Sensor-Actuator Supported Implicit Interaction in ... - Semantic Scholar

Abschließend kann bemerkt werden, dass sich Vibrationsfeedback als äußerst günstig er- ... A role for haptics in mobile interaction: initial design using.
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Sensor-Actuator Supported Implicit Interaction in Driver Assistance Systems Andreas Riener Institut f¨ur Pervasive Computing Johannes Kepler Universit¨at ¨ A-4040 Linz, Osterreich +43 (0)732/2468–1432 [email protected] Abstract: Nicht nur in klassischen Computersystemen, auch in der Automobildom¨ane hat der technologische Fortschritt Einzug gefunden und die Entwicklung verschiedenartigster Fahrerassistenz und -informationssysteme vorangetrieben. Die Integration derselben in immer gr¨oßerer Zahl resultiert in zunehmender Interaktionskomplexit¨at, und f¨uhrt in weiterer Folge zu einer sich daraus f¨ur den Fahrer direkt ableitbaren (m¨oglichen) Informations¨uberlastung. Eine weitere Fehlerquelle stellt der Schnittstellenentwurf dar, der die Kooperation der Ger¨ate untereinander sowie einen geordneten Datenaustauch zueinander sicherstellen muss. Damit f¨uhrt der Betrieb dieser Hilfssysteme, die urspr¨unglich als Unterst¨utzung f¨ur den Fahrer zur Erleichterung der Bedienung des Fahrzeuges entwickelt wurden, heutzutage oft selbst zu Beeintr¨achtigungen und Gefahrensituationen bis hin zu Unf¨allen. Mehrere Ans¨atze w¨aren denkbar um diese Probleme zu l¨osen – im Vordergrund dieser Arbeit stand die experimentelle Untersuchung von impliziten Interaktionsmechanismen. Der Fokus lag dabei (i) auf dem Einsatz des Tastsinnes als zus¨atzlichem ¨ Informationskanal im Fahrzeug zur Entlastung von visueller und auditiver “UberInformation” und (ii) auf implizitem Informationsaustausch zwischen Fahrer und Fahrzeug, u.a. unter Verwendung von Multi- anstatt von Unimodalit¨at.

1

¨ Einfuhrung

Der Fokus der Dissertation (Originaltitel “Sensor-Actuator Supported Implicit Interaction in Driver Assistance Systems”, [Rie10]) lag in der Fahrer-Fahrzeug Interaktion, einem Spezialgebiet der Mensch-Maschine Interaktion (MMI). Die Verwendung des geschlechtsneutralen Terminus “Person” in diesem Bericht bezeichnet im Regelfall den Fahrer bzw. die Fahrerin eines Fahrzeuges (aufgrund besserer Lesbarkeit und Konzentration auf das Wesentliche wurde generell auf geschlechtskonforme Schreibweise verzichtet). 1.1

Interaktion in Fahrzeugen

In den letzten Jahren wurde traditionellen Benutzerschnittstellen (“User Interfaces’’), wie sie beispielsweise in Fernseh- und Videoger¨aten, Spielkonsolen, etc. anzutreffen sind,

erh¨ohter Forschungsaufwand gewidmet [SP05, p. 5]. Obwohl der Anteil an Elektronik im Fahrzeug im selben Zeitraum geradezu explosionsartig angestiegen ist, haben sich nur wenige Forscher der Verbesserung der Kommunikationsschnittstelle zwischen Fahrer und Fahrzeug angenommen. Das massive Vordringen von eingebetteten Systemen und miniaturisierten Computern in Fahrzeugen (heute sind mehr als 90% der Innovationen und Patente in der Automobilbranche in den Bereichen Elektronik und Software angesiedelt [SBH+ 08], [WWW07], Tendenz steigend [Gre03, p. 844]) wurde nicht nur durch Verf¨ugbarmachung von Multimediaapplikationen, Navigationssystemen, Internetdiensten, usw. unterst¨utzt – eine wesentliche Triebkraft war auch der Faktor Wirtschaftlichkeit: Elektronische Systeme (z. B. Motorkontrolle oder Bremsassistenzsystem), sogar mit aktiver Redundanz, sind mittlerweile leistungsf¨ahiger und billiger als entsprechende mechanische Bauteile [Kop97], und sind zudem viel leichter – was wiederum den Trend bzw. die Vorschriften zum Energie- und Kraftstoffsparen unterst¨utzt. Assistenzsysteme und andere Fahrzeugtechnologien haben das Potential, die Sicherheit und auch den Fahrkomfort von Fahrer und Mitfahrern zu erh¨ohen [PBS07], erfordern auf der anderen Seite aber auch neue Interaktionsm¨oglichkeiten zwischen Fahrer und Informations- bzw. Assistenzsystemen. Diese, eigentlich zur Unterst¨utzung und Entlastung des Fahrers entwickelt und in das Auto integriert, sind heutzutage oftmals der Grund f¨ur Ablenkung, Unkonzentriertheit und in weiterer Folge Verkehrsunf¨alle und erfordern somit in weiterer Folge den Einsatz neuer Interaktionstechnologien zur Kompensation der o. g. Probleme [MK03]. 1.1.1

