Neues Buch - AAVAA Verlag

Ich stand vor dem verschlossenen Gartentor und drückte ... so als wäre der Raum unbewohnt. Ein nack- ter Boden und ein nackter Raum, nur ein Bild hing an ...
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Christian Wiesinger

Krieg Life Zwei Erzählungen

LESEPROBE

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© 2016 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2016 Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag Coverbild: Christian Wiesinger Printed in Germany Taschenbuch: Großdruck: eBook epub: eBook PDF: Sonderdruck

ISBN 978-3-8459-1299-8 ISBN 978-3-8459-1300-1 ISBN 978-3-8459-1301-8 ISBN 978-3-8459-1302-5 Mini-Buch ohne ISBN

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KRIEG

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Singende Amseln Als ich die Allee zu dem Haus Nr. 65 entlang ging, weckte mich auf einmal eine singende Amsel aus meinen Gedanken, denn, obwohl ich erst bei der Nr. 5 angelangt war, waren meine Gedanken bereits bei Nr. 65 und ich überlegte, ob ich nicht doch noch umkehren sollte. Ich schaute hinauf in das Geäst und fand es ruhig, die Amsel hatte ihr Getriller eingestellt. Es war zeitiger Frühling, ein frischer Morgen, die Wolljacke wärmte noch gerade richtig. Die Bäume trieben zaghaft aus und die Schlüsselblumen waren pünktliche Boten des aufkommenden Frühjahres. Gerhards Vater hatte mich angerufen. Er wollte mit mir sprechen. Gerhard war mein Sitznachbar gewesen. Er war es gewesen, nicht weil er die Schule verlassen hatte, sondern weil er durch tragische Umstände ums Leben gekommen war. Er war in einem Land 5

ums Leben gekommen, das ich nur vom Hörensagen kannte. In Syrien musste er sein noch junges Leben lassen. Syrien kannte ich aus den Medien, tagtäglich wurde über den grausamen Krieg berichtet, doch dass er so nahe, an mich, an meine Klassenkameraden herandringen würde, damit konnten wir nicht rechnen, das war nicht in unserem Kalkül. Ich stand vor dem verschlossenen Gartentor und drückte den Klingelknopf bei Nr. 65. Kurz darauf erschien Gerhards Vater in einem Morgenmantel. Es irritierte mich, hatte er auf mich vergessen? „Wie unhöflich von mir, ich habe vergessen aufzusperren.“ Er gab mir die Hand und bat mich hinein. Ich stand im Garten und mein Blick fiel auf die österreichische Fahne, die an einer Stange hochgezogen war. Das war sehr eigenartig, denn es gab keinen offiziellen Anlass, um die Flagge zu hissen. In Amerika war es üblich, die Amerikaner waren stolz auf ihre Nation, 6

doch wir zeigten unseren Stolz nicht auf diese Art und Weise. Das Aussehen des Gartens irritierte mich einigermaßen. Manche Stellen waren fast übergepflegt, andere waren verwildert. Kreuz und quer über den Garten hinweg. Es erschien mir wie eine übersichtliche Unordnung, die genauso gewollt war. Plötzlich zeigte sich die Sonne über dem First des Hauses und eine Katze schmiegte sich an meine Füße. „Die ist mir noch geblieben“, sagte Gerhards Vater und deutete auf die graue Katze, „nun kommen sie doch herein, sie werden sich sonst noch verkühlen.“ Er verschwand in der Küche und goss einen Filterkaffee auf. „Filterkaffee muss man durchgehend durchlaufen lassen, sonst schmeckt er bitter.“ Das Haus wirkte leer. Am Garderobenständer hing nur ein Mantel und ein grüner Schal baumelte an einem Haken. Im Flur war es kahl und kalt, nur im Wohnzimmer noch dämmrig warm. Ich wollte meine Schuhe ab7

