Strafrecht Allgemeiner Teil - Buch.de

Das vorliegende E-Book ging aus meiner mehrjährigen Fallbesprechungstätigkeit an der. Universität Tübingen hervor. Der Inhalt richtet sich daher vorwiegend an Studenten in den. Anfangssemestern. Die behandelten Fälle weisen völlig unterschiedliche Schwierigkeitsgrade auf und dienen so teilweise als Einstieg und ...
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Strafrecht Allgemeiner Teil 30 Übungsfälle für Einsteiger + Lernskript zum Thema „Wahlfeststellung, Postpendenz und Präpendenz“

von

Marc Einecker

Impressum Autor: Marc Einecker Titel: Strafrecht Allgemeiner Teil Untertitel: 30 Übungsfälle für Einsteiger + Lernskript zum Thema „Wahlfeststellung, Postpendenz und Präpendenz“ Erscheinungsjahr: 2015

Medium: E-Book

ISBN: 978-3-943571-15-8 (PDF-Format) 978-3-943571-16-5 (EPUB-Format) 978-3-943571-17-2 (MOBI-Format)

Verleger / Herausgeber: Marc Einecker - Verlag für juristische E-Books Wackersteinstr. 8 D-72793 Pfullingen Tel.: 0179-2302178 Im Internet: www.jura-ebook.de E-Mail: [email protected]

I

Vorwort Das vorliegende E-Book ging aus meiner mehrjährigen Fallbesprechungstätigkeit an der Universität Tübingen hervor. Der Inhalt richtet sich daher vorwiegend an Studenten in den Anfangssemestern. Die behandelten Fälle weisen völlig unterschiedliche Schwierigkeitsgrade auf und dienen so teilweise als Einstieg und teilweise als Vertiefung. Die Formatierung des Buches wurde bewusst schlicht gehalten, um eine optimale Darstellung auf den verschiedenen E-Readern zu gewährleisten. Da die meisten E-Reader über eine Suchfunktion verfügen, wurde auf die Erstellung eines Stichwortverzeichnisses verzichtet. Über jede Art von Feedback aus dem Kreis der Leser würde ich mich freuen!

Pfullingen, im April 2015 Marc Einecker

Kontaktmöglichkeit: [email protected]

II

Inhaltsverzeichnis Impressum .............................................................................................................................................................. I Vorwort ................................................................................................................................................................. II Inhaltsverzeichnis................................................................................................................................................ III A.

Einführung in die strafrechtliche Fallbearbeitung .................................................................................... 1 I.

Prüfungstechnische Besonderheiten des Strafrechts .................................................................................. 1

II. 1. 2. 3.

B.

Die Fallbearbeitung im Strafrecht ............................................................................................................. 2 Der Sachverhalt ..................................................................................................................................... 2 Erstellung einer Lösungsskizze ............................................................................................................. 3 Die Reinschrift ....................................................................................................................................... 5 a) Der Einleitungssatz ........................................................................................................................... 5 b) Sonstiges ........................................................................................................................................... 5

Fälle ............................................................................................................................................................... 6 I.

Objektiver Tatbestand ................................................................................................................................ 6 Fall 1: Der Normalfall .................................................................................................................................... 6 a) Vorbemerkung................................................................................................................................... 6 b) Sachverhalt ........................................................................................................................................ 6 c) Lösung ............................................................................................................................................... 6 Fall 2: Der mittelbare Stoß von der Klippe .................................................................................................... 8 a) Sachverhalt ........................................................................................................................................ 8 b) Lösung ............................................................................................................................................... 8 c) Vertiefungshinweise .......................................................................................................................... 8 Fall 3: Die Mücke ......................................................................................................................................... 10 a) Sachverhalt ...................................................................................................................................... 10 b) Lösung ............................................................................................................................................. 10 Fall 4: Der Todgeweihte ............................................................................................................................... 12 a) Sachverhalt ...................................................................................................................................... 12 b) Lösung ............................................................................................................................................. 12 c) Vertiefungshinweis.......................................................................................................................... 13 Fall 5: Doppeltes Unglück ............................................................................................................................ 14 a) Sachverhalt ...................................................................................................................................... 14 b) Lösung ............................................................................................................................................. 14 c) Vertiefungshinweise ........................................................................................................................ 15

II.

