Lebensgeschichte

bernhard.sandner@t-online.de ... Eine erneute Sichtung von altem Fotomaterial aus dem Bestande meines Onkels war ebenfalls er- giebig und lieferte eine ...... Die Taubenwärter saßen darunter auf einer Bank und beobachteten anscheinend.
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Erwin Rosnitschek

Lebensgeschichte Die nachfolgenden Auszüge aus der gesamten Lebensgeschichte betreffen nur die Erlebnisse aus der Zeit des 1. Weltkrieges und sind für "Europeana 1914 - 1918" zur Verfügung gestellt Versuch einer Dokumentation

Aufbereitet, recherchiert, illustriert, ergänzt mit Reminiszenzen an die Frankenberger-Familie und herausgegeben von Bernhard Sandner

Text auf der Rückseite des Gemäldes: "Dieses Bild hat mein Jugendfreund Alfred Kraus gemalt. Es entstand ca. Ende November 1918, nachdem ich kurz vorher als Gefreiter der österreichischen Armee aus dem 1. Weltkrieg heimgekommen war. E.R."

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Dieses Buch ist den vier Frauen gewidmet, welche in meinem Leben wichtig waren oder sind: - meiner Mutter Maria (Maritsch) Sandner, welche ich bereits mit 10 Jahren verlor, - meiner Schwester Otti, welche sich nach dem Tod meiner Mutter um mich kümmerte, - meiner Cousine Berta Rosnitschek, die seit 1953 mein weiteres Aufwachsen begleitete, - meiner Frau Inge, welche mit Langmut die gelegentlich aufgekommene Ungeduld bei der Erstellung dieses Werkes hingenommen hat. Bernhard Sandner

Die Zusammenstellung dieses Kompendiums strapazierte weit mehr als 200 Stunden das Sitzfleisch des Herausgebers vor dem Computer. Die bei dieser Tätigkeit ebenfalls benötigten, eher konservativ geschätzten 8 - 10 Flaschen Sangiovese waren willkommener Tribut an den durch die Konzentration auf die Materie und den Kampf mit teilweise ungewohnten Tücken der diversen Computerprogramme erzeugten Stress. Es hat trotzdem viel Spaß gemacht. Die 1988 erschienene erste Auflage des Buches bestand aus sechs Exemplaren, damals noch mit handgeklebten Fotos. Die vorliegende zweite Ausgabe wird voraussichtlich - abhängig vom Interesse der Nachfahren - nur in einer Mini-Auflage von vielleicht 20 bis 25 Bänden erscheinen. Das Buch soll vor allem den Nachkommen der Rosnitschek- und Frankenberger-Familien als Erinnerung an die Vorfahren, sowie an Gegebenheiten und Erlebnisse aus schlimmer Zeit dienen. Trotz der kleinen Auflage gilt die übliche Einschränkung des deutschen Urheberrechtes: Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung durch den Herausgeber: Bernhard Sandner Jeschkenstr. 149 82538 Geretsried Tel. 08171-909236 [email protected]

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Inhaltsverzeichnis ________________________________________ Vorwort zur ersten Ausgabe

Seite

5

Vorwort zur zweiten Ausgabe

Seite

6

Kindheit, Schul- und Lehrzeit

Seite

7

Musterung und Einberufung 1916

Seite

14

Erster Frontwinter 1916/17 auf der Zugna Torta

Seite

19

Die Situation an der Front zwischen Etschtal und Vallarsa

Seite

26

Der zweite Frontwinter 1917/18

Seite

29

Die Junioffensive 1918 auf den Sieben Gemeinden

Seite

35

Das bittere Ende - November 1918

Seite

50

Wieder in Zivil - Es geht aufwärts

Seite

59

Erneute Schwierigkeiten

Seite

70

Franz (Frank) Kohner und die Juden in Tachau

Seite

76

Zum zweiten Male - Krieg

Seite

78

Der Bombenangriff auf Tachau

Seite

86

Verwundung und Kriegsende

Seite

90

Wir fangen wieder bei Null an

Seite

96

Aussiedlung und erste Lichtblicke

Seite 102

Gartenberg

Seite 109

Epilog

Seite 120

Familie Rosnitschek - Diverses

Seite 121

Familie Frankenberger - Diverses

Seite 123

Beilagen:

Stammbäume der Familien Rosnitschek und Frankenberger

Beilage im CD-Cover:

DVD - "Der brave Soldat Erwin Rosnitschek"

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Vorwort zur ersten Ausgabe Lebensgeschichte! Unter diesem schlichten Titel hat mein Onkel Erwin in den Jahren nach seiner Pensionierung in gestochener Sütterlinschrift sein Schicksal aufgeschrieben. Es war ein bewegtes Leben, wie es vielen Menschen seiner Generation beschert war. Die Schilderungen der schweren Kriegszeiten lassen erahnen, welche Auswirkungen die damit verbundenen traumatischen Erlebnisse auf das Leben eines Menschen haben können. Für jeden, der meinen Onkel kannte, wird die Lektüre genauso faszinierend sein, wie sie es für mich war. Man findet zwanglos die Schauplätze vieler Erzählungen des großen Geschichtenerzählers Erwin Rosnitschek wieder. Zur optischen Bereicherung des Werkes habe ich auf mehreren Reisen in die ehemaligen Frontgebiete in Südtirol und auf den Sieben Gemeinden versucht, Bildmaterial zu sammeln. Meine Frau Inge hat die mit diesen Reisen verbundenen Strapazen klaglos hingenommen, was keineswegs selbstverständlich war und wofür ich sie bewundere. In der wundervollen Landschaft sind die damals geschlagenen Wunden fast vollständig vernarbt. Vor Ort habe ich die Detailtreue der Beschreibungen bestätigt gefunden und es war verblüffend, wie einfach mit diesem Reiseführer die einzelnen Schauplätze aufzuspüren waren. Mit Hilfe des dem Text beigefügten Kartenmaterials ist dies dem militärhistorisch Interessierten noch leichter möglich. Das Manuskript sowie die alten Bilder stammen aus dem Nachlass meines Onkels und wurden mir von meiner Cousine Berta Rosnitschek dankenswerterweise für dieses Druckwerk zur Verfügung gestellt. Dem Verfasser vieler einschlägiger Werke über den Gebirgskrieg, Oberst W. Schaumann möchte ich für die Überlassung der Originalaufnahme aus der Junioffensive 1918 danken.

Diedorf, im Dezember 1988

Bernhard Sandner

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Vorwort zur zweiten Ausgabe Der erstaunliche Fortschritt in der Computertechnologie seit dem Entstehen der Erstausgabe im Jahre 1988 hat mich wegen der damit verbundenen, besseren Möglichkeiten von Bild- und Textverarbeitung dazu angeregt, eine Überarbeitung des Buches vorzunehmen. Gleichzeitig reifte die Idee, dass es angemessen sei, im Rahmen der lebendigen Beschreibungen des Erwin Rosnitschek auch die Geschichte der beeindruckenden Frankenberger-Familie durch Daten und Illustrationen zumindest anzureißen und zu würdigen. Die Beziehung zu den Frankenbergers hat im Leben von Erwin Rosnitschek durch die Person seiner Ehefrau Margarete (Gretl) Frankenberger, durch seine spätere, langjährige Führungstätigkeit für die Firma "Gebrüder Frankenberger" in Tachau sowie durch die ständige, räumliche Nähe sowohl in Tachau als auch später in Geretsried eine zentrale und wichtige Rolle gespielt. Während einer im Oktober 2007 durchgeführten, weiteren Reise an die Orte der beschriebenen Kriegshandlungen in Italien - diesmal gemeinsam mit meiner zu diesem Zeitpunkt 84-jährigen Cousine Berta Rosnitschek, der Tochter von Erwin Rosnitschek, sowie meiner Frau Inge - ist neben einer Reihe von Fotos auch ein Video entstanden, welches als DVD diesem Band beigefügt ist. Eine erneute Sichtung von altem Fotomaterial aus dem Bestande meines Onkels war ebenfalls ergiebig und lieferte eine Reihe weiterer Bilddokumente. Des Weiteren sind aus der ungeheuren Informationsvielfalt des Internet viele instruktive Fotos hinzugekommen, zu welchen im Jahre der ersten Ausgabe 1988 keine Zugangsmöglichkeit gegeben war. Dies trifft insbesondere auf die Originalaufnahmen aus der Frenzellaschlucht zu. Die teilweise grausamen Bilder lassen die Schrecken erahnen, welchen die vor Ort beteiligten Soldaten ausgesetzt waren. Wertvolle Quellen waren neben dem Internet auch die Heimatbücher von Tachau und Geretsried, in welchen zahlreiche Bild- und Textautoren das über viele Jahre hingebungsvoll gesammelte Informationsmaterial veröffentlichten. Aus dem Büchlein "Tachauer Geschichten" des Frank Kohner stammen Anekdoten, welche einen Bezug zu unserer Familie haben. Mein Dank gilt all diesen im Text zitierten, manchmal aber auch ungenannten Quellen und Mitautoren. Die Informations- und Bildquellen des Internet lieferten weiterhin in Verbindung mit dem durch Nutzung von Google Earth zugänglichen Kartenmaterial aus der Vogel- bzw. Satellitenperspektive eine anschauliche Ergänzung der von Erwin Rosnitschek beschriebenen Geschehnisse. Seine bis zum Ende spannend zu lesenden Schilderungen reflektieren an vielen Stellen die große Weltpolitik aus der Sicht des Tachauer Mikrokosmos. Um dem Leser eine klare Unterscheidung des Originaltextes zu den ergänzenden Anmerkungen, Kommentaren und Bildunterschriften zu ermöglichen, sind diese in Kursiv gesetzt.

Geretsried, im Mai 2011

Bernhard Sandner

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Beginn der Auszüge

Musterung und Einberufung 1916 Im April 1916 wurde mein Geburtsjahrgang 1898 zur Musterung aufgerufen. Da ich vermeiden wollte, zu einem tschechischen Regiment einberufen zu werden, meldete ich mich mit Vermittlung meines auf dem Tachauer Rathaus beschäftigten Freundes Walter Toni in Tachau zur Musterung an. Die Musterung erfolgte Palmsonntag, den 16. April 1916 im Gasthof Leopold Steiner in Tachau. Der Bescheid lautete "Tauglich".

Nach der Musterung am 16. April 1916 in Tachau (3. von links, stehend)

Kurz darauf erfolgte auch die Einberufung für den 11. Mai 1916 zum Ersatzbataillon des Inf.Reg. Nr.73 in Prag-Wrschowitz. So gab ich am 30. April meinen bürgerlichen Beruf auf und reiste wieder heimwärts. Wie es üblich war, bestellten wir Rekruten, ca. 30 Mann, eine Musikkapelle und marschierten am Nachmittag des 10. Mai mit Musik zum Bahnhof um nach Eger zu fahren. Wir wären auch noch rechtzeitig dort gewesen, wenn wir am nächsten Tag mit dem Frühzug gefahren wären. Doch aus lauter Begeisterung und Hurra-Stimmung befürchteten wir, vielleicht etwas zu versäumen. In Eger übernachteten wir, fünf Mann in zwei Betten, miserabel im "Alten Wachthaus". Ein Regiment von hungrigen Wanzen hatte anscheinend schon lange auf uns gewartet. Früh um acht Uhr des nächsten Tages meldeten wir uns wie vorgeschrieben auf der Brühlwiese an der Eger. Dort hatte sich ca. 1000 solcher jungen Tropfe auf grüner Wiese zusammengefunden. An mehreren, im Freien aufgestellten Tischen wurden wir in langer Prozedur registriert und e rhielten dabei das Fahrtgeld ersetzt und das Verpflegsgeld für den ersten Tag unserer Militärzeit. Dann wurden wir wieder freigelassen mit der Weisung, um 5 Uhr nachmittags mit "Sack und Pack" wieder zur Stelle zu sein. So geschah es auch. Zu einer Marschkolonne formiert zogen wir dann zum Bahnhof. Auf dem langen Weg durch die Stadt ist uns das Tragen unseres Rekrutenkoffers sehr sauer geworden. Mit einem Sonderzug ging dann die Reise, welche die ganze Nacht dauerte, nach

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Prag. Unausgeschlafen, hungrig und in der Morgenkälte fröstelnd, wurden wir auf dem Bahnhof Prag-Nusle ausgeladen. Dort stand die 73-er Regimentskapelle schon bereit und "zog" uns in die ca. 15 Minuten entfernte Wrschowitzer Kaserne. Auf dem großen Kasernenhof wurden wir gleich in Züge und Kompagnien eingeteilt und in die Unterkünfte geführt. In die einzelnen Stuben, welche lt. Aufschrift an den Türen im Frieden für 18 Mann vorgesehen waren, kamen jeweils 40 Mann. Die entsprechende Anzahl Strohsäcke waren zu einem Berg gestapelt und wurden zum Schlafen auf dem Fußboden ausgebreitet. Die Atmosphäre war früh beim Aufstehen entsprechend. Als Uniform erhielt jeder Mann einen Drillichanzug, ein Paar genagelte Kommisschuhe und eine Kappe. Die Ausbildung begann täglich um 6 Uhr früh mit einer Stunde "Gelenksübungen", am Anfang ohne, später mit Gewehr. Das spürten wir die ersten Wochen nachdrücklich in den Knochen. Auch mussten wir, wie der Korporal erklärte, das Gehen lernen, damit man uns den Zivilisten nicht schon von Weitem ansah. Diese Ausbildung, die sich später auf dem Exerzierplatz und in Wald und Flur fortsetzte, dauerte ca. drei Monate. Dann bekamen jene, die eine Landwirtschaft hatten, oder eine solche vorschwindelten (zu letzteren gehörte auch ich), zwei Wochen Ernteurlaub. Ich verbrachte einige Tage davon bei meiner Tante Selma in Petlarnbrand, deren Mann, mein Onkel Hans Gabler in Russland war. Ich half dabei einigen Verwandten und Nachbarn eine Stalldecke zu betonieren. Nach der Rückkehr aus dem Urlaub wurde ich gleich in eine neu aufzustellende Marschkompagnie eingeteilt. Wir kamen aus der Kaserne heraus und wurden im ca. 4 km entfernten Ort Straschnitz in der Bürgerschule einquartiert. In den folgenden Tagen mussten wir die ganze Ausrüstung für 1000 Mann (Kleidung, Schuhe, Tornister, Gerät und Waffen) von Wrschowitz nach Straschnitz schleppen. Je vier Mann trugen immer in einer an den vier Zipfeln gehaltenen Decke eine entsprechende Traglast. Lastauto oder Pferdegespanne gab es im Hinterland nicht.

Prag - 20. August 1916 - vor dem Abmarsch an die Front nach Italien (kniend, 3. von links)

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Prag - 20. August 1916 Vor dem Abmarsch an die Front nach Italien, gerade 18 Jahre alt geworden

Ungefähr am 20. August war es soweit. Mit Musikbegleitung marschierten wir mit feldmarschmäßiger Ausrüstung zum Bahnhof Nusle, wo wir in Güterwagen mit der Aufschrift "36 Mann oder 6 Pferde" verladen wurden. Das Groteske an unserer Ausrüstung war. dass jeder Mann einen zwei Meter langen Bergstock mit Eisenspitze in der Hand trug und damit auf dem Prager Granitwürfelpflaster klapperte und das bei jedem Schritt tausendmal. Außerdem war bei jeder Kompagnie eine Skipatrolle von 12 Mann, die außer der kompletten Ausrüstung noch eine vollständige Skiausrüstung schleppen musste, und das im August. Dabei war nicht einer von diesen Leuten Skifahrer. Ihre Begeisterung dafür war sehr mäßig. Aufgrund dieser zusätzlichen Ausrüstung vermuteten wir, dass wir auf dem südlichen Kriegsschauplatz gegen Italien eingesetzt werden sollten. Die Reise ging auch über Budweis (Abendverpflegung), Linz, Attnang-Puchheim (Frühstück), Salzburg, Innsbruck, Brenner, Bozen (Mittagessen) nach San Michele. Dort war Auswaggonierung und anschließend Weitermarsch über Mezzocorona durch das Nocetal nach dem Dorf Mollaro. Der mehrstündige Marsch mit vollem Gepäck und bei großer Hitze war eine erhebliche Anstrengung. Nach der Ankunft am Abend wurden wir in einem großen, zweigeschossigen Schüttboden einqua rtiert. Schlafen mussten wir auf dem blanken Betonboden. In der anschließenden Zeit machten wir täglich Übungsmärsche mit Gefechtsübungen und ähnlichen Ausbildungsspäßen.

