Toedlicher Geburtstag - Michael Wanner - pdf

Auf dem Festnetz, denn sein Han- dy, auf dem auch die ... So gesehen, Lizzy, war es ziemlich günstig, dass Papa einen Tag vor heilig. Abend Geburtstag hat.
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Michael Wanner

Tödlicher Geburtstag Kriminalroman © 2012 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2012 Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag, Berlin Coverbild: iStockphoto: 19744981, Key Lime Pie Printed in Germany ISBN 978-3-8459-0087-2 AAVAA Verlag www.aavaa-verlag.com eBooks sind nicht übertragbar! Es verstößt gegen das Urheberrecht, dieses Werk weiterzuverkaufen oder zu verschenken! Alle Personen und Namen innerhalb dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt .

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ERSTER TEIL

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EINS Simone, 50 24. Dezember 2010, 0 Uhr 23. Bergfriedhof. Ich habe ihn umgebracht! Ganz allein. An seinem 75. Geburtstag habe ich meinen Vater getötet. Obwohl ich ihn liebte. Wirklich. Er war ein guter Vater. All’ die Jahre. Und dann tut er mir etwas vom Abscheulichsten an, was ich mir vorstellen kann! Nein, Mama. Es war kein sexueller Missbrauch. Aber ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich schlimmer gewesen wäre!

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ZWEI Christiane, 46 24. Dezember 2010, 0 Uhr 48. Arbeitszimmer der Villa Silcherstraße 29. Ich habe ihn umgebracht. Ohne jede fremde Hilfe. An seinem 75. habe ich Bernhard Stamm getötet. Das heißt, im Moment lebt er noch. Aber nicht mehr lange. Es ist erstaunlich, wie leicht und flüssig sich solche - eigentlich ungeheuerlichen - Sätze in ein Tagebuch schreiben lassen.

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DREI Birgit, 45 24. Dezember 2010, 1 Uhr 17. Küche der Zweizimmerwohnung Akazienweg 12. Ich hab’s getan, Lizzy! Endlich. Ich hab’ Papa umgebracht. Eigentlich hätt’ ich es schon viel früher tun sollen. Gleich, nachdem die ganze Scheiße rausgekommen ist. Aber da hab’ ich nicht den Mumm dazu gehabt. Damals nicht. Gestern schon.

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VIER Christiane Bis ich tatsächlich so weit war, wälzte ich mich in Dutzenden von schlaflosen Nächten von der einen auf die ander e Seite. Oft brannte das Licht, bis es hell wurde. Von jedem einzelnen Quadratzentimeter meines Schlafzimmers könnte ich inzwischen eine präzise Beschreibung abliefern. Gestern Nachmittag hatte ich Glück, weil Birgit ziemlich schnell wieder verschwunden war. Angeblich, weil sie unbedingt noch irgendetwas mit ihrem Fitnessstudio regeln musste. Aber wahrscheinlich hatte sie schon wieder irgendeinen neuen Typen an der Angel - muskulös, braun gebrannt, Goldkettchen. Meine Güte! Dass die das nicht allmählich Leid wird! Nicht eine Beziehung hält länger als fünf, höchsten sechs Wochen. Aber dafür mindestens fünfmal im Jahr! Da kann doch gar nichts Vernünftiges draus werden, wenn sie … Wie auch immer: Birgit war schon weg, und Simone hatte sich verspätet. Ich habe keine Ahnung, warum. Sie ist doch bloß Hausfrau und hat - seit die Kinder ausgezogen sind - den lieben langen Tag nichts zu tun, außer Staub zu wischen, Fertiggerichte in die Mikrowelle zu schieben sowie zwei Teller, zwei Messer und zwei Gabeln abzuspülen. Vielleicht hat sie sich wegen der traditionellen Zitronentorte verspätet. Da hat sie ja jedes Mal irrsinnig viel Zeit investiert. Ich hätte eine Backmischung genommen! Wie auch immer: Ich war also mit Bernhard allein zuhause. Als er zur Toilette ging, nutzte ich die Gelegenheit und war blitzschnell in seinem Schlafzimmer verschwunden. Die Placebos hatte ich schon vorher in der Klinik zusammengesucht und mitgebracht. Sie gegen Bernhards Tabletten auszutauschen, war ein Kinderspiel. Immer sonntags richtet er seine Medikamente für die nächste Woche her, und immer legt er sein Pillendosett akkurat parallel zur Schubladenwand ausgerichtet in den Nachttisch. Nach seinem zweiten Infarkt vor mehr als einem Jahr war einer der beiden Stents - obwohl mein Kollege ausgezeichnete Arbeit geleistet hatte - schon wieder dabei, sich zuzusetzen. Deshalb brauchte Bernhard dringend regelmäßig Mittel zur Blutverdünnung und zur Senkung der Blutfettwerte. Er 7