Bidirektionalit¨at

Fahrer-Fahrzeug Interaktion l¨auft im Allgemeinen bidirektional ab: Ein System/Ger¨at liefert Ausgaben an den Benutzer welcher darauf mit einer entsprechenden Aktion/Eingabe reagiert; dabei passen in den Prozess involvierte Personen u. U. auch deren pers¨onlichen Zustand/Einstellung bzw. die Art der Systeminteraktion an. Im Detail haben wir es im Fahrzeug – wenn wir uns auf Systeme bestehend aus einem Fahrer und einem Fahrzeug beschr¨anken – mit einem abgeschlossenen Regelkreis1 zu tun [SP05, p. 78]: Der Fahrer “bedient” das Fahrzeug durch Steuerbefehle u¨ ber das Lenkrad, die Pedale und sonstige Schalter basierend auf erfassten Eindr¨ucken aus der aktuellen Verkehrssituation, das Fahrzeug verarbeitet und reagiert auf diese Eingaben, was wiederum in einer ver¨anderten Empfindung, mit anschliessender Reaktion oder ”Antwort”, des Fahrers resultiert [Eva91, p. 109]. Caleefato beschreibt den Prozess des Autofahrens als komplexe, 4-stufige kognitive Aufgabe mit den Subprozessen (i) Wahrnehmung, (ii) Analyse, (iii) Entscheidung, und (iv) Ausdruck (Reaktion) [CMT07, p. 768]. In dieser Arbeit besch¨aftigen wir uns mit den beiden motorischen Subprozessen Wahrnehmung (i) und Ausdruck (iv), die, jeweils in kleinere Unterprozesse aufgespaltet, betrachtet werden (siehe Abbildung 1). Explizite Eingabe erfordert aktive Kooperation zur Absetzung der Steuerbefehle durch den Fahrer und erh¨oht nachgewiesen dessen kognitive Belastung [JLK07, p. 2], [Ju08], [MCB03], bei impliziter Eingabe hingegen erkennt das Kontrollsystem automatisch die 1 In realen, hochdynamischen Verkehrssystemen hingegen sind komplexe Entscheidungen und Ausverhandlungen zu treffen, die nicht mehr automatisch von Assistenzsytemen erledigt werden k¨onnen.

Fahrzeug (Auto)

Ausdruck Artikulation

Implizit Explizit

EINGABE (Steuerung)

AUSGABE (Effekt)

Wahrnehmung

Visuell Auditiv Haptisch Geruchlich Geschmacklich

Fahrer

Abbildung 1: Interaktionsmodalit¨aten in Fahrzeugen (geschlossener Regelkreis).

