Selbsttäuscherische Hoffnung AWS

Danksagung. Christian Erbacher, Friedrich Hausen, Nico Naeve, Sören Ohlhus und. Frank Zenker haben zahlreiche Vorstufen meiner Dissertation und dieses .... Prometheus, so erzählt Hesiod, stahl den Göttern das Feuer für seine Günst- linge, die Menschen. Das verärgerte Zeus, der ihnen das Feuer vorenthal- ten hatte ...
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SELBSTTÄUSCHERISCHE HOFFNUNG Bluhm ·

Ein Leben ohne Hoffnung, so will es eine verbreitete Intuition, ist nicht lebenswert. Der landläufigen Ansicht nach ist Hoffnung ein Gut. Doch dass die Dinge nicht so einfach liegen, zeigt sich bereits an der ältesten abendländischen Geschichte zur Hoffnung, dem Pandoramythos bei Hesiod. Der Mythos stellt Hoffnung als Übel dar, als Teil einer Strafe, die Zeus den Menschen auferlegt. Diese Wertung der Hoffnung widerspricht der Intuition, und so gab es vielfache Bemühungen, den Mythos so zu interpretieren, dass Hoffnung nicht mehr als Übel dasteht. Hoffnung kann jedoch in vielerlei Weise defizitär sein. Wir sprechen etwa davon, dass Hoffnungen täuschen oder trügen. In harmlosen Fällen heißt das nicht mehr, als dass sich diese Hoffnungen nicht erfüllen und zu hoffen daher aussichtslos wäre. In weniger harmlosen Fällen wirft man dem Hoffenden vor, er müsste selbst wissen, dass seine Hoffnung sich nicht erfüllen werde, und habe sich nur durch seinen Wunsch, das Erhoffte möge eintreten, zu dem Glauben verführen lassen, es könne eintreten. Ein solcher Vorwurf ist keineswegs abseitig. Hoffnung steht in einem kontingenten, doch engen Zusammenhang mit Selbsttäuschung. Hoffnung beinhaltet einen Wunsch nach dem Erhofften und trägt damit die Motivation in sich, die Aussichten auf das Eintreten des Erhofften den eigenen Wünschen entsprechend einzuschätzen. Es ist dieser Zusammenhang, der Hesiod zu seinem harten Urteil über die Hoffnung gebracht haben könnte. Und es ist dieser Zusammenhang, dessen sorgfältiger Analyse dieses Buch gewidmet ist.

ISBN 978-3-89785-773-5

Roland Bluhm

SELBSTTÄUSCHERISCHE HOFFNUNG Eine sprachanalytische Annäherung

Bluhm · Selbsttäuscherische Hoffnung

Roland Bluhm

Selbsttäuscherische Hoffnung Eine sprachanalytische Annäherung

mentis MÜNSTER

Einbandabbildung: Paul Elsner, Unverhofft ins Blaue, Installation von Paul Elsner im geh8 Kunstraum, Dresden 2011 Foto: Eckehard Fuchs © VG Bild-Kunst, Bonn 2012

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem ∞ ISO 9706 und alterungsbeständigem Papier

© 2012 mentis Verlag GmbH Eisenbahnstraße 11, 48143 Münster, Germany www.mentis.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zulässigen Fällen ist ohne vorherige Zustimmung des Verlages nicht zulässig. Printed in Germany Einbandgestaltung: Anna Braungart, Tübingen Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten ISBN 978-3-89785-773-5

Many things in the world would give us pleasure were they different. (Sackeim 1983, 119)