Subjektiver Tatbestand ............................................................................................................................. 17 Fall 6: Innerer Zwiespalt .............................................................................................................................. 17 a) Sachverhalt ...................................................................................................................................... 17 b) Lösung ............................................................................................................................................. 17 c) Vertiefungshinweise ........................................................................................................................ 19 Fall 7: Hund oder Herr ................................................................................................................................. 20 a) Sachverhalt ...................................................................................................................................... 20 b) Lösung ............................................................................................................................................. 20 c) Vertiefungshinweise ........................................................................................................................ 24 Fall 8: Besser später als nie .......................................................................................................................... 26 a) Sachverhalt ...................................................................................................................................... 26

III

b) c)

Lösung ............................................................................................................................................. 26 Vertiefungshinweise ........................................................................................................................ 28

III. Rechtswidrigkeit ....................................................................................................................................... 29 Fall 9: Normalfall 1 ...................................................................................................................................... 29 a) Sachverhalt ...................................................................................................................................... 29 b) Lösung ............................................................................................................................................. 29 c) Vertiefungshinweise ........................................................................................................................ 32 Fall 10: Normalfall 2 .................................................................................................................................... 33 a) Sachverhalt ...................................................................................................................................... 33 b) Lösung ............................................................................................................................................. 33 c) Vertiefungshinweis.......................................................................................................................... 39 Fall 11: Kind oder Rentner? ......................................................................................................................... 40 a) Sachverhalt ...................................................................................................................................... 40 b) Lösung ............................................................................................................................................. 40 IV. Schuld....................................................................................................................................................... 50 Fall 12: Betrunken geht´s leichter ................................................................................................................ 50 a) Sachverhalt ...................................................................................................................................... 50 b) Lösung ............................................................................................................................................. 50 c) Vertiefungshinweise ........................................................................................................................ 53 Fall 13: Schütze in Panik .............................................................................................................................. 55 a) Sachverhalt ...................................................................................................................................... 55 b) Lösung ............................................................................................................................................. 55 c) Vertiefungshinweis.......................................................................................................................... 58 V.

Versuch .................................................................................................................................................... 59 Fall 14: Vor der Tür ist Schluss .................................................................................................................... 59 a) Sachverhalt ...................................................................................................................................... 59 b) Lösung ............................................................................................................................................. 59 c) Vertiefungshinweise ........................................................................................................................ 60 Fall 15: Die vorschnelle Autobombe ............................................................................................................ 62 a) Sachverhalt ...................................................................................................................................... 62 b) Lösung ............................................................................................................................................. 62 Fall 16: Nicht getroffen, aber tot .................................................................................................................. 65 a) Sachverhalt ...................................................................................................................................... 65 b) Lösung ............................................................................................................................................. 65 c) Vertiefungshinweise ........................................................................................................................ 68 Fall 17: Zwei von drei Kugeln...................................................................................................................... 71 a) Sachverhalt ...................................................................................................................................... 71 b) Lösung ............................................................................................................................................. 71 c) Vertiefungshinweis.......................................................................................................................... 74 Fall 18: Der Denkzettel ................................................................................................................................ 75 a) Sachverhalt ...................................................................................................................................... 75 b) Lösung ............................................................................................................................................. 75 Fall 19: Rettung in letzter Sekunde .............................................................................................................. 78 a) Sachverhalt ...................................................................................................................................... 78 b) Lösung ............................................................................................................................................. 78

VI. Irrtumslehre ............................................................................................................................................. 81 Fall 20: Die Verwechslung ........................................................................................................................... 81 a) Sachverhalt ...................................................................................................................................... 81 b) Lösung des Ausgangsfalles ............................................................................................................. 81 c) Lösung der Abwandlung ................................................................................................................. 82

