politische ökologie
Naturschutz und Demokratie
September 2014_32. Jahrgang_ISSN 0933-5722_B 8400 F
Höhen und Tiefen einer schwierigen Beziehung
Herausgegeben von oekom e.V. – Verein für ökologische Kommunikation Dieses Buch wurde klimaneutral hergestellt. CO2-Emissionen vermeiden, reduzieren, kompensieren – nach diesem Grundsatz handelt der oekom verlag. Unvermeidbare Emissionen kompensiert der Verlag durch Investitionen in ein Gold-Standard-Projekt. Mehr Informationen finden Sie unter: www.oekom.de
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2014 oekom, München oekom verlag, Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbH Waltherstraße 29, 80337 München Umschlaggestaltung, Layout und Satz: Lone Nielsen Lektorat: Helena Obermayr, Anke Oxenfarth Druck: Kessler Druck + Medien, Bobingen Gedruckt auf Circle matt White 100% Recycling von Arjo Wiggins/Igepagroup Alle Rechte vorbehalten. Printed in Germany ISBN: 978-3-86581-487-6 eISBN: 978-3-86581-609-2
oekom e.V. – Verein für ökologische Kommunikation (Hrsg.)
Naturschutz und Demokratie Höhen und Tiefen einer schwierigen Beziehung
Mitherausgegeben vom Bundesamt für Naturschutz
politische ökologie
Die Reihe für Querdenker und Vordenkerinnen
Die Welt steht vor enormen ökologischen und sozialen Herausforderungen. Um sie zu bewältigen, braucht es den Mut, ausgetretene Denkpfade zu verlassen, unliebsame Wahrheiten auszusprechen und unorthodoxe Lösungen zu skizzieren. Genau das tut die politische ökologie mit einer Mischung aus Leidenschaft, Sachverstand und Hartnäckigkeit. Die politische ökologie schwimmt gegen den geistigen Strom und spürt Themen auf, die oft erst morgen die gesellschaftliche Debatte beherrschen. Die vielfältigen Zugänge eröffnen immer wieder neue Räume für das Nachdenken über eine Gesellschaft, die Zukunft hat. Herausgegeben wird die politische ökologie vom oekom e.V. – Verein für ökologische Kommunikation.
Editorial
D
er einflussreiche Pulitzer-Preisträger Thomas L. Friedman wünschte sich vor ein paar Jahren, Amerika möge für einen einzigen Tag China sein, um nötige Umweltpolitiken und Innovationen leichter durchsetzen zu können: „Denn wenn diese Gesetze und Bestimmungen erst verabschiedet wären, hätten wir die schlechteste Seite unserer Demokratie überwunden (die Unfähigkeit, in Friedenszeiten große Entscheidungen zu treffen) und könnten uns am folgenden Tag der besten Seite unserer Demokratie erfreuen (der Fähigkeit unserer Zivilgesellschaft, die Einhaltung der Gesetze zu erzwingen, und der Fähigkeit unserer Märkte, daraus Nutzen zu ziehen).“ Mit diesem Wunsch dürfte er auch hierzulande einigen Menschen aus der Seele gesprochen haben, die sich für den Schutz der Natur engagieren. Beklagen sie doch, dass allein die Durchsetzung des Ordnungsrechts ein nervenaufreibendes Dauerproblem ist. Kommt es zu größeren Eingriffen, Investitionen oder Schutzgebietsausweisungen, zieht der Umwelt- und Naturschutz oft den Kürzeren. Unübersehbar klafft eine Lücke zwischen unserem heutigen Politik- und Wirtschaftsmodell und einer zukunftsfähigen Nachhaltigkeits- und Naturschutzpolitik. Mittel- und langfristige Ziele werden daher eher verfehlt als erreicht. Kein Wunder, dass die Frage im Raum steht, ob wir uns die langsam mahlenden Mühlen einer Demokratie angesichts des durch Klimawandel und Verlust der Artenvielfalt ausgelösten Handlungsdrucks überhaupt noch länger leisten können. Die Debatte um die Neubestimmung des Verhältnisses von Demokratie und Naturschutz ist vielstimmig. Sie reicht von Positionen, die demokratische Mitbestimmungsrechte eindämmen wollen, um Wirtschaftsprojekte schneller verwirklichen zu können, bis zu denjenigen, die nach antidemokratischen Rezepten wie einer dauerhaften „Ökodiktatur” rufen, in der sich die Natur angeblich effektiver schützen lässt. Die Autorinnen und Autoren der politischen ökologie zeichnen die Diskussionslinien nach und beziehen Stellung gegen die gern bemühte Alternativlosigkeit des Status quo. Dabei entsteht das Bild einer modernen, auf Weiterentwicklung ausgerichteten Naturschutzpolitik, die sich aktiv in den gesellschaftlichen Diskurs einbringt, um für mehr Demokratie und zugleich für mehr Nachhaltigkeit zu streiten. Anke Oxenfarth