Absicht der Person und reagiert entsprechend (selbstverst¨andlich erfordert dieses Verhalten umfangreiche Kenntnis des Systems u¨ ber m¨ogliche Verhaltenszust¨ande und deren Kontextabh¨angigkeit [Sch00, p. 2]). Auf der Ausgabeseite (“Feedback”) stehen mehrere Sinneskan¨ale zur Informations¨ubermittlung zur Verf¨ugung; man unterscheidet zwischen unimodaler und multimodaler Stimulation, wobei der Begriff “multimodale Ausgabe” in dieser Arbeit jegliche Kombination aus zwei oder mehreren, gleichzeitig oder seriell genutzten, Ausgabemodalit¨aten umfasst (siehe auch [Ber97, p. 3]). Ein breitfl¨achiger Einsatz von multimodaler Fahrerbenachrichtigung erfordert eine adaptive Verwendung dieser Kan¨ale, basierend auf dem Einsatzgebiet und den W¨unschen des Benutzers. Beispiel: Ein Fahrer m¨ochte sein Navigationssystem u¨ ber den ber¨uhrungsempfindlichen Bildschirm (“Touchscreen”) mit visuellem Feedback bedienen w¨ahrend das Auto stillsteht (Parkplatz, Ampel), andererseits sollte die Interaktion w¨ahrend der Fahrt sprachgesteuert, mit auditiver R¨uckmeldung ablaufen, um ihn nicht von der eigentlichen Fahraktivit¨at abzulenken [SP05, p. 347]. 1.2

Probleme in der Fahrer-Fahrzeug Interaktion

Benutzerschnittstellen in Fahrzeugen unterscheiden sich wesentlich von denen f¨ur die Bedienung herk¨ommlicher Computer. Eingabeger¨ate wie Tastaturen, M¨ause, Stifte, etc. stehen nicht zur Verf¨ugung, die Ausgabe ist limitiert auf eine fixe Anzahl und Position von Symbolen im Armaturenbrett, Bildschirme sind meist nicht pr¨asent oder (zu) klein. Auf der anderen Seite w¨urden diese klassischen Ein-/Ausgabeger¨ate auch nicht akzeptiert – große, informationsreiche Anzeigen etwa w¨urden in einem zu hohen Grad vom Fahren ablenken, eine Maussteuerung f¨ur das Navigations- oder Multimediasystem ist derzeit ebenso undenkbar [LPL+ 06]. Es ist deshalb notwendig, traditionell entwickelte und gewachsene Benutzerschnittstellen-Paradigmen f¨ur deren Einsatz in Automobilen zu u¨ berarbeiten bzw. durch ad¨aquate Alternativen zu ersetzen [WO05]. Die Ursache weiterer Interaktionsprobleme liegt in der maßgeblichen Ver¨anderung der Straßenverkehrslandschaft. So sind heute (in den USA, Stand 2005) etwa 3-mal soviele Fahrzeuge registriert als noch vor f¨unfzig Jahren, das Verkehrsvolumen ist noch wesentlich h¨oher, begr¨undet etwa durch flexiblere Arbeitszeit, l¨angere Wege von und zur Arbeitsst¨atte, dem Wunsch der Individualperson nach mehr Mobilit¨at und nicht zuletzt in

beinahe unbegrenzten M¨oglichkeiten f¨ur Freizeitaktivit¨aten [IEE05]. Daneben ist das Straßennetz selbst stark gewachsen und Kreisverkehre, dynamische Ampelanlagen, unz¨ahlige Verkehrszeichen und Werbeplakatw¨ande entlang der Hauptverkehrswege fordern zus¨atzliche Aufmerksamkeit des Fahrers ein; auch innerhalb des Autos sorgen zahlreiche Quellen, wie etwa Informations- und Assistenzsysteme, Multimediafunktionen, aber auch die Nutzung von Mobiltelefonen mit oder ohne Freisprecheinrichtung f¨ur eine erh¨ohte kognitive Belastung des Fahrers [MBDT04, p. 651]. Um den aktuellen Verkehrssicherheitsstandard auch in Zukunft garantieren zu k¨onnen bzw. die Anzahl der Verkehrsunf¨alle weiter reduzieren zu k¨onnen (Iniatitive der Europ¨aischen Kommission [Eur03]) ist es notwendig, den Autofahrer m¨oglichst nicht von seiner Hauptaktivit¨at “Fahren” abzulenken. Um das bei zunehmender Interaktionskomplexit¨at sicherstellen zu k¨onnen, sind die Abl¨aufe zu optimieren und die Schnittstellen zu verbessern um, insbesonders in Situationen mit mehreren parallelen Aufgaben, die kognitive Gesamtbelastung des Fahrers m¨oglichst gering zu halten sowie den Großteil der Aufmerksamkeit auf der Hauptaktivit¨at, dem Steuern des Fahrzeuges/Autos, zu belassen.

