Modernes Corporate Design

der Name trotz permanenter Um stel- lung niemals unlesbar wird. Ein fei ner ... Auf der Residency-Website ( http:// residencycontent.com ) ändert das Lo-.
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Modernes Corporate Design Die wachsenden Herausforderungen für Designer bei der Gestaltung und Entfaltung von Identitäten

Flexibel, modular & generativ

Das PAGE eDossier 66.2016 enthält einen Beitrag aus PAGE 04.2016 (EVT 02.03.2016) im Originallayout. Im Text enthaltene Links wurden beim Erscheinen des eDossiers nicht mehr geprüft. IMPRESSUM Redaktion PAGE, Borselstraße 28, 22765 Hamburg; [email protected]; Telefon: 040 85183-400, Fax: -449; www.page-online.de; Chefredakteurin/Publisher: Gabriele Günder, V.i.S.d.P. Autor: Jutta Nachtwey. Anzeigenleiter: Alexander Herz; [email protected]; Telefon: +49 85183-480, Fax: -489 (verantwortlich für die Anzeigen und Promotion); PAGE erscheint in der Ebner Verlag GmbH & Co. KG, Karlstraße 3, 89073 Ulm; Geschäftsführer: Gerrit Klein, Martin Metzger (Stellvertreter), Florian Ebner. Alle Beiträge sind ur­he­berrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch Übersetzun­gen und Zweitverwertungen, vorbehalten. Reproduk­tionen, gleich welcher Art, ob ­Fotokopie, Mikrofilm oder Er­fas­sung in Datenverarbeitungsanlagen, nur mit schrift­­li­cher Genehmigung des Verlages. Eine Vermietung, Verleihung sowie Verkauf oder eine ­sonstige Form der Zugänglichmachung an Dritte ist Ihnen nicht gestattet. Aus der Veröffentlichung kann nicht geschlossen werden, dass die beschriebe­nen Lösungen frei von gewerblichen Schutzrechten sind. Für den Fall, dass hier unzutreffende Informationen enthalten sein sollten, kommt eine Haftung nur bei grober Fahrlässigkeit des Verlages oder seiner Mitarbeiter in Betracht. Weitere eDossiers, Einzelhefte und Aboangebote gibt’s unter shop.page-online.de

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Mut zum Wandel ● Neben der Markenstrategie ent-­ wi­ckelte Schmelter Brand Design aus Mün­chen für ProFound Consulting ein veränderliches Logo, das wie gefaltet wirkt. Die Londoner Coachingfirma un­ terstützt ihre Klienten in deren persön­ li­cher Entwicklung, indem sie strukturierte Coachingmethoden und kreati­ve

Impulse verbindet – der Mut zum Wan­ del ist dabei der treibende Gedanke. Das Logo sollte den Spagat zwischen fundiertem Know-how und freiem Den­ ken visualisieren. Eine besonders nette Geste: Jeder Klient erhält am Coching­ ende ein individuel­les Logo – Sinnbild sei­nes persönlichen Change-Prozesses.

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ein Witz: Zum Pitch um das Rebranding von Channel 4 brachten die beiden Kreati­ ven Grant Gilbert und Steven Qua das le­ gendäre Logo des britischen Senders – aus neun Bal­ ken bestehend – als 3D-Print mit, schmissen die losen Teile auf den Tisch, deuteten auf das Durcheinander und sagten zum Kunden: »Das ist Ihr neues Logo.« Tatsächlich überzeugten sie mit diesem lässigen Wurf Channel 4 letztes Jahr von der Idee, im On-Air-Design auf ein statisches Logo komplett zu verzichten und stattdessen die neun Balken in immer neuer Kon­ stellation herumfliegen zu lassen. Auch Pentagram entwickelte für den AIA The He­ri­ tage Ball 2015 – eine Gala der New Yorker Architektur­ szene – ein Konzept, das ohne ein Logo auskommt. Die visuelle Identität entsteht vielmehr über das typo­ grafische Verhalten der Buchstaben: In den Online­ medien, wo der eigens entwickelte Fonts Herita-Geo in animierter Form zum Einsatz kommt, strecken und verkürzen sich die Lettern in horizontaler Richtung, ob beim Eventnamen oder bei anderen Texten. In den Printmedien werden die jeweiligen Formate durch die Dehnung einzelner Buchstaben flächende­ckend gefüllt, sodass ein dichtes typografisches Strick­werk mit einzelnen luftigen Maschen entsteht (zu sehen auf  w ww.pentagram.com/#/projects/125202  ).