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Nach ca. einer Woche wurden von der Truppe zwei Mann und ein Unteroffizier gesucht, die an einem Bergführerkurs teilnehmen sollten. Da mir der Dienst in diesem Dorfe zu langweilig wurde, meldete ich mich zusammen mit meinem Freund und Schulkollegen Rumpler Pepp zu diesem Lehrgang. Ein Korporal Fischer, in Zivil Kohlenarbeiter aus dem Falkenauer Revier, war der dritte bei dieser Partie. Nach einer positiv verlaufenen ärztlichen Eignungsuntersuchung wurden wir "in Marsch gesetzt". Die Reise ging mit dem Zug über Mezzolombardo, Trient nach Terlago am Terlago-See. Mach wenigen Tagen wurde der Lehrgang nach Mezzolombardo verlegt. Da sich dort die Beschwerden der Weinbauern mehrten, dass die Soldaten Weintrauben stehlen (sie waren jetzt im September so reif und süß) wurde der ganze Zirkus nochmals verlegt und zwar in das in der Nähe befindliche, aber in 1000 m Höhe liegende Dorf Fai. Dort wuchsen nur mehr Hafer und Kartoffel. Im Verlauf der Ausbildung machten wir u.a. auch einmal einen Übungsmarsch nach Molveno am gleichnamigen See. Der Kurs war nach ca. vier Wochen beendet. Gelernt hatten wir nicht viel, außer einigen Grundbegriffen vom Klettern im Fels, einzeln und in der Seilschaft Kaminklettern, verschiedene Seilknoten, Abseilen vom Fels und das Auf- und Abseilen von Gerät, Munitionskästen und Verwundeten. Nach Auflösung des Lehrganges reisten wir per Bahn nach Trient zur Sammelstelle. Von dort ging es dann mit Lastauto zu unserem Marschbataillon, das inzwischen nach Ceniga, Gemeinde Dro im Sarcetal verlegt worden den war. Die Kompagnie hauste dort in einem komfortablen Haus, einer besseren Sennhütte am Abhang des Monte Stivo inmitten eines großen Kastanienwaldes. Die Früchte dieser Bäume waren gerade reif. Wir besserten damit unsere karge Verpflegung auf, was allerdings auch hier wieder die im Tale wohnenden Bauern in Aufregung brachte. Unser Kompagniechef, Leutnant Donner (aus Plan bei Tachau), gab uns den freundschaftlichen Rat, die Maroni nur an uns zu nehmen, wenn es niemand sieht. Als Beschäftigung mussten wir an den Südhängen des Berges, die ins Becken von Arco und Riva abfielen, Reservestellungen und Tragtierwege zu diesen Stellungen ausbauen. Diese Zeit war die schönste Spätsommerfrische für uns. Wir stiegen jeden Tag ca. eine Stunde auf den Berg. Von unseren Arbeitsplätzen aus hatten wir einen wunderbaren Ausblick auf den Gardasee. Die Sonne schien warm und die Arbeit verrichteten wir so sorgfältig, dass auch einiges davon übrig blieb für diejenigen, die evtl. nach uns kommen sollten.

Blick auf Riva und den Gardasee vom Monte Stivo aus, oberhalb von Dro - Ceniga

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Erster Frontwinter 1916/17 auf der Zugna Torta Eines Tages, Anfangs November, kam jedoch eine Ordonnanz auf unseren Arbeitsplatz und brachte den Befehl, dass die Truppe sofort ins Quartier zurückzukehren habe. Dort angekommen, mussten wir sofort unsere Sachen zusammenpacken und ab ging s ins Tal. Im Orte Ceniga wurden wir bei Einbruch der Dunkelheit und inzwischen eingesetztem strömenden Regen in Lastautos verladen und nach Trient geschafft. Auf dem Bahnhofsplatz bei dem großen Dantedenkmal wurden wir ausgeladen. Wir mussten a ntreten und warten. Der Regen ergoss sich weiter über uns. Nichts rührte sich in der Dunkelheit. Ich weiß nicht, wie lange wir so im Stehen dahin dösten, bis endlich Kommandos hörbar wurden. Weiter ging’s durch die schlafende Stadt in eine große Kaserne über viele Treppen hinauf auf den Dachboden. Dort konnten wir uns in den nassen Klamotten auf den Fußboden zum Schlafen legen. Kaum waren wir entschlummert, gab es Alarm. Noch ganz schlaftrunken, mussten wir in höchster Eile packen. Abmarsch zum Bahnhof. Ein Zug, sogar mit Personenwagen, nahm uns auf und fuhr uns in die 16 km entfernte Station Calliano. Weiter nach Süden verkehrte die Bahn nicht, weil das Etschtal ab hier schon im Bereich der italienischen Artillerie lag. Nach kurzem Marsch in den Ort wurden wir auf dem Dachboden eines größeren Gebäudes für den Rest der Nacht untergebracht« In den kümmerlichen Strohresten, die auf dem Boden lagen, hatten, wie ich am Morgen entdeckte. die ersten Kleiderläuse auf uns gewartet. Früh betrachteten wir fröstelnd die Gegend. Auf den Bergen war der Schnee gefallen. Im Ort herrschte lebhafter Etappenverkehr, lange Tragtierkolonnen zogen auf der Bergstraße nach Folgaria aufwärts. Irgendwoher bekamen wir etwas zum Essen und erhielten alle noch eine zweite Schlafdecke. Nachmittags marschierten wir auf der Straße in einer knöcheltiefen milchfarbenen Schlammsoße nach der 8 km entfernten Stadt Rovereto. Dort wurden wir in einem großen Kloster untergebracht. Die Mönchszellen beheizten wir mit zertrümmerten Schulbänken und konnten unsere Kleider wieder einigermaßen trocknen und uns selbst etwas aufwärmen. Am nächsten Morgen wurde ich beauftragt, mit einigen Leuten die gesamte Skiausrüstung "irgendwo" abzuliefern. Nachdem wir bei einigen Kommandos und Dienststellen deswegen ohne Erfolg vorgesprochen hatten, kürzte ich das Verfahren ab und befahl, den Krempel über eine hohe Mauer in einen Park zu schmeißen.

Vermutliche Reste des "Weißen Hauses" Juni 1988

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Das geschah und ich konnte "Befehl ausgeführt" melden. Im Laufe des Tages kamen einige Unteroffiziere in unserem Kloster an, die den Auftrag hatten, uns zu den Stellungen der Truppe zu führen, der wir zugeteilt waren. Am späten Nachmittag ging es ab. In südlicher Richtung durch die Stadt über eine Brücke am Ortsausgang, dann links in eine bergwärts führende Straße. Wir passierten das Dorf Albaredo und kamen etwas später zu einem in einer Straßenkehre stehenden einzelnem größeren Haus, das "Weiße Haus" genannt. Hier befand sich das Bataillonskommando, eine Baracke als Verwundetenstelle und andere Dienststellen. Es war inzwischen Nacht geworden. Nach kurzem Warten führte man uns zu einer in der Nähe befindlichen, anscheinend noch im Bau begriffenen Kaverne, die in eine Felswand gebrochen war. Dort sollten wir übernachten. Das Ding hatte einen offenen Eingang wie ein Scheunentor, der Boden war mit Felsbrocken bis zu Kinderkopfgroße bedeckt, dazwischen waren Wasserlachen und von der Decke tropfte unermüdlich Wasser herunter. Es war saukalt und nass; man konnte nicht liegen oder sitzen. Die finstere Nacht schien kein Ende War es vielleicht in dieser Kaverne? zu nehmen. Wir wurden noch davor gewarnt, die Höhle bei Tageslicht zu verlassen, da die vor der Höhle liegende Wiese vom Feinde eingesehen sei und unter Artilleriebeschuss liege (dabei handelte es sich mit Sicherheit um die auf den Bildern der nächsten Seite gezeigte Scheitel- oder Brechpunktstellung, weil nur dort eine Art Wiese zwischen den österreichischen und italienischen Gräben zu finden ist). Wir waren daher heilfroh, als wir gegen Abend des nächsten Tages von einem Führer abgeholt wurden, der uns auf steilen Fußwegen, später durch Laufgräben zur Stellung des uns zugewiesenen Kampfabschnittes führte. Wir wateten bereits im frischgefallenen Schnee, da hieß es plötzlich "Halt, die ersten sechs Mann schlierfen da hinein!". Wir wussten nicht, wo hinein. Da schob mich der Führer einen Schritt nach vorn, ich stolperte in der Dunkelheit nach vorn, berührte mit der Hand eine nasse Decke, die eine nach unten führende Treppe nach außen abschloss. Aus der Tiefe drang ein fahler Lichtschein und ein fürchterlicher Mief von Feuchtigkeit, Rauch und ungewaschenen Menschen. Das war eine der ca. drei Meter tief in die Erde gebauten Winterunterkünfte, die Fuchslöcher genannt wurden.

Eingang zu einem Fuchsloch in vorderster Front, unmittelbar an der Brechpunktstellung

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Stellungsverlauf auf der Zugna Torta ab Mai 1916

Ausschnitt aus obiger Karte

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Links: Überwachsener, österreichischer Kampfgraben November 2007

Unten: Überwachsener, österreichischer Kampfgraben, Blick gegen Vallarsa September 1988

Auf hölzernen Pritschen waren Schlafplätze für 10 Mann. Wenn alle anwesend waren, herrschte eine fürchterliche Enge. Ein Teil der Bewohner war auf Feldwache. Es wurde uns gleich sehr unfreundlich bedeutet, dass wir wieder raus müssten, wenn die anderen vom Nachtdienst zurückkämen. Das passierte auch, nachdem wir aus tiefem Schlaf durch den Lärm und das Geschimpfe der Heimkehrer geweckt wurden. Wir mussten uns aus dem engen Loch mühsam hinaus drängeln, stiegen die Treppe aufwärts und standen dann in der hellen Morgensonne im Schützengraben. Weit und breit glänzte der neue Schnee um uns und auf den Bergen. Die Höhe, auf der sich die Stellung befand, hieß Zugna Torta (ca. 1200 m). Da waren wir also an der Front. Der Gegner lag etwas höher in etwa 300 m Entfernung und verhielt sich ruhig. Es wurde uns allerdings bedeutet, dass jeder Aufenthalt außerhalb des Grabens lebensgefährlich war. Die Truppe, der wir zugeteilt waren, war eine Kompagnie des Tiroler Landesschützenregiments Nr. 1. Zur Uniform gehörte u.a. ein blechernes Edelweiß auf dem Blusenkragen und ein Spielhahnfederngesteck an der Kappe. Diese Federn waren jedoch einem längeren Aufenthalt im Schützengraben nicht gewachsen und nur mehr vereinzelt zu sehen. Es war ca. Mitte November, als wir dort unseren "Einstand" feiern konnten. Wir Neuankömmlinge wurden dann auf die einzelnen Züge aufgeteilt und in deren Unterstände eingewiesen. Der Dienst, in welchen wir natürlich sofort eingespannt wurden, bestand aus Postendienst: Je ein Beobachtungsposten in jedem Grabenabschnitt, der bei Nacht verdoppelt wurde, Feldwache: sechs Mann und ein Unteroffizier, die vom Einbruch der Dunkelheit bis zum Tagesanbruch vor der Stellung und dem Stacheldraht drei Posten aufstellen mussten, Trägerkolonne: musste dreimal täglich die Verpflegung holen.

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Das Essen wurde von den Küchen, die bergabwärts in der Nähe des "Weißen Hauses" standen, zubereitet, in sog. Kochkisten abgefüllt und Tragtieren aufgepackt (2 Kisten = eine Traglast) , die die Lasten dann ein Stück bergwärts bis vor den Punkt brachten, an welchem die steile Strecke und die Laufgräben begannen. Dort übernahm dann die Trägerkolonne die Kisten und trug sie auf einem Rückentragegestell bis zu den Schützengräben. Ein Koch kam immer mit und besorgte die Verteilung an die Endverbraucher. Bei Nacht musste die Trägerkolonne noch Material, wie Bretter, Balken, Stacheldrahtrollen, Munition, Flechtwerk, Werkzeuge, Brennmaterial usw. von der Straße beim "Weißen Haus" holen. Wer noch verfügbar war, musste beim Ausbau der Stellung mitarbeiten. Das war eine Arbeit, die nie abriss. Erst der eintretende Winter mit Schneestürmen und strenger Kälte verlangte dann den Einsatz aller Kräfte zur Freihaltung der Gräben und Verbindungswege vom Schnee, was nicht immer möglich war. Gefährlich war es immer auf der Feldwache, die ja nur 20 - 30 Meter der gegnerischen Feldwache gegenüberstand. Die Schneelöcher, in denen die Posten lagen, waren bei Tageslicht gut auszumachen. Die Italiener stellten darauf Maschinengewehre ein und feuerten dann los, sobald sich etwas in der Nacht rührte. Wir hatten dadurch mehrere Tote. Der ca. 12-stündige Aufenthalt bei jeder Temperatur und Wetterlage im Freien und das Fehlen fast jeder Bewegungsmöglichkeit war eine schwere körperliche und seelische Belastung. (Dies ist ohne Zweifel eine starke Untertreibung.) Um die Stellung und Unterkünfte sicherer gegen Artilleriebeschuss und Witterungseinflüsse zu machen, arbeitete ein Trupp Sappeure den ganzen Winter mit Pressluftbohrern an der Herstellung von Felskavernen. Die Pressluft kam aus einer ca. drei Kilometer langen Rohrleitung von einem großen, fahrbaren Kompressor. Im Januar 1917 erkrankte ich an einer mit hohem Fieber verbundenen Erkältung. Der Arzt auf dem ebenfalls in der Stellung befindlichen Hilfsplatz ordnete nach zweitägiger Beobachtung Einlieferung ins Spital an. Ein Sanitäter holte am Abend mich und meinen SchulEingang zum Kommandostand der Kaiserschützen kameraden Hermann Toni, der sich sämtliche Zehen erfroren hatte, mit einem Rodelschlitten ab. Solange wir im Laufgraben waren, trug der Sanitäter Hermann Toni auf dem Rücken, während ich den Schlitten tragen musste. Auf der Straße angekommen, beförderte der Sani uns beide auf dem Schlitten bis zur Verwundetensammelstelle "Weißes

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Haus". Ab dort nahmen uns dann leichte Pferdegespanne "Heidiwagerl" genannt, die Material für die Front gebracht hatten, auf dem Rückweg mit nach Rovereto. Das Feldspital war in einer Schule untergebracht. Zuerst wurden wir jedoch gebadet und entlaust, was allerdings höchst notwendig war. Wir hatten während des ca. zehnwöchigen Aufenthaltes in der Stellung keine Möglichkeit gehabt, uns zu waschen oder Kleidung und Wäsche zu wechseln. Die Badeanlagen befanden sich etwa 10 Gehminuten entfernt in einer Schmiedewerkstätte. Ich musste dabei Hermann Toni, der nicht gehfähig war, auf dem Rücken tragen. Das Badewasser der Duschen war nur mehr lauwarm (es war ca. 2 Uhr nachts!). Anschließend an das Bad mussten wir nackt noch ca. eine Stunde warten, bis wir unsere dampfenden und stinkenden Kleiderbündel aus dem Desinfektionskessel erhielten. Diese Stunde ist uns frierenden Nackten auf dem kalten Betonfußbaden in der ungeheizten Schmiede sehr lang geworden. Dann ging es ins Lazarett zurück. Dort wurden wir in einem Raum für den Rest der Nacht untergebracht. Da waren Betten und viele Decken. Dieser ungewohnte Komfort ließ uns in einen tiefen Schlaf verfallen. Am nächsten Morgen kamen wir in ein schönes Zimmer mit einem sauberen Bett, bekamen ein Mittagessen mit der Mitteilung, gleich aufzustehen und uns anzuziehen, da wir anderswohin verlegt würden. So brachten denn nachmittags einige Pferdefuhrwerke eine kleine Schar ausgeme rgelter, blasser Gestalten in zerknitterten Uniformen etschaufwärts in ein Feldspital nach Villa Lagarina. Der dortige Arzt erklärte nach kurzer Untersuchung, dass ich eigentlich schon ein Fall für ein Genesendenheim sei und am nächsten Tag in ein solches Heim überstellt würde. So schnell wurde da ein Mensch ohne jede Behandlung gesund. Also ging es am nächsten Tag wieder weiter nach Aldeno in das Genesendenheim. Da ich jedoch immer noch Fieber hatte, kam ich dort auf ein Liegezimmer und hatte endlich einige Zeit Ruhe, um mich etwas erholen zu Können. Nach ca. drei Wochen wurde ich geheilt entlassen und musste mit einer Schar Schicksalsgenossen zu Fuß nach Trient gehen, von wo ich über Rovereto wieder zu meiner Truppe geschickt wurde. Der alte Trott ging dort wieder weiter. Nach ca. zwei Wochen sagte mir der Zugführer, dass Leute gesucht würden für einen Sturmkurs und ob ich einverstanden sei, wenn er mich dafür vorschlüge. Ich war es, weil mich der öde Grabendienst verdross und wurde einige Tage später - es war gerade in der Karwoche - auf den Sturmkurs nach Aldeno geschickt, das ich ja schon kannte. Dieser Kurs war, wie ich vernahm, eine von den Deutschen übernommene Einrichtung. Hier sollten geeignete Leute mit der Technik des Angriffes bekannt gemacht werden, in der Handhabung aller Nahkampfmittel, auch solcher des Gegners, unterrichtet und geübt werden und durch intensive sportliche Ausbildung und Training auch die erforderliche körperliche Eignung erwerben. Aus solchen Spezialisten sollte dann für jede Division ein Sturmbataillon zusammengestellt werden. Dadurch, so war es vorgesehen, sollten bei Angriffen auf feindliche Stellungen unnötige Verluste vermieden werden, welche sonst beim Einsatz von mangelhaft ausgebildeten Truppen entstehen. Diese Truppen sollten erst dann weiter vorrücken, wenn das Sturmbataillon den Widerstand des Gegners wenn auch nicht schmerzlos, so doch zumindest rasch und entscheidend gebrochen hatte. Das war nun für junge, unternehmungslustige Burschen eine Sache, die, soweit es die Ausbildung betraf interessant und abwechslungsreich war, wenn auch das Endziel weniger verlockend erschien.

