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Sprachverwendung im. Game-Chat. Eine empirische Untersuchung der. Computerspielkommunikation. Frederik Schrader. Diplomica Verlag .... kringel mich lachend auf dem Boden. 4 Schönfeldt (2001, S. 52). ... World Wide Web zugänglich sind und in denen die Teilnehmer zu den unterschiedlichsten Themen miteinander ...
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Frederik Schrader

Sprachverwendung im

Game-Chat Eine empirische Untersuchung der Computerspielkommunikation

Diplomica Verlag

Frederik Schrader Sprachverwendung im Game-Chat: Eine empirische Untersuchung der Computerspielkommunikation ISBN: 978-3-8428-0433-3 Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2011

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Inhaltsverzeichnis

Seite

I

Einleitung

1

II

Methodik

3

II.1 Definitionen

3

III

II.1.1 Der „Chat“

3

II.1.2 Der „Game-Chat“

5

II.2 Der ‚kommunikative Hintergrund‘

5

II.2.1 Spielauswahl

6

II.2.2 „Warcraft III“ und das „battle.net“

9

II.2.2.a „The Frozen Throne“

11

II.2.2.b „Defense of the Ancients“

15

II.3 Das Textkorpus

18

II.4 Methodische Erfassung

21

II.4.1 Nachrichten- und Wortlänge

21

II.4.2 Gesprächsdimensionen

22

II.4.3 Teilkorpora und der Sprachaspekt

24

II.4.4 Konversationsmaximen

24

II.4.5 Orthographie und Korrekturen

25

II.4.6 Konfliktentstehung und –bewältigung

26

II.4.7 Gesprächsanalyse und Gesprächsorganisation

26

II.4.8 Methodik des Vergleichs

27

II.4.9 Methodik der Konzeptionen

27

Analyse

29

III.1 Phänomene und Charakteristika

29

III.1.1 Der „kommunikative Sparzwang“

29

III.1.2 Über die Heterogenität des Chats

35

III.1.3 Sprachwahl und Fachsprachlichkeit

38

III.1.4 Konversation im Sinne von Grice

44

III.1.5 Rechtschreibung auf dem Prüfstand

50

III.1.6 Streitanlass und Konfliktbewältigung

54

III.1.7 Struktur und Organisation des Chats

58

III.2 Merkmalskatalog des Game-Chats

61

III.3 Vergleich mit konventioneller Online-Chat-Kommunikation

62

III.3.1 Vergleich der technischen Rahmenbedingungen

62

III.3.2 Sprachökonomie im Vergleich

65

III.3.3 Vergleich der Sprachwahl

67

III.3.4 *Phrasen und Akronyme – ein Vergleich

68

III.3.5 Vergleich der Fehler- und Korrekturstruktur

72

III.3.6 Streit im Vergleich

73

III.3.7 Vergleich der Gesprächsorganisation

79

III.3.8 Inhaltlicher Vergleich

82

III.3.9 Vergleich phonetischer und dialektaler Aspekte

85

III.3.10 Dialogizität im Vergleich

88

III.4 Gegen die konzeptionelle Mündlichkeit

90

III.5 Für die Konzeptfeldtheorie

94

IV

Fazit und Ausblick

99

V

Literaturverzeichnis

102

VI

Anhang

104

VI.1 Einleitung

104

VI.2 Transkriptionen

105

VI.2.1 125 Spielpartien „The Frozen Throne“

105

VI.2.1.1 30 Spielpartien „The Frozen Throne“ – 1 v 1

105

VI.2.1.2 20 Spielpartien „The Frozen Throne“ – 2 v 2

110

VI.2.1.3 50 Spielpartien „The Frozen Throne“ – 3 v 3

120

VI.2.1.4 20 Spielpartien „The Frozen Throne“ – 4 v 4

156

VI.2.1.5 5 Spielpartien „The Frozen Throne“ – J g J

177

VI.2.2 125 Spielpartien „Defense of the Ancients“

179

VI.2.2.1 20 Spielpartien „Defense of the Ancients“ – (-)

179

VI.2.2.2 75 Spielpartien „Defense of the Ancients“ – (ger)

217

VI.2.2.3 30 Spielpartien “Defense of the Ancients” – (ger only)

