Interkulturelle Zusammenarbeit und internationales ... AWS

Die oberste Ebene – „Artifacts and Behaviour“ –, die sozusagen über der. Wasseroberfläche liegt, deutet auf alle hörbaren und sichtbaren Aspekte einer Kultur hin. Diese können von Sprache über Kunst, Architektur,. Kleidung, Essen bis hin zur Technologie reichen. Diese Ebene ist zwar leicht zu beobachten, aber schwer ...
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Petra Devcic  Interkulturelle Zusammenarbeit und internationales  Management: österreichische Kulturstandards aus kroatischer Sicht                                                        IGEL Verlag           

                                      Petra Devcic  Interkulturelle Zusammenarbeit und internationales  Management: österreichische Kulturstandards aus kroatischer Sicht    1.Auflage 2009  |  ISBN: 978‐3‐86815‐402‐3  © IGEL Verlag GmbH , 2009. Alle Rechte vorbehalten.   

   

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Inhaltsverzeichnis EINLEITUNG

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I THEORETISCHE GRUNDLAGEN 1 Überblick über Ansätze zur Erfassung des Kulturvergleichs 1.1 Der Kulturbegriff 1.2 Funktionen und Charakteristika von Kultur 1.3 Der Kulturvergleich 2 Ethisch-inhaltliche Ansätze des Kulturvergleichs 2.1 Kulturdimensionen nach Geert Hofstede 2.2 Die GLOBE Studie 2.3 Kulturdimensionen nach Fons Trompenaars 2.4 Kulturdimensionen nach Hall und Hall 2.5 Abschließende Würdigung und kritische Betrachtung der vorgestellten Methoden 3 Emisch-bilateraler Ansatz des Kulturvergleichs 3.1 Der Kulturbegriff nach Alexander Thomas 3.2 Kulturstandards 3.3 Ermittlung von Kulturstandards 3.4 Die Methode der Kulturstandards 3.5 Praktische Anwendung des Kulturstandardmodells 3.6 Kritische Betrachtung des Modells 4 Qualitative Sozialforschung 4.1 Merkmale qualitativer Sozialforschung 4.2 Das qualitative Interview 4.3 Das narrative Interview 4.4. Qualitative Inhaltsanalyse

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EMPIRISCHE STUDIE Methodologie 5.1 Untersuchungszeitraum und Design 5.2 Anwerbung und Auswahl der Interviewteilnehmer 5.3 Kontaktaufnahme 5.4 Statistisches Profil der Interviewpartner 5.5 Sammlung kritischer Interaktionssituationen 5.6 Sammlung von Selbstbeurteilungen 5.7 Sammlung von mono- bzw. fremdkulturellen Beurteilungen 5.8 Ermittlung von Kulturstandards 5.9 Problemfelder bei der Ermittlung der Kulturstandards

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Österreichische Kulturstandards aus der Sicht der kroatischen Manager 6.1 Titelbetonung, Respekt vor erlangten Positionen 6.2 Höheres Verantwortungsgefühl gegenüber der Arbeit 6.3 Trennung zwischen Privat- und Berufsleben 6.4 Schwache Beziehungsorientierung 6.4.1 Anderer Familienbund 6.4.2 Freundschaften 6.4.3 Nachbarn 6.4.4 Geschäft steht vor Beziehung 6.5 Planungsliebe 6.6 Regelbefolgung, Ordnung 6.7 Sparsamkeit, Kostenbewusstsein 6.6.1 Getrenntes Zahlen 6.6.2 Andere Prioritäten, wenig Modebewusstsein 6.7 Exkurs – Frauen in Österreich