musste regelmäßig Acetylsalizylsäure, Clopidogrel und Simvastatin einnehmen. Ich sah mir Form und Farbe der Tabletten genau an. Entsprechende Placebos zu finden, war für mich natürlich überhaupt kein Problem. Nach maximal acht Tagen wird er seinen dritten Infarkt bekommen. Es wird mit Schmerzen in der linken Brustseite anfangen, wie es das immer tut. Dann werden sie in den linken Oberarm ausstrahlen. Vielleicht schafft er es noch, seinen Hausarzt, Dr. Wegener, anzurufen. Auf dem Festnetz, denn sein Handy, auf dem auch die Nummer des Roten-Kreuz-Notdienstes gespeichert ist, und das immer in seiner Nachttischschublade lag, habe ich in seinen Schreibtisch verfrachtet, ohne dass ihm das bisher aufgefallen wäre, weil er es ohnedies nie benutzt. Suchen wird er nicht mehr danach können, weil er vorher mit Sicherheit ohnmächtig werden wird. Also: Selbst wenn er noch in der Lage sein sollte, Dr. Wegeners Nummer zu wählen - was zwar mehr als unwahrscheinlich, wenn auch nicht völlig auszuschließen ist - wird ihm das nichts nützen. Bernhards Hausarzt fährt am ersten Weihnachtsfeiertag nach Davos zum Skifahren und kommt erst Mitte Januar wieder zurück. Ich habe mich äußerst diskret bei seinem Schachpartner erkundigt - ein Kollege von mir aus der Klinik. Es ist zwar möglich, dass es Bernhard noch gelingt, den Text des Anrufbeantworters von Dr. Wegener abzuhören: Name und Nummer des Stellvertreters wird er sich nicht mehr aufschreiben können. Sie sich zu merken wird er mit Sicherheit auch nicht mehr schaffen. Viel wahrscheinlicher jedoch ist, dass er sofort versucht mich anzurufen. Meine Nummer ist im Festnetzapparat als Kurzwahl gespeichert. Aber selbst wenn: Bis ich ankomme, wird es zu spät sein. Obwohl ich - selbstverständlich - alles stehen und liegen lassen, und wie eine Verrückte durch die Stadt rasen werde. Zumindest erzähle ich das hinterher jedem, der es wissen will. Wie auch immer: Ich werde es sein, die ihn findet. Entweder, weil er mich angerufen hat. Oder es wird „Zufall“ sein, weil ich - wie sich das für eine gute Tochter gehört - ab sofort jeden Tag nach meinem alten, armen, herzkranken Vater schaue. Maria wird zu diesem Zeitpunkt noch in der Psychiatrie sein. Ich habe mich bei den Kollegen dort erkundigt. Und falls je Simone oder Birgit ihn vor mir finden sollten, ändert das gar nichts. Beide wer den mit Sicherheit als Erstes bei mir anrufen. Wo denn sonst? Und in Abwesenheit von Dr. Wegener werde ich es sein, die den To-

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tenschein ausstellt. Und wer würde es wagen, einen Totenschein anzweifeln, der ausgestellt wurde von Frau Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Christiane Stamm?

