es dann auf, dass dort Briefwahlfälschungen stattfinden, weil, wenn man eine Wahlfälschung macht, und diese Motivation ist da, wenn es eben keine starre Listenwahl ist, sondern wenn man sich mit ein paar Hundert oder einer kleinen vierstelligen Zahl von gefälschten Stimmen quasi ins Parlament bringen kann, dann hat man einen gewissen Anreiz, da Schmu treiben zu wollen, und das wird leider immer wieder versucht. Und wenn man sich vorstellt, dass in jedem Hamburger Haushalt für alle Personen da innerhalb von kurzem Zeitraum die Briefwahlunterlagen verschickt werden, dann können Sie sich vorstellen, dass in vielen, vielen Häusern diese Unterlagen dann einfach weggeworfen werden, irgendwo im Flur, also im Hausflur landen und dann eingesammelt werden können und ausgefüllt werden und abgeschickt werden. Es gibt ja keine zentrale Unterschriftsdatenbank, das wäre auch kaum wahlorganisatorisch machbar, wo man dann irgendwie untersuchen könnte, ob dann der Wahlschein, also diese Briefwahlerklärung, dann auch tatsächlich von der Person unterschrieben wurde, an die man die Unterlagen geschickt hat. Also das ist ein ganz großes Manipulationstor, was man da öffnet, und davor kann ich nur warnen. Im Vergleich dazu ist dann die Online-Wahl vielleicht sogar noch handelbar, aber da muss man dann eben den Grundsatz der Geheimwahl für opfern. Also man kann nicht gleichzeitig eine sichere Onlinewahl machen und dabei den Grundsatz der geheimen Wahl aufrechterhalten. Eins von beiden. Weil, es ist so, dass die einzige Möglichkeit, wie man dann das überprüfbar machen kann, ob die Stimme denn auch gezählt wurde, funktioniert dann so, dass man als Wähler im Nachhinein eine Art Code oder so bekommt, mit der man dann quasi im Nachhinein abfragen kann, ob die Stimme entsprechend gezählt wurde. Das würde allerdings bedeuten, dass man mit diesem Code dann eben auch nachträglich für alle seine Stimmabgabe sichtbar machen kann. Die geheime Wahl ist ja nicht nur ein Recht, sondern sie ist eine Pflicht. Es ist verboten, seinen Stimmzettel öffentlich zum Beispiel, also offen, im Wahllokal oder auch zu Hause unter den Augen seiner Familienmitglieder auszufüllen, sondern man muss an Eides statt erklären, dass man das geheim gemacht hat. Der Sinn der Sache ist, dass der Gesetzgeber meint, auf dem Wege eben Stimmenkauf unmöglich zu machen, indem man demjenigen, der seine Stimme verkaufen will, diese Möglichkeit gar nicht erst bietet, weil er eben keine Möglichkeit hat, dem Käufer anschließend nachzuweisen, hier, ich habe in deinem Sinne gewählt, jetzt zahl mich bitte dafür. Aber diese Möglichkeit, zumindest theoretisch, bestünde, wenn man die Onlinewahl dann so ausgestaltet, dass man seine eigene Stimmenabgabe im Nachhinein kontrollieren kann. Wenn man nun meint, das ist jetzt praktisch nicht so relevant und Stimmenkauf ist nicht so ein großes Problem und das kann man auch durch die strafrechtliche Sanktion hinreichend verhindern, dann kann man zu dem Ergebnis kommen, okay, dann kann man eine Onlinewahl machen unter bestimmten Voraussetzungen, die dann … Da gibt es natürlich dann noch ein paar Probleme mehr, aber diese geheime Wahl ist sicherlich der größte Punkt, und von dem muss man sich dann ein Stück weit verabschieden.

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Vorsitzende: Ja, vielen Dank. Herr Moehl. Herr Moehl: Ja, zum Thema, es ist jetzt mehrfach angesprochen worden, spannende Wahl, wie kann man es spannend machen, wenn die Spannung da ist, wenn dann die Identifikation, diese Begeisterung, das kennen wir aus anderen Kontexten, vielleicht aus dem Bereich Musik, Konzerte oder vielleicht auch Sport. Sepp Herberger soll einmal gesagt haben, die Leute gehen zum Fußball, weil sie nicht wissen, wie es ausgeht. Das kann ich persönlich nur unterschreiben als regelmäßiger Stadionbesucher, und ich glaube auch, die Leute gehen zur Wahl, wenn sie nicht wissen, wie es ausgeht. Wir haben zwei sehr spannende Bundestagswahlen in den Siebzigerjahren erlebt. Einmal die Wahl Willy Brandt gegen Rainer Barzel, einmal Helmut Kohl gegen Helmut Schmidt. Die waren beide extrem spannend, da war die Beteiligung über 90 Prozent. Die Politisierung ging so weit, dass wir damals als Schüler in der Grundschule diskutiert haben, ob jetzt Helmut Schmidt oder Helmut Kohl der bessere Kanzler wäre. Das können Sie sich heute nicht mehr vorstellen, denke ich, diese Politisierung, die es damals gab. Sie haben es ja sicherlich auch miterlebt. Wir hatten 1990 in der DDR zum ersten Mal nach, wenn ich richtig rechne, 58 Jahren eine freie Wahl. Die Beteiligung war, glaube ich, bei 93 Prozent. Weil es unheimlich wichtig war, unheimlich spannend, wie es mit der DDR dann weitergehen sollte. Wir haben, um noch ein jüngeres Beispiel aufzugreifen, das schwere Reaktorunglück von Fukushima gehabt Anfang 2011, das zu einer sehr umfangreichen Debatte über die weitere Nutzung der Kernenergie führte. Zufälligerweise fand genau in dem Zeitrahmen die Landtagswahl Baden-Württemberg statt, die Wahlbeteiligung stieg um 13 Punkte an. Weil es da um etwas ging, schlicht und einfach. Da möchte ich den Bogen spannen zu den Möglichkeiten, wie man vielleicht etwas mehr Spannung, etwas mehr Kontroverse, etwas mehr wirkliche Entscheidungen hineinbringen kann für die Wählerinnen und Wähler. election.de legt ja auch Prognosen vor, der eine oder andere hat sie vielleicht gesehen vor der Wahl. Wir haben von 71 Wahlkreismandaten 70 korrekt vorhergesagt vor der Bürgerschaftswahl, und das war auch gar nicht so schwer. Weil in den meisten Fällen das eigentlich klar war, dass die meisten Stimmen auf die jeweiligen Spitzenkandidaten entfallen in den Wahlkreisen, und auch die Verteilung auf die Parteien war sehr vorhersehbar. In meinem eigenen Wahlkreis 5 ist es so gewesen, dass es eigentlich schon lange klar war, dass ein Mandat an die SPD gehen wird, eins an die CDU, eins an die GRÜNEN. Und das dann natürlich jeweils an die Spitzenkandidaten. Insofern war die Spannung da überschaubar, in diesem Wahlkreis. Ein Vorschlag, den ich vorhin einmal angedeutet hatte, geht in die Richtung, dass man sich überlegt, ob eigentlich Doppelkandidaturen erlaubt sind. Ich möchte da einmal auf einen anderen Fall verweisen von 2002, als der altgediente Abgeordnete Ströbele keinen aussichtsreichen auf der Berliner Landesliste der GRÜNEN bekommen hat. Und er hat sich dann entschlossen, im Wahlkreis zu kandidieren. Und das ist ein Spiel, wie es eigentlich amerikanischer und sensationeller nicht mehr geht. Die nennen das dort win or die. Also entweder er musste das Unmögliche schaffen, nämlich als erster Grüner einen Wahlkreis gewinnen, oder er wäre raus aus dem Spiel. Und das hat dann zu einer Kampagne geführt, zu entsprechender Mobilisierung, auch höherer Beteiligung und auch wesentlich mehr Stimmen, die auf diesen grünen Kandidaten vergeben wurden von Wählerinnen und Wählern, die eigentlich gar nicht sonst Grün wählen, dass es doch zeigt, dass solche Alternativen, wenn also die Frage im Raum steht, ist derjenige oder diejenige gewählt, das ist für die Wähler dann eine echte Auswahlmöglichkeit im Gegensatz zu dem, was wir eben jetzt hier oft sehen, dass mehr oder weniger das Ergebnis vorher klar ist. Ich denke, das ist ein Punkt, den man da nicht übersehen darf. Ob das letztendlich immer zu höherer

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Beteiligung führt, sei dahingestellt, aber zumindest führt es zu höherer Auswahlmöglichkeit und Auswahl ist ja eigentlich das, was wir uns unter einer Wahl auch vorstellen. Ganz zum Schluss noch zum Thema Internet-Wahl. Ich kenne dort einige Beispiele aus nichtstaatlichen Organisationen, in denen Internet-Wahl bereits seit Langem praktiziert wird ohne große technische Probleme. Auch was der Kollege Zicht angesprochen hatte mit der Verifikation der Stimme, das ist natürlich möglich. Letztendlich ist bei der Briefwahl dasselbe Thema, dass man ja nicht wissen kann, ob da jemand zuguckt am Küchentisch oder nicht. Die Briefwahl ist seit Langem akzeptiert und ich denke, genauso wäre auch die Internet-Wahl technisch möglich. Ich glaube aber, das würde bedeuten, dass es für weite Schichten die Wahl zugänglicher und einfacher macht, ich glaube ehrlich gesagt nicht, und das ist zumindest jetzt meine Erfahrung bisher, dass die Beteiligung dadurch nennenswert steigen wird. Vielen Dank. Vorsitzende: Ja, vielen Dank Ihnen. Gibt es im Moment noch weitere Reaktionen? Herr Professor Jakobeit und dann Herr Brandt. Herr Dr. Brandt: Entschuldigung, ich wollte zur Briefwahl noch etwas sagen, einmal unterstreichen, was Herr Zicht gesagt hat, aber bei der Briefwahl haben wir wirklich das Problem mit dem Geheimnis der Wahl. Also ich kenne einige Fälle, wo sich Familienväter damit brüsten, dass sie für die gesamte Familie ausfüllen. Und die Dunkelziffer, ich möchte sie nicht wissen. Und deswegen gibt es hier nicht nur einen Verstoß gegen das Wahlgeheimnis, sondern auch eine echte Wahlmanipulation durch die Briefwahl. Und das sollte man nicht fördern. Vorsitzende: Herr Professor Jakobeit. Herr Dr. Jakobeit: Ja, vielleicht nur ganz kurz zu diesem Punkt, dass diese Wahlbeteiligung als Gradmesser der Demokratie nicht so unbedingt ganz gut geeignet ist, das Beispiel Schweiz, geringe Wahlbeteiligung, hohe Zufriedenheit. Das Problem, was wir hier und auch in anderen Wahlen ja haben, ist ja garantiert nicht, dass diese Leute, die nicht zur Wahl gehen in Hamburg und anderswo, superzufrieden sind mit ihrer Lage. Also ich würde da vorsichtig sein und davor warnen, also die geringe Wahlbeteiligung sozusagen, das ist eben ganz normal, es stimmt alles, die Leute sind nicht „up in arms“ oder so etwas, sondern das wäre alles in Ordnung. Ich glaube, das wäre eine grobe Verkennung des Problems in der Situation, in den Stadtteilen, in denen Leute dann tatsächlich gehäuft oder eben in größeren Häufungen nicht zur Wahl gehen. Das erscheint mir da sehr wichtig. Ich glaube, bei all den Punkten, die angesprochen waren, Digitalisierung, mehr direkte Mitsprache und so weiter, haben wir vielleicht ähnliche Probleme, wie wir sie jetzt mit dem Hamburger Wahlrecht haben. Also stellen Sie sich einmal vor, Digitalisierung, wir stellen beim jetzigen Wahlrecht fest, Alterskohorte 60 plus, größerer Anteil ungültiger Stimmen et cetera, möchte ich einmal wissen, wie genau Sie das im Internet dieser Gruppe erklären wollen, bei denen es noch einen großen Teil gibt, der überhaupt kein Internet nutzt, also wie Sie dem Problem entgehen wollen. Ja, mittel- und langfristig ist das sicher möglich, dass man es sicher machen kann und dass es eine Alternative wird, aber gegenwärtig löst es keines der Probleme. Also insofern würde ich davor warnen zu sagen, diese Digitalisierung oder die Möglichkeit der Digitalisierung wäre eine Rettung aus der jetzigen Situation dieser graduellen, ja, Delegitimierung der Demokratie. Klar, diese These, je spannender, je offener, desto tendenziell höher, da die Spannung in dieser Wahl ist und je kontroverser das zugeht, desto größer ist die Wahlbeteiligung. Aber all das, die genannten Beispiele ändern ja nichts daran, dass wir diesen Trend haben über die letzten 30 Jahre. Ja, da hat es immer wieder Wahlen gegeben, in denen es sehr spannend war und in denen es eine Kontroverse gab und wo so etwas wie eine Wechselstimmung da war und so weiter und so weiter, aber über die längere Zeit mit diesen Glättungen hat es

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nichts daran geändert, dass es zurückgeht. Also auch da sollte man, glaube ich, vorsichtiger sein in der Erwartung, dass es einfach nur eine Frage ist, dass Sie mehr aufeinander losgehen und dann klappt das mit der höheren Wahlbeteiligung. Vorsitzende: Ja, vielen Dank für diese Einschätzung. Frau Prien mit der nächsten Frage. Abg. Karin Prien: Das hatte mir so gut gefallen mit der stärkeren Kontroverse, aber gut, dann klappt das ja vielleicht auch nicht. Ich würde gerne noch einmal auf einen anderen Hinweis von Ihnen, Herr Brandt, noch einmal zurückkommen. Sie haben ja uns sozusagen ins Stammbuch geschrieben, ihr müsst euch einfach nur mehr kümmern in den sozial schwachen oder sozial benachteiligten Stadtteilen. Also Sie haben nicht einmal gesagt, ihr müsst eine andere Politik machen, sondern ihr müsst euch mehr kümmern und dann wird das schon. Wenn ich diesen Vorschlag jetzt einmal näher betrachte, dann führt der ja letztlich auch dazu, dass dem einzelnen Abgeordneten, und das ist ja auch jetzt schon die Tendenz, durch das Wahlrecht immer mehr abverlangt wird, im eigenen Wahlkreis, also soweit er im Wahlkreis Abgeordneter ist, im eigenen Wahlkreis sich extrem zu kümmern und damit auch sehr viel Zeit damit zu verbringen. Ich will jetzt das Sonderproblem Teilzeitparlament, was wir ja zusätzlich noch haben, was das ja noch erschwert, und das geht natürlich zwangsläufig zulasten der Qualität der parlamentarischen Arbeit, weil, wenn man einmal davon ausgeht, dass ein Mensch nur ein Zeitkontingent zur Verfügung hat, dann kann das eben im Endergebnis immer nur für … kann es eben nur einmal aufwenden. Also wenn diese These richtig ist, unterstellt, und das, vielleicht könnten Sie, Herr Linden, und vielleicht Sie, Herr Moehl und Herr Schröder, auch noch einmal etwas dazu sagen, hätte das Auswirkungen, weitere Auswirkungen auf die Qualität der parlamentarischen Entscheidungen und der parlamentarischen Arbeit oder ist das überhaupt mit dem Anspruch an die Funktionsfähigkeit des Parlamentes und dann auch speziell noch in Hamburg als Teilzeitparlament vereinbar? Vorsitzende/Abg. Carola Veit: Vielen Dank für diese Frage, Frau Prien. Und ich würde da direkt vielleicht auch noch einmal anknüpfen auch, Herr Brandt, Sie hatten vorhin auch ganz zu Beginn gesagt, das Wahlrecht hat ja immerhin dazu geführt, dass die Stadtteile jetzt besser vertreten seien in der Bürgerschaft, also dass die Parteien eben gezwungen seien, Kandidaten aus allen Stadtteilen aufzustellen. Was ich jedenfalls für meine Partei so nicht nachvollziehen kann, also dass sich das geändert hätte im Vergleich zu früher, so, aber vielleicht, ich schaue einmal in die zweite Reihe, vielleicht hat ja da tatsächlich das Statistikamt oder das Landeswahlamt jetzt nicht direkt, aber eine Möglichkeit, uns da einmal einen Überblick zu verschaffen, ob sich da wirklich etwas geändert hätte, also sozusagen, sind die früher alle aus Blankenese gekommen und kommen jetzt auch aus Billstedt? So, das war ja so ein bisschen Ihr Ansatz, das hätte sicher geändert, und demzufolge müsste ja auch schon die Wahlbeteiligung dann gestiegen sein eigentlich oder ist das eher nur eine Vermutung und bezieht sich vielleicht eher auf kleinere Parteien auch? Gibt es noch weitere Fragen sozusagen zu diesem ersten Komplex? Bitte, Herr Schmitt. Abg. Frank Schmitt: Mich würde dann noch ergänzend dazu interessieren, von Herrn Linden, Sie sagten ja, 17 Wahlkreise schienen Ihnen für Hamburg etwas zu viel, also grad vor dem Hintergrund auch der Frage von der Kollegin Prien. Was hielten Sie denn für angemessen? Wie weit ist darin auch berücksichtigt das Prinzip der Einheitsgemeinde, dass hier die Abgeordneten natürlich auch mit Themen beschäftigt sind, mit denen in Flächenländen eher auch dann auch einmal Gemeinderäte, Stadträte, Kreisräte mit beschäftigt sind, was sich ja dann auf weniger Abgeordnete kumuliert. Vorsitzende: Ja, vielen Dank. Bitte, Herr Schröder.

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Herr Dr. Schröder: Also zu dem Wort „Kümmerer“ und zu der Erwartung vielleicht auch, dass es mehr Kümmerer geben müsste, um in irgendeiner Form eine größere Integration der Bevölkerung, der Wähler oder Would-be-Wähler sozusagen ins politische Leben zu bewirken. Also, ich bin da aus zwei Gründen sehr skeptisch. Zum einen ist es natürlich, und das muss man Ihnen wohl zugestehen als Abgeordneter, jetzt nicht notwendiger… also Ihre Aufgabe ist die Gesetzgebung und die Kontrolle der Regierung primär und jetzt vielleicht nicht so ganz stark … und damit, dadurch vertreten Sie das gesamte Volk. Und insofern ist es dann natürlich nur zweitrangig eigentlich, denke ich, dann nun einen Wahlkreis oder eine Personengruppe im Sinne von, ich kümmere mich jetzt ganz spezifisch und primär, um die zu vertreten. Und insofern steht, und das ist der zweite Punkt und den finde ich vielleicht noch problematischer, das Wort „kümmern“ zumindest aus meiner Sicht als Politikwissenschaftler doch so ein bisschen auch im Zusammenhang mit einem anderen Wort und das nennt sich „Klientel“ und „Klientelpolitik“. Ja, also klar, wenn man den Anreiz schafft, dass man sich einer Personengruppe besonders verdienstvoll erweist, und zwar einer wahrscheinlich ja auch nicht sehr großen, so, wie das jetzige Wahlrecht ja ist, also wo Sie nicht sehr viele Stimmen brauchen, um ein Mandat zu kriegen, dann ist natürlich eine gewisse Anfälligkeit für so Gefälligkeiten da, das muss man schon, denke ich, da mit einkalkulieren. Und also insofern gilt sozusagen die Rolle des Politikers als Kümmerer eben, soweit sie dann halt auch mit irgendwelcher Klientel einhergeht, kennt man ja dann doch eher aus Gesellschaften, wo der sozusagen Demokratisierungsgrad ja vielleicht nicht ganz so hoch ist und wo dann oftmals noch dann Beziehungen, die jetzt mehr traditionell sind, auch bestehen. Und ich denke, das ist nicht unbedingt eine Art von Gesellschaft, in die man jetzt notwendigerweise zurück muss. Insofern, wie gesagt, ob das überhaupt erstrebenswert ist, dass es diesen Kümmerer so in der Form gibt, wie er vielleicht vor hundert Jahren einmal war, da würde ich jetzt meine Zweifel ehrlich gesagt haben. Vorsitzende: Vielen Dank. Herr Dr. Linden. Herr Dr. Linden: Tut mir leid, Sie haben einen Nebensatz von mir rausgegriffen mit den 17 Wahlkreisen, das ist ein oberflächliches Urteil, das ist eigentlich überhaupt nicht fundiert. Das erscheint mir oberflächlich halt zu viel zu sein. Meine Kernaussage bezog sich auf das Wahlrecht, wie können sie das vermeiden. Und da bin ich für Komplexitätsreduktion, halt Listenwahl und eine absolute Mehrheitswahl in Wahlkreisen, ob das jetzt 15 oder 17 sind. Also das war der Nebensatz und der ist nicht so fundiert von mir wie vielleicht das erste Urteil, aber da sind ja andere vielleicht andere Ansichten. Und zum Thema Wahlkreisarbeit versus parlamentarische Arbeit, liegt am Teilzeitparlament natürlich. Auch dazu kann ich so viel nicht sagen, finde ich etwas, von außen betrachtet, jetzt etwas absurd, dass das hier ein Teilzeitparlament ist, während Bremen ein Vollzeitparlament hat. (Zwischenruf: Nein, die haben auch ein Teilzeitparlament.) – Die haben auch Teilzeit? Entschuldigung, Entschuldigung! Teilzeit und keine neuen Ledersessel, da bin ich aber richtig. Okay, also ich finde es etwas absurd, dass es ein Teilzeitparlament ist. Die Kernfrage „Kümmerer“ im Wahlkreis, die würde ich darauf zuspitzen, versus parlamentarische Arbeit. Erstens, die parlamentarische Arbeit wird tendenziell entwertet dadurch, dass man die Listenwahl entwertet und deshalb den Parlamentarier entwertet im Vergleich zu verschiedenen Leuten, die in Wahlkreisen reingewählt werden. Und dann kommen wir zu diesem Problem, was Sie angesprochen haben, Herr Moehl, ich in meinem Eingangsstatement, das ist der Klientelismus. Also wenn Sie nicht eine Person haben pro Wahlkreis, sondern Sie haben drei, es sind, glaube ich, drei bis fünf? Ist richtig, drei bis fünf

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Personen, dann muss jede Person ihre Klientel stützen. Und das führt zu Patronagebeziehungen im Wahlkreis auf lange Sicht. Und das wäre für mich ein Kritikpunkt, das meinte ich in meinem Eingangsstatement mit Klientelismus. Sie stärken dadurch halt recht geschlossene Gruppen. Was Sie schwächen, ist, dass Parteien gruppenübergreifend Unterstützergruppen konfigurieren. Also es ist ja nicht so, dass soziale Milieus einfach so da sind. Soziale Milieus oder politische Milieus werden ja durch Parteien konfiguriert. Ein Protestmilieu, wie es die die AfD dann in einigen Ländern erfolgreich mobilisiert hat, war ja so als politisches Milieu noch nicht da, bevor es diesen Repräsentanten gab. Und genauso war die SPD im 19. Jahrhundert verantwortlich für die Entstehung der Arbeiterbewegung, die es ja als geschlossene Bewegung vorher nicht gab, oder die CDU als überkonfessionelle Kraft nach 1945. Und diese konfigurierende Funktion politischer Repräsentation, das heißt, dass Parteien gruppenübergreifend, gruppenkonfigurierend, Unterstützergruppen konfigurieren, die sich durch überlappende Mitgliedschaften auszeichnen, der wird durch diesen Klientelismus und durch dieses Wahlrecht unterlaufen. Das wäre ein Kritikpunkt. Vorsitzende: Herr Dr. Brandt. Herr Dr. Brandt: Ja, wir beklagen doch alle, dass die sozial schwachen Stadtteile unterrepräsentiert sind. Und das ist, die sozial Schwachen sind ein Klientel. Und die wollen auch Vertretungen haben. Natürlich, Parteipolitik ist in weitem Maße Klientelpolitik, das ist Fakt. Das kann man stärken oder schwächen, das ist einfach so. Wir haben eine Parteiendemokratie und wenn ich mir Interessenwahrnehmung annehme, die ja über Parteien läuft, und natürlich müssen Interessen wahrgenommen werden von Leuten und auch von Parteien, was wollen Sie sonst wahrnehmen? Es werden immer Interessen wahrgenommen. Und wir sind, wir schweben nicht, die Volksvertretung, die gewählte Volksvertretung, schwebt ja nicht interessenlos, nur dem Gemeinwohl verpflichtet oder was es dafür hält, über dem Volk dann. Es ist Interessenwahrnehmung, was die Volksvertreter machen, deswegen werden sie gewählt, zur Interessenwahrnehmung. Und was wir beklagen ist, dass die sozial Schwachen keine ausreichende Interessenwahrnehmung haben. Das ist die ganze Kritik auch am Wahlrecht. Und das können Sie nur ändern, wenn Sie für dieses Klientel, sozial Schwache, wenn Sie dort eine bessere Vertretung haben, die sich stärker engagieren, dann werden die auch stärker gewählt. Also ich habe, ich bin ja vielleicht der Älteste hier in der Runde, ja, und ich habe immer erlebt in den Gemeindevertretungen und auch in der Landespolitik, dass die Leute, die sich gekümmert haben, die sich eingesetzt haben, nicht nur für eine Klientel, einfach auch Probleme gelöst haben. Es kommt in Zukunft immer mehr darauf an, dass Probleme auch vor Ort gelöst werden. Problemlöser werden in der Politik sehr viel stärker gebraucht und auch sehr viel stärker gewählt. Es geht nicht mehr um ideologische Grabenkämpfe zwischen den Parteien, das gehört der Vergangenheit an. Das hat zwar eine große Bedeutung gehabt, aber es gibt diese Leute, die Interessen wahrnehmen und Probleme lösen und die werden auch stärker gewählt, weil man sie in den Vordergrund schiebt. Vorsitzende/Abg. Carola Veit: Ja, vielen Dank für diese Hinweise. Nur ein Gedanke an Sie, Herr Dr. Linden, die Idee, warum sind wir eigentlich Teilzeitparlament, also, man muss natürlich bedenken, wir hätten nicht mehr Zeit, wenn wir ein Vollzeitparlament wären, weil, dann wären wir nicht einmal mehr die Hälfte, wenn man das einigermaßen kostenneutral hinbekommen würde. Wir wären eigentlich nur noch ein Drittel sozusagen der Abgeordneten, die wir jetzt haben. Das wäre ja nicht zu vermitteln, weiterhin mit 121 Abgeordneten und dann in Vollzeit unterwegs zu sein. Deswegen ist diese Rechnung, man hätte mehr Zeit, so ein bisschen mit Vorsicht zu betrachten. Abgesehen davon, dass es mit dem gängigen volksgegebenen und -gewollten Wahlrecht ja auch nicht so recht vereinbar wäre. Aber jetzt hat Frau Schneider das Wort und dann Herr Steinbiss.

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Abg. Christiane Schneider: Also ich habe jetzt gar keine Frage, ich wollte Ihnen widersprechen, Dr. Schröder und, glaube ich, Herr Dr. Linden. Mir gefällt der Begriff Klientel überhaupt nicht, weil das irgendwie so vorspiegelt, man würde jetzt irgendjemandem einen Gefallen erweisen und deswegen sollte er einen wählen. Aber wir haben doch das Problem und da hatte Herr Brandt auch gerade darauf hingewiesen, dass die soziale Spaltung ja dazu führt, dass keine kleine Menge von Leuten abgehängt sind oder zumindest sich abgehängt fühlen, das heißt, sich überhaupt nicht mehr wiederfinden in der Politik und auch sozusagen überhaupt keine Ansprechpartner da haben. Und deswegen finde ich also, ich bin mit dem Wahlrecht ein bisschen hin- und hergerissen. Ich tendiere zu dem heutigen, also zu dem Wahlrecht, was gilt, das habe ich auch sozusagen die ganze Zeit getan. Aber die Leute brauchen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner. Und die brauchen den Eindruck und nicht nur den Eindruck, sondern auch die Realität, dass sie in ihren Problemen ernst genommen werden. Und das wird, finde ich, durch das Wahlrecht eigentlich idealtypisch gefördert. Ich sehe die Probleme auch, also ich sehe das echt auch. Ich bin Wahlkreisabgeordnete, mache aber eigentlich lieber Hamburg Politik, also um es einmal deutlich zu sagen … (Zwischenruf: … lieber …) – Nein, nein, aber ich … ergibt sich einfach so, sage ich einmal. Ergibt sich einfach so. Aber die Probleme, finde ich, darf man echt nicht kleinreden. Die Leute wählen nicht, weil sie sich überhaupt nichts davon erwarten. Und wenn sie aber jemanden in Person haben, von dem sie sich etwas erwarten können, nämlich dass er sie wenigstens ernst nimmt und dass er das Thema, die Probleme einmal thematisiert, ja, also, insofern wollte ich nur Widerspruch anmelden. Vorsitzende: Herr Steinbiß. Abg. Olaf Steinbiß: Danke sehr. Ja, Herr Brandt sagte ja eben auch gerade, dass ihm die sozial Schwachen sehr am Herzen liegen, so habe ich das verstanden. Gleichzeitig haben wir aber ja nun doch von allen gehört, dass das Wahlsystem, wie wir es haben, gerade eine Auswirkung auf die soziale Spaltung noch einmal zusätzlich in Hamburg hat. So habe ich es zumindest … sonst widersprechen Sie mir gerne schon an der Stelle. Aber anschließend meine Frage, Heilungsmöglichkeiten, hatten wir schon einmal kurz angerissen, wo da aus Ihrer Sicht so die Grenze ist. Das gibt es ja auch in verschiedenen anderen Bundesländern, Heilungsmöglichkeiten. Sie hatten das, Herr Dr. Linden, angesprochen, einfach so ein Satz rüber, das reicht wohl höchstwahrscheinlich nicht mehr, so eine Stimmabgabe wäre wohl auf jeden Fall ungültig, aber wo aus Ihrer Sicht da die Grenze ist, die verfassungsrechtliche Grenze, dass man Stimmen noch zählen kann. Vorsitzende: Herr Zicht. Herr Zicht: Na, die Grenze ist da überschritten, wo man eine Stimmabgabe umdeutet, wo man ihr einen Bedeutungsinhalt zuschreibt, den sie nicht hat. Man darf quasi aus einer ungültigen Stimmabgabe den gültigen Teil extrahieren, indem man es einfach reduziert. Also wenn jemand fünfmal Gesamtliste und fünfmal eine Person ankreuzt, dann kann man eben nicht eindeutig sagen, sie wollte jetzt fünfmal die Gesamtliste lieber oder fünfmal die Person lieber, aber man kann sagen, wenn die … alle zehn Stimmen für eine Partei waren, kann man zumindest sagen, okay, dieser Wähler wollte die Partei X wählen und dann darf man fünf Stimmen für diese Partei werten. Weil, Sie sagten, dass mehr oder weniger einhellig gesagt wurde, dass das Wahlrecht einen Effekt auf die soziale Spaltung in Bezug auf die Wahlbeteiligung hat, möchte ich dem doch noch einmal widersprechen, also in Bezug auf die ungültigen Stimmen gilt das und dort ist ja auch eine soziale Schere festzustellen, aber der Effekt auf die Wahlbeteiligung hoch oder

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runter oder soziale Spaltung ist nicht nachgewiesen meines Erachtens. Und wir haben vorhin ja einmal eine Grafik zur Europawahl gesehen, bei der Europawahl 2014 war die soziale Spaltung hinsichtlich der Wahlbeteiligung hier in Hamburg höher als bei der Bürgerschaftswahl in diesem Jahr. Warum? Weil die Wahlbeteiligung noch niedriger war. Es ist einfach so, dass, je niedriger die Wahlbeteiligung, und zwar unabhängig vom Wahlsystem, desto weiter geht die soziale Schere auseinander. Und weil eben bei der Europawahl noch weniger Leute hingehen, aber eben aus anderen Gründen als dem Wahlrecht, ist dann dort auch die soziale Schere weiter auseinander und deswegen ist bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg das Problem noch größer als bei der Bundestagswahl in Hamburg, weil eben bei der Bundestagswahl die Wahlbeteiligung generell noch ein Stück weit höherer ist als eben bei Landtagswahlen. Vorsitzende: Vielen Dank. Herr Professor Kruse hat auch noch eine Ergänzung. Wir kommen so ein bisschen zum Schluss dieses ersten Komplexes, glaube ich, also den haben wir jetzt so langsam … (Zwischenruf: Wir sind eigentlich schon beim Zweiten, so übergangsweise.) – Hätte ich jetzt nicht so bewertet, aber wenn Sie das alle so sehen, dann sind wir meinetwegen auch schon im zweiten Komplex. Ich schaue so ein bisschen auf die Uhr, dass wir jetzt einen kleinen Abschluss einmal finden, dann vielleicht noch einmal die Beine vertreten, eine Viertelstunde, und dann sehen, dass wir den zweiten Teil sozusagen zügig auch nach Themen sortiert. Herr Professor Kruse, wenn Sie noch eine ergänzende Frage haben, dann nehmen wir die jetzt noch dazwischen und dann … Abg. Dr. Jörn Kruse: Kann ich genauso gut in der nächsten Runde stellen. Vorsitzende: Na ja, ich würde dann jetzt sagen, dass wir vielleicht einmal noch einmal eine Runde machen und dann unterbrechen, deswegen machen Sie ruhig. Abg. Dr. Jörn Kruse: Also, meine Frage knüpft an dem an, was Herr Brandt da als ersten Satz gesagt hat, nämlich dass er gesagt hat, das sei nicht viel besser, wenn wir Personen wählen als Parteien. Nun ist das nach meiner Auffassung so, dass es gut ist, dass wir hier im Wesentlichen ein Verhältniswahlsystem haben, also jedenfalls, was die Zusammensetzung des Parlaments betrifft. Und den ganzen Aufwand, den wir treiben, ist eigentlich nur, jetzt innerhalb der Abgeordneten der SPD und der AfD zu bestimmen, welche Personen jetzt da konkret reinkommen. Und ich würde eigentlich ganz gerne Herrn Brandt recht geben, dass man dem Bürger viel Möglichkeit geben sollte, die Personen zu bestimmen, wenn, und das ist jetzt die entscheidende Bedingung, man davon ausgehen könnte, dass die Wähler die Personen kennen. Und meine Vermutung ist, dass die allermeisten Wähler überhaupt nicht wissen, wen sie vor sich haben. Die politische Klasse, und wir alle hier gehören irgendwie dazu, ja, wir kennen die Personen und wissen, was wir von denen zu halten haben, aber die meisten Bürger, insbesondere diejenigen, die nicht besonders politisch interessiert sind, die wissen vermutlich bei einem bestimmten Kandidaten, dass er zur SPD gehört, und wenn er die SPD schätzt, dann wählt er den auch, aber er kann nicht zwischen verschiedenen SPDKandidaten unterscheiden, weil er die nicht kennt. Und das gilt auch für andere Kandidaten. Und ich glaube, dass wir inzwischen ein Wahlrecht haben, was diesen Aspekt völlig überbetont. Die meisten Leute wählen praktisch wie eine Lotterie, wenn sie Personen wählen, weil der Informationsstand zu gering ist. Das gilt sowohl für die Wahlkreise als auch für die Personenstimmen. Die meisten Leute, glaube ich, wissen gar nicht, was sie tun, wenn sie Personen ankreuzen, weil sie die Leute nicht kennen, die allermeisten Bürger. Ich rede nicht von denen, die gut informiert sind, aber das sind ja auch nicht die, die sich der Stimme enthalten. Und deshalb würde ich einmal fragen, erstens Herrn Brandt, aber vielleicht auch darüber hinausgehend, was man denn tun könnte, oder erst einmal, ob Sie mir zustimmen

