Kann nicht wirklich sein Der Aufstand AWS

In Königs Wusterhausen musste Klemens in die S-Bahn umsteigen. In Treptower Park konnte er dann in die Ringbahn wechseln, die ihn über Ostkreuz zur Schönhauser Allee brachte. Klemens war nach Berlin eingeladen worden, in das Haus eines Kollegen seines Vaters, den dieser aus der Kriegszeit kannte. Als Inhaber.
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Eckard Bannek

Ost-West-Splitter Band 2

Roman

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© 2016 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2016 Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag Coverbild und Autorenfoto: Juliane Maria Wesch Printed in Germany Taschenbuch: Großdruck: eBook epub: eBook PDF: Sonderdruck

ISBN 978-3-8459-2052-8 ISBN 978-3-8459-2053-5 ISBN 978-3-8459-2054-2 ISBN 978-3-8459-2055-9 Mini-Buch ohne ISBN

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Inhaltsverzeichnis Band 2 Kann nicht wirklich sein Der Aufstand Der verordnete Karneval An der Wasserpyramide Der Branitzer Park Die AWO-Tour Die Zerreißprobe Die Grenzverletzung Westkreuz Berliner Bühnen Offene Türen Der Tramp Xaver und Ilka in Heidelberg Ungarn-Aufstand Das unfertige Haus Die schönste Frau BASF plus Neue Ansichten 4

Solveigs Brief Traumsplitter Curriculum Danksagung

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Kann nicht wirklich sein Der Aufstand Klemens fuhr nach Berlin, in die Hauptstadt der DDR. Es war seine erste große Reise. Xaver hatte ihm die Fahrkarte besorgt und fuhr den ersten Teil der Strecke bis Cottbus mit. Sie nahmen den Frühzug. Die Eltern und Silke hatten sie zum Welzower Bahnhof begleitet, vor dem sie noch verlegen die Stiefmütterchen-Rabatten bewunderten. Sie verabschiedeten Klemens in eine „neue Welt‚. „Mach nicht so `nen Flunsch bei den Leuten!‚, nahm Silke ihn hoch, seine Mutter sagte dagegen aufmunternd: „Die werden es schon gut mit dir meinen.‚ „Du wirst sehen, mein Kollege ist ein gutmütiger Kerl‚, bekräftigte der Vater, „er ist ein Westfale mit breiten Schultern, der schon in der Diktatur gelernt hat, sich zu wehren. Wenn ich mich recht entsinne, hat er hellblaue Augen und dunkelblondes Haar.‚ Silke scherzte: „Dass uns aber 6

keine Klagen kommen, Du weißt doch!‚ Klemens versuchte zu strahlen, zu überspielen, dass er ein flaues Gefühl in der Magengrube spürte. In Neupetershain mussten sie umsteigen. In Cottbus brachte Xaver seinen Bruder auf den richtigen Bahnsteig, auf dem sich die Fahrgäste drängten. Klemens gelang es dennoch, einen Fensterplatz im letzten Abteil zu ergattern. Xaver winkte ihm lange nach. Als Klemens im Zug saß, überkam ihn ein wenig Angst vor seiner Courage, allein in eine fremde Großstadt zu fahren, zu Leuten, die er nicht kannte, und mit ihnen das Tischtuch zu teilen. Wie werden sie ihn aufnehmen? Worüber sollte er sich mit ihnen unterhalten? Und wie wird es in der Orthopädie zugehen? Wird er etwas lernen können? Darauf war er sehr gespannt. Häuser und Bäume flogen am Zugfenster vorbei, lenkten Klemens aber nicht ab. Erst nach und nach nahm er die Landschaft draußen wahr. Plötzlich interessierte ihn sogar die 7

