Sprache durch Kunst

Jürgen Erfurt (Frankfurt/Main). Eduard Haueis (Heidelberg). Franz Januschek ... Karen Schramm (Leipzig). Constanze Spieß (Münster). Patrick Voßkamp ...
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OBST 84

OBST

ISBN 978-3-942158-68-8

9 783942 158688 Universitätsverlag Rhein-Ruhr

ISSN 0936-0271

Kunst durch Sprache – Sprache durch Kunst

Kunst durch Sprache – Sprache durch Kunst

Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie

84

OBST 2013 84

Kunst durch Sprache – Sprache durch Kunst

Herausgegeben von Heike Roll & Constanze Spieß

Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie (OBST)

Redaktion

Manuela Böhm (Kassel) Hermann Cölfen (Duisburg-Essen) Jürgen Erfurt (Frankfurt/Main) Eduard Haueis (Heidelberg) Franz Januschek (Flensburg) Martin Reisigl (Bern) Heike Roll (Duisburg-Essen) Ulrich Schmitz (Duisburg-Essen) Karen Schramm (Leipzig) Constanze Spieß (Münster) Patrick Voßkamp (Duisburg-Essen)

Redaktionsbeirat

Henning Bolte (Utrecht) Joachim Gessinger (Potsdam) Willi Grießhaber (Münster) Jakob Ossner (St. Gallen) Angelika Redder (Hamburg)

Anschrift der Redaktion Universitätsverlag Rhein-Ruhr Redaktion OBST Gut Schauenhof Paschacker 77 47228 Duisburg [email protected] Unsere seit Jahren bewährte Praxis

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‚Vernissage‘, Tabakmagazin Karlsruhe © Joachim Gessinger 2012

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ISSN 0936-0271



Satz



Druck und Bindung



978-3-942158-78-7 (Printausgabe) 978-3-942158-79-4 (E-Book)

UVRR format publishing, Jena Printed in Germany

Inhalt Heike Roll & Constanze Spieß Kunst durch Sprache – Sprache durch Kunst. Editorial...............................7 Jörg Hagemann Vorwissen aktivieren. Einige Beispiele für eine flankierende kommunikative Praktik im Kunstvermittlungsprozess ..............................15 Heiko Hausendorf je länger man hinschaut – Der Betrachter ist im Audioguide......................37 Constanze Spieß „Texte im Ohr“ – Sprachliche Strategien der Kunstvermittlung im Textformat Audioguide für Kinder und Jugendliche.............................57 Beatrix Fehse Kunstwerke ‚lesen‘ und verstehen – ja, geht denn das? Ein Modell zur Identifikation und Analyse von Metaphern in Text-Bild-Gefügen....................................................................................75 Ulf Abraham Sprechen und Schreiben über Bilder. Das produktive Zusammentreffen zweier Medien aus sprachdidaktischer Sicht....................99 Marcus Müller Sprachreflexion und ästhetisches Bewusstsein. Bildende Kunst als Impuls im funktionalen Schreibunterricht.............................................115 Annegret Beier Die Didaktisierung von Kunstbildern im Literaturunterricht für Deutsch als Fremdsprache.................................................................137 Diana Feick Rezension: Daniela Heidtmann (2009): Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs. Wie Ideen für Filme entstehen...........157 Anschriften der Autorinnen und Autoren...........................................................165