56 56 70 84 104 113 130 143 151 160 172 181 186 193 200

III ZUSAMMENFASSUNG – Kroatien und Österreich im Vergleich

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IV SCHLUSSBEMERKUNGEN

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LITERATURVERZEICHNIS

EINLEITUNG Aufgrund der zunehmenden Internationalisierung des Wirtschaftslebens gewinnen internationales Management und internationale Handelskompetenz immer mehr an Bedeutung. Mitarbeiter werden oft ins Ausland entsendet, wo sie nicht nur im beruflichen, sondern auch im privaten Rahmen einer fremden Kultur ausgesetzt sind. Holzmüller weist darauf hin, dass bei internationalen Unternehmen praktisch in allen Bereichen internationale Kompetenz gefragt ist; sei es bei einer Tätigkeit, die nach außen gerichtet ist – wie zum Beispiel beim Kontakt mit fremdkulturellen Geschäftspartnern – oder bei einer nach innen gerichteten Tätigkeit – wie in der täglichen Zusammenarbeit mit fremdkulturellen Mitarbeitern (vgl. Holzmüller 1997, S. 69f.). Die Ermittlung der kulturellen Unterschiede zwischen Kroatien und Österreich ist allein aufgrund der intensiven Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden Ländern äußerst wichtig. Kroatien ist einer der wichtigsten österreichischen Wirtschaftspartner in Südosteuropa und nimmt den ersten Platz bei österreichischen Investitionstätigkeiten ein (vgl. Passin, Felkier 2006, S. 62). Es ist anzunehmen, dass sowohl die wirtschaftlichen als auch die Beziehungen auf persönlicher Ebene zwischen den beiden Ländern in Zukunft noch weiter ausgebaut werden. Das Ziel dieser Untersuchung ist es, Unterschiede zwischen der kroatischen und der österreichischen Kultur aufzuzeigen und ein besseres Verständnis für die jeweils andere Kultur zu fördern. Da bereits im Jahr 2003 eine Untersuchung über kroatische Kulturstandards aus der Sicht österreichischer Manager von Alexander Real verfasst worden ist, galt es, auch die andere Sichtweise zu erkunden, um ein Spiegelbild erstellen zu können. Die österreichischen Kulturstandards aus der Sicht kroatischer Manager wurden ebenfalls nach der Kulturstandardmethode von Alexander Thomas ermittelt bzw. mittels offener qualitativer Interviews erfragt. Die Ergebnisse der Interviews werden im empirischen Teil der Arbeit präsentiert. Eine Besonderheit dieser Arbeit stellt der überdurchschnittlich hohe Anteil der Frauen bei der Befragung dar. Fast 50% aller Gesprächspartner waren Frauen, womit der neue Forschungsschwerpunkt in der sozialen Forschung stark berücksichtigt wurde. Im theoretischen Teil werden alle für diese Untersuchung relevanten Aspekte behandelt. Nach einer Definition von Kultur und einem Überblick über ihre Funktionen und Charakteristika werden universelle Ansätze des Kulturvergleichs vorgestellt, welche bei der Darstellung der Ergebnisse als Ergänzung oder Erklärung kultureller Phänomene herangezogen werden. Ferner wird das Kulturstandardkonzept von Alexander Thomas erklärt, 3

auf dessen Theorie die vorliegende Arbeit basiert. Da das Kulturstandardkonzept auf den Grundsätzen qualitativer Sozialforschung aufbaut, wird auch auf die für diese Arbeit relevanten Methoden näher eingegangen.

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I THEORETISCHE GRUNDLAGEN 1

Überblick über Ansätze zur Erfassung des Kulturvergleichs

1.1

Der Kulturbegriff

Da in der Wissenschaft so viele verschiedene Disziplinen das Wort Kultur benutzen, ist in der Literatur keine einheitliche Definition von Kultur zu finden; der Kulturbegriff wird je nach Forschungsschwerpunkt unterschiedlich ausgestaltet (vgl. Brück 2002, S. 11). Während zum Beispiel Anthropologen unter Kultur Bräuche und Riten verstehen, welche sich im Laufe der Geschichte in den Gesellschaften unterschiedlich entwickelt haben, finden Manager, dass sich Kultur „an bestimmten Werten orientieren soll, die die Manager ihren Unternehmen einimpfen wollen“ (vgl. Schein 1995, S. 18). Ajiferuke und Boddewyn beschreiben diesen Sachverhalt sehr treffend: „Culture is one of those terms that defy a single all-purpose definition, and there are as many meanings of culture as people using the term“ (Ajiferuke/Boddenwyn 1970; zitiert in Feichtinger 1998, S. 18). Bereits in den fünfziger Jahren haben Kroeber & Kluckhohn über 150 unterschiedliche Definitionen von Kultur miteinander verglichen und definierten Kultur letztlich wie folgt: „Kultur besteht aus expliziten und impliziten Verhaltensmustern, die durch Symbole erworben und vermittelt werden, die spezifische Leistungen einer menschlichen Gruppe begründen, einschließlich ihrer Verkörperung in Kulturprodukten. Der Wesensgehalt der Kultur besteht aus tradierten (historisch gewachsenen und selektierten) Ideen und damit verbundenen Wertvorstellungen. Kulturelle Systeme können einerseits als Ergebnisse von Handlungen und andererseits als Bedingungselemente von Handlungen betrachtet werden“ (Kroeber/Kluckhohn 1952, S. 181). Aus dieser sowie auch aus vielen anderen Kulturdefinitionen geht hervor, dass Kultur mehrere Ebenen umfasst. Prinzipiell kann zwischen horizontalen und vertikalen Ebenen der Kultur unterschieden werden. Die horizontalen Ebenen von Kultur unterscheiden zwischen Gruppen/Unternehmen/Organisationen, Nationen/Ländern und Kulturkreisen (vgl. Brück 2002, S. 14ff).