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FÜNF Birgit Es ist viel einfacher gewesen, als ich gedacht hatte. Zuerst allerdings nicht. Da hatte ich überhaupt keinen Plan. Ich meine, wie ich ihn umbringe, ohne für den Rest meiner Tage hinter schwedischen Gardinen zu landen. Aber dann ist mir eine geniale Idee gekommen. Zimtsterne. Er steht ... stand immer total auf meine Zimtsterne. Ja, ist ja gut, Lizzy. Ich weiß. Du magst die Dinger auch wie verrückt. Alles klar. Ist ja eigentlich auch nicht normal, dass ein ausgewachsener Schäferhund Zimtsterne runterschlingt wie andere ihr Chappi. Aber was soll’s. Es ist seit etwas mehr als einer Stunde Heiliger Abend. Da will ich mal nicht so sein. Wart, ich hol’ dir ein paar. Du brauchst keine Angst zu haben. In denen ist nichts drin, was nicht reingehört. So gesehen, Lizzy, war es ziemlich günstig, dass Papa einen Tag vor heilig Abend Geburtstag hat. Ich hab’ mir alles ganz genau überlegt. Zum Beispiel: Ich konnt’ nicht nur mit einer Dose voll Zimtsterne ankommen. Er hätt’ zwar keinen Ton gesagt. Aber er wär’ sauer gewesen. Deshalb hab’ ich noch schnell im Vorbeigehen irgendeinen Staubfänger mitgenommen, der eigentlich für den Flohmarkt bestimmt war. Ich musste sicherstellen, dass er bei Laune bleibt. Er sollte die Zimtsterne ja schließlich essen. Ich kenne ihn: Wenn er schmollt, schmollt er. Da ist er imstand und lässt meine Zimtsterne extra hart werden. Und ich kann dann sehen, wie ich mit meinem schlechtem Gewissen klarkomme. Oh ja, wenn er was gut drauf hatte, dann das. Einem ein schlechtes Gewissen einimpfen. Dabei ist er nicht immer so gewesen. Überhaupt nicht. Erst, nachdem er wieder da war. Ich war acht damals, Simone dreizehn, und Christiane neun. Als er die Fliege gemacht hat. Bis heute weiß keine von uns drei, wo er eigentlich abgeblieben ist. Von einem Tag auf den anderen: Weg wie Buschmanns Henne. Und genauso Knall auf Fall stand er dann nach fünf Monaten wieder auf der Matte. Heute 10

denk’ ich, es war wahrscheinlich nur eine dieser Trivi-Geschichten. Wie nachmittags auf SAT 1. Dem Vati mit einem Stall voll Kinder fällt die Decke auf den Kopf. Er wurstelt trotzdem genauso weiter wie immer. Nörgelt ständig an allem und jedem rum. Tut aber nichts dagegen. Gegen das, was ihm auf den Geist geht. Irgendwann hat er so die Schnauze voll, dass er sich eine Zwanzigjährige sucht und mir nichts dir nichts mit ihr abhaut. Und wenn die Zwanzigjährige ihn dann satthat und sich einen gleichaltrigen Lover zulegt, kommt er zurück zu Mutti und wedelt mit dem Schwanz. Natürlich haben wir ihn gelöchert. Alle drei. Aber es war ziemlich schnell klar, dass er die Auster gibt. In Ordnung. Er wird vielleicht seine Gründe gehabt haben. Aber Mama? Warum hat die nie einen Ton gesagt?

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SECHS Simone Papa hatte viele Talente. Keine Frage. Aber eins beherrschte er perfekt: Er konnte Geschichten erzählen wie kein Zweiter! In der selbst gezimmerten Hütte. Im Wald. Vorher vergrub er meistens noch einen „Schatz“. Hängte ihn an einen Baum. Oder versteckte ihn im Bach. Unter Steinen. Er stellte uns Rätsel. Mit einzelnen Buchstaben als Lösung. Zusammen ergaben sie den Fundort des Schatzes. Meistens waren die Rätsel nicht besonders schwierig. Als ich mich einmal darüber beschwerte, erklärte er es mir. Meine beiden jüngeren Schwestern sollten auch eine Chance haben. Und wenn wir partout nicht weiter wussten, gab er uns kleine Hinweise. Aber immer so, dass wir das Gefühl hatten, selbst auf die Lösung gekommen zu sein. Und er freute sich. Fast noch mehr als wir. Wenn wir die Tafel Schokolade oder die Tüte Gummibärchen endlich gefunden hatten. Meistens war Christiane die Schnellste. Christiane! Immer das leuchtende Vorbild. Immer sie. ‚Kannst du nicht einmal deine Hausaufgaben ohne Fehler machen? So, wie Christiane!’ Oder: ‚Schon wieder nur eine Vier! Christiane ist nie schlechter als eins oder höchstens zwei!’ Ich konnte es nicht mehr hören! Aber wenn wir dann zusammen mit ihm in der Hütte saßen. Uns gegenseitig süße Schokolade in den Mund steckten. Mit klebrigen Fingern. Tee mit Honig aus dem Topf schöpften, der über dem offenen Feuer hing. Gebannt zuhörten, wie die Helden in seinen Geschichten sämtlichen Gefahren trotzten. Und schließlich siegreich aus allen Kämpfen hervorgingen: Dann waren wir vier ein Herz und eine Seele. Papa, Christiane, Birgit und ich. Du warst nur ganz selten einmal dabei, Mama. Wenn wir loszogen in Richtung Hütte. Und falls doch, dann stritten Papa und du. Meistens richtig laut. Manchmal auch mit spitzen Andeutungen. Oft nur mit Blicken. Wir Kinder konnten das nicht verstehen. Wir wussten das mit Christiane damals ja noch gar nicht.

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