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07.07.2017 - Tatsächlich hat es der Bestattungsunternehmer mit italienischen Wurzeln, der hier spricht, in New York zu. Wohlstand gebracht. Aber jetzt ist.
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Freitag 7. JULI 2017 / Seite 32

MORGEN

ZEITZEICHEN

UMSCHAU

Amerika

Beuys-Werk wieder in Schuss

KASSEL. Gute Nachricht für das

Kunstwerk „Das Rudel“ von Joseph Beuys: Der von einem Unbekannten aufgebrachte Aufkleber sei ohne Schäden abgelöst worden, sagte eine Sprecherin der Museumslandschaft Hessen Kassel gestern. Nun prüfe die Museumsverwaltung, ob man Besucher wieder ohne Absperrung an das Kunstwerk in Kassel heranlasse. Ein Unbekannter hatte den Aufkleber auf der Windschutzscheibe des VW-„Bulli“ angebracht, der Teil des Kunstwerks ist. dpa

E

r glaube an Amerika, sagt der Mann. Seine Worte sind zu hören, noch bevor man etwas zu sehen bekommt. Tatsächlich hat es der Bestattungsunternehmer mit italienischen Wurzeln, der hier spricht, in New York zu Wohlstand gebracht. Aber jetzt ist er doch zu Don Vito Corleone gegangen, zum „Paten“, der im Zentrum von Mario Puzos MafiaRoman und der Verfilmung von Francis Ford Coppola steht. Und Coppola lässt seinen dreistündigen Spielfilm, den Kritiker regelmäßig zu einem der besten aller Zeiten wählen, mit eben diesen Worten beginnen, mit denen der Bestatter seinen Besuch begründen will. Sein Vertrauen in Staat und Institutionen ist enttäuscht worden; vor Gericht hat er, so meint er, keine Gerechtigkeit erfahren, denn die Peiniger seiner Tochter kamen mit Bewährungsstrafen davon. Nun soll der Pate helfen – und den Männern einen brutalen Denkzettel verpassen – damit Amerika gleichsam wieder ins Lot kommt. Coppolas Film kam 1972 in die Kinos. Auch der Regisseur meinte, Amerikas Glanz sei brüchig, Stichwort: Vietnam und Rassismus. Das Land der Freien, wo jeder erfolgreich sein und nach seiner Fasson glücklich werden kann? Der Mythos existiert dennoch fort. Er hat wohl auch ein Gutteil dazu beigetragen, dass die Amerikaner ihren aktuellen Präsidenten (gewählt) haben. Denn der verkörpert Erfolg, Individualität und Freiheit ja auch – und er zieht, wie der Bestatter, merkwürdige Konsequenzen daraus, die das Land ins Zwielicht bringen. Daraus folgern lässt sich nicht nur, dass „Der Pate“ mit Recht als Klassiker gilt, er immer wieder aktuell und anregend wirkt; es lässt sich zudem eine Hoffnung daraus ableiten: Auch heute möge kein Amerikaner zu Grabe tragen, wofür das Land noch immer steht. Thomas Groß

Unesco: Welterbe in Wien und am Mittelrhein in der Diskussion

Votum gegen Brücke und Hochhaus Zwei Beraterinnen der Unesco haben sich gegen eine spektakuläre Hängeseilbrücke im Welterbe Oberes Mittelrheintal ausgesprochen. Der diskutierte Bau einer rund 500 Meter langen schwankenden Fußgängerbrücke beim Loreley-Felsen hoch über den Fluss wäre aus ihrer Sicht nicht welterbeverträglich, sagte Ramona Simone Dornbusch der Deutschen Presse-Agentur. Zuvor hatte die „Rhein-Zeitung“ darüber berichtet. Vorstellbar wäre laut Dornbusch aber eine solche Brücke über ein Seitental des Rheins.

„Gesamtes Ensemble in Gefahr“

Das Unesco-Welterbekomitee berät derzeit in Krakau über die Vergabe neuer Welterbetitel und die Situation der bestehenden Kulturstätten. Die Wiener Altstadt wurde gestern auf eine Rote Liste des gefährdeten Weltkulturerbes gesetzt. Wegen eines geplanten Hochhauses sei das gesamte Ensemble in Gefahr, seinen Charakter zu verlieren, begründete das Unesco-Komitee die Entscheidung. Die Änderung der ursprünglichen Höhe des Wohnturmes von 75 Meter Höhe auf 66,3 Meter sei unzureichend, befand die Unesco. Der Gemeinderat im rot-grün regierten Wien hatte die Baupläne am 1. Juni abgesegnet. Die Stadt hat nun noch eine längere Frist, auf die Vorstellungen der Unesco einzugehen. dpa

Die städtebauliche Eleganz ist unverkennbar: der Quai direkt an der Saone vertritt eher den traditionellen, aber nicht weniger attraktiven Teil Lyons.