Die Wahrnehmungsgewohnheiten haben sich geändert Zwar schaffen bisher nicht viele ihr Signet so konse­ quent ab wie diese beiden, aber dennoch: Das Logo, einst der unantastbare Nukleus eines Erscheinungs­ bilds, ist heute manchmal nur noch ein Werkzeug un­ ter anderen im komplexen Baukasten der visuellen Identität. Viele Unternehmen benötigen zwar nach wie vor ein leicht wiedererkennbares, präg­nan­tes Zei­ chen. Wiedererkennbarkeit und Prägnanz sind heute allerdings nicht mehr mit Unveränderlichkeit gleich­ zusetzen. Die Wahrnehmungsgewohnheiten haben sich gewandelt: Der Betrachter ist längst imstande, den gemeinsamen Nenner variierender Formen zu erkennen, die Abwandlun­gen von Zeichen als Ein­ heit aufzufassen und die jeweilige Identität im eige­ nen Kopf aktiv zu formen, was den Eindruck der Mar­ ke im besten Fall intensiviert. So hat denn auch die Zahl modularer CorporateDesign-Konzepte, die für eine gigantische Anzahl von Logovarianten sorgen, in den letzten Jahren ra­ pi­de zugenommen. Auch generative Strategien kom­ men immer häufiger zum Einsatz, da sie ewige Ver­ än­derlichkeit verheißen. Manche suchen dabei die Kop­pelung an die Realität, um dem Logo Leben ein­ zu­hau­chen – wie es etwa das norwegische De­signstu­ dio Neue grandios vormachte, als es das Signet der Region Nordkyn durch die Verknüpfung mit Wet­ter­ da­ten je nach Temperatur und Wind changieren ließ (sie­he PAGE 08.13, Seite 22 ff. oder unser eDossier »Cor­porate Design im Wandel«). Inzwischen lassen Designer Daten unterschiedlichster Art ins gene­ra­ti­ve Logodesign einfließen, etwa Google-In­fos

Schnittmengen ● Second Home ( h  ttp://secondhome.

Pentagram-Partnerin Marina Willer gestaltete für den Workspace-Anbieter Second Home ein Erscheinungsbild, das mittels zwölf Logos das Thema Fusion visualisiert

io )  bietet Arbeitsräume für Technologie-Start-ups, wobei es der Firma zugleich darum geht, neue Ideen und Part­ner­schaften zu fördern. Im Lon­do­ ner Stadt­teil Shoreditch eröffnete sie Ende 2014 ihrer ersten Workspace – wei­tere sollen weltweit folgen. Pentagram London hat für Second Home eine Identität entwickelt, die den Marken­ kern »Fusion« in den Mittelpunkt stellt. Marina Willer gestaltete ein Set von zwölf Logos, die auf der Über­schnei­ dung zweier verschiedenfarbiger Krei­se beruhen. Durch deren Transparenz er­ geben sich dort jeweils neue Farbtöne. Diese Überlappung repräsentiert den Raum, in dem neue Ideen entstehen. Die Kreise wachsen sowohl in den Onlinemedien als auch im Printbereich über das Format hinaus. Diese ex­treme Vergrößerung von Logofragmen­ten ist generell derzeit immer öfter zu be­ob­ achten. Zum einen erhöht es die vi­suelle Variabilität, zum anderen sugge­riert es ein Auf-den-Betrachter-Zugehen, ein Entgegenkommen der Marke.