380

I

Einleitung

Zwei gute Freunde spielen miteinander ein Computerspiel. Im Internet, weswegen sie die Chatfunktion des Spiels nutzen, um miteinander kommunizieren zu können. Ihre Sätze sind kurz und elliptisch, sie schleifen unbestimmte Artikel zu nem und n, sie verwenden Emoticons, um das Fehlen der para- und nonverbalen Kommunikation zu kompensieren. In diesem Sinne halten es unsere Spieler mit Goethe: „Schreibe nur, wie du reden würdest, und so wirst du einen guten Brief schreiben.“ (Johann Wolfgang von Goethe)1

Doch würde einer der Freunde, wenn er im Kino kurz den Saal verließe, seine Abwesenheit mit einem brb2 ankündigen? Würden sie auf die besten Leinwandspäße mit einem rofl3 reagieren? Würden die beiden, wenn sie jemand auffordern würde, ihre Sätze zu verschriftlichen, auch sämtliche Substantive, Namen, Satzanfänge klein schreiben? Goethe würde enttäuscht sein. Die Computerspieler - so würden Verfechter der konzeptionellen Mündlichkeit sagen - führen „schriftlich realisierte Gespräche“4, was de facto nicht der Fall ist: Der Chat ist nicht mündlich konzipiert und den Chat gibt es nicht. Denn mit der Verbreitung des Internets und der Entfaltung der Computerspiele greifen zwei Entwicklungen ineinander, die in eine Kommunikationsform münden, die von der Forschung bisher weitestgehend unbedacht blieb: Der Game-Chat. Ziel dieses Buches ist es nun, diesen Game-Chat zu charakterisieren, ihn der herkömmlichen Chat-Kommunikation gegenüberzustellen und das Gedankenkonstrukt einer mündlichen Konzeption für beide Kommunikationsformen zu widerlegen. Dazu werde ich zunächst die Korpusanalyse, den Hauptteil meiner Studie, methodisch fundieren: Dieses geschieht, indem ich vorab die Begriffe Chat und Game-Chat definiere, im Anschluss herleite, wo der Kern dieses Game-Chats zu finden ist und im Folgenden das daraus erschlossene Spiel erkläre, aus dessen kommunikativem Hintergrund das Textkorpus extrahiert wurde. 1

Lautenbach (2004, S. 109). = be right back, z.Dt. bin gleich zurück 3 = rolling on (the) floor laughing, z.Dt. Ich kringel mich lachend auf dem Boden 4 Schönfeldt (2001, S. 52). 2

1

Diese Extrakte, die Transkriptionen von 250 Game-Chat-Gesprächen, liegen im Anhang dieses Buches bei und bilden das Textkorpus, dessen Erstellung und Formatierung ich im dritten Punkt erläutern werde. Desweiteren werde ich die methodischen Instrumente darlegen, die ich zur Korpusanalyse verwenden werde. Dabei werde ich hauptsächlich empirisch und quantitativ arbeiten, aber auch Theorien und Modelle der Forschungsliteratur für Analyse und Vergleich anwenden. Nach dem Methodik-Kapitel folgt der Hauptteil der Studie, die Korpusanalyse. Hier werde ich die sieben wichtigsten Phänomene des Game-Chats darstellen und analysieren und sie anschließend in einem Zwischenfazit, einem Merkmalskatalog, zusammenfassen. Im Anschluss

daran

werde

ich

den

Game-Chat

dem

konventionellen

Online-Chat

gegenüberstellen. Dabei werde ich hauptsächlich die in der Korpusanalyse herausgestellten Charakteristika zum Vergleich ziehen, aber auch typische Merkmale des konventionellen Chats berücksichtigen, die für eine Kontrastierung von Bedeutung sind. Im letzten Teil des Buches werde ich die Ergebnisse der Korpusanalyse und der Gegenüberstellung dazu verwenden, die mündliche Konzeption beider Chat-Arten zu widerlegen und als Ersatz eine neue Theorie, die Konzeptfeldtheorie, einzuführen.