streifen, doch er bat mich, sie anzulassen. Der Aschenbecher war voll mit Kippen und ein Zigarettenstummel glomm vor sich hin. Die graue Katze, die sich soeben noch an meine Füße geschmiegt hatte, lag nun neben dem noch warmen Ofen, der am Abend mit Holz beschickt wurde, daneben eine Schütte mit Buchenholzscheitern. Auch hier war es kahl, so als wäre der Raum unbewohnt. Ein nackter Boden und ein nackter Raum, nur ein Bild hing an der Wand. Ein Bild, das Gerhard zeigte, so wie ich ihn gekannt hatte. Ein junger Mensch mit einem freundlichen Gesicht, mit trübem Blick und einem glatt gezogenen Scheitel, so war unser Gerhard, stets auf sein Äußeres bedacht. Der Standfernseher war auf Stand-by-Betrieb gestellt und der Receiver blinkte, ich nahm auf dem Kanapee Platz und versank darinnen, da es bereits ziemlich durchgesessen war. Da reckte sich die Katze, streckte sich und fiel sogleich wieder in ihren Schlaf. Gerhards Vater stellte die zwei Tassen 8

Kaffee auf einen Schemel, den er aus der Küche mitgebracht hatte. „Ich danke Ihnen, dass sie gekommen sind, sie werden sich sicher gewundert haben, wieso ich sie angerufen habe?“ Das letzte Mal habe ich Gerhards Eltern und die spärlich anwesenden Trauergäste beim Begräbnis von Gerhard gesehen. Vor ungefähr zehn Monaten. Es war eine schlichte Beisetzung, so möchte ich sagen. Schlicht und reduziert auf Weniges. Ich hatte, obwohl mir nicht so nach Beerdigungen ist, bereits einem Begräbnis beigewohnt, bei dem der halbe Ort dem Toten die letzte Ehre erwiesen hatte. Doch hier, auf Gerhards letztem Weg, war es fast unheimlich still. Die Musik kam nicht von einer Kapelle, sondern von einem Tonband. Gerhard wurde in einem Urnengrab bestattet, seine Überreste, seine Asche. Das Krematorium hatte seinen Leichnam auf seine Wenigkeit reduziert. Ich konnte mich mit dieser Art der Feuerbestattung noch nicht so anfreun9

den, doch nun saßen wir in dem anspruchslosen Aussegnungsraum, wir acht Schüler, der Direktor und die Trauergäste. Zuvor hatten wir den Eltern noch unser Mitgefühl ausgedrückt. Zwischen seinem Verschwinden und der Nachricht, dass Gerhard ums Leben gekommen war, waren keine zwei Monate vergangen. Sein Vater hatte Gerhard in Syrien gefunden und war mit ihm in einem Sarg nach Hause zurückgekehrt. Offiziell war von einem Unfall die Rede. Mehr war nicht zu erfahren. Wir acht - Franz, Edgar, Horst, Raffaela, Michaela, Birgit, Eva und ich hatten uns abgesprochen, Gerhard auf seinem letzten Weg zu begleiten, andere Schüler wollten nicht mitkommen. Der Direktor drängte auch niemanden, er sagte, die Entscheidung jedes Einzelnen sei zu respektieren. Ich wollte von Gerhard Abschied nehmen, wieso es unsere Schulkameraden nicht taten, konnte ich nur vermuten. Einige, wie der Robert, sagten es auch gerade heraus: Zum Begräbnis eines Dschihadistenschweins bringen mich keine 20 10

Pferde, andere waren ähnlicher Ansicht, sagten es aber dann doch nicht so direkt. Wir, die wir hingingen, konnten die Realität zwar auch nicht ausblenden, wollten aber anstandshalber von unserem Freund und Mitschüler Abschied nehmen. Es ging nicht ums Verstehen, es war sowieso nicht zu verstehen. Gerhard wurde auf einem soeben neu errichteten Urnenfriedhof beigesetzt. Der Urnenfriedhof lag oberhalb des Gräberfriedhofes. Kleine Birkenbäumchen säumten das Oval ein, an der die Urnengrabstätten errichtet wurden. Zwanzig Säulen umfassten die Rundung und in jeder Säule war eine Aussparung für drei Urnen angebracht. Erst drei Grabstätten waren belegt. Dieser sanfte Junimorgen war todtraurig. Gerhards Mutter hatte sich verhüllt, um die Situation so halbwegs überstehen zu können. Sie hatte sich einen schwarzen Schleier über das Gesicht gezogen. Mir wurde mit einem Mal klar, dass ich über Gerhard wenig wusste, nur so viel, dass er ein Einzelkind gewesen war und dass eine Tante 11