2

Forschungsfragen

Im Rahmen der zugrundeliegenden Dissertation wurde ein genau definierter Aspekt von Mensch-Maschine Interaktion untersucht: Systeme (oder Regelkreise) bestehend aus einer Person (Fahrer) und dessen Fahrzeug (Auto). Themen wie Auto-zu-Auto (car-tocar) oder Fahrzeug-zu-Infrastruktur (vehicle-to-infrastructure) Kommunikation wurden g¨anzlich ignoriert – der Fokus lag auf impliziter (uni- oder multimodaler) Interaktion zwischen Fahrer und Auto. Im Detail war es das Ziel dieser Forschungsarbeit, fundierte Aussagen und Vorschl¨age zu geben ob und wie der Tastsinn im Automobilbereich eingesetzt werden kann um die kognitive Belastung des Fahrers zu reduzieren bzw. dessen Ablenkung von der Fahraktivit¨at zu kompensieren. Um dieses Ergebnis zu erreichen wurden gezielt Experimente f¨ur die beiden Kommunikationsrichtungen Eingabe (Steuerung, Reaktion) und Ausgabe (Aktion, Effekt) definiert und durchgef¨uhrt. Dabei wurden folgende beiden Hypothesen untersucht.

2.1

Hypothese 1: Vibrotaktiles Feedback verringert die Reaktionszeit eines Fahrers

Die Kommunikation zwischen einem Fahrzeug und seinem Fahrer geschieht immer noch ¨ fast ausschließlich durch Ubermittlung visueller oder auditiver Information. Mit zunehmender Anzahl und Komplexit¨at der Kommunikations- und Assistenzsysteme im Fahrzeug und der Vielzahl an Information die diese st¨andig u¨ bermitteln, sind diese beiden Informationskan¨ale zunehmend ausgelastet, wenn nicht sogar u¨ berlastet. M¨ogliche daraus ableitbare Konsequenzen sind eine Beeintr¨achtigung der Wahrnehmung von wichtigen In¨ ¨ formation, das Ubersehen/ Uberh¨ oren von kritischen Nachrichten, sowie Bedienungsfehler. Auch ohne dieser Problematik wird die zus¨atzliche Verwendung der Sinneskan¨ale “Tas-

ten”, “Riechen” und “Schmecken” f¨ur eine umfangreiche Erfassung des Gesamtbildes durch Geisteswissenschaftler empfohlen. Der Beitrag von Geruchs- und Geschmackssinn zur Automobilsteuerung ist, zumindest derzeit, fraglich, der Tastsinn hingegen bietet großes Potenzial zur Verbesserung der Interaktion bzw. Erh¨ohung der Informationsbandbreite zwischen Fahrer und Fahrzeug. Es kann, wie in der Dissertation nachgewiesen, gezeigt werden, dass die Verwendung des Tastsinns (Stimulation mittels Vibrationen) als zus¨atzlicher Feedback-Kanal die kognitive Last auf visuellem und auditivem Kanal ¨ verringert. Zudem erlaubt der Tastsinn die Ubermittlung “privater Nachrichten” – vibrationsgest¨utzte Information kann von anderen im Fahrzeug befindlichen Personen weder wahrgenommen noch gesch¨atzt werden; das Erfassen von Informationen u¨ ber Vibrationsmuster erfordert weiters keine direkte Aufmerksamkeit des Fahrers dar¨uber. Ergebnisse betreffend der allgemeinen Anwendbarkeit des Tastsinns (und von Vibrationen im Speziellen) im Fahrzeug sowie empirische Evidenz f¨ur eine Reduktion der kognitiven Last unter Einsatz dieses Sinneskanals wurden im Rahmen dieser Dissertation erarbeitet. 2.2