Theaterpreis für Calis BILD: KROMGALERIE

Hintergrund: Lyon, die Stadt an der Rhône gilt als Regional-Metropole mit Vorzeige-Charakter – und sie hat große Ambitionen

Es muss nicht immer Paris sein Von unserer Korrespondentin Birgit Holzer

Es könnte ein riesiges Kristallstück sein, das aus dem All auf die Erde gefallen ist, dort von einer Eisenstruktur aufgefangen wurde und in dessen gläserner Oberfläche sich nun der blaue Himmel widerspiegelt. Oder ist es die Nachbildung einer Wolke mit zackigen Konturen? „Jeder sieht etwas anderes in dem Bauwerk, aber sicherlich ging es den Architekten um die Idee des Himmels“, sagt Museumsführerin Marie-Alice Groult. Als eines jener ultramodernen Gebäude, die mit konventionellen Stilrichtungen brechen, ragt das Musée des Confluences an jener Stelle in die Luft, wo Lyon eine Halbinsel bildet, sich die Saône in die Rhône wirft und beide Flüsse zusammenströmen (was „confluence“ auch bedeutet). Gestaltet hat es das österreichische Architektenbüro Coop Himmelb(l)au. Seit seiner Eröffnung im Dezember 2014 hat das Museum, das sich mit Wissenschaft, Anthropologie und Ethnologie auseinandersetzt, mehr als zwei Millionen Besucher angezogen. Es präsentiert nicht nur Ausstellungsstücke wie das älteste Dinosaurier-Skelett Europas oder ein Stück Mond zum Anfassen, sondern will zum Nachdenken anregen – über das Leben und den Tod, die Geschichte des Menschen und seine Rolle auf der Erde.

Collomb Macrons Minister

Nicht zufällig entstand das von optisch und programmatisch zukunftsweisende Museum an diesem Ort und in diesem Vorzeige-Viertel von Lyon, das ebenfalls „Confluence“ heißt. Die ostfranzösische Stadt gilt als die vielleicht dynamischste Regionalmetropole des Landes und Confluence als exemplarisch für ihren

städtebaulichen Ehrgeiz. Vermieden es die Lyoner lange, in dieses einstmals finstere Industriegebiet zu kommen, begann dort 2003 ein Erschließungsprojekt, in dessen Zuge bis 2018 auf einer Fläche von 150 Hektar Büro- und Wohnräume, Verwaltungsgebäude, Restaurants und ein Einkaufszentrum entstehen. Renommierte Architekten wie Herzog & de Meuron oder Jean Nouvel verewigten sich, aus zwei ehemaligen Gefängnissen wurde ein Uni-Campus.

Lyon und die Metropolregion

Auch politisch ein Vorreiter

� Berühmte Kinder der Stadt: die

Drei Energie-Gebäude, erbaut dank einer Partnerschaft mit Japan, erzeugen mehr Strom, als sie verbrauchen. Hatte das Städtebau-Projekt noch der frühere Bürgermeister und Premierminister Raymond Barre angestoßen, so führte es in den letzten Jahren Gérard Collomb weiter, der derzeit sein Amt als Rathauschef ruhen lässt, weil Präsident Emmanuel Macron ihn zum Innenminister gemacht hat. Der 70-jährige Sozialist gehörte zu dessen ersten wichtigen Unterstützern. In Lyon ist man stolz auf Collomb, der das Image entscheidend verändert hat – von dem einer bürgerlich-miefigen Stadt zu dem eines innovativen und wirtschaftlich attraktiven Regionalzentrums, das vormacht, wie die Übermacht von Paris relativiert werden kann. Auch politisch gilt Lyon als Vorreiter, denn bereits Ende 2012, noch vor der Territorialreform, die die französischen Départements neu aufteilte, einigten sich Collomb und der damalige Generalrats-Präsident Michel Mercier auf eine neue Organisationsstruktur, um die städtischen und ländlichen Bezirke zu trennen. So entstand Frankreichs erste „Euro-Metropolregion“ mit rund 1,4 Millionen Einwohnern, die in Sachen Attraktivität seit mehreren

