Margarethe Bittorf Abenteuer der Vergangenheit oder ... AWS

angrenzenden Feld gepflückt hatte, auf den Tisch gestellt. Rachel war in ihrem neuen Zimmer und hatte aus Protest die ... sie sich z. B. ein rotes Jeanshemd von Levi's wünschte, dann waren das schon zu viele De- tails. Es passierte, dass sie zwar ein rotes Jeans- hemd bekam, aber von Levi's war es dann be- stimmt nicht.
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Margarethe Bittorf

Abenteuer der Vergangenheit oder

als Großmutter einzog Jugendroman freie edition © 2011 AAVAA Verlag UG (haftungsbeschränkt) Quickborner Str. 78 – 80, 13439 Berlin Alle Rechte vorbehalten www.aavaa-verlag.de

1. Auflage 2011 eBooks sind nicht übertragbar! Es verstößt gegen das Urheberrecht, dieses Werk weiterzuverkaufen oder zu verschenken! Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag Coverbild: Uwe Schaaf, www.augensound.de/profil/mops Printed in Germany ISBN 978-3-86254-473-4

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Dieser Roman wurde bewusst so belassen, wie ihn die Autorin geschaffen hat, und spiegelt deren originale Ausdruckskraft und Fantasie wider. Alle Personen und Namen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Für Frau Dr. R. Engfer und Frau A. Greß

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1. Rachel ist vierzehn Jahre alt und lebt mit ihren Eltern in einem schönen Haus in der Nähe von Frankfurt. Es sollte bald zu einer großen Veränderung im Leben aller kommen, denn es war geplant, dass Großmutter Julia bei ihnen einziehen würde. Julia lebte weit weg. In Schottland. Und als ihr zweiter Mann gestorben war und sie sich so alleine fühlte, obwohl sie viele Freunde hatte, wurde viele Wochen per Telefon besprochen, was das sinnvollste sein könnte, um dem Sohn mit seiner Familie näher sein zu können. Mit Hilfe von Freunden suchte Julia im Internet nach Seniorenwohnheimen und -gruppen und hatte auch ein paar interessante Häuser gefunden, aber als Richard, ihr Sohn, davon erfuhr, fing er an zu schimpfen. - Das kommt gar nicht infrage. Du ziehst bei uns ein.

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- Aber das geht doch nicht. Ich möchte euch nicht zur Last fallen. - Das würdest du nur, wenn du dich von morgens bis abends bedienen lassen würdest. So und so ähnlich brachte jeder seine Argumente hervor. Es wurde gestritten, es wurde gelacht und zum Schluss liefen bei allen die Tränen. Bei Julia aus Freude auf ihren Sohn und dessen Familie und weil sie ihr schönes Cottage am Meer verlassen würde. Bei Richard und seiner Frau Stefanie, weil Großmutter bald bei ihnen sein würde. Und bei Rachel, weil sie wegen Julia aus ihrem schönen großen Zimmer in das kleinere Gästezimmer umziehen musste. Es war einfach nur ungerecht. - Kann Großmutter nicht einfach bleiben, wo sie ist? Und wenn sie schon herziehen will, warum nicht in so ein Seniorenwohnheim? Es gibt doch eins hier in der Nähe. Dann könnte sie immer herkommen, wann sie möchte.

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Aber ihre Eltern schimpften nur, wie egoistisch Rachel doch sei, und dass Großmutter Julia noch viel zu jung und auch viel zu aktiv für solch eine Einrichtung sei. Rachel war es nicht gewöhnt, dass sie ihren Willen nicht bekam, aber diesmal stieß sie auf taube Ohren. Ja, ihren Willen bekam sie oft. Ihre Eltern arbeiteten sehr viel. Vater und Mutter waren Professoren an der Universität. Und weil beide nicht so viel Zeit hatten und oft auch keine Kraft mehr, gaben sie ziemlich oft nach. Das war eine einfache und bequeme Lösung. – Nur diesmal nicht. Um Rachel ein wenig zu beruhigen, versprachen sie ihr, dass das Gästezimmer nach ihren Wünschen neu tapeziert und eingerichtet werden würde. - Na ja, besser als nichts, dachte sie sich, aber ungerecht ist es doch. Während Rachel also mit ihrer besten Freundin Anja durch den Baumarkt stöberte und Tapeten und Farben aussuchte (und von allem auch Mus7