¨ Hypothese 2: Implizite Wahrnehmung fuhrt zu reduzierter kognitiver Last

Der optimalen Verwendung und Abstimmung expliziter Interaktion zur Fahrzeugsteuerung (Lenken, Wechseln des Ganges, Bedienung von Licht, Radio und Navigationssystem, etc.) wurde in der Vergangenheit sehr viel Aufmerksamkeit gewidmet – nichts desto trotz ist der Fahrer noch immer aktiv in den Regelkreislauf eingebunden, d. h. wird dessen Aufmerksamkeit f¨ur s¨amtliche Aktivit¨aten ben¨otigt und steht deswegen nur in verringertem Ausmaß f¨ur die Hauptaktivit¨at Fahren zur Verf¨ugung. Die zugrundeliegende Vermutung als Basis dieser Arbeit war, dass der Einsatz von impliziten Eingabem¨oglichkeiten f¨ur speziell entwickelte personenorientierte Anwendungen und Dienste große Vorteile f¨ur einen Fahrer haben k¨onnte. Eine Person w¨urde demnach bei impliziter Eingabe weniger stark von der eigentlichen Fahraufgabe abgelenkt werden, d. h. die kognitive Belastung bei impliziter R¨uckmeldung sinkt und die frei werdende Kapazit¨at k¨onnte etwa zur Erh¨ohung der Sicherheit oder des Fahrkomforts verwendet werden. Insbesonders eignen sich jene Aktivit¨aten f¨ur eine implizite Eingabe, die kontinuierlich Daten vom Fahrer einfordern, beispielsweise Identifikations- oder Authorisierungsdienste, Services die den Fahrer bzw. dessen Zustand u¨ berwachen oder aber auch Anwendungen die auf Aktivit¨atserkennung basieren. Bis jetzt stellten personenbezogene, automatisierte Dienste zur Automobilsteuerung eine Ausnahme dar, zum einen wegen ungel¨oster Probleme betreffend der Interaktionskomplexit¨at, technischer Machbarkeit, aber auch aus Akzeptanzgr¨unden. Empirische Evidenz daf¨ur, dass implizit erfasste personenspezifische Eigenschaften (z.B. die dynamische Druckverteilung im Fahrersitz, das EKG-Signal oder die Hautleitf¨ahigkeit) als Eingabegr¨oßen f¨ur die automatische Steuerung von Anwendungen im Fahrzeug verwendet werden k¨onnen, wurde im Rahmen dieser Dissertation durch umfangreiche Experimente erbracht. Damit wurde der Weg f¨ur eine v¨ollig neue Klasse von Anwendungen im Automobilbereich geebnet, die keine bzw. nur sehr geringe Aufmerksamkeit und aktive Konzentration des Fahrers erfordert – und damit in Zukunft auch zu keiner Ablenkung von der Hauptaktivit¨at Fahren f¨uhren sollte.

3

Innovativer L¨osungsansatz: Taktogramme

Taktile Informationsverarbeitung ist kein absolut neues Forschungsgebiet – wenn auch noch unterbewertet haben doch bereits mehrere Forschungsgruppen [CBS04], [Bro07, pp. 8–22], [MB07], [CMH05], [HACH+ 04], [RDLT06] die optimale Parametrisierung f¨ur Taktorgr¨oße und -figur, Vibrationsfrequenz, Schwellwerte, Erholungszeit, etc. erarbeitet und pr¨asentiert. Eine Anwendung in der Dom¨ane “Fahrzeug” erfordert allerdings weiterf¨uhrende Betrachtungen, etwa u¨ ber Stimulationsdauer, Ablenkung von der prim¨aren Fahraufgabe, Platzierung der Vibrationselemente (Lenkrad, Sitz, Ganghebel, etc.). F¨ur einen m¨oglichst uneingeschr¨ankten Einsatz m¨ussen auch die Faktoren Alters- und Geschlechtsabh¨angigkeit ber¨ucksichtigt werden – so sind etwa die “Vater-Pacini-K¨orperchen”, jene Mechanorezeptoren der Haut die besonders gut Vibrationsempfinden vermitteln, besonders stark altersanf¨allig (siehe [Rie10, pp. 227]).

5x2 Vibrationselemente integriert in den Fahrersitz ung rdn Zuo y

Beispiel: (7, 1, 5, 0.5, 0.25, 0.25)

x

0

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

AT

Abbildung 2: Dynamische Aktivierung von Vibrationselementen in einem Multi-Taktorsystem. Die Darstellung wird als “Taktogramm” bezeichnet, jeder der 10 Taktoren (oder Vibrationselemente) ist durch eine 6-Tupel Notation eindeutig spezifiziert.