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Wechselrahmen ● Mal Quadrat, mal Rechteck, mal Trep­pe – insgesamt zehn verschiedene Anordnungen des Firmennamens schuf Jules Tardy für Residency, eine neue Pro­duktionsfirma für Wer­bespots, Mu­ sikvideos, Kurz- und Dokumentarfilme in New York. Die Aufgabe bestand darin, den in­ter­disziplinären Charakter von Residency zu visualisieren, da sie je nach Auftrag unterschiedlichste Talen­ te zusam­men­bringt. Tardy mischte die Buchstaben nicht durcheinander, sondern folgte stattdessen der gewöhnlichen Leserrichtung von links nach rechts und oben nach unten, sodass der Name trotz permanenter Um­stel­ lung niemals unlesbar wird. Ein fei­ner Rahmen legt sich dabei stets um den Buchstabenblock herum. »Die Wort­ marke fluktuiert je nach Anwendung in den Online- und Printmedien, was die Identität zum Leben erweckt«, erklärt Jules Tardy die Idee, der als selbstständiger De­signer in Brooklyn und als Se-

nior De­signer bei der Markenberatung Collins arbeitet. Auf der Residency-Website ( h   ttp:// residencycontent.com )  ändert das Logo Form und Farbe, wenn der User sich horizontal durch die Arbeitsbeispiele klickt. Im Printbereich kommen unterschiedliche Varianten zum Einsatz. Die Farben der Visitenkarten finden sich außerdem im Webdesign wieder: Beim Mouse­over legen sie sich wie ein Farbfilter als transparente Fläche über das jeweilige Bild. Dank dieser medienspezifischen Variabilität erhalten die Auftritte in Print und Online ihre eigenen ästhetischen Qualitäten – und dennoch entsteht dabei eine ebenso subtile wie starke übergreifende Kohärenz.

Kein Kreuzworträtsel: Jules Tardy entwarf für die New Yorker Produk­tionsfirma Residency ein variables Corporate Design mit zehn Logos

„Die Herausforderung besteht darin, IdentityKonzepte zu öffnen und sie einzigartig zu gestalten, sodass die Unternehmen sie sich wirklich zu eigen machen können“ Marina Willer, Partnerin bei Pentagram in London

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zu Verkehrsstaus (siehe Seite 20) oder Aus­wer­tun­ gen des eigenen Terminkalenders (siehe Seite 21). Der Wunsch nach Veränderlichkeit treibt jedoch auch bizarre Blüten. Pharmakonzern Merck wagte sich an ein Konzept, bei dem die Logobuchstaben diverse Farben und Motive auf- und annehmen kön­ nen – laut Pressemitteilung »inspiriert von der bun­ ten und formenreichen Welt unter ei­nem Mikro­ skop«. Diese Bildwelten wirken jedoch so austausch­ bar wie aus einer beliebigen Bilddatenbank. Und schlimmer noch: Die Buchstabenfor­men wecken die Assoziation, man hätte Bakterien per Genmani­ pulation darauf trimmen wollen, sich in der Petri­ schale zum Logo zurechtzuwachsen – was dann auf­ grund des Eigensinns der Bakterien allerdings ziem­ lich schieflief . . .