IV

Fall 21: Der ungeübte Schütze ..................................................................................................................... 84 a) Sachverhalt ...................................................................................................................................... 84 b) Lösung ............................................................................................................................................. 84 Fall 22: Hilfe vom vermeintlichen Vater ...................................................................................................... 87 a) Sachverhalt ...................................................................................................................................... 87 b) Lösung ............................................................................................................................................. 87 VII. Fahrlässigkeit ...................................................................................................................................... 90 Fall 23: Der unachtsame Fußgänger ............................................................................................................. 90 a) Sachverhalt ...................................................................................................................................... 90 b) Lösung ............................................................................................................................................. 90 c) Vertiefungshinweise ........................................................................................................................ 91 Fall 24: Die Testfahrt ................................................................................................................................... 93 a) Sachverhalt ...................................................................................................................................... 93 b) Lösung ............................................................................................................................................. 93 Fall 25: Auto gegen Fahrrad ......................................................................................................................... 97 a) Sachverhalt ...................................................................................................................................... 97 b) Lösung ............................................................................................................................................. 97 VIII. Unterlassung........................................................................................................................................ 99 Fall 26: Im Hafenbecken .............................................................................................................................. 99 a) Sachverhalt ...................................................................................................................................... 99 b) Lösung ............................................................................................................................................. 99 c) Vertiefungshinweise ...................................................................................................................... 107 Fall 27: Am Baggersee ............................................................................................................................... 108 a) Sachverhalt .................................................................................................................................... 108 b) Lösung ........................................................................................................................................... 108 c) Vertiefungshinweis........................................................................................................................ 110 IX. Mittelbare Täterschaft............................................................................................................................ 112 Fall 28: B in Not, C tot ............................................................................................................................... 112 a) Sachverhalt .................................................................................................................................... 112 b) Lösung ........................................................................................................................................... 112 c) Vertiefungshinweis........................................................................................................................ 119 X.

Mittäterschaft ......................................................................................................................................... 120 Fall 29: Nach dem Banküberfall................................................................................................................. 120 a) Sachverhalt .................................................................................................................................... 120 b) Lösung ........................................................................................................................................... 120 c) Vertiefungshinweise ...................................................................................................................... 126

XI. Teilnahme............................................................................................................................................... 127 Fall 30: Verdeckte Ermittlungen ................................................................................................................ 127 a) Sachverhalt .................................................................................................................................... 127 b) Lösung ........................................................................................................................................... 127 c) Vertiefungshinweis........................................................................................................................ 134 C.

Anhang: Wahlfeststellung, Postpendenz und Präpendenz (Lernskript) ............................................. 135 I.

Wahlfeststellung ..................................................................................................................................... 135 1. Grundlagen ........................................................................................................................................ 135 a) Fallkonstellation ............................................................................................................................ 135 b) Aufbauregel in der Klausur ........................................................................................................... 135 c) Arten der Wahlfeststellung ............................................................................................................ 135 1. Unechte Wahlfeststellung ....................................................................................................................... 136

V

a) Fallkonstellation ............................................................................................................................ 136 b) Strafrechtliche Behandlung ........................................................................................................... 136 c) Beispiel.......................................................................................................................................... 136 d) Tenorierung ................................................................................................................................... 137 2. Echte Wahlfeststellung ........................................................................................................................... 137 a) Fallkonstellation ............................................................................................................................ 137 b) Strafrechtliche Behandlung ........................................................................................................... 137 c) Prüfung der Voraussetzungen nach der (noch) h.M. ..................................................................... 138 d) Beispiel.......................................................................................................................................... 139 e) Argumente im Streit um die Verfassungskonformität der echten Wahlfeststellung ..................... 140 f) Tenorierung ................................................................................................................................... 141 g) Strafzumessung ............................................................................................................................. 141 II.

Post- und Präpendenzfeststellung .......................................................................................................... 141 Grundlagen ........................................................................................................................................ 141 a) Fallkonstellation ............................................................................................................................ 141 b) Unterschied zu den Fällen der Wahlfeststellung ........................................................................... 142 2. Postpendenz ....................................................................................................................................... 142 a) Fallkonstellation ............................................................................................................................ 142 b) Rechtliche Behandlung / Beispiel ................................................................................................. 142 c) Strafzumessung ............................................................................................................................. 143 3. Präpendenz ........................................................................................................................................ 143 a) Fallkonstellation ............................................................................................................................ 143 b) Rechtliche Behandlung / Beispiel ................................................................................................. 143 c) Strafzumessung ............................................................................................................................. 144 1.