2

II

Methodik

In diesem Kapitel werde ich die methodische Herangehensweise vorstellen und erörtern, die der Korpusanalyse zugrunde liegt. Diese setzt sich aus einem einleitenden Definitionsteil, der systematischen Betrachtung des kommunikativen Hintergrunds, der segmentierten Erstellung des Textkorpus und den geflissentlich ausgewählten methodischen Instrumenten zur Korpusanalyse zusammen.

II.1 Definitionen II.1.1 Der Chat Was ist der Chat überhaupt und wie lässt er sich definieren? Das Wort chatten kommt vom englischen to chat, was soviel wie plaudern oder quatschen bedeutet, womit der Chat diese Form der Kommunikation substantiviert. Auch wenn es mittlerweile Audio- und Video-Chats gibt, bezeichnet die gebräuchliche Auffassung vom Chatten die reine Textkommunikation über das Internet. Als technische Voraussetzung für den Chat ist damit ein Computer, ein Internetanschlus und eine Chat-Plattform (Programm oder Webseite) erforderlich.

Abb. 1 - (Screenshot eines Chat-Fensters des IRC-Client Chatzilla)5 5

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/archive/7/73/20080115091036!Chatzilla.png (zuletzt aufgerufen am 30.01.2010), aus Darstellungsgründen per Bildbearbeitung editiert.

3

Der Vorgang des Chattens geschieht wie folgt (siehe Abb. 1): Die Textnachricht wird im Eingabefeld (1) über die Tastatur eingetippt, durch die Eingabetaste abgesendet und wird fortan unveränderlich im Chatfenster (2) dargestellt. In der Teilnehmerliste (3) sind alle anwesenden Personen mit ihren Nicknames gelistet; Spitznamen, die auch jedem Textbeitrag zur Identifizerung vorangestellt sind. Die Sichtbarkeit aller Gesprächsbeiträge kann jedoch zugunsten einer privateren Unterhaltungsform ersetzt werden. Zum einen durch „die Möglichkeit, sich mit nur einem Gesprächspartner in einem separaten Raum zu unterhalten“6, zum anderen durch den Flüstermodus, also der direkten Ansprache eines Chatters unter Ausschluss weiterer Zuhörer. Der Gesprächsverlauf im Online-Chat besitzt nach Bader zusätzlich eigenständige Charakteristika: Ein wesentliches Merkmal der Chat-Gespräche ist der ständig wechselnde Teilnehmerkreis, der dazu führt, dass der gesamte Gesprächsverlauf im Chat überwiegend unstrukturiert ist und nicht in verschiedene Phasen eingeteilt werden kann, wie beispielsweise ein Dialog der Face-to-FaceKommunikation. Im Chat findet ein fortlaufendes Gespräch ohne klar definierbaren Anfang und Ende statt, zu dem ständig neue Teilnehmer hinzukommen oder aus dem sich anwesende Teilnehmer verabschieden.7

Die virtuellen Räume für Chat-Kommunikation sind indes vielseitig: Um sich online mit anderen Personen zu unterhalten, gibt es zwei verschiedene Möglichkeiten, und zwar den sogenannten IRC (Internet Relay Chat) oder die Chat-Räume der Web-Chats, die über das World Wide Web zugänglich sind und in denen die Teilnehmer zu den unterschiedlichsten Themen miteinander kommunizieren […].8

Diese Auflistung ist jedoch höchstens zur Hälfte vollständig, da sowohl das Instant Messaging, Privatkommunikation über spezielle Chat-Programme (z.B. ICQ) und auch der Game-Chat in der Auflistung fehlen, der in keiner Forschungsliteratur als eigenständige (oder mögliche) Form des Chattens erwähnt wird, durch dieses Buch jedoch ein Gesicht verleiht bekommt.