Ein neuer visueller Einheitsbrei? Je mehr variable Konzepte auftauchen, desto weni­ ger herausragend oder einprägsam ist das Prinzip Veränderlichkeit an sich. Marina Willer, Partnerin von Pentagram in London, meint etwa: »Wir haben vor 18 Jahren eine variable Identität für die Tate ge­ macht. Jetzt gibt es viele Marken, die versuchen, sich ständig zu verändern. Das ist heute ein gängiges An­ liegen der Auftraggeber. Die Herausforderung be­ steht darin, Identity-Konzepte zu öffnen und sie ein­ zigartig zu gestalten, sodass die Unternehmen sie sich wirklich zu eigen machen können.« Die Flexibilität im Erscheinungsbild ist inzwi­ schen nicht nur Spiegel unternehmerischer Haltung. Ange­sichts der sich rasant wandelnden Medien und Kom­munikationskanäle muss eine Identität, um im modernen Sinn prägnant und souverän zu wirken, für unterschiedlichste Anwendungen und künftige For­mate problemlos anpassbar sein. Das stellt den Gestalter vor die Aufgabe, eine Art flüssigen Aggre­ gatzustand des Corporate Designs zu erzeugen, zu erhalten und handhabbar zu machen. Auf den nächs­ ten Seiten beleuchten wir, wie Designer mit den wach­senden Herausforderungen umgehen, und zei­ gen Logos und Erscheinungsbilder, die im Span­ nungsfeld von Wiedererkennbarkeit und Flexibilität auf zeitgemäße Weise unternehmerische Identität lebendig kommunizieren.  Jutta Nachtwey PAGE Seminar »Leitmedium Design«. Lernen Sie vom Corporate-Experten Jochen Rädeker: ↗  www.page-online.de/seminar_design

PAGE eDossier »Corporate Design in Zeiten schnellen Wandels« mit vielen Tipps & Beispielen:↗  www.page-online.de/PDPD0012 Jutta Nachtwey, freiberufliche Journalistin, möchte noch mal kurz klarstellen: Was für Channel 4 ein genialer Wurf war, könnte andere Kunden ziemlich brüskieren. Also Hände weg vom 3D-Drucker ;-)!

Ken-Tsai Lee gestaltete für die Taiwan Designers’ Week 2015 ein flexibles Corporate Design, das mit Zwei- und Dreidimensionalität spielt

Tunnelblick ●»Exploration – journey of ____« lautete das Motto der Taiwan Designers’ Week 2015, deren visuellen Auftritt Ken-Tsai Lee entwickelte. Die Lücke im Motto sollte den Betrachter ermuntern, diese selbst zu füllen – so wie ein Designer erst dann zu einem Ergebnis findet, wenn er zuvor per Trial-and-Error neue Wege erkundet hat. »Ich wollte vermitteln, dass der Designprozess eigentlich wichtiger als das Endergebnis ist«, erklärt Ken-Tsai Lee, der ein Designstudio in Taipei betreibt und als Assistant Professor an der National Taiwan University of Science and Technology arbeitet. Der Designer gestaltete ein Set von Schwarzweißelementen, die er in immer neuen Konstellationen anordnete und teils zu tunnelartigen Formationen gruppierte. »Wenn ich mich an meine Kindheit und die ganzen Outdoor-Abenteuer erinnere, denke ich vor al­ lem an einen Blick in eine tiefe, bodenlose Höhle, bei der sich Erwar­ tung und Angst vor dem Ungewissen mischten«, so Ken-Tsai Lee. Dies erschien ihm als die perfekte visuelle Metapher für die Neugier des Designers für das Unbekannte. In der räumlichen Anwendung entfaltet das Spiel mit dem Tunnelblick erstaunliche Wirkung. Beim chinesischen Designcontest GDC erhielt Ken-Tsai Lee dafür Gold.

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Denkwerk entwarf für die Mobili­ tätsplattform Move Forward (www.moveforward.com) ein Zeichen, das aus drei Datenquellen berechnet wird: globalen Autostaulängen, CO₂Emissionswerten und Energieein­sparungen

