Speech Bersi_D

Genauso wie der Eintritt in die. Euro-Zone ein nationales Ziel war, das die Anstellung der exklusiven Make-Up Künstler von Goldman. Sachs rechtfertigte, so ist ...
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Ansprache von Eurydice Bersi, Greece (Es zählt das gesprochene Wort) Hallo, ich möchte mit Ihnen über Salami sprechen. Die erste Scheibe waren die griechischen Beamten. Die letzte werden Sie sein. Ich werde Ihnen das jetzt erklären. Im Jahr 2010 sagte man uns eine 10prozentige Lohnkürzung im öffentlichen Sektor sei keine grosse Sache, schliesslich seien ja die griechischen Staatsangestellten schuld an der Eurokrise. Genau…Dann kam die zweite Lohnkürzung, dann die dritte und mittlerweile sind neu angestellte Lehrer, die nicht an ihrem Wohnort unterrichten, so verarmt, dass man ihnen vor kurzem die Erlaubnis gab, an den Mahlzeiten in den Unterkünften der Armee teilzuhaben. Griechenland ist kein Drittweltland. Die Bevölkerung ist hoch gebildet, die Lebenserwartung der Frauen ist 82 Jahre und unser öffentliches Gesundheitswesen mit all seinen Mängeln hat unsere Bevölkerung bisher bei guter Gesundheit gehalten. Das alles ändert sich gegenwärtig so schnell, dass wir Mühe haben es zu verstehen, obschon wir es täglich mit eigenen Augen sehen können. Doch zurück zu unserer Salami: Die zweite Scheibe, das waren die Angestellten in der Privatwirtschaft. Moment mal…Was hat denn das mit Krisenbewältigung zu tun, wenn man sogar profitablen Unternehmen erlaubt, die Löhne zu kürzen, und die Rechte der Arbeiter ins 19. Jahrhundert zurückschickt? Nichts, natürlich, aber gerade darum geht es ja. Um was es geht ist Umverteilung, von den 99% auf das 1%. Um was es geht, ist das ganze Land in eine Investitionsmöglichkeit zu verwandeln, wo reiche Investoren (beraten übrigens von Investitionsbanken) ganze Sektoren der griechischen Wirtschaft zu Spottpreisen unter sich aufteilen und sich dabei weder um Lohnkosten, noch Zonenpläne oder Umweltauflagen kümmern müssen. Diejenigen unter Ihnen, die aus Osteuropa kommen, wissen wahrscheinlich genau was ich meine. Was geschieht, wenn alle Löhne und Einkommen sinken – öffentliche, private, Pensionen? Es ist eine mathematische Gewissheit, dass die nächsten Opfer Ladengeschäfte und kleine und mittlere Unternehmen sind. Ich lade sie ein, mit mir der Stadiou entlang zu gehen, der grossen Strasse, die zwei zentrale Athener Plätze – Syntagma und Omonia – miteinander verbindet und dort die Obdachlosen und geschlossenen Geschäfte zu zählen. Niemand hat Geld zum Einkaufen, doch die neuste Lösung, die unsere Gläubiger/Regierung seit kurzem propagieren, ist, die Geschäfte am Sonntag offen zu halten. Nur grosse Ladenketten können sich das leisten. Und einmal mehr nützt die Krise dem 1%. Bei der nächsten Scheibe handelt es sich um die freischaffenden Berufsleute, Ingenieure, Ärzte, Anwälte. Eine mir bekannte Zahnärztin sagt, sie habe den ganzen Tag kaum etwas zu tun, die Leute kämen nur noch wenn sie grosse Schmerzen hätten. Gebaut wird praktisch nichts mehr, doch der Einkommensausfall ist nicht einmal das grösste Problem für Architekten und Ingenieure. Das Hauptproblem ist, dass ihre Steuern und Abgaben gleichzeitig so in die Höhe geschnellt sind, dass sie praktisch gezwungen sind ihr Geschäft aufzugeben. Ein Freund von mir, ein äusserst talentierter und sehr vernünftiger Maschinenbauingenieur hat kürzlich seine Hand gebrochen: er hatte damit gegen eine Wand geschlagen, aus lauter Frustration über die ganze Situation.. In der grossen neoliberalen Sicht der Welt hat es keinen Platz für freischaffende Berufsleute, sondern nur für billige, willfährige Angestellte. Momentan ist “billig” wohl übertrieben. Hunderttausende von Griechen arbeiten ganz ohne Lohn. Sie bleiben an ihren Arbeitsplätzen, denn wenn sie kündigen, verlieren sie alle Hoffnung, je noch etwas von ihrem Geld zu sehen. Das ist eine Geiselkrise von der Sie nicht allzu viel hören werden. Wir sind an einem Punkt angelangt, wo ein Regierungsmitglied vorgeschlagen hat, die Arbeitslosen sollten sich nach Arbeitgebern umsehen, die bereit wären, sie ohne Bezahlung anzustellen. Vor langer Zeit einmal nannte man das Sklaverei. Zu Krisenbeginn waren etwas mehr als 300’000 Leute arbeitslos. Heute sind es mehr als 1,3 Millionen. Mehr als eine Million von ihnen erhalten keinerlei Arbeitslosenentschädigung. Was sie hingegen erhalten, sind Steuererhöhungen auf Einkünften, die sie nicht haben. Ehrlich. Unter diesen rationalen, von Troika-Bürokraten inspirierten Vorgaben ist es nicht genug, kleine Einkommen bis zum geht-nicht-mehr zu besteuern. Sie besteuern jetzt auch Leute ohne Einkommen, bloss weil die Wohnung, in der sie wohnen, ihnen gehört (oder das Auto, mit dem sie herumfahren würden, wenn sie Geld für Versicherung und Benzin hätten). Doch Badezimmerplättchen sind nicht essbar, und deshalb haben verschiedene Gemeinden begonnen, Leuten, die sich schämen, in eine Suppenküche zu gehen, das Essen nach Hause zu bringen.