3.1

Taktogramme

Ein wesentlicher Teil der Arbeit besch¨aftigt sich mit der Definition von sogenannten “Taktogrammen”, einer vom Begriff “Piktogramm” abgeleiteten Darstellungsform zur formellen Beschreibung von Vibrationsmustern. Dazu wurde eine 6-Tupel Notation (T, X, Y, AT, VA, VF) eingef¨uhrt, die neben dem zeitlichen Verhalten (T), den Koordinaten des Taktors im betreffenden taktilen Informationssystem (X, Y), die Variationsparameter Stimulationsdauer/Aktivierungszeit (AT), Vibrationsamplitude (VA) und Vibrationsfrequenz (VF) angibt (Abbildung 2 zeigt ein Anwendungsbeispiel). Mit dieser Definitionsmethodik kann in weiterer Folge versucht werden, taktile Muster (Taktogramme) nach verschiedenen Auf¨ merksamkeitspegeln zu klassifizieren, um etwa auf Vibrationsmuster zur Ubermittlung unterschiedlicher Klassen von Informationen (von unwichtig bis kritisch) zur¨uckgreifen zu k¨onnen (siehe auch [Rie10, pp. 98–103]).

4

¨ Durchgefuhrte Experimente

¨ Abbildung 3 zeigt eine Ubersicht u¨ ber die unterschiedlichen im Rahmen der Experimente in Fahrzeugen eingesetzten Sensoren und Aktuatoren, um die aufgestellten Forschungsfragen und Hypothesen empirisch zu belegen oder abzuweisen. Es wurden zwei Arten von Untersuchungen betrachtet, die eine besch¨aftigt sich mit drucksensitiver (impliziter) Eingabe, die andere mit Fahrerstimulation u¨ ber vibrotaktile Elemente im Fahrersitz. Interessante analysierte Fragestellungen waren beispielsweise, ob und zu welchem Grad sich die Druckcharakteristik einer Sensormatrix in Sitzfl¨ache und -r¨ucken des Fahrersitzes eignet, um eine darauf sitzende Person (statisch) zu identifizieren, eine andere wie sich der dynamische Verlauf der Drucksensordaten, in Zusammenspiel mit weiteren Sensordaten von Fahrzeug und Umgebung, eignet, um auf Aktivit¨aten des Fahrers r¨uckschließen zu ¨ k¨onnen (siehe Ubersicht in [Rie10, p. 32]). Auf Ausgabe- (oder “Feedback”-)seite wurden unterschiedliche Stimulationsmuster und -parameter und deren Wirkung auf Testpersonen untersucht um Fragen der folgenden Art zu beantworten: Unterschiedliche Reaktionszeiten bei auditiver, visueller und vibrotaktiler Benachrichtigung von Fahraktivit¨aten (z.B. Links abbiegen, Rechts abbiegen, Licht ein-/ausschalten) in simulierten sowie Echtfahrstudien, oder etwa die Abh¨angigkeit von Alter und Geschlecht auf die Reaktionszeiten eines Fahrers. Eine detallierte Experimentbeschreibung und Diskussion der erzielten Ergebnisse kann ebenfalls in [Rie10, pp. 119–196] nachgelesen werden. GPS-Sensor Kamera Hautleitfähigkeitssensor Atemfrequenzsensor [nicht dargestellt] Kontaktloses EKG [nicht dargestellt] Beschleungigungssensor Hautleitfähigkeitssensor CAN-Bus Datenlogger Kompass (im Beschleunigungssensor) Pedalstellungssensoren Orientierungssensor Drucksensitive Sensormatrix

Vibrationselemente (Taktoren)

Abbildung 3: Vitalkontext im Fahrzeug (adaptiert und erweitert von Ferscha et al. [Alo07]).

