noch 15 Minuten

Sicht auf die Autobahn. Von dort aus würde sie Alex kommen sehen. Doch das Einzige was sie sah, waren tausende von Regentrop- fen, die gegen das Fenster ...
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Oscar Wagner-Martinez

Noch 15 Minuten Roman

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© 2016 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2016 Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag Coverbild: Umschlaggestaltung, Illustration: Björn, Schmidt, www.bs-grafik.de Printed in Germany Taschenbuch: Großdruck: eBook epub: eBook PDF: Sonderdruck

ISBN 978-3-8459-1896-9 ISBN 978-3-8459-1897-6 ISBN 978-3-8459-1898-3 ISBN 978-3-8459-1899-0 Mini-Buch ohne ISBN

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Für Eva, möge die Liebe deiner Mutter dich stets begleiten

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Einige Stunden zuvor an diesem Tag Das Einklinken der Tür reichte aus. Alex wachte auf. Er wusste sofort, dass Sophie gegangen war. Er verspürte die Lust, hinter ihr herrennen zu müssen, um noch einmal ihre Nähe zu spüren. Aber er wusste nur zu gut, dass es besser war, sich an das zu erinnern, was sie durchlebt hatten. Als etwas nicht Endendes. Er sah den Brief und die CD, die sie ihm auf das Kopfkissen gelegt hatte. Er richtete sich auf, nahm den Brief und fing an zu lesen. Nachdem er den Brief dreimal gelesen hatte, saß er einfach so da, berührt von der Sanftheit ihrer Worte. Ihm wurde klar, dass er diese Worte mitnehmen würde. Und das nicht nur für kurze Zeit. Welche Folgen das haben könnte, auf seine Beziehung mit Eli, wusste er nicht. Aber er hatte Angst davor, zu recht, denn das vermeidlich Unsichtbare ist ein nicht berechenbarer Faktor in einer Beziehung, die 5

in der Wirklichkeit gelebt wird. Das, was er mit Sophie gespürt hatte, würde er bei Eli nicht finden können. Sophie hatte recht mit dem, was sie geschrieben hatte: Es gibt Menschen, die kommen und gehen, die kommen und bleiben, und andere wiederum kommen, um einem etwas zu zeigen und gehen wieder. In seinen Gedanken ergänzte er ihren drei Zeiler: „Aber du Sophie, bist in mein Leben gekommen, ich habe dich gehen lassen und nehme dich trotzdem mit.“ Er wusste zu gut, dass sie Spuren hinterlassen hatte, die sich nicht mehr verwischen lassen würden. Diesen Spuren nicht zu folgen, würde für ihn eine große Herausforderung bleiben. Alex blickte auf sein Handy und sah, dass es nicht mehr lohnen würde zu schlafen. Und er war auch viel zu wach, um sich noch weiter ausruhen zu können. Er nahm das Handy, schrieb eine Kurzmitteilung an Valentin und gab Bescheid, dass er ihn nicht mehr wecken müsste, denn er würde pünktlich unten vorm 6

Hotel stehen. So legte er sich mit ausgestreckten Armen für einen kurzen Moment aufs Bett und starrte die Decke an.

Es klopfte an die Tür, laut und energisch. Alex schrak hoch und sah, dass es bereits 8:45 Uhr war. „Nein, scheiße!“, schrie er auf.

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Noch 15 Minuten Eli betrachtete den Briefumschlag auf dem Tisch. Sie musste das Kuvert nur öffnen, um das Ergebnis zu erfahren. Aber das war im Moment nicht so wichtig. Wichtig war, dass Alex endlich kam. Seine Mutter lag im Sterben - und er war einfach nicht da! „Sonst bist du immer so zuverlässig“, dachte Eli, noch immer dem Blick auf den Umschlag. „Habe ich ihm nicht deutlich genug gemacht, wie ernst der Gesundheitszustand seiner Mutter ist? Hätte ich ihm etwa sagen sollen, dass sie im Sterben liegt? Aber sie hat mich doch gebeten, ihm nichts zu sagen, damit er die Tage auf der Messe sorgenfrei genießen kann. Wie hätte ich diesen letzten Wunsch abschlagen können?“ Ohne eine Antwort auf die Fragen gefunden zu haben, schüttelte sie den Kopf. Ihr Blick wanderte zu Alex´ Mutter, die regungslos 8