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Kunst durch Sprache – Sprache durch Kunst Editorial Der Titel dieses Heftes nutzt die rhetorische Figur des Chiasmus: Die kreuzweise Anordnung der Begriffe „Kunst“ und „Sprache“ ergibt eine Lesefläche, die die Wechselbeziehung von Sprache und bildender Kunst sowohl visuellgrafisch als auch sprachlich zum Ausdruck bringt: Kunst durch Sprache  – Sprache durch Kunst. Die instrumentelle Relation mittels „durch“ ist dabei nicht als eine gegenseitige Indienstnahme zu lesen. Vielmehr geht es darum, die Besonderheit von Text-Bild-Bezügen sowie die spezifischen Leistungen von sprachlichen Handlungen für die Vermittlung und das Verstehen von Kunstwerken in unterschiedlichen Praxiszusammenhängen empirisch herauszuarbeiten – und dadurch den Vorbehalten, Kunstwerke würden durch die Kombination mit sprachlichen Elementen oder durch Versprachlichung an ästhetischem Eigensinn verlieren, zu begegnen. Es lassen sich in diesem Band drei thematische Schwerpunkte bestimmen: die Vermittlung von Kunst durch Sprache, die Sprachlichkeit von Bildern sowie die sprachlich-kulturelle Bildung durch Kunst. Hier schließt der Band an vorgängige Beiträge in OBST an. Genannt seien u. a. der programmatische Aufsatz von Schmitz (2005), der eine systematische Untersuchung von Text-Bild-Gefügen einfordert, oder die sprachpsychologische Analyse von Redder (2000) zu Bild-Verbalisierungen im Roman „Die Ästhetik des Widerstands“ von Peter Weiss. Redder rekonstruiert am literarischen Text, wie sich die Protagonisten die Sprache über Bilder und die Bildersprache über die sprachlichen Muster des Beschreibens aneignen und zeigt dadurch einen interdisziplinären, handlungstheoretisch basierten Zugang zum Verhältnis von Wahrnehmung, Sprache und Bild auf (vgl. auch Redder 2000a). In einem weiteren Zusammenhang des ästhetischen Lernens steht der Band „Sprachästhetik“ (2009, OBST 76), dessen Beiträge intermediale Aspekte einer gestalteten Sprache untersuchen, wie zum Beispiel die Inszenierung kinetischer Buchstaben (Holzheid 2009). Kunstkommunikation fordert im Zusammenhang des Perspektivwechsels vom Kunstwerk zur Rezeption (Filk/Simon 2010) die linguistische Theoriebildung heraus. Dies lösen weitere vorliegende linguistische Arbeiten ein, zu Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie 84 (2014), 7-14

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denen auch dieser Band Bezüge herstellt. Neben Hausendorf (2005, 2007 und 2011) und seinen gesprächsanalytischen bzw. soziolinguistischen Ausführungen zu den Aufgaben von Kunstkommunikation und zur sozialen Positionierung sind Thim-Mabrey (2007) und Fandrych/Thurmair (2011) zu nennen, die sich aus textlinguistischer Perspektive mit verschiedenen Formen und Funktionen von Kommunikation über Kunst auseinandersetzen. Im Kontext von Kunstkommunikation und Identitätsbildung haben Müller (2007, 2012) und Müller/Kluwe (2012) Untersuchungen vorgelegt, die u. a. einen Bezug zu soziologischen sowie diskurslinguistischen Fragestellungen herstellen. Müller/Kluwe (2012) konzipieren Kunst als einen Interaktionsraum, in dem sich die Handelnden – wie Künstler, Kunstvermittler, Museumsbesucher – „in zu Habitus verdichteten Praxen zueinander positionieren“ (Müller/Kluwe 2012: 4). Das Sprechen über Kunst bietet, mit anderen Worten, eine Bühne für die Selbst- und Fremddarstellung: Die Akteure positionieren sich durch Bewertungen und Urteile und werden umgekehrt aufgrund ihrer Äußerungen von den jeweils an der Interaktion Beteiligten eingeschätzt – sei es als Kunstkenner, als Laien oder als Ignoranten. „Kunst durch Sprache“ verweist neben dem Vermittlungsaspekt aber auch auf den Einsatz von Sprache im Kunstwerk selbst, wie dies z. B. die Installation „Verreisende Gegenwart (1979)“ von Christiane Möbus (vgl. Fehse in diesem Band) deutlich macht. Durch die Platzierung der titelgebenden Zeitmetapher „Verreisende Gegenwart“ auf einem Bildelement, das – in einer möglichen Betrachtungsweise – als Paddel identifiziert werden kann, lenkt Sprache hier den Verstehens-, Deutungs- und Rezeptionsprozess auf verschiedenen Ebenen. Sprache in ihrer Materialität zu verwenden und metaphorisch zu entfalten ist ein charakteristisches Verfahren der Konzeptkunst, man denke zum Beispiel an die Wortarbeiten von Lawrence Weiner oder Remy Zaugg. Einen anderen Zugriff auf Sprache vollziehen die Arbeiten von Cy Twombly, die Schrift und Zeichen in eine Art bildlichen Fluss übersetzen. Horn (1994) beschreibt das Verhältnis von Sprache und Kunstwerk bei Twombly: „So wie Schrift und ihre Materialität hier zum Thema werden, wird andererseits auch Lektüre Gegenstand der Reflexion. Die Bilder Twomblys fordern Lektüre und entziehen sich ihr immer neu. […] Obwohl eine semantische Lektüre in manchen Bildern nötig ist, ist sie nie alles“ (Horn 1994: 363). „Sprache durch Kunst“ meint das sprachbildende Potenzial, das Kunstwerken zukommen kann. Denn durch die ästhetische Betrachtung wird nicht nur die Wahrnehmung selbst geschult, sondern dies geschieht gerade in Verbindung mit Sprache: „Die Prozesse der Wahrnehmung bedürfen der Sprache, genauer der Beschreibungen, die bis ins Erzählen hinein changieren können,