6

Bader (2002, S. 43). ebd. 8 ebd. 7

4

II.1.2 Der Game-Chat Als Game-Chat definiere ich alle schriftlichen Textbeiträge, welche die Spieler gemäß dem oben erläuterten Texteingabemechanismus während eines Computerspiels, lokal definiert im Spiel, kommunizieren. Da Kommunikation während des Spiels auch über vom Spiel unabhängige Programme zur Vermittlung von Audio- oder Textnachrichten erfolgen kann (z.B. TeamSpeak9), ergibt sich die lokale Definition des Game-Chats daraus, dass sie erstens schriftlich und zweitens im kommunikativen Hintergrund (siehe II.2) des Spielgeschehens stattfindet. Drittprogramme verfügen zwar auch über die Möglichkeit schriftliche Mitteilungen zu senden, jedoch wird diese Gelegenheit grundsätzlich nur außerhalb der Spieltätigkeit wahrgenommen. Da die meisten Computerspiele im Vollbild-Modus gespielt werden und die Nutzung externer ChatProgramme ein vermeidbares Fensterwechseln mit sich brächte, erscheint es offensichtlich, dass Programme wie TeamSpeak während des Spiels lediglich für Audiogespräche verwendet werden. Diese sind zwar Bestandteil der Online-Game-Kommunikation, aber nicht des GameChats.

II.2 Der kommunikative Hintergrund In diesem Kapitel wird erörtert, welches Spiel ich aus welchem Grund als Erhebungsbasis für meine Korpusanalyse ausgewählt habe und welche kommunikativen und spielsystematischen Rahmenbedingungen

zum

Verständnis

dieser

Studie

erforderlich

sind.

Diese

Rahmenbedingungen bezeichne ich als kommunikativen Hintergrund, der zugleich räumlicher Kommunikationsbereich als auch gesprächsrelevanter Kontext der von mir untersuchten Chatgespräche ist.

9

http://www.teamspeak.com, ein sprachliches Konferenzprogramm, das insbesondere im Bereich des professionalisierten Gamings häufiger verwendet wird.

5

II.2.1 Spielauswahl Um einen möglichst geeigneten kommunikativen Hintergrund auszuwählen, bedarf es einer systematischen

Annäherung

an

den

Kern

der

Game-Chat-Kommunikation

unter

Berücksichtigung sämtlicher chatfähigen Computerspiele. Ziel der Spielauswahl ist es demnach,

auf optimale kommunikative Rahmenbedingungen zu stoßen, um der

Korpusanalyse des Game-Chats ein Maximum an Aussagekraft und dem Textkorpus ein Maximum an Prototypizität zu verleihen. Repräsentativität hingegen kann aufgrund der Untersuchungsbedingungen weder erhoben noch gemessen werden, da zum einen weder die empirischen Instrumentarien zur validen Operationalisierung von Repräsentativität zur Verfügung standen und zum anderen kein Computerspiel eine gewisse kommunikative Repräsentativität enthält. Das liegt daran, wie auch die Medienforscher Schmidt et al. feststellen, „dass es ‚die‘ Onlinespiele nicht gibt, sondern

vielmehr

je

nach

Perspektive

und

Erkenntnisinteresse

unterschiedliche

Differenzierungen vorgenommen werden müssen.“10 Diese Äußerung, bezogen auf „Genres und Gattungen“11 der Online-Computerspiele, lässt sich ebenso auf die Art und Weise der Kommunikation projizieren. Die Ermittlung des Game-Chat-Schwerpunkts erfolgte demnach unter Ausschluss des Faktors Repräsentativität. Ausschlaggebend für die Auswahl des Spieles war demzufolge, dass erstens der kommunikative Aspekt möglichst im Vordergrund steht, zweitens die Gegensätzlichkeit zur konventionellen Chat-Kommunikation stark genug ist und drittens der Game-Chat Gesprächsalltag einer möglichst großen Spielerschaft und kein singuläres Randphänomen ist. Hierbei erwies sich der Gattungsbegriff von Schmidt et al. als sehr hilfreich. Diese kategorisieren Onlinespiele als „Browser-Games, Massively Multiplayer Online Games, LAN-Spiele, Pervasive Games, Passive Multiplayer Online Games, E-Sport und Virtuelle Welten“12. Gattungen definieren Schmidt et al. als „bestimmte Typen von Onlinespielen, die sich

