Opposition und Verweigerung in Nordthüringen (1976-1989)

Gans und Eberhard Stein von der Außenstelle Erfurt der „Gauck-Behörde“ un- ... Fragen war Joachim Remy (Erfurt), in fachlichen Belangen Dr. Heinz Mestrup.
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Dietmar Remy Opposition und Verweigerung in Nordthüringen (1976 – 1989)

SCHRIFTENREIHE DER BILDUNGSSTÄTTE AM GRENZLANDMUSEUM EICHSFELD

Wissenschaftliche Leitung: Dr. Gerlinde von Westphalen

BAND 1

Herausgegeben vom Grenzlandmuseum Eichsfeld e.V.

MECKE DRUCK UND VERLAG · DUDERSTADT · 1999

Dietmar Remy

Opposition und Verweigerung in Nordthüringen (1976 – 1989)

Band 1 Schriftenreihe der Bildungsstätte am Grenzlandmuseum Eichsfeld

MECKE DRUCK UND VERLAG · DUDERSTADT · 1999

© 1999 Bildungsstätte am Grenzlandmuseum Eichsfeld

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Herstellung: Druck u. Satz: Mecke Druck und Verlag, 37107 Duderstadt · Postfach 1420 Umschlaggestaltung: Babette K. Lau Mit freundlicher Unterstützung der Heinz Sielmann Stiftung.

Print-Ausgabe ISBN 978-3-932752-44-5 E-Book ISBN (PDF) 978-3-86944-123-8

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Vorwort Die Bildungsstätte am Grenzlandmuseum Eichsfeld befindet sich zur Zeit noch im Aufbau. Als ein dezentrales Untervorhaben des Thüringer ExpoProjekts: Das Eichsfeld - die grenzenlose Region: Überwindung der deutschen Teilung für Mensch und Natur wird sie ihren Seminarbetrieb spätestens zu Beginn der Expo-Weltausstellung am 1. Juni 2000 aufnehmen. “Überwindung der deutschen Teilung für Mensch und Natur” - unter diesem Titel stehen zugleich Ziel und Konzeption der Bildungsstätte am Grenzlandmuseum Eichsfeld. Nach der deutschen Vereinigung wird eine wichtige, unstrittige bildungspolitische Aufgabe darin gesehen, die unterschiedlichen Erfahrungen, welche die Menschen in den neuen und alten Bundesländern aufgrund der verschiedenartigen Gesellschaftssysteme und der damit verbundenen andersartigen Sozialisation prägen, zum Gegenstand des öffentlichen Nachdenkens, des gemeinsamen Austausches und mithin auch zum Gegenstand politischer Bildung zu machen. In der Konzeption der Bildungsstätte wird der Auseinandersetzung mit Geschichte und Folgen der SED-Diktatur, ihren Strukturen, Akteuren und Opfern hoher Stellenwert für die zukünftige innere, rechtsstaatlich gesicherte Verfassung der heutigen Demokratie zugemessen. Dabei kommt der doppelten deutschen Vergangenheit zweier Diktaturen in Deutschland - nationalsozialistisches Unrechtsregime und SED-Parteidiktatur - besondere Bedeutung zu. Die Thematisierung beider deutscher Diktaturen, ihrer herrschaftsstrukturellen Unterschiede, ihrer gegensätzlichen ideologischen Gehalte sowie die Behandlung des Ausmasses ihrer politischen Kriminalität soll zwar vergleichend erfolgen, ohne indes ihre grundsätzliche Unterschiedlichkeit zu übersehen. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist notwendige normative Voraussetzung, um Vertrauen in die politische Ordnung unseres freiheitlichdemokratischen Verfassungsstaates zu entwickeln. Nur wachsendes Vertrauen in die politischen Institutionen und Akzeptanz des Gemeinwesens führen langfristig zu Systemvertrauen, Verfassungsloyalität und - um einen Begriff des renommierten Politikwissenschaftlers Dolf Sternberger zu verwenden zu Verfassungspatriotismus. Akzeptanz und verfassungsloyale Bindungen können ohne kritische Vergegenwärtigung des jeweils eigenen geschichtlichen Standortes nicht entstehen. Diesem Zusammenhang sieht sich die Bildungsstätte in ihrer Arbeit verpflichtet. Für die heutige und künftige politische Kultur in Deutschland ist dabei nicht nur das Erbe zweier Diktaturen bestimmend, sondern vor allem die unterschiedliche Verteilung der Erblasten zweier Diktaturen: Während die erste Vergangenheit des nationalsozialistischen Faschismus von den Menschen in Ost und West gleichermaßen geteilt wird, sind dieselben Menschen an der