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damit sie zum Begriff kommen und kommunizierbar, d. h. nicht zuletzt verhandelbar werden“ (Klotz 2005: 79). Da Sprache als Erkenntnisinstrument maßgeblich am Sehen und Verstehen von Kunstwerken beteiligt ist, lässt sich hier auch von sprachgeleiteter Wahrnehmungsbildung sprechen (Maiwald 2012). In der Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk stellen sich demnach kommunikative Aufgaben, die mit unterschiedlichen sprachlichen Handlungsformen des Beschreibens, Deutens, Erklärens und Bewertens (vgl. hierzu u. a. Hausendorf 2007) zu bewältigen sind. Diese begründen ein Repertoire an sprachlichen Mitteln, die mit verschiedenen kognitiven Anforderungen verknüpft sind. Hieran lässt sich weiterführend der didaktische Ansatz einer handlungs- und textsortenorientierten Sprachbildung aufzeigen, zu der ein fächerübergreifender Kunst- und Deutschunterricht beitragen kann (Abraham/Sowa 2012, vgl. Abraham in diesem Band). Dabei geht es eben nicht nur um Anschlusskommunikation an Kunst, sondern darum, Verstehensund Gestaltungsprozesse anzuregen, die mit der Kunstwahrnehmung und -verarbeitung vernetzt sind. In dieser Weise Kreativität freizusetzen gelingt insbesondere dann, wenn sprachliches und sprach-künstlerisches Handeln verknüpft werden, wenn also Schüler und Schülerinnen in der Auseinandersetzung mit Kunstwerken ästhetische Erfahrungen machen können und diese dann sprachlich verarbeiten: Wahrnehmungsübungen, dramapädagogische Verfahren oder kreative Gestaltungen fließen in die Bewältigung von Schreibaufgaben ein. Einen solchen ganzheitlichen Zugang zu kultureller Bildung setzt das Projekt „Sprache durch Kunst“ an der Universität Duisburg-Essen um, das in Kooperation mit dem Museum Folkwang in Essen durchgeführt wird (Baur et al. 2012). Berücksichtigt werden dort auch die verschiedenen Sprachen und Kulturen der Schülerinnen und Schüler, u. a. durch die Entwicklung eines bilingualen Vermittlungsansatzes in Zusammenarbeit mit dem muttersprachlichen Türkischunterricht. Der kulturelle Aspekt der Bildwahrnehmung wird auch in der Kultur- und Literaturdidaktik genutzt (Rymarczyk 2007) und im Hinblick auf die interkulturell basierte Vermittlung von Fremdsprachen fruchtbar gemacht (Hecke/Suhrkamp 2010). Mit der Fokussierung auf das Verhältnis von Sprache und (Bildender) Kunst in den hier genannten Facetten widmet sich das Heft einem Schnittstellen-Bereich der Linguistik. Dementsprechend werden Ansätze zur Diskussion gestellt, die verschiedene Aspekte von Kunstkommunikation aus unterschiedlichen Perspektiven herausstellen. Mögen sie Anlass zu weiteren Auseinandersetzungen mit diesem komplexen Thema bieten, denn die Linguistik steht hier erst am Anfang.

