Prinzipien in der Ethik

10.6 Die systematische Pointe des Williams /McDowell-. Arguments . .... Anne Zahradnik für Ermunterung und Unterstützung in allen Lebenslagen.
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Wer an Moral denkt, denkt zumeist auch an Prinzipien. Denn nicht nur in der philosophischen Ethik, sondern auch im Alltag gelten Prinzipien vielen als unverzichtbarer Bestandteil des Versuchs, zu gerechtfertigten Antworten auf moralische Fragen zu gelangen. Ethische Partikularisten hingegen bestreiten, dass Prinzipien für moralisches Urteilen und Handeln von zentraler Bedeutung sind, und sie empfehlen, auf die Orientierung an kontextübergreifenden moralischen Richtlinien zu verzichten. In diesem Buch werden zentrale Positionen und Argumente aus der neueren Partikularismusdebatte systematisch verortet und diskutiert, um so das Potential prinzipienkritischer Entwürfe auszuloten. Hierbei zeigt sich: Prinzipien sind kein notwendiger, aber zumindest manchmal ein geeigneter Bezugspunkt im moralischen Urteilen und Handeln. Der Annahme, dass es möglich ist, sich in allen Entscheidungen an inhaltlich angemessenen Prinzipien zu orientieren, ist jedoch mit Skepsis zu begegnen.

Prinzipien

Jan Gertken

Prinzipien in der Ethik

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Gertken · Prinzipien in der Ethik

Jan Gertken

Prinzipien in der Ethik

mentis MÜNSTER

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Inhaltsverzeichnis

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9 11

TEIL I GRUNDLAGEN 1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5

Prinzipien und Prinzipienkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Moral ohne Prinzipien? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Was ist ein Prinzip? Annäherung an einen Begriff . . . . . . . . . Spielarten von Partikularismus und Prinzipienethik . . . . . . . . Partikularismus, normative Ethik und ethische Theorien . . . . Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17 17 21 30 37 42

TEIL II MORALISCH URTEILEN OHNE PRINZIPIEN 2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 3 3.1 3.2 3.3 3.4

Der epistemologische Partikularismus und die Rolle moralischer Intuitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prinzipien als Richtschnur für moralische Urteile: Die Subsumptionskonzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überlegungen zur dialektischen Lage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eine konstruktive Rolle für Intuitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Blick zurück und ein Blick nach vorn . . . . . . . . . . . . . . . Intuitionen, Überlegungsgleichgewicht und Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einwände gegen den Intuitionismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Intuitionismus, Prinzipien und die Subsumptionskonzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regelfolgen, Konsistenz und moralische Prinzipien . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47 47 48 59 63 75 77 77 91 100 105

6

Inhaltsverzeichnis

TEIL III MORALISCH NEUTRALE ARGUMENTE FÜR UND GEGEN DEN PARTIKULARISMUS 4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5

Gleiches gleich behandeln: Supervenienz- und Universalisierbarkeitsargumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . Moralisch neutrale Argumente gegen den Partikularismus . . . Supervenienz und Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Universalisierbarkeit moralischer Urteile . . . . . . . . . . . . Relevante Ähnlichkeiten und Weil-Aussagen . . . . . . . . . . . . . Rückblick und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

111 111 113 123 131 134

5 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6

Das moralische Weil – Die Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . Moralische Weil-Sätze als Herausforderung . . . . . . . . . . . . . . Merkmale moralischer Weil-Sätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Resultanz und Token-Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Urteilsgründe und Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rückblick und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

137 137 138 144 150 154 162

6 6.1

Moralisches Weil und moralische Gründe . . . . . . . . . . Ein neuer Ansatz: Moralisches Weil und moralische Handlungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eine Zwischenbilanz und weiterführende Fragen . . . . . . . . . . Moralische Gründe und moralische Konflikte . . . . . . . . . . . . Die inhaltliche Flexibilität der buck passing-Konzeption . . . . Rationalität, Gründe, Sollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Was folgt für die Diskussion des Partikularismus? . . . . . . . . . Ein Blick zurück und ein Blick nach vorn . . . . . . . . . . . . . . .

