Teil haben, Teil werden

Der Zusammenbruch der alten Kulturen in Afrika erfolgte zu schnell. Die. Menschen ... setzen wir unsere Hoffnung auf unsere Kinder und eine neue Einstellung.
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Teil haben, Teil werden

(Akoma ntoaso: Zusamengehörigkeit) Heute geht die kirchliche Interkulturelle Woche in Berlin unter dem bundesweiten Leitthema „Teil haben – Teil werden!“ zu Ende. Das Anliegen ist, für Toleranz und Akzeptanz anderer Kulturen zu werben und das friedliche Zusammenleben von Einheimischen und Zugewanderten in unserer Stadt zu fördern. Im Europäischen Jahr der Chancengleichheit 2007 steht der Gedanke im Mittelpunkt, dass Zuwanderer nur dann wirklich Teil unserer Gesellschaft werden können, wenn sie gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben beteiligt sind. Ich habe mir als Ghanaer und Afrikaner, der in Deutschland lebt, zu diesem Thema eigene Gedanken gemacht und auch Gedanken anderer zusammengefasst: Teil haben, Teil werden - das heißt, dass wir Integration leben, sie fördern, kultivieren und besonders wertschätzen. Dazu dürfen wir Fremdenfeindlichkeit, Ausländerfeindlichkeit, Diskriminierung, Rassismus, Extremismus und fremdenfeindliche Gewaltbereitschaft in keiner Weise dulden, und wir wollen Jugendlichen, die sich darin verfangen haben, helfen, sie zu überwinden. Teil haben und Teil zu werden bedeutet, dass die Unterdrückung von Menschen aufhören muss. Wir müssen die Unmenschlichkeit unserer Vorfahren erkennen, erst dann können wir einen gemeinsamen neuen Weg finden. Durch einen Neubeginn können wir die Welt hier in Deutschland menschlicher gestalten. Jede Kultur ringt darum, die Welt für alle menschlich zu gestalten, aber das ist schwierig, weil zu viele ihren eigenen Vorteil suchen und auf Kosten anderer gut leben wollen. Zu viele benutzen andere Menschen als Werkzeuge, um ihre egoistischen Ziele zu erreichen. Zum Beispiel zahlen sie einem arbeitenden Ausländer zu geringen Lohn. Wir können die Unmenschlichkeit

unserer Vorfahren immer nur in kleinen Stücken verringern. Dabei müssen wir darauf achten, dass nicht neue Unmenschlichkeiten für Schwächere entstehen. Das Maß der Humanität liegt nicht bei den oberen sozialen Schichten; es liegt vielmehr bei den Ärmsten, Schwächsten und Ausgenutzten. Sie sollen Menschlichkeit erfahren können. In dem Gedicht „Waffen der Sieger“ schreibt Yacouba Konate über die Kolonialzeit: „Der Einbruch der Weißen in Afrika war die Vernichtung der Riten durch die Technik, die Unterwerfung der alten Ordnung unter die neue Ordnung. Es war der Zusammenbruch der Schutzgötter vor den Waffen des Militärs. Die alten Denkweisen wichen der Logik der Herren, und aus den Scherben des Alten bauen sich neue Ordnung auf.“ Der Zusammenbruch der alten Kulturen in Afrika erfolgte zu schnell. Die Menschen hatten zu wenig Zeit, sich langsame Übergänge zu schaffen. Heute können wir das nachholen. Trotz der modernen Technik sind die alten Riten in Afrika nicht ganz ausgestorben. Wir Afrikaner brauchen sie, um unsere Gefühle auszudrücken und um uns in der Welt geborgen zu fühlen. Die Herrenmenschen hatten wenig Respekt vor den Kulturen der Besiegten. Sie waren Eroberer und waren überzeugt, dass ihre Weltanschauung die einzig richtige sei. Heute sind aus den Eroberern meistens Partner des kulturellen Austauschs geworden. Sie haben sich verändert, und dadurch sind nun gegenseitige Lernprozesse möglich. Wir alle sind in unserer Entwicklung noch nicht am Ende. Teil haben, Teil werden bedeutet, dass wir fähig werden zur Kommunikation und zur Verständigung miteinander, so dass wir unser Zusammenleben gemeinsam gestalten können. Wenn wir „Teil haben, Teil werden“ ernsthaft umsetzen wollen, müssen wir auch dafür sorgen, dass faire Chancen auf berufliche Qualifizierung und auf einen echten Anteil am wirtschaftlichen Erwerbsleben gegeben werden. Wir Afrikaner müssen unsere Würde wieder finden. Wir verbieten bei uns Gewaltanwendung im Zivilleben, Rauschgift und Pornographie, und wir versuchen, alte und kranke Menschen in unseren Familien zu halten. So ist unsere Tradition. Die Menschenwürde vieler Afrikaner hingegen ist mehr als 400 Jahre hindurch mit Füßen getreten worden. Es wird noch mehrere Generationen brauchen, bis diese Würde wieder gefunden sein wird. Wir wünschen uns, dass wir Afrikaner Mitbürger und Mitbürgerinnen und somit Teil einer Vielfalt von Lebensweisen werden. Eine Vielfalt von Traditionen und Kulturen wird in Deutschland nur möglich sein, wenn eine gemeinsame Orientierung an den Grundregeln der freiheitlichen, sozialen und demokratischen Gesellschaft erfolgt. Eine Lebensweisheit aus Afrika sagt: „Ich will nicht länger warten. Ich bin es, der erwartet wird. Die Hoffnung sind wir selbst, wir deine Kinder sind auf der Suche. Kann ein Weißer für uns sprechen? Kennt er meine Angst?

