Meine Freundin - die Schalom

gegen den Tod.« Mit diesem Satz unseres. Pfarrers beschrifte ich die erste Seite meines ledergebundenen Notizbuchs. Im Anblick der frisch gestärkten ...
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Ted Bauknecht

Meine Freundin, die Schalom Roman - Antikriegsdrama

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© 2014 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2014 Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag Coverbild: Markert & Bauknecht Printed in Germany

AAVAA print+design Taschenbuch: Großdruck: eBook epub: eBook PDF: Sonderdruck:

ISBN 978-3-8459-1231-8 ISBN 978-3-8459-1232-5 ISBN 978-3-8459-1233-2 ISBN 978-3-8459-1234-9 Mini-Buch ohne ISBN

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Ein Dank

Jedes Buch, das das Licht der Welt erblickt, erfordert ein erhebliches Maß an Anstrengungen und einen großen Koordinierungsaufwand. An dieser Arbeit sind allzumal mehrere Menschen beteiligt, ansonsten ließe sich das meiste gar nicht bewerkstelligen. Ich möchte deshalb meinen unermüdlichen Unterstützern danken, die dafür sorgten, dass dieses Buch überhaupt realisiert werden konnte. Stellvertretend danke ich meinem alten Freund und Zeichner Sven ,Svenni‘ Markert, der sich sofort für dieses Projekt begeistern ließ. Das Ergebnis dieser Begeisterung können Sie hier anhand einiger Zeichnungen bestaunen. Die in diesem Buch abgedruckten Zeichnungen stammen allesamt aus seiner Feder. Svenni ist dieser talentierte Comiczeichner, der einer 4

Geschichte mit seinen Illustrationen die besondere Würze verleihen kann. Ganz in der Tradition frankobelgischer Comics der 1960erJahre gelingt es ihm auf seine unnachahmliche Weise immer wieder, die Handlung phänomenal zu kitzeln. Begeben Sie sich auf die Suche nach seiner Person und seinen Veröffentlichungen und lesen Sie mehr von ihm.

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Vorwort

Schalom ist eine Parabel auf die Verblendung und die nach neuem Leben dürstende Generation Krieg. Die falsche Ideologie, die falsche Illusion, das falsche System: Die Achtzehnjährige Marie wähnt sich auf der richtigen Seite. Die bornierte Nazigesellschaft umarmt sogenannte arische Mädchen wie Marie. Sie tut so manches, von dem sie keine Ahnung hat. Von aalglatten Menschen beeinflusst, ist sie selbst in ständiger Gefahr. Schlagartig verändert ein einschneidendes Erlebnis ihr Leben. Das Mädchen muss sich plötzlich entscheiden. Nichts scheint mehr so zu sein, wie es vorher war. Die Geschichte wirft ein Blitzlicht auf die Schreckensherrschaft während des NaziRegimes. Der Roman ist nicht die Erforschung der Nazijahre. Das können Historiker viel besser. Die Erzählung ist fiktiv, manchmal er6

scheint sie auch wahr oder eben ganz andersherum. Es ist die Geschichte von Jugend, von Hoffnungen und Träumen. Dass die Handlung gerade in dieser Periode des vergangenen Jahrhunderts spielt, mag ein rein zufälliges Gedankenspiel des Autors sein. Marie ist ein Mensch, der aus einer anderen Zeit kommt – ein Mädchen ihrer Generation. Vielleicht ist sie nicht typisch für ihren Jahrgang 1923. Gerade deshalb kommt sie uns besonders nah. Sie nimmt uns ein Stück weit mit auf der Reise ihres Lebens. Auf einen Weg, der uns zunächst fremd erscheinen mag. Gleichzeitig macht sie uns deutlich, wie weh es tut, verfolgt zu sein. Aufgerieben zwischen den Fronten. Eingeklemmt zwischen krankhaft ideologisierten Gestalten und der eigenen Sehnsucht nach dem Wahrhaftigen. Ihr Problem ist die Zeit, in die sie hineingestellt worden ist. Eine Zeit, die ungünstiger nicht sein könnte. Lametta ist woanders. Eine junge Frau, deren Leben sich schicksalhaft mit den Ausgestoßenen verbindet. Unbeeindruckt 7

vom vorherrschenden Eisklima um sie herum, zeigt sie uns eindrucksvoll, was Freundschaft für das Leben bedeutet. Allen Fragenden, warum ich hier sozusagen vom Ende her beginne und nicht vom Anfang, denen begegne ich mit dem für mich einzig schlüssigen Statement: Das ist der Anfang!