165

6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7 7 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6

Der Holismus der Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Argumentieren für den Partikularismus: Die Rolle des Holismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Was ist der Holismus der Gründe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vom Holismus zum Partikularismus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . Starker Atomismus oder schwacher Holismus? . . . . . . . . . . . Kann jede Tatsache ein moralischer Grund sein? . . . . . . . . . . Rückblick und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

165 173 174 190 195 198 202 205 205 209 218 229 238 242

Inhaltsverzeichnis

7

TEIL IV DIE PARTIKULARISTISCHE HERAUSFORDERUNG UND WIE MAN MIT IHR UMGEHEN SOLLTE 8 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6 9

9.1 9.2 9.3 9.4 9.5 9.6 10 10.1 10.2 10.3 10.4 10.5 10.6 10.7 10.8 10.9

Prinzipien und Ausnahmen – Faustregeln und ceteris paribus-Generalisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prinzipien und die partikularistische Herausforderung . . . . . Zwei Strategien im Umgang mit der partikularistischen Herausforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Was sind Ausnahmen? Begriffliche Vorüberlegungen . . . . . . . Moralische Prinzipien als Faustregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prinzipien und Ausnahmen: Ceteris paribus-Prinzipien . . . . . Ceteris paribus-Prinzipien: Eine Bilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . Normalitätsklauseln, statistische Generalisierungen und annullierbare Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Worum es geht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prinzipien und privilegierte Bedingungen: Der Ansatz von Lance und Little . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normalitätsprinzipien und privilegierte Bedingungen – kritisch betrachtet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lehren aus dem Scheitern der bisher betrachteten Normalitätsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Statistische Generalisierungen und die Orientierungsfunktion moralischer Prinzipien . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dicke Begriffe und intramoralische Prinzipien . . . . . . Die Ausgangsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dicke Begriffe als philosophisches Werkzeug . . . . . . . . . . . . . Was sind dicke Begriffe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lassen sich dicke Begriffe durch dünne und deskriptive Begriffe analysieren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Williams /McDowell-Argument gegen die Analysierbarkeitsthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die systematische Pointe des Williams /McDowellArguments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Grenzen des Williams /McDowell-Arguments . . . . . . . . Intramoralische Prinzipien mit dicken Begriffen . . . . . . . . . . Rückblick und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

247 247 249 252 256 265 279

281 281 281 287 291 295 308 309 309 311 314 316 319 322 330 337 342

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Inhaltsverzeichnis

TEIL V DIE REICHWEITE MORALISCHER PRINZIPIEN 11

Prinzipien trotz partikularistischer Herausforderung – moralische Gründe . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Moralisch unproblematische Tötungsakte . . . . . . . . . . . . . . Schmerzen zufügen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Moralisch irrelevante Versprechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Blick zurück und ein Blick nach vorn . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . .

345 345 349 370 374 381

12 Ist ein vollständiger Prinzipienkanon möglich? . . . . . . 12.1 Ein kurzer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2 Entscheidungsprinzipien auf der Ebene moralischer Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3 Prinzipienkanon und abschließende Prinzipien: Ein Wegweiser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4 Moralische Unbestimmtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.5 Unbestimmtheit und moralische Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . 12.6 Die Reichweite moralischer Prinzipien: Abschließende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

383 383

11.1 11.2 11.3 11.4 11.5

383 387 396 408 411

Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

413

Anhang zu Kapitel 1: Zur logischen Form moralischer Urteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

416

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

421

Verzeichnis der für Thesen und Prinzipien verwendeten Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