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Die gewöhnlichen Infanteristen nannten unseren Verein hämisch Selbstmörderklub! Aber das lag noch in ungewisser Ferne. Es hat doch etwas für sich, wenn man jung und dumm ist. So lernten und übten wir unser grausiges Handwerk weiter, dass es in den Etsch-Auen nur so krachte. In diesen Wochen stellten wir fest, dass in den Wassergräben auf einmal die Dotterblumen aufblühten. Eines Tages öffneten die Kastanienbäume auf dem Dorfplatz ihre Blütenkerzen. Der Winter war vorbei! Der Lehrgang war aus. Wir mussten zurück zu unsrer Truppe auf dem Berg. Der Sportoffizier des Lehrganges, ein junger Leutnant, führte uns in einem zügigen 20 km-Marsch (einschließlich der Bergstrecke) über Rovereto und schnitt dabei alle Kurven der Bergstraße, sodass wir uns über Stock und Stein, durch dichtes Gebüsch bergwärts rackern mussten. Es war eine richtige Schinderei. Wir kamen in der Nacht völlig erschöpft oben an. Die Kompagnie hatte inzwischen die Stellung gewechselt. Sie lag nun mehr an der Südflanke des Berges, etwas tiefer als vorher in einem Wald von jungen, frisch ergrünten Buchen. Der Gegner lag etwas weiter von uns entfernt und machte sich gelegentlich durch schweres Minenfeuer unangenehm bemerkbar. Da die rückwärtigen Verbindungswege vom Feinde eingesehen waren, gab es das Frühstück früh um ca. 4- Uhr, Mittag- und Abendessen um 10 Uhr abends. Den ganzen langen Tag konnten wir vom Essen nur erzählen und einer wusste vom anderen schon auswendig, wann und wo und was er Gutes gegessen hatte. In dieser Stellung wurde ich auf nächtlichem Vorposten bei Artilleriebeschuss durch Steinschlag am Hinterkopf leicht verletzt. Der Sanitäter - ein Arzt war nicht da - verordnete mir zwei Tage dienstfrei, die ich dazu benutzte, mich einmal tüchtig auszuschlafen.

Fortsetzung des Originaltextes auf Seite 29.

Von Artilleriegranaten durchwühltes Niemandsland vor dem vordersten österreichischen Kampfgraben in der Brechpunktstellung (Inge Sandner - September 1988)

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Die Situation an der Front zwischen Etschtal und Vallarsa: Wie schwer umkämpft der strategisch wichtige Zugna-Rücken war, geht aus den Beschreibungen eines anderen Kriegsteilnehmers in dieser Region hervor. Er schrieb: "Von Mori und Marco kommend erreichen wir als erstes den Felsrücken des Zugna-Massivs. Dabei handelt es sich um den Bergkamm, der die Vallarsa südseitig bzw. südwestlich vom Etschtal trennt. Dieser Rücken entspricht einer natürlichen Barriere. Vom Zugna-Rücken stieg die Front nun ab zum Talboden der Vallarsa und zu deren Bach, dem Leno. Hier kam es nicht nur um das Fort Valmorbia, sondern auch um den Talboden entlang des Leno zu Kämpfen. Die Nordostseite der Vallarsa wird ebenfalls durch ein langes, rückenartiges Bergmassiv begrenzt. Darauf liegen nun die nächsten Hauptkampfstätten, der Monte Spil, der Monte Corno (Battisti) und der Monte Testo. Wenn wir den Rücken vom Monte Testo weiter verfolgen, so gelangen wir direkt zum Pasubio. Verfolgen wir dagegen den Rücken der Zugna weiter, so erreichen wir den umkämpften Passo Buole, auch Paß Buol genannt. Zugna, Spil, Testo, Corno und Pasubio sowie der Talboden der Vallarsa waren die Hauptkampfstätten dieser Front. Klimatisch stellen diese Berge eine Ausnahme dar, von der wir meist zu wenig wissen. Ihre Lage am Alpenrand führt zu wesentlich ergiebigeren Schneefällen mit längerer Dauer, als wir es von den Zentralalpen her gewohnt sind. Die lange dauernden Winter auf diesen Bergen forderten den Soldaten das Äußerste ab. In den Sommermonaten Januar 1916 - Fliegeraufnahme des Zugna Rückens hingegen wirkt die Im Vordergrund links Zugna Torta, rechts der Gipfel Sonne im verkarsteder Monte Zugna mit dem Abstieg zum Buole-Pass, ten Gestein, ohne im Hintergrund links der Pasubio und dazwischen Wasser, ohne Queldas Vallarsa. Die Brechpunktstellung befand sich etwa bildmittig, in der Gegend der im Schnee len, wie ein vielfach erkennbaren Kampfgräben. verstärkendes Brennglas. Im Krieg ergaben sich größte Probleme bei der Wasserversorgung. Auf Zugna und Pasubio sind Soldaten an Durst gestorben und oft konnte der Durst der Verwundeten nicht gestillt werden. Im Winter dagegen mähten die Lawinen die Soldaten wie Halme zu Tode. Diese unvorstellbaren klimatischen Kontraste bleiben, wenn über diese Front berichtet wird, meist unberücksichtigt. Im Krieg, der dort ohnedies extrem grausam war, bildeten sie ein weiteres Problem. Nachschub- und Ersatzmannschaften mussten im Krieg große Höhenunterschiede bewältigen. Rovereto liegt nur 192 Meter über dem Meere. Das macht 1672 Meter Höhenunterschied im Anstieg zum Monte Zugna, 1806 Meter Höhendifferenz im Anstieg zum Monte Testo und 2040 Meter Höhenunterschied im Anmarsch zur Front am Pasubio (in glühender, wasserloser Hitze im Sommer; bei unvorstellbaren Schneemassen im Winter - all dies mit schweren Lasten). Bei der Beurteilung der hier stattgefundenen Kämpfe sollten wir uns diese klimatischen und geländemäßigen Voraussetzungen unbedingt vor Augen halten. Der Zugna-Rücken bildete buchstäblich die letzte Tiroler Barriere gegen die italienische Etschtalfront. Während der Frühjahrsoffensive 1916 versuchten die österrei-

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chischen Kräfte über die Zugna nach Süden vorzustoßen, bissen sich aber an den Italienern fest und die Offensive kam zum Stillstand. Ab Mitte Juni 1916 versuchten nun die Italiener bis Kriegsende 1918 in das Etschtal Richtung Rovereto vorzustoßen, ebenfalls vergeblich. Auf der Zugna Torta und weiter zum Monte Zugna und zur Coni Zugna verliefen die Fronten oft in nächster Nähe. Am berüchtigtsten war der Abschnitt Zugna Torta selbst, da sich hier Freund und Feind auf 30 bis 40 Meter Entfernung gegenüberlagen. Die Hauptstellung, die sogenannte Brechpunktstellung auf der Zugna Torta, wies eine Länge von ca. 300 Schritt, eine Tiefe von nur ca. 70 Schritt auf (ein Schritt = 70 bis 75 cm altösterreichisches Infanteriemaß). Die gesamte Front auf der Zugna wurde - im wesentlichen - von Tiroler Kaiserschützen gehalten. Einsatz, Aufopferung und Leidensweg dieser Männer auf der Zugna war dem Einsatz der Kaiserjäger auf dem Pasubio ebenbürtig. Auf beiden Bergen standen die besten Soldaten der alten Landesverteidigung. Ende September 1917 wurde das I. Bataillon des 1. Tiroler Kaiserjägerregimentes zusätzlich zur Verstärkung auf die Zugna verlegt. Ernst Wißhaupt, der Kaiserjägerchronist, berichtet darüber, dass der Feind unentwegt alle Stellungen Tag und Nacht unter Minen- und Granatwerferfeuer gehalten hat und dass in den Kavernen eine ungeheure Rattenplage herrschte; die italienische Stellung lag nur wenige Meter gegenüber. Halbverweste Tote lagen im Niemandsland und überall erinnerten Holzkreuze an gefallene Kameraden; der verweste Kopf eines Kaiserschützenfähnrichs lag vor der italienischen Stellung. Unentwegt schlugen die italienischen Granaten, lautlos mit Pressluft durch Minenwerfer abgefeuert, voll in die eigene Stellung, wobei viele Männer umkamen. Tag und Nacht deckten sich beide Seiten - auf kürzeste Distanz und voll einsehbar gegenüberliegend - mit Artilleriegeschossen, Minenwerfern, Gasgranaten und MG-Feuer ein. Wer den Kopf auch nur ein wenig über den Stellungsrand schob, war ein toter Mann. Im Gegensatz zu den meisten anderen Fronten wurde am Pasubio und auf der Zugna Tag und Nacht ohne Unterbrechung gekämpft. Während des Infernos der kaum aufhörenden Beschießung versuchten beide Seiten, immer wieder Gegenangriffe vorzutragen. Sturmpatrouillen versuchten, das Niemandsland zu überqueren - im deckungslosen Karstgestein - und in die Stellung des Gegners einzudringen. Die Feldakten über die Zugna Torta und den ganzen Zugna-Rücken verzeichnen die sich ständig wiederholende, nie erfolgreiche Kette jener Stosstruppunternehmungen. Sie bildeten sozusagen den Höhepunkt im Alltag des Krieges auf der Zugna. Aber keine der beiden Seiten konnte die Positionen des Gegners aufrollen. So herrschte hier ein mörderischer, ewiger Stellungskrieg. An vielen Stellen lagen nur wenige Meter zwischen beiden Linien, hinter denen der tausendfache Tod lauerte. Das bedeutete unaufhörliche Wachsamkeit (ein Einschlafen wäre gleichbedeutend mit dem Tod gewesen), es bedeutete ständige Beschießung sowie immer wieder vorbrechende Stoßtrupps. Zusätzlich herrschte der Winter in voller Grausamkeit. So lagen am 5. Dezember 1916 die Tiroler Stellungen auf der Zugna bereits unter einer Schneedecke von zweieinhalb Metern. Unentwegt mussten die Mannschaften die Stellungen ausschaufeln. Ein völliges Zuschneien der Stellung hätte deren Aufgabe Tod und Gefangenschaft für die Besatzung bedeutet. Nur die Stellungen vermochten gewissen Schutz zu bieten. Lawinen versperrten die Nachschubwege und zerstörten die Telefonleitungen; diese mussten Tag und Nacht unter Lebensgefahr, oft unter feindlichem Beschuss, freigehalten bzw. repariert werden. Die Anzahl der Erfrierungen stieg schnell an und schwächte die Truppe. Während des Winters 1916/17 stieg die Schneedecke auf der Zugna auf viele, viele Meter (oft über acht Meter) an; es wüteten tagelange Schneestürme mit orkanartiger Geschwindigkeit. Plötzliche Wetterwechsel mit prallem Sonnenschein verwandelten die Schneedecke in undurchdringlichen, metertiefen Morast, in dem kein Soldat marschieren oder kämpfen konnte. Diese Schilderung zeigt, wie der Krieg auf der Zugna war: Dauerbeschuss mit Artillerie, Maschinengewehren und Granatwerfern. Im Grauen dieses Alltages steigerte und konzentrierte sich dann plötzlich das Feuer auf einen bestimmten Abschnitt. Jetzt wusste man, dass ein Angriff bevorstehen würde. Von einer Sekunde zur anderen setzte dann das zermürbende Konzentrationsfeuer aus - jetzt griffen die Alpini an, jetzt mussten sich die Tiroler wehren. Jetzt wurde aus dem Krieg ein Abschlachten. Auf der Zugna Torta wurden alle Angriffe der Italiener abgewehrt vom Frühjahr 1916 bis zum November 1918. Es muss unvorstellbar gewesen sein. Tausende ließen hier ihr Leben." Soweit diese Quelle auf der Internet-Seite der Kaiserjäger.

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Und wie sieht der Schauplatz dieser Kämpfe heute aus? Nicht mehr viel erinnert auf Anhieb an das Geschehene. Nur dem geschulten Blick geben sich die seit fast 100 Jahren vom Wald überwucherten Stellungen, Gräben und Unterstände zu erkennen. Und die gelegentlich die inzwischen bestens asphaltierte, alte Kriegsstraße von Albaredo zur Monte Zugna benutzenden Motorradfahrer kreuzen die früheren Frontlinien, ohne sich der hier stattgefundenen Geschehnisse bewusst zu sein. Allenfalls einige ortsansässige Pilzsammler mögen Kenntnis davon haben, was sich einst in dieser inzwischen einsamen Gebirgsgegend abgespielt hat. Details des heutigen Zustandes der Brechpunktstellung und der dort heute noch gut erkennbaren Kavernen und Laufgräben sind in der beigefügten Video-DVD "Der brave Soldat Erwin Rosnitschek" zu betrachten.

Blick aus den österreichischen Stellungen auf der Zugna Torta ins Vallarsa gegen Norden

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Der zweite Frontwinter 1917/18 Fortsetzung des Originaltextes von Seite 25. Anfang Juni wurden wir abgelöst und sollten irgendwohin zur "Retablierung" kommen. Wir stiegen in der Nacht ab ins Tal und sammelten uns oberhalb von Rovereto im Schein der ersten Sonnenstrahlen. Nach kurzer Rast marschierten wir über Rovereto nach Volano. Dort konnten wir uns einige Stunden schlafen legen. Nachmittags mussten wir erst einmal unseren äußeren Menschen etwas herrichten. Endlich konnten wir uns wieder einmal waschen, den Stellungsdreck von den Kleidern entfernen, Schuhe putzen usw. Am nächsten Tag marschierten wir in aller Frühe weiter nach Trient. Noch außerhalb der Stadt wurden wir von der Regimentskapelle erwartet, die uns bis in die Stadt begleitete. Nach dem anstrengenden 24 km-Marsch hat uns das etwas ermuntert. Dies war auch vorgesehen, da uns der Regimentskommandeur vor sich vorbeidefilieren ließ. Bevor wir in die vorgesehene Unterkunft kamen, wurden wir erst gebadet und entlaust und erhielten frische Wäsche. Wir fühlten uns beinahe wieder als Menschen. In der Kaserne, in der wir unterkamen, meldete ich mich zum Arzt. Bei dem ungewohnten Marsch hatte ich einige recht schmerzhafte Blasen auf den Fußsohlen bekommen. Der Doktor schnitt die Blasen auf und betupfte die Sache mit Jodtinktur. Dabei bemerkte er auf meinem Schienbein einige verkrustete und eitrige Flecken, die vom Kratzen und Dreck entstanden waren. Er schickte mich ins Spital, wohin mich ein Sanitäter führte. Es war eine Baracke, die direkt an der Verladerampe stand. Dort wurde ich zum zweiten Mal an diesem Tage gebadet, entlaust und mit frischer Wäsche versehen.