Daten in 3D ● Zukunftsgewandtheit ist ein Anspruch, den viele Unternehmen an ein neues Logo stellen. Einen Schritt weiter musste also die Agentur denkwerk in Köln gehen, als sie ein Konzept für Move Forward ( w   ww.move-forward. com )  entwickelte, eine Plattform zur Zukunft der Mobilität, die die zu Daimler gehörende moovel Group betreibt. Die Initiatoren wollen hier Strategien für die mobile globale Gesellschaft von morgen präsentieren und gemeinsam mit ihrer Community innovative Lösun­ gen entwickeln. Wie kann ein Zeichen diesen visionären Charakter auf den Punkt bringen? Denkwerk entschied sich, es nicht zu gestalten, sondern mit­ tels Processing zu programmieren. Die flexible Form des Logos, dessen Strukturen sich in drei Dimensionen er­strecken, sollten drei Datenquellen be­einflussen: Google-Maps-Informa­ tio­nen zu den Staulängen des Autover­ kehrs, CO₂-Emissionswerte sowie Zah­ len zu Energieeinsparungen dank rege­ nerativer Energien. »Diese Daten, die jeweils ab Jahresanfang weltweit er-

Ausgehend von dem genera­tiven Konzept entwickelte denkwerk am Ende ein Set von zwölf Signets

Zudem kehrten die im Logo verankerten Diagonalen im gesamten Layout der Website wieder

fasst werden, sind online als Live-Applikationen verfügbar«, erklärt Alina Schlaier, Kreativdirektorin bei denkwerk. Bei der Umsetzung traten dann jedoch Komplikationen auf: Da für das programmierte Logo ständig aktuelle Daten von unterschiedlichen Servern ausgelesen werden mussten, verzöger­ te sich der Seitenaufbau der Plattform. Dies variierte zudem in den jeweiligen Ländern, in denen die Testnutzer die Seite aufriefen. »Und um diese Apps im Backend einzubinden, muss man außerdem pro Abruf der Daten einen bestimmten Betrag bezahlen. Je nach­ dem, wie viele Nutzer gleichzeitig auf die Seite zugreifen, kann das unter Umständen kostspielig werden«, erläutert Schlaier. Der Kunde wollte die leicht verzögerten Ladezeiten verständlicherweise nicht in Kauf nehmen. »Da die Web-

site auf allen Endgeräten und unter den härtesten Bedingungen funktionieren muss, hat er sich für eine absolut siche­ re Variante entschieden«, erzählt sie. Hierfür fütterte denkwerk den selbst entwickelten Logogenerator mit verschiedenen Daten-Updates und baute dann mehrere Screenshots sauber nach, von denen der Kunde schließlich zwölf Varianten auswählte. Eine von ihnen ist als Hauptvariante im Einsatz, etwa im Header und im Footer, die anderen tauchen abwechselnd in Teasern oder anderen Modulen auf. Fazit: Nach ein paar zügigen Schrit­ ten nach vorn war es erforderlich, einen Schritt zurückzugehen – ein Kompromiss zugunsten der Funktionalität. Für die Jury des Red Dot Award: Communication Design 2015 zählte offenbar aber die Vorwärtsbewegung: Sie verlieh dem Beitrag einen Grand Prix.

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Einsicht statt Ansicht ● Das Logo von Lab Binær, Labor für Me­dienkunst in Augsburg, sieht niemals gleich aus. Die halbstündlichen Up-­ da­tes auf der Website www.labbinaer. de sind allerdings keine rein formalen Variationen, sondern ganz unmittelbar mit der tatsächlichen Aktivität des Labs verbunden. Sie werden von einer Software generiert, die alle Aufgaben aus dem Terminkalender der Mitarbeiter analysiert und ihre Zugehörigkeit zum experimentellen oder angewand­ ten Bereich bestimmt. Hierfür werden die Daten vom iCal-Analyzer untersucht, den Lab Binær in Objective-C implementierte. Die Ergebnisse werden dann von einer Logo-Control-Soft­ ware, die das Team per WordPressPlug-in realisierte, für die FrontendVisualisierung weiterverarbeitet. Die visuelle Zuordnung zu den beiden Aufgabenfeldern geschieht mittels dreieckiger Elemente, die sich auf der