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oder nicht, es kann ja sein, dass Sie sagen, das ist alles Quatsch, was der Kruse erzählt, aber wenn das stimmen sollte, was man denn tun könnte, um dieses Problem der mangelnden Informationen über die Wahlalternativen zu verbessern. Vorsitzende: Herr Moehl hatte sich, glaube ich, gemeldet und dann Herr Brandt oder lieber andersrum? Herr Moehl: Ja, es war angesprochen worden die Frage Wahlbeteiligung und soziale Spaltung. Ich glaube, das kann ja auch nur ein Missverständnis gewesen sein, Wilko. Ich glaube, wir sind uns da einig, dass die schon in den sozial bessergestellten Stadtteilen immer tendenziell höher ist, die Beteiligung. Ich glaube, du meintest irgendwie den Effekt, die Änderung sozusagen, … (Herr Zicht: Ja, ja.) … die da eintritt. Aber ganz grundsätzlich zieht sich das immer so durch, dass man dort die soziale Komponente dort wieder abgebildet sieht in der Wahlbeteiligung. Die Heilungsmöglichkeiten, ich glaube, man kann schon so weit gehen, wie verschiedene Kommunalwahlgesetze das tun, da ist ja Niedersachsen angesprochen worden und wir hatten eben uns das Beispiel Hessen angeschaut, dass man eben sagt, die Personenentscheidung hat die Präferenz, das wird als Erstes ausgewertet, das, was dann an Parteiinformation noch dazukommt, wird nur noch insofern gewertet, wie dort quasi noch Kreuze frei sind, und ansonsten fallen die weg. Ich denke, das wäre eine Überlegung wert, das auch in Hamburg so zu machen. Das würde dann eben auch Stimmzettel einschließen, die beispielsweise zwei SPD-Kandidaten und zwei CDU-Kandidaten und einen GRÜNEN angekreuzt haben. Wenn dann da noch überschüssige Parteikreuze irgendwo sind, könnte man die eben auch wegfallen lassen, so wird es zumindest in Hessen gemacht. Dann zu Herrn Professor Kruse, Sie hatten einen sehr interessanten Aspekt angesprochen gerade mit dem Thema, wie sind eigentlich die Kriterien für die Entscheidung. Wir hatten ja versucht, diese Komponente Stadtteilzugehörigkeiten einmal abzubilden. Also offensichtlich gehen sehr viele Wählerinnen und Wähler eben danach, nach dem Wohnort der Abgeordneten. Vielleicht, weil sie persönlich bekannt sind von Infoständen auf dem Markt, vielleicht aber auch nur, weil eben der eigene Stadtteil dort auf dem Zettel steht. Das wäre dann eine Möglichkeit, das herauszufinden, indem man bei der nächsten Wahl einfach einmal diese Informationen gar nicht dazuschreibt. Das andere Kriterium ist sicherlich die Parteizugehörigkeit. Auch da spreche ich dann wieder aus der Erfahrung von election.de, wir machen ja auch Prognosen für Wahlkreiskandidaten, Landtagswahlen und Bundestagswahlen. Es ist eigentlich immer so, dass Trends relativ durchgängig sind, das heißt, ein Kandidat leidet mit seiner Partei mit, wenn es abwärts geht. Er oder sie kann sich aber auch freuen, wenn es aufwärts geht. Also es gibt sehr viele Bundestagsabgeordnete, die sicherlich dort sitzen wegen der jeweiligen Spitzenkandidaten und der jeweiligen gesamtpolitischen Gemengelage zum Zeitpunkt der Wahl und weniger wegen des persönlichen Engagements, der Bekanntheit oder wie auch immer man dort ein Urteil eines Wählers auf lokaler Ebene dort ausdrücken möchte. Insofern denke ich, dass wir diesen Aspekt auch sehr schön eigentlich wiedergefunden haben in den Ergebnissen der Bürgerschaftswahl 2015. Die Kandidaten, die persönlich bekannt waren, auf Landesebene, die haben eben die vielen Personenstimmen bekommen. Jetzt haben wir schon verschieden darüber diskutiert, wie das zu werten ist. Ich würde da denjenigen, die sagen, das sind im Prinzip auch Parteistimmen, auch Recht geben, weil das durchaus ja geläufig ist, dass eine Stimme für Herrn Scholz eben auch eine SPD-Stimme ist, eine Stimme für Herrn Wersich auch eine CDU-Stimme ist. Insofern ist daran erst einmal grundsätzlich nichts verkehrt. Trotzdem bleibt natürlich die Frage, wie können wir denn tatsächlich die Wähler dazu bringen, Informationen über die lokalen Kandidaten in

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ausreichender Anzahl zu haben. Und ich muss sagen, da habe ich jetzt überhaupt nicht so viele Möglichkeiten gehört. Ich selber kann da auch nicht allzu viel beitragen, aber das Problem bleibt an der Stelle sicherlich bestehen. Vielen Dank. Vorsitzende: Vielen Dank. Herr Brandt und dann Herr Dr. Linden. Herr Dr. Brandt: Ja, wir kennen nicht unsere Kandidaten. Das ist völlig richtig. Nach dem Status quo vor 2004 waren auch nicht bekannt die Bürgerschaftsabgeordneten, nur die Spitzenkandidaten, die Fraktionsvorsitzenden. Das ist ein Status quo, von dem man ausgeht, und der Bekanntheitsgrad wird zunehmen in den Wahlkreisen bei den einzelnen Abgeordneten oder auch bei denen, die zukünftig kandidieren. Den Bekanntheitsgrad kann man natürlich erweitern, wenn man eine Infobroschüre verteilt, wo die Kandidaten sich vorstellen können. Wir haben da damals von abgesehen, das mit ins Wahlgesetz zu schreiben, und haben gesagt, wir gucken uns erst einmal an, wie sich das entwickelt. Das kann dann später noch einmal gemacht werden. Ich kann nur dringend empfehlen, das auch zu machen. Das würde auch viele Diskussionen in den Parteien, die rund um die Fairnessabkommen gehen, entzerren. Also das ist eigentlich der wichtigste Beitrag, der zunächst geleistet werden könnte, um die Bekanntheit zu fördern. Der Abgeordnetenwatch ist ja aus dieser Idee oder aus dieser Frage entstanden, wie lernen wir eigentlich unsere Kandidaten mehr kennen. Es wird nicht so stark genutzt, dass das ausreichend ist, um den Bekanntheitsgrad der Kandidaten insbesondere zu fördern. Das kann man sicherlich auch noch verbessern. Aber das sind so die wichtigsten Schritte. Man muss es natürlich auch dann wollen, dass die Kandidaten die …, auch sich vorstellen können und dass sie bekannt gemacht werden. Nicht, das hängt da sehr stark dann auch am Willen der Parteien, das zu tun. Darauf hatten wir eigentlich gehofft, deswegen hatten wir das im Vorheft nicht ins Wahlgesetz geschrieben, nach der heutigen Erfahrung hätten wir das ganz sicher gemacht. Ich bringe immer gern das Beispiel München. In München ist es eine Liste mit 80 Leuten, 80 Abgeordnete werden gewählt. Es werden, ich weiß nicht, wie viele Kandidaten, 300, 400 Kandidaten stehen da zur Auswahl. Das System ist etabliert und diese Diskussion, wenn ich da Münchnern von erzähle, die verstehen die Welt nicht. Das ist viel komplexer. (Zwischenruf: Meine ich auch.) Die Liste ist viel größer und die Auseinandersetzung darüber, die Gespräche in den Familien, wer ist der richtige Kandidat und wen können wir wählen, die sind intensiv und das muss natürlich wachsen. So ein Wahlrecht, um sich zu etablieren, das braucht drei, vier Wahlperioden, dann sieht die Welt so ein bisschen aus, wenn wir anfangen, nach jeder Wahlperiode jetzt neu zu überlegen, was läuft falsch oder was läuft nicht so gut, haben wir auch ein Akzeptanzproblem, negatives Akzeptanzproblem, was wir der Bevölkerung vermitteln. Ja, vielleicht noch ein Punkt. Sie hatten ja gefragt, Frau Veit, dass die Abgeordneten früher – der SPD – nicht in den bevorzugten Stadtteilen gewohnt haben. Wir haben ja beim Wahlrecht damit eine Kampagne damals gemacht und haben oft plakatiert, wo wohnen die Abgeordneten. Ich habe die Zahlen jetzt nicht gefunden, aber dass wir sicherlich verdienstvoll jetzt einmal auch über das Statistische Landesamt … Man kann das dann noch einmal ermitteln, wo haben früher die Abgeordneten gewohnt und wo wohnen sie heute. Das lässt sich ja ermitteln, und dann hätten wir eine substanzielle Aussage, amtlich abgesegnet, dass das so ist oder nicht so ist. Vorsitzende/Abg. Carola Veit: Ich darf einmal kurz vielleicht einwerfen, dass der Aspekt eben, Infoheft, der jetzt hier so ein bisschen auch öfter aufgerufen wurde, ja der Aussage von einigen von Ihnen widerspricht, Wahlmotivation geschieht nur durch Wettbewerb. Denn so eine Information … es wäre ja etwas Parteiübergreifendes, das wäre etwas vom Landeswahlamt. Das wäre ein offizielles Heft, wo dann vorne auch ordentlich drinsteht, geht ‘mal wählen, und jetzt kommen alle Kandidaten‘. Also, wäre das wirklich etwas Hilfreiches,

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wenn eigentlich hier ganz viel gesagt wird, Motivation kommt auch durch Wettbewerb? Würde das wirklich zum Bekanntmachen beitragen? Oder finden wir es in den Stadtteilen, über die wir reden dann da unten in den Altpapierablagen bei den Wochenblättern? Herr Linden, Frau Tillmann, Herr Schröder. Herr Dr. Linden: Also, ich würde vor einem Infoheft warnen. Das ist eine staatliche Unterlage, die als Information zur Wahl dazugegeben wird. Da werden Sie Einsprüche haben ohne Ende. Jetzt haben Sie das Problem mit einem Abgeordneten, wo der Wohnsitz anscheinend nicht richtig klar ist. In einem Infoheft stehen so viele Informationen drin. Dann steht dann zum Beispiel Dr. Guttenberg, und zwei Wochen später ist er kein Doktor mehr. Und dann können Sie Ihr Infoheft in die Tonne kloppen. Sehen Sie, in Köln schafft man es, keinen Wahlzettel verfassungsgemäß herzustellen. Jetzt haben Sie ein Wahlbuch anscheinend mit so vielen Kandidaten. Und dann noch ein riesen Infoheft dazu, das führt nicht zu Komplexitätsreduktion, sondern zu mehr Komplexität und zu mehr Problemen vor der Wahl. Weil, diese Informationen müssen standardisiert werden, und dann müssen alle Informationen richtig abgegeben werden. Wenn im Wahlkreis einer eine falsche Information abgibt, ist diese Wahl ungültig in diesem Wahlkreis und vielleicht auch auf Listenebene. Also, ich glaube, damit handelt man sich sehr viele Probleme ein. Und der entscheidende Punkt ist, es gibt eine staatliche Parteienfinanzierung, das heißt, für die Bewerbung der Kandidaten sind die Parteien verantwortlich, nicht der Staat. Vorsitzende: Vielen Dank. Frau Tillmann und dann Herr Schröder und dann Herr Zicht. Frau Tillmann: Auch eine ganz kurze Antwort. Also, wenn es so etwas gäbe, dann kommt es darauf an, was der Nichtwähler damit tut, weil, den Nichtwähler gibt es eben nicht. Es gibt, ich weiß nicht, wie viele unterschiedliche, aber wenn wir uns die Milieus angucken, so gibt es dort schon ganz viele unterschiedliche Arten an Nichtwählern, die bestimmt durch unterschiedliche Hebel motiviert werden könnten. Und ich glaube, eine Vielfalt an Möglichkeiten ist da hilfreich. Ich wollte auch noch einmal auf ein Beispiel aus der Schweiz verweisen, die mit smartvote den Wahl-O-Mat praktisch auf Kandidaten umgekehrt haben, wo es dann nicht mehr um eine pauschale Vorstellung geht, wer bin ich und wie viele Kinder habe ich und … Richtung amerikanisierter Wahlkampf, sondern eher um positionsbasierten Wahlkampf. Wie das dann mit Parteipositionen sich verhält, ist eine ganz andere Frage. Aber es ist natürlich das, was Wählern erst einmal näherliegt, über Probleme zu kommen, und was würdest du mir denn helfen? Vorsitzende: Vielen Dank. Herr Schröder. Herr Dr. Schröder: Also, bei einem Infoheft, glaube ich, wäre ja eigentlich schon die Frage, was für Informationen das überhaupt sein sollen, die da reinkommen, die relevant sind, und was sollen die Relevanzkriterien sein. Ist das Alter … Ich meine, der Ort, schon der Wohnort … (Zwischenruf) Ja, aber solche Dinge würden ja wahrscheinlich da stehen. Auch der Wohnort, letzten Endes ist das … Wenn Sie in der Hamburgischen Bürgerschaft sitzen, sind Sie für ganz Hamburg zuständig und nicht nur für den Ort, wo Sie herkommen. Die Anzahl der Kinder, ich meine, das sagt nichts darüber aus, wie Sie Ihre Kinder erziehen. Möglicherweise gibt es da gar keinen Zusammenhang zwischen der Kinderanzahl und den sozialen Qualitäten. Und die Frage wäre, welche Informationen würden Sie da reinschreiben, wie würden die wahrgenommen werden. Sie können ja auch keinen Psychologen danebensetzen, der dann den Leuten immer alles noch erklärt. Also, ich glaube, letzten Endes würde man sich da

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womöglich sogar noch dem Vorwurf aussetzen, man würde so eine Art Pseudokampagne machen, wo irgendwie schön bunte Broschüren gedruckt werden mit vielen Seiten, die letzten Endes dann, glaube ich, direkt – gerade, weil es ja viele Seiten werden – in der Mülltonne landen. Die Probleme, die rechtlicher Art sich da bieten, hat Herr Linden schon genannt. Also, Sie kommen, denke ich, nicht drum herum… Die Anforderung an den Wähler muss schon sein, dass er oder sie sich dann, wenn er eben die Entscheidung treffen will, ich wähle den oder den Kandidaten, sich dann eben selbst informiert, was die Eigenschaften, soweit er das eben kann, dieses Kandidaten sind. Ob das sich lohnt, das steht auf einem anderen Blatt, aber durch eine Infobroschüre wird das … kann ich mir einfach nicht vorstellen, wie dieses Problem gelöst werden sollte, so qua Amtenprinzip. Herr Zicht: Also, diese Infobroschüre – so, wie ich sie mir vorstelle – soll jetzt kein Service für Nichtwähler sein, der sie zur Wahl treibt. Das wäre, glaube ich, wirklich vermessen. Das soll wirklich der Service für die Wähler sein, die sich ein bisschen ratlos fühlen, wenn sie ihren Wahlkreisstimmzettel und vielleicht auch den Landeslistenstimmzettel vor sich haben, weil sie sich doch gerne mehr über die Kandidaten informieren würden, aber die Informationen, die sie auf dem Stimmzettel vorfinden, dann vielleicht doch ein bisschen zu oberflächlich finden. Und ich würde auch Herrn Linden widersprechen. Dass man sich damit Probleme einhandelt, was die Anfechtbarkeit angeht, ich glaube, das Gegenteil ist eher richtig. Wir haben jetzt ja das Problem, dass nur die Informationen auf dem Stimmzettel den Wählerinnen und Wählern quasi zur Verfügung stehen, wenn man sich nicht über andere Medien noch selber informiert. Und dementsprechendes Gewicht haben diese Informationen, und dann ist halt der Beruf dann plötzlich ganz mitentscheidend für die Wahlchancen. Wenn man dieses Infoheft hätte, könnte man diese Informationen, also sowohl den Stadtteil als auch den Beruf oder das Alter, von dem Stimmzettel, was ja dann ein amtliches Dokument ist, herausnehmen und hätte dann stattdessen eben eine Broschüre, wo natürlich nicht das Statistische Landesamt die Personen vorstellt, sondern wo jedem Kandidaten eine Viertel Seite oder ähnlicher Umfang zur Verfügung steht, um sich selbst vorzustellen. Welche Informationen man dort dann nennt oder nicht nennt, ist dann den Kandidaten überlassen. Und natürlich muss dann klargestellt sein, dass auch für die Angaben, die dort vorhanden sind, auch nur die Kandidaten verantwortlich sind. Das kann man auf einem Stimmzettel schlecht raufschreiben, ob das Alter stimmt oder der Stadtteil stimmt, da fragen Sie noch einmal den Kandidaten. Aber bei einer Infobroschüre kann man, glaube ich, schon klarstellen, dass das jetzt keine amtlichen Informationen sind, sondern lediglich amtlich verbreitete Informationen, die von den Parteien und Bewerbern stammen. Also, ich glaube, die Anfechtbarkeit würde man eher reduzieren, wenn man eben parallel den Stimmzettel von solchen Zusatzinformationen entschlackt. Und vielleicht hat man dann auch ein Stück weit weniger das zumindest teilweise zu beobachtende, relativ oberflächliche Stimmverhalten, dass man eben tatsächlich aufgrund von Angaben auf dem Stimmzettel allein die Personenwahl ausrichtet, sodass über Gebühr diese Informationen dann auch einen Einfluss auf die Zusammensetzung letztlich der Bürgerschaft haben. Vorsitzende: Vielen Dank. Jetzt haben wir Nachfragen von Professor Kruse, von Frau Prien und von Herrn Steinbiß. Abg. Dr. Jörn Kruse: Also, ich hatte ja nach den Informationen gefragt, und zwar gerade bei unterschiedlicher Komplexität des Wahlsystems. Und wenn das Wahlsystem so komplex ist, wie in Hamburg, dann brauchen wir enorm viele Informationen, damit die Stimmabgabe keine Lotterie ist, kein Zufall. So, und da war eine Möglichkeit, man hat ein Informationsheft. Das würde ich weiterhin für gut halten, aber eigentlich war meine Frage noch ein bisschen anders intendiert, denn man kann die Komplexität der Wahlaufgabe eines Wählers ja steuern. Die einfachste Möglichkeit wäre, wir haben überhaupt nur Parteiwahlen. Dann muss man nur eine Partei ankreuzen. Das, glaube ich, kann jeder. Und dann macht jede Partei eine Liste, am besten noch ohne 5-Prozent-Klausel, dann muss man auch nicht mehr rumtricksen, kommen sie rüber oder nicht. Das ist das, was jeder Wähler tun kann. In dem Augenblick, wo man es komplexer macht, wo man noch bestimmte Personen wählen kann,

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ist das Wahlsystem komplexer, die Aufgabe für den Wähler schwieriger. Viele Leute können das dann nicht mehr oder wollen das nicht, weil sie sagen, na ja, ist doch eh egal für mich, ich kreuze in jedem Fall etwas an. Und das ist dann sehr häufig eine Zufallsabstimmung. Ich weiß, dass Ihnen das nicht gefällt, Herr Brandt, aber ich glaube, mit dem Wahlsystem, was wir jetzt in Hamburg haben, stellen wir unheimlich hohe Anforderungen an die Wähler in dem, was sie leisten müssen, bevor sie in die Kabine gehen und in der Kabine. Und ich glaube, wir sollten einmal darüber nachdenken, ob man das nicht für die Bürger ein bisschen einfacher macht, wo man weniger Informationen braucht und auch weniger darüber nachdenken muss, was tue ich eigentlich jetzt mit meiner Stimme. Karin Prien: Ja, ich muss dann jetzt auch noch einmal weiterbohren mit dem Infoheft. Ist das sozusagen die offizielle Verbreitung der Selbstdarstellung der Kandidaten, heißt also auch, dass jeder eine halbe Seite, in der Gestaltung völlig frei …? Das wäre dann eine durch die Stadt, durch den Staat verteilte komprimierte Wahlwerbebroschüre, jetzt einmal davon abgesehen, ob das überhaupt verfassungsrechtlich zulässig wäre, da können wir auch noch einmal drüber nachdenken. Aber das ist das, was Sie wollen? Also, es geht nicht darum … da müssen die Angaben auch nicht wahr sein nämlich, darauf wollte ich jetzt hinaus, sondern da kann ich ja hinschreiben, der Himmel ist Jahrmarkt, da … (Zwischenruf) Ja, aber das ist ja gerade das, was wir hier in Hamburg als durchaus problematisch ansehen, und womit wir uns ja auch beschäftigt haben im Rahmen eines Wahleinspruchs, dass es eben nicht belastbar ist, die Angabe. Obwohl diese Angabe so bedeutend ist, etwa zum Stadtteil, das haben Sie ja alle auch referiert – oder Sie, Herr Moehl, haben es vor allem referiert –, und obwohl die Angabe so bedeutend ist, muss sie eben nicht wahr sein, auch im Moment muss sie ja nicht wahr sein. Und Sie würden das ja noch verstärken, weil Sie da sagen, da kann ich im Prinzip reinschreiben, was ich will. Und wer die beste Agentur hat und das hübscheste Bildchen, der ist dann im Zweifelsfall im Vorteil. Aber ob das dem Anspruch an das Wahlrecht, Herr Brandt, den ich ja durchaus anerkenne, dann gerecht wird, das kann ich, ehrlich gesagt … Glauben Sie, dass das dem entsprechen würde? Ich will ja gar nicht werten im Moment, sondern nur fragen. Vorsitzende: Wir nehmen vielleicht noch die Frage von Herrn Steinbiß dazu. Abg. Olaf Steinbiß: Ja, danke. Ich wollte noch einmal anschließen meine vorherige Frage, Heilungsmöglichkeiten. Da hatten noch nicht alle etwas dazu gesagt. Einfach auch, um diesen Punkt dann irgendwie auch abgeschlossen zu haben. Sieht das irgendjemand von Ihnen negativ, also gar keine Möglichkeit, mit solchen Heilungsvorschriften zu arbeiten? Das würde mich interessieren. Das wäre ja auch ein Ansatz eben, um Stimmen noch zu retten. Sie sagten, es insgesamt einfacher zu machen, aber der Ansatz, die Stimmen, die abgegeben sind, möglichst dann auch zu werten. Ja, wo ist da die Grenze oder sieht das irgendjemand von Ihnen völlig negativ? Vorsitzende: Dann noch Herr Dr. Duwe. Abg. Dr. Kurt Duwe: Ja, wir waren ja bei der Wahlbeteiligung und sind dann durch diese ganze Liste da durchgegangen, und auch einige andere Aspekte haben wir eigentlich schon angesprochen. Deshalb, ich denke ‘mal, dass einiges schon gesagt worden ist. Einmal, bei der Wahlbeteiligung müsste man zwischen 2011 und 2015 einmal gucken. Es wird immer so dramatisiert. So stark gesunken ist die Wahlbeteiligung bei den Bürgerschaftswahlen gar nicht. Das muss man einmal schauen. Warum, kann man nur schätzen, weil, es gibt mindestens hundert verschiedene Möglichkeiten, warum Wahlbeteiligungen mal raufgegangen sind und mal runtergegangen sind. Da kann das Wahlrecht dabei sein, aber das lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Ich habe hier drei Fragen, die auch teilweise mit der Wahlbeteiligung zu tun haben. Einmal hat der Wähler ja die Möglichkeit, diese fünf

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Kreuze bei verschiedenen Parteien zu machen. Sprich, unabhängig einmal von den Persönlichkeiten nicht nur ein Kreuz zu machen, um zu sagen, ich muss mich jetzt entscheiden, bei einer Partei etwas zu machen, sondern er hätte ja auch die Möglichkeit jetzt, drei Kreuze bei der einen Partei zu machen und zwei bei der anderen beziehungsweise bei zwei anderen Parteien. Sehen Sie da irgendwelche Bedenken, das wieder zurückzudrehen oder finden Sie das demokratischer, als eben nur ein Kreuz zu machen? Entweder 100 Prozent und da muss man eben das, was die Partei da aufgestellt hat, eben nehmen oder nicht, sondern zu sagen, ich nehme 60 Prozent von dem und die anderen zwei Kreuze mache ich dann eben bei einer anderen Partei. Das ist nämlich auch ein Aspekt des Wahlrechts, nicht nur die Persönlichkeitsstimmen. Es wurde schon gesagt, die starren Parteilisten waren ja eigentlich der Grund, warum man an dieses Wahlrecht herangegangen ist. Das bedeutete nämlich, dass eine sehr geringe Zahl von Bürgern, nämlich Delegierte meistens in Parteien dann bestimmt haben, wer auf den vorderen Listenplätzen ist. Das ist natürlich auch verfassungsmäßig etwas verbesserungsbedürftig. Und man versuchte also mit diesem Wahlrecht, etwas die innerparteiliche Demokratie zu stärken. Man kann das vielleicht daran erkennen, dass von 121 Abgeordneten, die gewählt worden sind, nur 14 nicht gewählt worden sind, weil sie von der Partei an einer bestimmten Stelle aufgestellt worden sind. Das heißt also, es ist kein Massenproblem – um das einmal in Tüttelchen zu machen –, Massenproblem, dass da 80 Leute jetzt in die Bürgerschaft reingewählt worden sind, die auf Platz 80 bis 120 aufgestellt wurden, sondern eben nur 14, davon drei in den Wahlkreisen und elf bei den Listen. Würden Sie da sagen, dass diese Prozentzahl, dieser Anteil noch demokratisch ist oder müssen wir nicht schon sogar sagen, dass das schon wieder zu viel ist? Ich gehe da einmal auf einen Punkt ein, nämlich die Zählweise Parteistimmen und Persönlichkeitsstimmen. Es ist ja jetzt so, dass in der Reihenfolge erst einmal die Parteistimmen ziehen und dann die Persönlichkeitsstimmen. Da gibt es auch Vorschläge, das umzudrehen. Hört sich sehr gut an. Ich habe das einmal nachgerechnet, dann würden wir nicht mehr 14 Abgeordnete haben, die aus hinteren Reihen kommen, sondern vielleicht nur noch einen einzigen. Und dann stellt sich natürlich die Frage, ob man dann, wenn es höchstens um eine Person geht, die man vorher gar nicht kennt, die dann entgegen den Parteiwünschen ins Parlament gekommen ist, dann diesen Aufwand zu treiben. Sprich: man muss schon eine gewisse Anzahl von Kandidaten haben, die auch durchkommen. Teilen Sie ’mal meine Auffassung. Und das Dritte ist: die Wahlkreise. Das ist so mein Hobby. Wir haben ja Dreierwahlkreise, Viererwahlkreise, Fünferwahlkreise. Das bedeutet zum Beispiel für Einzelkandidaten, dass sie eine größere Chance haben, ins Parlament zu kommen, wenn sie zufälligerweise in einem Fünferwahlkreis wohnen, als in einem Dreierwahlkreis. Erstens. Zweitens, das gilt ja gilt ja nicht nur für die Einzelkandidaten, sondern auch für kleinere Parteien. Ich sag ‘mal, wenn man einen Dreierwahlkreis hat und man kriegt als Partei, sagen wir ’mal, zwischen 5 und 10 Prozent, dann können Sie eigentlich im Grunde genommen die ganze Kampagne im Wahlkreis … können Sie sich schenken, weil das nichts bringt. Und da ist die Frage, brauchen wir eigentlich nur Fünfer-, Vierer- oder Dreierwahlkreise, um die Gerechtigkeit in der Stadt zu gewährleisten. Weil nämlich, ich sag noch einmal dazu, wenn man dem Parlament oder anderen Gremien diese Wahlkreisgrenzen, die Ziehung dieser Wahlkreisgrenzen überlässt, würde natürlich ein Gesetz, was Dreier-, Vierer- oder Fünferwahlkreise zulässt, sagen wir ‘mal so, den Parteiinteressen entgegenstehen können. Wenn man aber sagt, es dürfen nur Viererwahlkreise sein, dann gibt es auch keine ganz großen Möglichkeiten, daran etwas zu drehen. Das sind so die Aspekte, die mir jetzt noch eingefallen sind. Vorsitzende: Ich würde Sie jetzt noch einmal um eine Antwortrunde bitten, mit Ausnahme zu dem letzten, von Herrn Dr. Duwe aufgeworfenen Fragenkomplex. Weil, ich glaube, dann sind wir in einem … Wir könnten dann eine Pause machen und dann ein neues Thema

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Wahlkreise und diese angesprochenen Fragen aufwerfen. Wer mag noch einmal antworten? Herr Dr. Brandt und Herr Zicht. Herr Dr. Brandt: Ja, vielleicht noch einmal zur Broschüre. Es ist ja wie mit dem Wahlprogramm, so würde auch das Programm der Einzelpersonen sein. Die Wahlprogramme machen auch Versprechungen, die nicht immer durchziehen. Da mache ich mir keine so großen Sorgen. Also, die Ansprüche sollten ähnlich sein, wie die Ansprüche an dem Wahlprogramm der Parteien. Und die Kandidaten werden ja von den Parteien nach wie vor aufgestellt, und Aufschneider muss man nicht aufstellen. Ich glaube, das kann man dann auch darüber sortieren. Und dann kann man ja sagen, die Leute sollen ihren Vorstellungstext abgeben, bevor sie als Kandidaten von den Parteien aufgestellt werden. Darüber kann man das, denke ich, ganz gut regulieren. Ich sehe im Moment keinen anderen Weg, als über diese Infobroschüren, dass mehr Information an die Bürger über die einzelnen Kandidaten kommt und wo sie ihre Schwerpunkte sehen. Zur Heilung: Ich glaube, es gibt sehr gute Heilungsmöglichkeiten und die soll man einfach anwenden. Da wäre ich auch sehr für. Man muss alles machen, damit möglichst wenig Stimmen ungültig sind. Wir haben das damals nicht mit vorgesehen, weil einfach, man muss ja auch gucken, wenn ein neues Wahlrecht ist, wo entstehen die Probleme, was löst sich über die Zeit. Und jetzt haben wir eben diese Mehrfachkreuze dort oder die zu vielen Kreuze, und da kann man problemlos heilen, denke ich. Und die Vorschläge sind hier ja gemacht worden. Die Wahlbeteiligung 2011/2015: Ich sehe es auch nicht so, dass 2015 die Wahlbeteiligung abgenommen hat. Ein kleiner Teil ergibt sich daraus, dass wir die sechzehn, siebzehnjährigen Wähler hatten und zum anderen hatten wir 2011 die spannende Frage, wird Olaf Scholz Bürgermeister, ja oder nein. Das war doch 2011. Ja. Also, es war eine ganz andere Spannung da. Und hier war es eigentlich völlig klar, dass er Erster Bürgermeister bleibt. Und solche Effekte können Sie oft … Ich glaube, es geistern so Zahlen in der Literatur von 5-Prozent-Punkten bei der Wahlbeteiligung durch solche Effekte … können die ausmachen. Deswegen, die Abnahme der Wahlbeteiligung, das sollte man sehr klein schreiben, glaube ich, jetzt in dieser Entwicklung. Koalitionspräferenzen panaschieren zwischen den Parteien, das hat … Wir sind ja eine Generation, wo man nicht nur mit einer Partei mehr verheiratet ist, auch als Wähler, es gibt sehr viel mehr Wechselwähler. Und ich glaube, es besteht ein großes Interesse daran, auch Koalitionspräferenzen zu wählen. Und dann, wer stimmt schon zu 80 Prozent mit einer Partei überein. Es ist häufig ja so, dass man selbst mit der eigenen Partei – wenn man dort auch sie repräsentiert – nur zu 55 Prozent übereinstimmt, mitunter sogar weniger. Und deswegen ist es eigentlich angezeigt, auch diese Möglichkeit zu lassen und den Menschen nicht zu zwingen, sich für eine Partei nur entscheiden zu müssen. Zur Mandatsrelevanz: Das sehe ich genauso. Wenn das niedersächsische Modell eingeführt wird, um die Stimmengewichtung zu machen, dann haben wir nur noch eine Mandatsrelevanz, die ein Mandat betrifft, also von eins. Dann kann man sich fast das Wahlrecht schenken. Also, Sie brauchen schon eine Mandatsrelevanz, die in dieser Größenordnung liegt, wie wir sie jetzt haben, damit das ganze System überhaupt Sinn macht. Und ich denke, wenn von 121 Abgeordneten 14 durch diese Mandatsrelevanz ins Parlament kommen, dann ist das für die Parteien gut verkraftbar. Und das Problem bleibt natürlich, dass mittelstarke Parteien, die so um 15 Prozent liegen, dass die bei diesem Mehrmandatswahlkreisen … dass sie dann wenige Leute über die Landesliste reinbekommen. Bei der CDU war es eben der unvorhergesehene Absturz, sonst hätte sich der Spitzenkandidat ja vielleicht auch um ein Wahlkreismandat bemüht. Das andere wollten wir ja zurückstellen mit der Zahl der Abgeordneten pro Wahlkreis. Vorsitzende: Genau. Herr Zicht und dann Herr Dr. Linden. Herr Zicht: Ja, ich will Ihnen keine Wiederholungen zumuten. Darum nur eine kurze Anmerkung zu Frau Priens Frage zur Broschüre. Wahlvorschlagsträger sind natürlich

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weiterhin die Parteien und Wählervereinigungen. Und die reichen den Wahlvorschlag ein. Und so, wie ich mir das mit der Broschüre vorstelle, würden dann zusammen mit der Wahlvorschlagseinreichung auch die Informationen eingereicht, die in der Infobroschüre stehen. Das funktioniert ja in Hamburg ohnehin schon elektronisch. Das heißt, dort, wo man in dem elektronischen Formular, wo man den einträgt, wer überhaupt von der Partei aufgestellt wurde, dort trägt man dann eben halt auch – mit begrenzter Zeichenanzahl – den Text, der für die Person da erscheinen soll und ein Bildchen dazu ein. Und so hat man natürlich schon einmal sichergestellt, dass da nicht einfach irgendein Unsinn reingeschrieben wird, weil natürlich die Partei dafür geradestehen muss. Die Partei hat ja auch ein Interesse, dass untereinander ein fairer Wettbewerb herrscht – insofern zumindest, dass da nicht einer einfach offensichtliche Unwahrheiten reinschreibt. Es ist ja auch nicht so, dass das jetzt eine völlig neue Erfindung wäre, in der Schweiz gibt es so etwas schon bei Wahlen, und da sind die Erfahrungen gut, das funktioniert da reibungslos. Derartige Probleme, wie Sie sie befürchten, sind dort nicht bekannt. Herr Dr. Linden: Auch ganz kurz. Zum Thema Infoheft habe ich ja schon meine Kritik vorgebracht. Meines Erachtens führt das zu einer Art – auf der symbolischen Ebene –, als ob sich da ein Kartell der Parteien darstellt. Und das stärkt eher diese Apathie und Ablehnungseffekte. Jeder kann sich informieren, es gibt das Portal der Bundeszentrale, wer steht zur Wahl. Und ein bisschen Arbeit sollte vielleicht noch damit verbunden sein, wählen zu gehen, und das sollte nicht alles als Werbekampagne daherkommen: Geht alle wählen. Kreuze bei verschiedenen Parteien sehe ich eher kritisch auf Länderebene, und zwar deshalb, weil sich ja hier der Parteienwettbewerb als Alternativwettbewerb zwischen Regierung und Opposition darstellen soll. Und diese Möglichkeit, Kreuze bei verschiedenen Parteien zu machen, lässt es für Parteien eher attraktiv erscheinen, keine harte Linie gegen eine Regierungspartei zu fahren. Also, es schwächt tendenziell vom System her die Oppositionshaltung und damit den politischen Konflikt und damit die Politisierung. Und damit wirkt es tendenziell der Politisierung und damit auch einer hohen Wahlbeteiligung entgegen. Drittens, Liste und Partei umdrehen, das heißt, Listenbank und Personenbank umdrehen, wäre logischer, weil die Bürger wohl eher denken, wenn sie Olaf Scholz – ich wähle jetzt den Namen Scholz –, wenn sie Olaf Scholz per Personenwahl wählen, in so übermäßiger Zahl, dass der dann auch per Personenwahl reinkommt. Aber das Personenstimmenparadox bleibt. Immer wenn Sie gewichten, wird es irgendwann auftreten, statistisch gesehen. Also da, da gibt mir selbst Herr Zicht recht. Vielen Dank. Vorsitzende: Vielen Dank. Herr Schröder. Herr Dr. Schröder: Nur, weil es direkt dazu passt. Wenn Sie das so gemacht hätten jetzt in Hamburg, dann hätten Sie ebenso bei der FDP … die Personenmandate zuerst und dann die Liste, dann hätten Sie genauso bei der FDP dieses Problem gehabt. Es wäre ein anderer Kandidat gewesen, aber es wäre genauso auch aufgetreten. Also, das Problem bleibt dadurch vollkommen so, wie es vorher auch schon war. Vorsitzende: Jetzt hat Oliver Rudolf das Wort als Leiter des Landeswahlamts. Herr Rudolf: Ja, ich wollte auch nur ganz kurz den Hinweis geben … Vorsitzende: Sie dürfen auch länger. Herr Rudolf: Nein, ich wollte aber nicht zu lange aufhalten. Jedenfalls möchte ich es nicht stehenlassen, die Aussage, dass möglicherweise die Angaben auf dem Stimmzettel nicht wahr sein müssten. Das ist nicht so, sondern die müssen natürlich richtig sein, es ist dann eher eine Frage der Verifikation, wie es ja auch in dem Fragenkatalog aufgeführt worden war beziehungsweise der Sanktionierung. Das heißt, richtig müssen wir auf jeden Fall sein. Und