Danksagung

Diesem Buch liegt meine Dissertation mit dem gleichen Titel zugrunde, die ich 2010 an der Georg-August-Universität Göttingen eingereicht und verteidigt habe. Für die Veröffentlichung habe ich den Text über­arbeitet. Der Gang meiner Argumentation und meine Ergebnisse sind von den Änderungen jedoch im Wesentlichen unberührt geblieben. Die Arbeit an einer Dissertation und ihrer Buchwerdung ist – wie auch Hoffnung, wie Selbsttäuschung – ein sozialer Akt. Ich kann und muss mich daher an dieser Stelle für die Hilfe bedanken, die ich in vielfältiger Form von verschiedenen Personen und Institutionen erhalten habe. Der chronologischen Ordnung folgend möchte ich mich zunächst für die institutionelle und mehr als institutionelle Unterstützung bedanken, die ich im Vorfeld und zu Beginn meines Promotionsstudiums von Ansgar Becker­ mann, Christian Nimtz und Reinold Schmücker erhalten habe. Während der Arbeit an meiner Dissertation habe ich von vielen verschie­ denen Personen inhaltliche Anregungen bekommen. Nicht nur von denen, deren Texte ich im Literaturverzeichnis aufgeführt habe, sondern auch von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Kolloquiums Praktische Philosophie an der Universität Regensburg, den Kollegiatinnen und Kollegiaten des Graduiertenkollegs »Kulturen der Lüge«, ebenfalls an der Universität Regensburg, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Kolloquiums Praktische Philosophie an der Georg-August-Universität Göttingen, den Diskussionsteilnehmerinnen und -teilnehmern bei den verschiedenen Vorträgen, in denen ich Teilergebnisse meiner Arbeit vorgestellt habe, und schließlich von Gesprächspartnern in diversen Gesprächen ohne einen solchen institutionellen Rahmen. Ich habe mich bemüht, wichtige Anregungen an der jeweiligen Stelle namentlich zu würdigen. Den nicht namentlich Erwähnten möchte ich hiermit summarisch meinen Dank für Einwände, Einwürfe und Einfälle aussprechen. Gesondert bedanken möchte ich mich bei meinem Doktorvater, Holmer Steinfath, für seine Förderung, Unterstützung und kritische Begleitung. Zu danken habe ich auch Sabine Döring, die als Zweitgutachterin und Prüferin geholfen hat, meine Promotion zu einem Abschluss zu führen. Geholfen hat hierbei auch die FAZIT-Stiftung, die mir eine Zeitlang mit unkomplizierter Großzügigkeit ein Abschlussstipendium gewährt hat, für das ich mich hiermit ebenfalls bedanken möchte.

8     Danksagung Christian Erbacher, Friedrich Hausen, Nico Naeve, Sören Ohlhus und Frank Zenker haben zahlreiche Vorstufen meiner Dissertation und dieses Buches gelesen und kommentiert. Ohne ihre konstruktive Begleitung hätte weder das eine noch das andere entstehen können. Gleiches gilt für meine Frau Hannah (die viele meiner frühen Entwürfe gelesen hat) und unsere Kinder Carl und Lina. Alle drei haben mich auf dem Weg zu diesem Buch begleitet und mich – auf jeweils eigene Weise – dabei unterstützt. Für beides bin ich sehr dankbar. Die Arbeit an einer Dissertation und ihrer Veröffentlichung ist ein Prozess, der von Hoffnung getragen wird. Und wie bei allen Unternehmungen, die von Hoffnung getragen werden, besteht beim Schreiben eines Buches die Gefahr, dass Selbsttäuschung vonnöten ist, um die Hoffnung am Leben und damit die Unternehmung in Gang zu halten. An irgendeinem Punkt brach meine selbsttäuscherische Hoffnung, ich könnte das Thema erschöpfend behandeln, zusammen. Nicht aufgegeben habe ich aber die (hoffentlich nicht selbsttäuscherische) Hoffnung, mit meiner Untersuchung eine notwendige Vorarbeit für die weitere Erschließung des Themas geleistet zu haben.

Inhalt

1.   Einleitung: Elpis im Prokrustesbett

13

2.   Die Vielfalt der Hoffnung: Aus-, Ab-, und Eingrenzungen

25

2.1   Ausgrenzungen: Ein simples Strukturmodell

31

32 2.1.1   Ausgrenzungen durch die linke Seite des Modells 2.1.2   Ausgrenzungen durch die rechte Seite des Modells 37 2.1.3   Ausgrenzungen durch das Strukturmodell als Ganzes 48 2.2   Abgrenzungen: ›Echte Hoffnung‹ 2.2.1   ›Echte Hoffnung‹ I: Hoffnung und Hoffnungen 2.2.2   ›Echte Hoffnung‹ II: Religiöse Hoffnung 2.3   Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes 3.   Explikation des Begriffs der Hoffnung I: Eine Rumpfdefinition 3.1   Zum vermeintlichen Zukunftsbezug von Hoffnung 3.1.1   Zum vermeintlichen Zukunftsbezug von Hoffnung 3.1.2   Zusammenfassung und Anmerkung zu einer sprachlichen Konvention 3.2   Zwei notwendige Bedingungen

60 61 68 74 77 78 81 88 88

89 3.2.1   Erste notwendige Bedingung: Wunsch 3.2.2   Zweite notwendige Bedingung: Wahrscheinlichkeits­ einschätzung 107 3.2.3   Zusammenfassung: Rumpfdefinition 137 4.   Explikation des Begriffs der Hoffnung II: Erweiterung der Rumpfdefinition