VI

A. Einführung in die strafrechtliche Fallbearbeitung Bevor wir uns den konkreten Fällen zuwenden, sollen im Folgenden einige Grundlagen der strafrechtlichen Fallbearbeitung dargestellt werden, die Ihnen hoffentlich die Fallbearbeitung im Strafrecht erleichtern werden.

I. Prüfungstechnische Besonderheiten des Strafrechts Sie werden im Laufe Ihres Studiums höchstwahrscheinlich feststellen können, dass Strafrechtsklausuren häufig schlechter ausfallen als vergleichbare Klausuren im Zivilrecht oder Öffentlichen Recht. Grund hierfür ist insbesondere eine strukturelle und eine prüfungsrechtliche Besonderheit des Strafrechts, die von Studenten – gerade am Anfang des Studiums – häufig noch nicht erkannt wird. (1) Die strukturelle Besonderheit der strafrechtlichen Klausurbearbeitung ist die Fragestellung. Sie zielt in aller Regel „nur“ darauf ab, ob und wie sich die Beteiligten nach dem StGB strafbar gemacht haben. Erst später wird diese Standardfrage unter Umständen um strafprozessuale Fragestellungen erweitert. Man kann sich als Klausurbearbeiter also von vornherein ziemlich sicher sein, welche Fragestellung einen erwartet. Diese Berechenbarkeit führt aber an anderer Stelle zu einem erhöhten Schwierigkeitsgrad. (2) Eine prüfungsrechtlich bedingte Besonderheit des Strafrechts ist darin zu sehen, dass im Vergleich zu den anderen Rechtsgebieten relativ wenige Paragraphen zum Prüfungsstoff gehören (vgl. § 8 II Nrn. 7, 8 bwJAPrO). Dies gibt ein Gefühl der Sicherheit und der Überschaubarkeit. Dies täuscht jedoch gewaltig. Werden in den anderen prüfungsrelevanten Rechtsgebieten wegen ihrer enormen Breite Abschläge im Detailwissen hingenommen, ist dies im Strafrecht anders. Hier gilt es, auch die Details gut zu kennen. Hinzu kommt, dass Ihnen im Strafrecht – gerade bei den schwierigen Problemen – der dünne Wortlaut des StGB wenig hilft (lassen Sie sich insoweit auch nicht von dem Bestimmtheitsgrundsatz in Art. 103 II GG in die Irre führen). Das heißt, Sie müssen viele Einzelheiten schlichtweg kennen und zum Teil auch auswendig lernen. (3) Eine weitere Besonderheit besteht darin, dass im Staatsteil der Ersten juristischen Prüfung nur eine Klausur im Strafrecht geschrieben werden muss (vgl. § 13 III Nr. 2 bwJAPrO). Man könnte insofern die Strategie verfolgen, hier „auf Lücke“ oder schlichtweg Glück zu setzen. Davon ist jedoch schon deswegen abzuraten, weil in der Zweiten juristischen Prüfung zwei Klausuren im Strafrecht anzufertigen sind (vgl. § 50 III 1 lit. b bwJAPrO). Im Übrigen können Sie aus vertieften strafrechtlichen Kenntnissen viel für andere Rechtsgebiete mitnehmen, insb. die Art, wie Juristen denken und Meinungsstreitigkeiten entstehen können. (4) Aus dem Umstand, dass nur eine Klausur im Strafrecht in der Ersten juristischen Prüfung anzufertigen ist, folgt häufig eine weitere Schwierigkeit. Bei den allermeisten Klausuren im Strafrecht (oft auch schon in den Anfänger- und Fortgeschrittenenübungen) ist die Zeit extrem knapp! Dies resultiert wohl daraus, dass der Klausursteller häufig versuchen 1

wird, einen möglichst breiten Teil des Lehrstoffs in dieser einen Klausur unterzubringen, ohne jedoch bei der erforderlichen Tiefgründigkeit Abstriche machen zu wollen. (5) Fazit: Unterschätzen Sie die Stoffmenge im Strafrecht nicht.