aber dennoch entspannt im Bett lag. Eli sprach leise zu ihr. „Sogar jetzt geht es dir nur um Alex. Ein bisschen Egoismus hätte dir auch gutgestanden. Du hast schon immer gesagt, dein schönster Abschied von dieser Welt wäre, wenn du wüsstest, dass Alex ein glückliches Leben vor sich hat. Eine Arbeit die ihm Spaß macht und eine Familie, mehr bräuchte er nicht. Du glaubst, dass du dann alles richtig gemacht hast? Ja, wahrscheinlich denkst du so darüber. Ich bewundere deine Haltung, dass dies ausreicht, damit du glücklich gehen kannst. Aber was ist mit dir? Wo bist du geblieben? Liegt darin wirklich dein ganzes Glück, durch und durch Mutter zu sein? Ja, bei dir ist es wahrscheinlich so.“ Eli konnte sich nicht vorstellen, dass allein im Muttersein das Glück des Lebens für einen Menschen liegen könnte. Vielleicht, weil sie selbst nie Mutter werden wollte, auch, wenn sie in letzter Zeit immer öfter darüber nach9

gedacht hatte. Sie war 35 und kam in ein Alter, in dem man nicht mehr ewig Zeit für Nachwuchs hat. Einen tollen Mann glaubte sie zu haben. Ihr war bewusst, dass dazu aber mehr als nur ein guter Mann gehörte - mit sich selbst glücklich zu sein, sein Ego beiseite zu schieben und den Mut zu haben, Liebe teilen zu können. Nur sie wusste allzu gut um ihre Schwächen. Sie war verwirrt und konnte keinen klaren Gedanken fassen. Sie machte sich weiterhin große Vorwürfe, Alex gegenüber geschwiegen zu haben. „Was, wenn Alex es nicht rechtzeitig schafft, um von seiner Mutter Abschied nehmen zu können? Wie viele Vorwürfe müsste ich mir von ihm zukünftig anhören? Wie schwer wird das auf unserer Beziehung lasten? Was hätte ich in seiner Situation gewollt? Scheiße, ich hätte gewollt, dass er es mir erzählt!“ Sie schüttelte den Kopf, lachte leicht über sich und murmelte vor sich hin. 10

„Wie leicht man in solch eine Scheißsituation kommen kann. Aus einem einfachen Satz: Ich pass schon auf deine Mutter auf. Fahr ruhig los! - wird solch ein Dilemma für mich. Hätte seine Mutter ihren Schwächeanfall nicht später bekommen können? Musste ausgerechnet diese Woche die Preisverleihung sein? Hätte ich darauf bestehen sollen, dass Alex hier bei seiner Mutter bleibt? Bestimmt habe ich eine tolle Party verpasst, ich hätte doch so gerne mein neues Kleid angezogen < Na ja, Hauptsache er hatte seinen Spaß.“ Sekunden später schämte sie sich für all die Gedanken und den Egoismus, der gerade Besitz von ihr genommen hatte, und hielt die Hand vor den Mund. „Eli, reiß dich zusammen! Jetzt bist du gefragt!“. Dabei ballte sie die Fäuste kämpferisch zusammen, ohne wirklich selbst daran zu glauben, die Kraft für diesen Kampf zu haben.