5

Zusammenfassung und Diskussion

Abschließend kann bemerkt werden, dass sich Vibrationsfeedback als a¨ ußerst g¨unstig erwiesen hat, den visuellen und auditiven Sinneskanal bei der Informations¨ubermittlung in Fahrer-Fahrzeug Kommunikation zu unterst¨utzen, und in weiterer Folge die kogniti-

ve Last des Fahrers niedrig zu halten bzw. vor Ablenkung von der Hauptaktivit¨at Fahren zu sch¨utzen. S¨amtliche Experimente die im Rahmen dieser Dissertation durchgef¨uhrt wurden (Echtfahrund Simulatorstudien, Simulation) haben gezeigt, dass der Tastsinn als Kommunikationskanal f¨ur Fahrer-Fahrzeug Interaktion bessere oder zumindest gleich gute Ergebnisse liefert (im Hinblick auf Reaktionszeit und kognitive Belastung) als mittels visueller oder auditiver Aktivierung. Zudem kann der Einsatz dieses Sinneskanals sowohl die Interaktionsgenauigkeit als auch die Bedienungssicherheit (f¨ur die Eingabe, d.h. Fahrer→Fahrzeug, als auch f¨ur die Ausgabe, also Fahrzeug→Fahrer) verbessern. Anzumerken ist noch, dass die Verwendung des Tastsinns anfangs, verursacht durch Unvertrauen gegen¨uber dieser Art von Notifikation, zu erh¨ohten Reaktionszeiten f¨uhrt, sich diese aber bei regelm¨aßiger Verwendung innerhalb kurzer Zeit auf einem wesentlich niedrigeren Pegel stabilisieren. W¨ahrend der Experimentdurchf¨uhrung wurden mehrere Schwachstellen identifiziert, die in weiteren Studien bzw. im Falle einer Produktentwicklung ber¨ucksichtigt werden sollten: • Ein Vibrationssystem muss in seinen Parametern (Platzierung, Vibrationsintensit¨at und -frequenz, etc.) optimal auf den Benutzer abgestimmt sein um bestm¨ogliche Performanz erzielen zu k¨onnen bzw. um Beeintr¨achtigungen oder Ablenkung auszuschließen. • Die Wahrnehmung von Vibrationen ist stark personenabh¨angig – die Entwicklung eines universellen taktilen Interaktionssystems ist außergew¨ohnlich schwierig, wenn nicht sogar unm¨oglich und jedenfalls auch abh¨angig von der gedachten Anwendung. • Die Langzeitwirkung taktiler Informationen wurde bisher noch nicht untersucht; es ist unklar ob eine Person (ein Fahrer) bei laufender, damit “gewohnter”, vibrotaktiler Notifikation dazu neigt diese Informationen etwa zu “¨ubersehen”.

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Dr. Andreas Riener ist derzeit Assistenzprofessor am Institut f¨ur Pervasive Computing an der Johannes Kepler Universit¨at Linz. Seine Forschungsinteressen sind im Bereich Pervasive und Ubiquitous Computing angesiedelt, wo er sich insbesonders f¨ur kontextsensitive Systeme und Biosignalanalyse interessiert. Im Speziellen besch¨aftigt er sich mit Schnittstellentechnologien f¨ur Mensch–Maschine (bzw. Fahrer–Fahrzeug) –Interaktion, z. B. multimodaler, impliziter oder auch unbewusster Kommunikation. Im Rahmen seiner Habilitation setzt sich Andreas Riener mit “subliminaler” Informations¨ubertragung im Automobilbereich auseinander. Die Forschungshypothese hier ist, dass unterbewusst u¨ bermittelte Information einer Person (=dem Fahrer) notwendige Zusatzinformationen zur Verf¨ugung stellt – ohne jedoch von ihr/ihm aktive Aufmerksamkeit dar¨uber zu fordern. Ziel ist es, den Fahrer von kognitiver Belastung bei Nebenaktivit¨aten zu entlasten, und so einen Beitrag zu h¨oherer Verkehrssicherheit zu leisten. Im November 2008 wurde Andreas Riener von der Direktion Kultur der Ober¨osterreichischen Landesregierung mit der “Talentf¨orderungspr¨amie f¨ur Wissenschaft” f¨ur seine bisherigen wissenschaftlichen Leistungen ausgezeichnet. ¨ Andreas Riener ist langj¨ahriges Mitglied der Osterreichischen Computergesellschaft (OCG) und IEEE–Mitglied.