440 445 449

Danksagung

Dieses Buch ist eine überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die 2012 an der Humboldt-Universität zu Berlin angenommen wurde. Lang ist nicht nur der Text geworden, sondern auch die Liste der Menschen, die eine wichtige Rolle bei seiner Entstehung gespielt haben. Ganz besonders bedanken möchte ich mich allem voran bei meinem Doktorvater Thomas Schmidt, der mir von der ersten Ideenskizze bis zur Feinpolitur als wichtigster Diskussionspartner und als Ratgeber zur Seite gestanden hat. Mein Dank gilt ebenso meinen Eltern und Großeltern, die mich vom ersten Erstaunen über meine Studienfachwahl bis zur Begeisterung über das, was ich jetzt tue, ohne Einschränkung unterstützt haben. Teile der Arbeit konnte ich in den letzten Jahren in Berlin, Bremen, Essen, Göttingen, Hannover, Konstanz, Saarbrücken, Utrecht und Zürich vorstellen. Ergebnisse der jeweiligen Diskussionen sind an vielen Stellen in die Endfassung eingeflossen, und es ist unmöglich, alle Gesprächspartner und Kommentatoren zu erwähnen. Besonders danken für wertvolle Anmerkungen möchte ich Vuko Andric, Norbert Anwander, Mario Brandhorst, Philipp Brüllmann, Anne Burkard, Jonathan Dancy, Markus Düwell, Christoph Fehige, Brad Hooker, Benjamin Kiesewetter, Tim Kraft, Andreas Müller, Stephan Naguschewski, Christian Seidel, Maik Tändler, Jens Timmermann und Ulla Wessels. Kirsten Meyer und Christoph Halbig danke ich für die Bereitschaft, als Zweit- und Drittgutachter an meinem Promotionsverfahren mitzuwirken und für die wertvollen Hinweise, die mir bei der Vorbereitung der Druckfassung sehr geholfen haben. Seit November 2007 habe ich das Glück, am Institut für Philosophie der Humboldt-Universität zu Berlin und insbesondere am Lehrstuhl für Praktische Philosophie /Ethik in einem intellektuell anregenden Klima und mit tollen Kollegen zu arbeiten. Ich glaube nicht, dass ich in einem anderen Umfeld ähnlich produktiv hätte sein können. Die Überlegungen zu Intuitionen und Intuitionismus verdanken sich zu einem großen Teil einer intensiven und produktiven Zusammenarbeit mit meiner Kollegin Anne Burkard. Einige inhaltliche Überschneidungen zu ihrem Buch Intuitionen in der Ethik sind daher ebenso unvermeidlich wie beabsichtigt. Die enge und äußerst ertragreiche inhaltliche Zusammenarbeit mit Thomas Schmidt spiegelt sich auch darin wider, dass wir oft auf unterschiedlichen Wegen zu ähnlichen Thesen gelangt sind. Mein Dank gebührt weiterhin Michael Kienecker vom mentis Verlag für die freundliche Betreuung und Unterstützung bei der Vorbereitung

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Danksagung

der Druckfassung des Manuskripts, Stephan Naguschewski für das Lektorat, der VG Wort für die Gewährung eines großzügigen Druckkostenzuschusses und der Münsteraner Kolleg-Forschergruppe »Normenbegründung in Medizinethik und Biopolitik« für die Einladung, das Sommersemester 2013/14 als Junior Fellow an der Universität Münster zu verbringen. In diese Zeit fiel auch die Vorbereitung der Druckfassung dieses Buchs. Abschließend danke ich allen Freunden und Freundinnen, die in den vergangenen Jahren ihren Teil dazu beigetragen haben, dass mein Wunsch, diese Arbeit zu beenden, nicht ins Wanken geraten ist. Ganz besonders danke ich Anne Zahradnik für Ermunterung und Unterstützung in allen Lebenslagen.