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das wäre natürlich bei einem Infoheft, was wir irgendwo versenden, natürlich genauso der Fall. Da würde sich auch die Verifikation und Sanktionierung dann letztendlich da stellen, die Fragestellung. Vorsitzende: Vielen Dank für diese Klarstellung. Dann würde ich sagen, wir machen jetzt eine Pause bis 20.15 Uhr und steigen dann wieder ein, und zwar beim Thema Wahlkreise. Sitzungspause: 20:00 Uhr bis 20:20 Uhr. Vorsitzende: So, meine Damen und Herren, ich bin vielfach darauf angesprochen worden, wie lange die Sitzung wohl dauert und was wir jetzt noch so machen. Habe dann immer geantwortet, na ja, das hängt von den Fragen ab und von den Wortbeiträgen. Ich schlage vor, wir steigen jetzt zügig ein in den Wahlkreiskomplex, den Herr Dr. Duwe ja eben schon aufgerufen hat. Vorher hat Frau Prien aber noch einmal eine zu Recht abschließende Frage zu dem Vorhergehenden, die sie jetzt noch einmal stellt und die wir dann vielleicht kurz beantworten. Abg. Karin Prien: Ja, vielen Dank, Frau Vorsitzende. Ich würde gern noch einmal diesen Aspekt der verfassungsmäßigen Bedenken und des Personenstimmenparadoxons in dem Zusammenhang ansprechen und auch die Lösungsmöglichkeiten, die Sie für dieses Problem uns mitgeben können. Das wäre mir außerordentlich wichtig. Sie haben es ja angerissen, also einige von Ihnen, aber Sie, Herr Linden, haben ja auch schon sehr klar gesagt, wie man es löst, nämlich gar nicht, und deshalb besser ein anderes Wahlrecht, so habe ich es jedenfalls verstanden. Aber da würde mich eben interessieren, einmal, wie schwer sind die verfassungsrechtlichen Bedenken, das heißt, wenn tatsächlich jemand auf die Idee käme, zu klagen, was hätte das … also, ich weiß, zwei Juristen, fünf Meinungen und so, aber nach Ihrer Einschätzung, welche Gravität hat das Argument und, zum anderen, welche Lösungsmöglichkeiten sehen Sie. Im Prinzip an alle die Frage. Vorsitzende: Herr Schröder hat sich zuerst gemeldet. Und darf. Herr Dr. Schröder: Danke, ich glaube, Herr Zicht war früher, aber ich mache mir das trotzdem jetzt zunutze. Also, ich meine, ich bin kein Volljurist, insofern ist das natürlich jetzt … ist man, also … man kann auch nicht vorwegnehmen, was Gerichte dann im Zweifel urteilen würden, sondern nur darauf hinweisen, was möglicherweise passieren könnte, also so würde ich das vielleicht auch verstehen … haben wollen gerne. Aber ich glaube, es gibt … Also, ich persönlich denke, dass das ein sehr fundamentales Problem ist, weil es im Prinzip … Im Grunde könnte man fast sagen, Sie haben als Wähler gar nicht so viel davon, dass Sie jetzt Personen wählen können, weil, unter Umständen schaden Sie diesen Leuten. Wie kann man das heilen? Ich glaube, also, ich würde zwei Möglichkeiten vielleicht sehen. Zum einen könnten Sie nach der Wahl praktisch durchtesten, ob es Leute gibt, die akut von diesem Problem betroffen sind. Durch so ein iteratives Verfahren könnte man das machen, dass man erst einmal die Mandate provisorisch vergibt, dann schaut, ist dieses Paradox aufgetaucht, und falls ja, dann würde entsprechend umsortiert werden, vereinfacht gesagt. Das Problem ist dann, bisher ist es ja so, dass die Personen- und Listenmandate in dem Moment, wo sie ins Parlament einziehen, im Prinzip bedeutungslos werden, ja, also, sie haben dann ein Mandat und das war es. Jetzt könnte es natürlich so sein, dass jemand aus dem Parlament ausscheidet, aus welchen Gründen auch immer, weil er Senator wird oder Senatorin, oder gesundheitlich, es gibt ja Unmengen Möglichkeiten, warum das passieren kann. So, und dann würde man diesen Prozess der Mandatsverteilung insofern halt noch einmal neu aufrollen müssen und es kann dann eben passieren, dass das Paradox wieder auftritt und dann jemand sein Mandat, der aktuell in der Bürgerschaft ist, verliert zugunsten von dem anderen. Das heißt, Sie können sich im Prinzip als Parlamentarier nie so richtig sicher sein, ob Sie die nächste Woche, also ihr Mandat noch sozusagen sichern können, falls irgendetwas mit irgendwem in

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Ihrer Fraktion passiert. Aber gut, ich meine, das wäre sozusagen insofern minimalinvasiv, als dass alles noch ein bisschen komplexer werden würde nach der Wahl, aber sozusagen diese Kontingentierung und so weiter, das könnte man dann so weiterführen. Die andere Option, die ich mir vorstellen könnte, wäre, dass man so etwas wie die natürliche Mandatshürde als Kriterium heranzieht. Das heißt, Sie sind dann sofort gewählt, wenn Sie mindestens so viele Stimmen haben, wie rechnerisch nötig sind für ein Mandat. Das wären jetzt, je nachdem, ob Sie Wahlkreismandate beibehalten oder die Ansätze erhöhen oder reduzieren, dann wahrscheinlich, ich glaube, zwischen 2 Prozent in Hamburg und, ein, ja, also so in der Größenordnung ist das, glaube ich, ich kann das noch nachschauen gleich … Also, sozusagen keine sehr hohe Hürde, wo Sie zumindest dann, wenn es jetzt wirklich so ist innerhalb einer bestimmten Liste, dass da jemand von der Wählerschaft massiv ins Parlament gewünscht wird, der aber aus irgendwelchen Gründen weiter hinten platziert wurde, also, sozusagen solche Effekte könnte man damit auf jeden Fall natürlich noch abheben. Aber die Konsequenz davon wäre, rein faktisch, dass es wesentlich weniger solche Personenmandate geben würde. Also in den bisherigen Wahlen wären das im Grunde nur eine Reihe von Spitzenkandidaten, die halt dann genug Stimmen erzielt hatten, um überhaupt über diese Hürde zu kommen. Auch bei diesem zweiten Punkt ist es natürlich … Es gibt ja dieses Urteil aus Hamburg von 2008, glaube ich, wo ja schon einmal der Versuch gemacht worden war seitens des Gesetzgebers, da so eine Art Hürde einzuziehen, wo das sozusagen dann vonseiten des Gerichts für nicht zulässig erklärt wurde. Ich persönlich denke, aber wie gesagt, das ist jetzt meine persönliche Meinung und, wie gesagt, ich bin kein Volljurist, dass die Gründe, die von dem Gericht damals angeführt wurden, sich jetzt spezifisch nicht auf diese Mandatshürde beziehen. Aber natürlich auch da haben Sie, also, ja, vor Gericht und, wie sagt man, auf hoher See … (Zwischenruf: In Gottes Hand, ja.) – Genau, genau. Ja, diese beiden Optionen, denke ich, gibt es. Also, eine weitere Verkomplizierung oder diese Hürde und die könnte natürlich dann mit einer ziemlich starken Vereinfachung auch einhergehen, Sie müssten ja gar nicht mehr kontingentieren, die Listenstimme kann im Prinzip wegfallen. Sie hätten meinetwegen auch nur noch eine einzige Stimme, könnten damit eine Person ankreuzen, wenn Sie die Liste wollen, kreuzen Sie den Spitzenkandidaten an und, sozusagen, also man könnte das alles etwas vom Ablauf her vereinfachen in dieser zweiten Option. Ja, das sind so die beiden Varianten, die mir so einfallen würden. Vorsitzende: Vielen Dank. Herr Zicht. Herr Zicht: Also, was die Relevanzschwelle angeht, ist die Rechtsprechung des Hamburgischen Verfassungsgerichts meines Erachtens relativ klar. Wenn die Relevanzschwelle so hoch ist, dass sie praktisch nur noch von wenigen Kandidaten übersprungen wird, dann ist das ein Verstoß gegen die Normenklarheit, weil man eben den Wählerinnen und Wählern mit dem personalisierten Wahlrecht einen Einfluss quasi vorgaukelt, der tatsächlich da nicht vorhanden ist. Also wenn überhaupt eine Relevanzschwelle, dann muss die so niedrig sein, dass die dann halt auch von zahlreichen Kandidaten praktisch übersprungen wird. Das Problem selber ist vorhanden, definitiv. Sie kennen ja vielleicht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Thema negatives Stimmengewicht. Ich war damals selber der Kläger, habe dort damals darauf abgestellt, dass das Problem dort sehr stark vorhersehbar war, aber auf Bundesebene konnte man quasi vorab mit einiger Wahrscheinlichkeit sagen, in dem Bundesland X werden Wähler von Partei Y ein negatives Stimmengewicht haben. Das unterscheidet auf jeden Fall das negative Stimmengewicht, was damals beim Bundesverfassungsgericht Thema war, mit dem Personenstimmenparadoxon, weil, vorhersehbar ist es nicht, also, es wird kein Wähler rationalerweise sagen, ich wähle

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jetzt den Kandidaten hier in Hamburg nicht, weil ich realistischerweise befürchte, dass er unter diesem Paradoxon am Ende leiden wird. Also, das kann man nicht vorweg kalkulieren. Allerdings muss ich zugeben, dass das Bundesverfassungsgericht dieser Argumentationslinie von mir oder dieser einschränkenden Argumentation gar nicht gefolgt ist, sondern sehr allgemein formuliert hat, dass derartige negative Stimmengewichte in der Regel nicht verfassungsgemäß sind. Also würde ich tatsächlich davon ausgehen, dass auch das Personenstimmenparadoxon, wie es jetzt hier aufgetreten ist, nicht vor Verfassungsgerichten Bestand haben würde. Also muss es da eine Lösung geben und die von Herrn Schröder beschriebene Lösung, auch wenn sie schwer vermittelbar ist, ist die, die ich auch präferieren würde. Sie ändert an dem ganzen Wahlsystem eigentlich nichts, denn es ist wirklich dann ein Reparaturmechanismus, den der Landeswahlleiter einmal über das Ergebnis quasi drüber laufen lassen muss, aber es wird keine praktische Relevanz im Wahlkampf oder bei der Wahlentscheidung spielen, sondern repariert eben nur diesen Fehler dort, wo er auftritt. Vorsitzende: Das Landeswahlamt ist bemüht, sich seine Begeisterung nicht anmerken zu lassen. Herr Schröder hat noch einen Nachtrag, dann kommt Herr Linden. Herr Dr. Schröder: Ja, es ist mehr ein Widerspruch oder, um das klarzustellen, sozusagen, Sie müssen damit rechnen als Wähler, dass Sie Ihrem Favoriten sozusagen schaden, ja, und dass die Erfahrung zeigt, wir haben da zwischen 5 Prozent und 10 Prozent aller Fälle, wo das auftreten kann. Ja, also, wenn Sie fünf Parteien in der Bürgerschaft haben, einen trifft es, dann haben wir 20, bei zwei Wahlen macht es dann ungefähr 10 Prozent. Also es ist keine verschwindende Quantität, von der wir da sprechen, jedenfalls nicht so klein, wie das nach meiner Wahrnehmung aus Karlsruher Sicht lange das Kriterium war, um das sozusagen ignorieren zu können. Vorsitzende: Vielen Dank. Herr Dr. Linden. Herr Dr. Linden: Also, ich habe 2011 in einem Aufsatz, mit dem übrigens sehr schönen Titel „Jeder nur fünf Kreuze“, argumentiert, dass das Personenstimmenparadoxon dann diese Wahlsysteme kippen wird, wenn der Klageweg eröffnet ist, das heißt, Betroffenheit und Zulässigkeit der Klage. Das heißt, für mich ist das verfassungswidrig, es ist immanent nicht zu heilen. In dem Moment, wo Sie Personenstimmen, die Anzahl der Leute, die über Personenstimmen, und die Anzahl der Leute, die über Listenstimmen reinkommen, qua Personenbank und Listenbank gewichten nach der Anzahl der Stimmen, die entfallen, das heißt, in diesem Wahlsystem ist das immanent, können Sie das nicht heilen. Da müssten Sie schon feste Quoten festlegen, 50 Prozent über Personenbank, 50 Prozent über Listenbank. Dann gäbe es wieder Probleme, weil wieder Leute mit weniger Stimmen trotzdem reinkommen, kurzum, das ist für mich in dem Wahlsystem immanent. Und um das vielleicht einmal zu verdeutlichen, wie absurd das eigentlich ist: Für Menschen oder für Kandidaten, die auf unsicheren Listenplätzen stehen, das heißt, deren Listenplätze in Gefahr sind bei einer starken Personenbank, ist es sinnvoll, gegen den eigenen Spitzenkandidaten zu agitieren und vor allen Dingen nicht für die eigene Person zu werben, sondern nur für die eigene Partei. Und das ist absurd. Vielen Dank. Vorsitzende: Vielen Dank. Herr Dr. Brandt. Herr Dr. Brandt: Zunächst darf ich einmal daran erinnern, dass das ja ein Kompromiss ist und dass es der Wunsch der Parteien war, um den Einfluss der Wählerinnen und Wähler darauf, wer ins Parlament zieht, zu mindern. Ich persönlich halte überhaupt nichts von diesen Verrechnungswegen, das ist ja auch nicht neu, und plädiere deswegen dafür, das Wahlrecht in dem Punkt wirklich deutlich zu vereinfachen, weil Wählerinnen und Wähler hier die Stimmenwirkung nur schwer, wenn überhaupt, nachvollziehen können. Und deswegen soll man sich entweder entscheiden, ein Wahlrecht zu machen, wenn man es denn ändern

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will, und nicht, um möglichst geringe Änderungen zu haben, dieses Heilungsinstrument zu nutzen, das gleiche Wahlrecht zu machen, wie es auf der Wahlkreisebene ist. Da gibt es diese Probleme nicht. Oder aber man nimmt eine Kopfstimme, so, wie wir es 2004 im Kopfentscheid ja hatten, und dann entscheiden nur die Wählerinnen und Wähler über die Mandatsverteilung, die auch Personenstimmen ankreuzen. Das Hamburgische Verfassungsgericht hat sich dazu in einem obiter dictum geäußert, aber das scheint mir heilbar zu sein, wenn ganz deutlich die Ansage ist, nur wer Personen ankreuzt bei einer Partei, nimmt auch Einfluss darauf, wer für diese Partei ins Parlament einzieht, dann ist die Stimmenwirkung völlig klar. Also, wenn man das wirklich ändern will, vereinfachen, ja, und sich für eines dieser beiden Systeme entscheidet. Ich plädiere dafür, dann die Kopfstimme wegzulassen, weil das das einfachste dann ist. Dann gibt es all diese Probleme nicht und wir haben dann das gleiche System auf Landesebene und auf Wahlkreisebene und alle Verrechnungen, alle Gewichtungsstimmenbewegungen führen zu Intransparenz und zu Ungerechtigkeiten, die immer nur schwer zu heilen sind. Vorsitzende: Ja, vielen Dank. Dann haben wir diesen Themenkomplex oder ist es Nachfrage dazu, Herr Müller? Abg. Farid Müller: Ja. Vorsitzende: Herr Müller noch eine Nachfrage dazu. Abg. Farid Müller: Ja, ist ja ganz sozusagen ohne, weil herausgehört habe ich schon, dass wir etwas heilen müssen. Das ist jedenfalls schon einmal, jedenfalls habe ich das jetzt herausgehört, das ist ein Auftrag an die Bürgerschaft. Und deswegen habe ich noch einmal eine Frage zu dem einen Heilungsvorschlag mit der Mandatshürde. Tatsächlich ist es ja so, dass damals ein Großteil der Abgeordneten auch gegen diese sogenannte Relevanzschwelle geklagt hat und das Hamburgische Verfassungsgericht die dann ja auch als zu hoch bewertet hat und damit gekippt hat. Nun hatten Sie ja vorhin gesagt, die müsste niedriger sein. Meine Frage ist, gibt es schon ein Beispiel dafür in einem Wahlgesetz in Deutschland, wo man diese Wahlrelevanzschwelle hat für Kandidaten, an der man sich orientieren könnte. Vorsitzende: Herr Zicht? Herr Zicht: Nein, in Deutschland ist mir da kein Beispiel bekannt. Das ist ja ohnehin übrigens so, dass in Niedersachsen seit Jahrzehnten ein Wahlrecht existiert, was genau auch dieses Personenstückparadoxon in sich trägt, aber es ist dort noch nie thematisiert worden. Also, es ist in der Tat eine relativ neue Entwicklung, dass man das überhaupt problematisiert und daher sind da auch Erfahrungswerte, die man aus anderen Ländern zurate ziehen kann, noch sehr rar. Vorsitzende: Herr Moehl und dann Herr Schröder. Herr Moehl: Das Stichwort wäre ergänzend noch einmal, wie praktisch ist das eigentlich, also im doppelten Sinne meine ich das jetzt zum einen wahlpraktisch. Wilko Zicht hat ja gerade ausgeführt, dass er eben sehr überzeugend vor dem Bundesverfassungsgericht argumentiert hat. Und ich habe das ja auch auf der Website www.wahlrecht.de verfolgen können, wie dort also konkrete Beispiele immer angeführt wurden, wie man jetzt bestimmten Parteien nützen würde oder schaden würde, je nachdem in welchem Bundesland man sie mit der Zweitstimme wählt oder nicht wählt. Das ist also ein sehr greifbarer, sehr konkreter Weg und eben eine überzeugende Argumentation gewesen. Jetzt ist die Frage, ob das eigentlich für Hamburg wirklich droht, denn es ist ja eigentlich so, jede Wahl findet nur einmal statt. Konkret und jetzt im Nachhinein zu überlegen, da hätte einer noch jetzt über den Algorithmus herausfinden können, dass ein anderer Abgeordneter eingezogen wäre, wenn er da weniger Personenstimmen bekommen hätte und so weiter, also, all diese

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theoretischen Überlegungen im Nachhinein, die sind sicherlich mathematisch höchst interessant, aber hat das denn wirklich so viel Praxisbezug, dass ein Gericht tatsächlich urteilen würde, dass dieses Wahlrecht hier in Hamburg hinfällig ist? Das würde ich einfach noch einmal so in den Raum stellen wollen. Vorsitzende: Gut, vielen Dank dann dazu. Und dann kommen wir jetzt zu dem Komplex Wahlkreise. Also, das schließt im Grunde auch noch einmal an, nämlich mit der Frage Kopfstimme beziehungsweise also Parteistimme, die wir ja auch stellen, Listenumfang, Wahlkreisgrößen. Herr Dr. Duwe hat die Themen genannt. Herr Dr. Dressel hat auch noch eine Eingangsfrage dazu. Abg. Dr. Andreas Dressel: Gut. Wir hatten aus der Analyse des Landeswahlamtes oder des Statistikamtes eine interessante Information gehabt, nämlich dass es einen durchaus nennenswerten Anteil gibt von Leuten, die sagen, ich kenne die da alle nicht auf dem Stimmzettel und ich kreuze deshalb gar keinen an. Ich weiß nicht, ob das als Thema auch in der Vorbereitung irgendwie aufgetaucht ist. Wie werten Sie diesen Punkt? Teilen Sie da die Analyse? Ist das eine Problemstellung, wo wir vielleicht noch einmal wieder sozusagen nachdenken müssten, was kann man diesen Wählern, was für ein Angebot könnte man ihnen machen, weil, auch da, finde ich immer, sollten wir keine Stimme verlorengehen lassen. Wer mag dazu antworten? Vorsitzende: Wer mag beginnen zu diesem Komplex Wahlkreise? Herr Dr. Brandt? Herr Dr. Brandt: Zunächst vielleicht zur Größe der Wahlkreise. Sollten die Wahlkreise alle einheitlich viele Kandidaten haben? Das jetzige System „drei bis fünf Wahlkreise“ hat Ungerechtigkeiten. Das ist aber ein typischer Kompromiss. Wenn Sie einheitlich große Wahlkreise haben, müssen Sie viele Stadtteile durchschneiden. Sonst kommen Sie nicht hin. Der große Vorteil ist dieses System „drei, vier, fünf Abgeordnete pro Wahlkreis“, das sie sehr gut anpassen können. Die nächste Stufe ist sechs, dann sieben, acht und so weiter, wenn Sie sich in einem Bezirk bewegen, und im Moment sind wir ja da, dass wir in den Bezirksgrenzen bleiben wollen. Vielleicht müsste man dann die Bezirksgrenzen aufgeben. Dann wäre das noch einfacher. Es ist einfach ein Kompromiss gewesen und die Welt ist ab und zu ein bisschen ungerecht auch bei Wahlrechten. Und ich glaube, ein bisschen müssen wir das immer akzeptieren und was ist besser, Stadtteile zu durchschneiden oder aber ein System zu haben, mit dem Sie besser anpassen können. Also, ich bin da auch immer hinund hergerissen. Ich sehe diese Ungerechtigkeiten, aber Sie wissen ja alle, wenn Sie jetzt die Wahlkreise neu einteilen wollen... Also, ich warne davor. Also, da ist schon einiges daran gescheitert. Die innerparteilichen Diskussionen und Streitereien und auch zwischen den Parteien, also, das Fass... Ich kann Ihnen nicht empfehlen, dieses Fass aufzumachen. Ich glaube, daran würde alles scheitern. Und der andere Punkt ist, wie ist es eigentlich, wenn nicht die Partei angekreuzt wird, ich kenne diese Kandidaten nicht. Ich glaube nach wie vor, dass das ein Anfangsproblem ist, ein Anfangsproblem, was verzögert wird dadurch, wie die Parteien damit umgehen, dass wir keine Infobroschüre haben, dass nur die Spitzenkandidaten oder auf Platz 2, je nachdem, wie viel man durchkommt, dass die im Mittelpunkt der Werbung der Parteien stehen. Und ich glaube, wenn das verbreitert wird und wir eine Eingewöhnung haben, dann löst sich auch dieses Problem. Vielleicht muss man deutlicher machen auch in der Wahlwerbung, dass dies auch eine Parteienwahl ist in erster Linie. Das ist ja hier auch diskutiert worden. Das wundert mich auch mitunter in den Diskussionen auch mit Leuten aus Parteien, die das als ungerecht empfinden, dass sie mehr Stimmen haben als jemand aus einer anderen Partei und der trotzdem ein Wahlkreismandat bekommen hat. Das ist die Ungerechtigkeit eines Verhältniswahlrechts. Das gibt es auch auf der Landesliste, dieses Problem. Da ist es nicht so ausgeprägt. Aber wenn man eine Parteienwahl als Verhältniswahl haben will in den Wahlkreisen, dann muss man das in Kauf nehmen. Dann lässt sich das nicht anders regeln und ich plädiere in dem Fall deutlich für eine Parteienwahl. Sonst müsste man ja eine reine

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Personenwahl in den Wahlkreisen als Mehrheitswahl machen und es gibt ja andere Systeme, über die früher auch diskutiert worden ist, wo man dann die Reihenfolge der Kandidaten festlegt. Also, das löst von den Parteien, aber wir sind eine Parteiendemokratie und das sollte sich auch niederschlagen in den Wahlkreisen. Vorsitzende: Ja, Herr Dr. Linden, dann Herr Moehl. Herr Dr. Linden: Zur Wahlkreisgröße kann ich nichts Kompetentes sagen. Ich kann nur dazu etwas sagen, auch bei den Auswertungen habe ich das gesehen, das war eigentlich ein verblüffender Effekt, viele, die auf der Wahlkreisliste niemanden angekreuzt haben, wo kommt das her, war Ihre Frage. Meines Erachtens liegt das an diesem Wahlsystem, weil das eine versteckte Listenwahl ist ohne Listenstimme mit mehreren Kandidaten für eine Partei. Das heißt, man kann sich, wenn man die Kandidaten kennt, nicht eindeutig für eine Partei positionieren, weil die Partei selber ja mehrere Kandidaten aufstellt, und dann lässt man den Zettel leer. Und das führt zum zweiten Problem, das habe ich eingangs schon gesagt. Bei dieser Wahlkreiswahl handelt es sich ja um eine Kumulation von Stimmen, die auf die Kandidaten entfallen, und das ist den Bürgern nicht bewusst. Deshalb kommen Kandidaten hinein in einem System, das als Mehrheitswahlsystem daherkommt, aber eigentlich ein Verhältniswahlsystem ist. Es kommen Kandidaten hinein, die weniger Personenstimmen haben als andere Kandidaten mit mehr Personenstimmen und das müsste meines Erachtens dringend behoben werden. Vorsitzende: Herr Moehl. Herr Moehl: Dann beginne ich gleich mit dem letzten Punkt. Ich bin auch sehr dafür, das tatsächlich als Mehrheitswahl laufen zu lassen. So wird es verkauft, so kennt der Wähler das auch. Ja, Mehrheitswahl ist ungerecht, kennt man aber auch von der Bundestagswahl, und es wird eben kompensiert durch die Zweitstimmen beziehungsweise Listenstimmen, die insgesamt dann für eine entsprechende Repräsentation nach Parteien sorgt. Insofern sehe ich kein Problem damit, hier tatsächlich zur Mehrheitswahl überzugehen. Oder eben, wenn man denn dann ehrlich sein möchte, kann man diese Parteistimme einführen. Dann weiß der Wähler aber auch, hier wählt er tatsächlich die Partei. Was mich stört, das hatte ich in der Eingangspräsentation gesagt, ist, wenn das durch die Hintertür geschieht, wenn also zehn Kandidaten aufgestellt werden in Stadtteilen, um dann noch Stimmen zu sammeln quasi für den Spitzenkandidaten, wie es in der Praxis dann häufiger auch einmal passiert ist und dem Wähler das gar nicht klar ist, dass er da eigentlich gar nicht seine Wahlkreiskandidaten aus seinem Stadtteil wählt, sondern effektiv eben doch wieder den Spitzenkandidaten, den er vielleicht gar nicht wählen möchte. Dann war die Frage aufgekommen, Größe der Mandate, sprich wie viele Mandate pro Wahlkreis. Da wäre ich sehr dafür, das zu vereinheitlichen auf vier. Da gibt es auch ein historisches Vorbild. Bei der allerersten Wahl 1946, bei der allerersten Bürgerschaftswahl waren es tatsächlich vier Mandate pro Wahlkreis, auch sogar mit Mehrheitswahl damals noch. Und ich denke, dass wir uns über die Bezirke nicht so viele Sorgen machen müssen. Es gibt ja auch Bundesländer, die durchaus dann eben ihre Regierungsbezirke oder jetzt statistische Regionen dann durchschneiden mit Wahlkreisen. Es gibt Gemeinden, die durchschnitten werden. Ich gebe auch zu bedenken, dass in Hamburg vielen Bewohnern bestimmter Bezirke gar nicht bewusst ist, in welchem Bezirk sie wohnen. Das betrifft dann hauptsächlich Hamburg-Mitte, Hamburg-Nord und Eimsbüttel. In Bergedorf und Harburg und Altona ist die Identifikation etwas höher. Insofern halte ich es für unproblematisch, dann auch durchaus einmal über die Grenze Eimsbüttel, Altona hinüberzugehen mit einem Wahlkreis. Wir sprechen ja eben über ein Landesparlament. Insofern sollte das nicht so viele Schmerzen bereiten an der Stelle.

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Abschließend vielleicht noch die Frage „leere Wahlkreisstimmen“. Ich weiß gar nicht, ob es dazu empirische Erkenntnisse gibt, was die Motivation für einen leeren Wahlkreiszettel ist. Ich denke, durch das, was jetzt noch herumgereicht wurde vom Statistikamt, ging doch recht zwanglos hervor, dass offensichtlich sehr viele Wähler der Meinung waren, die fünf Stimmen, die sie auch noch für Personen abgeben sollten, dann eben auch noch zusätzlich auf dem Landesstimmzettel zu machen. Also, wir haben da eine Zahl von 2,3 Prozent ungültiger Stimmen, die eben durch zu viele Stimmen entstanden sind bei den Landesstimmen, und 1,9 Prozent bei den Wahlkreisstimmen, die eben durch leere Stimmzettel entstanden sind. Ich denke, da ist einfach ein Verständnisproblem, ein Problem der Aufklärung. Bei der Bundestagswahl haben wir ja beispielsweise zusammenhängende Stimmzettel. Da ist es dann schon deutlich. Dann steht hier links ein Kreuz und rechts ein Kreuz. Wenn das deutlicher wäre, würde vermutlich auch die Zahl der leeren Wahlkreisstimmzettelhefte deutlich zurückgehen. Danke schön. Vorsitzende: Ja, vielen Dank. Jetzt haben wir hier noch drei Publikumsfragen, hätte ich fast gesagt, nein, drei Wortmeldungen von Abgeordneten. Professor Kruse, ihm folgt Herr Steinbiß und dann Frau Schneider. Herr Dr. Jörn Kruse: Ich hatte ja vorhin schon einmal gesagt, am einfachsten wäre das Wahlrecht, wenn wir einfach Listen über ganz Hamburg haben. Da weiß jeder, was er tut, wenn er SPD oder GRÜNE wählt. Und dann gibt es ja die Überlegung, es könnte auf diese Weise sein, alle Kandidaten kommen aus Blankenese, und deshalb macht man Wahlkreise. Dafür habe ich ein gewisses Verständnis, weil man natürlich eine Repräsentierung der verschiedenen Hamburger, ich sag 'mal im weitesten Sinne, Regionen hat, ich will jetzt nicht Bezirk oder Wahlkreise sagen, sondern Regionen hat. Das macht die Sache natürlich komplizierter, aber es gibt eine gewisse Logik, um eine Repräsentanz in ganz Hamburg darzustellen. Die Frage ist, ob das in einem Land wie Hamburg wirklich so eine große Bedeutung hat. Also, wenn es Baden-Württemberg wäre oder Nordrhein-Westfalen, da gibt es einen Riesenunterschied, weil das ein großes Land ist, und die Leute in Bielefeld wissen wahrscheinlich nicht, was in Bonn passiert, und umgekehrt. Aber das ist in Hamburg nicht so. In Hamburg, glaube ich, ist es so, dass sowohl die Politiker als auch die Wähler eigentlich über ganz Hamburg informiert sind. Und die Frage, die sich stellt, ist ja, einmal angenommen, ich will jetzt nicht für die eine radikale Lösung plädieren und die Wahlkreisstimmen abschaffen, aber sollen wir doch einmal bedenken, ob das die Parteien nicht automatisch tun. Also, ich kann mir schlicht keine Partei vorstellen, die zum Beispiel ihre Liste überwiegend zusammenstellt aus Leuten, die nur aus Eimsbüttel und HamburgNord kommen, sondern da werden selbstverständlich die Parteifreunde in Bergedorf, Harburg und Altona dafür sorgen, dass sie adäquat vertreten sind. Und das wäre dann eine Repräsentierung ganz Hamburgs im Parlament. Meine Frage wäre mehr an Sie, was würden Sie, wo Sie jetzt Hamburg betrachten, für sinnvoll halten. Man könnte sich auch vorstellen, wir machen nur sieben Wahlkreise, den sieben Bezirken entsprechend. Das würde auch sein. Wir können aber uns auch vorstellen, dass Hamburg so klein ist, dass das einzeln in einer Liste abgefrühstückt wäre. Für wie relevant halten Sie das Phänomen oder die Aufgabe, das adäquat widerzuspiegeln in der Bürgerschaft? Vorsitzende: Herr Steinbiß. Abg. Olaf Steinbiß: Danke sehr. Also, anschließend an das Problem „leere Wahlkreislisten“. Auf den Listen selber ist ja auch irgendwie einmal angemerkt, wo der einzelne Kandidat herkommt. Und aus meiner Wahrnehmung war das mindestens so in der letzten HamburgWahl, dass – also, ich nehme jetzt einmal das Beispiel Niendorf-Lokstedt-Schnelsen –, dass eigentlich man fast sagen kann, ein Lokstedter, ein Kandidat aus Lokstedt, dass der es schwierig hat, weil er eben aus dem geringsten Bereich kommt, die wenigsten Wähler hat. Also, es sei denn, man heißt Milan Pein oder –

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(Abg. Milan Pein: Es sei denn, man steht auf Platz 1.) Also, ist das gewollt? Ist das richtig? Also, ist es ein Phänomen, was ich nur sehe oder haben Sie das irgendwo auch festgestellt und sollte man das so beibehalten aus Ihrer Sicht auch? Ist es gewollt, dass dann eben Niendorf repräsentiert ist und wie wirkt das sich denn eben auf Lokstedt aus zum Beispiel? Danke. Vorsitzende: Frau Schneider. Abg. Christiane Schneider: Ich habe nur eine kleine Frage. Sie hatten sich schon geäußert, Herr Moehl, zu der Frage „ungleiche Wahlzettel“, ob das auch von anderen als Fehlerquelle gesehen wird für ungültige Wahlzettel, also dass die Wahlkreisliste anders aufgebaut ist als die Landesliste. Vorsitzende: Wer mag antworten? Herr Schröder, dann Herr Dr. Linden. Herr Dr. Schröder: Also, ich glaube, eine Frage oder mindestens eine Frage zielt hier im Grunde auf den Zuschnitt der Wahlkreise ab, also gar nicht so stark, wie viele Mandate, sondern wie sollte das aussehen. Und ich meine, da wäre es wahrscheinlich sinnvoll, dass man das an etwas orientiert, was zum Beispiel die Bezirke, solche Dinge, die halt auch, sagen wir einmal, eine Rolle spielen in der Wahrnehmung... Und ich denke, das würde ja für Hamburg bedeuten, dass es dann weniger Wahlkreise gibt, wahrscheinlich wesentlich weniger, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, und das wiederum könnte bedeuten, dass man dann in den Wahlkreisen mehr Mandate vergeben kann. Und da gibt es einen natürlichen Befund von sozusagen, das nennt sich Electoral Sweet Spot, also eine Art optimale Wahlkreisgröße, und die liegt zwischen sechs und zehn Mandaten pro Wahlkreis. Und das ließe sich ja dann sozusagen einigermaßen genau dadurch dann auch bewältigen, indem man sozusagen ein bisschen Variation in den Mandatszahlen hätte, ohne jetzt aber dadurch dann im Einzelfall sozusagen den Proporz, der ja so ein bisschen dann mitschwingt, da zu gefährden. Was die Mehrheitswahl angeht, also sozusagen sehr kleine Wahlkreise, da hätte ich ein bisschen Bedenken vielleicht aus der Perspektive, wie wir das zum Beispiel in Berlin hatten. Da gibt es sehr viele Ein-Mann-Wahlkreise, aber die Bindung der Wähler an diese Wahlkreise ist naturgemäß jetzt nicht sehr groß. Das sind nämlich Straßenzüge oftmals nur und man riskiert latent immer das Problem der Überhang- und auch wieder Ausgleichsmandate. Sie kennen das auch aus Hamburg. Die Prozentzahlen schwanken ja doch sehr stark von Wahl zu Wahl zwischen den Parteien manchmal und dann gewinnt eine Partei alle Wahlkreismandate, hat aber gar nicht 50 Prozent oder wie viel auch immer der Stimmen und dann müssen Sie sofort ausgleichen und dann haben Sie eine Aufblähung. Da hat Berlin in den Neunzigerjahren dann doch sehr überraschende und drastische Erfahrungen mitgemacht, dass 120 Mandate, glaube ich, geplant waren, und dann wurden es 200 und so. Also, da wäre man vielleicht ein bisschen vorsichtig mit Mehrheitswahl in sozusagen sehr vielen kleinen Wahlkreisen. Genau. Aber wie gesagt, was sozusagen die Frage angeht, wie groß oder wie sollte es zugeschnitten sein, ich denke, es ist wirklich sinnvoll, das auf irgendetwas zu beziehen, was den Leuten auch etwas bedeutet, und das nicht willkürlich zu machen und dann einfach nur möglichst viel Wahlkreis zu haben. Das ist ja für sich genommen kein Argument. Vorsitzende: Herr Dr. Linden. Herr Dr. Linden: Ich habe ja schon einmal gesagt, dass ich bei der derzeitigen Ausgestaltung, die Gefahr des Subgroupismus (?) und des Klientelismus sehe, aber Herrn Kruses Frage zielt in eine andere Richtung, ob es überhaupt nötig ist, Wahlkreise zu haben.