ter einsteckte, damit die Eltern auch das Richtige kauften) und im Internet in einem Möbelhaus Möbel auswählte, war zur gleichen Zeit, viele Hunderte von Kilometern entfernt, Großmutter Julia dabei, alles in Kisten und Kartons zu verpacken. Es fiel ihr sehr schwer, denn viele Dinge wurden auch aussortiert. Richard hatte zwar gesagt, dass der Dachboden sehr groß und ziemlich leer sei und das sie wirklich alles mitbringen könne, aber das wollte sie nicht. Justus, ihr verstorbener Mann, sollte in Schottland bleiben, d.h. viele Erinnerungen an ihn. Natürlich, Fotos nahm sie mit nach Deutschland, aber z. B. den einmeterfünfzig großen Leuchtturm, den er gebaut hatte und der im Garten stand, würde hier bleiben. Sie hatte sich überlegt, ob sie nicht einen Flohmarkt veranstalten sollte. Nichts hätte einen festen Preis, es würde einfach eine Spardose auf dem Tisch stehen und jeder könnte selbst entscheiden, ob und was ihm etwas wert wäre. Außerdem sollte es schwarzen Tee und frische und warme Scones geben.

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- Ja, das wäre eine gute Idee. Und mit dem Geld könnte sich Rachel vielleicht einen Wunsch erfüllen, dachte sie. - Jugendliche haben doch immer viele Wünsche. In der Regel jedoch nicht das Geld dazu. Klingt irgendwie alles nach „einschmeicheln“, aber der Zweck heiligt ja bekanntlich die Mittel. Julia zog also im späten Frühling bei ihrem Sohn ein. Stefanie, ihre Schwiegertochter, hatte Kuchen gebacken und einen Strauß Blumen, den sie im angrenzenden Feld gepflückt hatte, auf den Tisch gestellt. Rachel war in ihrem neuen Zimmer und hatte aus Protest die Musik laut aufgedreht. Es lief James Blunt und es konnte wirklich niemand mehr ertragen. Richard stürmte ins Zimmer und machte die Musik aus. Er warf seiner Tochter einen bösen Blick zu. Das hieß in etwas soviel wie: Großmutter kommt gleich mit dem Taxi vom Flughafen. Zieh dir was Ordentliches an und komm auf die Terrasse. 9

Rachel ließ zwar die Musik aus und zog sich auch um, aber sie suchte sich so ziemlich die älteste Jeans und das ausgewaschenste T-Shirt aus. Der Protest ging also weiter. Etwa dreißig Minuten später war Julia mit einem Koffer und einem kleinen Rucksack angekommen. Rachel musste mehrmals gerufen werden, dass sie zum Kaffeetrinken kommen solle. Julia spürte natürlich sofort, dass die Stimmung bei ihrer Enkelin wegen ihr so war. Aber sie ließ es sich nicht anmerken, obwohl es sie traurig machte. Sie beschimpfte sich dann als alte Närrin, die hier so einfach reinplatzte und alles auf den Kopf stellte. Und dann soll Rachel auch noch glücklich darüber sein. Nein, so einfach ging das natürlich nicht. Im Geheimen war es ihr auch vorher schon bewusst gewesen. Rachel wunderte sich, dass ihre Großmutter nur „normales“ Gepäck dabei hatte. Aber der Rucksack war schon nicht schlecht. So einen hätte sie gerne gehabt. Auch wenn ihre Eltern nicht gerade arm waren und sie viele Dinge bekam, von Marken hatten ihre Eltern keine Ahnung. Wenn 10

sie sich z. B. ein rotes Jeanshemd von Levi’s wünschte, dann waren das schon zu viele Details. Es passierte, dass sie zwar ein rotes Jeanshemd bekam, aber von Levi’s war es dann bestimmt nicht. - Ob Großmutter mir den Rucksack vielleicht mal ausleihen würde? Vielleicht war es doch nicht so schlecht, wenn sie hier wohnte... Aber wo ist eigentlich all ihr anderes Zeug? Ah, da reden die Eltern ja gerade darüber. - Der Container kommt in zirka vier Wochen in Hamburg an und dann wird alles verladen und wird hergebracht. - Ja, sie rufen vorher an und sagen uns den genauen Liefertermin, sagte gerade ihre Mutter. Wenn wir Glück haben, sind dann Semesterferien und wir können zu Hause sein. Wir sollten soviel wie möglich nach Schäden schauen. Hinterher wird es schwierig, zu reklamieren, meinte Richard.