II. Die Fallbearbeitung im Strafrecht Die erfolgreiche Bearbeitung einer strafrechtlichen Klausur kann in drei Stadien untergliedert werden: 1. Sachverhaltsanalyse; 2. Erstellung einer Lösungsskizze; 3. Reinschrift.

1. Der Sachverhalt Liegt Ihnen ein zur Bearbeitung anstehender Sachverhalt vor, müssen Sie sich mit diesem vor allem anderen gründlich auseinandersetzen. Dies kann in drei Schritten erfolgen, wobei die Schritte 1 und 2 nicht strafrechtsspezifisch sind.

Schritt 1: Lesen Sie die Fallfrage und ggf. den Bearbeitervermerk. Das vorgezogene Lesen der Fallfrage hat den Vorteil, dass Sie den Sachverhalt schon „voreingenommen“ und zielorientiert lesen können. So vermeiden Sie beispielsweise, sich beim Lesen Gedanken über die Strafbarkeit eines Beteiligten zu machen, nach der überhaupt nicht gefragt ist. Gleiches gilt für den Bearbeitervermerk. Auch dieser kann wertvolle Hinweise enthalten, insb. zur Einschränkung des geforderten Prüfungsumfangs.

Schritt 2: Erfassen Sie den Sachverhalt gründlich.

Schritt 3: Gedankliche Strukturierung des Sachverhalts. Nach einer gründlichen Erfassung des Sachverhalts (oder schon währenddessen) bietet es sich an, die enthaltenen Informationen im Hinblick auf ihre strafrechtliche Bedeutung zu strukturieren. Dabei lassen sich drei Arten von klausurrelevanten Informationen unterscheiden:1

1

Nach Kampf, Die Bearbeitung von Strafrechtsklausuren für Anfänger, JuS 2012, 309, 310.

2

(1) Arbeiten Sie zunächst die Handlungen (positives Tun und Unterlassen) der in Frage kommenden Täter heraus. Dies ist der erste essentielle Schritt, da die Strafbarkeit stets an eine Tathandlung anknüpft.2 (2) Erfassen Sie anschließend die subjektiven Vorstellungen der Tatbeteiligten. (3) Es verbleibt eine dritte Art klausurrelevanter Informationen (z. B. Beschreibung von besonderen Tatumständen). Diese können i.d.R. in zwei Unterkategorien unterteilt werden: a. Informationen mit strafrechtlicher Relevanz; Bsp.: Die Information, dass F die Ehefrau von T ist, kann eine Rolle spielen für eine etwaige Garantenstellung (vgl. § 1353 I 2 Hs. 2 BGB) oder die Straflosigkeit einer Strafvereitelung nach § 258 VI StGB i.V.m. § 11 I Nr. 1 lit. a StGB. b. Informationen ohne strafrechtliche Relevanz. Solche Informationen sind in einem vorgegebenen Sachverhalt, wie er Ihnen an der Uni begegnen wird, regelmäßig in nur sehr geringer Zahl oder überhaupt nicht anzutreffen. Es gilt also der Grundsatz, dass jedes Wort eine rechtlich relevante Bedeutung hat. Strafrechtlich irrelevante Informationen, sofern sie denn überhaupt vorkommen, treten insb. auf, um einen Sachverhalt lebensnäher zu gestalten.3 Sie können aber auch (eher selten) bewusst eingestreut werden, um festzustellen, welche Klausurbearbeiter die wesentlichen von den unwesentlichen Informationen unterscheiden können.

