kollaps ist kein defizit, er ist eine eigenschaft - Libreka

für ihre Unterstützung bedanken sowie beim Club of Rome, der mei- ne vorherige Arbeit gefördert hat. Charlie Hall danke ich dafür, dass er allen, die sich mit biophysikalischen Systemen befassen, immer wieder neue Anregungen gibt, sowie auch Jay Forrester, der von uns gegangen ist, während dieses Buch geschrieben ...
246KB Größe 5 Downloads 404 Ansichten
Selbstverpflichtung zum nachhaltigen Publizieren Nicht nur publizistisch, sondern auch als Unternehmen setzt sich der oekom verlag konsequent für Nachhaltigkeit ein. Bei Ausstattung und Produktion der Publikationen orientieren wir uns an höchsten ökologischen Kriterien. Dieses Buch wurde auf 100 Prozent Recyclingpapier, zertifiziert mit dem FSC®-Siegel und dem Blauen Engel (RAL-UZ 14), gedruckt. Alle durch diese Publikation verursachten CO2-Emissionen werden durch Investitionen in ein Gold-Standard-Projekt kompensiert. Die Mehrkosten hierfür trägt der Verlag. Mehr Informationen finden Sie unter: http://www.oekom.de/allgemeine-verlagsinformationen/nachhaltigerverlag.html Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © der Originalausgabe 2017: Ugo Bardi © der deutschen Ausgabe 2017: oekom verlag München Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbH Waltherstraße 29, 80337 München Übersetzungslektorat: Christoph Hirsch, oekom verlag Korrektorat: Petra Kienle Satz: Ines Swoboda, oekom verlag Druck: GGP Media GmbH, Pößneck Alle Rechte vorbehalten ISBN 978-3-96006-010-9 E-ISBN 978-3-96006-217-2

ugo bardi

Der

SenecaEffekt Warum Systeme kollabieren und wie wir damit umgehen können

Aus dem Englischen von Gabriele Gockel & Sonja Schumacher

Dieses Buch ist meiner Tochter Donata gewidmet, in der Hoffnung, dass sie und ihre Generation von einem größeren Seneca-Kollaps verschont bleiben.

INHALT

Dank  8 Vorwort  9 Einführung

Kollaps ist kein Defizit, er ist   eine Eigenschaft  13 TEIL I

Die Mutter aller Zusammenbrüche: Der Untergang des Römischen Reichs  21 Kapitel 1

Seneca und seine Zeit 

23

Kapitel 2

Wieso gibt es eigentlich Weltreiche? 

28

Kapitel 3

Ein geradzu »klassischer« Kollaps 

36

TEIL II

Von großen und kleinen Zusammenbrüchen  51 Kapitel 4

Das Zerbrechen alltäglicher Dinge 

53

Warum Flugzeuge keine rechteckigen Fenster haben  53 Über Entropie  61 Warum Ballons platzen  64

Kapitel 5

Lawinen 

69

Der Einsturz der großen Türme  69 Die Physik der Sanduhr  75 Netze und Netzwerke  82 Kapitel 6

finanzlawinen 

92

Wiedersehen mit Babylon  92 Was ist »Geld« überhaupt?  99 Warum kommt es zum Finanzkollaps?  113 Kapitel 7

Hungersnöte 

117

Malthus war ein Optimist  117 Japan: Ein resilientes Land  129 Bevorstehende Hungersnöte  138 Kapitel 8

Verknappung 

144

Das kurzlebigste Imperium der Geschichte  144 Tiffany’s Trugschluss  153 Thanathia und die mineralische Eschatologie  162 Kapitel 9

Overshoot 

168

Gib einem Mann einen Fisch …  168 Was gut für die Biene ist, ist auch gut für den Stock  176 Der Untergang des galaktischen Imperiums  189 Kapitel 10

Gaias Tod: Das Ende des Ökosystems Erde  Woran starben die Dinosaurier?  205 Gaia oder die Homöostase des Erdsystems  213 Die Hölle auf Erden  223

205

TEIL III

Den Kollaps bewältigen  231 Kapitel 11

Zusammenbrüche verhindern 

232

Privatisierung vs. Schutz der Allmende  232 Resilienz entwickeln  239 Die Erholung nach einem Kollaps  247 Den wirtschaftlichen Zusammenbruch verhindern  251 Kapitel 12

Den Kollaps nutzen 

260

Zusammenbruch des Feindes  260 Kreativ kollabieren  267 Die Hebel richtig umlegen  270

ANHANG Gesetze und Verteilungen  281 Lotka-Volterra-Modell  283 Abbildungen A1 bis A12  285 Anmerkungen  291