Blau: Ausdehnung Deutsches Reich und seine Bündnispartner (Achsenmächte). Die neutrale Schweiz als kleiner weißer Fleck in der Mitte Europas. 8

Prolog

»Wir sind Schwestern und Brüder im Protest gegen den Tod.« Mit diesem Satz unseres Pfarrers beschrifte ich die erste Seite meines ledergebundenen Notizbuchs. Im Anblick der frisch gestärkten Tischdecke aus Damast fühlten sich seine Worte wahrhaftig und stark an. Am Ostersonntag des Jahres 1941 saßen wir zusammen in der guten Stube von Tante Emmi, aßen den selbstgebackenen Gugelhupf und tranken ihren duftenden Bohnenkaffee. Onkel Heinz schenkte dem Pfarrer Kaffee nach. Keiner von uns, die wir an jenem Frühlingstag zusammensaßen und den Worten des Geistlichen lauschten, hatte eine Vorstellung von all jenem Grauen, was sich für uns schon bald ereignen sollte. Nichts von dem, was wir hatten, nichts von dem, was wir als lieb und teuer erachteten, sollte bleiben. Wohl dem, der sein nacktes Leben hinüberrettete. Sein 9

durchgerütteltes, zerschnittenes, zermartertes, zerfetztes, erfrorenes und halb verhungertes Leben, gerettet in eine Zeit, von der man nicht wusste, was man von ihr zur erwarten hatte. Wenigstens überlebt. Obwohl man sich nicht sicher sein konnte, ob wir durch unser Überleben dem Tod nicht jeden Tag erneut begegneten. Vermutlich würde es so sein. Wir nahmen es in Kauf. Welche Alternative hatten wir schon. Wir, die wir überlebt hatten und doch jeden Tag aufs Neue sterben würden. An jenem 13. April hatten wir nur eine vage Ahnung, was auf uns zukommen werde. Draußen zeigte das Thermometer zwölf Grad über null. Fast ein wenig zu kühl für ein Ostern im April. Aber wir waren in der Wohnung, in der gemütlichen Stube bei Gugelhupf und duftendem Kaffee. Hier war es wohlig warm. Im Bewusstsein, Schwestern und Brüder im Protest gegen den Tod zu sein, hielten wir uns bei den Händen. Ich heiße Marie. Meine Mutter starb kurz nach meiner Geburt. Also lebte ich die ersten 10

drei Jahre meines Lebens bei meinem Vater. Bis auch er bei einem Arbeitsunfall in der Fabrik ums Leben kam. Die Fürsorge sprach mich Onkel Heinz und Tante Emmi zu, dem älteren Bruder meines Vaters und dessen Frau. Selbst waren die beiden kinderlos geblieben. Vielleicht war das mein erstes Glück. So wurde meinen Verwandten, durch den raschen Tod meiner Eltern, ein kleines Mädchen zuteil. Nach den turbulenten ersten Jahren bei meinem leiblichen Vater, kehrte nun Ruhe in mein Leben ein. Tante Emmi überschüttete mich mit ihrer Liebe und Onkel Heinz war mein Retter und Held. Das Schicksal hatte uns zusammengefügt, und wir nahmen uns gegenseitig an. Hier, in der behüteten Umgebung dieses Ehepaares, erlebte ich meine Kindheit. Es sollte für uns alle die unbeschwerteste Zeit werden. Das Glück oder zumindest das, was wir dafür hielten, war ein fester Bestandteil unserer Familie geworden, ohne dass wir viel dazu beitrugen. Ich dachte nicht mehr an den Verlust der Eltern, denn ich 11