2. Erstellung einer Lösungsskizze Nach der beschriebenen Analyse des Sachverhalts sollten Sie eine Lösungsskizze erstellen. Wie ausführlich oder knapp diese sein sollte, ist Geschmackssache des jeweiligen Klausurbearbeiters. Den folgenden (Mindest-)Inhalt einer Lösungsskizze halte ich für empfehlenswert: (1) Sofern möglich, Untergliederung in Tatkomplexe. Dies ist insb. bei längeren Sachverhalten wichtig. Oft werden Sie auf Tatkomplexwechsel im Klausursachverhalt durch einen neuen Absatz hingewiesen. (2) Sofern möglich, Untergliederung in Tatbeteiligte. Dies ist in Klausuren zwingend, bei denen nach der Strafbarkeit von mehr als einer Person innerhalb eines Tatkomplexes gefragt ist. Auch dabei ist eine gewisse Reihenfolge 2

Vgl. Schönke/Schröder/Eisele, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff. Rn. 23/24; grenzwertig aber i.d.F.d. § 30 II StGB. 3 Vgl. Kampf, Die Bearbeitung von Strafrechtsklausuren für Anfänger, JuS 2012, 309, 311.

3

einzuhalten. Beginnen Sie die Prüfung grundsätzlich mit dem sog. Tatnächsten. Wer dies ist, ergeben die folgenden beiden Kurzformeln. Dass es sich dabei nicht um irrelevantes Prüfungsgehabe handelt, sondern um Zweckmäßigkeitserwägungen aus rechtlichen Gründen, zeigen die Erklärungen der Kurzformeln.  „Täter vor Teilnehmer“.4 Diese Kurzformel ist eine Folge des Grundsatzes der (limitierten) Akzessorietät i.R.d. §§ 26, 27 StGB.5  „Tatmittler/Werkzeug vor mittelbarem Täter“.6 Diese Kurzformel erklärt sich aus dem Umstand, dass eine mittelbare Täterschaft grundsätzlich ein Strafbarkeitsdefizit beim Vordermann voraussetzt.7 (3) Notiz aller in Frage kommenden Straftatbestände. a. Auffinden von Straftatbeständen: Die gefundenen in Frage kommenden Straftatbestände sollten Sie den Tatkomplexen und Tatbeteiligten innerhalb Ihrer Lösungsskizze zuordnen. Die in Betracht kommenden Straftatbestände finden Sie, indem Sie für jede im Sachverhalt genannte Handlung des zu prüfenden Tatbeteiligten das Inhaltsverzeichnis des StGB durchgehen und die prüfungsrelevanten Straftatbestände gedanklich „abklappern“. 8 Vergessen Sie dabei nicht, auch solche Delikte zu notieren, bei denen zwar im Ergebnis eine Strafbarkeit nicht gegeben ist, dies aber nicht offenkundig ist und die daher in einem Gutachten anzusprechen sind.9 b. Sortierung der gefundenen Straftatbestände: Die gefundenen Straftatbestände sollten in einer gewissen Reihenfolge in die Lösungsskizze aufgenommen werden. So ist aus Konkurrenzgründen grundsätzlich mit dem schwersten Delikt innerhalb des jeweiligen Tatkomplexes und beim jeweils zu prüfenden Täter zu beginnen.10 Es kann jedoch auch Ausnahmefälle geben, bei denen es zweckmäßiger ist, z. B. um eine Inzidentprüfung zu vermeiden, die Prüfung mit einem schwächeren Delikt zu beginnen. Dies wäre etwa der Fall, wenn das schwerste Delikt ein unechtes Unterlassungsdelikt ist, bei dem die Garantenstellung aus Ingerenz folgt und die Gefahrschaffung in der Verwirklichung eines (schwächeren) Straftatbestandes innerhalb desselben Tatkomplexes besteht. (4) Notiz und Zuordnung aller bislang erkannten Probleme.

4

Kampf, Die Bearbeitung von Strafrechtsklausuren für Anfänger, JuS 2012, 309, 311 f. Dazu BeckOK-StGB/Kudlich, § 26 Rn. 4. 6 Vgl. Kampf, Die Bearbeitung von Strafrechtsklausuren für Anfänger, JuS 2012, 309, 311 f. 7 Dazu BeckOK-StGB/Kudlich, § 25 Rn. 20 ff. 8 Vgl. Kampf, Die Bearbeitung von Strafrechtsklausuren für Anfänger, JuS 2012, 309, 311. 9 Vgl. Kampf, Die Bearbeitung von Strafrechtsklausuren für Anfänger, JuS 2012, 309, 311. 10 Vgl. Kampf, Die Bearbeitung von Strafrechtsklausuren für Anfänger, JuS 2012, 309, 312. 5