Geschichte der DDR und der SED-Parteidiktatur in höchst unterschiedlicher Weise beteiligt: Die einen haben unmittelbar im SED-System gelebt; die andern haben es von außen - allenfalls über innerdeutsche oder zwischenstaatliche Kontakte - mittelbar wahrgenommen. Bedeutsam wird bleiben, daß im vereinigten Deutschland nur ein Teil der Bevölkerung vom SED-Regime unmittelbar und biographisch existentiell betroffen ist. Der Umgang mit der DDR-Vergangenheit weist insofern eine assymetrische Struktur auf: Die Erfahrungen zwischen den Bürgerinnen und Bürgern der ehemaligen DDR und der alten Bundesrepublik sind höchst unterschiedlich. Dadurch wird die Auseinandersetzung mit Geschichte und Folgen der SEDDiktatur kompliziert; es kann zu tiefgreifenden Mißverständnissen kommen; dies erfordert in der politischen Bildungsarbeit ein hohes Maß an Sensibilität für die jeweiligen individuellen und kollektiven Problemlagen. Die Arbeit der Bildungsstätte am Grenzlandmuseum Eichsfeld wird im kommenden Jahr durch ein vielfältiges Seminar- und Vortragsspektrum geprägt sein, welches der vorgestellten Konzeption Rechnung trägt. Darüber hinaus ist von Anfang an daran gedacht gewesen, eine eigene Schriftenreihe ins Leben zu rufen, welche zum einen Veranstaltungen der Bildungsstätte wie Vortragsreihen dokumentiert und weiterhin didaktische Handreichungen für die Bildungsarbeit beinhalten soll; zum anderen ist beabsichtigt, in die Schriftenreihe auch Publikationen aufzunehmen, die sich dem historischpolitischen Nahbereich der thüringischen Landes- und Regionalgeschichte zuwenden. Es ist gelungen, für den ersten Band der Schriftenreihe Dietmar Remy´s Arbeit über Opposition und Verweigerung in Nordthüringen in den Jahren 1976 bis 1989 zu gewinnen. D. Remy hat anhand des umfangreichen Studiums von Stasi-Akten und anderer Materialien und durch Gespräche mit Zeitzeugen eine detailreiche Dokumentation und Analyse von Verweigerungsund Oppositionsformen einerseits, von Mechanismen und Methoden ihrer Sanktion durch das MFS andererseits zusammengeführt. Obwohl als Doktorarbeit in Jena mit wissenschaftlichem Anspruch geschrieben, ist Remy´s Buch anschaulich verfaßt und auch für den interessierten Laien verständlich und gut lesbar. Die Veröffentlichung hat hohen dokumentarischen und sozialgeschichtlichen Wert, da sie eine Innensicht in das regionale nordthüringische Kleinmilieu bietet, wie sie in dieser kenntnisreichen Form m.E. bisher nicht vorliegt. Der Herausgeber dankt Dr. Dietmar Remy für sein fachliches und persönliches Engagement und dem Verleger, Helmut Mecke, für die ausgezeichnete Zusammenarbeit. Dank gilt der Heinz-Sielmann-Stiftung (Duderstadt), die in großzügiger Weise die Umschlaggestaltung übernommen hat, und den Mitarbeitern der Bildungsstätte, Elke Köhler und Heinz Engelbrecht, für die organisatorische Begleitung des Projekts.

Schließlich sei dem gesamten Vorstand des Grenzlandmuseums Eichsfeld, gedankt, welcher das gemeinsame Projekt nach Kräften förderte. Fortgeführt wird die Schriftenreihe der Bildungsstätte voraussichtlich im kommenden Jahr mit der Dokumentation eines Vortragszyklus, den die Bildungsstätte anläßlich des historischen Ereignisses: Zehn Jahre Grenzöffnung - Zehn Jahre deutsche Einheit zur Zeit mit namhaften Referenten veranstaltet. Eichsfeld, im Oktober 1999 Horst Dornieden

Wolfgang Nolte

Gerlinde von Westphalen

(1. Vorsitzender)

(2. Vorsitzender)