Wortmarke »Lab Binær« ansammeln. Dabei werden experimentelle Projekte im Bereich »Lab« visualisiert, angewandte im Bereich »Binaer«. Ein blau­es Element repräsentiert dabei jeweils ein Projekt. Je nachdem, wie viele Mitarbei­ ter involviert sind, verstärkt sich der Im­ pact der blauen Elemente hinsichtlich der Anzahl, Anordnung und Frag­men­ tie­rung der schwarzen Elemente rings­ um. Die dunkel- und hellgrauen Ele­men­ te visualisieren die Impacts der bei­den vorigen Updates, sodass auch innerhalb der einzelnen Lo­gova­ri­anten eine zeitliche Entwicklung sichtbar wird. Zudem unterstützt eine Über­sicht über die aktuelle Anzahl der Projekte aus bei­ den Berei­chen den Infor­ma­tions­cha­ rak­ter des Erscheinungs­bilds. Die generative Wort-Bild-Marke wird zu einer Art Fenster: Der User erhält in Echtzeit Einsicht in das Verhält­ nis der beiden Arbeitsschwerpunk­te

und damit auf einer abstrakten Ebene in den Schaffensprozess des Büros, den er dadurch indirekt mitverfolgen kann. Die visuelle Identität ist insofern nicht bloß eine Behauptung, ein Symbol, son­ dern der unmittelbare visuelle Niederschlag der Dynamik im Büro. Sie ist über die Datenauswertung des Termin­ka­ len­ders gekoppelt an den tatsächli­chen Arbeitsalltag, also an die reale Welt. Dies haucht dem Logo eine erstaunli­ che Lebendigkeit und Authentizität ein.

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18:00 Uhr Für den Eigenbedarf entwickelte das Medienkunst­labor Lab Binær eine generative Wort-Bild-Marke. Sie aktu­alisiert sich halbstündlich und gibt in Echtzeit Auskunft über die aktuellen Arbeitsschwerpunkte. Im Printbereich kommen variierende Logos zum Einsatz

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Gemeinsames Dach ● Die Baubranche glänzt bisher nicht gerade durch aufregende Corporate De­signs. Umso erstaunlicher wirkt daher der Vorstoß der Genfer Fédération des Métiers du Bâtiment (FMB). Der Verband für Bauberufe wollte diese be­sonders jun­gen Menschen schmack­ haft machen und beauftragte deshalb die Agen­tur Enigma in Genf mit der Ent­wicklung der Marke Avenir Bâtiment. Das Ziel war es, die Bauberufe auf­zuwerten und sie als dynamische und innovative Tätigkeiten zu posi­ tionieren, die zum wirtschaftlichen Wachs­tum des Kantons Genf beitragen. Das Konzept sollte sich sowohl für die Kommunikation gegenüber Schülern aus der Region als auch für den Auftritt auf der Berufsmesse Cité des Métiers 2015 eignen. Eine äußerst komplexe Aufgabe, denn der FMB umfasst wiederum über 100 Verbände, die 23 Einzelberufe vertreten. Enigma entwickelte ein Set von 23 Zeichen, das auf einem gemeinsa­ men Raster und gemeinsamen Grundelementen basiert. Es spielt mit Zweiund Dreidimensionalität und visualisiert Begriffe aus der Baubranche wie »Dyna­mik«, »Entwicklung« und »Struk­ tur«. So entsteht eine verbindende Iden­tität, die Individualität und Vielfalt bestens in Einklang bringt. Für den Messeauftritt entstand ein Konzept, das die Logos als raumgrei-

Im Auftrag des Genfer Verbands für Bau­berufe entwickelte Enigma das Branding für Avenir Bâtiment. Das Konzept umfasst 23 einzelne Logos, die sich auch zusammensetzen lassen

fende Grafiken plakativ in Szene setzt, sodass die Präsentationen der einzelnen Berufe eine visuelle Klam­mer er­ hiel­ten. Durch das gemein­same Raster lassen sich die Einzellogos auch zu Kon­ glo­meraten zusam­men­set­zen, was zu

stets neuen Mus­tern führt, die Enigma auch in den Printme­dien für einen ab­ wechslungsrei­chen Auf­tritt nutzt. Ein knalliges Gegenpro­gramm zur nüchter­ nen Baubranche, das die Neugier junger Menschen geweckt haben dürfte.