Streckenführung der Gleise, die er ja nicht sah. Wie durchzogen die Gleise die Landschaft? Eigentlich hätte er die Gegend schon mit dem Motorrad abfahren können, sagte er sich. In Lübben, im Spreewald war er schon, aber was kam danach? Bei einer Zugkontrolle in Brand vor Königs Wusterhausen konnte Klemens die Fahrkarte, die bis Berlin-Ringbahn ausgestellt war, seinen Personalausweis sowie einen Brief mit der Einladung zur Teilnahme an einem Kurs vorlegen. Andere Reisende zeigten ihren Studenten- oder Arbeitsausweis. In Königs Wusterhausen musste Klemens in die S-Bahn umsteigen. In Treptower Park konnte er dann in die Ringbahn wechseln, die ihn über Ostkreuz zur Schönhauser Allee brachte. Klemens war nach Berlin eingeladen worden, in das Haus eines Kollegen seines Vaters, den dieser aus der Kriegszeit kannte. Als Inhaber einer Orthopädie-Schuhmacherei und als Gewerbeoberlehrer bildete der Kollege auch 8

Meister aus. Klemens sollte an der Berliner Gewerbeschule für das Schuhmacherhandwerk an einem Orthopädie-Kurs teilnehmen, weil er sich auf diesem Gebiet spezialisieren wollte. Am S-Bahnhof Schönhauser Allee wurde Klemens von den Kindern seines Gastgebers Uli und Toni abgeholt und gleich nach seiner Ankunft ausgeführt. Dabei lernte er einige Linien von S-Bahn und U-Bahn kennen. Klemens war von der Großstadt überwältigt, verunsichert, fast verängstigt. Aber er wurde von Toni und Uli untergehakt, an die Hand genommen bei den ersten Schritten in der neuen Umgebung. Klemens wurde in die Familie seines neuen Meisters aufgenommen, in seinen verwirrenden Gefühlen aufgefangen. Untergebracht wurde er in einem Mansardenzimmer eines Bekannten zwei Häuser weiter. Fürs Essen gab er seine Lebensmittelkarte ab und am Ende seines Aufenthalts hatte er einen geringen Kostbeitrag zu zahlen. 9

Uli besuchte das Graue Kloster, das einzige altsprachliche Gymnasium in Ostberlin, Toni die Karl-Friedrich-Schinkel-Oberschule in Berlin-Prenzlauer Berg. Uli fuhr mit der U-Bahn bis Klosterstraße, Toni konnte zu Fuß zur Schule in der Erich-Weinert-Straße gehen. Noch voriges Jahr ging Uli aufs CanisiusKolleg in Westberlin, Toni in die FranziskusSchule (beide waren 1949 in die Sexta aufgenommen worden), beide fuhren mit der UBahn-Linie 1 von Pankow Richtung Ruhleben und stiegen an der U-Bahn-Station Nollendorfplatz aus. Zwischen Stadtmitte und Potsdamer Platz wurden sie regelmäßig von Vopos kontrolliert, wobei sie nach Illustrierten gefragt wurden und ihre Schulbücher vorzeigen mussten, die einige Male von den Vopos beschlagnahmt wurden. Die Eltern von Uli und Toni mussten je nach Wechselkurs das Vier- oder Fünffache für die Wiederbeschaffung der Schulbücher zahlen. Da dies auf die Dauer zu teuer war, schlugen die Lehrkräfte 10

vor, die Schulbücher im Westsektor in der Schule zu lassen und nicht mehr nach Ostberlin mitzunehmen. 1952 forderte die Stasi ihren Vater auf, seine Kinder in Ostberliner Schulen zu schicken, andernfalls würde sein Geschäft und sein gesamter Besitz enteignet werden. Klemens hat sich in der Familie gut eingelebt und im Betrieb, wo er neben dem theoretischen Meisterkurs die praktische Ausbildung erhielt, gut eingearbeitet. Die Werkstatt war nun sein neuer Lebensmittelpunkt. Er lernte das Maßnehmen deformierter Füße, das Herstellen entsprechender Leisten und Schnittmuster für anomale Formen und das Zuschneiden des Leders. So stand Klemens in der Werkstatt neben dem Meister am Zuschneide-Tisch oder er saß neben der Schäfte-Stepperin auf seinem Schemel vor dem Eisendreifuß. Klemens, der eher schüchtern, jedenfalls nicht sehr gesprächig war, taute hier auf. Er musste allen Rede 11