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Und Sie haben gefragt, ob die unterschiedlich ausgestaltet sein müssen vom Wahlprinzip her. Ja, die müssen natürlich unterschiedlich ausgestaltet sein, weil sie einem anderen Repräsentationsprinzip folgen. Das ist eine territoriale Repräsentation, während wir es bei der ersten Stimme, also, in diesem Fall ist es ja die erste Stimme, um eine Parteienrepräsentation, um eine Verhältnisbestimmung im Parlament halten, und diese territoriale Repräsentation wird umso wichtiger, je sozial gespaltener eine Stadt ist. Deshalb darf man das nicht aufgeben. Vorsitzende: Gut. Herr Dr. Brandt. Herr Dr. Brandt: Der Gesichtspunkt Bürgernähe ist ja wichtig und er hat auch etwas mit Wahlkreisgröße zu tun. Also, drei bis fünf oder vier ist da auch ein Kompromiss. Sicherlich sind sechs bis acht auch ein machbarer Weg, aber es gibt mit diesen Wahlkreisen rund um vier oder fünf in anderen Ländern eigentlich auch eine ganz gute Erfahrung. Die sind da etabliert und da haben wir uns auch so ein bisschen angelehnt. Also, natürlich haben kleinere Parteien es dann leichter, wenn die Wahlkreise größer sind mit sechs bis acht, dort auch ein Mandat zu erringen, oder Einzelkandidaten haben eine größere Chance, dann durchzukommen, weil es in den Wahlkreisen keine... da wirkt dann nur die natürliche Sperrklausel. Das vielleicht dazu. Aber ich bitte auch bei dieser Diskussion, den Gesichtspunkt Bürgernähe nicht zu vernachlässigen, Wahlkreis, unterschiedliche Wahlsysteme in den Wahlkreisen und auf der Landesliste. Also, wir haben immer darauf geachtet und bei allen Vorschlägen, die wir gemacht haben, waren die Wahlsysteme und der Aufbau der Wahlzettel auf Landes- und Wahlkreisebene immer identisch. Das war eines unserer Ziele, dass wir dieselben Wahlsysteme, dieselbe Gestaltung der Stimmzettel haben in den Wahlkreisen und auf der Landesebene. Ich glaube, dass das geeignet ist, die möglichen Fehler auch zu minimieren. Vorsitzende/Abg. Carola Veit: Vielen Dank. Ein Aspekt, der uns ja noch interessiert hat, war die Frage „Listenumfang auch in den Wahlkreisen“, also Anzahl der Kandidierenden und dementsprechend auch Dicke des Heftes am Ende, also wo man vielleicht wirklich auf Seite 7 denkt, Mensch, wen kenne ich denn jetzt eigentlich noch und wo ist denn meine kleine Partei. Kann das etwas dazu beitragen, wenn man das auch ein bisschen reduziert, da für mehr Klarheit zu sorgen oder möglicherweise auch für mehr Interesse, weil es nicht mehr so eine Vielzahl an Kandidierenden ist? Ich weiß nicht, ob es da – Ja, Herr Dr. Dressel? Abg. Dr. Andreas Dressel: Noch einmal die Nachfrage. Es ist ja eine Bestimmung in dem Wahlrecht, die quasi diejenige Partei benachteiligt, die das nicht ausschöpft, also quasi die doppelte Zahl von Kandidaten aufstellt. Das haben wir ja an einigen Stellen auch jetzt erlebt, dass man, um in einigen Wahlkreisen die GRÜNEN zu finden, ein bisschen weiter nach hinten blättern musste. Das hat es, glaube ich, bei anderen auch hin und wieder gegeben. Also, quasi diese Strafnorm, ist das jetzt eigentlich nötig, wichtig, schädlich? Also, das ist jedenfalls etwas, was hier auch einige beschäftigt. Vorsitzende: Herr Dr. Brandt? Herr Dr. Brandt: Da will ich gern etwas zu sagen. Wenn wir das nicht drin hätten in dem Wahlgesetz, dann würden die Parteien nur noch so viel Kandidaten aufstellen, wie sie sicher aus den Wahlkreisen ins Parlament bekommen, weil die Nachrücker ja immer dann aus der Landesliste kommen. Die ganze Auswahl, die wir gerne wollen von verschiedenen Kandidaten aus einer Partei, die würde dann unterlaufen werden und würde nicht mehr stattfinden. Das ist ja etwas, das hier zum Teil ja schon stattfindet. Die GRÜNEN haben da ja auch gesagt, lieber ein bisschen weiter hinten im Buch, aber dafür kriegen wir ungefährdet unsere Spitzenkandidaten durch. Vorsitzende: Herr Moehl?

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Herr Moehl: Also, mir ist gar nicht klar, warum diese Norm da so drinsteht. Ich möchte Herrn Brandt ein bisschen widersprechen, weil, die GRÜNEN sind ja das beste Beispiel. Die sollten eigentlich dazu erzogen werden, viele Kandidaten aufzustellen. Das haben sie aber nicht getan und das hat ihnen auch nicht geschadet, weil, ich glaube, sie haben ja 13 Wahlkreismandate trotzdem errungen, obwohl sie weiter hinter standen. Also, insofern würde ich einfach zwanglos den Regelungen, den Landeswahlgesetzen und Bundeswahlgesetzen folgen, die da vorsehen, dass eben die Parteien in der Reihenfolge aufgeführt werden, wie sie bei der letzten Wahl an Landeslistenstimmen erzielt haben. Ich wüsste nicht, was da jetzt juristisch irgendwie dagegen sprechen sollte, außer eben, dass man damals vor zehn Jahren, als dieses Wahlrecht angedacht wurde, eben eine andere Absicht hatte, die ja aber in der Praxis sich einfach nicht bewährt hat aus meiner Sicht. Vorsitzende: Herr Zicht? Herr Zicht: Ich würde auch sagen, dass die Befürchtung, die damals damit verbunden wurde und aus der heraus diese Regelung damals vorgenommen wurde, sich aus heutiger Sicht, denke ich, ein bisschen anders darstellt. Wir haben die Erfahrung hier in Hamburg, dass auf der Landesliste, wo es eine solche Regelung nicht gibt, trotzdem dort die maximale Kandidatenzahl oft ausgenutzt wird. Zumindest wird das Angebot nicht derart reduziert, dass man irgendwie davon reden könnte, dass dem Wähler kein Angebot mehr vorliegt. Aus Bremen ist es ebenfalls meine Wahrnehmung, dass innerhalb der Parteien doch hinreichend großer Druck der Leute, die sich bewerben wollen, besteht, dass die dann halt, wenn sie es dürfen, dann auch noch bitte schön aufgestellt werden, und eine Regelung, die jetzt quasi das Angebot derart reduzieren würde, dass die Partei da nur noch mit einem oder zwei Kandidaten auftritt, obwohl es eigentlich noch mehr Bewerber gibt in der Versammlung, dass das nicht durchsetzbar ist, zumindest in den meisten Parteien, in den meisten Wahlkreisen, deswegen halte ich die Regelung jetzt im Nachhinein mit den Erfahrungen auch für entbehrlich und eher für schädlich, weil zumindest das Angebot jetzt in den Wahlkreisen doch eher ein Überangebot ist als ein Unterangebot mit der vollen Ausnutzung. In jedem einzelnen Wahlkreis der doppelten Zahl der zu vergebenden Sitze nimmt es eine gewisse Unübersichtlichkeit an, die dann dem Wettbewerb zwischen den Kandidaten eher schadet als nützt. Vorsitzende: Frau Prien auch dazu? Abg. Karin Prien: Nein, nicht dazu. Vorsitzende: Dann Herr Dr. Brandt noch einmal dazu wahrscheinlich. Herr Dr. Brandt: Es ist ja eigentlich eine ganz spannende Entwicklung. Das sind Vorschläge, die wir damals gemacht haben, die ich jetzt verteidige. Ich glaube, wenn nicht genügend Kandidaten zur Auswahl stehen, dass es einfach dann keinen Sinn mehr macht, das System in den Wahlkreisen so aufrechtzuerhalten. Die Überlegung, die doppelte Zahl von Kandidaten vorzusehen bei den Parteien, als Abgeordnete nachher gewählt werden, hat auch etwas mit dem Anreiz zur Öffnung der Parteien zu tun. Eins unserer Kernprobleme ist ja auch – das hat auch mit der abnehmenden Akzeptanz der Parteien zu tun –, dass das zunehmend Closed-Shop-Veranstaltungen sind. Die Parteien werden als geschlossene Körperschaften zu sehr wahrgenommen und sind sie ja auch zum Teil. Und wenn man die Akzeptanz der Parteien, und da sind wir wieder bei der Wahlbeteiligung, erhöhen will, dann müssen sich die Parteien auch stärker nach außen öffnen. Also, ich kenne ja auch und aus vielen Erfahrungen... Ich nenne das immer die Angst des Ortsvorsitzenden vor Mitgliedern, die er nicht selbst geworben hat. Und wir müssen Instrumente schaffen, damit die Parteien sich öffnen, damit die doch recht geschlossenen Machtstrukturen in den Parteien doch ein bisschen bröseln, will ich das einmal sagen. Ich glaube, das wird den Parteien und auch der Akzeptanz der Parteien gut bekommen. Und ich hatte das anfangs schon gesagt, Kandidatenaufstellung, geeignete Kandidaten zu gewinnen, ist ein interessantes Geschäft

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und dann überhaupt, wenn man die Konkurrenz nicht fürchtet, wenn man genügend Selbstbewusstsein hat, auf Platz 1 oder auf Platz 2 sich auch durchzusetzen, und wenn diese Regelung abgeschafft wird, diese kleine Bestrafung, die ja bisher einigermaßen wirkt, das kann man natürlich machen. Aber dann sollte auf jeden Fall die Wahlkreisstimme auch für die Verteilung der Sitze im Parlament genutzt werden. Dann braucht man in der Tat das Instrument nicht. Dann ist der Anreiz groß genug, viele überzeugende Kandidaten aufzustellen, damit man viele Stimmen bekommt und möglichst viele Sitze im Parlament. Vorsitzende: Gut. Frau Prien. Abg. Karin Prien: Ich würde gerne noch einmal einen ganz anderen Aspekt ansprechen, nämlich die Frage, macht es Sinn, und aus meiner Sicht macht es Sinn, die Landesliste mehr zu stärken, um den Parteien die Möglichkeit zu geben, Fachpersonal auch über mehr als eine Legislaturperiode nutzbar zu machen. Ja, man muss im Moment … – aber seit Frau Roth bei Maischberger war, kann man das sagen. Also, da geht es also letztlich um die Frage, welche Möglichkeiten zur Stabilisierung sozusagen der fachlichen Kompetenz, die innerhalb der Fraktionen erarbeitet wird, kann man über die Landesliste schaffen innerhalb dieses Systems. Vorsitzende: Wer mag sich dazu äußern? Herr Dr. Brandt? Herr Dr. Brandt: Ich will das gerne tun. Also, Sie müssen sehen, dass Sie immer über 20 Prozent der Wählerstimmen bekommen oder unter 10 bleiben. Dann haben Sie das Problem nicht. (Abg. Karin Prien: Sehr lustig.) (Abg. Christiane Schneider: Das verstehe ich nicht.) Herr Dr. Brandt: Wenn Sie unter 10 Prozent bleiben oder so, dann gewinnen Sie nach aller Regel höchstens, so wie die FDP jetzt, ein Wahlkreismandat. Dann sind Sie stark über die Landesliste vertreten. Wenn Sie so bei 15 Prozent herum sind, dann kann Ihnen das passieren, so wie jetzt der CDU, dass ihr Problem war, dass sie eingebrochen sind in der Wählergunst. Das ist ihr Problem. Und die Leute, die sie unbedingt brauchen für den Haushalt oder so, dass sie die nicht über Platz 1 eines Wahlkreises abgesichert haben. Das andere, Sie haben jetzt von der Langfristigkeit des politischen Personals gesprochen. Dieses Wahlrecht, insbesondere in den Wahlkreisen, wird dazu führen, dass Abgeordnete eine höhere, längere Verweildauer im Parlament haben. Das mag den einen gefallen oder nicht. Denn je bekannter die Abgeordneten sind, desto kompetenter sie wahrgenommen werden und desto kompetenter sie sind, desto häufiger und besser werden sie auch wiedergewählt. Es stabilisiert also auch die Zusammensetzung einer Fraktion. Das mag man bedauern oder begrüßen, je nach Sicht. Also, wenn jemand gut ist, soll er auch nach meiner Überzeugung länger im Parlament bleiben. Und das leistet auch dieses Wahlrecht. Vorsitzende/Abg. Carola Veit: Also das Problem ist, dass hier wahnsinnig viel davon die Rede ist, wie Parteien was nutzen können, was kalkulieren müssen, dafür sorgen, dass jemand irgendwo abgesichert ist, im Vorhinein überlegen, wo sie landen, zwischens soundso viel und soundso viel Prozent, und genau das wird uns ja aber auch gleichzeitig vorgeworfen, dass wir ja irgendwie kalkulieren würden und rumlavieren würden. Obwohl wir es ja gar nicht tun, weil wir es gar nicht so gut tun können, weil, keiner hat mit dem CDUWahlergebnis gerechnet. Also ja nicht einmal wir. So. (Zwischenruf: Das muss schon etwas heißen, nicht?) Ist ja so. Also, das finde ich schon eine Schwierigkeit. Also jetzt erklären Sie uns den ganzen Abend, also einige von Ihnen, was wir eigentlich tun müssten, um irgendwie das dann doch

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noch hinzukriegen, den Haushaltsexperten abzusichern, aber eigentlich wollen wir ein System, was irgendwie klar ist, für uns vielleicht klar ist, aber auch für die Wählenden klar ist, wenn man etwas… So ein Vorschlag hat nichts mit Transparenz zu tun, ehrlich gesagt. Also wie will ich denn im Wahlkreis erklären, dass Herr Dr. Heinze jetzt im Wahlkreis kandidiert, obwohl er eigentlich gar keine Zeit für Wahlkreisarbeit hat, weil, er ist ja haushaltspolitischer Sprecher seiner Fraktion und muss das eigentlich den ganzen Tag machen, weil, wir haben zufällig im Wahlkampf auch noch Haushaltsberatungen. Also, wie bringe ich das dann dem Wahlkreiswähler und der Wahlkreiswählerin eigentlich nahe? Sozusagen, ich gebe es nur einmal zu bedenken, weil das einfach … Abg. Karin Prien: Ich würde gerne auch noch einmal ergänzen. Bei der CDU mögen Sie ja recht haben, bei den GRÜNEN können Sie beobachten, dass die, schlau wie sie sind, darauf ja reagiert haben und deshalb ihre … (Zwischenruf) – Ja, nein, das ist durchaus ein Kompliment. … also schon sehr genau überlegen, wie sie Ihre Wahlkreise und Ihre Landeslisten, wie sie es auch verschränken. Das ist übrigens bei den Bezirkswahlen auch so gewesen. Mein Gott, was wird da hin und her geschoben an Wahlkreis- und an Bezirkslistenaufstellungen. Höchst komplex. Nur um sicherzustellen, dass bestimmte Leute, je nachdem, wie sich die Ergebnisse dann ergeben, auf jeden Fall drin sind. Und da zu behaupten, das gebe dem Wähler nun besondere Möglichkeiten, die Wahrheit ist ja eine andere, Herr Brandt. Der Wähler hat genauso wenig Einfluss darauf wie vorher auch. Und deshalb stellt sich für mich, aber mit ganz wenigen Abweichungen, ganz wenig Abweichungen … (Zwischenruf) – Ja klar. Aber wie viele werden denn nicht gewählt? Wie viele, die bei euch auf Platz 1 oder 2 abgesichert werden, werden denn nicht gewählt? Das kommt ja so gut wie nie vor, in Wahrheit. Vorsitzende: Herr Dr. Schröder, dann Herr Zicht, dann Herr Dr. Linden, dann Herr Moehl und dann Herr Professor Kruse. Herr Dr. Schröder: Also, ich denke, mit so einem Antiparteieneffekt, der ja manchmal hier offenbar auch von dieser Bank hinüberweht, kommen wir vielleicht wirklich nicht weiter. Es ist die Aufgabe der Parteien, als demokratische Parteien Entscheidungen zu treffen, die auch die Kandidatenaufstellung betreffen. Ich glaube, das ist völlig unstrittig, und wenn in der Öffentlichkeit von einzelnen da andere Sichtweisen vertreten werden, ist es ja legitim, aber das ist sozusagen ja ihre Domäne, die Kandidaten zu präsentieren und da auch souverän zu entscheiden. Ich meine, es ist ein bisschen, wie soll ich sagen, fies von mir zu sagen, seien Sie einmal mutig genug, dann machen Sie das einmal und riskieren Sie einen Wahlverlust dann im Zweifel, aber so ist es nun einmal. Wenn die Parteien nicht selber sozusagen souverän genug sind zu sagen, also dies und dies System, das führt systematisch nicht zu den Ergebnissen, die sozusagen demokratisch irgendwie nachvollziehbar sind, das führt dazu, dass das dann so gedreht wird in der Hintertür, dass die einen sich genau davon begünstigt fühlen und die anderen dann sozusagen ihre Haushälter verlieren oder welche Sachverständige oder Sachkollegen auch immer, dass das dysfunktional ist, das liegt ja auf der Hand, denke ich, ehrlich gesagt. Aber ich glaube, insofern würde man, wenn man sozusagen dieses Fass aufmacht, ist doch aber die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, die Wahlkreise als solche beizubehalten, wenn das solche massiven Probleme nach sich zieht. Ich meine, klar, ich habe das auch gesehen, wenn dann bestimmte Parteien von 20 Landeslistenmandaten auf zwei runtergehen, also,

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ich meine, klar, dass dann von den Fachpolitikern nicht mehr viel übrig bleibt und da auch Kompetenz flöten geht, also platt gesagt, das liegt ja auf der Hand. Und dass man dann eben zu solchen Instrumenten greift wie, sich eben über andere Möglichkeiten abzusichern, das liegt auch auf der Hand. Die Frage ist, bring das irgendwem etwas. Und da würde man das eben bezweifeln. Denn letzten Endes sind es ja die Parteien, die diese Entscheidungen dann treffen. Also, wie gesagt, ich würde nicht denken, dass es nur einfach dadurch, dass man jetzt noch diese Wahlkreisebene notwendigerweise mit drin hat, da notwendigerweise auch jetzt schon dann auch den Parteien so hinreichend gedient ist, dass da diese eventuell sich einstellende Bürgernähe dann damit sozusagen ausgeglichen werden kann. Ist jetzt ein bisschen emotional von mir geworden vielleicht. Vorsitzende: Herr Zicht. Herr Zicht: Ja, ich denke einmal, das, was jetzt der CDU passiert ist, wird ihr ja nicht noch einmal passieren, jetzt nicht unbedingt vom Wahlergebnis her, sondern die Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Fraktion. Natürlich kann man das ein Stück weit dem Wahlrecht vorhalten, dass selbst eine so wahlkampferprobte oder kampferprobte Partei wie die CDU dann so in eine Falle quasi rutscht, das muss man ja nicht nur der CDU vorwerfen, das ist ja vielleicht in der Tat dann auch den Unwägbarkeiten des Wahlrechts geschuldet. Allerdings, wie kann man sich einstellen, das beweisen die GRÜNEN hier in Hamburg jetzt bei den letzten Wahlen. Trotzdem bin ich durchaus dafür, dass man da ein bisschen nachjustiert. Ich hatte in meinem Eingangsstatement ja vorgeschlagen, die den Wahlkreissitzanteil auf 50 Prozent runterzufahren, also auf 60:60, das würde das Problem für diese mittelgroßen Parteien, dass sie unter Umständen kaum noch Landeslistenplätze überhaben, dann doch deutlich entschärfen, und vor allem, wenn man das kombiniert mit der schon mehrmals auch von Kollegen hier neben mir vorgeschlagenen Zusammenrechnung von Wahlkreis- und Landeslistenstimmen. Weil, wir haben ja das Phänomen, dass gerade die mittelgroßen Parteien in der Regel mehr, deutlich mehr, Wahlkreisstimmen erhalten als Landeslistenstimmen und auch deswegen ein Wahlkreisüberhang entsteht. Vorsitzende: Dann Herr Dr. Linden. Herr Dr. Linden: Also ich finde, dass man diese Diskussion loslösen muss vom konkreten Wahlergebnis der CDU, sondern man muss dann mehr die konkreten Tendenzen sehen, die mit Wahlergebnissen oder mit Wahlsystemen verbunden sind. Und das ist jetzt ein Erfahrungsbeispiel, aber es wird alle Parteien treffen, glaube ich. Erstens gibt es ein Vorurteil. Das Vorurteil ist, Wahlsysteme haben irgendetwas zwingend zur Folge. Dem will ich einmal vorbeugen, dem ist nicht so, sondern Wahlsysteme geben eine Tendenz vor, steigern die Wahrscheinlichkeit, dass etwas passiert. Es gibt Mehrheitswahlsysteme, die zu Koalitionsregierungen führen, wie das in Großbritannien der Fall war. Also das ist gegen die Theorie, aber es passiert. Aber wichtig ist zu sehen, was ist die Tendenz dieses Wahlsystems. Die Tendenz dieses Wahlsystems ist einerseits starke Konzentration auf die Spitzenkandidaten, das heißt, eine Präsidentialisierung des Systems. Und dabei denke ich in einem längeren Verlauf. Nicht eine Legislaturperiode oder zwei, sondern wenn sich ein solches System einspielt. Eine Präsidentialisierung des politischen Systems, gleichzeitig einen Klientelismus. Ich meine den Begriff analytisch, nicht negativ besetzt. Ja? Es ist ein analytischer Begriff. Auch Subgroupismus ist ein analytischer Begriff. Kleine Gruppen innerhalb kleinerer Gruppen werden gestützt. Ein Klientelismus, ein Subgroupismus auf der territorialen Ebene und damit

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gleichzeitig die Schwächung des Parlaments auf der Arbeitsebene. Und damit müssen sich alle Parteien auseinandersetzen. Das führt meines Erachtens zu einem Mehr an symbolischer Politik, fixiert auf konsensuelle Spitzenkandidaten. Die Folge dessen ist Entpolitisierung und niedrigere Wahlbeteiligung. Vorsitzende: Herr Moehl. Herr Moehl: Zur Frage der Planbarkeit der Fraktionen. Diese Schwierigkeiten mit den quasi zu erfolgreichen Wahlkreisbewerbungen gibt es ja in vielerlei Hinsicht, das haben wir ja auch in vielen Bundesländern, die Einerwahlkreise haben. Ich erinnere da den Fall in NordrheinWestfalen, ich glaube, 2005, als noch nicht einmal der Spitzenkandidat ein Mandat errungen hat, weil die CDU einfach zu erfolgreich war und zu viele Wahlkreise direkt gewonnen hat. Das heißt, an irgendeiner Stelle werden wir eigentlich in jedem Wahlsystem dazu kommen, dass wir eben, außer wenn wir reine Listenwahl haben, aber ansonsten werden wir immer das Problem der Überhangmandate beziehungsweise eben der nicht mehr ausreichenden Anzahl von Landeslistenmandaten haben. Ich würde die Frage stellen, die Gegenfrage an Frau Prien, ob es denn so problematisch wäre, wenn eben auch eine Planbarkeit über Wahlkreise gegeben ist. Ich sehe zum Beispiel den Fraktionsvorsitzenden Dressel, der ist ja auch ein Wahlkreisabgeordneter und der hat ja auch schon eine längere parlamentarische Karriere hinter sich und sicher noch vor sich. Also das heißt, es ist doch auch möglich zu planen mit Wahlkreisabgeordneten, schon erst recht, wenn es eben nicht die Einerwahlkreise mit den manchmal etwas schwer vorhersehbaren Ergebnissen sind, sondern eben die Mehrfachwahlkreise, wo man dann doch relativ sicher im Sattel sitzt. Und ich sehe eben auch, dass die GRÜNEN das ja recht gut vorhergesehen haben, was so in etwa passieren wird in den einzelnen Wahlkreisen. Von daher würde ich also auch dem Vorschlag von Wilko Zicht folgen und sagen, lass es im Grunde dabei, ändert vielleicht das Zahlenverhältnis ein bisschen auf 60 in den Wahlkreisen und vielleicht 60 oder 61, die über die Liste kommen. Aber ganz wegbekommen wird man die Probleme nicht. Ich denke aber, dass man eben auch damit leben und arbeiten kann. Weil ja auch kein Wert an sich darin liegt zu sagen, wir wollen hier möglichst buntes Lotteriespiel und möglichst Unplanbarkeit, sondern wir wollen eben Stabilität, aber das ist in diesem System durchaus auch möglich. Vorsitzende: So, jetzt haben wir noch Wortmeldungen von Abgeordneten, es sei denn … Ach, Herr Dr. Brandt hatte sich auch noch gemeldet. Entschuldigung. Dann haben Sie jetzt das Wort. Herr Dr. Brandt: Ich bin mit einigen Statements doch nicht so ganz einverstanden. Wir haben ja sehr viel Erfahrung, jahrzehntelange Erfahrung mit Wahlrechten, die kumulieren und panaschieren. Oder auch auf kommunaler Ebene. Ja? Und dieses Wahlrecht hier so grundsätzlich infrage zu stellen, stellt ja auch diese ganzen Systeme infrage. Nicht? Und so einen großen Unterschied sollte man nicht zwischen einem Landeswahlrecht und einem Kommunalwahlrecht machen. Sie müssen alle Bürgerinteressen wahrnehmen. Und die Wahlkreise sind eben eingeführt worden, das ist vielleicht der nächste Punkt, um die Abgeordneten etwas unabhängiger von den Parteien zu machen. In den Neunzigerjahren gab es ja in der sogenannten Granzow-Kommission eine sehr intensive Befragung der Bürgerschaftsabgeordneten, und viele haben es als sehr anstrengend empfunden, innerparteiliche Netzwerke zu pflegen. Sie würden viel lieber in den Wahlkreisen Arbeit leisten mit den Bürgern, anstatt innerparteiliche Netzwerke zu pflegen, um wieder aussichtsreich aufgestellt zu werden. Auch das ist ein ganz – Frau Prien, Sie kennen das Geschäft genauso gut wie ich – und das ist ja ein wichtiger Gesichtspunkt, also auch von Machtzirkeln, die innerhalb der Parteien sich verfestigt haben und ihre Kandidaten

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durchziehen, das ist ein Problem, was wir in allen Parteien haben. Und da helfen eben auch die Wahlkreise. Und ich denke, man kann sicherlich darüber nachdenken, also so im Nachherein, ob man auf 60:60 oder auf 60:61 geht, um das Problem mittelstarker Parteien zu entschärfen, aber da muss man auch wieder an die Wahlkreise rangehen und hat diese ganze Diskussion. Vergessen Sie nie, dass es ganz wichtig ist, dass wir möglichst bürgernahe Abgeordnete aus möglichst vielen Stadtteilen, gut verteilt über die Stadt, haben. Es ist ein Wert an sich. Vorsitzende: Frau Prien dann. Abg. Karin Prien: Ja, ich würde Ihnen einfach entgegenhalten – Sie wissen, dass ich für viele Ihrer Vorstellungen große Sympathie habe –, aber glauben Sie denn, dass sich da irgendetwas dran geändert hat an diesen … (Zwischenrufe) Nein, daran hat sich nichts geändert. Also er … Ich glaube … Vorsitzende: Herr Dr. Brandt. Herr Dr. Brandt: Es ist dieser stärker unabhängige Abgeordnete. Sie haben das jetzt ja auch in der Diskussion auch im Bundestag erlebt, dass die Wahlkreisabgeordneten, sie sind einfach unabhängiger. Sie sind eher bereit, Position, eigenständige Positionen, oder sagen Sie es, ganz auch ihrem Gewissen zu folgen. Natürlich nehmen sie auch Wahlkreisinteressen wahr. Das, was als Klientelpolitik war, das haben wir überall und das gehört einfach zum politischen Geschäft. Das gleicht man auch untereinander aus dann nachher. Aber diese größere Unabhängigkeit von den Machtzentralen in den Parteien, die ist ganz wichtig und die schlägt sich positiv auch auf die Qualität der Politik nieder. Vorsitzende: Wir machen jetzt einmal eine Abschlussrunde unter den Mitgliedern des Ausschusses. Ob sich daraus noch Fragen ergeben, weiß ich nicht. Wenn Sie noch mögen, gleich auch noch einmal zum Statement, wer noch etwas uns mitzuteilen hat, sehr gerne. Zunächst hat sich jetzt Herr Professor Kruse gemeldet. Abg. Dr. Jörn Kruse: Also, in unserem gegenwärtigen politischen System ist der unabhängige Abgeordnete eine Fiktion, die wir niemals erreichen werden, egal, wie wir hieran herumdrehen. Weil, es hat ganz andere Gründe, warum das so ist. Aber im Übrigen würde ich einfach mit Blick auf die Zeit auf meinen Redebeitrag verzichten. Vorsitzende: Cool. Farid Müller. (Zwischenruf: Auch.) Vorsitzende: Auch. Abg. Farid Müller: Nein, ich wollte nur mich bedanken bei den Experten, auch von meiner Fraktion her. Wir haben viele, ja, sagen wir einmal, Beschreibungen bekommen, die uns, glaube ich, hier weiterhelfen mit dem Hamburger Blick, wie geht das weiter mit dem Wahlrecht. Es gibt einige Punkte, die sich verdichtet haben, wo wir ran müssen. Kann man auch noch drüber streiten am Ende, ob man es auf ein Verfassungsgerichtsverfahren darauf ankommen lässt. Aber da hat sich zumindest für mich ein gewisser Handlungszwang ergeben, wo wir nachdenken müssen. Allerdings muss ich dazu sagen, die Lösungen waren jetzt auch nicht alle einfach. Aber gut, da sind wir geübt in Hamburg.

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Und ansonsten finde ich die Vorschläge, die im Bereich, sagen wir einmal, wie machen wir es den Wählern einfacher, ihre Stimme abzugeben, was ja auch ein Bestandteil war, abseits vom Wahlrecht jetzt, fand ich doch sehr gut und auch berücksichtigenswert, wo wir, glaube ich, im Ausschuss bei der Auswertung und bei der weiteren Debatte hier noch einmal verstärkten Blick drauf werfen sollten. Weil, bei der Wahlbeteiligung gibt es ja viele Ursachen, und ich glaube, eine der Ursachen oder – wie haben wir so schön … Nichtwählermilieus, gibt es ja unterschiedliche, fand ich ganz interessant, diesen Begriff – dass wir uns da noch einmal verstärkt differenziert den Blick erlauben, wie können wir auf der einen Seite da etwas bewegen und auf der anderen Seite da die Nichtwählermotivation berücksichtigen bei den nächsten Wahlen, die wir hier zu organisieren haben. Also insofern dafür noch einmal herzlichen Dank. Und einiges bekommen wir ja noch einmal zu Protokoll und können das auch noch dann noch einmal vertiefen. Vielen Dank. Vorsitzende/Abg. Carola Veit: Genau. Wir sind aber noch nicht ganz am Ende, Herr Dr. Dressel hat noch eine Frage, … (Abg. Dr. Andreas Dressel: Ja, eine.) … Herr Steinbiß hat sich gemeldet, und ich hatte auch noch eine ganz kurze Frage, anknüpfend an das von eben. Weil, das lässt einen ja nicht los. Wenn das denn so ist, dass wir jetzt mehr so unabhängige Abgeordnete haben, die dann auch besser auftreten und ihre Meinung vertreten und dann auch viel mehr andere Aspekte reinbringen, dann führt das ja zu einer besseren Politik. Also so, sonst bräuchte man das ja nicht. So. Und dann müsste das doch eigentlich auch die Wählerin und der Wähler merken und viel begeisterter vom Parlament sein und auch noch viel begeisterter zur Wahlurne gehen. Aber das können wir ja nicht beobachten. Also ich stelle es nur einmal so … der Zusammenhang müsste doch dann eigentlich da sein. Oder spüren die das gar nicht, dass … (Zwischenruf: Dazu brauchen die mehr Zeit.) – Ach so, das dauert. Gut. Dann jetzt Herr Dr. Dressel mit seiner Frage. Abg. Dr. Andreas Dressel: Ja, ich habe jetzt noch eine ganz kleine technische Frage noch einmal, weil wir, glaube ich, ja noch einmal dieses Thema, da kam vorhin einmal kurz Niedersächsisches Modell und Bremer Modell bei der Frage, in welcher Reihenfolge sozusagen die Mandate gezogen werden. Wir haben das, glaube ich, vorhin bei der Übersicht von Herrn Moehl auch gesehen, sozusagen, was für ein kleiner Swing bei den, sage ich einmal, hinteren Landeslistenplätzen plötzlich über Einzug oder Nichteinzug faktisch entscheidet, während jetzt bei uns zum Beispiel Herr Olaf Scholz mit 700.000 irgendwie Direktstimmen … ich meine, er hat sein Mandat nicht angenommen, das ist klar, aber trotzdem wäre ja irgendwie naheliegend, dass er eigentlich, weil er nun der mit großem Abstand größte Personenstimmensieger ist, dass eigentlich bei ihm es so sein müsste, dass sich aufgrund seines Personenstimmenergebnisses quasi sein Einzug ergeben würde und nicht sozusagen aufgrund seines Listenplatzes. Also die Frage, ob diese … weil das vielleicht auch noch einmal Wilko Zicht noch einmal sagen kann, weil es über das Bremer Modell in Bremen, glaube ich, auch Diskussionen gibt. Und wir haben uns das damals ja aus Bremen abgeschaut, weil es der einzige Kompromiss war, der irgendwie gangbar war zwischen den Fraktionen und Mehr Demokratie, wie das jetzt eingeschätzt wird und ob es zum Niedersächsischen Modell jetzt auch neuere Erkenntnisse gibt. Denn ich finde das schon, sage ich einmal, demokratietheoretisch auch

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nicht völlig unproblematisch, dass man sozusagen mit 700.000 Stimmen kein Mandat bekommt, aber sozusagen, was weiß ich, mit 1.200 statt 1.000 Stimmen schon. Also das finde ich jedenfalls nicht völlig unproblematisch. Vielleicht ist das auch Gegenstand Ihrer Überlegungen einmal irgendwo gewesen. Vorsitzende: Direkte Frage, direkte Antwort? Herr Zicht: Ja, wenn es denn so wäre, klar, dass wäre es ein Problem, aber Herr Scholz hat ja sein Mandat bekommen. Nicht? Er hat es andere Weise bekommen. Er hat es ja noch nicht wahrgenommen, ich weiß, es ruht aber immerhin. Also er könnte es in Anspruch nehmen. (Zwischenruf: (…) Herr Dressel (…).) – Ja, das ist aber ihm ja überlassen. Entscheidend ist, würde ich da sagen, was hinten rauskommt. Und … (Zwischenruf: Das ist eine coole Antwort.) – Genau. (Zwischenrufe) Wir haben ja eben gehört: 14, ich habe eigentlich 15 in Erinnerung, Abgeordnete, die dann durch das Wählervotum in die Bürgerschaft gekommen sind im Vergleich zu starren Listen, und wenn es dann tatsächlich nur noch ein bis zwei wären, dann wäre der Aufwand, denke ich, umsonst. Und die Plausibilität kann man natürlich auch anders beurteilen. Warum sollte, wenn die Hälfte der Wähler ein Listenkreuz macht, warum sollte dann jemand im hinteren Drittel der Liste einen Listenplatz bekommen. Weil, das ist dann ja die Auswirkung, dass, wenn man erst die Personenstimmensitze verteilt, dass sich dann die ganze Listenbank nach hinten verschiebt. Und das Prinzip des Wahlrechts ist nun einmal, dass, wenn die Hälfte der Wähler die Liste wählt, dann soll auch die Liste bis zur Hälfte quasi ziehen. Wenn ein Drittel Listenstimmen vergibt, dann soll ein Drittel der Sitze dieser Parteien nach dem Listenplatz ziehen. Also, bei 30 Sitzen, ein Drittel macht Listenstimme, dann soll die Liste eben bis Platz 10, bis zum Abschluss des ersten Drittels, ziehen. Danach hat die Liste quasi keine Wählerlegitimation mehr. Im Vergleich dazu ist dann die Legitimation des Kandidaten, der mehr Personenstimmen als ein anderer hat, auch wenn es absolut nicht so viele Stimmen sind, weil es nun einmal bei den letzten Sitzen … geht es nun einmal auch nicht mehr um so viele Stimmen, dann ist da die Legitimation höher. Also man kann das Plausibilitäts- und Legitimationsargument auch umdrehen. Da hat jetzt weder die bremische noch die niedersächsische Variante einen Vorteil für sich. Aber bei dem Argument, was hinten rauskommt, ist dann eindeutig die Bremer Variante der Sieger. Vorsitzende: Herr Dr. Brandt. Herr Dr. Brandt: Das berührt ja doch den Kern. Wir haben doch jetzt auch die Situation, dass jemand, der ziemlich weit oben auf der Liste steht, wie sie von der Partei vorgeschlagen wird, mit 300 Stimmen reinkommt, und daneben ist jemand, der 3.000 oder 2.000 Personenstimmen bekommen hat und trotzdem nicht reinkommt, der weiter hinten auf der Liste war, dass die das als hoch ungerecht empfinden. Das Problem ist, dass dieses System der Stimmgewichtung immer zu Ungerechtigkeiten führt, und deswegen mein Plädoyer, das Beste ist, so etwas gar nicht erst zu etablieren. Es ist ja ein Kompromiss gewesen.