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Inhalt
Inhaltsverzeichnis Eigenarten Einstiege
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Anhörung Kein einfaches Verhältnis Naturschutz und Demokratie Von Beate Jessel
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Der fatale Hang zu „starken Männern“ Die Geschichte des Naturschutzes in Deutschland Von Hans-Werner Frohn
24
Auf schmalem Grat Zwischen Wertschätzung und Inwertsetzung der Natur Von Barbara Unmüßig
30
Distanzierung und Annäherung Vilmer Thesen zum Naturschutz in der demokratischen Gesellschaft Von Thomas Potthast und Norbert Wiersbinski
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Ortsbegehung Ein wichtiges Stimmungsbarometer Naturbewusstsein in Deutschland Von Andreas Wilhelm Mues und Christiane Schell
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Inhalt
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Außen grün, innen braun Demokratiefeindlicher Naturschutz Von Gudrun Heinrich
60
Die Nationalparkdebatte im Schwarzwald Staatsverständnis im Naturschutz Von Thomas Potthast
65
Damit David größer wird Transnationale Zusammenarbeit in Südosteuropa Von Christel Schroeder
71
Bohrwerkzeug für dicke Bretter Die Arbeit der Naturschutzverbände Von Hubert Weiger
Zukunftswerkstatt 78
Das systemische Defizit Politische Klugheit im Naturschutz Von Elmar Altvater
85
Nur politisch erreichbar Verpflichtende Zukunftsfähigkeit Von Manfred Linz
92
Die Freiheit der anderen Ausweg Ökokratie Von Bernhard Pötter
100 „Natürlich ist die Demokratie das geeignete
Sozial- und Politikformat“ Umweltschutz als gesellschaftlicher Aushandlungsprozess Ein Interview mit Harald Welzer 105 Neue umweltpolitische Erfolgsgeschichten
Das Konzept der „Environmental Deliberative Democracy“ Von Konrad Ott und Erik Sachtleber
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Inhalt
Impulse Projekte und Konzepte
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Medien
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Spektrum Nachhaltigkeit Teil 3
zum hen Transatlantisc Freihandelsabkommen (TTIP)
Eine Faust auf dem Verhandlungstisch Die europäische Bürgerinitiative „Stop TTIP und CETA“ Von Michael Efler
124
Acht auf einen Streich 128 Zulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen in der EU Von Christoph Then Opium fürs Volk 132 Die Energiewende aus Sicht einer zukunftsfähigen Raumnutzung Von Uwe Scheibler Zartes Pflänzchen, schon jetzt bedroht 136 Grüner Journalismus Von Torsten Schäfer Wider die Natur führt zur Selbstvernichtung 140 Zum 50. Todesjahr der Ökologin Rachel Carson Von Dieter Steiner
Rubriken Für sein inhaltliches und finanzielles Engagement sowie die gute Zusammenarbeit danken wir dem:
Editorial
7
Impressum 144 Vorschau 145
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Eigenarten
Der Begriff Demokratie leitet sich vom griechischen „demos“ (Volk) und „kratein“ (Herrschaft) ab. Die Staatsgewalt wird in der Demokratie direkt oder indirekt vom Volk ausgeübt und ist diesem gegenüber rechenschaftspflichtig. Eine moderne Demokratie zeichnet sich aus durch freie Wahlen, das Mehrheitsprinzip, die Respektierung oppositioneller Meinungen, Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit, gesicherte Menschen- und Freiheitsrechte sowie die Herstellung möglichst gleicher Partizipationsmöglichkeiten und Entscheidungsfreiheiten für alle Bürger(innen). Die seit den 1970er-Jahren gebräuchliche Bezeichnung Umweltschutz umfasst die Gesamtheit aller Maßnahmen zum Schutz der Umwelt mit dem Ziel, die natürlichen Lebensgrundlagen aller Lebewesen durch einen funktionierenden Naturhaushalt zu erhalten. Umweltschutz bemüht sich, Beeinträchtigungen oder Schäden in einzelnen Teilbereichen der Umwelt (wie Boden, Wasser, Luft, Klima) zu beheben, und achtet auf die Wechselwirkungen zwischen ihnen. Der Naturschutz ist ein Teilbereich des Umweltschutzes. Der Begriff umfasst alle