Lazarett Innsbruck - 8. Juni 1917 (stehend, 3. von rechts)

Am nächsten Tag wurden wir in einen Lazarettzug verladen und über den Brenner nach Innsbruck gebracht. Hier wieder Baden, Entlausen, frische Wäsche (zum dritten Mal!). Nach drei Tagen wurde das Lazarett geräumt, weil angeblich die Italiener eine Offensive gestartet hatten. Ein Lazarettzug brachte uns in zweitägiger Fahrt nach Brüx in Böhmen.

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In einem Reservespital, das in einer Schule untergebracht war, gab es zum vierten Mal Baden, Entlausen und frische Wäsche. Dann erhielten wir Mittagessen und ein schönes Bett, in welchem ich endlich einen langen Schlaf zu tun gedachte. Das Vergnügen war jedoch nur kurz. Nach einer Stunde wurde ich wieder geweckt, musste mich anziehen und einem Sanitäter folgen, der eine Gruppe in das Filialspital nach Dux brachte. Dort residierten wir in dem gräflich Waldstein'schen Schloss recht komfortabel. Erst viele Jahre später las ich, dass der berühmte Abenteurer Giacomo Girolamo Casanova in diesem Schloss seinen Lebensabend als Bibliothekar verbracht hatte, im Jahre 1798 dort starb und begraben wurde. Ich blieb aber nicht so lange dort. Nachdem ich mit meinen Eltern schriftlich Verbindung aufgenommen hatte, suchte ich auf Vaters Anraten um Verlegung ins Heimatspital nach Tachau an. Dem wurde stattgegeben und am 19.6.1917 konnte ich abreisen. Da es genau nach dem Dienstweg gehen musste, hatte ich mich zuerst in Brüx zu melden, von dort schickte man mich an das Reservelazarett nach Eger, dann wieder nach zwei Tagen weiter nach Tachau in das Filialspital im Franziskanerkloster. Meine kleinen Wehwehchen, wegen denen ich so schnell und unverhofft von der Fronttruppe weggekommen war, waren in der Zwischenzeit schon längst wieder verheilt. Ich erhoffte mir daher keinen langen Spitals-Aufenthalt, doch der gute Onkel Doktor Träger, der das Lazarett zu betreuen hatte, entlockte mir bei der Aufnahmeuntersuchung durch Suggestivfragen das Eingeständnis, dass hier und dort etwas nicht in Ordnung ist und so konnte ich doch einen ruhigen Sommer in Tachau als Spitalsbruder verbringen.

Im Spital des Franziskanerklosters in Tachau 19. August 1917 (3. von rechts)

Im Oktober aber war es aus. Da kam der Regimentsarzt Dr. Jirasek zu einer Chefarztvisite aus Eger und schmiss mich und ein paar Leidensgenossen hinaus. Ich musste zum Ersatzbataillon nach Prag einrücken, kam zur Rekonvaleszentenabteilung, blieb dort aber wegen einer Augenentzündung, die in der Universitätsaugenklinik behandelt wurde, noch bis Dezember. Nach ein paar Tagen Weihnachtsurlaub kam ich zur Ersatzkompagnie. Nachdem ich mich in der Schreibstube gemeldet hatte und dort wieder durch die Türe hinausging, fasste mich ein Feldwebel und stellte mich zu einem Haufen Leute, die dort schon versammelt waren. Es war eine neue Marschkompagnie.

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Jetzt ging es aber rasch. Am 1. Jänner 1918 um 7 Uhr früh, stand bei starker Kälte das Marschbataillon auf dem Kasernenhof, feldmarschmäßig bepackt, zur Besichtigung durch den Kommandanten des Ersatzbataillons, Major Schiller, bereit. Schon wenige Tage später ging die Reise los. Die Fahrt lief wieder über Linz, Salzburg, Innsbruck, Brennerpaß, und endete vorläufig in der Station Klausen. Dort wurde der Transport auf die diesmal offenen Waggons einer noch im Bau befindlichen Bahn umgeladen.

Grödnertalbahn Station Klausen

Die Weiterreise war etwas abenteuerlich. Der Zug machte eine Schleife fast noch im Bereich des Bahnhofs, fuhr dann eine ziemlich steile Rampe hoch und in einen Tunnel, der direkt in die Felsenwand gebohrt war. Die Weiterfahrt ging im Schneckentempo mehrmals über einige stockwerkshohe, aus Baumstämmen gebaute Viadukte, die beim überqueren ganz schön schaukelten, und endete in St. Ulrich im Grödnertal. Es war inzwischen dunkel geworden. Wir waren bis auf die Knochen durchgefroren. Diese Bahn ist, wie ich inzwischen feststellen konnte, nicht mehr fertig gebaut worden. Sie besteht nicht mehr (Dies war ein Irrtum. Die letzte Fahrt der Bahn war tatsächlich erst am 28. Mai 1969). In Sankt Ulrich bezogen wir Quartier. Unser Zug wurde in der Werkstätte eines Holzschnitzers mit Strohlager auf dem Fußboden untergebracht.

Grödnertalbahn Behelfsbrücke oberhalb von Klausen

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Grödnertalbahn Gleisprovisorium zur Umfahrung des Flötzentunnels - km 9,1

Unser Kompagniekommandant, Leutnant Heyde-Paudler war ein unangenehmer Mensch, von Beruf Kunstmaler. Er stammte aus Tetschen. Der Dienst war der übliche Ausbildungskram. Einmal machten wir eine Tour auf den Raschötz (ca. 2200 m) in voller Marschausrüstung. Es war eine ausgesprochene Schinderei. Wir waren so erschöpft, dass wir für die Schönheit der Aussicht auf die Dolomitengipfel ringsum kein Interesse mehr aufbrachten. Die Schutzhütte unterhalb des Gipfels war so eingeschneit, dass nur mehr der Schornstein zu sehen war.

Almhütte auf der Raschötz - links die Sella, halbrechts der Langkofel

Nach ca. zwei Wochen wurde gefragt, wer sich zu einem Sturmbataillon melden wolle. Ich meldete mich und wurde kurz darauf als Einzelreisender über Waidbruck und Trient nach Levico abgeschickt. Dort kam ich in der Nacht an und meldete mich. Man wies mir ein vollständig leer stehendes, einstöckiges Haus zum Übernachten an. Auf dem Fußboden liegend fror ich bis zum Tagesanbruch, holte mir die weitere Instruktion, die besagte, dass ich

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mich in dem ca. 3 km entfernten Dorf Barco melden solle. Nach einem kleinen Fußmarsch zur Erwärmung fand ich den Haufen, der in den Gebäuden eines Meierhofes hauste. Dort wurde ich dem HMG-Zug zugeteilt. HMG heißt Handmaschinengewehr. Der Zug hatte vier solcher Apparate mit zugehöriger Bedienung. In diesem Nest lungerten wir bei großer Kälte und Schnee einige Wochen herum. Die Verpflegung bestand zu einem erheblichen Teil aus Pferdefleisch. Da in der Nähe ein Pferdespital war, vermuteten wir, dass das Fleisch von dort herrührte. Zum Schluss waren wir fast alle krank mit starkem Durchfall, Erbrechen, Appetitlosigkeit, und vollständiger körperlicher Erschöpfung.

Brucker Lager

Da schlug das Wetter um. Tauwetter und Regen kam und der Befehl zum Aufbruch. Der ganze Zirkus, Menschen, Zug- und Tragtiere, Munition und Material wurde auf dem Bahnhof Levico verladen. Die Fahrt mit unbekanntem Ziel ging zuerst nach Trient und dann nach Norden, über Franzensfeste ins Pustertal, Lienz, Leoben, Wien und nach Bruck a.d.Leitha an der Grenze gegen Ungarn. Jenseits der Leitha befand sich das im dem ungarischen Ortsteil Kyralihida liegende "Brucker Lager", ein weit ausgedehntes Areal mit vielen, massiv gebauten, sonst barackenähnlichen Unterkünften für Mensch, Tier und Material, Übungsplätzen, einem großen Schießstand und sonstigen Späßchen. Dort wurden schon vor dem Kriege Maschinengewehrschützen und MG-Abteilungen ausgebildet. Wir kamen in das "Neue Lager". In den ersten Tagen ging es uns sehr miserabel. Ein kalter Ostwind ging ununterbrochen. In den großen, zugigen Hallen mussten wir auf blankem Betonboden schlafen. Die Verpflegung war miserabel und knapp. Nach und nach wurde das Wetter wärmer und eine neue Unterkunft bot sogar Strohsäcke als besonderen Schlafkomfort. Die Ausbildung für die vorgesehene Sonderverwendung ging wieder weiter. Eine Neuheit war der "Sturmgarten" mit Schützen-graben und Sappen aller Systeme zum "Aufrollen" mit Handgranaten, Stacheldrahtverhauen zum Durchkriechen und zum Sprengen mit geballten oder gestreckten Ladungen und das Schießen mit dem MG im Gelände und auf dem Schießstand. Zum Abschluss der Ausbildung gab es eine große Übung auf dem Gaißberg unter vollständig feldmäßigen Voraussetzungen und Verwendung von ausschließlich scharfer Munition. Auf einem Feldherrnhügel waren, wie man uns sagte, Vertreter des Kriegsministeriums, der hohen Generalität und einer Kadettenschule postiert, alle aus dem nahen Wien, um sich hier einmal den Pulverdampf um die Nase wehen zu lassen.

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Inzwischen war es Mai geworden. Zu Pfingsten gab es 3 Tage Urlaub. Die Reise nach Tachau und zurück war bei den überfüllten Bahnen eine Strapaze, doch wir waren schon Kummer aller Art gewöhnt. Kurz zuvor erhielt ich von Daheim Nachricht, dass der Gickelhorn-Bäcker aus Tachau in Bruck bei einer Feldbäckerei sei und zur Zeit als Patient im Spital liege. Ich suchte den Mann auf, übermittelte dann seinen Angehörigen in Tachau Bericht und Grüße. Sie gaben mir dann ein Fresspaket für ihn mit, wobei für mich als Botenlohn auch ein sehr willkommenes Laibl Brot abfiel. Nach dem Urlaub fing es damit an, dass wir alle von Kopf bis Fuß neu feldmarschmäßig bekleidet und ausgerüstet wurden. Dann ging es wieder ab ins Feld. Mit einem langen Transportzug ging es über Wien - Salzburg - Rosenheim - Kufstein - Innsbruck - Bozen - Trient nach Levico, von wo wir zuletzt gekommen waren. In Barco wurden wir vorerst einmal untergebracht. Diesmal machte es nichts aus, dass die Häuser dieses Dorfes alle keine Türen und Fenster mehr hatten und die meisten ohne Dächer waren. Der Mai war sonnig, warm und trocken. Wir schliefen meistens im Freien oder in Zelten.

Vermutlich Kameraden mit dem Schwarzlose-HMG

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Die Junioffensive 1918 auf den Sieben Gemeinden Hier wurde nun endlich die Katze aus dem Sack gelassen. Wir erfuhren, dass eine große Offensive gegen Italien bevorstehe und dass unser Aufenthalt und die Neuausrüstung in Bruck ein Teil der Vorbereitung für dieses Unternehmen gewesen sei. Nach ca.2 Wochen ging die Sache los. Wir zogen mit Mann und Ross und Wagen durch das Valsuganatal in östlicher Richtung bis Grigno (30 km), wo wir in den Auen der Brenta Nachtlager im Freien bezogen. Unser Kompaniekommandant Oberleutnant Rosenauer aus Linz-Urfahr hatte mich bei der Abfahrt beauftragt, bei den Wagen zu bleiben, auf welchem er sein Gepäck - 2 Koffer - aufgeladen hatte, die ich im Auge behalten sollte. Ich hatte daher die Möglichkeit, unter dem Planendach des Wagens zu schlafen, was sehr angenehm war, da es in den Flussauen nachts kühl und feucht war.

Panoramabild der östlichen Hochfläche der Sieben Gemeinden - Blick nach Süden - Links das Tal der Brenta, rechts Asiago - Dicke, weiße Linie links: Anstieg von Primolano via Enego - Lazaretti - Tre Pali - Dünne, weiße Linien: Weg vom Waldlager Tre Pali zur Frenzellaschlucht, ..Kurzer Weg über die Meletta ..Langer Weg von Tre Pali über Malga de Marcesia zurück nach Lazaretti - Foza - Ranchio - Frenzella

Beim Aufbruch am nächsten Morgen wurde bekanntgegeben, dass das Tagesziel Malga de Marcesina heißt, damit unterwegs evtl. Zurückgebliebene wissen, wohin sie sollen. Wir erreichten zunächst Primolano, das genau an der damaligen österreichisch-italienischen Grenze lag. Von dort bogen wir auf einer aufsteigenden Bergstraße in südlicher Richtung ab. Ich glaube, dass es die Straße war, die auf die Hochfläche der "Sieben Gemeinden" führt. Bei der Ortschaft Enego übernachteten wir seitlich der Straße in einem Wäldchen. Auf der vorbeiführenden Straße war die ganze Nacht ununterbrochen

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Verkehr, vorwiegend Munitionswagen und Artillerie. Der Ort Enego lag bereits im Schussfeld der italienischen Artillerie. Gegen Abend des nächsten Tages wurde der Marsch fortgesetzt. Unterwegs hörte ich auf einer höher gelegenen Straßenkehre Detonationen von Artilleriegeschossen. Kurz darauf kam uns ein Paar scheu gewordener Pferde entgegen, die das Vorderteil eines Wagens hinter sich herschleppten. (Vermutlich war dies nördlich von Lazaretti auf dem Weg nach Marcesina - Tre Pali). Mein Kutscher, ein älterer tschechischer Bauernknecht, hielt sehr erschrocken sein Gespann an und erklärte entschieden, hier nicht weiterfahren zu können, weil geschossen wird. Ich musste ihm gut zureden, damit er endlich weiterfuhr. Als wir dann noch an die Stelle kamen, wo die Trümmer des getroffenen Fahrzeuges und zwei Tote am Straßenrand lagen, war er ganz deprimiert. Wenig später schlugen ca. 30 m vor uns noch einige Granaten ein. Da hieb der Kutscher auf die Pferde ein und raste davon. Ich war hinter dem Wagen hergegangen und konnte nur feststellen, dass dieser nicht auf der Straße geblieben war und einen Seitenweg eingeschlagen hatte, auf dem es eben dahin ging (vermutlich vor der Curva Rossa links weg. Dieser Weg endet später). Ich musste eine halbe Stunde laufen, bis ich zu dem Wagen kam, der stehengeblieben war, weil der Weg nicht weiterführte. Da der Weg recht schmal war, mussten wir lange manövrieren, bis das Fahrzeug endlich wieder richtig stand, damit wir die Fahrt zur Hauptstraße fortsetzen konnten. Durch diesen Zwischenfall hatten wir den Anschluss an unsere Kolonne verloren. Wir fuhren weiter bergwärts und kamen auf eine vom Mondlicht beschienene baum- und strauchlose Ebene (vermutlich Piana di Marcesina). Ein anderer Weg kreuzte unsere Straße. An einer hohen Stange liefen viele Telefondrähte zusammen und wieder auseinander. An der Stange waren eine Menge kleiner Schilder und Pfeile befestigt, die uns nicht weiter halfen, da sie nur Buchstabengruppen aufwiesen. Es waren weit und breit keine Menschen, die man fragen konnte. Wir fuhren einfach nach rechts weiter und kamen zu einem Wald mit mehreren Blockhütten. Drin schliefen Leute, von denen auch nichts wegen Malga de Marcesina zu erfahren war. Es waren lauter Ungarn. Wir fuhren in den Wald hinein und legten uns zum Schlafen nieder. Die müden, halb verhungerten Pferde spannten wir aus und banden sie an dem Wagen fest. Am nächsten Tag belebte sich das Lager und wir konnten bei einem Verpflegungslager erfahren, dass der Proviantoffizier unseres Bataillons erwartet wird. Er kam auch bald und nahm uns dann mit. Nach zwei Stunden waren wir dann wieder bei unserem Haufen, allerdings hatten wir mehr als 24 Stunden nichts gegessen. Die Truppe lag in einem großen Fichtenwald, der von Menschen, Tieren und Fahrzeugen nur so wimmelte. Die Gegend hieß "Tre Pali", was vermutlich 3 Quellen heißen sollte. Das Waldlager befand sich am Fuß des Hanges links. Da es zu regnen anfing und tagelang weiterregnete, mussten sich die Leute Unterkünfte bauen. Es war erstaunlich zu sehen, was da von den Einzelnen aus dem Nichts geschaffen wurde, Erdhöhlen, Hütten aus Fichtenästen und Stangen, größere und kleinere Zelte, Hütten aus Fichtenrinde und anderes mehr. Die Front lag ca. 10 km entfernt. Vereinzelte Artilleriegeschoße schlugen auf dem Bergkamm ein, auf dessen rückwärtigem Hang wir hausten. Nicht weit von unserem Lagerplatz war eine größere Waldwiese, die Bataillonswiese. Am Rande der Wiese, im Schutze großer Fichten standen mehrere, größere Blockhütten, in denen der Bataillonsstab untergebracht war und amtierte. An den Außenwänden hingen reihenweise Käfige mit Brieftauben. Die Taubenwärter saßen darunter auf einer Bank und beobachteten anscheinend den "Luftverkehr", um eingehende Meldungen gleich zu übernehmen. Aus den geöffneten Fenstern der Blockhütten hörte man das Rattern von Schreibmaschinen oder Fernschreibern. Auf der Wiese waren durch große, weiße Tücher Signale ausgelegt, damit die nicht zu häufigen Flugzeuge dort ihre Meldungen abwerfen konnten. So sah die Kulisse hinter einem Teil des großen Kriegstheaters aus.