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Und das andere, ich habe einfach eine Bitte. Es geht ja bei Ihrer Argumentation einfach auch nur darum, den Einfluss der Wählenden darauf, wer über die Parteiliste ins Parlament geht, weiter zurückzunehmen. Deswegen wird die Argumentation hier geführt. Das kann man ja auch klar benennen, das ist ja völlig legitim, dass man das als Partei will. Vorsitzende: Frau Prien. Abg. Karin Prien: Ja, vielen Dank. Dem Dank von Herrn Müller möchte ich mich natürlich auch erst einmal anschließen, damit ich das nicht vergesse. Das war in vielerlei Hinsicht sehr aufschlussreich heute. Ich habe aber noch eine eher technische Frage, weil wir auch darüber schon im Vorfeld einmal intensiver gesprochen haben, die Frage der Verifikation der Angaben auf dem Wahlzettel und einer möglichen Sanktionierung. Sie haben natürlich völlig recht, ich habe das vorhin etwas verkürzt, aber dennoch geht es um die Frage, wenn, und das haben Ihre Untersuchungen, Herr Jakobeit, ja sehr klar ergeben, wenn der Wohnort und auch der Beruf eine so große Rolle spielen, dann ist ja die Frage, ist es dann nicht sinnvoll, die Wahrhaftigkeit der Angaben stärker zu überprüfen und eben auch zu sanktionieren, falls die Angaben nicht zutreffend sind. Und wenn Sie diese These teilen, wie könnte man das machen, aus Ihrer Sicht? (Abg. Dr. Andreas Dressel: Ich hätte gerne zu meiner Frage auch noch eine Antwort der anderen Sachverständigen, wenn es geht.) Vorsitzende: Ja, wir können sie ja nicht zwingen. Wer mag denn einmal beginnen? Herr Jakobeit. Herr Dr. Jakobeit: Direkt vielleicht auf die Frage von Frau Prien, muss man das stärker überprüfen, welche Art von Angaben da gemacht werden. Man sollte bei diesem ganzen Prozedere ja auch nicht die vierte Gewalt vergessen, also diejenigen Abgeordneten, die da … und wir haben ja jetzt einige Beispiele dafür, Wohnortangabe, Berufsangabe et cetera, das ist ja nicht ohne Folgen geblieben und aufgedeckt worden im Wahlkampf, natürlich auch mit Folgen für die Personen. Also man sollte auch bei dem ganzen Nachdenken darüber, was kommt wann und wie in so ein Infoheft oder in die Selbstdarstellung, darauf vertrauen, dass in einem Wahlkampf sowohl die Konkurrenz als auch die Öffentlichkeit sehr genau hinguckt und da natürlich auch feststellen wird, wenn da Fehlangaben gemacht werden. Also ich kann mir nicht vorstellen, dass das jetzt vom Wahlleiter bei der Erstellung dieser Stimmzettel, dass da so eine strenge Überprüfung in irgendeiner Form stattfinden muss, was jetzt die Berufsangabe und Ähnliches angeht. Ich glaube, dass da der Spielraum groß genug ist, dass in so einer Phase des Wahlkampfes da auch Korrekturen greifen. Ich kann mir das jedenfalls technisch nicht vorstellen. Weil, was ist das Sanktionsinstrument, was dann da greifen muss? Wir arbeiten alle dann unter Fristen et cetera, also da würde ich darauf vertrauen, dass das auch im Wahlkampf selbst dann zum Thema wird. Zum Risiko der Personen, die da möglicherweise an die Manipulationsgrenze gehen. Vorsitzende: Herr Dr. Linden. Herr Dr. Linden: Also ich denke einmal, meine Bedenken gegen das Wahlrecht habe ich ziemlich eindeutig vorgebracht und möchte die nicht wiederholen. Ich will noch auf einen allerletzten Aspekt eingehen, der jetzt in den Fragen gar nicht aufkam, auch weil ich glaube, dass man dazu etwas sagen kann, nämlich, fördert oder hindert die Personenstimme den Einzug von Frauen in die Bürgerschaft. Das Frauenthema, in Anführungszeichen, kam nicht hoch. Das ist eigentlich ganz interessant. Weil, da gibt es statistische Zusammenhänge, die so ganz gut belegt sind.

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Wenn Sie in einem Verhältniswahlsystem Parteilisten haben, dann fördert das den Einzug von Frauen in Parlamente. Das ist logisch, weil es immer irgendwelche Parteien gibt, die Quoren aufstellen. Mit der Personenstimme können Sie das dann so nicht mehr machen. Es gibt aber noch einen weiteren Zusammenhang, der da (…). Ist richtig, oder? (Zwischenrufe) – Ouoten oder Quoren ist … Also, Sie können auch sagen, mindestens, also statt einer festen Quote. Wenn Sie jetzt aber dieses Wahlsystem in Bezug auf seine Wirkungsweise untersuchen, habe ich ja argumentiert, dass dieses Wahlsystem Subgruppen bevorteilt. Das meine ich jetzt alles rein analytisch, das ist immer eine schwere Diskussion, insbesondere, wenn man mit Linken diskutiert, da gibt es immer zwei Interessengruppen, Migranten und Frauen und beides unter einen Hut zu bekommen. Und das kriegen Sie mit diesem Wahlsystem halt nicht hin, weil, unter den Frauen gibt es eine schwächere Gruppenidentität, die zur Wahl von Frauen anregt, als bei Migranten. Weil, Migranten teilen sich auf in identifizierbare Subgruppen, halt herkunftslandbezogen. Mit einer ausgeprägten Identität, die sich teilweise alleine am Namen festmacht. Und deshalb wird dieses Wahlsystem auf lange Sicht tendenziell dazu führen, dass eher weniger Frauen ins Parlament kommen, dafür eher mehr Migranten beziehungsweise, man nennt das in der empirischen Sozialforschung sichtbare Migranten, das heißt, Migranten mit einem migrantischen Namen. Das ist aber ein rein analytischer Befund, den ich sagen wollte. Also es ist keine Wertung, ob das jetzt gut oder schlecht ist, es ist einfach ein analytischer Befund in Bezug auf dieses Wahlsystem, auf solche stark personalisierten Verhältniswahlsysteme. Und da hat der Andreas Wüst oder der Herr Kaiser, die haben da viel zu gearbeitet, gibt es ausreichend Material, womit das belegt ist. Vorsitzende: Vielen Dank. Weitere? Herr Dr. Schröder? Herr Dr. Schröder: Also, auch das wurde nicht direkt gefragt, aber ich halte es eigentlich doch für erwähnenswert. Diese 14 Kandidaten oder wie viel auch immer das im Detail sind, repräsentieren jedenfalls in Hamburg 1,8 Prozent der Bürgerschaftswähler. Der Bürgerschaftsparteienwähler. Also das sind die Wähler, die von dem neuen Wahlrecht einen Vorteil haben. Die übrigen 98,2 Prozent, für die Wähler war es entweder egal, weil der Kandidat gewählt wurde, den sie gewählt haben, wäre ohnehin gewählt worden, nach dem starren Listenwahlsystem selbst, oder sie haben ihrem Kandidaten dadurch geschadet, weil der sozusagen einen schlechteren Personenstimmrang hatte als Listenplatz. Und, ja, das kam hier so nicht so auf, aber, ehrlich gesagt, für mich als Außenstehenden wirkt es so ein bisschen … Also es wird sehr viel Aufwand natürlich betrieben offenbar, schön dass wir hier sitzen, und bisher jedenfalls haben wir nur einen relativ kleinen Personenkreis, gemessen an der Gesamtwählerschaft, wo man jetzt sagen würde, also für die war das jetzt vorteilhaft. Und ich dachte, das wollte ich vielleicht noch, ohne da direkt gefragt worden zu sein, losgeworden sein. Vorsitzende: Ja, vielen Dank für den Hinweis. Das ist ja auch eine klare Antwort noch einmal auf die Frage, auf die wir uns ja auch vereinbart hatten vorher. Das Wahlrecht hatte ja schon zum Ziel, diese starren Parteilisten irgendwie aufzulösen, da Bewegung … also dieser Vorwurf, Parteilisten seien so starr, da Bewegung reinzubringen für die Wählenden. Und Ihr Befund ist da ja eine klare …

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(Zwischenruf: Ernüchternd, ja.) … Antwort auf die Frage, ob das sozusagen gelungen ist. Herr Moehl. Das andere, Sie haben jetzt von der Langfristigkeit des politischen Personals gesprochen. Dieses Wahlrecht, insbesondere in den Wahlkreisen, wird dazu führen, dass Abgeordnete eine höhere, längere Verweildauer im Parlament haben. Das mag den einen gefallen oder nicht. Denn je bekannter die Abgeordneten sind, desto kompetenter sie wahrgenommen werden und desto kompetenter sie sind, desto häufiger und besser werden sie auch wiedergewählt. Es stabilisiert also auch die Zusammensetzung einer Fraktion. Das mag man bedauern oder begrüßen, je nach Sicht. Also, wenn jemand gut ist, soll er auch nach meiner Überzeugung länger im Parlament bleiben. Und das leistet auch dieses Wahlrecht. Vorsitzende/Abg. Carola Veit: Also das Problem ist, dass hier wahnsinnig viel davon die Rede ist, wie Parteien was nutzen können, was kalkulieren müssen, dafür sorgen, dass jemand irgendwo abgesichert ist, im Vorhinein überlegen, wo sie landen, zwischens soundso viel und soundso viel Prozent, und genau das wird uns ja aber auch gleichzeitig vorgeworfen, dass wir ja irgendwie kalkulieren würden und rumlavieren würden. Obwohl wir es ja gar nicht tun, weil wir es gar nicht so gut tun können, weil, keiner hat mit dem CDUWahlergebnis gerechnet. Also ja nicht einmal wir. So. (Zwischenruf: Das muss schon etwas heißen, nicht?) Ist ja so. Also, das finde ich schon eine Schwierigkeit. Also jetzt erklären Sie uns den ganzen Abend, also einige von Ihnen, was wir eigentlich tun müssten, um irgendwie das dann doch noch hinzukriegen, den Haushaltsexperten abzusichern, aber eigentlich wollen wir ein System, was irgendwie klar ist, für uns vielleicht klar ist, aber auch für die Wählenden klar ist, wenn man etwas… So ein Vorschlag hat nichts mit Transparenz zu tun, ehrlich gesagt. Also wie will ich denn im Wahlkreis erklären, dass Herr Dr. Heinze jetzt im Wahlkreis kandidiert, obwohl er eigentlich gar keine Zeit für Wahlkreisarbeit hat, weil, er ist ja haushaltspolitischer Sprecher seiner Fraktion und muss das eigentlich den ganzen Tag machen, weil, wir haben zufällig im Wahlkampf auch noch Haushaltsberatungen. Also, wie bringe ich das dann dem Wahlkreiswähler und der Wahlkreiswählerin eigentlich nahe? Sozusagen, ich gebe es nur einmal zu bedenken, weil das einfach … Abg. Karin Prien: Ich würde gerne auch noch einmal ergänzen. Bei der CDU mögen Sie ja recht haben, bei den GRÜNEN können Sie beobachten, dass die, schlau wie sie sind, darauf ja reagiert haben und deshalb ihre … (Zwischenruf) – Ja, nein, das ist durchaus ein Kompliment. … also schon sehr genau überlegen, wie sie Ihre Wahlkreise und Ihre Landeslisten, wie sie es auch verschränken. Das ist übrigens bei den Bezirkswahlen auch so gewesen. Mein Gott, was wird da hin und her geschoben an Wahlkreis- und an Bezirkslistenaufstellungen. Höchst komplex. Nur um sicherzustellen, dass bestimmte Leute, je nachdem, wie sich die Ergebnisse dann ergeben, auf jeden Fall drin sind. Und da zu behaupten, das gebe dem Wähler nun besondere Möglichkeiten, die Wahrheit ist ja eine andere, Herr Brandt. Der Wähler hat genauso wenig Einfluss darauf wie vorher auch. Und deshalb stellt sich für mich, aber mit ganz wenigen Abweichungen, ganz wenig Abweichungen … (Zwischenruf) – Ja klar. Aber wie viele werden denn nicht gewählt? Wie viele, die bei euch auf Platz 1 oder 2 abgesichert werden, werden denn nicht gewählt? Das kommt ja so gut wie nie vor, in Wahrheit.

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Vorsitzende: Herr Dr. Schröder, dann Herr Zicht, dann Herr Dr. Linden, dann Herr Moehl und dann Herr Professor Kruse. Herr Dr. Schröder: Also, ich denke, mit so einem Antiparteieneffekt, der ja manchmal hier offenbar auch von dieser Bank hinüberweht, kommen wir vielleicht wirklich nicht weiter. Es ist die Aufgabe der Parteien, als demokratische Parteien Entscheidungen zu treffen, die auch die Kandidatenaufstellung betreffen. Ich glaube, das ist völlig unstrittig, und wenn in der Öffentlichkeit von einzelnen da andere Sichtweisen vertreten werden, ist es ja legitim, aber das ist sozusagen ja ihre Domäne, die Kandidaten zu präsentieren und da auch souverän zu entscheiden. Ich meine, es ist ein bisschen, wie soll ich sagen, fies von mir zu sagen, seien Sie einmal mutig genug, dann machen Sie das einmal und riskieren Sie einen Wahlverlust dann im Zweifel, aber so ist es nun einmal. Wenn die Parteien nicht selber sozusagen souverän genug sind zu sagen, also dies und dies System, das führt systematisch nicht zu den Ergebnissen, die sozusagen demokratisch irgendwie nachvollziehbar sind, das führt dazu, dass das dann so gedreht wird in der Hintertür, dass die einen sich genau davon begünstigt fühlen und die anderen dann sozusagen ihre Haushälter verlieren oder welche Sachverständige oder Sachkollegen auch immer, dass das dysfunktional ist, das liegt ja auf der Hand, denke ich, ehrlich gesagt. Aber ich glaube, insofern würde man, wenn man sozusagen dieses Fass aufmacht, ist doch aber die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, die Wahlkreise als solche beizubehalten, wenn das solche massiven Probleme nach sich zieht. Ich meine, klar, ich habe das auch gesehen, wenn dann bestimmte Parteien von 20 Landeslistenmandaten auf zwei runtergehen, also, ich meine, klar, dass dann von den Fachpolitikern nicht mehr viel übrig bleibt und da auch Kompetenz flöten geht, also platt gesagt, das liegt ja auf der Hand. Und dass man dann eben zu solchen Instrumenten greift wie, sich eben über andere Möglichkeiten abzusichern, das liegt auch auf der Hand. Die Frage ist, bring das irgendwem etwas. Und da würde man das eben bezweifeln. Denn letzten Endes sind es ja die Parteien, die diese Entscheidungen dann treffen. Also, wie gesagt, ich würde nicht denken, dass es nur einfach dadurch, dass man jetzt noch diese Wahlkreisebene notwendigerweise mit drin hat, da notwendigerweise auch jetzt schon dann auch den Parteien so hinreichend gedient ist, dass da diese eventuell sich einstellende Bürgernähe dann damit sozusagen ausgeglichen werden kann. Ist jetzt ein bisschen emotional von mir geworden vielleicht. Vorsitzende: Herr Zicht. Herr Zicht: Ja, ich denke einmal, das, was jetzt der CDU passiert ist, wird ihr ja nicht noch einmal passieren, jetzt nicht unbedingt vom Wahlergebnis her, sondern die Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Fraktion. Natürlich kann man das ein Stück weit dem Wahlrecht vorhalten, dass selbst eine so wahlkampferprobte oder kampferprobte Partei wie die CDU dann so in eine Falle quasi rutscht, das muss man ja nicht nur der CDU vorwerfen, das ist ja vielleicht in der Tat dann auch den Unwägbarkeiten des Wahlrechts geschuldet. Allerdings, wie kann man sich einstellen, das beweisen die GRÜNEN hier in Hamburg jetzt bei den letzten Wahlen. Trotzdem bin ich durchaus dafür, dass man da ein bisschen nachjustiert. Ich hatte in meinem Eingangsstatement ja vorgeschlagen, die den Wahlkreissitzanteil auf 50 Prozent runterzufahren, also auf 60:60, das würde das Problem für diese mittelgroßen Parteien, dass sie unter Umständen kaum noch Landeslistenplätze überhaben, dann doch deutlich entschärfen, und vor allem, wenn man das kombiniert mit der schon mehrmals auch von Kollegen hier neben mir vorgeschlagenen Zusammenrechnung von Wahlkreis- und Landeslistenstimmen. Weil, wir haben ja das Phänomen, dass gerade die mittelgroßen

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Parteien in der Regel mehr, deutlich mehr, Wahlkreisstimmen erhalten als Landeslistenstimmen und auch deswegen ein Wahlkreisüberhang entsteht. Vorsitzende: Dann Herr Dr. Linden. Herr Dr. Linden: Also ich finde, dass man diese Diskussion loslösen muss vom konkreten Wahlergebnis der CDU, sondern man muss dann mehr die konkreten Tendenzen sehen, die mit Wahlergebnissen oder mit Wahlsystemen verbunden sind. Und das ist jetzt ein Erfahrungsbeispiel, aber es wird alle Parteien treffen, glaube ich. Erstens gibt es ein Vorurteil. Das Vorurteil ist, Wahlsysteme haben irgendetwas zwingend zur Folge. Dem will ich einmal vorbeugen, dem ist nicht so, sondern Wahlsysteme geben eine Tendenz vor, steigern die Wahrscheinlichkeit, dass etwas passiert. Es gibt Mehrheitswahlsysteme, die zu Koalitionsregierungen führen, wie das in Großbritannien der Fall war. Also das ist gegen die Theorie, aber es passiert. Aber wichtig ist zu sehen, was ist die Tendenz dieses Wahlsystems. Die Tendenz dieses Wahlsystems ist einerseits starke Konzentration auf die Spitzenkandidaten, das heißt, eine Präsidentialisierung des Systems. Und dabei denke ich in einem längeren Verlauf. Nicht eine Legislaturperiode oder zwei, sondern wenn sich ein solches System einspielt. Eine Präsidentialisierung des politischen Systems, gleichzeitig einen Klientelismus. Ich meine den Begriff analytisch, nicht negativ besetzt. Ja? Es ist ein analytischer Begriff. Auch Subgroupismus ist ein analytischer Begriff. Kleine Gruppen innerhalb kleinerer Gruppen werden gestützt. Ein Klientelismus, ein Subgroupismus auf der territorialen Ebene und damit gleichzeitig die Schwächung des Parlaments auf der Arbeitsebene. Und damit müssen sich alle Parteien auseinandersetzen. Das führt meines Erachtens zu einem Mehr an symbolischer Politik, fixiert auf konsensuelle Spitzenkandidaten. Die Folge dessen ist Entpolitisierung und niedrigere Wahlbeteiligung. Vorsitzende: Herr Moehl. Herr Moehl: Zur Frage der Planbarkeit der Fraktionen. Diese Schwierigkeiten mit den quasi zu erfolgreichen Wahlkreisbewerbungen gibt es ja in vielerlei Hinsicht, das haben wir ja auch in vielen Bundesländern, die Einerwahlkreise haben. Ich erinnere da den Fall in NordrheinWestfalen, ich glaube, 2005, als noch nicht einmal der Spitzenkandidat ein Mandat errungen hat, weil die CDU einfach zu erfolgreich war und zu viele Wahlkreise direkt gewonnen hat. Das heißt, an irgendeiner Stelle werden wir eigentlich in jedem Wahlsystem dazu kommen, dass wir eben, außer wenn wir reine Listenwahl haben, aber ansonsten werden wir immer das Problem der Überhangmandate beziehungsweise eben der nicht mehr ausreichenden Anzahl von Landeslistenmandaten haben. Ich würde die Frage stellen, die Gegenfrage an Frau Prien, ob es denn so problematisch wäre, wenn eben auch eine Planbarkeit über Wahlkreise gegeben ist. Ich sehe zum Beispiel den Fraktionsvorsitzenden Dressel, der ist ja auch ein Wahlkreisabgeordneter und der hat ja auch schon eine längere parlamentarische Karriere hinter sich und sicher noch vor sich. Also das heißt, es ist doch auch möglich zu planen mit Wahlkreisabgeordneten, schon erst recht, wenn es eben nicht die Einerwahlkreise mit den manchmal etwas schwer vorhersehbaren Ergebnissen sind, sondern eben die Mehrfachwahlkreise, wo man dann doch relativ sicher im Sattel sitzt. Und ich sehe eben auch, dass die GRÜNEN das ja recht gut vorhergesehen haben, was so in etwa passieren wird in den einzelnen Wahlkreisen. Von daher würde ich also auch dem Vorschlag von Wilko Zicht folgen und sagen, lass es im Grunde dabei, ändert vielleicht das Zahlenverhältnis ein bisschen auf 60 in den Wahlkreisen und vielleicht 60 oder 61, die über die Liste kommen. Aber ganz wegbekommen wird man die Probleme nicht. Ich denke aber, dass man eben auch damit leben und arbeiten kann. Weil ja auch kein Wert an sich darin liegt zu sagen, wir wollen hier möglichst buntes

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Lotteriespiel und möglichst Unplanbarkeit, sondern wir wollen eben Stabilität, aber das ist in diesem System durchaus auch möglich. Vorsitzende: So, jetzt haben wir noch Wortmeldungen von Abgeordneten, es sei denn … Ach, Herr Dr. Brandt hatte sich auch noch gemeldet. Entschuldigung. Dann haben Sie jetzt das Wort. Herr Dr. Brandt: Ich bin mit einigen Statements doch nicht so ganz einverstanden. Wir haben ja sehr viel Erfahrung, jahrzehntelange Erfahrung mit Wahlrechten, die kumulieren und panaschieren. Oder auch auf kommunaler Ebene. Ja? Und dieses Wahlrecht hier so grundsätzlich infrage zu stellen, stellt ja auch diese ganzen Systeme infrage. Nicht? Und so einen großen Unterschied sollte man nicht zwischen einem Landeswahlrecht und einem Kommunalwahlrecht machen. Sie müssen alle Bürgerinteressen wahrnehmen. Und die Wahlkreise sind eben eingeführt worden, das ist vielleicht der nächste Punkt, um die Abgeordneten etwas unabhängiger von den Parteien zu machen. In den Neunzigerjahren gab es ja in der sogenannten Granzow-Kommission eine sehr intensive Befragung der Bürgerschaftsabgeordneten, und viele haben es als sehr anstrengend empfunden, innerparteiliche Netzwerke zu pflegen. Sie würden viel lieber in den Wahlkreisen Arbeit leisten mit den Bürgern, anstatt innerparteiliche Netzwerke zu pflegen, um wieder aussichtsreich aufgestellt zu werden. Auch das ist ein ganz – Frau Prien, Sie kennen das Geschäft genauso gut wie ich – und das ist ja ein wichtiger Gesichtspunkt, also auch von Machtzirkeln, die innerhalb der Parteien sich verfestigt haben und ihre Kandidaten durchziehen, das ist ein Problem, was wir in allen Parteien haben. Und da helfen eben auch die Wahlkreise. Und ich denke, man kann sicherlich darüber nachdenken, also so im Nachherein, ob man auf 60:60 oder auf 60:61 geht, um das Problem mittelstarker Parteien zu entschärfen, aber da muss man auch wieder an die Wahlkreise rangehen und hat diese ganze Diskussion. Vergessen Sie nie, dass es ganz wichtig ist, dass wir möglichst bürgernahe Abgeordnete aus möglichst vielen Stadtteilen, gut verteilt über die Stadt, haben. Es ist ein Wert an sich. Vorsitzende: Frau Prien dann. Abg. Karin Prien: Ja, ich würde Ihnen einfach entgegenhalten – Sie wissen, dass ich für viele Ihrer Vorstellungen große Sympathie habe –, aber glauben Sie denn, dass sich da irgendetwas dran geändert hat an diesen … (Zwischenrufe) Nein, daran hat sich nichts geändert. Also er … Ich glaube … Vorsitzende: Herr Dr. Brandt. Herr Dr. Brandt: Es ist dieser stärker unabhängige Abgeordnete. Sie haben das jetzt ja auch in der Diskussion auch im Bundestag erlebt, dass die Wahlkreisabgeordneten, sie sind einfach unabhängiger. Sie sind eher bereit, Position, eigenständige Positionen, oder sagen Sie es, ganz auch ihrem Gewissen zu folgen. Natürlich nehmen sie auch Wahlkreisinteressen wahr. Das, was als Klientelpolitik war, das haben wir überall und das gehört einfach zum politischen Geschäft. Das gleicht man auch untereinander aus dann nachher. Aber diese größere Unabhängigkeit von den Machtzentralen in den Parteien, die ist ganz wichtig und die schlägt sich positiv auch auf die Qualität der Politik nieder. Vorsitzende: Wir machen jetzt einmal eine Abschlussrunde unter den Mitgliedern des Ausschusses. Ob sich daraus noch Fragen ergeben, weiß ich nicht. Wenn Sie noch mögen,

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gleich auch noch einmal zum Statement, wer noch etwas uns mitzuteilen hat, sehr gerne. Zunächst hat sich jetzt Herr Professor Kruse gemeldet. Abg. Dr. Jörn Kruse: Also, in unserem gegenwärtigen politischen System ist der unabhängige Abgeordnete eine Fiktion, die wir niemals erreichen werden, egal, wie wir hieran herumdrehen. Weil, es hat ganz andere Gründe, warum das so ist. Aber im Übrigen würde ich einfach mit Blick auf die Zeit auf meinen Redebeitrag verzichten. Vorsitzende: Cool. Farid Müller. (Zwischenruf: Auch.) Vorsitzende: Auch. Abg. Farid Müller: Nein, ich wollte nur mich bedanken bei den Experten, auch von meiner Fraktion her. Wir haben viele, ja, sagen wir einmal, Beschreibungen bekommen, die uns, glaube ich, hier weiterhelfen mit dem Hamburger Blick, wie geht das weiter mit dem Wahlrecht. Es gibt einige Punkte, die sich verdichtet haben, wo wir ran müssen. Kann man auch noch drüber streiten am Ende, ob man es auf ein Verfassungsgerichtsverfahren darauf ankommen lässt. Aber da hat sich zumindest für mich ein gewisser Handlungszwang ergeben, wo wir nachdenken müssen. Allerdings muss ich dazu sagen, die Lösungen waren jetzt auch nicht alle einfach. Aber gut, da sind wir geübt in Hamburg. Und ansonsten finde ich die Vorschläge, die im Bereich, sagen wir einmal, wie machen wir es den Wählern einfacher, ihre Stimme abzugeben, was ja auch ein Bestandteil war, abseits vom Wahlrecht jetzt, fand ich doch sehr gut und auch berücksichtigenswert, wo wir, glaube ich, im Ausschuss bei der Auswertung und bei der weiteren Debatte hier noch einmal verstärkten Blick drauf werfen sollten. Weil, bei der Wahlbeteiligung gibt es ja viele Ursachen, und ich glaube, eine der Ursachen oder – wie haben wir so schön … Nichtwählermilieus, gibt es ja unterschiedliche, fand ich ganz interessant, diesen Begriff – dass wir uns da noch einmal verstärkt differenziert den Blick erlauben, wie können wir auf der einen Seite da etwas bewegen und auf der anderen Seite da die Nichtwählermotivation berücksichtigen bei den nächsten Wahlen, die wir hier zu organisieren haben. Also insofern dafür noch einmal herzlichen Dank. Und einiges bekommen wir ja noch einmal zu Protokoll und können das auch noch dann noch einmal vertiefen. Vielen Dank. Vorsitzende/Abg. Carola Veit: Genau. Wir sind aber noch nicht ganz am Ende, Herr Dr. Dressel hat noch eine Frage, … (Abg. Dr. Andreas Dressel: Ja, eine.) … Herr Steinbiß hat sich gemeldet, und ich hatte auch noch eine ganz kurze Frage, anknüpfend an das von eben. Weil, das lässt einen ja nicht los. Wenn das denn so ist, dass wir jetzt mehr so unabhängige Abgeordnete haben, die dann auch besser auftreten und ihre Meinung vertreten und dann auch viel mehr andere Aspekte reinbringen, dann führt das ja zu einer besseren Politik. Also so, sonst bräuchte man das ja nicht. So. Und dann müsste das doch eigentlich auch die Wählerin und der Wähler merken und viel begeisterter vom Parlament sein und auch noch viel begeisterter zur Wahlurne gehen. Aber das können wir ja nicht beobachten. Also ich stelle es nur einmal so … der Zusammenhang müsste doch dann eigentlich da sein. Oder spüren die das gar nicht, dass … (Zwischenruf: Dazu brauchen die mehr Zeit.)

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Listenstimmen vergibt, dann soll ein Drittel der Sitze dieser Parteien nach dem Listenplatz ziehen. Also, bei 30 Sitzen, ein Drittel macht Listenstimme, dann soll die Liste eben bis Platz 10, bis zum Abschluss des ersten Drittels, ziehen. Danach hat die Liste quasi keine Wählerlegitimation mehr. Im Vergleich dazu ist dann die Legitimation des Kandidaten, der mehr Personenstimmen als ein anderer hat, auch wenn es absolut nicht so viele Stimmen sind, weil es nun einmal bei den letzten Sitzen … geht es nun einmal auch nicht mehr um so viele Stimmen, dann ist da die Legitimation höher. Also man kann das Plausibilitäts- und Legitimationsargument auch umdrehen. Da hat jetzt weder die bremische noch die niedersächsische Variante einen Vorteil für sich. Aber bei dem Argument, was hinten rauskommt, ist dann eindeutig die Bremer Variante der Sieger. Vorsitzende: Herr Dr. Brandt. Herr Dr. Brandt: Das berührt ja doch den Kern. Wir haben doch jetzt auch die Situation, dass jemand, der ziemlich weit oben auf der Liste steht, wie sie von der Partei vorgeschlagen wird, mit 300 Stimmen reinkommt, und daneben ist jemand, der 3.000 oder 2.000 Personenstimmen bekommen hat und trotzdem nicht reinkommt, der weiter hinten auf der Liste war, dass die das als hoch ungerecht empfinden. Das Problem ist, dass dieses System der Stimmgewichtung immer zu Ungerechtigkeiten führt, und deswegen mein Plädoyer, das Beste ist, so etwas gar nicht erst zu etablieren. Es ist ja ein Kompromiss gewesen. Und das andere, ich habe einfach eine Bitte. Es geht ja bei Ihrer Argumentation einfach auch nur darum, den Einfluss der Wählenden darauf, wer über die Parteiliste ins Parlament geht, weiter zurückzunehmen. Deswegen wird die Argumentation hier geführt. Das kann man ja auch klar benennen, das ist ja völlig legitim, dass man das als Partei will. Vorsitzende: Frau Prien. Abg. Karin Prien: Ja, vielen Dank. Dem Dank von Herrn Müller möchte ich mich natürlich auch erst einmal anschließen, damit ich das nicht vergesse. Das war in vielerlei Hinsicht sehr aufschlussreich heute. Ich habe aber noch eine eher technische Frage, weil wir auch darüber schon im Vorfeld einmal intensiver gesprochen haben, die Frage der Verifikation der Angaben auf dem Wahlzettel und einer möglichen Sanktionierung. Sie haben natürlich völlig recht, ich habe das vorhin etwas verkürzt, aber dennoch geht es um die Frage, wenn, und das haben Ihre Untersuchungen, Herr Jakobeit, ja sehr klar ergeben, wenn der Wohnort und auch der Beruf eine so große Rolle spielen, dann ist ja die Frage, ist es dann nicht sinnvoll, die Wahrhaftigkeit der Angaben stärker zu überprüfen und eben auch zu sanktionieren, falls die Angaben nicht zutreffend sind. Und wenn Sie diese These teilen, wie könnte man das machen, aus Ihrer Sicht? (Abg. Dr. Andreas Dressel: Ich hätte gerne zu meiner Frage auch noch eine Antwort der anderen Sachverständigen, wenn es geht.) Vorsitzende: Ja, wir können sie ja nicht zwingen. Wer mag denn einmal beginnen? Herr Jakobeit. Herr Dr. Jakobeit: Direkt vielleicht auf die Frage von Frau Prien, muss man das stärker überprüfen, welche Art von Angaben da gemacht werden. Man sollte bei diesem ganzen Prozedere ja auch nicht die vierte Gewalt vergessen, also diejenigen Abgeordneten, die da … und wir haben ja jetzt einige Beispiele dafür, Wohnortangabe, Berufsangabe et cetera, das ist ja nicht ohne Folgen geblieben und aufgedeckt worden im Wahlkampf, natürlich auch mit Folgen für die Personen. Also man sollte auch bei dem ganzen Nachdenken darüber, was kommt wann und wie in so ein Infoheft oder in die Selbstdarstellung, darauf vertrauen, dass in einem Wahlkampf sowohl die Konkurrenz als auch die Öffentlichkeit sehr genau hinguckt und da natürlich auch feststellen wird, wenn da Fehlangaben gemacht werden.