durch

ihre

grundlegende

Organisation

nutzungsbezogene Kontexte unterscheiden.“13

10

Schmidt et. al (2008, S. 7). ebd. 12 ebd. (S. 5) 13 ebd. (S. 12) 11

6

und

Einbettung

in

technische

und

Der erste Schritt zur Eingrenzung ist demnach die Hervorhebung der Browser-Games, MMOGs und LAN-Spielen, da diese „zu den Onlinespielen im engeren Sinn gezählt werden“14 und nur deswegen eine Vergleichbarkeit zur konventionellen Chat-Kommunikation leisten können. „Die übrigen vier Gattungen (Pervasive Games, PMOGs, E-Sport und Virtuelle Welten) verdeutlichen vor allem die Bandbreite eines weit verstandenen Konzepts von „Onlinespiel“ und geben so Hinweise auf mögliche Entwicklungen […].“15 Diese drei Kerngattungen wurden erneut in Hinblick auf die drei Eingangskriterien überprüft. Als erstes ließen sich Spiele ausschließen, die nicht „mit Hilfe eines Computers“16 sondern „mit einem Computer“17 gespielt werden: Spielangebote im Internet, deren Wesen es ist, die „vom Computer vermittelten Herausforderungen zu bestehen, ohne mit einer anderen Person zu interagieren“.18 Diese minimale bis nicht vorhandene Interaktion mit anderen Mitspielern findet sich insbesondere in den vielen Browser-Games, die vorwiegend als Minispiele Bestandteil vieler Web-Präsenzen oder extra auf diese Art des (kurzweiligen) Zeitvertreibs spezialisierten Spieleseiten sind. Doch selbst Angebote, die synchrones interaktives Spielen mit anderen Internetnutzern erlauben, eignen sich aufgrund des zu dicht am konventionellen Chatten orientierten kommunikativen Hintergrundes nicht als Prototypen einer gegensätzlichen Kategorie: Browser-Games sind, wie jeder übliche Internet-Chat, auf einer Webseite platziert und können im Windows-Betrieb parallel zu weiteren Tätigkeiten ausgeführt werden, verfügen also nicht über den kommunikativen Hintergrund eines absolut autonomen Spielszenarios und verfehlen auch aufgrund dieser Eigenschaft den Kern der Game-Chat-Kommunikation. Bei MMOGs, also „’Massively Multiplayer Online Games’ […] handelt es sich um komplexe Spielwelten, in denen sich der Spieler mittels einer Verkörperung der eigenen Spielfigur (dem ‚Avatar‘) bewegt und mit einer Vielzahl anderer Spieler interagiert.“ Aufgrund der Interaktion mehrerer Mitspieler ist diese Gattung unter linguistischen Aspekten interessant. Jedoch lässt sich wegen der Inkarnation des Spielers in eine virtuelle Spielwelt und der „Persistenz der Spielewelten, d.h. dass die Spielhandlung auch dann weiterläuft, wenn ein Spieler nicht online ist“19 die Grenze zwischen MMOGs und den virtuellen Welten, die Schmidt et al in den weiteren Gattungsbegriff einordnen, nicht eindeutig ziehen. 14

ebd. ebd. 16 ebd. (S. 10) 17 ebd. 18 ebd. 19 ebd. 15

7

Die Tatsache, dass in MMOGs wie „World of Warcraft […] im Spiel erworbene Güter gegen reale Währung gehandelt werden.“20 und laut Schmidt et al. in bestimmten Ländern sogar Betriebe existieren „in denen Angestellte in Schichten von acht bis zwölf Stunden entsprechende Spiele ‚spielen‘ […], um Geldbeträge zu erwirtschaften“21 scheinen den Eindruck zu bekräftigen, dass MMOGs dem reinen Game(-Chat) entrückt sind, weswegen ich von einem Repräsentant dieser Kategorie ebenfalls abgesehen habe.22 So kam ich durch das Ausschlussverfahren an die Gattung der LAN-Spiele. Dass der Kern des Game-Chats ausgerechnet in Spielen liegen soll, die „nicht notwendigerweise eine Verbindung an das weltweite Datennetz voraus[setzen].“23 und „sich auch in kleineren und in sich abgeschlossenen Netzwerken (den „Local Area Networks“ – LAN)“ spielbar sind, erscheint einem Eingangskriterium, der Vergleichbarkeit zum Online-Chat, zu widersprechen. Dazu ist jedoch zu sagen, dass der Gattungsbegriff fälschlicherweise impliziert, dass die Spiele in erster Linie für private Heimnetzwerke konzipiert sind. Diese Präjudizierung ist jedoch nicht zutreffend, da viele Spiele dieser Gattung, wie Starcraft oder selbst das von Schmidt et al selbstgewählte Beispiel Counterstrike allesamt Spiele sind, die im Internet äußerst stark frequentiert werden. Somit wäre anstatt der Betitelung als LAN-Spiele hier die allgemein gefasstere Bezeichnung Teamspiele passender gewesen, da die Anwesenheit mindestens zweier Teams für sämtliche hier als LAN-Spiele klassifizierte Titel eine Gemeinsamkeit darstellt. Als Konsequenz dessen kann davon ausgegangen werden, dass eine Spielkategorie, in welcher der Teamaspekt im Vordergrund steht, auch die Kommunikation davon profitiert. Die Existenz von Teams begünstigt Gespräche, Absprachen, Konflikte und bildet somit die Grundlage für eine ertragreiche Analyse des Game-Chats. Zusätzlich sind nahezu sämtliche Vertreter dieser Gattung Echtzeitstrategiespiele, also zeitgleich ausgeführte Spiele24.