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Dies wird aus der folgenden Abbildung deutlich:

Gruppen/ Unternehmen/ Organisationen

Nationen/Länder Kulturkreise

Abb.1: Horizontale Ebenen von Kultur, Quelle: Brück 2002, S.15

Die Kulturkreise stellen die unpräziseste Einheit der Kultur dar und beschränken sich nur auf wenige oder sogar auf nur eine Gemeinsamkeit der Mitglieder einer Kultur, wie zum Beispiel Religion oder Sprache. Die am häufigsten verwendete Eingrenzung zwischen Kulturen ist hingegen jene zwischen Ländern und Nationen. Wenn man in diesem Fall von Kultur spricht, so meint man die Kultur eines Landes und bezieht sich auf dessen Bewohner. Man muss allerdings mit Verallgemeinerungen vorsichtig sein und in Bedacht nehmen, dass innerhalb eines Landes auch verschiedene Subkulturen existieren. Diese bilden den engsten Kreis der horizontalen Ebene, sind aber trotzdem sehr breit gefasst. Dies bedeutet, dass sie von Familien über Organisationen bis hin zu Berufsgruppen reichen können (vgl. Brück 2002, S. 16).

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Mit den vertikalen Ebenen der Kultur hat sich Schein (1985) auseinandergesetzt und diese anhand seines Eisbergmodells wie folgt dargestellt:

Abb.2: Das Eisbergmodell, Quelle: Schein 1985, S. 14

Die oberste Ebene – „Artifacts and Behaviour“ –, die sozusagen über der Wasseroberfläche liegt, deutet auf alle hörbaren und sichtbaren Aspekte einer Kultur hin. Diese können von Sprache über Kunst, Architektur, Kleidung, Essen bis hin zur Technologie reichen. Diese Ebene ist zwar leicht zu beobachten, aber schwer zu entschlüsseln. Um diese Aspekte auch zu verstehen, muss man sich zuerst mit der darunter gelegenen Ebene – mit Werten und Normen einer Kultur – auseinandersetzen (vgl. Schein 1995, S. 30). „Values and Norms“, die bereits unter der Wasseroberfläche liegen, deuten auf weniger greifbare Aspekte einer Kultur hin. Hier geht es um Werte, Einstellungen und Normen, die das Verhalten von Personen steuern. Während Normen verschiedene Handlungsvarianten vorschreiben, dienen Werte dazu, eine der vorgeschriebenen Handlungsalternativen auszuwählen. Wenn man über diese Ebene Bescheid weiß, kann man sich erklären, wieso es in bestimmten Kulturen zu gewissen Handlungen kommt (vgl. Schein 1995, S. 32). Die „Basic Assumptions“ stellen für Schein den eigentlichen Kern der Kultur dar. Diese Basisannahmen sind eng mit den Werten und Normen verbunden, aber weder sichtbar, noch sind sich die Mitglieder der betroffenen Kultur ihrer Existenz oder ihrer Wirkung bewusst. Man handelt