(Wissenschaftl. Schriftleitung)

Vorwort des Autors Die vorliegende Publikation ist die leicht überarbeitete Fassung meiner Doktorarbeit, die ich im Oktober 1998 unter dem Titel „Opposition und Verweigerung in der DDR-Provinz. Das Beispiel Nordthüringen (1976-1989)“ an der Friedrich-Schiller-Universität Jena einreichte und die im Juni 1999 vom Dekanat der Philosophischen Fakultät angenommen wurde. Professor Dr. Jürgen John vom Historischen Institut, der dem Thema großes Interesse entgegenbrachte, betreute die Dissertation, das Zweitgutachten erstellte Professor Dr. Herbert Gottwald (ebenfalls Historisches Institut). Zahlreichen Personen möchte ich meinen Dank aussprechen: Die Mitarbeiter des Thüringischen Hauptstaatsarchivs Weimar Gunter Appelmann, Eveline Bock, Rainer Hasselmann, Karin Johannes, Dieter Marek und Carmen Rosenkranz sorgten dafür, daß meine Aktenberge niemals kleiner wurden, Siegfried Gans und Eberhard Stein von der Außenstelle Erfurt der „Gauck-Behörde“ unterstützten meine Tätigkeit nach Kräften. Mit Hinweisen und Materialien halfen mir Hartmut Rosinger (Bürgerkomitee Thüringen e. V.), Dr. Andrea Herz (Behörde des Landesbeauftragten des Freistaates Thüringen für die StasiUnterlagen) sowie Franz-Georg Pfitzenreuter (ehemaliges Amt für Vergangenheitsaufarbeitung in Worbis). Die mühselige aber so bedeutsame Arbeit der Korrekturen übernahmen HansJörg Dieckmann (Münster), Karin Glüpker (Lippstadt), Wilfried Göpel (Prezelle) und Heinz Engelbrecht (Göttingen). Wichtigster Ratgeber in stilistischen Fragen war Joachim Remy (Erfurt), in fachlichen Belangen Dr. Heinz Mestrup (Ahlen). Last, but not least danke ich meinen Eltern Heidrun und Wilhelm Remy für die finanzielle Unterstützung während meines Studiums. Dank der Energie von Frau Dr. Gerlinde von Westphalen (Grenzlandmuseum Eichsfeld e. V.) und von Herrn Helmut Mecke als Verleger konnte das Manuskript so schnell in Druck gehen.

Kamp-Lintfort, im Oktober 1999

Dietmar Remy

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Inhaltsverzeichnis 1

Einleitung 1.1 Ziel der Studie.................................................................................... 13 1.2 Untersuchungsraum und -zeitraum .................................................... 17 1.3 Forschungsstand und Quellenbasis .................................................... 25 1.4 Opposition und Widerstand - Versuch einer Begriffsklärung und Typologisierung .......................................................................... 40

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Das Ministerium für Staatssicherheit und die „Partner des politisch-operativen Zusammenwirkens“ 2.1 Strukturen, Aufgaben und Personalbestand des Ministeriums für Staatssicherheit............................................................................. 48 2.2 Die spezifischen Mittel und Methoden des MfS zur Bekämpfung der Opposition in der DDR........................................................ 53 2.3 Die Funktion der „Partner des politisch-operativen Zusammenwirkens“ ...................................................................................... 55 2.4 Die Vorbereitungen der Sicherheitsorgane auf den Ausnahmezustand .......................................................................................... 81

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Erscheinungsformen widerständigen Verhaltens in Nordthüringen 3.1 Die Friedens- und Umweltbewegung 3.1.1 Proteste gegen die zunehmende Militarisierung der Gesellschaft und Sorge um die Erhaltung der natürlichen Umwelt ........................................................................... 91 3.1.2 Fallstudie 1: Die Umweltgruppe beim Kirchenkreis Nordhausen (Gisela Hartmann)............................................. 126 3.2 Antragsteller auf ständige Ausreise 3.2.1 Von der Ausreisebewegung zur Ausreisewelle..................... 142 3.2.2 Fallstudie 2: Der Zusammenschluß von ausreisewilligen Mitarbeitern des Gesundheitswesens aus Bad Langensalza (Angelika und Dietmar Zacher, Barbara und Harald Witzel, Manuela und Karsten Trittschuh, Christina und Joachim Otto, Gerhild und Matthias Trüe) ............. 166 3.3 Katholiken und Priester im Eichsfeld 3.3.1 Das politische Klima im Eichsfeld ........................................ 183 3.3.2 Fallstudie 3: Der Kampf eines Missionars gegen die Jugendweihe und andere „rote Ersatzriten“ (Elmar Eckardt, Heiligenstadt).......................................................... 220