Maßnahmen zum Schutz, zur Pflege und und zur Erhaltung von Natur, um die Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur, Landschaft und Wildnis zu bewahren (ästhetisch-kulturelle Gründe), die Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes zu erhalten (ökonomische Gründe) und insbesondere die Biodiversität aufgrund ihres eigenen Wertes zu schützen (ethische Gründe). Naturschutz ist eine öffentliche Aufgabe, er dient dem im Grundgesetz verankerten Staatsziel des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen und der Tiere für die künftigen Generationen. Anders als der Umweltschutz widmet er sich der aber nicht in erster Linie der für den Menschen relevanten Umwelt, sondern der gesamten Natur, auch unabhängig von menschlichen Bedürfnissen. _ Quellen: Schaller, Christian: Demokratie ist nicht Demokratie. In: Dachs, Herbert/Fassmann, Heinz (Hrsg.): Politische Bildung. Grundlagen – Zugänge – Materialien. Wien 2002, S. 14-21; Wikipedia
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Eigenarten
Haben Bäume Rechte? „Es ist weder unausweichlich noch ist es ein Ausdruck von Weisheit, dass Naturobjekte nicht das Recht haben, im eigenen Namen Regress einzufordern. Die Aussage, Bäche und Wälder könnten keine Klagebefugnis innehaben, weil sie nicht sprechen können, kann als Antwort nicht befriedigen. Die sogenannten juristischen Personen (corporations) können ebenfalls nicht sprechen, noch können es Staaten, Vermögensgesamtheiten, Kleinkinder, Nichtgeschäftsfähige, Gemeindeverwaltungen oder Universitäten. Für sie sprechen Rechtsvertreter, wie sie dies auch üblicherweise für den Normalbürger, der juristische Probleme hat, tun. Ich denke, man sollte die Rechtsprobleme von Naturobjekten so handhaben, wie man es mit den Problemen Nichtsgeschäftsfähiger, etwa menschlicher Wesen, die nur noch dahinvegetieren, tut.“ Aus: Stone, Christopher D. (2013): Haben Bäume Rechte? Klein Jasedow, S. 25 (Erstveröffentlichung 1972)
„Der plutokratisch akzentuierte, anthropozentrische Ansatz durchzieht die meisten Rechtsordnungen des euroamerikanischen Kulturkreises. Für das Umweltrecht einschließlich des Naturschutzrechts gilt insoweit nichts anderes. Die Natur wird nirgendwo in einem Maße geschützt, das der weiteren sozioökologischen Dekadenz Einhalt gebieten könnte – nicht um des (in nahezu jeder Hinsicht auf sie angewiesenen) Menschen willen und erst recht nicht um ihrer selbst willen.“ Aus: Mayer-Tasch, Peter Cornelius (2003): Vom Grundrecht des Menschen zum Grundrecht der Natur. In: Natur und Kultur 2/2003, S. 105-114
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Eigenarten
„Man muss das als gegeben hinnehmen: Demokratie ist nie bequem.“ Theodor Heuss, erster Präsident der Bundesrepublik Deutschland (1884-1963)
Vorgehen und Verfahren der Bürgerbeteiligung Erkunden von Interessen und Meinungen
•Interview •Umfrage •Forum
Meinungsbildung, Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung
•Wurfsendung •Aushang •Presse •Lokalfunk •Bürgerversammlung •Ausstellung •Vortrag und Diskussion •Exkursion •Ortsbegehung
Beteiligung
Formal definierte Beteiligungsinstrumente
Informale, kooperative Beteiligungsformen
•öffentliche Auslegung •Petition •Bürgerantrag •Bürgerbeauftragte •Verbandsbeteiligung •Anhörung und Erörterung •Beirat •Ausschuss •Volksbegehren •Volksentscheid
•Zukunftswerkstatt •Forum •Planungszelle •Bürgergutachten •Runder Tisch •Anwaltsplanung •Lokale-Agenda-Prozesse •Umweltmediation •Strategische Umweltprüfung •Naturhaushaltsplan •Konsensus-Konferenz •Open-Space-Technologie •Internet-Bürgerforum •Community Organizing •Szenario-Workshop •Planning for Real •World Café
Finanzielle Beteiligung •Bürgergenossenschaft •Contracting •Spende
_ Quelle: Angepasste Grafik auf Basis von Walk, Heike: Herausforderungen für eine integrative Perspektive in der sozialwissenschaftlichen Klimafolgenforschung. In: Knierim, Andrea/Baasch, Stefanie/Gottschnick, Manuel (Hrsg.) (2013): Partizipation und Klimawandel. Ansprüche, Konzepte und Umsetzung. München.
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