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Tre Pali September 1988

Nach wenigen Tagen wurde die erste Hälfte des Bataillons zur Front in Marsch gesetzt. Zwei Tage später kamen bei Nacht und strömendem Regen zwei Männer dieses Voraustrupps zurück und meldeten, dass sie schon zwei Tage bei ununterbrochenem Regen im Freien lägen und keinerlei Verpflegung erhalten hätten. Wenn es nicht sofort etwas zum Essen gebe, kann stürmen, wer mag. Von den Leuten, die wir natürlich gleich ausfragten, erfuhren wir Folgendes: die Kampflinie, die wir angreifen sollten, verlief über den Col del Rosso. Hinter diesem Berg verlief eine wechselnd breite, tiefe Schlucht, die Frenzella-Schlucht. Hier sind primitive Unterstände, Hilfsplatz und VerwundetenSammelstelle, Kochplätze und andere Versorgungseinrichtungen. Von der Schlucht aus, die von einem Bach durchzogen ist, führen mehrere Wasserrinnen (Rachel 1, 2, 3 usw.) auf die umkämpfte Höhe.

Angriffsszenario aus der Frenzellaschlucht heraus

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Diese Racheln waren die Zugangswege zur Stellung am Berg für Menschen und Tragtiere. Sie führten ziemlich steil bergwärts und lagen unter häufigem Beschuss der ziemlich gut eingeschossenen feindlichen Artillerie. Die Schluchtwände zur Bergseite waren zum Großteil Felswände. Der Raum auf dieser Seite lag im toten Winkel. Hier war gegen Ari-Feuer einigermaßen Schutz gegeben, was aber auf der gegenüberliegenden Schluchtböschung nicht der Fall war. Es bestand daher ständig Gefahr, von den Sprengstücken und Splittern der auf der gegenüberliegenden Böschung krepierenden Granaten erwischt zu werden. Die beiden Leute, die wegen der fehlenden Verpflegung gekommen waren, wurden mit der Zusage, dass in der nächsten Nacht Verpflegung kommen wird, zu ihrer Truppe zurückgeschickt.

Fozastraße mit Col del Rosso. Zur Zeit dieser Aufnahme war das Gelände im Gegensatz zu heute nur sehr spärlich bewaldet. Die Fozastraße an den Südhängen des Monte Badenecche und des Monte Miela war in Soldatenkreisen gefürchtet. Es war der einzige Nachschubweg für die österreichischen Truppen vor den italienischen Frontbergen Col d'Echele, Col del Rosso und Monte di Valbella und ständig unter Artilleriebeschuss.

Wie wir durch unsere Offiziere aufgeklärt wurden, verlief die Sache mit dem Transport und dem Nachschub zur Front folgendermaßen: Die Straße zur Col del Rosso-Stellung verlief mehrere Kilometer an einem Berghang entlang und dann in einigen großen Serpentinen hinab ins Tal, dessen tiefster Punkt die Frenzella-Schlucht war (vermutlich die Straße über Lazaretti - Foza - Costalta nach Ronchio. Von dort aus der Abstieg in die Schlucht). Der ganze Weg war vom Col de Rosso aus vom Feinde eingesehen und im Bereich der feindlichen Artillerie. Bei Tage war daher jeder Verkehr von Fahrzeugen oder Marsch- bzw. Tragtierkolonnen unmöglich. Da die Nächte - es ging gegen Ende Juni - damals sehr kurz waren, war es häufig nicht möglich, alle Transporte in einer Nacht durchzubringen. Ein Transportoffizier mit seinem Stab hatte nun die Aufgabe, täglich die Dringlichkeit der einzelnen Güter festzustellen und die Kolonne nach der Reihe der Dringlichkeit zu formieren. Das geschah in dem großen Walde, in welchem auch die Reservetruppen lagerten. Der ganze Begleitzug stand bis zum Abend auf der durch den Wald führenden Straße, von berittenen Helfern in Ordnung gehalten. Das Zeichen zum Aufbruch gab der Offizier. Die Fahrt ging wegen des dauernden Beschusses natürlich nicht zügig und ohne Stockungen weiter. Was bei Tagesanbruch nicht auf dem Weg war, musste bis zur nächsten Nacht zurückbleiben. So ging es den Feldküchen mit der Verpflegung unserer Leute zweimal nacheinander. Auf Grund der massiven Beschwerde der Betroffenen wurden für die nächste Nacht die Feldküchen mit Dringlichkeitsstufe Eins eingestuft. Bisher war Artilleriemunition und Material am vordringlichsten, da die Offensive am 29. Juni beginnen sollte.

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Am Abend des 27.Juni wurde das zweite Halbbataillon zur Front in Marsch gesetzt. Als zusätzliche Verpflegung erhielt jeder Mann 1/4 Liter Rum (Offensivgeist). Den Trunk ergänzte ich in meiner Feldflasche noch mit der gleichen Menge schwarzen Kaffees. Davon nahm ich auf dem Marsch hin und wieder einen Schluck. Als wir dann in der Nacht in der Schlucht ankamen, war die Flasche leer und ich war in einem Zustand der Beschwingtheit, der mir alles als "wurscht" erscheinen ließ. Wir Infanteristen mussten uns auf der Straße neben und zwischen den Fahrzeugen weiterschlängeln. Jeder hatte es eilig, diesen Weg des Leidens so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. In bestimmten Abständen waren am Straßenrande in Felskavernen Pioniertrupps postiert. Sie hatten dort Stapel von Bohlen, Balken, Eisenträgern, gefüllten Sandsäcken und Werkzeug liegen. Ihre Aufgabe war es, durch Beschuss entstandene Schäden an der Straße sofort auszubessern, Fahrzeugwracks und Pferdekadaver aus dem Weg zu räumen und steckengebliebene Fahrzeuge wieder flott zu machen. Tote Pferde und Wagentrümmer wurden der Einfachheit halber über den Straßenrand die Böschung hinunter geschmissen. Der Gestank von Aas war manchmal fürchterlich. In den 2-3 Stunden, die wir für diese Strecke brauchten, krachte es in kurzen Abständen vor und hinter uns und manchmal in bedenklicher Nähe. Einigemal wurden wir vom Scheinwerferlicht erwischt. Man musste in diesem Falle mit abgewendetem Gesicht regungslos stehenbleiben, bis der Strahl weiterwanderte. Es war ein peinliches Gefühl, so in voller Beleuchtung den feindlichen Kanonieren dargeboten zu sein. Auf dem Wege ins Tal standen an einer Kehre die Trümmer eines Dorfes, durch welches der Weg führte (vermutlich Foza, möglicherweise auch Gianesini). Hier war ein großer Morast aus aufgewühltem Dreck, Mauerbrocken, kreuz und quer liegenden Balken und Brettern, durch den wir uns in dunkler Nacht durcharbeiten mussten. Es war der gefährlichste Punkt der ganzen Strecke.

Valle dei Ronchi - in der beschriebenen Straßenkehre

Endlich verlief die Straße am Rande der Schlucht entlang. Wir rutschten die kiesige Böschung in die Tiefe. Der Weg ging zwischen Felswand und Bachufer weiter. Er war stellenweise sehr schmal. Eine Menge Menschen wurlten in der Dunkelheit herum und schimpften in allen Sprachen der Monarchie. Es traten Stockungen ein und plötzlich hatte ich den Anschluss an unsere Leute verloren. Da war auf einmal eine Nische in der Felswand, da legte ich mich einfach hin, mein einziges Gepäckstück, den Brotsack mit dem flachen Essgeschirr als Kopfpolster benutzend und schlief sofort ein. Die Rumration, welche ich unterwegs ausgetrunken hatte, war ein ausgezeichnetes Schlafmittel. Als ich wieder erwachte, war es hell. Der 28. Juni war angebrochen. Gasmaske und Feldflasche, die ich neben mir abgelegt hatte, waren geklaut worden. Ich ging in der alten Richtung weiter, eignete mir unterwegs eine Gasmaske an (sehr wichtig, da öfter Gasalarm war!) und fand dann nach kurzer Zeit meine Kompagnie wieder. Sie war in einer roh aus Stangen errichteten Baracke untergebracht worden. Diese stand an der Felswand im toten Win-

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kel des Artilleriefeuers. Auf zwei am Boden und in halber Höhe angebrachten Schlafpritschen lagen die ca. 300 Mann des Halbbataillons. Für mich und einige andere Nachzügler war kein Platz mehr. Ich hockte also tagsüber in der Nähe herum und beobachtete den hektischen Betrieb. In der Nacht um 1 oder 3 Uhr, ich weiß es nicht mehr so genau, sollte die Sache ja losgehen. Ein schlagartig einsetzendes Artilleriefeuer sollte den Gegner überraschen und niederhalten. Bei Tagesanbruch war der Angriff unseres ersten Halbbataillons vorgesehen. Wir, das zweite Halbbataillon, sollten am Morgen nachrücken, das erste, vermutlich abgekämpfte Halbbataillon ablösen und den Angriff weiter vortragen. Bereitgestellte Infanterie hatte die Aufgabe, die freigekämpfte feindliche Stellung zu besetzen und evtl. den weiter vorgehenden Sturmtruppen zu folgen. So schön war das ausgedacht. Es kam aber leider anders.

Grabensysteme auf dem Col del Rosso und Monte di Valbella - Österreichisch: durchgezogene Linien - Italienisch: gepunktete Linien

Racheln auf den Col del Rosso und Monte di Valbella. Deutlich sind die Kampfgräben und Einschlagstrichter zu erkennen.

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Blick talwärts Im oberen Teil des Hintergrundes die Fozastraße

Frenzella-Schlucht gegen Ronchi. Links Unterstände

An der rechten Böschung, im Lee des italienischen Artilleriefeuers Unterstände. Auf dem Hang im Hintergrund die von den Italienern eingesehene und ständig beschossene Fozastraße.

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Links: Rachel IV mit Brunnen Unten: Hilfsplatz in der FrenzellaSchlucht nach dem Volltreffer am 29. Juni 1918

Ich suchte mir gegen Abend einen Platz, um ein paar Augen voll Schlaf zu nehmen. In der Schlucht war das vor lauter Betrieb und vielen Menschen nicht möglich. Deshalb stieg ich einige Meter in eine Rachel hinauf, krabbelte bis zur halben Höhe der Böschung und machte mir zwischen einem jungen Buchengebüsch ein Stück frei von Steinen, um mich dort zur Ruhe zu legen. Vor dem Einschlafen sah ich noch eine Weile zu, wie eine ungarische Sturmbatterie, die die zerlegten Geschütze auf Tragtiere verpackt hatte, sich abmühte, den steilen Weg in der Rachel hinaufzukommen. Die Tiere scheuten bei jedem Granateneinschlag, versuchten in die Höhe zu gehen, wurden jedoch von der Traglast niedergerissen und konnten nicht mehr aufstehen. Also musste abgepackt, das Tier beruhigt und wieder bepackt werden. Das wiederholte sich so oft, bis ich darüber einschlief. Ich hörte im Schlaf fast unbewußt9 dass sich das feindliche Artilleriefeuer verstärkte, ohne weiter darauf zu reagieren. Plötzlich wurde ich jedoch durch eine entsetzliche Detonation in unmittelbarer Nähe hochgerissen und ringsherum prasselte es von niederkommendem Gestein und Trümmern. Da mir nichts passiert war, versuchte ich weiterzuschlafen. Da hörte ich unten jemanden meinen Namen rufen. Ich lief hinunter auf den Weg und fand dort meinen Zugführer, der mit. fliegendem Atem berichtete, dass ein fürchterliches Unglück geschehen war. Eine schwere italienische Mine war auf den oberen Rand der Felswand gefallen, unter welcher die große Schlafbaracke stand,

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herunter gerollt und auf das Dach der Baracke niedergegangen. Im Inneren der Baracke krepierte das Ding und mit ihm die je 20 Handgranaten, die jeder von den 300 Mann am Abend erhalten und bei sich hatte. Die Wirkung war entsprechend. Es gab fast nur Tote.

Links: Bergungsarbeiten an der Schlafbaracke nach dem Volltreffer am 29. Juni 1918

Rechts: Nach dem Volltreffer am 29.Juni 1918

Links: Verstümmelte und verschüttete Soldaten

Ich sollte im Auftrag des Zugführers versuchen festzustellen, wer von den Leuten unseres Zuges übrig war, damit sie zu den Bergungs- und Rettungsarbeiten mit eingesetzt werden konnten. Es war jedoch zwecklos, in der Nacht und dem Menschengewimmel jemanden zu suchen. Jeder griff zu, wo er gerade stand.

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Im Schein von Fackeln sortierte man erst einmal die Toten von den Lebenden. Verletzte wurden zu dem in der Nähe befindlichen Sanitätszelt geschafft, wo die notdürftig Behandelten gleich wieder mit den zweirädrigen, mit einem Pferd bespannten, leichten Transportkarren nach rückwärts geschafft wurden. Die Toten lagen bei aufgehender Sonne in langen Reihen, wo sie nach den Erkennungsmarken identifiziert wurden. Der Rest unserer zwei Kompagnien fand sich bei Tageslicht auch wieder zusammen. Es waren 37 Mann von ca. 300 übriggeblieben. Die ganze Lage hatte sich inzwischen erheblich verändert. Der Gegner hatte von dem bevorstehenden Angriff etwas in die Nase bekommen. Später sagte man dann, die ganze Sache wäre verraten gewesen.

Sturmangriff auf dem Col del Rosso

Um ca. 23 Uhr setzte ein heftiges Trommelfeuer auf uns ein, das einige Stunden dauerte. Die vorstehend geschilderte Katastrophe spielte sich schon in diesem Trommelfeuer ab. Die letzten Transporte von Menschen und Material wurden auf dem Weg zur Bergstellung empfindlich gestört und geschädigt. Das von unserer Seite vorgesehene Trommelfeuer begann zwar pünktlich wie vorgesehen, soweit nicht einzelne Batterien inzwischen schon außer Gefecht gesetzt waren. Auch die beiden Sturmkompagnien, die schon in den Ausgangsgräben lagen, griffen planmäßig an, warfen den Gegner aus seinen Stellungen und durchbrachen mehrere Verteidigungslinien. Meine Kenntnisse über den Verlauf der ganzen Aktion stammen von den Schilderungen, die uns später die direkten Teilnehmer gaben. Diese also erzählten, dass sie die weichenden Italiener über mehrere Linien verfolgten. Da sich jedoch in ihrem Rücken noch versprengte Gruppen herumtrieben, die Infanterie, deren Aufgabe es war, solche feindliche Gruppen zu erledigen und das Gelände zu besetzen, nicht rechtzeitig nachkam, wurde die Sache brenzlig. Der Angriff kam ins Stocken. Der Gegner sammelte sich wieder und leistete organisierten Widerstand. Die Sturmtruppen, gering an Zahl, durch Verluste geschwächt, mussten die Linie wieder aufgeben, um nicht selbst in Teufels Küche zu geraten. Der Angriff hatte sich totgelaufen.