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Verfassungs- und Bezirksausschuss Nr. 21/7

Also ich kann mir nicht vorstellen, dass das jetzt vom Wahlleiter bei der Erstellung dieser Stimmzettel, dass da so eine strenge Überprüfung in irgendeiner Form stattfinden muss, was jetzt die Berufsangabe und Ähnliches angeht. Ich glaube, dass da der Spielraum groß genug ist, dass in so einer Phase des Wahlkampfes da auch Korrekturen greifen. Ich kann mir das jedenfalls technisch nicht vorstellen. Weil, was ist das Sanktionsinstrument, was dann da greifen muss? Wir arbeiten alle dann unter Fristen et cetera, also da würde ich darauf vertrauen, dass das auch im Wahlkampf selbst dann zum Thema wird. Zum Risiko der Personen, die da möglicherweise an die Manipulationsgrenze gehen. Vorsitzende: Herr Dr. Linden. Herr Dr. Linden: Also ich denke einmal, meine Bedenken gegen das Wahlrecht habe ich ziemlich eindeutig vorgebracht und möchte die nicht wiederholen. Ich will noch auf einen allerletzten Aspekt eingehen, der jetzt in den Fragen gar nicht aufkam, auch weil ich glaube, dass man dazu etwas sagen kann, nämlich, fördert oder hindert die Personenstimme den Einzug von Frauen in die Bürgerschaft. Das Frauenthema, in Anführungszeichen, kam nicht hoch. Das ist eigentlich ganz interessant. Weil, da gibt es statistische Zusammenhänge, die so ganz gut belegt sind. Wenn Sie in einem Verhältniswahlsystem Parteilisten haben, dann fördert das den Einzug von Frauen in Parlamente. Das ist logisch, weil es immer irgendwelche Parteien gibt, die Quoren aufstellen. Mit der Personenstimme können Sie das dann so nicht mehr machen. Es gibt aber noch einen weiteren Zusammenhang, der da (…). Ist richtig, oder? (Zwischenrufe) – Ouoten oder Quoren ist … Also, Sie können auch sagen, mindestens, also statt einer festen Quote. Wenn Sie jetzt aber dieses Wahlsystem in Bezug auf seine Wirkungsweise untersuchen, habe ich ja argumentiert, dass dieses Wahlsystem Subgruppen bevorteilt. Das meine ich jetzt alles rein analytisch, das ist immer eine schwere Diskussion, insbesondere, wenn man mit Linken diskutiert, da gibt es immer zwei Interessengruppen, Migranten und Frauen und beides unter einen Hut zu bekommen. Und das kriegen Sie mit diesem Wahlsystem halt nicht hin, weil, unter den Frauen gibt es eine schwächere Gruppenidentität, die zur Wahl von Frauen anregt, als bei Migranten. Weil, Migranten teilen sich auf in identifizierbare Subgruppen, halt herkunftslandbezogen. Mit einer ausgeprägten Identität, die sich teilweise alleine am Namen festmacht. Und deshalb wird dieses Wahlsystem auf lange Sicht tendenziell dazu führen, dass eher weniger Frauen ins Parlament kommen, dafür eher mehr Migranten beziehungsweise, man nennt das in der empirischen Sozialforschung sichtbare Migranten, das heißt, Migranten mit einem migrantischen Namen. Das ist aber ein rein analytischer Befund, den ich sagen wollte. Also es ist keine Wertung, ob das jetzt gut oder schlecht ist, es ist einfach ein analytischer Befund in Bezug auf dieses Wahlsystem, auf solche stark personalisierten Verhältniswahlsysteme. Und da hat der Andreas Wüst oder der Herr Kaiser, die haben da viel zu gearbeitet, gibt es ausreichend Material, womit das belegt ist. Vorsitzende: Vielen Dank. Weitere? Herr Dr. Schröder?

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Verfassungs- und Bezirksausschuss Nr. 21/7

Herr Dr. Schröder: Also, auch das wurde nicht direkt gefragt, aber ich halte es eigentlich doch für erwähnenswert. Diese 14 Kandidaten oder wie viel auch immer das im Detail sind, repräsentieren jedenfalls in Hamburg 1,8 Prozent der Bürgerschaftswähler. Der Bürgerschaftsparteienwähler. Also das sind die Wähler, die von dem neuen Wahlrecht einen Vorteil haben. Die übrigen 98,2 Prozent, für die Wähler war es entweder egal, weil der Kandidat gewählt wurde, den sie gewählt haben, wäre ohnehin gewählt worden, nach dem starren Listenwahlsystem selbst, oder sie haben ihrem Kandidaten dadurch geschadet, weil der sozusagen einen schlechteren Personenstimmrang hatte als Listenplatz. Und, ja, das kam hier so nicht so auf, aber, ehrlich gesagt, für mich als Außenstehenden wirkt es so ein bisschen … Also es wird sehr viel Aufwand natürlich betrieben offenbar, schön dass wir hier sitzen, und bisher jedenfalls haben wir nur einen relativ kleinen Personenkreis, gemessen an der Gesamtwählerschaft, wo man jetzt sagen würde, also für die war das jetzt vorteilhaft. Und ich dachte, das wollte ich vielleicht noch, ohne da direkt gefragt worden zu sein, losgeworden sein. Vorsitzende: Ja, vielen Dank für den Hinweis. Das ist ja auch eine klare Antwort noch einmal auf die Frage, auf die wir uns ja auch vereinbart hatten vorher. Das Wahlrecht hatte ja schon zum Ziel, diese starren Parteilisten irgendwie aufzulösen, da Bewegung … also dieser Vorwurf, Parteilisten seien so starr, da Bewegung reinzubringen für die Wählenden. Und Ihr Befund ist da ja eine klare … (Zwischenruf: Ernüchternd, ja.) … Antwort auf die Frage, ob das sozusagen gelungen ist. Herr Moehl. Herr Moehl: Ja, das möchte ich dann auch noch einmal als Gelegenheit für ein Schlussstatement nutzen, daran anschließend, das, was Herr Dr. Schröder gesagt hatte, und auch anschließen an das, was Herr Dr. Dressel noch einmal nachdrücklich gefragt hatte, wenn wir das umdrehen, ob dann nicht zu wenig quasi neue Abgeordnete reingewählt werden, ob das dann nicht zu vorhersehbar wird. Also letztendlich ist dieses Wahlrecht sicher gut gemeint. Wir haben es jetzt in der Form dreimal … oder einmal in etwas anderer Form in Hamburg gesehen in der Praxis. Und wenn am Ende dabei rauskommt, dass Wählerinnen und Wähler doch so halbwegs zufrieden sind mit dem Personalangebot und so in etwa so wählen, wie das vielleicht auch unter anderen Wahlsystemen der Fall gewesen wäre, dann ist das ja kein Unglück, dann haben wir immerhin dieses Angebot, wir haben die Möglichkeit und die Alternative. Und, ganz wichtig, wir haben dann eben eine höhere Legitimation für den Status quo. Das ist dann nicht mehr so, dass, wie gesagt, 1957 das im Hamburger Wahlgesetz der Fall war, die Parteien alleine entscheiden. Jetzt haben die Wählerinnen und Wähler immerhin die Gelegenheit mitzuentscheiden und das ist also eine deutlich bessere Grundlage. Und ich denke, mit den Vorschlägen wie beispielsweise Umdrehen der Reihenfolge der Personen- und Listenzuteilung oder auch Änderung der Wahlkreisgröße, werden wir keine wesentlich anderen Ergebnisse sehen, aber es ist, wie gesagt, kein Wert an sich, möglichst viel Lotterie zu betreiben. Wenn am Ende ein Status quo einigermaßen bestätigt wird, denke ich, kann man auch damit zufrieden sein. Und ich möchte noch einmal herzlich danken für die Einladung und die Gelegenheit, hier eben aus der Praxis auch einige Dinge vortragen zu dürfen. Vielen Dank. Vorsitzende: Vielen Dank. Herr Steinbiß. Abg. Olaf Steinbiß: Ja, dann werde ich auch die Gelegenheit ergreifen und mich im Namen meiner Fraktion bei Ihnen herzlich bedanken und ja, gleichzeitig das Lob an die anderen Fraktionen, dass alle so kompetente Experten eingeladen hat, das hat viel Spaß gebracht und hat uns, glaube ich, auch weitergebracht. Wir werden es ja noch auszuwerten haben. Aber Sie sind vorhin nicht ganz auf mein Beispiel kleine Stadtteile, benachteiligt, wie ist das gewollt, eingegangen. Jetzt hatte Frau Prien auch schon angeführt, vielleicht Sanktionsmöglichkeiten bei der Angabe auf der Landesliste, wenn dort zum Beispiel ein

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Verfassungs- und Bezirksausschuss Nr. 21/7

besonders beliebter Beruf wie etwa Sanitäter oder so, angegeben wird, wie wirkt sich das aus. Da stellt sich für mich die Frage … (Zwischenruf: Rechtsanwalt.) – Oder Rechtsanwalt, genau. Ist das denn überhaupt insgesamt sinnhaft, dass solche Angaben erfolgen, denn wir haben ja festgestellt, in den Wahlkreisen ist es ja häufig die Größe des Wahlkreises, wenn wir das jetzt auf die Landesliste runterbrechen würden und verlangen würden meinetwegen, dass immer die Bezirke draufstehen, dann hätten wir ganz viele Wandsbeker höchstwahrscheinlich als größter Hamburger Bezirk als Abgeordnete. So haben wir jetzt die Angabe des Berufs, Alter führt ja auch schon einmal dazu, dass uns wenigstens junge Leute, wenn alle die jüngste Kandidatin unterstützt haben, aber ist das denn sinnvoll? Also wo ist die Grenze? Sollen wir ein Bildchen noch bei kleben künftig? Dann werden alle hübsch Aussehenden vielleicht besonders gewählt. Machen diese Angaben überhaupt aus Ihrer Sicht Sinn, das wäre meine abschließende Frage, besten Dank. Vorsitzende: Gut, wer möchte? Herr Dr. Brandt: Ich kann kurz antworten. Vorsitzende: Herr Dr. Brand. Herr Dr. Brandt: Also diese Angaben, das ist das Übliche bei solchen Wahlsystemen bundesweit. Das haben wir nicht erfunden, das ist einfach übernommen weitgehend. Sie können auf die Sachangaben verzichten, wenn Sie ein Infoheft machen. Vorsitzende: So, das verhandeln wir jetzt hier aber nicht, sondern jetzt hat Herr Dr. Duwe das Wort. Abg. Dr. Kurt Duwe: Ja, ich wollte erst einmal noch einmal mich bedanken für die interessanten Beiträge, die sind nicht alle meiner Meinung gewesen, das hat mich auch nicht gewundert. Das ist auch in der Demokratie so. Ich möchte nur einen Aspekt noch einmal ganz klarlegen. Dieses Wahlrecht gibt einzelnen Abgeordneten mehr Rückgrat, ja, innerparteilich, sodass sie nicht hundertprozentig, wenn sie wiedergewählt werden wollen, hundertprozentig darauf angewiesen sind, sagen wir einmal, um Listenplatz 6 oder 27 oder was weiß ich zu sichern, und immer darauf achten müssen, also jetzt muss ich aber einmal entweder meinen Mund halten oder ich muss mich noch einmal dreimal absichern. Das sagt einer, der auf Platz 10 war, auf der FDP-Landesliste, und wie Sie wissen, sind nur neun gewählt worden. Und ich komme nicht aus einem Bezirk Wandsbek, einem großen Bezirksverband, also der schon, ob ich nun gut bin oder nicht, schon einmal ein paar hundert Stimmen mehr kriegt weil, ist ja größer und so weiter und so fort. Das heißt latent, es könnte sogar sein, dass 121 Abgeordnete gewählt werden, die genauso von den Parteien gewählt worden sind. Aber in der Zwischenzeit, zwischen den Wahlen, hat immer ein Abgeordneter oder eine Abgeordnete die Möglichkeit zu sagen, ja, okay, aber in dem Punkt sage ich jetzt doch einmal etwas, was die Partei vielleicht nicht so toll findet, aber ich habe immer noch die Möglichkeit, auch wenn die Wahrscheinlichkeit gering ist, doch ins Parlament zu kommen, sofern mich die Partei aufstellt. Also, sofern mich die Partei aufstellt, das ist wichtig, aber eben auch Platz 88, wenn Leute irgendwie einen Rochus auf jemanden haben, der irgendwas gesagt hat, hat er immer noch die Möglichkeit zu sagen, ja, aber vielleicht, wenn die Wähler mich wollen, dann komme ich rein. Und das, denke ich einmal, ist an dem Wahlrecht der wichtigste Aspekt überhaupt. Vorsitzende: Ja, vielen Dank. Dann bleibt mir, mich im Namen des Ausschusses ganz, ganz herzlich bei Ihnen zu bedanken, dafür, dass Sie sich Zeit genommen haben, auch für die Materialien, die wir von Ihnen bekommen haben oder noch bekommen. Es ist sicher auch

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Verfassungs- und Bezirksausschuss Nr. 21/7

nicht ausgeschlossen, dass wir noch einmal mit einzelnen Fragen aus den Reihen der Fraktionen auf Sie zukommen, ich hoffe, das ist dann auch in Ordnung. Also, wie gesagt, ganz herzlichen Dank dafür, dass Sie sich hier Ihren Freitagabend um die Ohren geschlagen haben und wir beenden damit diese Expertenanhörung, aber natürlich noch nicht unsere Selbstbefassung. Wir werden ein Wortprotokoll haben und müssen dann uns vereinbaren, wann wir die Auswertung vornehmen. Das müssen sich ja auch alle dann noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Das macht sicherlich keinen Sinn, das gleich in der nächsten Sitzung zu tun.

Zu TOP 2

Mögliche Themen der Sitzung am 6. Oktober 2015: Drs. 21/1282: Halbjahresbericht 2015 und Schulden zum 2. Quartal 2015 sowie Bericht zur Entwicklung der Hamburger Steuererträge und Schulden zum 2. Quartal 2015 sowie Stellungnahme des Senats zum Ersuchen der Bürgerschaft vom 16. Mai 2013 „Jährliches Berichtswesen für Schulbaumaßnahmen“ (Drucksache 20/7981) (Senatsmitteilung) - Haushaltsausschuss ist federführend Drs. 21/1353: Feierlichkeiten zu 70 Jahren demokratischer Nachkriegsordnung in Hamburg mit einer „Langen Nacht der Demokratie“ begehen (FDP-Antrag) Drs. 21/469:

Aula der Irena-Sendler-Schule erhalten (FDP-Antrag)

Carola Veit (SPD) (Vorsitz)

Christiane Schneider (Fraktion DIE LINKE) (Schriftführung)

Sabine Dinse (Sachbearbeitung)

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Verfassungs- und Bezirksausschuss Nr. 21/7

Anlage 1

Themenkomplexe zur Anhörung „Hamburger Wahlrecht“ I. Höhe der Wahlbeteiligung und Zusammenhang mit dem Wahlrecht ‐ Ursachen der sinkenden Wahlbeteiligung ‐

„Soziale Spaltung“ bei der Wahlbeteiligung



Anforderungen an Einfachheit und Transparenz des Wahlrechts (soziale Relevanz)



Höhere Attraktivität und mehr Bürgernähe durch das gestärkte Persönlichkeitswahlrecht?



Verständnis der Wähler über Relation von Landeslisten- oder Personenstimme (bessere Vermittlung des geltenden Wahlrechts)?



Möglichkeiten der Förderung der Wahlbeteiligung durch Vereinfachung des Wahlrechtes



Wahlmöglichkeiten erweitern (Mehr Orte, zeitliche Erweiterung, weitere Erleichterung der Briefwahl…)



Initiativen der Bundesparteien

II. Wahlrecht im engeren Sinne ‐ Verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich des aktuellen Wahlrechtes ‐

Negatives Stimmengewicht/Personenstimmenparadoxon



Rechtliche Grenzen des Primats der Urnenwahl*/ Briefwahl für Alle?



Ungültige Stimmen



*

Ursache



*

Vermeidung



*

Heilungsmöglichkeiten (bei Stimmenmehrabgaben)

III. Wahlkreise ‐ Listenstimme / Persönlichkeitsorientierung (Gleichheit der Stimmzettel) ‐

Listenumfang



Wahlreisgrößen – gerecht oder ungerecht?



Mehrmandatswahlkreise- Standardisierung der Mandatszahl mit Blick auf die für ein Mandat nötigen Stimmen? IV. Landeslisten ‐ Listenumfang ‐

„starre“ Parteilisten / Bewegungseffekte (Ziel der Wahlrechtsänderung war unter anderem, eine starre Listenfolge zu vermeiden. Hat das Wahlrecht dies wirklich bewirkt?)



Fördert die Personenstimme die Zahl von Frauen in der Bürgerschaft?



Fördert oder hindert die Personenstimme den Einzug von Fachexperten im Parlament?



Stärkung der Landeslisten

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Angaben zu den Kandidierenden plus Verifikation



Bekanntmachen von Kandidierenden z.B. „Infoheft?“

V. Recht der Wahlen zu den Bezirksversammlungen VI. Verschiedenes ‐ Gestaltung Stimmzettel ‐

Auszählverfahren und –modalitäten



Handhabbarkeit durch Ehrenamtliche



Kosten

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Anlage 2

Statistikamt Nord 45

24.08.2015

Sonderauswertung von ungültigen Landeslistenstimmzetteln mit mehr als fünf Stimmen bei der Bürgerschaftswahl 2015 1) Anteil an ungültigen Stimmzetteln mit mehr als fünf Stimmen in Prozent Stimmzettel mit mehr als fünf Stimmen insgesamt

davon

100,0 15,4 3,8 3,3 1,3 71,3 5,0

sechs Stimmen vergeben sieben Stimmen vergeben acht Stimmen vergeben neun Stimmen vergeben zehn Stimmen vergeben mehr als zehn Stimmen vergeben

Anteil an ungültigen Stimmzetteln mit mehr als fünf Stimmen in Prozent Stimmzettel mit mehr als fünf Stimmen insgesamt davon

100,0 82,9 3,3 13,8

Gesamtliste und Kandidaten gewählt ausschließlich Gesamtlisten gewählt ausschließlich Kandidaten gewählt

Anteil an ungültigen Stimmzetteln mit mehr als fünf Stimmen in Prozent Fünf Stimmen Gesamtliste und fünf Stimmen Spitzenkandidat

darunter

48,3

SPD und Olaf Scholz CDU und Dietrich Wersich GRÜNE und Katharina Fegebank DIE LINKE und Dora Heyenn FDP und Katja Suding AfD und Jörn Kruse

36,3 3,8 0,0 0,8 3,3 2,5

Anteil an ungültigen Stimmzetteln mit mehr als fünf Stimmen in Prozent Eine Stimme Gesamtliste und fünf Stimmen Kandidaten

5,4 3,3 2,5

darunter SPD und Olaf Scholz Fünf Stimmen Gesamtliste und eine Stimme Kandidat Anteil in Prozent Fünf Stimmen Gesamtliste und fünf Stimmen Spitzenkandidat davon nach Alter

unter 35 Jahre 35 bis 44 Jahre 45 bis 59 Jahre 60 bis 69 Jahre 70 Jahre und älter

Quelle: Sonderauswertung von 15 repräensentativen Wahlbezirken

100,0 12,1 8,6 24,1 16,4 38,8

Statistikamt Nord 45

10.09.2015

Zusätzliche Sonderauswertung von ungültigen Landeslistenstimmzetteln mit mehr als fünf Stimmen bei der Bürgerschaftswahl 2015 Anteil in Prozent Insgesamt mehr als fünf Stimmen für Gesamtliste und Kandidaten der selben Partei Insgesamt unter 35 Jahre 35 bis 44 Jahre davon nach Alter 45 bis 59 Jahre 60 bis 69 Jahre 70 Jahre und älter

78,75 a) 100,0 15,3 7,4 21,2 15,9 40,2 Anteil in Prozent

Insgesamt mehr als fünf Stimmen für Gesamtliste und Kandidaten der selben Partei SPD CDU DIE LINKE davon nach Partei FDP GRÜNE AfD Sonstige

78,75 a) 55,4 7,1 3,3 4,2 1,3 4,6 2,9

a) Prozentuierung auf alle ausgewerteten ungültigen Stimmzettel Quelle: Sonderauswertung von 15 repräsentativen Wahlbezirken mit einer besonders hohen Anzahl an ungültigen Stimmzettelhefte mit dem Ungültigkeitsgrund "Mehr als 5 Stimmen vergeben".

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Verfassungs- und Bezirksausschuss Nr. 21/7

Anlage 3

Hamburgische Bürgerschaft Verfassungs- und Bezirksausschuss

11.09.2015

Hamburgische Bürgerschaft Verfassungs- und Bezirksausschuss 11.09.2015 Matthias Moehl, election.de

Hamburgische Bürgerschaft Verfassungs- und Bezirksausschuss

11.09.2015

• Wahlverhalten und Mandatsverteilung in der Praxis • Kriterien für die Personenstimmenvergabe (Stadtteile) • Ungültige Stimmen und soziale Strukturen • Vorschläge zur Weiterentwicklung des Wahlsystems

Hamburgische Bürgerschaft Verfassungs- und Bezirksausschuss

11.09.2015

Bürgerschaftswahl 2015 - Verteilung der Sitze nach Wahlkreisen / Listen SPD 58

CDU 20

DIE LINKE 11

FDP 9

GRÜNE 15

AfD 8

Wahlkreis

35

18

4

1

13

-

Liste Person

10 13

1 1

4 3

4 4

1 1

6 2

Spitzenkandidat/in

10,51

0,48

0,64

2,60

0,17

1,08

Wahlkreis max. Wahlkreis min.

83 303 8 005

49 233 11 106

14 764 6 343

30 366 30 366

34 537 7 313

-

Person max. Person min.

9 208 3 436

9 677 9 677

12 794 3 812

1 647 1 078

5 624 5 624

1 829 1 705

Liste / Sitz

68 073

311 180

46 752

36 830

278 084

25 904

Sitze gesamt

Höchster Wert

Niedrigster Wert

Hamburgische Bürgerschaft Verfassungs- und Bezirksausschuss

11.09.2015

Bürgerschaftswahl 2015 - Verteilung der Sitze auf den Landeslisten Platz 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

SPD 736583 13470 11249 2189 7720 3654 3584 13161 1516 2257 9208 3412 5286 5282 3436 3616 2397 4178 3150 5824

CDU 134919 6067 3969 1996 4773 2388 2598 5351 2487 2613 9677 1013 1267 5760 4336 2494 3875 1230 943 455

Listenstimmen

DIE LINKE 27591 8519 6097 6767 8575 2543 12794 3812 3605 2133 4307 5577 7570 3717 2609 3755 3588

FDP 85052 3654 2066 3068 1563 741 1078 758 1048 1552 190 378 495 313 402 1647 269 298 486 117

Personenstimmen

GRÜNE 36788 8918 7676 6631 4192 2923 3586 8268 1786 3643 6578 1661 3643 2353 1966 684 1169 3541 539 1354

AfD 28934 2378 4498 2290 1057 1891 1385 1356 1705 1583 404 865 972 683 1829 687 454 657 351 1075

Wahlkreis

Hamburgische Bürgerschaft Verfassungs- und Bezirksausschuss

11.09.2015

Verteilung der Wahlkreissitze – Beispiel Wahlkreis 2

Platz 1 SPD 30712 CDU 12410 DIE LINKE 6343 FDP 2569 GRÜNE 7643 AfD 14344 PIRATEN 2304 NPD 1425 Warum nicht! 1131

2 20978 3211 3088 2033 3903

3 15811 2853 3770

4 1494 1712 1965

5 1668 1061 1796

2994

3465

1473

1453

894

1057

6 3848 2250 850

Höchste Stimmenzahlen

Gewählte Höchste Stimmenzahlen und gewählt

7 1016 942

8 1662 517

9 1078 246

10 2549 1726

Hamburgische Bürgerschaft Verfassungs- und Bezirksausschuss

11.09.2015

87 Kandidaturen Schnelsen

72 Kandidierende wohnhaft im Wahlkreis

Niendorf

66 überdurchschnittliche Ergebnisse im Heimatstadtteil

Eidelstedt Stellingen Lokstedt

Hoheluft-West Harvestehude

Eimsbüttel

Rotherbaum

Wahlkreise im Bezirk Eimsbüttel

WK 5

WK 6

WK 7

59 Höchstergebnisse im Heimatstadtteil

Hamburgische Bürgerschaft Verfassungs- und Bezirksausschuss

11.09.2015

Wahlkreis 5

Wahlkreis 6

Wahlkreis 7 0 1

3

2

1

6 17

21

Höchstes Ergebnis im Heimatstadtteil Überdurchschnittliches Ergebnis im Heimatstadtteil Unterdurchschnittliches Ergebnis im Heimatstadtteil

21

Hamburgische Bürgerschaft Verfassungs- und Bezirksausschuss

11.09.2015

Ergebnisse im Heimatstadtteil (Wahlkreisergebnis = 100) 150

147

140

130

121 120

119

110

100

Wahlkreis 5

Wahlkreis 6

Wahlkreis 7

Hamburgische Bürgerschaft Verfassungs- und Bezirksausschuss

11.09.2015 Ungültige Stimmen / WBZ Briefwahl 1.6 % Urnenwahl 3.3 % Niedrigste Werte Eimsbüttel Barmbek-Süd Eppendorf Eilbek Eppendorf

301 05 420 01 405 08 501 01 404 04

0.0 % 0.2 % 0.4 % 0.5 % 0.5 %

130 36 136 04 512 11 526 28 130 47

18.1 % 12.2 % 11,5 % 11,4 % 11.4 %

Höchste Werte

Grafik: A. Hahn

Billstedt Wilhelmsburg Jenfeld Rahlstedt Billstedt

Hamburgische Bürgerschaft Verfassungs- und Bezirksausschuss

11.09.2015

Anzahl Wahlbezirke > 10 % Ungültige Stimmen (N=16) Billstedt

5

Jenfeld

3

Wilhelmsburg

2

Rahlstedt

1

Horn

1

Rothenburgsort

1

Wilstorf (A)

1

Poppenbüttel (A)

1

Lurup

1

Hamburgische Bürgerschaft Verfassungs- und Bezirksausschuss

11.09.2015

Anzahl Wahlbezirke < 0.84 % Ungültige Stimmen (N=16) Eimsbüttel

6

Eppendorf

2

Barmbek-Süd

1

Ottensen

1

Eilbek

1

Neustadt

1

St.Pauli

1

Hamm

1

Winterhude

1

Hohenfelde

1

Hamburgische Bürgerschaft Verfassungs- und Bezirksausschuss

11.09.2015

Korrelationskoeffizienten Ungültige Stimmen (N=1274 Wahlbezirke) +0,47

+0,45

-0,02

-0,03

-0,34

-0,52 -0,65

Wahlbet.

SPD

CDU

GRÜNE

DIE LINKE

FDP

AfD

Hamburgische Bürgerschaft Verfassungs- und Bezirksausschuss

11.09.2015

Wahlbezirke mit hohem Anteil Ungültige Stimmen (>= 5.6%; N=184) 70

60 53,8 50 42,0 40

30

20

13,0 9,3

10

6,7

8,3 4,4

0

Wahlbet.

SPD

CDU

GRÜNE

DIE LINKE

FDP

AfD

Hamburgische Bürgerschaft Verfassungs- und Bezirksausschuss

11.09.2015

Wahlbezirke mit niedrigem Anteil Ungültige Stimmen (5 Stimmen

SPD

CDU

5,2

1,7

GRÜNE

DIE LINKE

FDP

AfD

Hamburgische Bürgerschaft Verfassungs- und Bezirksausschuss

11.09.2015

Bürgerschaftswahl 2015 - Verteilung der Sitze auf den Landeslisten – Variante B Platz 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

SPD 736583 13470 11249 2189 7720 3654 3584 13161 1516 2257 9208 3412 5286 5282 3436 3616 2397 4178 3150 5824

CDU 134919 6067 3969 1996 4773 2388 2598 5351 2487 2613 9677 1013 1267 5760 4336 2494 3875 1230 943 455

Listenstimmen

DIE LINKE 27591 8519 6097 6767 8575 2543 12794 3812 3605 2133 4307 5577 7570 3717 2609 3755 3588

FDP 85052 3654 2066 3068 1563 741 1078 758 1048 1552 190 378 495 313 402 1647 269 298 486 117

Personenstimmen

GRÜNE 36788 8918 7676 6631 4192 2923 3586 8268 1786 3643 6578 1661 3643 2353 1966 684 1169 3541 539 1354

AfD 28934 2378 4498 2290 1057 1891 1385 1356 1705 1583 404 865 972 683 1829 687 454 657 351 1075

Wahlkreis

Hamburgische Bürgerschaft Verfassungs- und Bezirksausschuss

11.09.2015

Verteilung der Wahlkreissitze – Hamburg insgesamt

SPD CDU DIE LINKE FDP GRÜNE AfD

32 17 3 1 10 -

3 1 1 3 -

3 1 4

BSW 15 Variante B 35 35 18 17 4 3 1 1 13 11 4

Höchste Stimmenzahlen Gewählte Höchste Stimmenzahlen und gewählt

Hamburgische Bürgerschaft Verfassungs- und Bezirksausschuss

11.09.2015

Stimmen für die Parteiliste wirken nur, soweit noch keine Personenstimmen vergeben wurden.

Grafik: Landeswahlleitung Hessen

- 81 -

Verfassungs- und Bezirksausschuss Nr. 21/7

Anlage 4

Prekäre Wahlen – Hamburg Milieus und soziale Selektivität der Wahlbeteiligung bei der Hamburger Bürgerschaftswahl 2015

Prekäre Wahlen – Hamburg Milieus und soziale Selektivität der Wahlbeteiligung bei der Hamburger Bürgerschaftswahl 2015

Inhalt Vorwort5 Im Fokus: Die prekäre Bürgerschaftswahl 2015

6

Je prekärer die soziale Lage eines Stadtviertels, desto weniger Menschen gehen wählen. Das Wahlergebnis der Hamburger Bürgerschaftswahl ist sozial nicht repräsentativ.

Exkurs: Die microm Geo-Milieus® in Hamburg

I. Wähler- und Nichtwählermilieus in den Hamburger Stadtvierteln 

12 14

Die Milieuzugehörigkeit bestimmt die Höhe der der Wahlbeteiligung: Nichtwählerhochburgen finden sich dort, wo die sozial schwächeren und prekären Milieus dominieren. II. Die Ergebnisse für Hamburger Stadtteile im Einzelnen

18

In den Hamburger Wählerhochburgen dominieren das Konservativ-Etablierte und das Liberal-Intellektuelle Milieu. Im Wahlergebnis der Hamburger Bürgerschaft sind diese Milieus damit deutlich überrepräsentiert. Anhang: Milieus und soziale Indikatoren der 103 Hamburger Stadtteile

22

Über die Studie

30

Datenquellen31 Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen

32

Impressum33

3

4

Vorwort

Vorwort Seit Jahren sinkt die Wahlbeteiligung auf allen staatlichen Ebenen. Das gilt auch für die Bürgerschaftswahlen in der Hansestadt Hamburg: Mit 56,9 Prozent beteiligte sich nur etwas mehr als die Hälfte aller wahlberechtigten Hamburger Bürgerinnen und Bürger an der Bürgerschaftswahl 2015. Ein erneuter Tiefpunkt und Negativrekord, nachdem bereits 2011 die Wahlbeteiligung erstmals bei einer Bürgerschaftswahl seit 1946 unter die 60-Prozent-Marke gefallen war. Zu der Frage, wer die Nichtwähler sind und aus welchen Gründen immer weniger Menschen ihr Wahlrecht wahrnehmen, hat die Bertelsmann Stiftung bereits zur Bundestagswahl 2013 zwei umfangreiche Studien vorgelegt („Gespaltene Demokratie – Politische Partizipation und Demokratiezufriedenheit vor der Bundestagswahl 2013“ und „Prekäre Wahlen – Milieus und soziale Selektivität der Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2013“). In beiden Studien hat sich gezeigt: Je prekärer die Lebensverhältnisse in einem Stadtteil oder Wahlbezirk, desto geringer ist die Wahlbeteiligung. Die sinkende Wahlbeteiligung in Deutschland geht einher mit einer sozialen Spaltung der Wählerschaft. Daraus folgt: Unsere Wahlergebnisse sind, gemessen an der Sozialstruktur der Wählerschaft, nicht mehr repräsentativ. Auch bei der Hamburger Bürgerschaftswahl 2015 tritt dieser Zusammenhang zwischen Wahlbeteiligung und der sozialen Lage in den 103 untersuchten Hamburger Stadtteilen deutlich – und gegenüber der Bundestagswahl sogar noch einmal verschärft – zu Tage: In Stadtteilen, in denen die sozial schwächeren gesellschaftlichen Milieus dominieren, die von hoher Arbeitslosigkeit und geringem Einkommen geprägt sind, liegt die Wahlbeteiligung deutlich niedriger als in sozial stärkeren Stadtteilen. Daher ist auch die Hamburger Bürgerschaftswahl 2015 sozial nicht mehr repräsentativ. Jedoch zeigt sich ebenso, dass die Ursachen der strukturell und trendgemäß sinkenden Wahlbeteiligung tiefer liegen als häufig vermutet. Denn auch wenn das neue Hamburger Wahlrecht bisher keinerlei Beitrag für eine höhere und sozial gleichere Wahlbeteiligung leistet, sondern die politische Ungleichheit sogar noch weiter verschärft, ist es nicht die Hauptursache der drastisch sinkenden und ungleichen Wahlbeteiligung. Die liegt in der zunehmenden sozialen Spaltung und in der räumlichen Segregation der Hamburger Stadtgesellschaft. Dazu liefert die vorliegende Wahlbeteiligungsanalyse zahlreiche neue Befunde.

Dr. Jörg Dräger,

Prof. Dr. Robert Vehrkamp,

Mitglied des Vorstands

Direktor des Programms

der Bertelsmann Stiftung

Zukunft der Demokratie

5

Im Fokus: Die prekäre Bürgerschaftswahl 2015

Im Fokus: Die prekäre Bürgerschaftswahl 2015 Mit nur noch 56,9 Prozent hat die Wahlbeteiligung bei der Hamburger Bürgerschaftswahl 2015 einen neuen historischen Tiefststand erreicht. Von den knapp 1,3 Mio. Wahlberechtigten haben nur knapp 740.000 ihr Wahlrecht ausgeübt. Mehr als 560.000 wahlberechtigte Bürger haben auf ihr Wahlrecht verzichtet. Bei keiner der insgesamt 21 Bürgerschaftswahlen seit 1946 war die Wahlbeteiligung geringer und die Zahl der Nichtwähler größer als bei der Bürgerschaftswahl 2015. Damit setzt sich der seit Anfang der 1990er Jahre bestehende Trend einer massiv abnehmenden Wahlbeteiligung fort. Hatten sich im Durchschnitt der ersten 13 Bürgerschaftswahlen zwischen 1946 und 1987 noch fast acht von zehn (78 Prozent) der wahlberechtigten Hamburger Bürger beteiligt, sank die Beteiligung in den sechs folgenden Bürgerschaftswahlen von 1991 bis 2008 bereits um mehr als zehn Prozentpunkte auf durchschnittlich nur noch knapp 68 Prozent. Bei der Bürgerschaftswahl 2011 lag die Wahlbeteiligung mit nur noch 57,3 Prozent dann erstmals bei weniger als 60 Prozent. Mit der erneut geringeren Wahlbeteiligung ist die Bürgerschaftswahl 2015 bereits die sechste Bürgerschaftswahl in Folge mit abnehmender Wahlbeteiligung.