4

3. Die Reinschrift a) Der Einleitungssatz Ähnlich wie auch in den anderen Rechtsgebieten hat die Prüfung der jeweiligen Straftatbestände mit einem Einleitungssatz zu beginnen. Er ist Folge des einzuhaltenden Gutachtenstils und stellt einen Obersatz dar, dessen Besonderheit darin besteht, dass er ganz am Anfang der Prüfung eines Straftatbestandes zu stehen hat. Der Einleitungssatz sollte bei der Prüfung einer Strafbarkeit folgendermaßen aussehen: „Indem T … [(Tat-)Handlung nennen] …, könnte er sich wegen … [Straftatbestand benennen] … nach § … [Norm des Straftatbestandes nennen] … strafbar gemacht haben.“11

b) Sonstiges Orientieren Sie sich innerhalb der Prüfung der einzelnen Straftatbestände an den üblichen Prüfungsschemata. Das heißt aber nicht, dass Sie jeden unproblematischen Punkt davon ausführen müssen. Achten Sie eher darauf, die durch die Prüfungsschemata vorgegebene Reihenfolge gedanklich durchzugehen und nur die problematischen Punkte länger auszuführen. Damit gelingt Ihnen die richtige Schwerpunktsetzung. Das Grundprüfungsschema hat folgende Struktur, was Verbrechensbegriff12 (vgl. auch § 1 I OWiG) Rechnung trägt:

dem

sog.

dreistufigen

1. Tatbestand; 2. Rechtswidrigkeit; 3. Schuld. Schließlich sollten Sie grundsätzlich den Gutachtenstil einhalten.13

11

Vgl. Rengier, AT, § 11 Rn. 2-4 und dort auch zu weiteren Formulierungsmöglichkeiten. Vgl. dazu Schönke/Schröder/Eisele, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff. Rn. 15. 13 Rengier, AT, § 11 Rn. 17; vgl. dort auch Rn. 20 f. zur Frage, inwieweit der Urteilsstil in einer Klausur Anwendung finden sollte. 12

5

B. Fälle I. Objektiver Tatbestand

Fall 1: Der Normalfall

a) Vorbemerkung In einer Klausur könnte und sollte der folgende, sehr einfach gelagerte Sachverhalt in einem kurzen Satz im Urteilsstil abgehandelt werden. Im Folgenden wird aus didaktischen Gründen eine schulmäßige Prüfung vorgenommen, die man in einer Klausur wegen ihrer Trivialität nicht so niederschreiben dürfte. Die hier dennoch vorgenommene ausführliche Prüfung dient der Veranschaulichung des Prüfungsschemas zum vorsätzlichen Erfolgsdelikt. Damit soll das Denkmuster der Fallbearbeitung verdeutlicht werden (was eben nicht gleichbedeutend ist mit dem, was letztlich zu Papier gebracht werden muss). Zudem sollen einige Standarddefinitionen vermittelt werden. Dem Anfänger soll die Prüfung eines Normalfalls zu Beginn dieses Buches schließlich zeigen, wie hinzutretende Sachverhaltsinformationen in den weiteren Fällen die Komplexität der Lösung erhöhen, das Grundprüfungsschema aber dennoch erhalten bleibt.

b) Sachverhalt T erschießt O vorsätzlich. Strafbarkeit des T nach dem StGB? Bearbeitervermerk: Die Prüfung hat sich auf Straftatbestände des 16. Abschnitts des Besonderen Teils des StGB zu beschränken. Prüfen Sie ausführlich.

c) Lösung Indem T den O erschossen hat, könnte er sich wegen Totschlags nach § 212 I StGB strafbar gemacht haben. I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand a) Erfolg 6