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Rachel zur Einbruchsstelle in die italienischen Kampfgräben

Unsere beiden Kompagnien, die morgens in die Stellung gehen und die beiden ersten Kompagnien ablösen sollten, waren durch das nächtliche Explosionsunglück dezimiert und nicht mehr einsatzfähig. In der Schlucht standen Hunderte von bepackten Tragtieren Seite an Seite, von denen immer wieder welche, von Granatsplittern getroffen umsanken. Der Marschbefehl für uns kam nicht. Scharen von gefangenen Italienern kamen die Racheln heruntergelaufen. Sie wurden von Feldgendarmerie auf Haufen zusammengetrieben, wo sie dann blass vor Schrecken und Aufregung lebhaft miteinander schnatterten. Einige rissen sich die Kriegsauszeichnungen von der Brust, andere halfen sich gegenseitig, ihre Verletzungen notdürftig zu verbinden. Es war Sand ins Getriebe gekommen. Wir spürten, dass die Aktion nicht wie vorgesehen ihren Lauf nahm. Ich konnte aus einem nicht für meine Ohren bestimmten Gespräch unseres Majors hören, dass er wiederholt telefonisch bei der Einsatzleitung gebeten habe, vom Einsatz der dezimierten Reste seines Bataillons abzusehen. Es hat anscheinend nichts geholfen. Am späten Nachmittag wurde Abmarsch befohlen. Der Weg führte steil eine Rachel hinauf bergwärts und lag unter ständigem Artilleriebeschuss, was ein sehr fatales Gefühl war, da man das Tempo wegen der Steigung kaum beschleunigen konnte. Von den vier Maschinengewehren unseres Zuges hatten wir noch zwei mit Bedienungsmannschaft. Eines davon trug mein Gewehrträger Zwickelhuber, ein kräftiger Bauernbursche aus Oberösterreich. Ich trug als Gewehrschütze das leichtere Hilfsgestell. Als ich auf halbem Wege sah, dass der Gewehrträger schon sehr nach Luft schnappte, wechselte ich mit ihm die Traglast. Kaum spürte der Bursche die Erleichterung, ging er auf und davon. Ich musste das Gewehr für den Rest des Weges allein schleppen. Wir erhielten unterwegs einige Treffer in unsere Reihe und hatten Ausfall von mehreren Mann und einem Maschinengewehr. Am Rande des Plateaus angekommen, fanden wir die Truppe, die wir ablösen sollten in Granattrichtern und eingefallenen Gräben hockend. Sie hatte starke Verluste erlitten und war froh, abgelöst zu werden. Einige Mann fielen noch, bis der Rest nach ca. 1 Stunde abmarschierte. Der Abmarsch war eigentlich ein wildes Rennen nach rückwärts. Bei Einbruch der Dunkelheit schlängelten wir uns einzeln hintereinander weiter nach vorne. Das Gelände war ein einziges Feld von Granattrichtern und Pfützen. Es war stockdunkel und hatte zu regnen begonnen. Wir mussten verdammt aufpassen, um den An-

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schluss nicht zu verlieren. Endlich kamen wir in ein System von fast vollständig zerschossenen Gräben, wo wir die Reste einer ungarischen Einheit ablösten. Ich denke, dass es die Sturmbatterie war, die ich am Abend zuvor gesehen hatte. In einem Graben stand noch ein Tragtier auf drei Beinen, das vierte war abgeschossen, und wartete stumm und still auf sein Ende. Der Regen hatte sich inzwischen verstärkt. Ich versuchte, mir aus einigen herumliegenden Trümmern Wellblech ein Regendach zu bauen. Es gelang nicht. Der Regen floss mir von dem Blech herunter direkt in den Hals hinein. Ein paar Schritte weiter tappend, sah ich einen fahlen Lichtschein, auf den ich zuging. Das Licht kam aus dem Eingang einer rohen Felsenkaverne, die mit Menschen vollgestopft war. Ich konnte mir noch ein Plätzchen ergattern, wo ich sitzend, mit dem Rücken an der Wand lehnend einige Augen voll Schlaf nehmen wollte. Es blieb bei der Absicht. Eine Stimme aus dem dunklen Hintergrund, wohin das Licht der einzigen Kerze nicht reichte, fragte, ob jemand vom HMG-Zug hier sei. Es war unser Oberleutnant Rosenauer. Ich meldete mich. Er rief mich zu sich, sagte dass es gut sei, dass ich da bin und fragte mich, ob ich wisse, wo das Brigadekommando sei. Ich wusste es natürlich nicht. Dann befahl er mir "Also da gehen Sie hin und melden, dass das Sturmbataillon die vorgeschriebene Stellung besetzt und den Anschluss nach rechts und links hergestellt hat. Gehen Sie sofort los und melden Sie mir den Vollzug, sobald Sie zurück sind!".

Kommandostand im vordersten Grabenbereich am Rande der Rachel IV

Einen Fluch im Munde zerbeißend ging ich ins Freie. Ein heftiges Gewitter hatte sich inzwischen entwickelt. Im Schein eines Blitzes sah ich kurz einen Trampelpfad, der im Schlamm zwischen wassergefüllten Granattrichtern verlief. Diesem folgte ich ein Stück. Da kam mir aus einem Seitenpfad ein Mann entgegengelaufen, den ich nach dem Brigadekommando fragte. Er sagte nur, wenn du laufen kannst, dann komm mit. Das Feuerwerk aus Blitzen und Granatexplosionen half mir, den Mann im Auge behalten zu können. Da stoppte er kurz, zeigte auf ein schwarzes Loch in der Grabenwand und verschwand. Das dunkle Loch war der mit einer nassen Decke verhängte Eingang zu einem Stollen, der an beiden Seiten von Leuten mit blutigen Verbänden verstellt war. Ich drängelte mich durch, einem Lichtschein entgegen und kam in eine größere Höhle, in welcher mehrere Offiziere um einen mit Landkarten bedeckten, primitiven Tisch standen. Auf die Frage, was ich wolle, sagte ich meinen Spruch auf und konnte wieder gehen. Auf dem Rückweg in Gewitter und Regen verlief ich mich und irrte vielleicht eine Stunde zwischen Granattrichtern, Grabenresten und Fetzen von Stacheldrahthindernissen umher. Ganz erschöpft und in ei-

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nem Zustand völligen Wurstseins rief ich nach kurzer Überlegung "Halloh". Da knatterte plötzlich in geringer Entfernung ein Feuerstoß aus einer italienischen Mitrailleuse. Ich ließ mich fallen und rutschte langsam über den schlammigen Rand eines Granattrichters zum Teil ins Wasser. Der Lichtfinger eines Scheinwerfers tastete die Gegend ab und verlosch wieder. Ich spielte erst einmal fünf Minuten toter Mann und überlegte. Die Richtung, aus der das Feuer und Scheinwerferlicht kamen, war bestimmt die falsche. Also musste ich entgegengesetzt gehen. Mit der gebotenen Vorsicht tat ich das und stand dann plötzlich der Mündung eines schweren Maschinengewehrs gegenüber. Aus dem Graben dahinter hörte ich das beruhigende Schnarchen der Bedienungsmannschaft. Ich trat vorsichtshalber erst einmal zur Seite des Gewehrs und rief die Leute halblaut an. Sie fuhren aus ihrem kriegsgerichtsreifem Schlafe hoch. Die erste Reaktion war der erwartete Griff zur Waffe, dann eine Frage auf Ungarisch. Einer von den Leuten sprach deutsch und konnte mir sagen, dass eine neue Einheit am Abend den links anschließenden Abschnitt der Stellung besetzt habe. Das genügte mir. Nach zwei Minuten konnte ich meinem Oberleutnant den Vollzug seines Befehls melden. Dann fragte er, wie viele MG wir noch haben und wie viele Leute von uns noch da seien. Gewehr war noch eines da, die Zahl der Leute musste ich erst feststellen. Sein Auftrag lautete, das Gewehr in Feuerstellung zu bringen, mit dem Rest der Leute einen Postendienst zu organisieren und mich mit den Leuten nach Aufstellung des ersten Postens in der Nähe zur Ruhe zu begeben. Ich fand in der Finsternis nur vier von den Männern. Wir stellten das Gewehr auf den Grabenrand und setzten uns alle fünf dahinter, um den anbrechenden Tag zu erwarten. Das anhaltende Artilleriefeuer, das bald vor, bald hinter uns einschlug, war kein Grund, mich daran zu hindern, dass ich auf einmal davon erwachte, als die warme Morgensonne mir ins Gesicht schien. Ich fand mich in einem Winkel des Grabens halb sitzend, bis zur Hüfte eingeschüttet mit Dreck und Gestein, so warm und wohlig ausgeschlafen, wie schon lange nicht. Von Gewitter keine Spur mehr, der Himmel war leuchtend blau. Meine Leute schliefen alle noch. Auch die feindlichen Kanoniere schliefen anscheinend noch. Alles war friedlich und ruhig. Ich weckte meine Leute und ging zu meinem Oberleutnant, um zu melden, dass nichts Besonderes vorgefallen sei. Er lobte mich dafür, dass ich noch auf der Welt sei und dankte für meine Verlässlichkeit und Umsicht. Einige Wochen später erhielt ich dann die bronzene Tapferkeitsmedaille und wurde zum Gefreiten befördert. Ich habe die Medaille heute noch. Der Bruder dieses Oberleutnants, der noch Fähnrich und auch bei unserem Zug war, laborierte damals schon an einem eitrigen Zeigefinger. Er ging mit diesem Verband an der Hand mit in den Einsatz. Als wir am 29. Juni in heftigem Geschützfeuer durch die Rachel hinauf auf den Berg hetzten, kam er mit anderen Verletzten talwärts gelaufen. Ich rief ihm zu, ob er verwundet sei. Er zeigte mit seiner gesunden Hand auf den Verband und rief "Mein Finger!". Wie ich später erfuhr, bekam er die große, silberne Tapferkeitsmedaille. Ich habe ihn seitdem nicht mehr gesehen. Wir wurden im Lauf des Vormittags in einem teilweise verfallenen Erdbunker hinter der Stellung gesammelt, wo wir auch einige Stunden schlafen konnten. Nachmittags zogen wir durch die Rachel in die Schlucht hinunter und marschierten dann bei Einbruch der Dunkelheit den Weg zurück in unser Waldlager, aus dem wir gekommen waren. Der Artilleriebeschuss war diesmal nur mäßig. In dem Lager wurden wir einige Tage unbehelligt gelassen. Wir hörten jedoch, dass die Schießerei an der Front von Tag zu Tag zunahm. Zu Fuß von dort zurückkommende Verwundete erzählten, dass der Gegner täglich Gegenangriffe mache und die Lage schon brenzlig werde. Unsere Linien seien schon sehr schütter, eine zur Ablösung erwartete neue Division lasse mit der Ankunft auf sich warten. Uns schwante nichts Gutes. Tatsächlich wurden wir - ich glaube, es war am 5. Juli - alarmiert

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und ca. eine Stunde später wieder in Richtung Front in Marsch gesetzt. Es war noch heller Tag. Die erste Hälfte des Marsches ging diesmal nicht auf der Straße, sondern über den Bergrücken, der Melleta di Gallio. Dadurch war der Weg erheblich kürzer, allerdings auch anstrengender. Gegen Abend kamen wir in der uns nun schon bekannten Frenzella-Schlucht an, wo wir uns auf der hier so zerschundenen Mutter Erde zur Ruhe legen konnten. Am Vormittag verstärkte sich dann das Geschützfeuer auf beiden Seiten und mittags - es sollte gerade das Essen ausgegeben werden - gab es wieder Alarm. Wir wurden ohne weitere Verzögerung im Eiltempo den Berg hinaufgetrieben, kamen jedoch nicht bis in die vorderste Linie. Auf einem mit Gebüsch bewachsenen Abhang konnten wir uns erst einmal niederlassen. Da nichts weiterging, richteten wir uns zum Schlafen ein.

Schlafende Soldaten in der Frenzella-Schlucht

Wach wurde ich durch den Ruf "Kaffee holen!" Ich lief mit meinem Essgeschirr zur Ausgabestelle und merkte erst dort, dass durch einen Granatsplitter der Deckel und der Boden des Geschirrs durchschlagen war. Das Geschirr hatte ich in meinem Brotbeutel aufbewahrt und wie gewohnt als Kopfpolster benutzt. Wahrscheinlich war ich im Schlaf von diesem Kissen abgerutscht und auf diese Weise noch einmal davongekommen. Als ich mich mit den Kameraden darüber unterhielt, erfuhr ich erst nachträglich, dass wir in der Nähe unseres Schlafplatzes nachts heftigen Beschuss hatten und eine Anzahl unserer Leute verwundet abtransportiert werden mussten. Wir waren wirklich nur mehr ein kleines Häufchen. Ohne weiter eingesetzt zu werden, zogen wir nachmittags wieder ab in die Schlucht und am Abend zurück in unser Waldlager. Ich habe vorstehend diese Tage des Kampfes um den Col de Rosso etwas eingehender beschrieben, um das Geschehen aus der Froschperspektive des einfachen Soldaten zu veranschaulichen. Dabei hatten wir nicht einmal Gelegenheit, gehabt, das "Weiße im Auge des Gegners" zu sehen. Im Zeitalter der fortschreitenden Mechanisierung des Krieges ist das sowieso nur äußerst selten der Fall.

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Monte di Valbella am Costalunga-Rücken im Jahr 1918, Riegelstellung

Monte di Valbella Vom Artilleriefeuer zertrommeltes Niemandsland im Jahr 2010

Frenzella-Schlucht von Costalta aus gesehen Unten im Tal der Platz der Schlafbaracke, links am Hang die Racheln zum Col del Rosso. September 1988

Frenzella-Schlucht links im Vordergrund der Platz der Schlafbaracke. Vergleiche hierzu Seite 41 mittleres Foto September 1988

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Das bittere Ende - November 1918 Nach kurzer Ruhezeit wurden wir endgültig aus dieser ungastlichen Gegend abgezogen und marschierten zurück bis Primolano, wo wir übernachteten. Am nächsten Tag ging unser Weg im Val Sugana aufwärts bis Grigno und von dort nach Norden über die Bergstraße nach Castello Tesino, wo wir im Morgengrauen ankamen und ca. 1 km außerhalb des Ortes in einem halbverfallenen Barackenlager untergebracht wurden. Dort schliefen wir uns endlich einmal ordentlich aus und brachten unseren äußeren und inneren Menschen notdürftig in Ordnung.

Castello Tesino nördlich Grigno im Val Sugana

Die Pferdewärter mussten die Wiesen mähen und Heu machen, damit die fast verhungerten Tiere für die nächsten Tage etwas zum Fressen hatten. An den Leuten wurde versucht, die sehr gelockerte Disziplin wieder zu straffen und durch kleine Übungen und Exerzieren aus der "Räuberbande" wieder Soldaten zu machen. Wegen der großen Hitze und der kaum verhüllten inneren Abneigung war diesen Bemühungen nur ein geringer Erfolg beschieden. Die Sache dauerte jedoch kaum eine Woche, dann ging es wieder weiter und zwar weiter talaufwärts bis Borgo im Val Sugana. Die Hitze war mörderisch. Wir kamen am Abend an und wurden in Privathäusern auf den Dachböden untergebracht. Dort war direkt unter den tagsüber von der Sonne aufgeheizten Dachziegeln eine Backofenhitze und Staub und Dreck von Jahrhunderten. Ich verzog mich daher in den hinter dem Haus liegenden Weingarten. Dort nahm ich in einem durchfließenden Bächlein ein erfrischendes Bad und bereitete mir ein Nachtlager. Kaum hatte ich mich hingestreckt, war Alarm im Ort und sofortiger Abmarsch befohlen. Es ging jedoch nur bis zum Bahnhof. Da es länger dauerte, bis der Tross verladen war, schliefen wir inzwischen am Bahndamm. Dann klappte es doch noch. Wir kletterten in die Güterwagen des Zuges und ab ging's mit unbekanntem Ziel. Früh waren wir in der Gegend von Trient und mittags hielt der Zug in Neumarkt bei Bozen. Dort wurden wir ausgeladen. Erst gab es noch Mittagessen, das die Feldküchen während der Fahrt auf den offenen Loren gekocht hatten. Beim Öffnen der Kessel konnte man auf 100 m riechen, dass das Fleisch in der Hitze verdorben war. Wir mussten die stinkende Suppe wegschütten und kauten mit Widerwillen an dem grün und blau schillernden Stückchen Fleisch. Dann zogen wir ca. 1 Stunde auf steilem Fußweg hinauf in das am Hange liegende Dorf Pinzon. Dort wurden wir bei deutschen Bauern in sauberen Häusern untergebracht. Nachdem wir und die Führung uns eingerichtet hatten, begann der übliche Trott: Sturmgarten bauen, Schießstand einrichten, üben, exerzieren usw.