26,3 %

geringste Wahlbeteiligung in Billbrook In den Stadtteilen mit der niedrigsten Wahlbeteiligung (38,9 % im unteren Dezil*) finden sich prozentual

103 untersuchte Hamburger Stadtteile

• rund 36-mal so viele Haushalte aus ökonomisch schwächeren Milieus, • fast fünfmal so viele Arbeitslose, • und fast doppelt so viele Menschen ohne Schulabschluss wie in den wählerstärksten Stadtteilen (74,7 % im oberen Dezil*).

76,7 % höchste Wahlbeteiligung in Wohldorf-Ohlstedt

*Anmerkung: Dezil = die jeweils 10 % aller Stadtteile mit der höchsten bzw. geringsten Wahlbeteiligung.

6

Im Fokus: Die prekäre Bürgerschaftswahl 2015

Aber nicht das Niveau der Wahlbeteiligung allein ist entscheidend. Denn es gilt: Je niedriger die Wahlbeteiligung ausfällt, desto ungleicher ist sie. Hinter einer sinkenden Wahlbeteiligung verbirgt sich häufig eine zunehmende soziale Ungleichheit der Wahlbeteiligung. Die sozial stärkeren Gruppen der Gesellschaft beteiligen sich weiterhin auf vergleichsweise hohem Niveau, während die Beteiligungsquoten in den sozial schwächeren Milieus massiv einbrechen. Die Wahlbeteiligung wird sozial selektiver und die Wahlergebnisse sind sozial immer weniger repräsentativ. Das gilt auch für die Hamburger Bürgerschaftswahlen. Wie stark sich die Schere bei der Wahlbeteiligung bereits geöffnet hat, zeigt sich am deutlichsten auf der Ebene der Hamburger Stadtteile: Die Wahlbeteiligung der zehn Stadtteile mit der höchsten Wahlbeteiligung lag bei der Bürgerschaftswahl 2015 bei 74,7 Prozent und damit um fast 36 Prozentpunkte über der Wahlbeteiligung in den zehn Stadtteilen mit der niedrigsten Wahlbeteiligung (38,9 Prozent). Bei der Bundestagswahl 2013 lag diese Differenz noch etwa bei 30 Prozentpunkten. Die Spreizung der Wahlbeteiligung liegt bei der Bürgerschaftswahl 2015 damit um noch einmal ein Fünftel höher als bei der Bundestagswahl.

Abbildung 1: Spreizung der Wahlbeteiligung in den Hamburger Stadtteilen Angaben in Prozent

54,8

74,7 BÜRGERSCHAFTSWAHL 2015

Spreizung 30,9

BUNDESTAGSWAHL 2013

85,7

Höchste Wahlbeteiligung der Stadteile (oberstes Dezil*)

Niedrigste Wahlbeteiligung der Stadteile (unterstes Dezil*)

Spreizung 35,8

38,9

*Anmerkung: Dezil = die jeweils 10 % aller Stadtteile mit der höchsten bzw. geringsten Wahlbeteiligung. Quelle: Eigene Berechnung und Darstellung auf Basis der Daten des Statistikamts Nord.

Aber worauf beruht diese Spreizung der Wahlbeteiligung? Wovon hängt es ab, ob die Menschen in einem Stadtteil von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen oder auf ihr Wahlrecht verzichten? Die Ergebnisse unserer Studie sind eindeutig: Je prekärer die Lebensverhältnisse in einem Stadtviertel, desto weniger Menschen gehen wählen. Die soziale Lage eines Stadtviertels bestimmt die Höhe der Wahlbeteiligung: Je höher der Anteil von Haushalten aus den sozial schwächeren Milieus, je höher die Arbeitslosigkeit, je geringer der formale Bildungsstand und je geringer die durch-

7

Im Fokus: Die prekäre Bürgerschaftswahl 2015

Abbildung 2: Wahlbeteiligung in den Hamburger Stadtteilen mit unterschiedlichem Anteil der wirtschaftlich schwachen Milieus Angaben in Prozent

72 Anteil wirtschaftlich schwache Milieus

gering durchschnittlich hoch

Höhe der Wahlbeteiligung

sehr gering

67

sehr hoch

62

57 52

47

42 Quelle: Eigene Berechnung und Darstellung auf Basis der Daten des Statistikamts Nord, microm 2013.

Abbildung 3: Wahlbeteiligung in den Hamburger Stadtteilen mit unterschiedlichem Anteil der wirtschaftlich starken Milieus Angaben in Prozent

72 Anteil wirtschaftlich starke Milieus

gering durchschnittlich hoch sehr hoch

Höhe der Wahlbeteiligung

sehr gering

67

62

57 52

47

42 Quelle: Eigene Berechnung und Darstellung auf Basis der Daten des Statistikamts Nord, microm 2013.

8

Im Fokus: Die prekäre Bürgerschaftswahl 2015

schnittliche Kaufkraft der Haushalte in einem Stadtviertel, desto geringer ist die Wahlbeteiligung. Aus den in dieser Studie untersuchten Zusammenhängen zwischen der Höhe der Wahlbeteiligung und der sozialen Lage in insgesamt 103 Hamburger Stadtteilen ergibt sich ein mehr als deutliches Bild. Vergleicht man die jeweils zehn Stadtviertel mit der niedrigsten und der höchsten Wahlbeteiligung, zeigt sich das folgende soziale Muster: In den Hamburger Stadtvierteln mit der niedrigsten Wahlbeteiligung ... gehören fast 36-mal so viele Haushalte (56,4 Prozent) einem der drei sozial schwächeren Milieus an wie in den Stadtteilen mit der höchsten Wahlbeteiligung (1,6 Prozent); sind fast fünfmal so viele Menschen arbeitslos (8,4 Prozent) wie in den Stadtteilen mit der höchsten Wahlbeteiligung (1,8 Prozent); haben fast doppelt so viele Menschen (13,7 Prozent) keinen Schulabschluss und gleichzeitig deutlich weniger als die Hälfte das Abitur (17,8 Prozent) wie in den Stadtteilen mit der höchsten Wahlbeteiligung; liegt die durchschnittliche Kaufkraft der Haushalte mit knapp 42.000 Euro p. a. um fast ein Drittel unterhalb der Kaufkraft in den Stadtteilen mit der höchsten Wahlbeteiligung (60.000 Euro); und beträgt die durchschnittliche Wohnfläche pro Einwohner mit knapp 29 Quadratmetern nur etwa die Hälfte der Pro-Kopf-Wohnfläche in den Stadtteilen mit der höchsten Wahlbeteiligung (54 Quadratmeter). Für alle 103 untersuchten Hamburger Stadtviertel gilt damit, dass die soziale Situation und die Lebensverhältnisse der Menschen in einem Stadtviertel die Höhe der Wahlbeteiligung bestimmen. Das hat Konsequenzen für die soziale Repräsentativität des Hamburger Wahlergebnisses: Je nach sozialer Lage ihrer Stadtviertel sind die dort lebenden Menschen in der neu gewählten Hamburger Bürgerschaft sehr unterschiedlich stark vertreten. Die sinkende Wahlbeteiligung ist auch in Hamburg Ausdruck einer zunehmend ungleichen Wahlbeteiligung, hinter der sich eine soziale Spaltung der Wählerschaft verbirgt. Das Wahlergebnis der Hamburger Bürgerschaftswahl 2015 ist deshalb sozial nicht repräsentativ. Die Bürgerschaft in Hamburg ist sozial gespalten und die Demokratie wird zu einer immer exklusiveren Veranstaltung der Menschen aus den mittleren und oberen Sozialmilieus der Stadtgesellschaft, während die sozial schwächeren Milieus deutlich unterrepräsentiert bleiben.

9

Im Fokus: Die prekäre Bürgerschaftswahl 2015

Abbildung 4: Arbeitslosenquote und Wahlbeteiligung in den Hamburger Stadtteilen Angaben in Prozent / Jeder Punkt repräsentiert einen untersuchten Stadtteil

80

70

Wahlbeteiligung

60

50

40

30

20 0

3

6

9

12

15

Arbeitslosenquote Quelle: Eigene Berechnung und Darstellung auf Basis der Daten des Statistikamts Nord.

Als ein Grund für die abnehmende und sozial selektive Wahlbeteiligung wird häufig das seit 2011 geltende neue Hamburger Wahlrecht genannt. Schon bei seiner Einführung ergaben Umfragen, dass vor allem ältere Menschen und Geringgebildete dem neuen Wahlrecht überwiegend ablehnend gegenüber standen. Darüber hinaus kam es bereits bei der Bürgerschaftswahl 2011 zu einer nicht nur drastisch sinkenden, sondern zugleich zunehmend ungleichen Wahlbeteiligung. Gleichzeitig fiel in den Nichtwählerhochburgen der Anteil ungültiger Stimmen überdurchschnittlich hoch aus. Dasselbe Muster zeigt sich auch für die Bürgerschaftswahl 2015: Erneut lag der Anteil der ungültigen Stimmen mit 3 Prozent nicht nur deutlich höher als bei früheren Bürgerschaftswahlen nach altem Wahlrecht und mehr als viermal so hoch wie bei der Bundestagswahl 2013. Aus dem Vergleich der Stadtteile ergibt sich darüber hinaus, dass der Anteil ungültiger Stimmen in den sozial prekären Nichtwählerhochburgen häufig bis zu dreimal höher liegt als in den Stadtteilen mit hoher Wahlbeteiligung:

10

Im Fokus: Die prekäre Bürgerschaftswahl 2015

Abbildung 5: Wahlbeteiligung und ungültige Stimmen in den Hamburger Stadtteilen Angaben in Prozent / Jeder Punkt repräsentiert einen untersuchten Stadtteil

Anteil ungültige Stimmen

6

4

2

20

40

60

80

Wahlbeteiligung Quelle: Eigene Berechnung und Darstellung auf Basis der Daten des Statistikamts Nord.

Auch hier ist der Zusammenhang somit eindeutig: Je geringer die Wahlbeteiligung, desto höher der Anteil ungültiger Stimmen. Die Ursache dafür liegt offensichtlich wiederum in dem sozialen Profil der Stadtteile: Je geringer der Bildungsstand und je größer der Anteil der sozial prekären Milieus, umso stärker macht sich der negative Effekt des neuen Wahlrechts in Form ungültiger Stimmabgaben bemerkbar. Dennoch bleibt festzuhalten: Das neue Wahlrecht ist zwar nicht die Hauptursache der sinkenden und sozial ungleichen Wahlbeteiligung – die liegt auch in Hamburg vor allem in der zunehmenden sozialen Spaltung und Segregation der Bevölkerung. Das neue Wahlrecht leistet jedoch auch keinerlei Beitrag für eine höhere und sozial gleiche Wahlbeteiligung, sondern eher im Gegenteil: Es führt zu einer weiteren Verschärfung der ohnehin zunehmenden sozialen Ungleichheit der Wahlbeteiligung in Hamburg. Das Gesamtbild zeigt: Die Bürgerschaft in Hamburg ist sozial gespalten und die Demokratie wird auch in Hamburg zu einer immer exklusiveren Veranstaltung der Menschen aus den mittleren und oberen Sozialmilieus der Stadtgesellschaft, während die sozial schwächeren Milieus deutlich unterrepräsentiert bleiben. Die neugewählte Bürgerschaft ist sozial sogar noch weniger repräsentativ als das Hamburger Wahlergebnis der letzten Bundestagswahl. Deshalb wird in dieser Studie die Hamburger Bürgerschaftswahl 2015 als eine sozial prekäre Wahl bezeichnet.

11

Exkurs: Erläuterungen zu den microm Geo Milieus®

Exkurs: Erläuterungen zu den microm Geo Milieus® Mit den microm Geo Milieus® steht ein Ansatz zur Verfügung, der sozialen Status und Einstellungen kombiniert. Sie verdichten Informationen über Haushaltseinkommen, Bildung und Beruf zu einer Dimension sozialer Schichtung und ergänzen diese durch eine zweite Dimension, in die Werte und Einstellungen zu verschiedenen Lebensbereichen einfließen. Einstellungen werden auf einer Achse von traditionell über modern zu experimentierfreudig abgetragen, sodass ein zweidimensionaler Raum entsteht, in dem sich insgesamt zehn gesellschaftliche Milieus verorten lassen.

Oberschicht / Obere Mittelschicht

Abbildung 6: microm Geo Milieus®: Verteilung in Hamburg

Sozialökologisches Milieu 9%

Bürgerliche Mitte 12 %

Traditionelles Milieu 11 % Soziale Lage

Untere Mitteschicht / Unterschicht

Mittlere Mittelschicht

KonservativEtabliertes Milieu 12 %

Liberal-Interlektuelles Milieu 8%

Milieu der Performer 9%

Expeditives Milieu 8%

Adaptivpragmatisches Milieu 10 %

Hedonistisches Milieu 15 %

Prekäres Milieu 6%

Grundorientierung Festhalten

Bewahren

Tradition Traditionsverwurzelung

Haben und Genießen

Sein und Verändern

Modernisierung / Individualisierung

Modernisierte Tradition

Quelle: Sinus und microm 2013.

12

Lebensstandard, Status, Besitz

Selbstverwirklichung, Emanzipation, Authentizität

Machen und Erleben

Grenzen überwinden

Neuorientierung Multioptionalität, Beschleunigung, Pragmatismus

Exploration, Refokussierung, neue Synthesen

Exkurs: Erläuterungen zu den microm Geo Milieus®

Tabelle 1: Kurzcharakteristik der einzelnen Milieus

KonservativEtabliertes Milieu

Das klassische Establishment, das sich durch seine Verantwortungs- und Erfolgsethik auszeichnet und sich im Bewusstsein des eigenen Standes abgrenzt.

LiberalIntellektuelles Milieu

Die aufgeklärte Bildungselite, die von einer liberalen Grundhaltung, dem Wunsch nach selbstbestimmtem Leben und vielfältigen intellektuellen Interessen geprägt wird.

Milieu der Performer

Die effizienzorientierte Leistungselite, für die ein global-ökonomisches Denken sowie eine hohe IT- und Multimedia-Kompetenz charakteristisch sind.

Expeditives Milieu

Die ambitionierte kreative Avantgarde ist mental und geographisch mobil, online und offline vernetzt sowie ständig auf der Suche nach neuen Grenzen und Lösungen.

Bürgerliche Mitte

Der leistungs- und anpassungsbereite bürgerliche Mainstream bekennt sich generell zur gesellschaftlichen Ordnung und wünscht sich vor allem gesicherte und harmonische Verhältnisse.

Adaptivpragmatisches Milieu

Die moderne junge Mitte mit ausgeprägtem Lebenspragmatismus und Nutzenkalkül zeigt sich zielstrebig und kompromissbereit und weist ein starkes Bedürfnis nach Verankerung und Zugehörigkeit auf.

Sozialökologisches Milieu

Konsumkritisches/-bewusstes Milieu mit normativen Vorstellungen vom „richtigen Leben“ und einem ausgeprägten ökologischen und sozialen Gewissen.

Traditionelles Milieu

Die Sicherheit und Ordnung liebende Kriegs- /Nachkriegsgeneration, die in der alten kleinbürgerlichen Welt und/oder der traditionellen Arbeiterkultur verhaftet ist.

Prekäres Milieu

Die um Orientierung und Teilhabe bemühte Unterschicht mit starken Zukunftsängsten und Ressentiments, in der soziale Benachteiligungen und geringe Aufstiegsperspektiven eine reaktive Grundhaltung geschaffen haben.

Hedonistisches Milieu

Die spaß- und erlebnisorientierte moderne Unterschicht/untere Mittelschicht, für die nur das Hier und Jetzt entscheidend ist und die sich den Konventionen und Verhaltenserwartungen der Leistungsgesellschaft verweigert.

Quelle: Sinus und microm 2013.

13

I. Wähler- und Nichtwählermilieus in den Hamburger Stadtvierteln

I. Wähler- und Nichtwählermilieus in den Hamburger Stadtteilen Besonders anschaulich lässt sich die soziale Spaltung der Wahlbeteiligung mithilfe von Daten der microm Geo Milieus® darstellen. Diese gesellschaftlichen Milieus kombinieren in einem zweidimensionalen Raum sozio-ökonomische Informationen über Haushalteinkommen, Bildung und Beruf mit Werthaltungen und Einstellungen der Menschen. Auf diese Weise werden zehn verschiedene gesellschaftliche Milieus unterschieden (vgl. dazu den Exkurs auf S. 14 dieser Studie). Daten zur Verteilung der Milieus liegen inzwischen auch kleinräumig für die 103 untersuchten Stadtteile Hamburgs vor, so dass der Zusammenhang zwischen der Höhe der Wahlbeteiligung und der Verteilung der Milieus in den einzelnen Stadtteilen für alle Stadtteile untersucht werden konnte. Die folgenden Abbildungen stellen den Zusammenhang zwischen der Höhe der Wahlbeteiligung und dem Anteil des jeweiligen Milieus in den Hamburger Stadtteilen dar. Sie zeigen jeweils auf der horizontalen Achse den Anteil eines Milieus an der Gesamtbevölkerung eines Stadtteils und auf der vertikalen Achse die Höhe der Wahlbeteiligung. Jeder Punkt steht dabei für die kombinierten Werte eines Stadtteils. Dabei gilt: Je steiler die Trendlinie und je weniger aufgefächert die umliegende Punktwolke des Streudiagramms, desto stärker und positiver ist der Zusammenhang zwischen den jeweiligen Milieus und der Wahlbeteiligung (s. Abbildung 7). Am stärksten ausgeprägt zeigt sich der Zusammenhang zwischen den gesellschaftlichen Milieus und der Wahlbeteiligung beim Konservativ-Etablierten Milieu und beim Liberal-Intellektuellen Milieu: Je höher der Anteil eines der beiden Milieus in einem Stadtteil, desto höher ist auch die Wahlbeteiligung. Diese beiden gesellschaftlichen Milieus, die zusammen ein Fünftel (20 Prozent) der Hamburger Stadtgesellschaft ausmachen, sind im Wahlergebnis der Hamburger Bürgerschaftswahl somit am stärksten überrepräsentiert. Ein positiver Zusammenhang mit der Wahlbeteiligung zeigt sich auch für das Milieu der Performer (neun Prozent aller Hamburger Haushalte), für das ebenso gilt: Je höher der Anteil des Performer-Milieus in einem Stadtteil ausfällt, desto höher ist auch die Wahlbeteiligung. In etwas schwächerer Ausprägung ist somit auch das Milieu der Performer im Wahlergebnis der Hamburger Bürgerschaft überrepräsentiert.

14

I. Wähler- und Nichtwählermilieus in den Hamburger Stadtvierteln

Abbildung 7: Milieus der Ober-, Mittel- und Unterschicht und Höhe der Wahlbeteiligung Angaben in Prozent: Wahlbeteiligung / Anteil des Milieus an allen Einwohnern / Jeder Punkt repräsentiert einen untersuchten Stadtteil

Liberal-Intellektuell

90

Konservativ-Etabliert

Performer

80

Wahlbeteiligung

70

60

50

40

30

20

0

20

40

60

Sozialökologisch

90

80

0

20

40

60

80

Adaptiv-Pragmatisch

0

20

40

60

80

Expeditiv

Bürgerlich

80

Wahlbeteiligung

70

60

50

40

30

20

0

20

40

60

80

0

20

40

60

Prekär

90

80

0

20

40

60

Hedonistisch

80

0

20

40

Traditionell

80

Wahlbeteiligung

70

60

50

40

30

20

0

20

40

60

80

0

20

40

60

80

0

20

Quelle: Eigene Berechnung und Darstellung auf Basis der Daten des Statistikamts Nord, microm 2013.

15

40

60

80

60

80

I. Wähler- und Nichtwählermilieus in den Hamburger Stadtvierteln

Der gegenteilige Zusammenhang zeigt sich für sozio-ökonomisch schwächere Milieus, vor allem für das Hedonistische Milieu (15 Prozent aller Hamburger Haushalte) und das Traditionelle Milieu (elf Prozent aller Hamburger Haushalte): Je stärker ein Stadtteil durch eines dieser beiden gesellschaftlichen Milieus geprägt ist, desto niedriger fällt dort die Wahlbeteiligung aus. In etwas schwächerer Ausprägung gilt das auch für das Prekäre Milieu (sechs Prozent aller Hamburger Haushalte). Die drei sozio-ökonomisch schwächeren Milieus sind damit im Wahlergebnis der Hamburger Bürgerschaft unterrepräsentiert.

Abbildung 8: Wahlbeteiligung und Milieus Angaben in Prozent

1

Wahlbeteiligung

0,5

0

-0,5

-1 KonservativEtabliert

LiberalIntellektuell

Performer

Expeditives

AdaptivPragmatisches

SozialÖkologisch

Mitte

Traditionelle

Prekäre

Hedonisten

Anmerkung: Der Korrelationskoeffizient (Pearson) beschreibt Richtung und Ausmaß des statistischen Zusammenhangs zwischen Milieuanteilen (gemäß der projizierten, haushaltsbasierten Häufigkeitsverteilung der zehn microm Geo Milieus® je Gebietseinheit) und Wahlbeteiligung (in %) im Bereich von +1 (perfekter positiver Z.) bis -1 (perfekter negativer Z.). Liegen die Werte über +0,3 bzw. unter -0,3, wird von einem relevanten Zusammenhang gesprochen. Quelle: Eigene Berechnung und Darstellung auf Basis der Daten des Statistikamts Nord, microm 2013.

Als statistisch nicht signifikant erweisen sich die Zusammenhänge zwischen der Höhe der Wahlbeteiligung und der Milieustärke in einem Stadtteil für die drei Mittelschichtenmilieus der Bürgerlichen Mitte (zwölf Prozent aller Hamburger Haushalte), des Sozialökologischen Milieus (neun Prozent aller Hamburger Haushalte) und des Adaptiv-Pragmatischen Milieus (zehn Prozent aller Hamburger Haushalte). Bei diesen gesellschaftlichen Milieus hängt die Höhe der Wahlbeteiligung häufig von ihrem jeweiligen sozialen Umfeld ab: In Stadtteilen, in denen diese Milieus der Mittelschicht vor allem mit den sozio-ökonomisch stärkeren Milieus vermischt wohnen, ist ihre Wahlteilnahme höher als in den Stadtteilen, in denen sie sich mit den sozio-ökonomisch schwächeren Milieus mischen.

16

I. Wähler- und Nichtwählermilieus in den Hamburger Stadtvierteln

Ebenfalls statistisch nicht signifikant ist der Zusammenhang zwischen der Höhe der Wahlbeteiligung und der Milieustärke in einem Stadtteil für das Expeditive Milieu (acht Prozent aller Hamburger Haushalte). Das zeigt den eigenständigen Einfluss von Werthaltungen und Einstellungen auf die Höhe der Wahlbeteiligung; denn obwohl das Expeditive Milieu sozio-ökonomisch der Oberschicht zuzurechnen ist, führen die Werthaltungen dieses Milieus (Neuorientierung und Experimentierfreude) zu einer schwachen Wahlnorm und einer vergleichsweise unterdurchschnittlichen Wahlbeteiligung. Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse der Milieuanalyse sehr deutlich, dass neben den sozioökonomischen Faktoren (Arbeitslosigkeit, Bildung, Kaufkraft) auch die Werte und Einstellungen der Menschen und ihres sozialen Umfelds einen starken Einfluss auf die Höhe der Wahlbeteiligung ausüben. Ob jemand wählt, hängt stark davon ab, wo und wie er wohnt, welche Freunde und Nachbarn er hat, und ob in der Familie, im Freundeskreis und in der Nachbarschaft die Wahlteilnahme als Bürgerpflicht verstanden wird. In den Wählerhochburgen der sozio-ökonomisch stärkeren Milieus sind alle diese Bedingungen erfüllt und erhöhen die individuellen Wahlwahrscheinlichkeiten der dort lebenden Menschen. In den Nichtwählerhochburgen der sozio-ökonomisch schwächeren Milieus wirken sich diese Umfeldbedingungen ebenso scharf mit umgekehrtem Vorzeichen aus und führen zu einer sich strukturell verfestigenden Kultur des Nichtwählens.

Tabelle 2: Milieus und Höhe der Wahlbeteiligung (Stadtteile) Milieu

Korrelationskoeffizient (Pearson)

Grundorientierung*

Konservativ-Etablierte

0,629

AB

Liberal-Intellektuelle

0,716

B

Performer

0,461

C

Expeditive

-0,059

C

Adaptiv-Pragmatische

-0,182

C

Sozialökologische

0,041

B

Bürgerliche Mitte

0,045

B

Traditionelle

-0,639

AB

Prekäre

-0,326

B

Hedonisten

-0,732

BC

* A = Tradition, B = Modernisierung/Individualisierung, C = Neuorientierung. Quelle: Eigene Berechnung und Darstellung, kommunale Datenquellen, microm.

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II. Die Ergebnisse für Hamburger Stadtteile im Einzelnen

II. Die Ergebnisse für Hamburger Stadtteile im Einzelnen Mit 56,9 Prozent erreichte die Wahlbeteiligung bei der Hamburger Bürgerschaftswahl 2015 einen neuen historischen Tiefststand; sie lag nur noch leicht über dem Durchschnitt anderer Landtagswahlen in Deutschland. Dahinter verbirgt sich eine erhebliche soziale und damit auch politische Ungleichheit. Während in gut situierten Stadtvierteln nach wie vor überdurchschnittlich viele Menschen von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen, verabschieden sich in den sozial schwächeren Stadtteilen immer mehr Menschen aus der demokratischen Teilhabe und verzichten darauf, ihr Wahlrecht auszuüben. Wo die Nichtwähler wohnen ... Besonders unterdurchschnittlich (minus 20 Prozentpunkte) fiel die Wahlbeteiligung z. B. in den Stadtteilen Jenfeld und Rothenburgsort aus. Nur etwa zwei von fünf Wahlberechtigten gaben dort ihre Stimme ab. Kennzeichnend für diese beiden Stadtteile ist ihre Sozialstruktur: Die drei sozialökonomisch schwächeren Milieus der Traditionellen, Prekären und Hedonisten stellen in diesen Stadtteilen rund drei von vier Haushalten, die Arbeitslosigkeit ist im Vergleich zum Hamburger Durchschnitt fast doppelt so hoch, und das Stadtbild wird von Hoch- und Mehrfamilienhäusern geprägt. In Jenfeld (Wahlbeteiligung 37,7 Prozent) entfallen auf jeden Einwohner nur ca. 32 Quadratmeter Wohnfläche, fast 10 Quadratmeter weniger als im Durchschnitt Hamburgs. Auch das Bildungsniveau ist dort geringer als in den meisten anderen Hamburger Stadtteilen. Nur jeder sechste Haushalt weist eine (Fach-)Hochschulreife auf; ebenso in jedem sechsten Haushalt fehlt ein Schulabschluss. Auch die Anzahl der Akademiker ist mit zehn Prozent deutlich kleiner als im gesamtstädtischen Durchschnitt (24,6 Prozent). Ebenso ins Bild passt der Anteil der ungültigen Stimmen, der mit 6,1 Prozent doppelt so hoch ist wie in anderen Teilen Hamburgs. Im Stadtteil Rothenburgsort lag die Wahlbeteiligung bei 38,2 Prozent. Anhand dieses Stadtteiles lässt sich zeigen, dass trotz niedriger Arbeitslosenquote (3,8 Prozent) und einer immerhin durchschnittlichen Kaufkraft die Zugehörigkeit der dort lebenden Menschen zu bestimmten gesellschaftlichen Milieus und das Bildungsniveau die Höhe der Wahlbeteiligung determinieren. Drei Viertel der Einwohner von Rothenburgsort gehören einem der drei sozial schwächeren Milieus an und fast die Hälfte aller Einwohner kann dem hedonistischen Milieu zugerechnet werden, das ein typisches Nichtwähler-Milieu ist. Das zeigt: Die Wahlbeteiligung wird stark vom eigenen sozialen Umfeld bestimmt. Menschen in Nichtwählermilieus gehen auch dann weniger häufig zur Wahl, wenn andere soziale Indikatoren eher für eine Wahlteilnahme sprechen. Das jeweilige soziale Umfeld erweist sich damit als eigenständige Einflussgröße auf die Höhe der Wahlbeteiligung.

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II. Die Ergebnisse für Hamburger Stadtteile im Einzelnen

Auch in anderen Stadtteilen mit niedriger Wahlbeteiligung, wie Billbrook, Horn, Neuallermöhe oder Harburg, zeigen sich ähnliche soziale Strukturen, wenn auch mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten und Ausprägungen für einzelne Indikatoren (vgl. dazu im Einzelnen die Tabelle 4 im Anhang dieser Studie). Alle Einzelbeispiele machen jedoch sehr deutlich: Je prekärer die soziale Lage in einem Stadtteil, desto geringer ist die Wahlbeteiligung. ... wo die Wählerhochburgen sind ... Ein völlig anderes Bild ergibt sich in den Wählerhochburgen, also in den Stadtteilen mit der vergleichsweise höchsten Wahlbeteiligung aller Hamburger Stadtviertel. Ein Beispiel dafür ist der Stadtteil Wohldorf-Ohlstedt. Dort lag die Wahlbeteiligung bei einem Höchstwert von 76,7 Prozent. Dementsprechend weicht auch das soziale Profil des Stadtteils stark vom Hamburger Durchschnitt ab. Mehr als die Hälfte der Bewohner gehören in Wohldorf-Ohlstedt dem konservativ-etablierten Milieu an. Gleichzeitig liegt die Kaufkraft der Haushalte mit 67.000 Euro weit über dem Hamburger Durchschnitt (45.000 Euro). Wohldorf-Ohlstedt zeichnet sich durch eine stark ausgeprägte soziale Homogenität aus, denn insgesamt gehören 90 Prozent aller Haushalte einem der drei sozio-ökonomisch starken Milieus an. Das Bild des Stadtviertels ist von Klein- und Einfamilienhäusern geprägt. Ein sehr hoher Anteil an Akademikerhaushalten (40 Prozent), eine äußerst geringe Arbeitslosenquote (1,6 Prozent) und ein für Hamburger Verhältnisse geringer Anteil ungültiger Stimmen (2,3 Prozent) runden das Bild ab. Sehr ähnlich ist das Bild in Groß Flottbek. Dort lag die Wahlbeteiligung mit 75,2 Prozent weit über dem Hamburger Durchschnitt. Auch bei Groß Flottbek handelt es sich um einen sozial sehr homogenen Stadtteil, der sozio-ökonomisch in vielerlei Hinsicht dem Stadtteil Wohldorf-Ohlstedt gleicht. Es herrscht Vollbeschäftigung (nur 1,7 Prozent sind arbeitslos), die durchschnittliche Kaufkraft der dort lebenden Haushalte liegt mit 60.000 Euro deutlich über dem Hamburger Durchschnitt (45.000 Euro). Insgesamt gehören in Groß Flottbek drei Viertel aller Haushalte zu einem der sozio-ökonomisch starken Milieus. Das Stadtbild wird von Ein- und Kleinfamilienhäusern geprägt. Auch in ihrer Bildungsstruktur gleichen sich die beiden Wählerhochburgen Groß Flottbek und Wohldorf-Ohlstedt nahezu perfekt. Einziger Unterschied zwischen den beiden Stadtteilen ist die Milieustruktur: Dominiert in Wohldorf-Ohlstedt das konservativ-etablierte Milieu, wohnen in Groß Flottbek überwiegend Menschen aus dem Milieu der Performer (40 Prozent), einem typischen Wähler-Milieu. Auch in anderen Wählerhochburgen Hamburgs, wie Nienstedten, Volksdorf, LemsahlMellingstedt oder Othmarschen, zeigen sich ähnliche soziale Strukturen, wenn auch mit jeweils unterschiedlichen Ausprägungen bei den einzelnen Sozialindikatoren (vgl. auch dazu die Tabelle 2 im Anhang dieser Studie).

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II. Die Ergebnisse für Hamburger Stadtteile im Einzelnen

…und wo die Wahlbeteiligung im Durchschnitt liegt Mit 57,2 Prozent Wahlbeteiligung liegt der Stadtteil Eilbek ziemlich genau im Durchschnitt der Hamburger Wahlbeteiligung bei der Bürgerschaftswahl 2015. Ähnliches lässt sich folgerichtig auch über seine Milieustruktur sagen, in der keine bestimmte Gruppe dominiert: Knapp ein Viertel der Haushalte entfällt auf die drei sozio-ökonomisch starken Milieus, gut die Hälfte lässt sich der bürgerlichen Mitte und ein Viertel einem der sozio-ökonomisch schwächeren Milieus zurechnen. Die durchschnittliche Heterogenität des Stadtteils führt auch bei der Wahlbeteiligung zu durchschnittlichen Werten. Auch der Blick auf das Bildungsniveau der in Eilbek lebenden Haushalte bestätigt das Bild eines durchschnittlich heterogenen Stadtteils: Die (Fach-)Abiturquote liegt mit 22 Prozent nur knapp unter dem Hamburger Durchschnitt (25 Prozent). Der Anteil der Menschen ohne Schulabschluss liegt bei ebenfalls durchschnittlichen zehn Prozent. Mit fünf von 100 Erwerbsfähigen ist die Höhe der Arbeitslosigkeit leicht unterdurchschnittlich. Das Stadtbild zeigt eine gemischte Bebauung, die den Einwohnern eine für Hamburg durchschnittliche Wohlfläche pro Einwohner in Höhe von 39 Quadratmetern bietet und somit den Eindruck eines für Hamburg durchschnittlichen Stadtviertels bestätigt. Fazit Auch bei der Bürgerschaftswahl 2015 ist die Wahlbeteiligung in Hamburg sozial gespalten. Im Vergleich zur Bundestagswahl 2013 fiel die Ungleichheit der Wahlbeteiligung sogar noch einmal stärker aus. Dadurch bestätigt sich auch für den Stadtstaat Hamburg: Je geringer die Wahlbeteiligung, desto ungleicher fällt sie aus. Ähnlich wie das Wahlergebnis der Bundestagswahl 2013 ist auch das Wahlergebnis der Hamburger Bürgerschaftswahl 2015 – gemessen an der Sozialstruktur der Bevölkerung Hamburgs – nicht repräsentativ.

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II. Die Ergebnisse für Hamburger Stadtteile im Einzelnen

Hamburg im Überblick

MILIEU Den am stärksten positiven Zusammenhang mit der Höhe der Wahlbeteiligung zeigt in Hamburg das Milieu der Liberal-Intellektuellen, gefolgt von den Konservativ-Etablierten und den Performern: Je höher der Anteil der Haushalte dieser drei Milieus der Oberschicht, desto höher ist die Wahlbeteiligung. Das Gegenteil gilt für die sozial schwächeren Milieus der Hedonisten, der Traditionellen und der Prekären: Je höher der Anteil dieser drei Milieus in einem Stadtviertel ausfällt, desto geringer ist die Wahlbeteiligung.