Ahnt er die Einsamkeit?“ – Wir Afrikaner ringen heute um ein neues Selbstwertgefühl, gerade wegen unserer leidvollen Vergangenheit. Wir wollen nicht nur Hilfe, sondern wir wollen als Menschen geschätzt und gebraucht werden. Auch wir haben in einer globalen Kultur viel zu geben aus unserer Geschichte und Erfahrung. Wir haben gelernt, unter härtesten Bedingungen zu überleben und dennoch Hoffnung weiter zu tragen. Heute setzen wir unsere Hoffnung auf unsere Kinder und eine neue Einstellung zum Leben. Europäer können sich schwer in uns hineinfühlen, und unsere Geschichte bleibt ihnen fremd. Aber sie können lernen, unsere Eigenart zu respektieren und unsere Partner zu werden. „Den schwarzen Stempel tragen und ihn nicht wechseln können… Es ist wie ein großes Spiel mit festen Regeln. Doch ich sehne mich nach weniger Einsamkeit, weniger Unruhe und Mühe, weniger Not und Entsetzen. Ich sehne mich nach weniger Leere und Trauer. Auch ich möchte die Sterne wieder sehen.“ (L. M. Damas) Wenn wir von Teil haben und Teil werden reden, bedeutet das auch, dass wir bedenken, dass so genannte „fremde Menschen“ unser aller Zuwendung und Geborgenheit brauchen. Wir Migranten kommen aus anderen Kulturen und tragen dadurch einen Stempel auf unseren Kleidern, Körpern, Seelen. Die Vorurteile sitzen einfach zu tief. Nur durch Teil haben und Teil werden kann sich unsere Situation zum Guten ändern. Als Flüchtlinge, Migranten oder Afrikaner wollen wir auch etwas mitgestalten können. In uns allen sitzt die tiefe Sehnsucht nach ein wenig Glück und Geborgenheit. Wir alle müssen erkennen, dass wir uns von früheren Erfahrungen nicht einfach verabschieden können, wenn sie schwächer werden. Wir brauchen sie zum Überleben. Schmutzige Finger kann man reinigen, Übeltäter können zur Umkehr gezwungen werden, kein Mensch muss böse bleiben. Das Übel und das Böse finden sich nie nur auf einer Seite des Lebens. Sie sind auch bei denen, die meinen, dass sie im Licht stehen. Man ist nicht automatisch ein guter Mensch, weil man Christ, Moslem oder Politiker oder weil man reich oder arm ist. Wenn wir also das Böse überwinden wollen, müssen wir schon genau hinsehen. Das gilt auch für uns, wenn wir Teil haben, Teil werden leben wollen. Erst müssen wir gut hinsehen und –hören, bevor wir zu einem Problem etwas sagen. Wir reden oft zu schnell, ohne eine Situation richtig beurteilen zu können. Wir begegnen Menschen immer wieder mit Vorurteilen und fällen dadurch oft vorschnell Urteile. Das ist meistens falsch und ungerecht. Einmal haben meine Frau und ich, als wir uns gerade kennen gelernt hatten, zusammen eine Gemeinde besucht, in der meine Frau vorher seelsorgerliche Hilfe erfahren hatte. Sie begrüßte die Pastorsfrau, die ihr geholfen hatte, und stellte mich ihr vor. Ich stand gerade etwas entfernt. Die Pastorsfrau sagte: „Mit dem da bist du zusammen?“! Wir waren schockiert und enttäuscht über diese Unverschämtheit. Es ist eine uralte Lebenserfahrung, dass Menschen nicht unter ständiger Abwertung und Demütigung leben können. Jeder von uns braucht ein Mindestmaß an Anerkennung und Achtung, um zu leben. Es gibt Personen,