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Zu den Beiträgen im Einzelnen Der Band fokussiert die Bereiche Kunstvermittlung, Bildlinguistik und sprachlich-kulturelle Bildung in unterschiedlichen institutionellen Konstellationen (Museum, Schule, Erwachsenenbildung). Ein erster Teil widmet sich der Vermittlung von Kunstwerken im Museum, ein Praxisfeld, das sich in vielfältiger Weise ausdifferenziert hat (Thim-Mabrey 2007). Neben den auf Kopräsenz und Interaktion basierenden Veranstaltungen, die von der wissensvermittelnden Museumsführung über das dialogische Werkgespräch bis zum eher unterhaltsamen „Kunstsnack“ reichen, etabliert sich zunehmend das linguistisch bislang wenig untersuchte Format des Audioguides. Jörg Hagemann greift als eine Spezifik der klassischen Museumsführung die Heterogenität der Besuchergruppen auf und hebt hervor, dass das Gelingen eines Vermittlungsdiskurses entscheidend davon abhängt, ob der Vermittler den jeweiligen Wissensstand der Gruppe interaktiv ausloten und sein Vorgehen entsprechend anpassen kann. Er rekonstruiert anhand von Transkriptausschnitten, wie sprachliche Formen des Erinnerns, des Feststellens, des Reaktualisierens und das Reaktivierens dazu beitragen, dass Teilnehmer ihr Vorwissen vergegenwärtigen, im Verlauf der Führung modifizieren und mit ihren neuen Erfahrungen vor dem Kunstwerk vernetzen. Eben diesen individuellen Zuschnitt auf den Wissensstand der Besucher leistet der von Heiko Hausendorf exemplarisch untersuchte Audioguidetext (Kunsthaus Zürich) nicht, da dieser sich, wie Hausendorf in seinem Beitrag aufzeigt, an einen „idealen Hörer-als-Ausstellungsbesucher“ richtet. Methodisch verortet in der ethnomethodologischen Gesprächsanalyse legt er in der Transkriptanalyse offen, wie dieser ideale Hörer mittels Sprache als „Betrachter“ adressiert und sozial positioniert wird, und zwar im Sinne einer kulturell verankerten, eher traditionellen musealen Praxis der „Anschauung und Vertiefung“. Er rekonstruiert eine Reihe von Instruktionen, die den Blick des „hörenden Betrachters“ lenken und sie oder ihn zum genauen Beobachten, Beschreiben und Deuten anleiten  – wobei, so Hausendorf, die direktiven Vorgaben dem Betrachter wenig Raum für eigene Beobachtungen lassen. Constanze Spiess widmet sich in unterschiedlicher Perspektivierung und unterschiedlicher methodischer Zugriffsweise ebenfalls der sprachlichen Gestaltung von Audioguidetexten. Ihr Korpus besteht aus Texten des KinderAudioguides (2011) des Museum Brandhorst in München, der von Kindern für Kinder und Jugendliche erstellt wurde. Spieß wendet ein auf Texte und Diskurse ausgerichtetes Mehrebenenmodell an und arbeitet damit sprachliche