� Die Stadt Lyon selbst hat rund

500 000 Einwohner, während der Einzugsbereich, also die „Metropolregion“ knapp 1,4 Millionen Menschen zählt. Es handelt sich um die zweitgrößte Wirtschafts-Metropole Frankreichs, und der Bahnhof Part-Dieu ist der größte internationale Bahnhof des Landes. Lyon zählt rund sechs Millionen Besucher im Jahr (eine Milliarde Euro Umsatz im Tourismus). Lumière-Brüder als Erfinder des Kinos (sie lebten hier), der Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry („Der kleine Prinz“) sowie der Sterne-Koch Paul Bocuse. Im Dezember zieht das „Lichterfest“ (Fêtes des Lumières) jedes Jahr Millionen Besucher an. � Erreichbar ist Lyon per Auto, Schiff,

Flugzeug – und mit dem Zug: Von Paris aus sind es knapp zwei Stunden, von Mannheim fünf bis sieben.

Sehr experimentell: das Musée des Confluence. BILD: QUENTIN LAFONT

Jahren Spitzenpositionen in internationalen Rankings erreicht. Immer mehr Unternehmen siedeln sich im zweitgrößten Wirtschaftsstandort Frankreichs nach dem Pariser Geschäftsviertel La Défense an. „Viele wollen ihren Angestellten eine höhere Lebensqualität

und Perspektiven für die berufliche Weiterentwicklung bieten“, sagt Jean-Charles Foddis, Geschäftsführer der Agentur Aderly, die die wirtschaftliche Entwicklung der Metropolregion fördert. Gerade im Vergleich zur Hauptstadtregion Île-deFrance könne Lyon mit interessanten Miet- und Immobilienpreisen bei gleichzeitig hohem kulturellem und Freizeitangebot punkten. Die renovierten Flussufer laden zum Sport, und Feinschmecker finden in der „Hauptstadt der Gastronomie“ und Heimat des legendären Paul Bocuse sowieso ihr Glück. Hinzu kommen die zentrale Lage und gute Anbindung: Paris lässt sich in zwei Zugstunden erreichen, nach Marseille ans Meer ist die Reise noch kürzer.

Reichtum durch Seidenhandel

Auch die Berge sind nicht weit. So wie Confluence werden derzeit noch weitere Stadtviertel erschlossen, die Stadt wächst in alle Richtungen; gleichzeitig bleibt das historische Herzstück, das „Alte Lyon“ (Vieux Lyon), das die Unesco 1998 in ihre Kulturerbe-Liste aufgenommen hat. Schmale Gassen, stimmungsvolle Renaissance-Höfe, in Passagen versteckte Schleichwege. In diesem ehemaligen Weberviertel wurde auch der Reichtum Lyons begründet, wo einst der Handel mit Seide florierte. Sie sehe die Stadt wie ein Geschichtsbuch und die einzelnen Viertel wie ihre Kapitel, sagt die Stadtführerin Sandrine Clauzier: „Die verschiedenen Zeit- und StilPerioden, die sich überlagert haben, sind hier sichtbar geblieben: die romanische Epoche, das Mittelalter, die Renaissance.“ Dreimal habe sich im Lauf der Geschichte das Zentrum schon verschoben; und ein viertes Mal stehe wohl bevor, hin zum modernen Geschäftsviertel Part-Dieu. Ein neues Kapitel hat begonnen.

KÖLN. Der Autor und Regisseur Nuran

David Calis erhält den mit 25 000 Euro dotierten Ludwig-MülheimsTheaterpreis. Das teilte das Kölner Schauspiel mit. Der Preis dient der Förderung religiösen Gedankenguts in der deutschen Theaterszene. Calis’ neues Stück „Istanbul“ ist derzeit am Kölner Schauspiel zu sehen. Zuvor hatte sein Stück „Die Lücke. Ein Stück Keupstraße“ über den NSU-Anschlag in Köln Beachtung gefunden. Nuran David Calis inszeniert bei den Nibelungenfestspielen in Worms auch das Stück „Glut“ (ab 4. August). dpa

DAS KURIOSUM Wegen eines umstrittenen Videoprojekts mit Liegestützen auf dem Altar einer katholischen Kirche muss sich Künstler Alexander Karle ab Montag in einem Berufungsprozess vor dem Landgericht Saarbrücken verantworten. Nun gab er überraschend bekannt, dass es sich bei seinem Film „Pressure to Perform“ (Leistungsdruck) nur um eine Videomontage gehandelt habe. Ob das dem Fall eine neue Wendung gibt?