in Brisbane lebt. Zuerst, bei seinem Verschwinden, hatte man auch vermutet, er wäre zu ihr gefahren. Hin und wieder hatte er erwähnt, dass er sie einmal besuchen wollte und beiläufig hatte er auch gesagt, dass es um ihre Gesundheit nicht zum Besten bestellt wäre. Ich sah beim Begräbnis eine hustende Frau und tippte auf die Tante, ich konnte mich aber auch irren, doch allzu viele Menschen waren nicht zugegen. Ich fühlte eine Traurigkeit in mir hochsteigen, da nicht mehr Menschen Anteil an seinem Tod nahmen. Wir taten ihm unrecht, wir wussten doch nicht, was ihn bewogen hatte, sich den Islamisten anzuschließen. Wir sind doch alle anfällig in gewisser Weise. Gerhards Vater bewahrte Haltung. Wie er mir später erklärte, war es für ihn die einzige Möglichkeit, um nicht vollends den Boden unter den Füßen zu verlieren. Als der offizielle Teil beendet war, fühlte ich mich verpflichtet, noch mit Gerhards Eltern Kontakt aufzunehmen, doch seine Mutter war bereits entglitten mit abwesendem Blick ins Leere, Gerhards 12

Vater drückte ich mein Mitleid aus, das ich aufrichtig empfand. Gleich darauf trennten sich unsere Wege und soweit ich mich entsann, gingen auch Gerhards Eltern getrennte Pfade. Wir acht Schüler und Schülerinnen saßen mit unserem Professor noch im Café und sprachen über das Unfassbare. Wir gaben dem Unaussprechlichen Raum und stellten Thesen auf, die wir wieder verwarfen. Es musste sein, um unseretwillen, um nicht im Kopf wirr zu werden. So wie der Schulalltag fortschritt mit seinem eigenen Tempo, so gaben wir uns keiner Illusion hin, die Realität hatte uns beinhart getroffen und uns vor Augen geführt, wie wenig wir doch vom anderen Menschen wissen. Im Überschwang des Momentes wurden abenteuerliche Ideen entworfen, dem nachzugehen, welcher Organisation sich Gerhard angeschlossen hatte. Doch es war nur ein Flunkern, ein Zurechtbiegen der Tatsachen. Der Professor wies darauf hin, dass es doch die Aufgabe der Beamten wäre, Nachforschungen anzustellen. Es war uns 13

auch nicht ernst damit, was hätte es denn schon gebracht? Wenn, dann war es für das Seelenheil von Gerhards Eltern wichtig, Gewissheit zu bekommen, die Fakten offengelegt zu kriegen. Für uns war es nur eine Momentaufnahme, eine Auseinandersetzung mit uns selbst, die wir hier, in diesem Café führten, es war uns klar, dass wir, sobald wir diesen Ort verließen, unsere eigenen Wege gehen würden. Eigentlich hatte ich mich schon gewundert, wieso sich Gerhards Wege so verirrt hatten, anders konnte man es nicht nennen. Und auch über mich hatte ich mich gewundert, dass ich meiner Unruhe nicht nachgegangen war, meiner Unruhe, die mich doch ständig angetrieben hatte, auch des Nachts in meinen Träumen, nachzuforschen, wieso mein Banknachbar diesen unerklärlichen Weg eingeschlagen hatte, was ihn dazu angetrieben hatte. So war ich gewissermaßen froh, dass ich meine Unruhe endlich besänftigen konnte. Ich war froh, 14