DANK

Die erste Person, der ich für dieses Buch danken möchte, ist Lucius Annaeus Seneca, der den Titel und das Hauptthema dieses Buchs lieferte. Der Gedanke, den Ausdruck »Seneca-Effekt« zu verwenden, entstand, als mich mein Kollege und Freund Luca Mercalli an diesen Mann erinnerte, mit dem ich vor langer Zeit auf dem Gymnasium Bekanntschaft gemacht hatte. Danken möchte ich auch Dmitry Orlov, der mich darauf brachte, Modelle für die Systemdynamik des Seneca-Effekts zu entwickeln. Ferner möchte ich mich bei David Packer und Christoph Hirsch für ihre Unterstützung bedanken sowie beim Club of Rome, der meine vorherige Arbeit gefördert hat. Charlie Hall danke ich dafür, dass er allen, die sich mit biophysikalischen Systemen befassen, immer wieder neue Anregungen gibt, sowie auch Jay Forrester, der von uns gegangen ist, während dieses Buch geschrieben wurde. Meiner Tochter Donata – sie ist Psychologin – verdanke ich viele der in dieses Buch eingeflossenen Erkenntnisse über die menschliche Neigung, Raubbau an Ressourcen zu treiben. Äußerst hilfreich waren außerdem die Kommentare und kritischen Bemerkungen von Toufic El Asmar, Sara Falsini, Nate Hagens, Günter Klein, Marcus Kracht, Graeme Maxton, George Mobus, Silvano Molfese, Ilaria Perissi, Aldo Piombino, Sandra Ristori, Sonja Schuhmacher, Luigi Sertorio, Sgouris Sgouridis, Wouter Van Dieren, Anders Wijkman und Antonio Zecca. Ihnen allen möchte ich meinen Dank aussprechen, weise aber zugleich darauf hin, dass alle Fehler, die im Buch auftauchen, auf mich selbst zurückgehen und nicht auf sie.

8

Dank

VORWORT geschrieben von den Co-Präsidenten des Club of Rome Ernst Ulrich von Weizsäcker und Anders Wijkman

Ugo Bardis »Der Seneca-Effekt. Warum Systeme kollabieren und wie wir damit umgehen können« ist der 42. Bericht an den Club of Rome und somit Teil jener Serie an Berichten, die im Jahr 1972 mit den »Grenzen des Wachstums« begann. Die Hauptaussage der »Grenzen des Wachstums« war, dass »die Ausbeutung der wichtigsten Rohstoffe und die wachsende Belastung durch Umwelt- und Luftverschmutzung zunehmend steigende Risiken für die Weltwirtschaft in der Zukunft verursachen« würde. Viele verstanden den Bericht so, als würde die Weltwirtschaft innerhalb weniger Jahrzehnte zum Stillstand kommen. Dies war allerdings nicht die Aussage der »Grenzen des Wachstums«. Der Bericht stützte sich auf eine Perspektive von 50 bis 100 Jahren und legte darüber hinaus seinen Fokus auf die steigenden, physischen Auswirkungen des Wirtschaftswachstums – den ökologischen Fußabdruck – nicht auf Wachstum an sich. Tatsächlich ging es in diesem Buch in erster Linie darum, wie man Kollaps vermeiden und die Menschheit einen besseren, nachhaltigeren Weg für ihre Zukunft und die ihres Planeten einschlagen könnte. Der Club of Rome setzt sich bis heute genau dafür ein. 45 Jahre nach der Veröffentlichung des ersten Berichtes allerdings stellt sich die Frage danach, wie ökologische Krisen in der Zukunft verhindert werden können, leider nicht mehr. Heute geht es um die Frage, wie die Menschheit ihre Auswirkungen abschwächen und bewältigen kann. Die Vision der Mitglieder des Club of Rome bleibt nichtsdestotrotz dieselbe: eine bessere Zukunft für die Menschheit und den Planeten. »Den Feind zu kennen ist der beste Weg, ihn zu besiegen«, heißt es. Gleichermaßen gilt: Um die Auswirkungen eines Kollapses zu Vorwort