Auf der Cité des Métiers 2015 waren die Präsen­ tationen der 23 Berufe plakativ gekennzeichnet

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Formel für Flüssigkeit ● Die Firma Boldly Go Industries ging aus Mainzer Btexx Gruppe hervor, ei­ nem IT-Spezialisten für SAP-Lösun­gen. Der Consultingbereich des Unternehmens hat sich strategisch neu aufgestellt und zu einer neuen Marke gewandelt. Mit der Entwicklung des Corporate Designs betraute man die Agentur wirDesign in Berlin, die zuvor schon das Er­scheinungsbild der Btexx Gruppe über­arbeitet hatte. Unter dem Dach von Boldly Go Industries sind viele Kompetenzen vereint: Strategie- und Technologiebera-

ter, Data Scientists und Experience De­signer entwickeln gemeinsam mit ih­ ren Kunden Geschäftsmodelle für das digitale Business. Da der Markenname zu lang war, um ihn als Element der Wiedererkennung einzusetzen, erzeug­ te wirDesign mittels Processing ein flui­ des Keyvisual, das den Übergang zweier miteinander verbundener Radien visualisiert. Für die Printmedien kommen generierte Varianten zum Einsatz, fürs Web wurde der Code in HTML5 konvertiert, sodass das Keyvisual dort in animierter Form auftauchen wird.

Worauf basiert das visuelle Konzept? Sebastian Kirmse: Es ging darum, die drei

Für die Consultingfirma Boldly Go Industries generierte wirDesign ein fluides Keyvisual, das sich für alle Medien und Anwendungen flexibel skalieren lässt

PAGE eDossier »Generative Gestaltung mit Processing«. Workshops, Tutorials und Cases unter ↗  www.page-online.de/PDDP1062

Schlagworte »Innovate«, »Design«, »Trans­ form« zu visualisieren. Zum Kerngeschäft von Boldly Go Industries gehört nicht nur das Konzipieren und Moderieren, sondern auch das Coden. Deshalb war uns schnell klar: Wir brauchen ein programmiertes Key­visual. Wir haben die Arbeitsumgebung der Programmierer – hellen Code auf dunk­ lem Screen – aufgegriffen, ästhetisiert und in eine fluide Form gebracht. Das ermög­ licht zugleich eine nahtlos Skalierung von klein bis formatfüllend in unterschied­ lichs­ten Medien und Anwendungen. Wir zeigen damit auch die Schönheit der Ma­ thematik. Wie präsentiert man dem Kunden ein solches Konzept?

Da hilft nur losprogrammieren und -visua­ lisieren. Wir haben Designer, die Program­ miererfahrung mitbringen. Auf diese Weise konnten wir inhouse in wenigen Tagen ers­ te Skizzen entwickeln, um sie dann mit dem Kunden zu diskutieren. Der Prozess

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»Skalierbarkeit spielt heute eine zentrale Rolle – aber in dieser Skalierbarkeit darf sich die Wiedererkennbarkeit nicht verlieren« Warum das Prinzip Fluidität für Erscheinungsbilder an Bedeutung gewinnt, erklärt Sebastian Kirmse, Kreativdirektor bei wirDesign in Berlin

war insgesamt sehr agil. Wir hatten ledig­ lich sechs Wochen Zeit für Entwicklung und Umsetzung des Corporate Designs – alle drei Tage gab es Abstimmungsrunden mit dem Kunden über den aktuellen Stand. Das Keyvisual schwebt zwischen Zwei- und Dreidimensionalität – war dies auch ein Diskussionspunkt?