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3.4 Die Regionalgruppe Thüringen des Arbeitskreises Solidarische Kirche 3.4.1 Die Bemühungen der Regionalgruppe Thüringen des Arbeitskreises Solidarische Kirche um eine Demokratisierung von Kirche und Gesellschaft..................................... 239 3.4.2 Fallstudie 4: Wahlverweigerung in einer Kleinstadt (Gisbert Stecher, Rastenberg) ............................................... 272 3.5 Schriftsteller 3.5.1 Zur Funktion der Schriftsteller im Sozialismus..................... 287 3.5.2 Fallstudie 5: Ein ehemaliger Dozent für MarxismusLeninismus gründet das „Holde Reich“ (Rolf Schilling, Bielen) ................................................................................... 295 4

Schlußthesen zu Opposition und Verweigerung in Nordthüringen ...................................................................................................... 308

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Anhang 5.1 Die wichtigsten Bestimmungen des Strafgesetzbuches der DDR zur Kriminalisierung politischer Gegner ................................ 316 5.2 Einwohnerzahlen der Stadt- und Landkreise des Bezirks Erfurt im Jahr 1980.............................................................................. 318 5.3 Umweltstatistiken des Bezirks Erfurt (Anhang zum Kapitel 3.1.1) ................................................................................................ 319 5.4 Antragstellerstatistiken des Bezirks Erfurt (Anhang zum Kapitel 3.2.1) ........................................................................................ 321 5.5 Jugendweihestatistiken des Bezirks Erfurt (Anhang zum Kapitel 3.3.1) ........................................................................................ 328 5.6 Politische Stellungnahmen der Regionalgruppe Thüringen des Arbeitskreises Solidarische Kirche (Anhang zum Kapitel 3.4.1) ................................................................................................ 329

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Quellenverzeichnis ................................................................................. 341

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Literaturverzeichnis .............................................................................. 349

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Verzeichnis der Gesprächspartner....................................................... 361

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Abkürzungsverzeichnis ......................................................................... 362

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1 Einleitung 1.1 Ziel der Studie „In sozialistischen Staaten existiert für eine Opposition keine objektive soziale und politische Grundlage, denn die Arbeiterklasse - im Bündnis mit allen anderen Werktätigen - ist die machtausübende Klasse und zugleich Hauptproduktivkraft der Gesellschaft, deren Grundinteressen mit denen der anderen Klassen und Schichten prinzipiell übereinstimmen.“ Stichwort „Opposition“, in: Kleines politisches Wörterbuch, 5. Aufl. Ostberlin 1985, S. 694 f.

Einfacher konnten es sich die Herrschenden in der DDR nicht machen, als jeglicher Opposition grundsätzlich die objektive Berechtigung abzustreiten. Widerspruchshandlungen gegen die Politik der SED richteten sich in ihren Augen immer gegen die Interessen der gesamten DDR-Gesellschaft und konnten daher nur von sog. Feindorganisationen1 aus dem westlichen Ausland inspiriert worden sein. Bürgerrechtler waren demnach aus ihrer Sicht Kriminelle oder Verrückte, Gekaufte oder Verführte. Folglich verkündete Chefkommentator KarlEduard von Schnitzler im DDR-Fernsehen: „Gegen unsere sozialistische Friedenspolitik opponieren zu wollen würde bedeuten, Verbrechen zu begehen. Und mit solcher Opposition setzen wir uns nicht an der Wahlurne und nicht im Parlament auseinander, sondern vor den Gerichten unserer sozialistischen Justiz.“2 Wozu Karl-Eduard von Schnitzler nicht willens war, das soll in der vorliegenden Studie realisiert werden: Angestrebt wird eine kritische Reflexion der Motive, Anliegen und Absichten ganz unterschiedlicher Personen und Gruppen, die Widerstand gegen politische Entscheidungen und Handlungen der SED leisteten und somit den allumfassenden Herrschaftsanspruch der Staatspartei in Frage stellten. Der Autor verfolgt das Ziel, eine Regionalstudie zu erstellen, die die mannigfachen Erscheinungsformen widerständigen Verhaltens aufzeigt, die - so seine These - auch in der DDR-Provinz vorhanden waren. Bisherige Forschungen wandten sich zumeist der Oppositionsszene der Großstädte Berlin, Leipzig und