und Antwort stehen, er verhielt sich dabei wie immer gutmütig und pfiffig. Sie fragten ihn, sehr freundlich nach allen Regeln der Kunst aus und waren bei jeder Gelegenheit oder Verlegenheit sehr hilfsbereit. Die Stepperin neckte ihn, weil er Linkshänder war, die Gesellen zeigten ihm aber viele Kniffe. An einigen Wochenenden half Toni ihrem Vater bei der Buchhaltung. Es gab immer viel zu tun, bei den Abrechnungen von Gewerbeund Einkommenssteuer. Jeder der dreißig Mitarbeiter bekam wöchentlich seine Lohntüte. Klemens, der sehr schnell im Kopfrechnen war, leistete Toni Gesellschaft und rechnete mit. Seine Gastgeber gingen am Sonntag zur Messe in die Pfarrkirche Heilige Familie am Humann-Platz, mit dem 40 Meter hohen querrechteckigen Kirchturm, der wie eine große Steinfläche aussieht. Am ersten Sonntag nach seiner Ankunft wurde Klemens jedoch in die Herz-Jesu12

Kirche der Nachbargemeinde am Senefelder Platz mitgenommen, weil an diesem Tag Kaplan Bengsch, der spätere Bischof von Berlin, predigte. Das Eingangsportal der Kirche wird von einem hohen Glockenturm, der wie Klemens schien, beim Geläut zitterte, und einem kleineren Treppenturm umrahmt, deren Höhen etwa im Verhältnis acht zu fünf stehen. Der Innenraum ist mit Wandmalereien geschmückt. Das erste Augenmerk von Klemens richtete sich auf die überdimensionale Christusfigur mit ausgebreiteten Armen in der Apsis. Die Krypta diente im Krieg, wie Toni ihm erklärte, als Luftschutzraum für 1000 Menschen. Der Gottesdienst mit seiner Liturgie war in dieser Kirche jedenfalls viel eindrucksvoller als in Welzow. Bei der Predigt war Klemens nicht sehr aufmerksam, seine Gedanken schweiften immer wieder ab. Die Kerzen flackerten, offensichtlich zog es von einer Seite. Den Geruch des Weihrauchs sog er begierig ein. Er dachte da13

ran, dass seine Großmutter von der Operation des Nabelbruchs im Spremberger Krankenhaus noch Schmerzen haben könnte. Xaver besuchte sie bestimmt dort mit Lisa und ihrer Mutter. Lisa hatte seine Großmutter Sophie gern. Klemens erinnerte sich daran, dass sein Meister ihm vorgeschlagen hatte, ein neues Schuhmodell zu entwerfen, nachdem er für sein letztes Werk mit einem Preis ausgezeichnet worden war, und er grübelte über neue Formen nach. Klemens dachte auch an die Stepperin Elske, was sie wohl über ihn denken mag? Und ob der Geselle Günter sein Freund werden könnte? Ob er selber fromm ist, war Klemens nicht ganz klar, jedenfalls nicht so fromm, wie manche „altjüngferliche Tante‚ in seiner HeimatPfarre. Einige Male fuhren Uli und Toni mit Xaver in die Innenstadt, manchmal waren auch Elske 14

und Günter mit von der Partie. Sie fuhren zum Bebel-Platz. Die Hedwigs-Kathedrale und die Staatsoper waren im Krieg fast völlig zerstört worden, an der Staatsoper sah man erste Instandsetzungsarbeiten. Am Brandenburger Tor war die Quadriga stark beschädigt. „Der Gendarmenmarkt‚, sagte Toni, „war früher der schönste Platz Berlins. Vor über hundert Jahren fand hier eine “Kartoffelrevolution´ statt. Der Platz heißt jetzt “AkademiePlatz´. Man sieht noch die Wunden des Krieges.‚ Der Französische Dom steht noch, der Deutsche Dom und Schinkels Schauspielhaus sind stark beschädigt worden. „Zwischen zwei Spreearmen, auf der Museumsinsel, lag die Wiege der Stadt‚, sagte Uli. „Das beschädigte Stadtschloss, dessen Außenmauern und der nutzbare Nord-WestFlügel noch standen, ist 1950 gesprengt worden, damit der große leere Platz für große Aufmärsche nach Moskauer Vorbild dienen konnte. Der Berliner Dom und die Museen sind wenigstens noch stehen geblieben.‚ Sie 15