20

ebd. (S. 11) ebd. 22 Hierbei ist anzumerken, dass ich mit meiner Arbeit den Kern des Game-Chats und nicht den Kern des OnlineGamings zu suchen beabsichtigte. Dieses wäre eine medienwissenschaftliche und nicht linguistische Betrachtungsweise und dürfte das meistgespielte Online-Game aller Zeiten (das zu den MMOGs zugehörige „World of Warcraft“) nicht ignorieren. 23 ebd. (S. 16) 24 im Gegensatz zu rundenbasierten Spielen, bei denen Spieler wie bei einem Schachspiel nacheinander und nicht gleichzeitig ‚am Zug‘ sind. 21

8

Dieses ist insofern relevant in Bezug auf die Kommunikation, da diese nun mit einer „synchrone[n] Interaktion“25 einhergeht. Schmidt et al schreiben dazu: Gerade im Bereich der browserbasierten Spiele finden sich zahlreiche Beispiele, in denen Nutzer allenfalls zeitversetzt mit anderen interagieren, beispielsweise wenn sie sich über Highscorelisten o. ä. vermittelt mit anderen messen. LAN- und Multispieler erlauben demgegenüber eine andere Art des interaktiven Erlebens, bei dem der Computer nicht allein die Aufgaben und die Regelstrukturen des Spiels vorgibt, sondern auch Kooperation oder Konkurrenz unterstützt.“ 26

Mit dem Ausschluss aller anderen Kategorien, der antizipierten Bedeutsamkeit der Kommunikation des durch synchrone Interaktion geprägten und breit aufgestellten Genres, können Teamspiele bzw. LAN-Spiele als Kern der Online-Game-Kommunikation bezeichnet und als Arbeitsgrundlage gebraucht werden. Nachdem ich auf diesem Wege die geeignetste Gattung für die linguistische Betrachtung des Game-Chats hergeleitet habe, wählte ich ein Spiel, welches stellvertretend für die LAN- bzw. Teamspiele stehen sollte. Die Entscheidung fiel auf ein Spiel, welches zum einen den Grundgedanken des Teamspiels punktgenau trifft, eine langwährende Beliebtheit und Aktualität besitzt und welches ich aufgrund eigener Erfahrung so genau kenne, dass ich gewährleisten kann, ein aussagekräftiges und ausbalanciertes Textkorpus erstellt zu haben, um die Ergebnisse der Textkorpusanalyse richtig interpretieren zu können: Warcraft III.

II.2.2 Warcraft III und das battle.net Warcraft III: Reign of Chaos ist ein 2002 vom US-amerikanischen Computerspielentwickler Blizzard Entertainment entworfenes Fantasy-Echtzeitstrategiespiel. Das 2003 erschienene Add-on The Frozen Throne war in der renommierten PC-Spiele-Zeitschrift GameStar mit 94% Spielspaß bis zum Gleichzug des Action-Shooters Crysis im Jahre 2007 das am besten bewertete Computerspiel aller Zeiten.27 Neben der Möglichkeit Warcraft III offline zu spielen, ermöglicht eine rechtmäßig erworbene Kopie ebenfalls den Zugang zur Blizzards Onlineplattform battle.net, um Warcraft III online gegen Mitspieler aus ganz Europa bzw. aus aller Welt zu spielen. Nach dem erfolgreichen Einloggen ins battle.net kann sich der Spieler einen Account erstellen, in dem er sich einen Namen (mit dazugehörigem Passwort) auswählt, der ihn fortan im Spiel ausweisen wird. 25

ebd. (S. 88) ebd. 27 http://www.gamestar.de/tests/toptests/ (zuletzt aufgerufen am 30.01.2010) 26