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Strategien heraus, die sich von den Strategien unterscheiden, die bislang für Audioguidetexte für Erwachsene herausgestellt wurden: Die Schülerinnen und Schüler positionieren ihre Altersgenossen eben nicht als „Betrachter“, sondern stellen vielmehr ihre eigenen Erfahrungen mit den Kunstwerken zur Verfügung, was sich z. B. in der Erzeugung von Ambiguitäten oder in narrativen Formen zeigt. Ein zweiter Teil, der durch den Beitrag von Beatrix Fehse vertreten wird, thematisiert den Aspekt der Sprachlichkeit in Werken der Gegenwartskunst am Beispiel der Zeitmetaphorik (Felix Droese, Gabriele Schmidt-Heins, Thomas Schütte, Neo Rauch, Christiane Möbus). Ausgehend von der Frage, wie Bedeutungen zwischen Text und Bild übertragen werden, durchleuchtet sie den mentalen Prozess der Semantisierung von Metaphern im bildlichen Kontext. Sie stellt ein Modell zur Diskussion, das dabei helfen kann, Metaphern in Text-Bild-Gefügen zu identifizieren und sodann systematisch zu analysieren. Hier zeigt sich ein anregendes Potential für die Vermittlungspraxis: Metaphern  – auch wenn sie visuell präsentiert werden  – bedürfen immer schon der sprachlichen Deutung und Entfaltung. Der dritte Teil umfasst sprachdidaktisch ausgerichtete Beiträge, die eine kommunikative Auseinandersetzung mit Kunst als Anlass sehen, bei unterschiedlichen Adressatengruppen die ästhetische Wahrnehmung zu sensibilisieren und eine stilistisch reiche Ausdrucksfähigkeit auszubauen, indem über Bilder gesprochen und geschrieben wird. Ulf Abraham lotet in seinem Beitrag das sprachbildende Potenzial des Umgangs mit Bildern im Kontext der schulischen Schreibdidaktik aus. Ausgehend von der Annahme, dass Kunst aus dem anthropologischen Bedürfnis einer „geteilten Intentionalität“ entsteht, postuliert er den Ansatz, Kunstwerke auch als Katalysator zur Selbst- und Fremdverständigung zu nutzen. Er schlägt eine Systematisierung sprachlicher Handlungen und Verfahren vor, deren Aneignung Lernende zu einem erweiterten Diskurs über Kunstwerke befähigen kann. Dem vielfach vorgebrachten Vorwurf der Instrumentalisierung von Kunst im Unterricht hält er eine solcherart linguistisch differenzierte Herangehensweise an die Versprachlichung von visuellen Strukturen entgegen. Auch Markus Müller setzt sich mit der Frage auseinander, wie ein kunstbasierter Schreibunterricht in Schule und Hochschule aussehen kann, der das Kunstwerk eben nicht auf seine Funktion als Schreibimpuls reduziert. Für seine experimentelle Studie mit Studienanfängern wählt er als Schreibanlass bewusst eine ungegenständliche Komposition von V. Kandinsky, deren ästhetischer Eigensinn sich nicht allein durch alltagssprachliche Routinen ausdrücken

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lässt. Kern der Schreibaufgabe war, das Kunstwerk für unterschiedliche Adressaten zu beschreiben. Dieses Setting erweist sich, wie Müller anhand einer korpusanalytischen Untersuchung adressatenbedingter Unterschiede in den Texten von Studierenden zeigt, in seiner Kombination aus Kreativität und Zweckgerichtetheit als geeignet für einen funktionalen Schreibunterricht, der gleichermaßen eine ästhetische Bildung im Blick hat. Eine interkulturelle Dimension bringt der Beitrag von Annegret Beier ein. Am Beispiel eines Unterrichtsprojektes an der Universität Taschkent/ Usbekistan zeigt sie auf, dass der Einsatz von Kunstbildern im Literaturunterricht DaF zu einem reflektierten Verständnis eines literarischen Textes führen kann. Anhand einer detaillierten Auswertung von Leseprotokollen und Interviewdaten rekonstruiert Beier Verstehensprozesse der beteiligten Probanden bei der Auseinandersetzung mit einer Kurzgeschichte und den jeweils korrespondierenden Bildern.

Literatur Abraham, Ulf/Sowa, Hubert (2012): Bilder lesen und Texte sehen. Symbiosen im Deutsch- und Kunstunterricht. In: Praxis Deutsch 232, S. 4-19. Baur, Rupprecht S./Okonska, Dorota/Roll, Heike/Schäfer, Andrea (2012): Sprache im Farbenrausch – Sprachförderung und Mehrsprachigkeit im Rahmen des Projekts Sprache durch Kunst. In: Decker-Ernst, Yvonne/Oomen-Welke, Ingeborg (Hg.): Deutsch als Zweitsprache: Beiträge zur durchgängigen Sprachbildung. Fillibach bei Klett: Stuttgart, S. 249-270. Fandrych, Christian/Thurmair, Maria (2011): Textsorten im Deutschen. Linguistische Analysen aus sprachdidaktischer Sicht. Tübingen: Stauffenburg. Filk, Christian/Simon, Holger (2010): „Wie ist Kunst möglich?“ Beiträge zu einer systemischen Medien- und Kunstwissenschaft. Berlin: Kadmos Verlag. Hausendorf, Heiko (2005): Die Kunst des Sprechens über Kunst – Zur Linguistik einer riskanten Kommunikationspraxis. In: Klotz, Peter/Lubkoll, Christine (Hg.): Beschreibend wahrnehmen – wahrnehmend beschreiben. Sprachliche und ästhetische Aspekte kognitiver Prozesse. Freiburg/Berlin: Rombach, S. 99-134. Hausendorf, Heiko (2007): Die Sprache der Kunstkommunikation und ihre interdisziplinäre Relevanz. In: Hausendorf, Heiko (Hg.): Vor dem Kunstwerk. Interdisziplinäre Aspekte des Sprechens und Schreibens über Kunst. München: Fink, S. 17-51.