9

bewältigen, muss man verstehen wie er entsteht, sich entwickelt und auswirkt. Probleme, die uns in der Zukunft erwarten, einfach zu ignorieren ist hingegen kein vielversprechender Lösungsansatz, um sie zu vermeiden. Das vorliegende Buch untersucht die Natur und Ursachen von Kollapsen, und zwar nicht, indem es Untergangszenarien heraufbeschwört – allerdings auch nicht durch die rosarote Brille exzessiven Optimismus. Dieses Buch macht keine Zugeständnisse an Ideologien, Politik oder falsche Hoffnungen. Es bedient sich vielmehr der modernen Wissenschaft, um aufzuzeigen, dass Kollapse natürliche Phänomene sind, die vielfältige Ursachen haben und viele Formen annehmen können. Wir können dies in unserem Alltag beobachten, zum Beispiel wenn Gegenstände kaputt gehen, oder sogar bei Ereignissen großer Tragweite, etwa wenn ganze Zivilisationen zusammenbrechen. Dieser Bericht bietet den Leserinnen und Lesern eine Fülle an Anekdoten, Einsichten und Fakten, mit einer bemerkenswerten, ganzheitlichen, analytischen Denkweise. Sie werden entdecken, dass Kollaps ein Kollektivphänomen ist, welches in (wie wir sie heute bezeichnen) »komplexen Systemen« auftritt; ein neues und faszinierendes Forschungsfeld, welches uns ermöglicht, die Welt um uns herum besser zu verstehen. »Der Seneca-Effekt« beschreibt praxisgerechte Wege und Lösungen, wie man Kollapse in komplexen Systemen vermeiden oder zumindest bewältigen kann. In bestimmten Fällen kann dies geschehen, indem die Bindeglieder, die ein System zusammenhalten, verstärkt werden. In anderen Fällen, indem man das System externe Schocks absorbieren lässt – und dabei innere Parameter verändert, anstatt sie zu erhalten. Und für den Fall, dass ein Kollaps unvermeidlich ist, zeigt dieses Buch auf, wie man ihn nutzen kann, anstatt sich ihm zu widersetzen, wenn der einzige Weg, um das Alte loszuwerden, das Schaffen von Raum für das Neue ist. In einer Welt wie der unseren, die sich mit einer Vielzahl an sozialen und ökologischen Herausforderungen konfrontiert sieht, ist 10

Vorwort

es notwendig Kollaps zu verstehen. Während die Menschheit noch immer weiter wächst, wächst gleichzeitig die Notwendigkeit, bessere und effizientere Wege zu finden, die knappen Ressourcen unseres Planeten zu nutzen. Diese Herausforderungen sind schwierig zu bewältigen, weshalb ein besseres Verständnis davon, wie komplexe Systeme funktionieren, durch das wissenschaftliche Forschungsfeld der »Systemdynamik« dringend notwendig ist; auch hierzu leistet das Buch einen wichtigen Beitrag. Ugo Bardis Buch ist aber nicht nur »praktisch« im Sinne von »nahe an der Realität und ihren Herausforderungen«. Es hat außerdem eine tiefere, philosophische Bedeutung, was ein weiterer Grund dafür ist, dass der Club of Rome es als Bericht akzeptiert hat. Der Titel, »Der Seneca-Effekt«, ist eine Hommage an den antiken Philosophen Lucius Annaeus Seneca (4 v. Chr. bis 65 n. Chr.), der die Theorie moderner Netzwerke und die Studien der »Systemdynamik« für sich entdeckte, obwohl er diese noch nicht als solche benannte. Seneca verstand die Notwendigkeit Veränderung und Wandel zu akzeptieren – anstatt sich in einem aussichtslosen Kampf gegen sie zu wehren. Dies ist der Grundsatz der stoischen Philosophie, frei nach Epiktet: »Was also ist zu tun? Das Beste machen aus dem, was in deiner Macht steht und den Rest so nehmen, wie er natürlich passiert.« (Discourses, 1. Januar 2017) Dies ist der Hauptgedanke dieses faszinierenden Berichts. Aus dem Englischen übersetzt von Alexander Stefes

Vorwort

11

EINFÜHRUNG KOLLAPS IST KEIN DEFIZIT, ER IST EINE EIGENSCHAFT »Esset aliquod inbecillitatis nostrae solacium rerumque nostrarum si tam tarde perirent cuncta quam funt: nunc incrementa lente exeunt, festinatur in damnum.« »Es wäre ein Trost für unsere schwachen Seelen und unsere Werke, wenn alle Dinge so langsam vergehen würden, wie sie entstehen; aber wie dem so ist, das Wachstum schreitet langsam voran, während der Weg zum Ruin schnell verläuft.« Lucius Anneaus Seneca (4 v. Chr. bis 65 n. Ch.), Epistolarum Moralium ad Lucilius (Briefe an Lucilius, 91, 6) 1

Dieses Buch ist einem Phänomen gewidmet, das wir »Kollaps« oder »Zusammenbruch« nennen. Normalerweise denken wir unwillkürlich an Katastrophen, Desaster, Versagen und alle möglichen negativen Auswirkungen. Doch dieses Buch ist kein »Katastrophenbuch«, von denen es heute so viele gibt, und es schildert auch nicht den bevorstehenden, vielleicht unvermeidlichen Untergang. Hier geht es um die Erforschung von Zusammenbrüchen, darum, zu erklären, warum und wie es zu einem Kollaps kommt. Wenn man weiß, was Zusammenbrüche sind, werden sie nicht mehr überraschen und können verhindert werden. Man kann sie möglicherweise bewältigen und sogar zum eigenen Vorteil wenden. Im Universum ist ein Kollaps kein Defizit, sondern eine Eigenschaft.