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nach diesen Annahmen und nimmt sie als selbstverständlich, natürlich und richtig wahr. Sie sind so weit verinnerlicht, dass sie gar nicht in Frage gestellt werden (vgl. Schein 1995, S. 33). Auf die Bedeutung der letzten Ebene weisen ebenso Samovar und Porter (1994, S. 62) hin; da ihrer Meinung nach Kultur angelernt ist, werden Werte, Einstellungen und demnach auch gewünschte Verhaltensweisen an die Kinder von ihrer Geburt an weitervermittelt. Das Lernen geschieht dabei meist unbewusst. In welche der letzten zwei Ebenen nach Schein die Ergebnisse der Kulturforscher wie Trompenaars, Hofstede oder Thomas eingeordnet werden können, ist in der Literatur noch umstritten. Da dieser letzte Bereich so schwer zugänglich ist, kamen verschiedene Autoren zu unterschiedlichen Ergebnissen (vgl. Brück 2002, S. 19). Im Hinblick auf das Individuum kann gesagt werden, dass sowohl die horizontalen als auch die vertikalen Ebenen dieses auf unterschiedliche Weise beeinflussen. Wenn es zu internationalen Begegnungen kommt, so trägt jede Persönlichkeit sowohl die nationale Kultur als auch die subkulturellen Standards in sich, die man auch als „Ausdruck kulturinterner Differenzierung“ verstehen kann und die sich auf deren Verhalten auswirken (Brück 2002, S. 19). 1.2

Funktionen und Charakteristika von Kultur

Schon vor zweihundert Jahren hat Thomas Fuller gemeint, Kultur wäre dazu da, um „alles einfacher zu machen“ (zitiert in Samovar, Porter 1994, S. 49). Diese Aussage ist auch heute noch aktuell, denn Kultur gibt tatsächlich einen Rahmen vor, innerhalb dessen man sich orientieren kann. Auf diese Art und Weise wird die Welt „vorhersehbarer“ und strukturierter. Die Mitglieder einer Kultur wissen, welche Verhaltensweisen gewünscht sind und akzeptiert werden, und welche nicht. Sie wissen, was für Verhaltensweisen sie von ihrem Gegenüber in bestimmten Situationen erwarten können, was das Leben um einiges einfacher macht (vgl. Samovar, Porter 1994, S. 49). Diese These impliziert, dass Kultur nicht angeboren, sondern angelernt ist. Die Eltern zeigen ihren Kindern von Geburt an vor, wie sie sich verhalten sollen. Man könnte es auch wie folgt ausdrücken: „Culture ist the collection of life patterns that our elders give us“ (Samovar, Porter 1994, S. 55). Erlernt wird Kultur durch Interaktion, durch Beobachten und Nachahmen. Wir lernen, wie wir jemanden begrüßen, beobachten die Rollenaufteilung in unserer Gesellschaft und lachen z. B. über dieselben Scherze wie unsere

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Eltern oder Freunde. Dieses bewusste Lernen ist leicht zu sehen und zu erklären, meist geschieht Lernen allerdings unbewusst. Ruben (zitiert in Samovar, Porter 1994, S. 56) meint, dass „the presence of culture is so subtle and pervasive that it simply goes unnoticed. It´s there now, it´s been there as long as anyone can remember, and a few of us have reason to think much about it.“ Hiermit wird auch die dritte Ebene von Scheins Theorie unterstützt und deutet ebenfalls darauf hin, dass der essenzielle Teil der Kultur unbewusst ist und nicht hinterfragt wird. Lernen erfolgt zum Großteil auf unbewusster Basis und unterscheidet so eine Kultur von der anderen. Samovar und Porter (1994, S. 58ff.) haben einige Charakteristika von Kulturen herausgearbeitet und weisen in ihrer Arbeit darauf hin, dass Kultur von einer Person zur anderen weitergegeben, wird sowie auch von einer Gruppe oder Generation zur anderen. Dabei ist der Inhalt der Kultur subjektiv und kommunizierbar und von Gruppe zu Gruppe unterschiedlich. Jede Kultur repräsentiert eine bestimmte Auswahl aus allen möglichen Verhaltensweisen, die auf Grundannahmen und Werten basieren, welche die einzelnen Kulturen voneinander unterscheiden. All die Facetten, die eine Kultur ausmachen, sind miteinander verbunden, und wenn ein Aspekt berührt wird, so beeinflusst die Veränderung wie ein Domino-Effekt auch alle anderen Aspekte. Im Hinblick auf die Wahrnehmung und Interaktion mit anderen Kulturen wird angenommen, dass die Kultur etnozentrisch ist. Das bedeutet, dass andere Kulturen anhand eigener Maßstäbe gesehen und demnach auch subjektiv beurteilt werden – was unter Umständen zu Problemen und Missverständnissen in der interkulturellen Interaktion führen kann. Des Weiteren wird Kultur als ein dynamisches System gesehen, das sich mit der Zeit verändert, sei es langsam und kontinuierlich oder bedingt durch bestimmte politische, wirtschaftliche oder gesellschaftliche Ereignisse, wie zum Beispiel durch Regimewechsel, Krieg oder Zuwanderungen. Wie auch später sichtbar wird, ergänzen sich die Annahmen von Samovar und Porter gut mit der Sicht des Kulturforschers Alexander Thomas, nach dessen Theorie die empirische Untersuchung gestaltet wurde. 1.3