Vorwort

Dies ist eine Arbeit über moralische Prinzipien. Genauer: eine Arbeit darüber, ob solche Prinzipien eine Rolle für unser Urteilen und Entscheiden spielen sollten, und wenn ja, auf welche Weise und mit welcher Reichweite. Das Begriffspaar Moral und Prinzipien mag wie eine notwendige Verbindung erscheinen, doch wie so vieles wird in der philosophischen Diskussion auch diese Überzeugung mit guten Gründen bestritten. Sog. Partikularisten verneinen, dass wir uns im moralischen Denken an Prinzipien orientieren müssen, und zumindest manche von ihnen argumentieren sogar, dass es sich bei der Verbindung von Moral und Prinzipien um eine Mesalliance handelt. Deshalb möchte ich zu klären versuchen, ob wir moralische Prinzipien brauchen, ob wir sie zufriedenstellend formulieren können, und, falls ja, wie weit der Bereich ist, der sich durch Prinzipien erfassen lässt. Besonders in Gesprächen und mündlichen Diskussionen bin ich während der Beschäftigung mit dem Thema häufig einer bestimmten Reaktion begegnet: Äußert man Sympathien für partikularistische Positionen, erntet man Kopfschütteln; zugleich wird jedoch ebenfalls mit dem Kopf geschüttelt, wenn man es unternimmt, die Anforderungen an die Formulierung von Prinzipien einmal klar zu formulieren. Mein Eindruck ist: Viele wollen zwar an der Idee festhalten, dass Prinzipien für Moral von fundamentaler Bedeutung sind, dabei aber zugleich mit einem maximal ›entspannten‹ Verständnis dessen arbeiten, was der, der Moralprinzipien anzugeben bestrebt ist, leisten muss – ein Verständnis, das einen zu keinen allzu großen Anstrengungen zwingt. Ich hoffe, dass es mir im Weiteren gelingt, den Leser davon zu überzeugen, dass die soeben beschriebene Herangehensweise es sich zu einfach macht. Wer davon überzeugt ist, dass Prinzipien eine wichtige Rolle für das moralische Urteilen spielen, muss sich aus der philosophischen Deckung wagen, die Herausforderung durch den Partikularismus annehmen und zu kontrovers diskutierten philosophischen und moralischen Fragen auf subtilere Weise Stellung beziehen, als dies oft geschieht. Die Partikularismusdebatte ist maßgeblich von den Texten Jonathan Dancys geprägt. Diese spielen daher auch für die vorliegende Arbeit eine wichtige Rolle, und an vielen Stellen werden Fragen, Anregungen und Argumente Dancys aufgenommen und diskutiert. Sie stehen jedoch insofern nicht im Mittelpunkt meiner Ausführungen, als ich mich insgesamt nicht an bestimmten Philosophen orientiere, sondern an einer systematischen Klärung philosophischer Probleme interessiert bin. Gleichwohl werden an zahlreichen Stellen über Dancy hinaus weitere exemplarische Vertreter verschiedener