139

4.1   Die affektive Komponente der Hoffnung

145

4.1.1   Hoffnung, Zuversicht und Freude

145

10     Inhalt 4.1.2   Affektiv positiv-angenehme Hoffnung 4.1.3   Affektiv negativ-unangenehme Hoffnung 4.2   Verteidigung der Annahme einer affektiven Komponente von Hoffnung

151 159 165

4.2.1   Ist der Affekt nur Effekt der subjektiven Wahrscheinlichkeit des Erhofften? 167 4.2.2   Hat wirklich jede Hoffnung eine affektive Komponente? 172 4.2.3   Kann die Explikation Hoffnung von Vorfreude und von Furcht abgrenzen? 178 5.   Defizitäre Hoffnung

187

5.1   Ein Einblick in die Vielfalt defizitärer Hoffnung

188

5.2   Ein Überblick über mögliche Defizite von Hoffnung

192

5.2.1   Defizite hinsichtlich der desiderativen Komponente von Hoffnung 193 5.2.2   Defizite hinsichtlich der affektiven Komponente von Hoffnung 195 5.2.3   Defizite hinsichtlich der epistemischen Komponente von Hoffnung 196 5.3   Defizite im Zusammenhang komplexerer Probleme

200

6.   Selbsttäuschung 205 6.1   Probleme bei der Charakterisierung von Selbsttäuschung

205

6.2   Annäherung an eine Charakterisierung von Selbst­täuschung

219

6.2.1   Auswege aus dem Paradox der Selbsttäuschung 6.2.2   Eine grobe Charakterisierung von Selbsttäuschung 6.3   Die Pseudorationalität der Selbst­täuschung 7.   Selbsttäuscherische Hoffnung

220 222 231 249

7.1   Verknüpfung von Hoffnung und Selbsttäuschung

249

7.2   Die Realität selbsttäuscherischer Hoffnung

256



Inhalt     11

8.   Resümee und axiologischer Ausblick

265

8.1   Resümee der bisherigen Ausführungen

265

8.2   Zur Kritik selbsttäuscherischer Hoffnung

271

Belegverzeichnis 287 Literaturverzeichnis 301 Personenregister 317

1.   Einleitung: Elpis im Prokrustesbett

Ein Leben ohne Hoffnung, so will es eine verbreitete Intuition, ist nicht lebenswert – falls ein Leben ohne Hoffnung überhaupt möglich ist. Weit verbreitet ist auch eine ähnliche, positiv gewendete Intuition, die unmittelbar die Hoffnung, nicht die Hoffnungslosigkeit, betrifft: die Intuition, dass Hoffnung ein Gut ist. Dass die Dinge nicht so einfach liegen, zeigt sich jedoch bereits an der ältesten abendländischen Geschichte zur Hoffnung, dem Pandoramythos. In ihm kommt die entgegengesetzte Haltung zum Ausdruck. Überliefert ist uns der Mythos in der für uns entscheidenden Version als Geschichte über die Hoffnung zuerst durch Hesiod,1 und dessen Fassung des Mythos hat auch – obwohl (oder vielleicht gerade weil) sie einige Verständnisschwierigkeiten aufwirft – die meiste Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Der Pandoramythos ist ein beliebter Topos der Literatur über Hoffnung (auch der philosophischen), wobei die Bezugnahme auf ihn von Anspielungen bis hin zu umfänglichen Nacherzählungen reicht.2 Auch ich möchte den Mythos bemühen, allerdings mit einer ungewöhnlichen, nämlich rezeptionskritischen Wendung. 1 Hesiod hat vermutlich Versatzstücke älterer Überlieferungen zusammengefügt. Das gilt insbesondere für die Figur der Pandora und ihre vermeintliche Büchse, den pithos (Weizsäcker 1897–1902, Greene 1935, Oldfather 1949, Beall 1989). Die Hoffnung jedoch wird zuerst von Hesiod erwähnt (Roscher 1884–86, 1242; Waser 1905, 2454). 2 Die wissenschaftliche Rezeption des Pandoramythos oder einzelner seiner Aspekte (zum Beispiel der Figur der Pandora oder ihrer vermeintlichen »Büchse«) spiegelt nur einen kleinen Teil der Reaktionen wider: Der Mythos wurde zitiert, paraphrasiert, übersetzt, nach- und umerzählt, kommentiert, interpretiert und umgedeutet. Umfangreiche Angaben zur Überlieferung, aber auch zur wissenschaftlichen und belletristischen Rezeption bieten Weizsäcker 1897–1902, Bapp 1902–1909, Oldfather 1949 und Musäus 2004. Eine äußerst umfangreiche Bibliographie, die ihren vollen Nutzen freilich erst in der angekündigten, meines Wissens aber noch ausstehenden systematischen Ordnung entfalten können wird, bietet Blümer 2001, 2: 239–395. Eine Auflistung der Verwendungen des Pandoramythos und der Figur der Pandora in den Schönen Künsten vom 13. bis zum späten 20. Jh. bietet Reid 1993, eine detaillierte Sichtung (mit vielen Abbildungen) der kunstgeschichtlichen sowie eine knappe Abhandlung über die theatralische Verwendung des Motivs Panofsky & Panofsky 1991.