Nachruf

„Techno-Großvater“ Henry gestorben Der französische Komponist Pierre Henry, ein Wegbereiter der elektroakustischen Musik, ist tot. Er starb im Alter von 89 Jahren in Paris, wie die Nachrichtenagentur AFP unter Berufung auf seine Assistentin meldete. Henry gilt als ein Pionier der „musique concrète“ (konkrete Musik), die aus Kompositionen vorab aufgenommener Klänge besteht und dabei auch Alltags-Geräusche verwendet. Manche bezeichnen ihn auch als „Großvater des Techno“. Mit dem französischen Ingenieur und Musiker Pierre Schaeffer schuf er 1950 die „Sinfonie für einen einzigen Musiker“, die als Gründungsakte der „musique concrète“ gilt. dpa

Ausstellung: Baden-Baden zeigt eine interessante Schau über „Natur und Kulisse“ und „Vornehme Parallelgesellschaften im 19. Jahrhundert“

Sehen und gesehen werden in schönem Ambiente Von unserer Mitarbeiterin Karin Leydecker

Jeder Garten ist ein kleines Paradies auf Erden. Er ist Zeitgeistfolie und Spiegelbild der menschlichen Kultur. Für das aufstrebende Bürgertum des 19. Jahrhunderts war der inszenierte Garten Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins. Öffentlich zugängliche Parks, die damals nach englischem Vorbild überall in Kurorten wie Bad Ems, Karlsbad, Wiesbaden und natürlich in Baden-Baden entstanden, waren stadtnahe gärtnerische Kompositionen, die Landschaftsgemälden glichen. Sie waren die Bühne für den großen Auftritt des Bürgers: Hier flanierte er elegant gekleidet, hier wurden zarte Liebesbande geknüpft, und hier saß man müßig oder politisierend bei Kaffee und Zigarre. Im Park war der Bürger ein König! Diesem neuen bürgerlichen Spielplatz, in dem sich Zivilisation und Natur, Künstlichkeit und Wildwuchs, Hochkultur und Ent-

spannung harmonisch miteinander verknüpfen, widmet sich das Museum LA 8 in Baden-Baden. Unter dem Titel „Natur und Kulisse“ wagt die Ausstellung mit hochkarätigen Exponaten den faszinierenden Blick auf die bürgerliche Welt von gestern: Dargestellt in Gemälden von Gustave Courbet und Wilhelm Schirmer sowie den Lebenszeugnissen weltberühmter Dichter und Musiker.

hundert war der Park ein Treffpunkt für die neue kosmopolitische Gesellschaft: Der Geldadel zeigte sich hier, Erholungssuchende, die Glücksspieler und reiche Mätressen, man

sah einflussreiche Architekten und Landschaftsplaner, bedeutende Musiker wie Johannes Brahms und berühmte Literaten wie Fjodor Dostojewski. Und natürlich waren hier

Der Geldadel zeigte sich

Man sieht Haute Couture für den Parkspaziergang der Dame und viel Glamour einer bürgerlichen Gesellschaft, die sich selbst im Kulissenraum Park mit Kurmuschel und Konversationshaus einer strengen Etikette unterwarf. Baden-Baden mit dem wunderschönen Park an der Lichtentaler Allee ist natürlich der ideale Ort für eine solche Schau. Das Museum LA 8 trägt die Lichtentaler Allee als Kürzel in seinem Namen und ist damit im Zentrum des historischen Ortes. Im 19. Jahr-

Sehenswert: Carl Anton Hermann Münchs Gemälde „Vor dem Konversationshaus in Baden-Baden“ (um 1910). BILD: STADTMUSEUM / STADTARCHIV BADEN-BADEN, HEINZ PELZ

auch gekrönte Häupter wie Kaiser Wilhelm I. und Napoleon III zu Gast; sie verliehen dem bürgerlichen Kontext „Glanz und Gloria“. Damals entstanden anspruchsvolle Bauvorhaben wie zum Beispiel die Trinkhalle von Friedrich Weinbrenner, die Kunsthalle von Herrmann Billing, die wunderschönen Villen und die imposanten GrandHotels am Rande der Oos. Bis heute hat dieser Ort, der eigentlich keine spektakulären Attraktionen bietet, sondern nur durch kluge Architektur- und Landschaftsplanung bezaubert, nichts von seiner touristischen Magie verloren. Noch immer trifft man sich hier, um zu genießen und ein wenig Kunst zu naschen. Ganz wichtig: Sehen und gesehen werden! Das Wasser der Oos rauscht sanft, die Sonne lächelt. Immer noch wunderschön: „Natur und Kulisse“ in Baden-Baden.

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Museum LA 8, Baden-Baden, bis 3. September. Katalog 19 Euro.