Ja, wir hätten auch eine klare, gerenderte Optik herstellen können. Allerdings wirken 3D-Logos gedruckt schnell am Medium vorbeigestaltet. Wir brauchten einen visu­ ellen Zwischenschritt für eine nahtlos me­ dienübergreifende Gestaltung. Deshalb ha­ ben wir einen 2D/3D-Hybrid geschaffen. Tauchten bei der Umsetzung Schwierigkeiten auf?

Die größte Herausforderung war es, mit der RGB-Farbigkeit des Keyvisuals umzu­ gehen. Sie funktioniert hervorragend in digitalen Medien, aber natürlich muss das Logo auch im Printbereich nutzbar sein. Der Plan war, statische Zustände heraus­ zurechnen und EPS-Formate für den Druck zu schreiben. Da wir aber nicht in RGB dru­ cken können, mussten wir die Farben in CMYK-Werte umsetzen. Also haben wir etwas herumexperimentiert, bis wir den Gelb­kanal durch die Pantone-Farbe 7479 ersetzt hatten. Nun ist das Printresultat so

nah wie möglich an der Wirkung in den digitalen Medien (siehe PAGE-Cover). Wie legt man sinnvolle Richtlinien für ein solches flüssiges Konzept fest?

Das Regelwerk ist eigentlich simpel. Taucht das Keyvisual zusammen mit Personen auf, stehen diese im Fokus und das Visual legt sich um sie herum. Taucht es zusam­ men mit Typo auf, gilt entweder »Typo first« oder beide Elemente sind miteinander ver­ woben. Zunächst gibt es ausschließlich Templates. Weitere Regeln entwickeln wir gerade noch. Grundsätzlich denke ich, man sollte den Mitarbeitern, die auf Kundenseite mit so einem anspruchsvollen Konzept umgehen sollen, wirklich so wenig Vorschriften wie möglich machen. Die besten Resultate ent­ stehen, wenn die Leute Lust haben, selbst damit zu spielen. Die Typografie sorgt für Stringenz, das Logo für Dynamik. Beides verstärkt und reguliert sich gegenseitig wie von selbst. Deshalb können wir das Konzept ohne Bedenken relativ regelarm übergeben. Mal abgesehen von diesem Auftrag, wie entwickelt sich das Corporate Design derzeit aus Ihrer Sicht?

Skalierbarkeit spielt eine zentrale Rolle. Man kann die Kanäle nicht mehr starr fest­

legen. Aktuell wissen wir, was wir abde­ cken müssen, aber das kann sich in naher Zukunft schon wieder ändern. Das bedeu­ tet für CD-Systeme, dass sie sich so ein­ fach wie möglich auf kommende Formate anpassen lassen und auf allen Ebenen nahtlos funktionieren, dabei aber stark und prägnant bleiben müssen. Wiedererkenn­ barkeit darf sich in dieser Skalierbarkeit nicht verlieren. Statt ewig am Logo rumzuföhnen entscheiden sich Unternehmen heute, gepaart mit strategischen Schritten, oftmals für einen radikalen Relaunch. Woraus resultiert diese Haltung?

Es wirkt oft nicht authentisch, wenn aus gewachsenen Marken Start-ups gebrandet werden. Wenn man nach England hin­ü­ ber­schielt, kann man beobachten, dass zu­ nehmend kleine, unabhängige Brands ent­ stehen, die keine große Halbwertszeit ha­ ben. Es ist schon in ihrer DNA verankert, dass sie nur für ein paar Jahre gut im Markt funktionieren. Danach verschwinden sie schnell wieder. In Deutschland wurde über eine lange Zeit gerne für die Ewigkeit gestaltet. Aber da hat uns die Zeit mittler­ weile einfach überholt. Jetzt sind wir De­ signer gefordert, neue Gestaltungsmaß­ stäbe zu entwickeln.

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