SOZIALINDIKATOREN Besonders ausgeprägt ist in Hamburg der Zusammenhang der Wahlbeteiligung mit der Arbeitslosigkeit: Je mehr Haushalte in einem Stadtviertel von Arbeitslosigkeit betroffen sind, desto geringer ist die Wahlbeteiligung. Ein ähnlich starker Zusammenhang besteht mit umgekehrtem Vorzeichen zwischen der Wahlbeteiligung und der Wohnfläche pro Einwohner: Je größer die Wohnfläche je Einwohner, desto höher ist die Wahlbeteiligung. Ebenso deutlich ist der Zusammenhang der Wahlbeteiligung mit dem Niveau der formalen Bildungsabschlüsse der in einem Stadtteil lebenden Haushalte: Je höher der Anteil von Haushalten mit (Fach-) Abitur, desto höher ist die Wahlbeteiligung, und je höher der Anteil von Menschen ohne Schulabschluss, desto niedriger ist die Wahlbeteiligung. Etwas schwächer, aber immer noch deutlich erkennbar ist der Zusammenhang zwischen der Wahlbeteiligung und der durchschnittlichen Kaufkraft der Haushalte eines Stadtviertels: Je höher die Kaufkraft, desto höher ist auch die Wahlbeteiligung. Die schwächsten Effekte zeigen sich bei der Art der Bebauung. Dennoch gilt auch für den Zusammenhang zwischen Wahlbeteiligung und Bebauungsart eines Stadtteils: Je mehr Haushalte eines Stadtviertels in Ein- und kleineren Mehrfamilienhäuser (bis zehn Wohneinheiten) leben, desto höher ist die Wahlbeteiligung.

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Anhang: Milieus und soziale Indikatoren der 103 Hamburger Stadtteile

Anhang: Milieus und soziale Indikatoren der 103 Hamburger Stadtteile Tabelle 3a: Wahlbeteiligung und Anteile der Milieus in den Hamburger Stadtteilen Angaben in Prozent

Stadtteil Billbrook Jenfeld Rothenburgsort Neuallermöhe Horn Kleiner Grasbrook Steinwerder Billstedt Hammerbrook Harburg Wilhelmsburg Veddel Steilshoop Dulsberg Lurup Hausbruch Wilstorf Lohbrügge Tonndorf Neugraben-Fischbek Heimfeld Hamm Wandsbek Eidelstedt Bramfeld Eißendorf Farmsen-Berne Borgfelde Neuenfelde Hamburg-Altstadt Rahlstedt Osdorf Barmbek-Nord Bergedorf St. Pauli Langenhorn Altona-Altstadt Sternschanze Stellingen Sinstorf Cranz Finkenwerder Waltershof Barmbek-Süd Eilbek Langenbek Altenwerder Moorburg Hummelsbüttel Neustadt Schnelsen Moorfleet

Wahlbeteiligung

KonservativEtabliertes Milieu

LiberalIntellektuelles Milieu

Milieu der Performer

Expeditives Milieu

Bürgerliche Mitte

26,3 37,7 38,2 39,9 40,1 40,4 40,4 40,6 40,6 40,7 42,4 43,2 43,8 44,5 44,8 45,1 47,9 49,0 49,7 49,8 49,9 51,1 51,8 53,3 53,5 53,5 53,9 54,2 54,2 54,3 54,4 54,6 54,7 55,6 55,9 56,2 56,3 56,4 56,5 56,6 56,8 56,9 56,9 57,0 57,2 57,5 57,8 57,8 57,9 58,2 58,4 58,8

0,6 6,2 0,4 7,7 1,4 0,2 0,0 3,3 1,0 2,4 1,8 0,1 1,2 1,3 4,8 14,6 5,1 9,3 11,4 13,7 6,8 2,9 6,9 9,3 12,6 10,7 12,7 2,2 18,2 0,5 17,5 20,2 3,8 11,5 0,4 15,6 0,9 0,0 6,0 14,3 42,0 9,7 1,6 4,1 7,2 7,0 0,0 22,0 27,3 1,0 17,9 9,1

0,0 2,5 0,3 7,1 1,4 0,0 0,0 2,7 2,5 2,1 3,0 0,0 4,0 0,2 4,3 8,5 4,4 7,6 3,9 9,2 7,9 3,2 6,0 5,4 6,6 11,2 9,1 3,7 6,8 1,5 9,4 6,5 2,9 9,8 0,2 6,5 3,5 2,1 6,3 19,3 5,9 3,8 0,0 4,4 8,3 14,7 0,0 3,6 10,4 3,0 11,0 5,0

2,4 1,5 1,3 6,6 1,1 0,0 4,1 0,6 31,5 3,2 0,7 0,9 1,2 0,4 1,1 4,3 1,2 2,1 3,2 1,7 3,7 1,6 4,2 2,6 2,6 2,9 3,8 4,1 1,4 66,8 5,0 6,7 2,1 7,5 1,3 1,6 9,7 7,3 5,2 2,0 1,3 1,7 0,0 5,2 8,5 1,4 0,0 1,5 5,2 25,8 8,9 0,8

0,0 1,4 1,7 14,1 5,8 1,3 1,5 0,9 21,3 11,6 0,6 2,0 1,4 13,1 0,5 1,0 1,4 2,8 4,4 1,1 6,6 11,7 10,1 1,5 3,4 1,5 2,8 20,9 0,5 6,0 1,9 1,7 26,6 5,3 25,5 2,6 16,1 42,9 8,3 0,4 4,4 0,8 12,9 25,0 14,6 1,5 0,0 0,0 1,0 16,2 3,6 0,8

38,2 13,9 8,7 6,2 11,3 3,7 15,4 15,2 2,3 6,3 10,3 7,3 18,4 5,6 20,6 16,3 19,8 20,3 16,5 21,8 10,2 11,4 15,1 21,6 20,9 18,3 17,0 7,4 14,9 2,4 16,9 13,1 7,3 16,8 1,6 21,7 3,4 0,6 16,2 29,7 10,5 26,1 33,9 7,4 9,8 35,1 14,3 13,4 15,3 2,6 16,4 31,5

Quelle: Eigene Berechnung und Darstellung auf Basis der Daten des Statistikamts Nord, microm 2013.

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Anhang: Milieus und soziale Indikatoren der 103 Hamburger Stadtteile

AdaptivPragmatisches Milieu

Sozialökologisches Milieu

Traditionelles Milieu

Prekäres Milieu

Hedonistisches Milieu

Ökonomisch stärkere Milieus

Ökonomisch schwächere Milieus

3,2 3,1 4,8 13,4 5,8 3,9 14,4 2,8 19,3 8,4 2,0 1,5 2,3 6,2 4,3 2,2 11,2 6,5 13,7 4,0 8,1 13,5 14,9 8,6 9,1 6,1 9,8 15,4 4,0 17,2 9,1 7,6 13,8 11,2 3,7 6,2 9,6 8,8 14,5 11,4 4,8 7,0 0,0 15,2 14,6 7,0 0,0 2,1 6,1 12,9 11,2 8,0

6,8 4,6 6,3 20,2 2,4 6,2 16,9 4,9 10,3 3,8 4,9 7,4 15,1 2,7 8,3 12,0 7,7 7,9 9,0 6,4 3,7 7,6 10,0 9,8 7,2 6,7 7,4 8,4 19,6 3,7 7,4 5,9 4,9 6,0 10,1 6,5 11,9 13,4 9,5 9,5 3,3 4,9 43,6 9,3 10,8 8,9 65,7 12,1 10,8 14,7 15,5 4,1

13,3 18,9 17,2 4,7 23,2 1,0 23,1 19,8 0,4 14,6 15,6 2,6 13,9 15,7 20,9 14,1 18,4 22,5 11,3 13,8 17,2 14,5 13,8 16,4 16,2 17,6 16,7 13,0 16,4 0,3 12,0 12,8 13,6 12,2 10,9 19,1 12,0 4,7 13,0 3,8 8,3 20,1 8,1 10,7 9,4 14,0 0,0 6,7 5,7 4,2 6,0 11,8

7,5 10,6 7,1 6,1 8,3 1,2 6,7 10,2 2,1 6,8 7,2 0,1 14,3 6,2 14,9 9,7 9,9 8,7 11,8 11,0 8,3 10,8 8,7 12,4 10,3 10,6 7,3 6,2 5,7 0,0 7,5 7,3 9,0 6,9 6,2 10,3 4,4 2,3 8,4 7,4 8,3 13,1 0,0 8,0 6,7 5,9 20,0 30,1 8,7 4,6 4,0 21,9

28,1 37,4 52,3 13,8 39,3 82,5 18,0 39,7 9,3 41,0 54,0 78,2 28,2 48,7 20,4 17,3 21,0 12,2 14,8 17,3 27,6 22,8 10,3 12,6 11,3 14,4 13,5 18,9 12,5 1,6 13,3 18,2 16,0 12,8 40,0 10,1 28,6 17,9 12,6 2,3 11,2 12,8 0,0 10,7 10,2 4,5 0,0 8,6 9,5 15,1 5,5 7,1

3,0 10,1 2,0 21,3 3,9 0,2 4,1 6,6 35,0 7,6 5,5 0,9 6,3 1,9 10,2 27,4 10,7 19,0 18,5 24,6 18,3 7,7 17,1 17,2 21,8 24,9 25,5 9,9 26,4 68,8 31,8 33,3 8,8 28,8 2,0 23,7 14,1 9,4 17,5 35,5 49,2 15,2 1,6 13,7 24,1 23,1 0,0 27,0 42,9 29,8 37,8 14,9

48,8 66,9 76,6 24,7 70,8 84,7 47,7 69,8 11,8 62,4 76,8 80,9 56,4 70,6 56,2 41,1 49,3 43,5 37,9 42,2 53,1 48,1 32,8 41,3 37,7 42,6 37,4 38,1 34,6 1,9 32,9 38,3 38,6 31,9 57,2 39,4 45,0 24,9 34,0 13,5 27,8 46,0 8,1 29,4 26,2 24,4 20,0 45,4 23,9 23,9 15,6 40,8

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Anhang: Milieus und soziale Indikatoren der 103 Hamburger Stadtteile

Tabelle 3b: Wahlbeteiligung und Anteile der Milieus in den Hamburger Stadtteilen Angaben in Prozent

Stadtteil Bahrenfeld Altona-Nord Rönneburg St. Georg Gut Moor Neuland Fuhlsbüttel Lokstedt Marienthal Allermöhe Hohenfelde Iserbrook Curslack Spadenland Ohlsdorf Francop Neuengamme Groß Borstel Marmstorf Niendorf Kirchwerder Alsterdorf Sülldorf Ochsenwerder Winterhude Eimsbüttel Hoheluft-West Ottensen Hoheluft-Ost Billwerder Eppendorf Rotherbaum Altengamme Poppenbüttel Reitbrook HafenCity Harvestehude Uhlenhorst Rissen Duvenstedt Bergstedt Tatenberg Blankenese Wellingsbüttel Sasel Othmarschen Lemsahl-Mellingstedt Groß Flottbek Volksdorf Nienstedten Wohldorf-Ohlstedt

Wahlbeteiligung

KonservativEtabliertes Milieu

LiberalIntellektuelles Milieu

Milieu der Performer

Expeditives Milieu

Bürgerliche Mitte

58,9 59,3 59,5 60,2 60,5 60,5 60,6 62,2 62,3 62,5 62,6 62,7 62,9 62,9 63,1 63,8 63,8 64,0 64,0 64,0 64,2 64,5 64,8 65,2 65,3 66,2 66,3 66,3 66,4 66,6 66,8 67,4 67,6 68,5 68,6 68,9 69,3 69,8 70,6 70,7 72,3 72,5 73,6 73,8 74,2 74,6 74,7 75,2 75,2 75,6 76,7

6,2 1,3 12,6 1,3 27,5 9,6 17,8 11,7 22,1 17,4 6,3 28,4 25,8 35,1 17,6 48,9 21,7 15,2 17,3 22,7 29,2 18,9 24,3 34,7 6,1 3,2 7,4 1,9 5,6 17,1 5,5 3,1 40,6 35,7 43,6 0,0 5,8 6,9 33,7 42,0 40,0 25,9 37,6 48,9 47,6 25,5 53,6 20,5 47,6 30,3 62,2

5,4 3,9 19,5 2,0 3,9 6,4 10,3 8,6 16,8 10,5 19,9 11,5 15,4 7,8 10,1 9,2 13,2 7,9 16,9 13,1 13,9 13,3 10,3 5,9 12,9 10,0 20,6 12,2 18,3 9,2 11,4 10,6 13,9 11,3 9,9 26,7 15,5 22,1 18,4 11,8 15,1 22,4 21,1 15,1 11,9 17,9 10,3 16,2 16,1 17,3 13,0

4,1 6,6 0,9 15,6 0,0 0,0 7,5 12,2 18,2 2,2 16,1 4,9 3,0 9,0 6,9 0,0 5,5 13,1 4,8 6,7 3,7 14,6 6,5 7,7 20,4 11,7 19,2 11,2 30,9 5,6 35,9 51,1 0,8 11,3 22,3 35,3 48,3 31,4 11,2 18,4 4,4 13,3 28,0 18,1 11,6 31,9 18,2 40,5 11,5 39,2 14,7

17,6 20,9 0,9 16,1 0,0 3,0 5,1 6,3 6,5 1,4 14,2 1,1 1,0 0,0 11,0 2,0 0,3 4,4 0,2 1,6 0,9 5,3 1,8 0,4 18,0 23,9 19,1 19,5 10,1 0,8 12,7 12,5 0,4 1,2 0,0 4,0 3,2 9,2 2,9 0,3 1,1 0,4 1,9 2,6 0,5 6,6 0,2 1,4 1,8 1,3 0,0

11,8 2,5 20,5 1,1 0,0 19,5 12,6 10,3 7,2 47,6 4,3 16,5 21,0 29,0 11,9 14,7 33,6 11,6 33,5 20,3 28,4 10,3 19,5 32,2 4,3 3,7 3,0 4,8 1,9 9,2 1,8 0,2 20,5 13,7 23,4 1,1 0,6 4,1 13,0 6,0 15,5 17,1 4,6 3,0 9,9 3,4 2,8 4,2 5,8 3,7 2,6

Quelle: Eigene Berechnung und Darstellung auf Basis der Daten des Statistikamts Nord, microm 2013.

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Anhang: Milieus und soziale Indikatoren der 103 Hamburger Stadtteile

AdaptivPragmatisches Milieu

Sozialökologisches Milieu

Traditionelles Milieu

Prekäres Milieu

Hedonistisches Milieu

Ökonomisch stärkere Milieus

Ökonomisch schwächere Milieus

16,7 11,1 9,6 9,6 11,8 6,8 16,4 16,6 11,1 7,3 12,3 7,9 10,0 2,5 13,2 1,7 10,2 12,3 4,6 12,5 5,6 12,6 9,6 10,3 14,6 15,9 8,7 14,8 12,6 8,3 14,3 11,9 6,9 4,9 0,0 14,7 6,4 8,8 7,1 8,3 7,7 10,3 3,6 4,8 4,6 5,9 3,2 8,6 6,1 3,6 1,2

12,0 12,0 6,5 21,6 17,7 7,2 9,8 11,7 6,8 6,1 12,2 8,9 8,6 4,1 7,9 10,1 3,4 9,3 1,9 10,6 7,4 10,8 6,9 2,1 12,9 17,5 15,5 14,4 14,9 18,2 11,3 9,7 13,9 9,0 0,0 13,5 18,0 11,6 6,7 12,3 9,8 10,3 3,1 6,8 9,9 4,0 11,8 7,5 7,7 3,6 6,3

7,8 8,4 8,7 8,1 2,0 16,9 8,9 7,3 6,2 0,5 5,6 11,5 1,3 2,9 7,3 0,0 2,2 16,0 10,2 5,8 3,1 5,3 11,4 2,5 4,6 5,1 2,7 6,5 2,4 17,3 4,2 0,1 1,2 9,1 0,7 0,5 0,7 3,1 5,1 0,2 2,7 0,0 0,1 0,4 1,3 3,6 0,0 0,4 1,0 0,6 0,0

6,0 4,1 15,6 3,1 37,3 22,4 7,1 5,6 1,6 6,0 1,9 7,5 7,1 9,8 6,3 13,5 9,7 4,6 7,3 3,8 6,9 4,1 6,5 3,3 2,5 3,1 1,6 4,5 2,5 13,6 1,1 0,0 1,7 2,8 0,0 0,0 0,2 0,7 1,6 0,5 2,6 0,4 0,0 0,4 2,6 0,6 0,0 0,7 1,6 0,4 0,0

12,5 29,1 5,3 21,6 0,0 8,2 4,5 9,6 3,5 0,9 7,3 1,7 7,1 0,0 7,9 0,0 0,3 5,7 3,3 3,0 1,1 4,8 3,1 0,9 3,7 6,0 2,3 10,3 0,8 0,8 1,9 0,8 0,0 1,1 0,0 4,3 1,3 2,3 0,5 0,2 1,1 0,0 0,0 0,0 0,1 0,8 0,0 0,1 1,0 0,0 0,0

15,7 11,8 32,9 18,9 31,4 16,0 35,6 32,5 57,1 30,2 42,4 44,8 44,1 51,8 34,6 58,1 40,5 36,1 39,0 42,4 46,8 46,8 41,1 48,2 39,3 24,9 47,2 25,3 54,8 31,9 52,8 64,8 55,2 58,3 75,9 62,0 69,7 60,3 63,2 72,2 59,5 61,6 86,7 82,1 71,2 75,3 82,0 77,1 75,2 86,8 89,9

26,3 41,7 29,6 32,8 39,2 47,5 20,4 22,6 11,4 7,4 14,7 20,7 15,4 12,7 21,5 13,5 12,1 26,3 20,8 12,6 11,0 14,2 21,0 6,7 10,9 14,2 6,5 21,3 5,7 31,6 7,2 1,0 2,9 12,9 0,7 4,8 2,1 6,0 7,1 0,9 6,4 0,4 0,1 0,8 4,0 4,9 0,0 1,2 3,5 1,0 0,0

25

Anhang: Milieus und soziale Indikatoren der 103 Hamburger Stadtteile

Tabelle 4a: Wahlbeteiligung, ungültige Stimmen, Sozialindikatoren und Milieus in den Hamburger Stadtteilen Angaben in Prozent

Stadtteil Billbrook Jenfeld Rothenburgsort Neuallermöhe Horn Kleiner Grasbrook Steinwerder Billstedt Hammerbrook Harburg Wilhelmsburg Veddel Steilshoop Dulsberg Lurup Hausbruch Wilstorf Lohbrügge Tonndorf Neugraben-Fischbek Heimfeld Hamm Wandsbek Eidelstedt Bramfeld Eißendorf Farmsen-Berne Borgfelde Neuenfelde Hamburg-Altstadt Rahlstedt Osdorf Barmbek-Nord Bergedorf St. Pauli Langenhorn Altona-Altstadt Sternschanze Stellingen Sinstorf Cranz Finkenwerder Waltershof Barmbek-Süd Eilbek Langenbek Altenwerder Moorburg Hummelsbüttel Neustadt Schnelsen Moorfleet

Wahlbeteiligung 26,3 37,7 38,2 39,9 40,1 40,4 40,4 40,6 40,6 40,7 42,4 43,2 43,8 44,5 44,8 45,1 47,9 49,0 49,7 49,8 49,9 51,1 51,8 53,3 53,5 53,5 53,9 54,2 54,2 54,3 54,4 54,6 54,7 55,6 55,9 56,2 56,3 56,4 56,5 56,6 56,8 56,9 56,9 57,0 57,2 57,5 57,8 57,8 57,9 58,2 58,4 58,8

Anteil ungültiger Stimmzetteln 5,6 6,1 6,5 3,9 5,6 4,2 4,2 5,6 2,1 4,5 5,3 3,6 4,1 3,9 5,4 4,4 4,4 4,6 4,0 4,2 4,1 5,0 4,0 4,4 3,9 4,5 4,7 4,3 5,3 2,7 3,6 4,0 3,3 3,1 2,8 3,6 3,1 2,1 4,1 4,9 5,0 3,9 3,9 3,3 3,8 4,2 3,6 3,6 3,3 3,4 3,7 2,6

Quelle: Eigene Berechnung und Darstellung auf Basis der Daten des Statistikamts Nord, microm 2013.

26

ALQ Dezember 2013

Kaufkraft pro Haushalt

Wohnfläche je Einwohner

12,6 9,8 3,8 6,3 8,4 8,1 8,1 9,4 9,1 8,7 10,0 10,2 8,8 8,6 7,2 7,2 6,8 5,7 5,8 7,4 6,1 5,9 5,4 5,8 5,3 5,7 5,1 5,8 6,0 5,3 5,4 6,6 5,7 5,0 8,7 5,0 7,6 6,1 5,1 4,8 6,0 5,1 5,1 5,1 4,9 3,7 4,3 4,3 5,4 6,2 4,5 3,8

37742 42042 44585 48052 42179 33568 51910 48234 36467 34841 49496 39287 42110 30713 49197 50390 37145 45714 46401 45944 39314 34643 38210 44206 41245 44365 42118 33534 40025 51405 45721 52218 32473 46316 33412 42240 41919 31156 42788 43667 47158 42196 43213 32629 37075 45142 45530 37254 48117 36594 45507 51890

13,2 31,8 30,9 30,5 31,7 26,4 26,4 32,6 32,5 31,0 30,0 25,9 33,9 32,8 34,8 34,0 36,8 37,8 39,3 37,7 35,8 34,7 38,2 37,3 38,2 38,8 37,4 40,1 41,2 44,0 40,0 40,7 37,8 39,8 35,9 36,4 35,1 36,9 39,5 36,6 45,2 37,2 37,2 37,8 39,0 39,7 47,3 47,3 41,1 37,2 40,5 38,6

Anhang: Milieus und soziale Indikatoren der 103 Hamburger Stadtteile

Haushalte ohne Hochschulabschluss

Haushalte mit Hochschulabschluss

Haushalte ohne Schulabschluss

Haushalte mit Abitur

Ökonomisch stärkere Milieus

Ökonomisch schwächere Milieus

83,5 85,6 88,1 83,7 88,1 88,1 74,4 86,2 70,4 86,5 87,2 87,7 85,8 89,0 83,1 80,6 85,8 80,9 79,6 79,8 82,5 84,8 80,5 81,1 80,1 79,2 80,1 82,9 81,4 60,9 77,2 75,4 84,5 77,8 85,2 80,0 81,5 82,0 80,0 75,9 80,7 82,5 74,2 81,8 78,7 78,3 74,3 84,5 72,7 74,1 74,6 78,1

16,6 14,5 11,9 16,3 11,9 11,9 25,7 13,9 29,6 13,5 12,9 12,4 14,2 11,0 16,9 19,4 14,2 19,1 20,5 20,2 17,5 15,2 19,5 18,9 19,9 20,8 19,9 17,1 18,6 39,1 22,8 24,6 15,5 22,2 14,8 20,0 18,5 18,0 20,0 24,1 19,3 17,5 25,8 18,2 21,3 21,7 25,7 15,5 27,3 25,9 25,4 22,0

12,5 14,8 17,1 11,8 16,0 17,2 8,0 15,1 8,4 15,8 16,1 16,9 13,7 16,9 12,7 11,8 13,7 11,2 10,7 11,6 13,3 12,6 10,3 11,5 11,2 11,8 11,6 11,6 11,4 7,5 10,9 11,2 12,4 10,9 13,1 10,6 12,2 10,5 10,2 8,6 9,4 11,4 4,8 10,5 10,0 8,6 2,9 10,7 9,3 9,5 9,5 8,0

17,5 15,4 12,9 17,2 12,8 14,0 28,0 14,9 30,5 14,5 13,9 13,4 15,2 12,1 18,0 20,4 15,1 20,0 21,3 21,2 18,6 16,2 20,5 19,8 20,8 21,9 20,9 17,9 19,6 39,7 23,8 25,5 16,5 23,3 15,7 20,9 19,5 19,1 20,9 25,3 20,4 18,6 25,8 19,1 22,2 23,1 30,0 16,5 28,4 26,9 26,4 22,8

3,0 10,1 2,0 21,3 3,9 0,2 4,1 6,6 35,0 7,6 5,5 0,9 6,3 1,9 10,2 27,4 10,7 19,0 18,5 24,6 18,3 7,7 17,1 17,2 21,8 24,9 25,5 9,9 26,4 68,8 31,8 33,3 8,8 28,8 2,0 23,7 14,1 9,4 17,5 35,5 49,2 15,2 1,6 13,7 24,1 23,1 0,0 27,0 42,9 29,8 37,8 14,9

48,8 66,9 76,6 24,7 70,8 84,7 47,7 69,8 11,8 62,4 76,8 80,9 56,4 70,6 56,2 41,1 49,3 43,5 37,9 42,2 53,1 48,1 32,8 41,3 37,7 42,6 37,4 38,1 34,6 1,9 32,9 38,3 38,6 31,9 57,2 39,4 45,0 24,9 34,0 13,5 27,8 46,0 8,1 29,4 26,2 24,4 20,0 45,4 23,9 23,9 15,6 40,8

27

Anhang: Milieus und soziale Indikatoren der 103 Hamburger Stadtteile

Tabelle 4b: Wahlbeteiligung, ungültige Stimmen, Sozialindikatoren und Milieus in den Hamburger Stadtteilen Angaben in Prozent

Stadtteil Bahrenfeld Altona-Nord Rönneburg St. Georg Gut Moor Neuland Fuhlsbüttel Lokstedt Marienthal Allermöhe Hohenfelde Iserbrook Curslack Spadenland Ohlsdorf Francop Neuengamme Groß Borstel Marmstorf Niendorf Kirchwerder Alsterdorf Sülldorf Ochsenwerder Winterhude Eimsbüttel Hoheluft-West Ottensen Hoheluft-Ost Billwerder Eppendorf Rotherbaum Altengamme Poppenbüttel Reitbrook HafenCity Harvestehude Uhlenhorst Rissen Duvenstedt Bergstedt Tatenberg Blankenese Wellingsbüttel Sasel Othmarschen Lemsahl-Mellingstedt Groß Flottbek Volksdorf Nienstedten Wohldorf-Ohlstedt

Wahlbeteiligung 58,9 59,3 59,5 60,2 60,5 60,5 60,6 62,2 62,3 62,5 62,6 62,7 62,9 62,9 63,1 63,8 63,8 64,0 64,0 64,0 64,2 64,5 64,8 65,2 65,3 66,2 66,3 66,3 66,4 66,6 66,8 67,4 67,6 68,5 68,6 68,9 69,3 69,8 70,6 70,7 72,3 72,5 73,6 73,8 74,2 74,6 74,7 75,2 75,2 75,6 76,7

Anteil ungültiger Stimmzetteln 3,4 2,5 3,5 3,3 4,5 4,5 3,3 3,3 3,1 3,1 4,8 3,7 3,3 4,2 2,9 2,6 3,9 3,6 4,4 3,4 3,2 3,1 3,1 5,0 2,5 2,4 3,0 2,3 2,2 k. A. 2,2 2,4 4,1 3,2 2,0 1,7 2,6 3,2 2,4 2,5 2,1 2,6 2,1 2,0 2,5 2,5 1,5 2,6 1,5 2,5 2,3

Quelle: Eigene Berechnung und Darstellung auf Basis der Daten des Statistikamts Nord, microm 2013.

28

ALQ Dezember 2013 6,0 6,7 3,1 5,6 3,3 3,3 4,6 3,7 3,7 2,4 4,7 3,8 3,2 2,9 4,3 4,3 2,4 4,8 4,4 3,4 2,3 3,7 4,1 2,2 3,7 4,4 3,8 5,2 3,5 3,2 3,1 9,8 2,3 2,4 2,3 1,6 3,2 3,2 3,1 1,6 2,4 2,0 1,2 2,0 2,1 1,8 1,5 1,7 2,3 1,8 1,6

Kaufkraft pro Haushalt

Wohnfläche je Einwohner

38546 36743 45566 39834 46304 44240 41900 44872 54355 64375 39269 47358 42559 53049 44280 44708 48842 42715 50447 46096 50450 51033 49996 50142 40347 34773 35443 38698 40534 41787 41799 44582 54672 53655 52461 59532 50714 45058 51171 60572 51179 59456 58501 58507 56668 61968 61734 59697 55123 63329 67388

36,4 34,5 41,4 37,6 43,1 43,1 42,2 39,6 47,7 50,6 41,0 41,9 37,9 43,5 39,6 47,2 45,3 41,1 43,0 44,1 45,2 40,9 43,0 47,1 42,9 39,0 40,8 39,1 45,6 39,6 47,9 51,1 42,8 47,5 56,1 52,7 56,6 48,5 48,2 45,3 44,8 45,5 59,3 57,7 50,5 56,5 53,8 50,3 48,7 55,0 59,4

Anhang: Milieus und soziale Indikatoren der 103 Hamburger Stadtteile

Haushalte ohne Hochschulabschluss

Haushalte mit Hochschulabschluss

Haushalte ohne Schulabschluss

Haushalte mit Abitur

Ökonomisch stärkere Milieus

Ökonomisch schwächere Milieus

79,2 83,6 77,2 75,9 82,4 80,4 74,8 73,2 68,0 68,5 73,1 72,0 75,1 70,2 76,7 80,5 70,6 73,1 74,2 71,2 72,5 69,3 72,1 70,1 72,1 76,5 71,2 75,8 67,1 78,1 68,5 62,9 71,6 65,3 71,3 61,5 64,3 65,7 65,1 62,6 65,7 60,5 60,0 60,3 61,7 63,0 60,5 60,8 62,5 60,0 59,9

20,8 16,4 22,9 24,1 17,6 19,6 25,2 26,8 32,0 31,5 26,9 28,0 24,9 29,8 23,3 19,5 29,4 26,9 25,8 28,8 27,5 30,8 27,9 29,9 27,9 23,6 28,8 24,2 32,9 21,9 31,5 37,1 28,4 34,7 28,7 38,5 35,8 34,3 34,9 37,4 34,3 39,5 40,0 39,7 38,3 37,0 39,5 39,2 37,5 40,0 40,1

10,2 12,3 8,8 9,6 9,4 9,8 9,3 9,5 8,5 8,2 8,8 9,0 9,3 7,8 10,1 9,5 8,6 9,5 9,0 8,7 8,8 8,9 9,0 8,7 8,9 9,4 8,8 9,4 8,5 9,9 8,6 8,1 9,1 8,4 8,9 7,5 8,2 8,3 8,1 8,2 8,2 8,8 7,8 7,8 8,0 8,0 7,7 7,9 8,0 7,8 7,6

21,8 17,4 23,9 25,0 20,7 20,4 26,3 27,9 32,9 32,8 27,9 29,1 26,0 31,6 24,2 20,1 30,8 27,9 26,7 29,9 28,7 31,7 28,9 31,1 28,9 24,6 29,7 25,2 33,8 22,8 32,4 38,0 29,3 35,7 30,1 39,8 36,7 35,2 35,9 38,3 35,3 39,9 40,7 40,7 39,1 37,8 40,5 40,0 38,3 40,7 40,9

15,7 11,8 32,9 18,9 31,4 16,0 35,6 32,5 57,1 30,2 42,4 44,8 44,1 51,8 34,6 58,1 40,5 36,1 39,0 42,4 46,8 46,8 41,1 48,2 39,3 24,9 47,2 25,3 54,8 31,9 52,8 64,8 55,2 58,3 75,9 62,0 69,7 60,3 63,2 72,2 59,5 61,6 86,7 82,1 71,2 75,3 82,0 77,1 75,2 86,8 89,9

26,3 41,7 29,6 32,8 39,2 47,5 20,4 22,6 11,4 7,4 14,7 20,7 15,4 12,7 21,5 13,5 12,1 26,3 20,8 12,6 11,0 14,2 21,0 6,7 10,9 14,2 6,5 21,3 5,7 31,6 7,2 1,0 2,9 12,9 0,7 4,8 2,1 6,0 7,1 0,9 6,4 0,4 0,1 0,8 4,0 4,9 0,0 1,2 3,5 1,0 0,0

29

Über die Studie

Über die Studie Die vorliegende Studie zur Wahlbeteiligung bei der Bürgerschaftswahl 2015 in Hamburg umgeht die gängigen Probleme, die bei der Analyse des Phänomens der Nichtwahl auftreten. Weder demoskopische Umfragen noch großräumige Analysen der Wahlbeteiligung – z. B. auf der Ebene der sozial sehr heterogenen Wahlkreise – sind in der Lage, hinreichend zu differenzieren wer die Nichtwähler sind. In dieser Studie werden daher die kleinräumigeren Daten zur Wahlbeteiligung auf der Ebene der Hamburger Stadtteile zu verschiedenen Sozialindikatoren in Bezug gesetzt, durch die sich das soziale Profil eines Stadtteils erfassen und beschreiben lässt: Anteile der gesellschaftlichen Milieus, Arbeitslosigkeit, Bildungsstand, durchschnittliche Kaufkraft sowie die verfügbare Wohnfläche. Im Vergleich zur Auswertung der Wahlbeteiligung in vergleichsweise großflächigen und sozial eher heterogenen Gebieten, zeigen sich in einer derartigen Analyse kleinräumiger Stadtteile sehr deutlich die sozialen Differenzierungen der Wahlbeteiligung. Für die vorliegende Kurzstudie wurden vorläufige Daten zur Wahlbeteiligung (vorläufiges Endergebnis, Stand: 17.02.2015, Statistikamt Nord) für 103 Stadtteile Hamburgs bei der Bürgerschaftswahl 2015 in einer Datenbank zusammengefasst. Neben der Arbeitslosenquote, die über das Hamburger Statistikamt Nord zur Verfügung stand, liegen die Informationen zur Verteilung der gesellschaftlichen Milieus in den Stadtteilen ebenso vor, wie Angaben über den formalen Bildungsstand der in einem Stadtteil lebenden Haushalte, deren durchschnittliche Kaufkraft und die Wohnfläche je Einwohner. Diese Daten wurden von dem Institut microm anhand von Marktforschungsdaten in Form anonymisierten Haushaltzellen als Prognosewerte projiziert und anschließend auf die Stadtteile aggregiert. Dadurch erhält man zuverlässige Schätzwerte für prozentuale, haushaltbasierte Verteilungsmuster der oben aufgezählten Sozialindikatoren für jeden einzelnen Stadtteil. Diese Informationen lassen es zu differenzierte Aussagen darüber treffen, ob, wie und wie stark die Höhe der Wahlbeteiligung mit dem sozialen Profil und der sozialen Lage in einem Stadtteil zusammenhängt. Die vorliegende Studie folgt damit der Methodik der Studie „Prekäre Wahlen – Milieus und soziale Selektivität der Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2013“ (Bertelsmann Stiftung, 2013), und aktualisiert deren Ergebnisse für die Hamburger Bürgerschaftswahl 2015.

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Datenquellen

Datenquellen Die vorliegende Studie führt Informationen aus drei verschiedenen Datenquellen zusammen: Wahlbeteiligung 2015 (vorläufiges amtliches Endergebnis): Statistikamt Nord, 2015 Wahlbeteiligung 1974-2011- Wahldatenbank: Statistikamt Nord, 2015 Arbeitslosigkeit und verfügbare qm/Person: Statistikamt Nord, 2013 Milieus, Bildung und Kaufkraft: microm, 2013

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Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen

Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen Abbildung 1: Spreizung der Wahlbeteiligung in den Hamburger Stadtteilen

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Abbildung 2: Wahlbeteiligung in den Hamburger Stadtteilen mit unterschiedlichem Anteil der wirtschaftlich schwachen Milieus

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Abbildung 3: Wahlbeteiligung in den Hamburger Stadtteilen mit unterschiedlichem Anteil der wirtschaftlich starken Milieus

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Abbildung 4: Arbeitslosenquote und Wahlbeteiligung in den Hamburger Stadtteilen

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Abbildung 5: Wahlbeteiligung und ungültige Stimmen in den Hamburger Stadtteilen

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Abbildung 6: microm Geo Milieus®: Verteilung in Hamburg

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Tabelle 1:

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Kurzcharakteristik der einzelnen Milieus

Abbildung 7: Milieus der Ober-, Mittel- und Unterschicht und Höhe der Wahlbeteiligung 

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Abbildung 8: Wahlbeteiligung und Milieus

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Tabelle 2:

Milieus und Höhe der Wahlbeteiligung (Stadtteile)

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Tabelle 3:

Wahlbeteiligung und Anteile der Milieus in den Hamburger Stadtteilen

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Tabelle 4:

Wahlbeteiligung, ungültige Stimmen, Sozialindikatoren und Milieus in den Hamburger Stadtteilen

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Impressum

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