hatte ja nun Tante Emmi und Onkel Heinz. Sie waren in allen Belangen ein vollwertiger Ersatz. Wenn Onkel Heinz von seinem Dienst bei der Post nach Hause kam und die Tür aufschloss, rannte ich ihm mit voller Wucht entgegen und sprang ihm freudig in die offenen Arme. Aus der Küche hörte ich Tante Emmi sagen: »Langsam junge Dame. Nicht so stürmisch. Du schlägst deinen armen Onkel noch um.« Worauf mein Onkel fast immer erwiderte: »Lass sie nur, Emmi. Schau mal, meine Kleine, was ich dir mitgebracht habe.« Fast immer brachte mir Onkel Heinz eine Süßigkeit oder eine andere kleine Überraschung mit. Wir litten keine Not und Sorgen hielten sich bei uns nicht lange an der Oberfläche. Es war eine in jeder Hinsicht glückliche Zeit für unsere Familie. Die politischen Verhältnisse nahmen wir wahr. Obwohl es um uns herum immer unruhiger wurde, waren wir ja nicht betroffen. Vielleicht fiel es uns deshalb leicht, wenn wir am Abend die Daunendecke ein 12

Stück höher zogen und uns alle einen Kuss zur guten Nacht gaben. Am Tisch wurde nicht über Politik gesprochen. Es bestand kein Zweifel daran, dass man national war. Wir waren eben deutsche Patrioten. Was sollte daran schlimm sein? Keinesfalls aber nationalistisch oder gar nationalsozialistisch. Dem Führer trauten wir schon irgendwie. Er meinte es schließlich nur gut mit uns. Natürlich gab es Missstände im Reich. Aber wie sollte er alleine alles so schnell richten. Spätestens seit wir die SA auch durch unsere Straßen marschieren sahen, war uns klar, dass jede Kritik am Führer unserer Familienidylle ein jähes Ende bereite. Vielleicht wussten wir es nicht, aber wir fühlten es. Wir wollten auch an diesem Abend die Daunendecke wieder ein Stück höher ziehen und uns allen einen Kuss zur Guten Nacht geben können. Darauf legten wir Wert. Wer wollte uns diesen Wunsch verübeln. Wir Rückerts haben Rückgrat. Schon seit Generationen. Dafür stehen wir mit unserem 13

Namen. Doch der Mensch besteht aus Widersprüchen. Wie die meisten Mädchen meines Jahrgangs schwärmte ich während der gesamten achten Klasse für den gutaussehenden Martin. Eigentlich ein aalglatter, zudem ziemlich einfältiger Schnösel. Leider ist mir diese bahnbrechende Erkenntnis viel zu spät gekommen: nämlich erst, nachdem ich schon etwas sehr Dummes getan hatte. Ich war einfach zu geblendet von seiner optischen Erscheinung. Er war eben der Prototyp eines sogenannten arischen Jungen. So wie wir ihn uns alle vorstellten in unserer Phantasie. Und wie es ja von allen Plakaten, aus allen Zeitungen und Filmen schrie! Irgendwann fiel sein Augenmerk auf mich, und ich erhielt eine Einladung zum Kartoffelgrillen am See. Es war einer dieser unsäglichen Abende am See. Noch ganz stolz in meiner neuen BDMUniform, saß ich neben meinem Schwarm und 14

fühlte mich ganz groß. Plötzlich sprangen die anderen auf, als sie unseren jüdischen Klassenkameraden Konrad von Weitem erblickten. Martin und seine Clique machten sich immer einen Spaß daraus, andere bis aufs Blut zu quälen. Jedenfalls die Schwächeren. Schon zwangen sie Konny dazu, sich bis auf die Unterhose zu entkleiden. Ich sagte leise, viel zu leise: »Hört doch damit auf, Jungs.« Aber natürlich hörten sie nicht auf. Sie zeichneten ihm mit etwas Asche aus dem erloschenen Lagerfeuer einen Judenstern auf seinen nackten Bauch. Er wehrte sich nicht. Was blieb ihm angesichts der Übermacht auch schon anderes übrig, als alles über sich ergehen zu lassen? »Wenn du mit mir zusammenkommen willst, dann malst du ihm auch einen Stern auf die Brust«, waren Martins entscheidende Worte. Ehe ich mich versah, drückte er mir das schmierige Stück Kohle in die Hand, während die anderen gafften und auffordernd klatsch15