Ein Leitartikel im Wall Street Journal jammerte kürzlich, dieser ganze “Steuerunsinn” schade der Wirtschaft, weil die Steuern auf Unternehmensprofiten leicht angehoben wurden. Was der Artikel nicht erwähnte, ist die Tatsache, dass die gesamte Steuerlast auf grossen Unternehmen (Steuern auf Gewinnen und Dividenden) kleiner geworden ist. Genau genommen gehorchen alle unter der weisen Führung der Troika verabschiedeten Steuergesetze der Mantra “je mehr du hast, desto weniger musst du bezahlen”. Unsere Regierung hat während zwei Jahren eine Liste mit reichen Inhabern von Schweizer Bankkonten versteckt, statt sie zu besteuern, wie andere Regierungen das tun. Wusste die Troika davon etwa nichts? Natürlich wussten sie es, schauten jedoch lieber weg – denn wie gesagt, es geht ja hier nicht um Fairness. Wenn die griechische Elite dem grossen neoliberalen Wahnsinn den Weg ebnet, dann hat sie ein bisschen Schutz durchaus verdient. Das Land hat seine Souveränität vollständig verloren. Ich werde mich nicht allzu lange bei der unglaublichen Serie von äusserst wichtigen Gesetzen aufhalten, die im Eiltempo und ohne Diskussion durch das Parlament geschleust werden, oder bei der Tatsache, dass Griechenland gezwungen wird, seine souveränen Immunitätsrechte gegenüber seinen Gläubigern aufzugeben. Ich gebe Ihnen nur ein Beispiel: Wenn mein Kollege, der für die Berichterstattung über die griechische Wirtschaftspolitik verantwortlich ist, heute irgendwelche neuen Dokumente erhält, etwa über eine neue Steuer, eine erneute Kürzung der Renten, neue Beschränkungen der gewerkschaftlichen Rechte, neue Privatisierungsziele, was auch immer, so sind diese ausschliesslich auf Englisch abgefasst. Ein nützliches Werkzeug für all diese Entwicklungen war übrigens der Euro. Genauso wie der Eintritt in die Euro-Zone ein nationales Ziel war, das die Anstellung der exklusiven Make-Up Künstler von Goldman Sachs rechtfertigte, so ist auch der Verbleib in dieser Zone jedes denkbare Opfer wert. Wir haben jetzt zwar eine AIDS-Epidemie unter Drogenabhängigen, aber zumindest können sie ihre Ware jetzt in Euros kaufen. Die europäische Einheit ist ein nobles Ziel, aber wir lassen uns von den 1% vorschreiben, wie dies zu geschehen hat. Wir haben es hier mit einer Umverteilungskrise zu tun und es wäre naiv zu glauben, diese Räubereien am helllichten Tag würden auf Griechenland beschränkt bleiben, oder vielleicht noch auf Spanien und Portugal. Die Strategien, die uns und viele Länder auf der ganzen Welt vor uns ruiniert haben, werden anderswo neue Opfer finden. Private Investoren und europäische Banken haben die letzten drei Jahre dazu genutzt, die griechische Staatsschuld loszuwerden, indem sie sie den europäischen Steuerzahlern und dem IMF aufbürdeten. Die nächste Runde der griechischen Entschuldung, bereits bekannt unter dem Namen OSI (Official Sector Involvement), könnte deshalb einen direkten Angriff auf Renten, öffentliche Gesundheitsdienste und sonstige Unterstützungsleistungen in Deutschland oder anderen wichtigen europäischen Ländern beinhalten. Die Samen der Uneinigkeit zwischen den europäischen Bevölkerungen sind gesät, während das System, das den Wohlstand von Goldman Sachs begründet, immer stärker wird. Bitte, versuchen Sie herauszufinden, was wirklich läuft. Schauen sie sich um und merken sich, wer von der Krise profitiert. Helfen Sie und die Salamischneidemaschine zu stoppen, bevor sie uns komplett ruiniert. Nicht nur weil Solidarität ein wunderbares Gefühl ist, sondern auch weil es Sie als nächste treffen könnte.

Eurydice Bersi ist eine griechische Journalistin, die seit 1998 in der Auslandsredaktion der griechischen Tageszeitung Kathimerini arbeitet. Sie studierte Kommunikation und Massenmedien an der Universität von Athen und internationalen Journalismus an der Hogeschool van Utrecht und an der dänischen Journalisthojskole.

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