14     Einleitung: Elpis im Prokrustesbett Der Pandoramythos bei Hesiod Prometheus, so erzählt Hesiod, stahl den Göttern das Feuer für seine Günstlinge, die Menschen. Das verärgerte Zeus, der ihnen das Feuer vorenthalten hatte, und in seinem Zorn beschloss der Göttervater, die Menschen (und damit auch Prometheus) zu strafen.3 Er ließ die Götter Pandora, die erste Frau, erschaffen und ihr eine Reihe schlechter Eigenschaften verleihen – Verlogenheit, Verschlagenheit usw. –, doch auch äußerlich gute – Schönheit, Liebreiz, Kunstfertigkeit –, um gerade durch diese Mischung die Menschen in besonders listiger Weise zu bestrafen: ihnen »für das Feuer ein Übel [zu] geben, an dem jeder seine Herzensfreude haben und doch sein Unheil umarmen soll« (Erga 57f.). Pandora wurde zu den Menschen geschickt, und trotz der Warnung seines Bruders Prometheus, von den Göttern Gesandtes nicht anzunehmen, nahm Epimetheus sie zur Frau. In seinem Haus aufgenommen, öffnete Pandora einen pithos, ein großes Vorrats­ gefäß,4 und die seither die Menschen plagenden Übel – Mühsal, Krankheit, Leid – wurden freigesetzt. Nur eines blieb zurück, weil Pandora im letzten Moment den Deckel des pithos wieder schloss: elpis, die Hoffnung.5 Bereits antike Kommentatoren haben sich an einigen Ungereimtheiten des Mythos gestoßen.6 Meist wurde die Geschichte so gelesen: Das Gefäß mit Übeln wurde Pandora von den Göttern als zusätzliche Strafe für die 3 Feuer und Nahrung hatte Zeus nach dem Opferbetrug des Prometheus verborgen. Der Pandoramythos handelt also von der Eskalation des Konflikts. Die Strafe für Prome­ theus geht bekanntlich über die gegen seine Schützlinge hinaus (siehe Bapp 1902–1909, 3038–3044 und 3054–3056), doch das ist nicht Teil des Pandoramythos. 4 Dass lange von der ›Büchse der Pandora‹ gesprochen wurde und dass diese Bezeichnung sogar als Idiom Aufnahme in einige Sprachen gefunden hat, ist – was die neuzeitliche Rezeption des Mythos angeht – auf eine Fehlübersetzung von Erasmus von Rotterdam zurückzuführen (Panofsky & Panofsky 1991, 14–26). Der Fehler mag auch in der Antike vorgekommen sein (Beall 1989, 227, Fn. 1), war aber selten (Musäus 2004, 181). 5 Erga 47–105 und Theogonie 561–616. Die Nacherzählung geht über Unterschiede der beiden Fassungen hinweg. Der in unserem Zusammenhang wichtigste ist, dass nur in den Erga von dem pithos (und folglich von elpis) die Rede ist. Die Theogonie stellt allein die Frau als die Strafe der Götter dar – was freilich nicht heißt, dass die Misogynie der Erga weniger exzessiv wäre (siehe jedoch relativierend hierzu Verdenius 1985, 47f.). 6 Das Wort »Ungereimtheiten« verwenden auch Oldfather 1949, 533f., und Harder 2000, 237; davon, dass der Mythos bei Hesiod »ungereimt« sei, spricht bereits Schopenhauer (1851, 486 = § 200). Der Sache nach ist die Einschätzung allgemein üblich: Sie bildet »einen Gemeinplatz der philologischen Kritik« (Oldfather 1949, 533), und das bereits seit der Antike (Renger & Musäus 2002, 203f.). Gute einführende Überblicke über die unklaren Aspekte des Mythos geben: Waser 1905; Shorey 1912; Wilamowitz-Moellendorff 1928, 51f.; Oldfather 1949, 533f., 539–543; Musäus 2004, 13–30.