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Zu den Feindorganisationen wurden z. B. die „Internationale Gesellschaft für Menschenrechte e. V.“ (IGfM) in Frankfurt/Main, der Verein „Hilferufe von drüben e. V.“ (Hvd) in Lippstadt, die „Arbeitsgemeinschaft 13. August e. V.“ in Westberlin sowie das Bonner Bundesministerium für Innerdeutsche Beziehungen gezählt. Zit. n. Stichwort „Politische Opposition in der DDR“, in: Herbst/Ranke/Winkler: So funktionierte die DDR, Band 2, S. 823. Zitat vom 25. März 1968.

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Dresden zu. Hier konnten oft kleinste Details der Geschichte von Widerstand und Verfolgung erhellt werden. Die Region Thüringen hingegen blieb von der Wissenschaft bislang weitgehend unbeachtet. Die wenigen Forschungsarbeiten hatten meist die ehemalige Bezirkshauptstadt Erfurt oder die Zeiss- und Universitätsstadt Jena zum Thema,3 der eher ländlich und kleinstädtisch geprägte Raum Nordthüringen (der jedoch einige Großbetriebe aufwies) ist Terra incognita. Eine Abhandlung über politische Gegnerschaft in dieser Region dürfte folglich zu einem erweiterten Blickwinkel der Wissenschaft auf die Bürgerbewegungen der DDR beitragen.4 In der vorliegenden Dissertation wird aufgezeigt, mit welchen Mitteln und Methoden Erscheinungsformen widerständigen Verhaltens durch die hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeiter der Staatssicherheit bekämpft wurden. Besonderes Anliegen des Verfassers ist es, auch auf die Rolle der sogenannten „Partner des politisch-operativen Zusammenwirkens“ bei der Zersetzung von politischen Gegnern der SED hinzuweisen. Während insbesondere durch die Publikationstätigkeit der Abteilung Bildung und Forschung des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR Arbeitsweise und Strukturen des Staatssicherheitsdienstes weitgehend erschlossen wurden und in der politisch interessierten Öffentlichkeit hauptsächlich die Erkenntnisse über Handlungen der Inoffiziellen Mitarbeiter des MfS für Aufsehen sorgten, wurde das Wirken der „Partner des politisch-operativen Zusammenwirkens“ von der Forschung noch nicht hinreichend aufgeklärt. Dabei gilt es zu beachten, daß sich das Ministerium für Staatssicherheit auf die Arbeit der „Partner des politisch-operativen Zusammenwirkens“ genauso wie auf die seiner Inoffiziellen Mitarbeiter verlassen können mußte. Der Staatssicherheitsdienst war das federführende Herrschaftsinstrument der SED bei der Unterdrückung politischer Gegner. Da die Bekämpfung jeglicher Opposition gegen den allumfassenden Herrschaftsanspruch der SED jedoch als gesamtgesellschaftliche Aufgabe galt, war das MfS nicht allein verantwortlich für diesen Aufgabenbereich. Deshalb muß danach gefragt werden, wer die „Partner des politisch-operativen Zusam-

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Einzelbesprechungen der Studien erfolgen im Unterkapitel 1.3 „Forschungsstand und Quellenbasis“. In der Einführung zum 1995 veröffentlichten Sammelband „Zwischen Selbstbehauptung und Anpassung“ stellen die Herausgeber Rainer Eckert, Ilko-Sascha Kowalczuk und Ulrike Poppe fest, aus dem Fehlen eines allgemein akzeptierten Oppositionsbegriffes resultiere, „daß sich die Forschung bislang zumeist nur auf eindeutige Widerstands- und Oppositionsgruppen konzentriert. Das betrifft für die fünfziger Jahre antikommunistische Widerstandsgruppen und für die achtziger Jahre die - im weitesten Sinne - alternativen Basisgruppen. Aber selbst hier orientiert sich die Forschung zumeist lediglich auf die Großstädte der DDR. Ländliche Gebiete und Kleinstädte sind bisher kaum erforscht worden.“ Eckert/Kowalczuk/Poppe: Selbstbehauptung und Anpassung, S. 25.