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Als das Kaffeetrinken beendet war, führte Rachel ihre Großmutter in ihr neues Reich. Der Vater brachte den Koffer hoch. Julia gefiel, was sie sah. Auch für sie ist neu renoviert worden. Sie hätte sich auch kaum mit Postern von Tokio Hotel und anderen Gruppen und Sängern wohlgefühlt. Ihre Tapeten waren zartrosa geblümt und die Vorhänge und Bettwäsche waren genau darauf abgestimmt. Auch ein neues Bett und ein großer Kleiderschrank mit Spiegel passte genau, Sofa und Tisch ebenfalls. Es wurde nichts dem Zufall überlassen. Eine Ecke neben dem Bett war noch frei. Da sollte ihr Waschtisch hin. An diesem alten Stück hing sie, den wollte sie nicht hergeben. Er war aus Kirschholz mit goldenen Griffen an den Schubladen, einer schönen Marmorplatte und einem ovalen Spiegel. Er würde hundertprozentig hier hineinpassen. Richard hatte an alles gedacht. Jetzt bekam Julia das Zimmer von Rachel gezeigt. Es war ein ganzes Stück kleiner, aber nicht wirklich klein. Auch hier passte alles zusammen 12

und sie hatte sich alles alleine ausgesucht und zusammengestellt. Sie hatte einen guten Geschmack und ein gutes Gespür für Farben, Möbel, Accessoires. Blau-weiße Tapeten (Blockstreifen), vom Boden aus eine Holzvertäfelung bis etwa ein Meter fünfzig Höhe, weiße Möbel und blaue Vorhänge. Es sah aus wie gemalt. Richard flüsterte seiner Mutter zu, dass Rachel ihm sehr geholfen habe, das Zimmer für sie zu gestalten, aber psst. Da lächelte Julia und hatte eine kleine Träne im Auge. - Rachel freute sich vielleicht doch, dass sie da war. Während Julia ihren Koffer auspackte, kam Rachel und setzte sich auf das Bett, um zuzusehen. Wow, ihre Großmutter war ja gar nicht so übel. Was die für Klamotten hatte, die waren ja richtig modern. Vielleicht ist sie ja keine Großmutter, sondern eher eine Oma. Großmutter klingt rich13

tig alt. Großmütter ziehen keine ausgewaschenen Jeans und keine Schlabber-T-Shirts an, aber so was holte sie gerade aus dem Koffer, um es in den Schrank zu hängen. Ob „Oma“ das richtige Wort war? So langsam bekam Rachel das Gefühl, als sei vielleicht eine Freundin eingezogen, aber das wollte sie auf gar keinen Fall jemanden wissen lassen. Julia beobachtete ihre Enkelin aus den Augenwinkeln. Sie konnte in Rachels Gesicht sehen, was in ihr vor ging. Sie behielt es aber für sich. Rachel sollte die Zeit haben, von sich aus Vertrauen und Freundschaft aufzubauen. Trotzdem, so ganz konnte sie es nicht lassen und sagte leichthin: - Du Rachel, ich hab mir da den Rucksack gekauft. Ich hatte ihn eigentlich nur für den Flug gebraucht. Wenn du ihn dir mal ausleihen möchtest, nur zu. Kannst einfach ins Zimmer gehen, auch wenn ich nicht da bin, und ihn holen. Brauchst nicht groß zu fragen. Weiß ja, dass du drauf aufpasst. Julia hatte ins Schwarze getroffen! 14

2. Seit fünf Wochen ist nun Julia im Hause ihres Sohnes zu Hause. Die erste Zeit war es für alle ein komisches Gefühl, aber so langsam gewöhnten sie sich daran. Heute jedoch war noch einmal ein besonderer Tag. Heute sollte Julias Container beziehungsweise der Umzugswagen kommen. Die Sommerferien hatten noch nicht begonnen und Rachel war ein bisschen enttäuscht, dass sie zur Schule musste und nicht zusehen konnte, was so alles auf den Dachboden kam. Julia schüttelte innerlich den Kopf. Merkten ihr Sohn und ihre Schwiegertochter denn nicht, dass Rachel wie auf glühenden Kohlen saß, dass sie gerne hier bleiben möchte? Das war ihr in letzter Zeit öfter aufgefallen. Sie hatten anscheinend kein Gefühl für ihre Tochter. Oft hieß es: Es sind bald Ferien, da haben wir etwas mehr Zeit. Oder: Hier hast du etwas Geld, hol dir was Schönes. Noch hatte sich Julia nicht getraut, etwas dagegen zu sagen. Sie wollte sich

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