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Eines nachts machten die italienischen Flieger einen Bombenangriff, vermutlich auf Bozen. Die Bomben fielen jedoch auf einen Berghang, der über das Etschtal hinweg unserem Standort gegenüber lag. Dort brannte dann einige Tage das Gebüsch. Zum Schluss mussten wir auch noch ausrücken, um die am Brandort schon einige Tage tätigen Truppen abzulösen. Bis wir richtig an Ort und Stelle waren, war der Brand jedoch schon fast erloschen und wir konnten am nächsten Tag wieder abrücken. Am 17. August 1918 wurde der Geburtstag des neuen Kaisers Karl I. "gefeiert". Unser Zug erhielt ein Fassl mit 25 Litern Pilsner Bier. Der Strafzug musste das Fassl, mit Draht an eine Tragestange gebunden, in glühender Mittagssonne ca. l Stunde, den Berg herauf tragen. Wir erhielten unsere Ration in der fettigen Menageschale. Es schmeckte lauwarm und scheußlich. Auße rdem bekam jeder Mann eine Gratislöhnung von 10 Hellern. Der Zugführer musste eine lange Liste anfertigen, auf welcher jeder Mann den Empfang dieses großherzigen Geschenkes mit Unterschrift bestätigen musste. Abgesehen davon, dass es überhaupt nichts zu kaufen gab, war der Betrag für sich ein Hohn. Ein Wecken Brot, wenn überhaupt erhältlich, kostete im Schwarzhandel 12-15 Kronen. Wir zweifelten ernstlich daran, ob unsere höheren Dienststellen, die solchen Unsinn ausheckten, tatsächlich noch Hirn im Kopf hatten. Tröstlicher wirkte die Nachricht, dass es Fronturlaub geben wird. Ich konnte auch tatsächlich Ende August auf 14 Tage plus 2 Reisetage nach Hause fahren. Die Reise war sehr beschwerlich und schien mir endlos lange zu dauern. Als Marschverpflegung für die Hin- und Rückreise erhielten wir zwei Wecken Brot, zum Großteil aus Maismehl gebacken. Vom Kauen des trockenen Brotes wurde mir das Zahnfleisch wund, sodass ich zum Schluss nichts mehr davon essen konnte. Daheim war es sehr triste. Die Lebensmittel waren sehr knapp, meine Kameraden waren nicht da, die Stimmung in der Bevölkerung war gedrückt, die Leute hatten den Krieg satt. Nach Ablauf des Urlaubes musste ich mich auf der Personal-Sammelstelle Bozen melden. Dort sah ich u.a. einen streng bewachten Haufen von vollständig heruntergekommenen Deserteuren, die von der Polizei im Hinterland, hauptsächlich in den Großstädten, zusammengefangen wurden und wieder an die Front gebracht werden sollten. Diese Menschen wurden mit der wahrscheinlich notwendigen Strenge und Rohheit behandelt. Ich begann bei diesem Anblick zu ahnen, was der Krieg für ein Ende nehmen wird. Von Bozen schickte man mich zur Sammelstelle Trient und von dort nach Aldeno, wohin unsere Truppe inzwischen verlegt worden war. Von dort ging der ganze Haufen kurz darauf nach Trient in die Pionierkaserne, wo wir einem neu aufgestellten Inf.Rgt. Nr. 4 zugeteilt wurden. Das Sturmbataillon der Edelweißdivision war anscheinend aufgelöst worden. Bei strömendem Herbstregen marschierten wir dann über Vigolo Vattaro (Übernachtung in patschnasser Kleidung auf dem Steinboden einer stillgelegten Textilfabrik) bergwärts bis Carbonare, wo wir zum zweiten Male in einem mit Schlafstellen ausgestatteten Erdstollen nächtigten. Am nächsten Morgen blies ein kalter Wind. Die Berge ringsum glänzten im Neuschnee. Der Marsch ging dann weiter über San Sebastiano nach Folgaria, wo wir einige Kilometer südlich des Ortes in einem Barackenlager im Walde vorläufig Halt machten. Dort sollte unsere Ausrüstung für den bevorstehenden 5. Winterfeldzug ergänzt werden. Es war aber nicht viel von Ausrüstung da. Ein General, der anscheinend den Zustand der Truppe überprüfen sollte, war mit dem Ergebnis seiner Inspektion, wie wir aus seinen Bemerkungen hörten, nicht zufrieden. Wir bekamen auch Ersatz an Mannschaft. Es waren ausnahmslos Ruthenen, ein Volksstamm, der im östlichsten Teil der Monarchie hauste. Die meist älteren, sehr primitiven Menschen konnten nicht lesen oder schreiben und sprachen kein Wort Deutsch. Da sie Slawen waren, konnte ich mit ihnen durch

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meine teilweisen Kenntnisse der tschechischen Sprache einen behelfsmäßigen Kontakt herstellen. Dafür hatte ich sie dann mit ihren Wünschen und Anliegen ständig auf dem Hals. Es waren lauter arme Hunde. Am 9. Oktober 1918 starb daheim meine älteste Schwester Maria im Verlauf einer auf der ganzen Erde aufgetretenen, schweren Grippeepidemie. Ich erhielt am Abend des 9. oder 10. Oktober telegrafisch die Todesnachricht. Ich bekam sofort vom Kompagnie-Kommandanten 8 Tage Urlaub zur "Regelung von Erbschaftsangelegenheiten" und den Urlaubsschein .

Etwa 10 Millionen Soldaten und schätzungsweise sieben Millionen Zivilisten kamen im Ersten Weltkrieg um. Wesentlich mehr Todesopfer forderte die 1918 bis 1920 weltweit wütende Pandemie, welche als "Spanische Grippe" bezeichnet wurde. Mindestens 25 Millionen, möglicherweise sogar mehr als 50 Millionen von etwa 500 Millionen Erkrankten starben an dieser überaus aggressiven Art der Humaninfluenza.

Da der nächste Urlaubszug um Mitternacht von Calliano im Etschtal abging, konnte ich ihn nicht mehr benutzen. Den kürzesten Fußweg, der in einer steilen, felsigen Wasserrinne zu Tal führte, zu benützen, wäre in der Dunkelheit ein Risiko für Knochen und Kragen gewesen. Ich musste also den nächsten Tag abwarten und konnte dann erst wieder um Mitternacht den Zug besteigen. Als ich daheim ankam, war meine Schwester schon beerdigt. Ich hatte jedoch in den nächsten Tagen Gelegenheit, noch mehrmals an der Beisetzung anderer Bekannter teilzunehmen, welche ebenfalls der heimtückischen Krankheit, die man "Spanische Grippe" nannte, erlegen waren. Einer davon, Leutnant Anton Reith, im Zivilberuf Lehrer, ist mir noch erinnerlich. Mein Urlaub war am 18. Oktober 1918 abgelaufen. Da jedoch am 20. Oktober der Kirchweihsonntag war, riskierte ich es, zwei Tage länger zu bleiben, um an der von Muttern auf irgendeine Weise hergezauberten, bescheidenen Kirchweihmahlzeit teilnehmen zu können. Vor meiner Abreise erfolgte noch eine amtliche Bekanntmachung des Inhalts, dass alle Urlaube, die am 20. Oktober oder später enden, vorläufig verlängert sind, bis weitere Verlautbarungen erfolgen. Das traf allerdings für meinen Fall nicht zu. Schweren Herzens reiste ich Sonntag abends ab. Im Zug traf ich noch einen Leidensgenossen, den Bäckermeister Kanzler aus Tachau. Im Gespräch mit ihm stellten wir fest, dass sein Urlaub am 20. Oktober endet und somit verlängert war und er ließ sich beim Bahnbeamten bestätigen, dass meine Information richtig sei. Er schenkte mir aus Freude darüber eine Schachtel voll schöner Kirchweihkuchen und brach seine Reise ab. Da immer mehr Reisende, vom Schaffner aufgeklärt, den Zug verließen und niemand mehr zustieg, kam der Schaffner in das sonst leere Abteil zu mir und sagte "Wegen Ihnen können wir den leeren Zug nicht bis Trient führen. Steigen's aus und fahren's mit dem nächsten fahrplanmäßigen Zug weiter". So geschah es.

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In Trient angekommen, musste ich wie alle reisenden Soldaten auf die Personalsammelstelle und wurde nach Calliano-Folgaria "weiterinstradiert". Bis Calliano konnte ich noch den Zug benutzen. Dort standen einige Lastautos, von welchen eines mich und noch einige Männer nach Folgaria mitzunehmen bereit war. Die Fahrt war sehr abenteuerlich. Der Fahrer hatte eine große Flasche Rum hinter sich stehen, die er in kurzen Intervallen an den Mund führte. Seine Fahrt war entsprechend saumäßig; auf der kurvenreichen Bergstrecke fuhr er in Dunkelheit ohne Licht (lt. Vorschrift) durch Felsentunnels, an Abgründen oder Felswänden hart vorbei, einige Male rückwärtsfahrend, um an Engstellen entgegenkommende Fahrzeuge passieren zu lassen. Wir waren heilfroh, als wir nach ca. zweistündiger Fahrt das Ziel erreicht hatten und aussteigen konnten. Den restlichen Teil des Weges lief ich durch die Nacht zu Fuß. In der Baracke des Lagers fand ich die bei meiner Abreise gerammelt volle Bude halb leer. Auf meine Frage, wo denn die Leute seien, erfuhr ich, dass sie wegen "Spanischer Grippe" im Spital seien. Ich ging in die Schreibstube, um mich zurückzumelden. Ein müder Gefreiter empfing mich und sagte mir, dass Zugführer, Feldwebel, Kompagniechef und noch einige Leute des Stabes alle wegen Grippe im Spital sind. Er fragte mich, warum ich überhaupt wieder gekommen sei, kein Mensch habe mich mehr erwartet. Da hatte ich also den Salat! Wär' ich geblieben doch! In der Baracke erfuhr ich dann, dass für den nächsten Tag Abmarsch befohlen sei. Das M.G.Material, wobei sich auch mein Tornister mit meinen Habseligkeiten befand, war schon zum Weitertransport zur Seilbahnstation nach Folgaria gebracht worden. Am nächsten Morgen zogen wir also wieder los über Folgaria - San Sebastiano - Carbonare und die Bergstraße talwärts bis Levico. Dort wurden wir in Privathäusern einquartiert. Nach kaum einer Stunde wurde wieder Alarm zum Abmarsch gegeben. Es ging jedoch nur bis zum Bahnhof, wo wir einwaggoniert wurden und in die Nacht hinein losfuhren, Richtung frontwärts. Wir merkten an dem Verkehr, dass dort etwas los sein musste. Bald begegneten wir auf der Strecke Zügen mit Güterwagen, die gestopft voll mit größtenteils nur notdürftig versorgten Verwundeten waren. Bei vorübergehenden Aufenthalten auf Zwischenstationen erfuhren wir in Gesprächen von Zug zu Zug, dass die Italiener eine Offensive gestartet hatten und dass die Lage brenzlig sei. Die Leute riefen uns zum Abschied noch zu: "Freuen braucht ihr euch auf Nichts!" und "Ihr werdet das Vaterland auch nicht mehr retten!". Gegen Mittag wurden wir in Grigno ausgeladen. Beim Bahnhof war die Endstation einer Drahtseilbahn, die in speziell für den Verwundetentransport eingerichteten Gondeln ununterbrochen Tragbahren mit Verwundeten in ein großes Lazarett ablieferte. In der Nähe waren noch weitere Spitalsbaracken im Bau. Dort wurden wir untergebracht mit der strengen Weisung, uns nicht bei Tageslicht im Freien zu zeigen, da häufig feindliche Flugzeuge aufkreuzten. Mit dem Schlafen wurde es jedoch nichts. Wir wurden bald wieder aufgestöbert, in Lastautos verladen und auf der Bergstraße nach Castell Tesino und weiter nach Fonzaso gebracht. Es war noch nicht spät am Abend, als mitgeteilt wurde, dass die Möglichkeit bestehe, in die Kirche oder ins Kino zu gehen. Ich für meinen Teil beschloss, auf dem Fußboden des Quartiers ein paar Augen voll Schlaf zu nehmen. Doch war bald wieder Alarm. Boten wurden ausgeschickt in Kirche und Kino und Gasthäuser. Nach kurzer Zeit standen wir wieder marschbereit auf der Straße. Vor dem Abmarsch wurde mitgeteilt, der Marsch erfolge als Gefechtsmarsch, also mit Vorhut, Seitenhuten und Nachhut gesichert und jederzeitiger Gefechtsbereitschaft. Die einzelnen Sicherungstrupps wurden eingeteilt und belehrt und los ging es hinein in die Nacht.

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Die veränderte Lage wurde eifrig diskutiert und die verschiedensten Mutmaßungen aufgestellt. Es lag bestimmt etwas in der Luft. Beim Nachdenken fiel mir ein, dass es der 28. Oktober war, woran ich mich später wieder erinnerte, als ich hörte, die Tschechen hätten an diesem Tag 1918 revoltiert und ihre eigene Republik ausgerufen. In dieser Nacht passierte jedoch weiter nichts. Wir kamen nach einem 10 km-Marsch in Feltre an, wurden mitten in der Nacht auf dem dreckigen Dachboden eines größeren Hauses untergebracht und konnten dort noch einige Stunden schlafen. Am nächsten Vormittag ging es in normalem Marsch weiter, die Berge blieben hinter uns und nach ca. 5 km Weg kamen wir in das Dorf Busche, das an dem Fluss Piave liegt. Eine schon mehrmals gesprengte und behelfsmäßig wieder aufgebaute Brücke überquerte den Fluss. Wir hielten uns dort tagsüber auf, sahen nachmittags, dass über einen im Süden liegenden Hang in ca. 5 km Entfernung ein Trupp Italiener herunterlief und aus den Fenstern der am Hang liegenden Einzelhäuser schoss und Handgranaten warf. Eine auf der Straße fahrende bespannte Batterie protzte ab und feuerte aus einem Geschütz einige Schüsse in der Feindrichtung ab. Die Bevölkerung lief unter lautem "O dio mio!"-Geschrei in die Keller. Dann war wieder Ruhe. Gegen Abend fuhr auf der Bahnlinie Feltre-Belluno, die der Straße entlang lief, ein Zug vorbei, der mit Pontons und Pioniermaterial sehr ungeordnet beladen war. Obenauf hockten eine Anzahl Leute der verschiedensten Waffengattungen. Das Ganze sah sehr nach ungeordnetem Rückzug aus. In der Nacht quartierten wir uns in einem an der Straße liegenden Hause ein. Durch das Geräusch schwerer Zugmaschinen geweckt, schaute ich aus dem Fenster des ersten Stockwerkes und sah, dass die ganze Straße voller Fahrzeuge aller Art war, welche nur sehr langsam vorwärts kamen. Früh, bei Tageslicht war dann festzustellen, dass auf weite Sicht die Straße mit wirr ineinander gefahrenen Gespannen vollständig blockiert war. Also wilde Flucht! Wir marschierten auch einmal über die Brücke ein Stück gegen Süden, kehrten jedoch bald wieder zurück und lungerten untätig herum. Verpflegung suchten wir uns bei Einheimischen, die zum Großteil nur Bohnen hatten, an denen wir stundenlang herum kochen mussten. Bei Einbruch der Dunkelheit wurden sechs Mann - ich war auch dabei - von Oberleutnant Pollak beordert, mit ihm vor das Dorf hinauszugehen, um eine dort stehende Feldwache einzuholen. Wir gingen ca. 1 km über die Brücke und dann durch zu beiden Seiten des Weges schweigend im Dunkel liegende Weingärten. Von der Feldwache keine Spur! Wir riefen halblaut "Hallo!", ohne Erfolg! Nach längerem Warten gab der Oberleutnant noch fünf Minuten zu. Er sagte, wir müssen schnell zurück, die Brücke wird gesprengt. Gerade als wir abrücken wollten, hörten wir Geräusch von Schritten und Klappern. Höchste Spannung! Sind es unsere Leute oder Italiener? Wir gingen nach beiden Seiten in Deckung und riefen die Näherkommenden an. Es waren Unsere! Nun ging es im Laufschritt zurück. Als der letzte Mann auf der Brücke war, schloss der Offizier die beiden Flügel des dort befindlichen eisernen Gittertores, legte eine Kette herum, die er mit einem Vorhängeschloss sicherte und spornte uns zu größter Eile an. Am anderen Ende der Brücke saßen Pioniere und riefen uns "Schnell, schnell!" zu. Wir liefen noch bis zur nächsten Straßenkreuzung und suchten in den Häusern Deckung. Kurz darauf e rhellte ein Explosionsblitz die Nacht, heftiges Donnern erfüllte die Luft und in der ganzen Umgebung prasselten Trümmer, Steine und Balken auf Gärten und Häuser nieder. Das war am 31. Oktober 1918. Kurze Zeit später marschierten wir ab nach San Giustina. Dort quartierten wir uns im Pfarrhaus ein und schliefen bis früh. Nächsten Tag schaute ich mich etwas im Orte um. Da war in der Schule ein Feldspital eingerichtet. Das Pflegepersonal und die gehfähigen Patienten waren an-

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scheinend schon weggelaufen. Die Schwerkranken lagen ohne jede Betreuung in den Betten. Im Flur lagen einige in Leintücher gehüllte Leichen. Frauen aus der Zivilbevölkerung schlichen im Hause herum, zogen die Bettlaken von den Toten weg und nahmen sie und was sonst noch brauchbar schien, mit. Durch den Ort zogen Haufen von Soldaten, die grün-weiß-rote (Ungarn) oder rot-weiß-blaue (Tschechen) Bänder auf der Brust trugen. Anscheinend löste sich die österreichisch-ungarische Armee bereits in ihre Bestandteile auf. Manche hatten ihre Ausrüstung und allerhand Beutegut auf Handwägen oder auch Kinderwägen geladen, um es leichter transportieren zu können. Unser Kommandant ließ bei einem Bauern eine Kuh requirieren, die gleich geschlachtet wurde. Die Köche heizten die mitgeführte Feldküche an und bereiteten nach vielen Tagen wieder eine Mahlzeit für uns. Es dauerte jedoch bis nachmittags, bis wir zum Essen kamen. Kaum hatten wir die Sache hinter uns, sprengte ein berittener Bote ins Dorf, fragte nach dem Kommandanten und meldete, dass die Italiener den Piave überschritten hätten und im Anmarsch sind. Es gab Alarm und kurz darauf Abmarsch, der diesmal ziemlich formlos und ohne Ausrichten, Abzählen und Meldung erfolgte.