die ihre Mitmenschen ständig schlecht machen und seelisch verletzen. Meistens können sich diese Menschen selbst nicht akzeptieren und hassen ihr eigenes Leben. Aber keiner kann auf Dauer mit solchen Menschen eng zusammen leben, sie zerstören unsere Seele. Wir müssen uns vor ihnen schützen oder ihnen aus dem Weg gehen, denn jeder hat ein Recht zu überleben. Politiker in Deutschland haben sich relativ spät der drängenden Frage der Integration angenommen. Inzwischen haben sie sie als eine politische Kernaufgabe identifiziert. Dazu hat die Sensibilisierung der Öffentlichkeit und der Politik durch verschiedene Migrantenorganisationen beigetragen, aber auch neue Erkenntnisse zur demographischen Entwicklung, die Bedeutung kultureller Konflikte weltweit oder Ergebnisse verschiedener Bildungsstudien. Heute können wir offen über Versäumnisse und Defizite auf allen Seiten reden, und bei vielen Fragen stellt sich ein gemeinsamer Konsens ein. Wir haben nun ein neues Zuwanderungsgesetz, das Neuzuwanderung besser regulieren helfen soll. Warum aber sollen Menschen, die sich hier bereits integriert haben, wieder abgeschoben werden? Das betrifft auch die Frage, wie es gelingt, Kettenduldungen durch eine Bleiberechtsregelung abzulösen. Wenn wir Teil haben und Teil werden wollen, müssen wir uns darüber einig werden, dass gute Sprachkenntnisse zwar mit eine Voraussetzung für Integration sind, aber nicht nur. Wir wissen, dass viele Migranten gute oder sehr gute Sprachkenntnisse haben, aber dennoch fühlen sie sich nicht richtig anerkannt. Viele Menschen mit Migrationshintergrund leben bereits in der zweiten oder dritten Generation hier. Die Sprache ist für sie überhaupt kein Problem. Aber auch sie fühlen sich oft nicht richtig akzeptiert. Viele Migranten hoffen, dass, wenn sie sich einbürgern lassen, sie endlich am Ziel ihrer Wünsche und voll integriert sind. Aber ist das dann auch wirklich so? Ein älterer Bekannter von mir fragte einmal: „Ich lebe hier seit über 35 Jahren. Ich habe hier studiert, habe einen deutschen Pass, meine Kinder sind hier geboren und aufgewachsen, und ich bin hier bereits Großvater geworden. Wieso habe ich trotzdem nicht das Gefühl, ganz dazu zu gehören?“ Jemand antwortete ihm: „Lass die anderen nicht bestimmen, wie du dich fühlen sollst. Du selbst musst deine Gefühle so lenken, wie du sein möchtest.“ Ich denke, diese Antwort war nicht so gut überlegt. Wir Menschen leben in einer Atmosphäre von Worten. Was wir hören, beeinflusst uns stark. Lasst uns lernen, einander Lob und Anerkennung zu geben! Der Afrikaner, Araber oder deutsche Nachbar brauchen sie gleichermaßen. Mit jeder Wertschätzung wächst unser Selbstwertgefühl. Was wir in 20 Jahren sehen wollen, beginnt nicht erst in 20 Jahren, sondern dafür müssen wir heute anfangen zu arbeiten!

HALTE UNS NICHT FÜR ARM HALTE UNS NICHT FÜR ARM. HILF UNS, UNSEREN EIGENEN REICHTUM WAHRZUNEHMEN. SEI GEDULDIG MIT UNS AUSLÄNDISCHEN MITBÜRGERN. HALTE UNS NICHT FÜR RÜCKSTÄNDIG, WEIL WIR DEINEM WEG NICHT FOLGEN. SEI GEDULDIG MIT UNSERER ART ZU GEHEN. HALTE UNS NICHT FÜR FAUL, WEIL WIR EINEN ANDEREN RHYTHMUS HABEN ALS DU. HALTE UNS NICHT FÜR UNWISSEND, WEIL WIR DEINE WORTE NICHT LESEN KÖNNEN. NUR DANN IST ES MÖGLICH, DASS WIR TEIL HABEN, TEIL WERDEN UND EIN TEIL SEIN KÖNNEN. WIR ALLE SIND NOCH NICHT MIT UNSERER ENTWICKLUNG ZU ENDE GEKOMMEN. (nach einem Gedicht eines afrikanischen Bischofs)

Pastor Peter Arthur, Akebulan - Globale Mission e.V. (African School of Thoughts) Quellen:

“Lebensweisheit aus Afrika” von Hannes Kulmer; Topos Verlag „An African Prayer Book“ von Desmond Tutu; Hodder & Stoughton Verlag Heft “Interkulturelle Woche 2006”; Ökumenischer Vorbereitungsausschuss

Vielen Dank an „Asyl in der Kirche e.V.”, den Flüchtlingsrat, das Berliner Africa Centre (Pater Rohrmayer), das Afrikahaus (Oumar Diallo) und die Ausländerbeauftragten der Ev. Kirche (Hanns Thomä, Fr. Kulla)!