Kollaps ist kein Defizit, er ist eine Eigenschaft

13

Abbildung 1 Der »Seneca-Effekt«, dargestellt mit der Methode der »Systemdynamik«. Diese Kurve ist ein allgemeines Modell und beschreibt viele physikalische Phänomene, die langsam anwachsen und schnell wieder zurückgehen.

Wie sich zeigt, können Zusammenbrüche in unterschiedlichster Gestalt und überall auftreten, sie haben die verschiedensten Ursachen und entwickeln sich auf unterschiedliche Weise. Zusammenbrüche können vermeidbar sein oder auch nicht, gefährlich oder nicht, katastrophal oder nicht. Offenbar manifestiert sich in ihnen die Tendenz des Universums, seine Entropie zu erhöhen und zwar so schnell wie möglich – ein Phänomen, das als »maximale Entropieproduktion« (MEP) bezeichnet wird.2 Demnach sind allen Zusammenbrüchen bestimmte Eigenschaften gemeinsam. Es sind stets kollektive Phänomene, das heißt, sie treten nur in sogenannten komplexen Systemen auf, also in Netzstrukturen aus »Knoten«, die durch Verknüpfungen miteinander verbunden sind. Ein Kollaps ist die rasche Umstrukturierung einer großen Zahl solcher Verknüpfungen, unter Umständen auch ihr Zusammenbruch und Verschwinden. Bei allem, was zusammenbricht (Alltagsgegenstände, Türme, Flugzeuge, Ökosysteme, Unternehmen, Imperien und 14

Einführung

Ähnliches), handelt es sich stets um Netzwerke. Die Knoten können Atome sein und die Verknüpfungen zwischen ihnen chemische Verbindungen. So ist es etwa bei Festkörpern. In manchen Fällen sind die physikalischen Verbindungen zwischen den Elementen künstliche Strukturen und somit ein Studienobjekt für Ingenieure. Und manchmal sind die Knoten Menschen oder gesellschaftliche Gruppen, deren Verbindungen im Internet zu finden sind oder sich in persönlicher Kommunikation manifestieren, vielleicht auch in Wechselkursen. Dies ist das Forschungsgebiet der Sozialwissenschaften, der Ökonomie und der Geschichte. All diese Systeme haben vieles gemeinsam, vor allem ein nichtlineares Verhalten, das heißt, sie reagieren nicht proportional zur Stärke einer Störung von außen (eines »Antriebs« oder »forcing«, wie es in der Fachsprache heißt). In einem komplexen System besteht keine einfache Beziehung zwischen Ursache und Wirkung. Vielmehr kann ein komplexes System die Folge einer Störung mehrfach vervielfältigen, wie es der Fall ist, wenn man ein Streichholz an einer rauen Fläche reibt. Umgekehrt kann die Störung auch so gedämpft werden, dass das System kaum davon berührt wird. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn man ein brennendes Streichholz in ein Glas Wasser fallen lässt. Dieses Phänomen der Nichtlinearität einer Reaktion wird oft als »Rückkopplung« bezeichnet, ein sehr wichtiges Charakteristikum komplexer Systeme. Wenn ein System eine Störung von außen verstärkt, spricht man von einer »sich selbst verstärkenden« oder »positiven« Rückkopplung, hingegen von einer »dämpfenden«, »stabilisierenden« oder »negativen« Rückkopplung, wenn das System die Störung eindämmt und größtenteils ignoriert. Wie es heißt, ist bei einem komplexen System immer mit einem »Rückschlag« (»Kick back«) zu rechnen3, manchmal erfolgt so ein Rückschlag überraschend heftig und gelegentlich erscheint er einfach chaotisch. Die Tendenz komplexer Systeme zum Zusammenbruch lässt sich unter anderem unter dem Aspekt der »Kipppunkte« betrachten. Der Begriff verweist darauf, dass ein Kollaps kein sanfter Übergang ist, sondern eine drastische Veränderung, die das System von einem ZuKollaps ist kein Defizit, er ist eine Eigenschaft

15