Der Kulturvergleich

Kulturen können entweder aus sich heraus (intrakulturell) oder durch den Vergleich mit anderen Kulturen (interkulturell) betrachtet und erforscht werden. Bei der intrakulturellen Vorgehensweise werden die „Kategorien

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aus dem inneren Kontext der Kulturen heraus gebildet“, während bei der interkulturellen Methode zwei oder mehrere Kulturen miteinander verglichen werden (Vgl. Feichtinger 1998, S. 24). Dies kann prinzipiell auf zwei unterschiedliche Weisen erfolgen. Während es bei der ersten (etischen) Methode darum geht, universelle Aspekte von Kulturen herauszufinden, zielt die zweite (emische) Methode darauf ab, kulturspezifische Aspekte innerhalb einer Kultur zu erforschen (vgl. Bhawuk/Triandis 1996, S. 23–24). Der emische Ansatz hat eine „kulturangepasste“ Sichtweise. Dies bedeutet, dass in der interkulturellen Forschung versucht wird, Phänomene, die in einer bestimmten Population auftreten, so gut wie möglich abzubilden und länderspezifische Konzepte und Messinstrumente zu entwickeln. Dies wiederum macht einen kulturübergreifenden Vergleich schwierig, weil Konzepte, die in einer bestimmten Population entwickelt werden und gebräuchlich sind, nicht unbedingt universelle Bedeutung haben müssen (vgl. Holzmüller 1995, S. 56). Der emische Ansatz empfiehlt sich vor allem in jenen Forschungsfeldern, in denen es noch wenig Vorwissen über die zu untersuchenden Sachverhalte gibt. In der Kulturforschung bedeutet das, zuerst ein grundsätzliches Verständnis von Phänomenen und deren Kulturgebundenheit in den einzelnen Kulturen zu entwickeln, um nachher Möglichkeiten der interkulturellen Vergleichbarkeit zu entdecken (vgl. Holzmüller 1995, S. 152). Bei Forschungsfeldern, bei denen bereits intrakulturelle Erkenntnisse vorliegen und ein Kulturvergleich als möglich oder sinnvoll eingeschätzt wird, empfiehlt sich die Anwendung des etischen Ansatzes. Dieser hat eine „kulturübergreifende“ Sichtweise und hat zum Ziel, universell gültige Konzepte und Vergleichsmaßstäbe zu identifizieren (vgl. Holzmüller 1995, S. 56). Dementsprechend wird dieser Ansatz auch von Kulturforschern wie Hofstede, Trompenaars und Hall eingesetzt, die annehmen, dass Kulturen universell verbreitete und gültige Dimensionen aufweisen (vgl. Bhawuk,Triandis 1996, S. 23). Zusammengefasst kann also gesagt werden, dass sich für Vergleiche zwischen Kulturen der etische Ansatz empfiehlt, während sich für das Ergründen einer Kultur der emische Ansatz besser eignet (vgl. Triandis 1994, S. 68). Die beiden Sichtweisen schließen einander jedoch keineswegs aus, sondern können als Stufen innerhalb eines Forschungsprozesses gesehen werden, die einander ergänzen (vgl. Holzmüller 1995, S. 56). Die folgende Tabelle fasst die Charakteristika der emischen und der etischen Vorgehensweise zusammen: 10

emisches Vorgehen

etisches Vorgehen

Der Forscher nimmt einen Standpunkt innerhalb des Systems ein. Die Untersuchung beschränkt sich auf eine Kultur. Der Forscher deckt eine bereits bestehende Struktur auf. Die Orientierungspunkte orientieren sich an systemimmanenten Merkmalen.

Der Forscher nimmt einen Standpunkt außerhalb des Systems ein. Es wird eine vergleichende Untersuchung mehrerer Kulturen vorgenommen. Die Forscher schaffen selbst die Struktur. Die Ordnungsgesichtspunkte sind absolut und universell.

Abb. 3: Emisches und etisches Vorgehen im Vergleich, Quelle: Holzmüller 1995, S. 55

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