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Vorwort

Ansätze aufgeführt, deren Positionen sich auf besonders erhellende Weise diskutieren lassen. An manchen Stellen entferne ich mich aber auch von der aktuellen Debattenentwicklung, wenn ich glaube, dass dort unwichtige Fragen zu ausführlich behandelt, wichtige jedoch vernachlässigt werden. In Teil I wird zunächst die elementare Frage geklärt, was Moralprinzipien eigentlich sind und warum wir uns für sie interessieren sollten. Im Anschluss werden die zentralen Begriffe und Thesen erläutert, die für den weiteren Verlauf der Arbeit von Bedeutung sind. Teil II fragt danach, wie wir allgemein über moralische Fragen nachdenken sollten und ob wir hierfür Prinzipien brauchen. Die Antwort auf die zweite Frage fällt negativ aus: Für das moralische Urteilen brauchen wir keine Prinzipien – was jedoch nicht impliziert, dass wir ganz auf sie verzichten sollten. In Teil III werden verschiedene Versuche diskutiert, Aussagen über die Existenz und Reichweite moralischer Prinzipien zu treffen, ohne auf konkrete Kandidaten für Prinzipien zu sprechen zu kommen. Diese Versuche werden skeptisch beurteilt: Wer über die Existenz und Reichweite moralischer Prinzipien nachdenken will, muss über konkrete moralische Prinzipien nachdenken – er muss sich auf das einlassen, was man »normative Ethik« nennt, und auf diesem Feld der partikularistischen Herausforderung begegnen, haltbare Prinzipien zu formulieren, die einer kritischen Überprüfung standhalten. Bevor diese Herausforderung angenommen wird, werde ich in Teil IV die Rahmenbedingungen für eine Diskussion konkreter Vorschläge für moralische Prinzipien erörtern: Geklärt wird, welche begrifflichen Ressourcen für die Formulierung konkreter Prinzipien zur Verfügung stehen und welche Verpflichtungen derjenige eingeht, der nachzuweisen bestrebt ist, dass es überzeugende Prinzipien gibt. Insbesondere wird hierbei geklärt, welche Rolle moralische Urteilskraft für die Anwendung moralischer Prinzipien spielen kann und ob Prinzipien ausnahmslos gültig sein müssen. In Teil V werden schließlich Vorschläge für einige konkrete moralische Prinzipien präsentiert, die gute Aussichten darauf haben, gegen partikularistische Einwände verteidigt werden zu können. Des Weiteren argumentiere ich, dass die Frage nach der Reichweite moralischer Prinzipien in gewisser Hinsicht aufgrund von moralischer Unbestimmtheit nicht entschieden werden kann. Abschließend noch einige Hinweise zu formalen Aspekten der Arbeit: Ich zitiere im laufenden Text nach dem Schema: Autorname Jahr: Seitenzahl (ggf. auch Paragraph oder Kapitel). Finden sich zwei durch Schrägstrich getrennte Jahreszahlen angegeben, so bezieht sich die erste auf die Erstveröffentlichung, die zweite auf die Version, nach der in diesem Fall zitiert wird (bzw. auf den Band, in welchem der Text wiederabgedruckt wurde).

Vorwort

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Texte philosophischer Klassiker (Aristoteles, Kant, Mill, Wittgenstein) werden nach dem Schema Autorname, Akronym: Seitenzahl (bzw. Paragraph oder Kapitel) zitiert. Die jeweiligen Akronyme der Titel finden sich im Literaturverzeichnis zur leichteren Orientierung direkt nach dem Autornamen. Ich habe mich bemüht, die distanzierende Verwendung von Anführungsstrichen möglichst zu vermeiden. Dort, wo ich sie verwende, gebrauche ich einfache Anführungszeichen. Um Häufungen von Anführungsstrichen zu vermeiden, verwende ich teils auch Kursivsetzung, um deutlich zu machen, dass sprachliche Ausdrücke angeführt und nicht gebraucht werden. Fremdsprachliche Ausdrücke, die ich als Fachbegriffe im Text ohne Übersetzung verwende, sind ebenfalls kursiv gesetzt. Ausnahmen sind solche lateinischen Ausdrücke wie bspw. »per definitionem« oder »ad hoc«, die mit der gleichen Bedeutung auch außerhalb philosophischer Diskussionen im Sprachgebrauch etabliert sind. Dort, wo weitergehende Ausführungen als Fußnoten zu viel Platz eingenommen hätten, habe ich sie als eingeschobene Exkurse in den Haupttext integriert. Ein längerer Exkurs in Kapitel 1 zur logischen Form moralischer Urteile wurde als Anhang ausgelagert. Ein alphabetisches Verzeichnis aller im Text für Thesen, Prinzipien und Regeln verwendeten Abkürzungen findet sich im Anschluss an das Literaturverzeichnis. An vielen Stellen der Arbeit gebrauche ich schematische Buchstaben. Anstelle von Handlungsverben verwende ich dann »f« und »y«. Satzbuchstaben »p, q und r« (ggf. mit Indizes) stehen anstelle von Sätzen. Als schematische Buchstaben für Personennamen nutze ich »S«, »A« und »B«. Als Platzhalter für Begriffe stehen meist »F« und »G«, im Fall moralischer Begriffe verwende ich »M«. Beschreibungen für Kontexte und Situationen werden durch »C« ersetzt.