Tatbestandsmäßiger Erfolg ist beim Totschlag der Tod eines anderen Menschen.14 O, ein anderer Mensch, ist tot. b) Tathandlung T hat auf O geschossen. c) Kausalität Nach der sog. Bedingungstheorie15 ist jede Bedingung kausal, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (st. Rspr.).16 Denkt man sich den Schuss des T auf O weg, wäre O nicht tot. Die Tathandlung war somit für den Erfolg kausal. d) Objektive Zurechenbarkeit Ein Erfolg ist dem Täter objektiv zurechenbar, wenn er (1.) ein unerlaubtes Risiko geschaffen hat und (2.) sich dieses im Erfolg verwirklicht hat.17 Der Schuss des T auf O begründet ein unerlaubtes Risiko. Dieses hat sich im Tod des O verwirklicht. Der Tod des O ist dem T daher objektiv zurechenbar. e) Zwischenergebnis Der objektive Tatbestand ist erfüllt. 2. Subjektiver Tatbestand T handelte mit dem erforderlichen Vorsatz (vgl. § 15 StGB). II. Rechtswidrigkeit Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich. T handelte somit rechtswidrig.18 III. Schuld Schuldausschließungs- oder Entschuldigungsgründe sind nicht ersichtlich. T handelte somit schuldhaft. IV. Ergebnis Indem T den O erschossen hat, hat er sich wegen Totschlags nach § 212 I StGB strafbar gemacht.

Abweichend vom Wortlaut des § 212 I StGB („einen Menschen“) sind Selbsttötungen nicht erfasst (lies daher: „einen anderen Menschen“), BeckOK-StGB/Eschelbach, § 212 Rn. 4. 15 Synonyme: Äquivalenztheorie; conditio-sine-qua-non-Formel. 16 BGH, NStZ 1993, 386. 17 BeckOK-StGB/Heuchemer, § 13 Rn. 23. 18 Vgl. zur Frage, ob die Tatbestandsverwirklichung die Rechtswidrigkeit indiziert BeckOK-StGB/Momsen, § 32 Rn. 11. 14

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Fall 2: Der mittelbare Stoß von der Klippe

a) Sachverhalt O steht am Rande einer Klippe. M steht in nicht vorwerfbarer Weise hinter O. T verpasst M einen heftigen Stoß, so dass M gegen O prallt und dieser die Klippe hinabstürzt und dadurch stirbt. Strafbarkeit des M nach § 212 StGB?

b) Lösung Indem M gegen O prallte, könnte er sich wegen Totschlags nach § 212 I StGB strafbar gemacht haben. I. Objektiver Tatbestand Es müsste eine Tathandlung des M gegeben sein. Ein äußerliches Verhalten liegt in Form des Zusammenstoßes mit O vor. Keine Handlungen im strafrechtlichen Sinne sind aber solche äußeren Verhaltensweisen, die durch sog. vis absoluta hervorgerufen werden.19 Darunter versteht man äußerliche unwiderstehliche Gewalt.20 M hatte keine Möglichkeit, den Zusammenstoß mit O zu verhindern. Der Zusammenstoß mit O erfolgte also nicht auf Grund einer Handlung des M. II. Ergebnis Indem M gegen O prallte, hat er sich nicht nach § 212 I StGB strafbar gemacht.

c) Vertiefungshinweise (1) Bloße Gesinnungen, vis-absoluta-bedingtes Verhalten und sonstiges willenloses Verhalten (z. B. Reflexe) werden auch als sog. Nicht-Handlungen bezeichnet.21 Davon unbedingt zu unterscheiden und nicht damit zu verwechseln ist das Nicht-Handeln (sog. Unterlassen22), dem sehr wohl Handlungsqualität im strafrechtlichen Sinne zukommt. (2) Zum Prüfungsaufbau: Ist in einer Klausur fraglich, ob ein Geschehen die Voraussetzungen des strafrechtlichen Handlungsbegriffs erfüllt, bestehen zwei Möglichkeiten, das Problem in der Klausurlösung zu verorten. Kühl hält es für vorzugswürdig, die Problematik in einem eigenen Prüfungspunkt vor der Tatbestandsmäßigkeit zu behandeln 19

Rengier, AT, § 7 Rn. 11. Rengier, AT, § 7 Rn. 11. 21 Vgl. Rengier, § 7 Rn. 7 ff. 22 Dazu kommen wir später. 20

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