als mich Gerhards Vater anrief, und zögerte keinen Moment, zuzusagen, dass ich vorbeikommen würde. So saßen wir dann da und eigentlich war es nun an mir, fortzufahren, meine Gedanken beiseitezuschieben, eine Antwort zu geben. So fuhr ich fort. „Ich muss gestehen, ich war gar nicht so überrascht, …“ Und da stockten meine Worte, wie sollte ich es erklären, es war doch an Gerhards Vater, die Erklärung zu geben und seine Sicht darzulegen oder was auch immer, oder wollte er sich einfach aussprechen? Ich war ziemlich überfordert und plötzlich, - ich wäre am liebsten aufgesprungen und weggelaufen! Doch Gerhards Vater sagte in dem Moment, als ich gerade aufstehen wollte: „Bleiben sie doch mir zuliebe.“ „Mir ist nichts mehr geblieben. Meine Frau hat mir die Schuld am Tod unseres Sohnes gegeben, sie hat mich verlassen.“ Und dann ist er sogleich zur Sache gekommen: 15

„Als wir damals das Video gesehen haben, da war uns klar, wir müssen Gerhard zurückholen, wir haben uns erst gar nicht mit den Beweggründen auseinandergesetzt, was ihn dazu gebracht hatte, in das Kriegsgebiet zu fahren, sich diesen fanatischen Kämpfern anzuschließen. Sie müssen sich das vorstellen: Gerhard war verschwunden, es gab keine Nachricht, keine Spur, wir schalteten die Polizei ein, es gab keine Hinweise, auch auf seinem Computer wurden wir nicht fündig, es gab keinen E-Mail Verkehr, schon gar nicht mit Islamisten oder ähnlichen Gruppierungen. Nichts. Er war wie vom Erdboden verschwunden.“ „Wir haben doch auch mit Ihnen gesprochen?“ „Ja, ja sicher, aber ich wusste auch nichts Genaueres, es war auch uns unerklärlich, wohin er so plötzlich verschwunden war.“ „Und plötzlich, keine 14 Tage später, dieses Video, wir sind dann aus allen Wolken gefallen. Mir war klar, dass sich unser Sohn nie 16

und nimmer etwas antun würde, wir spielten alle nur erdenklichen Möglichkeiten durch. Tante Elsa, die in Brisbane lebt, kontaktierten wir sogleich. Was weiß man schon, was in einem Menschen vor sich geht, auch wenn es der eigene Sohn ist.“ Ich wollte nun sagen, dass man sich doch nicht einmal selbst so richtig kennt, ließ es aber bleiben, da ich es unpassend fand. Er seufzte, zündete sich eine Zigarette an und sog daran, auch mir bot er eine Marlboro an, seine bevorzugte Marke. Ich lehnte ab. Gerhards Vater erhob sich aus seinem Sessel, um die Fensterflügel zu öffnen, dann drehte er sich zu mir um. „Vielleicht wäre es besser, sie würden doch gehen!“ Er sagte das so nebenher, so als wäre es ihm nicht so wichtig. „Sie sind doch noch sehr jung, wieso soll ich ihr Leben so belasten, es war unverantwortlich von mir.“ 17

Wenn ich so zurückblicke, dann war es dieser Moment, meine Reaktion, an der sich unsere Wege trennen oder gemeinsam weitergehen sollten. Er öffnete mir die Türe, die ich nur mehr zu schließen brauchte, auf Nimmerwiedersehen. Aber es ließ mir keine Ruhe, wieso er mich kontaktiert hatte, wieso gerade mich, und bevor ich mich entscheiden wollte, ob ich ging oder blieb, musste er mir eine Antwort geben. „Wieso haben sie mich angerufen?“ Ich fragte ihn geradewegs heraus. „Sie waren der Einzige, der Anteil an unserem Leid genommen hat. Können Sie sich noch erinnern, sie sind noch auf dem Friedhof zu uns gekommen und haben mit uns gesprochen, wie leid es ihnen täte um Gerhard, sie hätten ihn so gern gemocht und würden ihre Hilfe anbieten, wenn wir Sie darum bäten? Wir waren doch wie Aussätzige, wir spürten das, und sie haben uns die Hand gereicht, das war wohltuend, so will ich es sagen und sehr couragiert von Ihnen.“ 18

Wir siezten uns, ich fand es passend, die Distanz tat im Moment gut. Doch plötzlich erfasste mich eine Unruhe und ich bat gehen zu dürfen, ich würde mich wieder melden. Falls es ihm recht wäre, würde ich ihn anrufen. …

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