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Durch die Enttäuschung über ihre Gedanken, brach sie in Tränen aus. Tränen, die nicht nur der Situation geschuldet waren. Sie fühlte sich einfach allein. Für Eli waren einfach zu viele Emotionen im Spiel. Mit Gefühlen hatte sie ihre Schwierigkeiten. Sie, die von ihren Eltern vorgelebt bekommen hatte, vor Gefühlen wegzulaufen, statt sie anzusprechen oder anzugehen. Aber statt selbst etwas zu ändern, hatte sie lange mit dieser Lektion einfach weitergelebt. Gefühle waren eines der Dinge, die sie nicht zu kontrollieren vermochte. Genauso wenig wie die Tröpfchen, die sich jetzt über ihrem Gesicht ausbreiteten. Sie liebte es viel mehr, die Dinge selbst in der Hand zu haben, damit sie ja nie verletzt werden konnte. Aus Erfahrung wusste sie, dass Gefühle über sie die Macht einnehmen konnten, und sie sich dadurch klein und schwach im Leben gefühlt hatte. Und wenn die Gefühle mal groß und stark waren, dann war es nie ein Gefühl, das lange anhielt. Deswegen war sie mehr Freund des Denkens, des rationalen Ergebnisses von 12

Dingen, die sie sehen konnte. Auch wenn sie für sich feststellen musste, dass sie in den letzten Jahren die Gefühle immer mehr an sich herangelassen hatte. Das war bestimmt eine Folge der Liebe zu Alex, die sie zugelassen hatte. Eli hielt es nicht mehr sitzend aus. Sie stand auf, nahm den Umschlag, der vor ihr auf den Tisch lag und ging in Richtung Fenster. Aus dem zehnten Stock hatte sie eine sehr gute Sicht auf die Autobahn. Von dort aus würde sie Alex kommen sehen. Doch das Einzige was sie sah, waren tausende von Regentropfen, die gegen das Fenster prasselten. Sie spiegelten die Traurigkeit des Zimmers wider. Die Gedanken von Eli wurden durch das Rufen von Alex´ Mutter unterbrochen. Eli wischte sich kurzerhand die Tränen vom Gesicht und ging zum Bett. Sie legte den Umschlag auf den Nachttisch und griff nach der Hand der Mutter. Eli war total erleichtert, hatte sie doch geglaubt, dass Alex´ Mutter nicht mehr 13

aufwachen würde. Eli wunderte sich, dass ihre Augen jetzt sogar wacher wirkten, als in den Tagen zuvor. „Wo genau ist Alex?“, fragte die Mutter mit klarer Stimme. „Er ist unterwegs, er tut alles, um gleich hier zu sein. Das weißt du.“ „Er hat nicht mehr lange Zeit, nur noch fünfzehn Minuten“, sagte die Mutter. Ohne diesen Satz viel Bedeutung zu schenken, erwiderte Eli: „Er ist gleich da.“ „Ich hoffe, er schafft es rechtzeitig da zu sein und weiß dann, was zu tun ist. Ich würde ihn so gerne noch einmal sehen, ein Lächeln von ihm geschenkt bekommen, seine Hände berühren oder ihm einen Kuss geben.“ Mit trauriger Stimme setzte sie den Satz fort. „Dinge, die wir schon so oft getan haben, und doch sind es Dinge, die immer eine andere Bedeutung in den verschiedenen Situationen des Lebens bekommen.“ Ihre Augen wurden feucht. Sie blickte in Richtung Fenster. 14

Eli konnte ihre Tränen ebenfalls kaum verbergen. Sie drückte mit beiden Händen fest die Hand der Mutter, lächelte sie an und gab ihr einen sanften Kuss auf die Hand. Mit weinerlicher Stimme sprach Eli zu ihr: „Sag so was nicht. Alex ist gleich da, und dann wirst du das alles noch tun können.“ „Ich weiß, er wird es schaffen rechtzeitig da zu sein.“ „Das wird er.“ Eli hielt es nicht mehr aus. Sie stand auf, griff nach ihrem Handy und versuchte Alex zu erreichen. Sie wusste, dass Alex dadurch nicht schneller da sein würde. Aber das Gefühl etwas zu tun, reichte ihr aus. Sie atmete tief durch, wählte die Nummer und nahm sich fest vor, dieses mal nicht mit ihm zu streiten. Ihr war klar, dass diese Situation kein weiteres Drama brauchte.

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