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Hausendorf, Heiko (2011): Kunstkommunikation. In: Habscheid, Stephan (Hg.): Textsorten, Handlungsmuster, Oberflächen. Linguistische Typologien der Kommunikation. Berlin u. a.: de Gruyter, S. 509-535. Hecke, Carola/Surkamp, Carola (2010) (Hg.): Bilder im Fremdsprachunterricht: Neue Ansätze, Kompetenzen und Methoden. Tübingen: Narr. Horn, Eva (1994): The NAKEDNESS of my Scattered Dream. Cy Twomblys Zerkritzeln der Schrift. In: Kotzinger, Susi/Rippl, Gabriele (Hg.): Zeichen zwischen Klartext und Arabeske. Rodopoi: Atlanta, S. 363-376. Holzheid, Adelheid (2009): Schriftästhetik – von den bewegten Lettern zu Moving Letters. Zum Phänomen der Typokinetik in multimodaler Kommunikation. In: OBST 76, S. 37-60. Klotz, Peter (2005): Die Wahrnehmung, die Sinne und das Beschreiben. In: Klotz, Peter/Lubkoll, Christine (2005) (Hg.): Beschreibend wahrnehmen – wahrnehmend beschreiben. Sprachliche und ästhetische Aspekte kognitiver Prozesse. Freiburg: Rombach, S. 79-97. Klotz, Peter/Lubkoll, Christine (2005) (Hg.): Beschreibend wahrnehmen – wahrnehmend beschreiben. Sprachliche und ästhetische Aspekte kognitiver Prozesse. Freiburg/Berlin: Rombach. Maiwald, Klaus (2012): Bilder zur Sprache bringen. Sehen lernen als Aufgabe des Deutschunterrichts. In: ide. Informationen zur Deutschdidaktik. Zeitschrift für den Deutschunterricht in Wissenschaft und Schule, 2/2012, S. 38-48. Müller, Marcus (2007): Geschichte  – Kunst  – Nation. Die Konstituierung einer ‚deutschen‘ Kunstgeschichte aus diskursanalytischer Sicht. Berlin/New York: de Gruyter. Müller, Marcus (2012): Die Gesellschaft vor dem Bild. Eine Studie zu Habitus und sozialer Position bei der sprachlichen Bewältigung von Kunst. In: Müller, Marcus/ Kluwe, Sandra (2012) (Hg.): Identitätsentwürfe in der Kunstkommunikation. Berlin/Boston: de Gruyter, S. 125-138. Müller, Marcus/Kluwe, Sandra (2012): Kunstkommunikation und Identität. In: Müller/Kluwe (Hg.): Identitätsentwürfe in der Kunstkommunikation. Berlin/ Boston: de Gruyter, S. 1-22. Müller, Marcus/Kluwe, Sandra (2012) (Hg.): Identitätsentwürfe in der Kunstkommunikation. Berlin/Boston: de Gruyter. Redder, Angelika (2000): Prozedurale Texturen beim ‚Floß der Medusa‘ in der Ästhetik des Widerstands von Peter Weiss. In: OBST 61, S. 139-164. Redder, Angelika (2000a): Die Sprache der Bilder  – Peter Weiss` Ästhetik des Widerstands. In: Heitmann, Annegret /Schiedermair, Joachim (Hg.) (2000): Zwischen Text und Bild. Freiburg: Rombach, S. 65-91.