9

Vom Startbildschirm aus ist es nun möglich, direkt in ein Spiel einzusteigen oder zunächst den Chat zu starten. Dieser dient hauptsächlich als Wartesaal für die teilweise minutenlange Suche nach einem durch das Battle.net generiertem Spiel28 oder als schwarzes Brett für die Suche nach neuen Mitglieder für Spielgemeinschaften (Clans). Dieser Chat ist jedoch kein Game-Chat, da er im Wesentlichen die formale Struktur und typischen Charakteristika eines gewöhnlichen Chat-Channels beinhaltet und lediglich über einen spezifischen Kontext und Zugang verfügt.

Abb. 2 - Screenshot des Battle.net-Chats 29

So gibt es (siehe Abb. 2) sowohl das Texteingabefeld im linken unteren Rand (1), das Gesprächsfenster in der linken Bildschirmhälfte (2) und die Anwesenheitsliste der Channelteilnehmer in der rechten Hälfte (3). Ebenfalls chat-üblich ist die Möglichkeit, private Räume zu eröffnen und gewisse Kommunikationsfunktionen, wie z.B. das Flüstern (4), wahrzunehmen. 28

Die lange Suche ergibt sich aus dem Umstand heraus, dass der Warcraft-III-Spielegenerator gemäß der eigenen Spielstärke und Spielwünsche (so stehen verschiedene Teamspiele und Spielkarten, sogenannte ‚maps‘ zur Verfügung) das passendste ‚match‘ zu generieren versucht. 29 aufgenommen am 09.07.2010, aus Darstellungsgründen per Bildbearbeitung editiert

10

Die Namen der Teilnehmer sind hier zusätzlich mit einer Zahl und einem Icon verbunden und bilden eine Art Visitenkarte, die Aufschluss über die Spielstärke und -häufigkeit des Teilnehmers gibt; eine Art Kurzinformation über den Spieler, die mit einem durch Doppelklick erreichbaren Profil detaillierter angezeigt wird. Die Game-Chats hingegen, welche meiner Studie zugrunde liegen, entstammen aus zwei Spielarten Warcraft IIIs. Dazu gehören zum einen The Frozen Throne-Spiele und Spiele des Typus Defense of the Ancients, einer Modifikation des Grundspiels mit eigenständiger Spielmechanik. Im Folgenden werde ich sämtliche für das Verständnis der Korpusanalyse förderlichen Spielinformationen zu The Frozen Throne und Defense of the Ancients erläutern, da Art und Spielweise der Spiele stark mit der Kommunikation zusammenhängen, sich oftmals sogar bedingen.

II.2.2.a „The Frozen Throne“ Warcraft III - The Frozen Throne, welches ich im Folgenden mit dem in der Spielergemeinschaft üblichen Akronym TFT abkürze, kann online in mehreren Modi gespielt werden. Diese reichen von Spieler gegen Spieler (1 v 1) über mehrere Teamspiele (2 v 2, 3 v 3, 4 v 4) bis hin zu Jeder-gegen-Jeden Spielen (J g J). Das Spielprinzip bleibt jedoch bei allen Spielen gleich: Der Spieler wählt neben den Spielmodi ein Volk, welches er spielen möchte (Menschen, Orcs, Nachtelfen, Untote oder ein von diesen vier zufällig ausgewähltes Volk) und gibt Präferenzen für seine bevorzugten maps an, den Landkarten, auf denen das Spiel ausgetragen wird. Nachdem der Spielegenerator alle Spielteilnehmer gefunden und ihnen ein Spielfeld gemäß der Stärke und Präferenzen zugewiesen hat, startet das Spiel, sobald alle Teilnehmer die Karte geladen haben.

11