Chaos des Rückzuges Tschechische Legionäre auf der Heimfahrt

Chaos des Rückzuges 2. November 1918. Einer der letzten Züge aus Trient nach Norden.

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Es ging erst ein Stück Richtung Belluno dann bogen wir in nördlicher Richtung in das Tal des Cordevole ein. Als es dunkel war, bezogen wir Nachtquartier auf freiem Felde. Wir hatten nur e ine Decke; vor Kälte konnten wir kaum schlafen. Bei Tagesanbruch brauchte nicht geweckt zu werden. Alles war schon auf den Beinen, klapperte mit den Zähnen und sprang auf und nieder, um sich zu erwärmen. Einer rettete die Situation indem er rief "Wir haben ja heute alle Namenstag!". Auf die Frage, wieso, erklärte er: "Es ist ja Armerseelentag!". Es war der 2. November 1918. Wir marschierten dann in Etappen über Agordo - Cencenighe - Alleghe - Caprile - Passo di Giau nach Cortina d'Ampezzo. Unterwegs übernachteten wir in Heustadeln, Schulen, Bauernhäusern usw. Das letzte Stück über den Pass vor Cortina war das Anstrengendste (Passo di Ghiau). Wir hatten außer unserem Gepäck noch am Maschinengewehr zu tragen und es war sehr schwierig, dafür zu sorgen, dass der jeweilige Träger nach einer gewissen Zeit wieder abgelöst wurde. Ein zweirädriger Karren, den wir im Straßengraben fanden, erleichterte dann die Sache etwas. Das Vehikel hatte allerdings auch seine Mucken, denn die beiden Räder waren ungleich groß. Der Karren hatte dauernd die Absicht, seitlich auszuscheren. Wir waren auch alle körperlich sehr erschöpft, da es tagelang keine Verpflegung gab. Wovon wir eigentlich lebten, ist mir heute rätselhaft. Einmal, ich glaube es war der 4. November, machten wir vormittags kurze Rast in einem Dorf. Da gab uns ein Offizier bekannt, dass mit Italien ein Waffenstillstand abgeschlossen wurde und damit der Krieg praktisch aus ist. Wir waren alle jedoch schon so apathisch, dass die Reaktion auf diese Nachricht sehr schwach war. Ein Anze ichen für das Kriegsende war zunächst, dass uns auf dem Südhang der Dolomiten Trupps von italienischen Kriegsgefangenen entgegenkamen, die es sehr eilig hatten, zu Fuß nach Hause zu kommen. Sie schnitten alle Windungen der Straße ab und schlitterten über die Abhänge zu Tal. Andere schnitten sich aus den am Wegrand verendeten Trag- oder Zugtieren Fleischfetzen heraus und schmorten sie am offenen Feuer. Beim Einmarsch in Cortina sahen wir massenhaft Zivilisten, die in Körben, Säcken und Schubkarren Mehl transportierten. Nach Einquartierung im Saal eines Hotels wurde mitgeteilt, dass die Bevölkerung im Begriff sei, eine große Feldbäckerei zu plündern. Eine starke Wache mit einem Maschinengewehr wurde sofort zusammengestellt und zur Bäckerei geschickt. Dann kam der Feldwebel und forderte alle die von Beruf Bäcker waren auf, sich sofort zu melden. Das war etwas schwierig, weil wir alle todmüde waren. Anscheinend kam doch etwas zustande. Als wir am nächsten Abend abmarschbereit auf der Straße standen, ging es nicht weiter, weil wir auf das Brot warten mussten. Nach zwei Stunden wurde es gebracht. Wir erhielten pro Kopf zwei Wecken, die noch so heiß waren, dass man sie kaum anfassen konnte. Dann ging es weiter in der Nacht. Nach 18 km kamen wir im ersten Morgengrauen in Schluderbach an und machten eine längere Rast. Da es sehr kalt war, zündeten wir große Lagerfeuer an, die von den Einzäunungen und Heustadeln der nächsten Umgebung genährt wurden. Nach längerer Rast schleppten wir uns die 13 km bis Toblach mühsam und unausgeschlafen weiter. Wir bewegten uns übrigens seit Cortina auf vorläufig noch österreichischem Territorium. Gegen 14 Uhr kamen wir am Ortsrande von Toblach an und konnten uns auf einer Wiese entlang der Straße zur kurzen Ruhe niederlassen. Da sahen wir, dass auf der unseren Weg kreuzenden Pustertalstraße eine Kolonne marschierender Soldaten kommt, die wir bald als Italiener erkannten. Sie waren anscheinend im Etsch- und Eisacktal mit Lastautos nordwärts bis Franzensfeste gefahren und kamen uns nun im Pustertal entgegen. Unsere Offiziere rieten uns, mit den Leuten

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keine Zwischenfälle zu provozieren. Sie gingen auch an uns stumm vorüber. Dies war die letzte Begegnung mit dem "Feind". Man führte uns in den Ort. In einem leer stehenden Haus legten wir uns gleich auf den Fußb oden, um etwas Schlaf nachzuholen. Das dauerte jedoch nicht lange. Wir wurden noch am Abend geweckt, um sofort weiter zu wandern. Ich verspürte ein hefiges Fieber mit Schüttelfrost und hatte schon Angst, allein liegen bleiben zu müssen. Kein Mensch wäre mir da beigestanden. Doch während dieses Nachtmarsches verging das Fieber wieder. Die Strecke Toblach - Lienz (ca. 52 km) war nochmals eine gewaltige Anstrengung. Wir machten einmal in der Nacht eine Rast von ca. 2 Stunden auf einer Wiese. Es war jedoch viel zu kalt, um schlafen oder sich auch nur hinlegen zu können. Wir rissen die Umzäunungen der Grundstücke ab und machten Feuer davon, um uns etwas zu erwärmen. Im Laufe des nächsten Tages kamen wir in einem Dorf ca. 1 km vor Lienz an und verkrochen uns in einem Heustadel zum Schlafen. Am nächsten Morgen sah ich mich etwas im Dorfe um und folgte dann den Bauern, die in die Kirche zur Frühmesse gingen. Ich blieb zur Messe und dankte Gott dafür, dass bisher alles gut gegangen war. Bald darauf hieß es, dass wir unverzüglich auf dem Bahnhof in Lienz sein müssten, um einen Zug in die Heimat zu erreichen. Die ca. 1 km Strecke bis zum Bahnhof legten wir fast im Laufschritt zurück. Kurz vor dem Ort standen Männer in Uniform mit Armbinden. Sie gehörten zu einer rasch entstandenen Heimwehr, die den Ordnungsdienst übernommen hatte. Das war wohl sehr notwe ndig, da sich hier an der ersten Bahnstation mit funktionierendem Bahnverkehr Tausende von Soldaten ansammelten und warten mussten, bis sie einen Zug erwischten. Es waren zum größten Teil Leute, die von ihrer Truppe einfach davongelaufen waren, Hunger hatten und zu allem entschlossen waren, um sich durchzusetzen und zu überleben. Alle Bande von Ruhe und Ordnung waren gesprengt. Diese Heimwehrleute standen also an der Straße, nahmen den dauernd Zuströmenden die Waffen ab und warfen diese auf einen schon beachtlich großen Haufen rechts der Straße. Alle Handwägen, Schubkarren und sonstigen Kleinfahrzeuge wurden konfisziert und links der Straße auf einem nicht minder großen Haufen gesammelt. Es war ein Sammelsurium von Vehikeln, welches eines Studiums wert gewesen wäre. Da wir eine geschlossene Einheit mit regelrechter Führung waren, konnten wir mit unseren Waffen passieren. Was uns betraf, hätten wir diese lieber auch abgegeben. Doch unsere Offiziere waren der Meinung, man wisse noch gar nicht, wie es im Hinterland aussehe und zugehe. Auf dem Bahnhof angekommen, stellte sich heraus, dass die Sache mit dem Transportzug für uns so eilig gar nicht gewesen wäre. Wir lagerten uns daher möglichst auf einem Haufen beisammen unter Tausenden anderer "Reiselustiger". Zum Glück war das Wetter sonnig und warm. Einige im Laufe des Tages einfahrende Leerzüge wurden noch während der Einfahrt von der wilden Menge gestürmt. Es sah fast aus, wie ein Kampf auf Leben und Tod. Am späten Nachmittag mussten wir regelrecht mit Sack und Pack und Gewehr antreten. Es wurde uns mitgeteilt, dass in Kürze ein für uns bestimmter Leerzug einfahren wird. Wir mussten das Bahngleis auf beiden Seiten absichern, um Unbefugte vom Zug fernzuhalten. Für jeden Einstieg wurden Posten mit entsichertem Gewehr bestimmt. So geschah es auch. Es wäre beinahe zu einem Kampf mit den unerwünschten Mitfahrinteressenten gekommen, aber zum Schluss hat es doch geklappt. Wir saßen alle drin und fuhren Richtung Heimat. Welch ein frohes Gefühl! Es war Sonntag, der 10.November 1918.

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Wir verschliefen im Zug die Weiterfahrt über Spittal - Mallnitz - Tauerntunnel - Böckstein und wurden in Badgastein davon überrascht, als wir dort in aller Früh aus einer Feldküche einen Schlag heiße Graupensuppe erhielten. Die Heimwehr hatte das anscheinend organisiert. Ein Zeichen der eingerissenen Disziplinlosigkeit war typisch für die neue "Ordnung": Der Regimentskommandeur, Oberst Freiherr von Handel-Mazzetti war ebenfalls ausgestiegen und ging mit einem Essgeschirr zur Feldküche, um sich eine Portion Suppe zu holen. Vorn beim Kessel stehend wurde er aus der anstehenden Schlange der Soldaten angerufen: "Du hast auch kein anderes Recht mehr. Stell dich hinten an!". Was er auch stillschweigend tat. Die Fahrt ging dann zügig weiter. Gegen Mittag trafen wir in Linz ein. Der Zug ging nicht weiter. Die mit uns ausgeladene Gulaschkanone hatte noch von einem unterwegs requiriertem Rind ein Viertel übrig. Wir erhielten davon auf der Bahnhofsrampe eine letzte Mahlzeit. Der Regimentskommandeur rief uns alle noch einmal zusammen und sagte uns, der Krieg sei nun aus, wir sollen uns hiermit als entlassen betrachten und uns in unsere Heimat begeben. Das war die formloseste Amtshandlung, die ich bis dahin beim Militär erlebt hatte. Wir waren einige Männer aus dem Egerland (die anderen stammten zum Großteil aus Oberöste rreich) und machten ausfindig, dass gegen Abend ein Zug in Richtung Budweis gehen wird. Diesen Zug benutzten wir dann bis Budweis. Beim Aussteigen wurden wir von uniformierten "Sokol"-Leuten von unseren militärischen Ausrüstungsgegenständen, Waffen, Stahlhelm, Tornister u.a. "befreit". Mitglieder des "FrauenSokol" verteilten auf dem Bahnsteig aus Feldküchen Suppe und heißen Kaffee. Dazu erhielt jeder Bewerber ein tschechisches Flugblatt, worauf zu lesen war, dass wir nun aus der "österre ichischen Zwangsherrschaft" befreit seien und wir uns nun schnellstens bei der neuen tschechischen Wehrmacht melden sollen. Wir konsumierten zwar Suppe und Kaffee, machten jedoch von der weitergehenden Einladung keinen Gebrauch. Unser Bedarf an Militär war gedeckt. Da kein Zug mehr ging, legten wir uns in der Bahnhofshalle auf den Fußboden zum Schlafen. Früh holte mein Kamerad Bareiter schnell noch zweimal von dem tschechischen Kaffee. Dann ging die Reise mit einem Bummelzug, der bei jedem Gartenzaun hielt, weiter. Die Fenster waren ohne Scheiben, sodass es den ersten Schnee herein trieb. Das focht uns j edoch so wenig an, wie die Kälte in dem unbeheizten Zug. Nach längerem Aufenthalt in Pilsen und dem Umsteigebahnhof Plan kam ich gegen 10 Uhr abends in Tachau an. Auf dem Bahnhof stand ein Heimwehr-Mann mit Armbinde. Von meinen Eltern und Geschwistern wurde ich freudig begrüßt. Sie waren schon sehr besorgt um mich gewesen. Es war Dienstag, der 12. November 1918.

Ende der Auszüge

Nachfolgend weitere Auszüge mit Bildern von Josef Frankenberger, dem späteren Schwager von Erwin Rosnitschek, welcher 1915 an der russichen Front für Österreich kämpfte. - 51 -

Josef I. Andreas Frankenberger Diese Kohleradierung entstand etwa 1910 und dürfte dem Foto des Ehepaares (vorherige Seite) nachempfunden sein.

Mit der Herstellung und dem Verkauf solcher Geräte hat der Drechsler Josef I. Frankenberger seine Familie ernährt

Josef II. Frankenberger - April 1915 vor dem Abmarsch zum Feldzug gegen Russland in Galizien Oben: in der Mitte seiner Schützengruppe Links: rechts stehend neben einem Kameraden Josef fiel bereits 1915 in russische Kriegsgefangenschaft, aus welcher er erst im Jahr 1919 zurückkam. Er war Infanterist beim k.k. Landwehr Infanterie Regiment "Eger" Nr. 6, das zu 97% aus Sudetendeutschen bestand und in der Garnison Eger lag.

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Text dieser vermutlich am 1.4.1915 in Galizien abgesandten Karte von Josef II. Frankenberger:

Fräulein Gretel Frankenberger Ledigenheim - Berlin -Weißensee Pistoriusstrasse Liebe Schwester, Deine Karte habe erhalten (zum Namenstage). Die 5 Kr. bis heute noch nicht erhalten. Wenn Du selbe abgeschickt hast, so mußt Du bei der Post gleich reklamieren. Bin bis jetzt noch ganz gesund, werde aber Mitte April ins Feld ziehen. Wünsche Dir fröhliche Ostern und ein gesundes Wiedersehen. Dein Bruder Josef. Soldaten waren schon immer klamm! Josef II. hatte anscheinend seine in Berlin als Schneiderin Geld verdienende Schwester angepumpt, was offensichtlich nicht auf Anhieb geklappt hat. Er ist dann bei seinem anschließenden Fronteinsatz gleich in russische Kriegsgefangenschaft geraten, aus welcher er erst 1919 zurückkehrte.

Links: Diese mondäne Schönheit ist Margarete (Gretl) Frankenberger, etwa 1919

Oben: meine Mutter Maritsch, etwa 1920

Rechts: Frankenberger Hans als k.u.k. Soldat, Gretl, Mutter Anna, Tachau, Maritsch. Polsterhof 389 etwa 1915

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