grosser fang

ihr Haus in der durch und durch weißen Vorstadt, die ihre Eltern bevorzugten, allerlei .... 3 Siehe Elisabeth Royte, »A Couple of Lesbians, Sitting around Talking ...
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Guinevere Turner V.S. Brodie T. Wendy McMillan Migdalia Melendez Anastasia Sharp s ta b

Musik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Brendan Dolan Jannifer Sharpe Schnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rose Troche Ausführende Produzenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tom Kalin Christine Vachon Kamera . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ann T. Rossetti Buch und Produktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Guinevere Turner Rose Troche Regie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rose Troche im Verleih der Edition Salzgeber

Rose Troche

KLEINE FISCHE – GROSSER FANG von b. ruby rich

Dies ist die Geschichte von einem Fisch – nicht die Art von Fisch, die entwischt, sondern die Art von Fisch, die gefangen wurde und einen Pokal gewonnen hat. Ein richtig großer Fang, muss man sagen. Es ist aber auch eine Geschichte, die uns allen eine Warnung sein sollte – eine Geschichte über Vermarktung, Identität und Unschuld. In Go Fish (1994) – der Film, der Trailer, die Legende – ging es ursprünglich nicht um diese Themen. Der Film war anfangs eher wie sein Name, welcher vermutlich auf das eher abgeschmackte Schild »Gone Fishing« zurückgeht. Dieses Schild hing an Türen in Büros in ganz Amerika, wenn das durch und durch unkapitalistische und ununternehmerische Phänomen der Frühjahrsmüdigkeit über die Angestellten hereinbrach. Hierzu passt es also vermutlich ganz gut, dass sich ein kleiner, mit wenig Budget und in Schwarzweiß gedrehter Independent-Film mit einem Titel, der im Grunde auf eine ganz elementare, unhippe, fast schon provinzielle Weise etwas Spielerisches repräsentiert, innerhalb einer so kurzen Zeit zu einem Festivalhit und zu einem legendären Verkaufsobjekt entwickeln würde. Natürlich steht ein solcher Erfolg auch für eine andere Art von amerikanischer Idee – für jene, bei der es nicht wirklich um das Spielerische geht. Es muss jedoch im Verlauf dieser Entwicklung dafür gesorgt werden, dass die fragile Unschuld und die Aufrichtigkeit des als Herzensangelegenheit produzierten Originals nicht auf dem Weg zur Bank verpufft. Wenn dieser Artikel also eine heimliche Agenda hat, dann ist es der Versuch, einem Backlash zuvorzukommen und hervorzuheben, dass dieser Film weit mehr ist, als der Angelausflug irgendeines Mainstream-Verleihs. Go Fish begann als kleiner Film mit dem Titel Max und Ely. Er entstand 1991 in Chicago, geschrieben von dem Pärchen Rose Troche und Guinevere Turner. Beide waren in ihren Zwanzigern und völlig ineinander und in ihr Projekt vernarrt. Es war ein lesbischer Film von, über und für Lesben, inspiriert weniger von dem, was die beiden Macherinnen in den Clubs sahen, als vielmehr von dem, was sie dort nicht sahen. Es ging darum, Spaß zu haben. Laut Turner war es einfach »ein kleiner Film, der …« 1 . Für eine ganze Weile blieb es allerdings erst einmal nur ein kleiner Film. 1992 ging den beiden das Geld aus. Die komplett aus Freiwilligen bestehende Crew begann die Hoffnung zu verlieren. Sie alle hatten sie sich breitschlagen lassen, ohne Bezahlung zu arbeiten, weil sie den Traum teilten, lesbischem Kino Leben einzuhauchen. Troche dazu: »Ist ja wohl klar, dass man auf jede beliebige Lesbe zugehen kann und sagen kann: ›Hey, hast Du nicht Lust, bei einem Film mitzumachen? Ich meine, schau Dir doch mal den ganzen Mist an, den es sonst noch so gibt‹. Alle sagen natürlich: ›Ich bin dabei.‹« Naja, was die Konsequenzen sind, dürfte klar sein. Und so kam es dann auch. Als die beiden plötzlich ohne Geld, mit weniger Freundinnen als voher und einem halbfertigen Film da standen, schrieben sie einen Brief an die in New York lebende Christine Vachon. Denn so schlecht die Dinge auch standen – es gab inzwischen immerhin eine lesbische Produzentin in den USA , die bei der Entstehung von Independent-Fil-

men wie Poison (1991) und Swoon (1992) Hilfe geleistet hatte. Und sie wussten, dass ihr Produktionspartner Tom Kalin ein waschechter Chicagoer war. Sie glaubten immer noch an Märchen und gute Feen. Vachon las den Brief, sah zwanzig Minuten des Films, las das Drehbuch und war an Bord. Die Mädels waren zurück im Geschäft. 1992 konnte John Piersons Produktionsfirma Islet Films genug Geld aufbringen, um die Dreharbeiten abzuschließen. Ab 1993 arbeiteten und vergnügten sich die beiden Ex-Liebhaberinnen Turner und Troche in New York. Troche schnitt wie wild an dem Filmmaterial herum, Turner machte den Feinschliff an den Voice-Overs. Das Sundance-Festival entschied sich kurz darauf dafür, den Film zu zeigen 2 . Ich selbst war völlig verzückt und schrieb in meinem Kopf bereits den Katalogtext: »Go Fish beginnt genau da, wo Coming-Out-Filme normalerweise enden.« Ich war nicht gerade zurückhaltend bei meiner Adjektivwahl: sehnsüchtig, schwärmerisch, witzig-ernst, fantasievoll und »die starke filmische Gabe, Anmut zu zeigen.« Go Fish kam 1994 mit großen Hoffnungen und vielen Ängsten nach Park City in Utah. Am Tag der Eröffnung waren Rose Troche, Regisseurin und Co-Autorin, und Guinevere Turner, Schauspielerin und Co-Autorin des Films, eingetroffen. Nicht eingetroffen war eine Schachtel Nagelknipser, die als Promomaterial hätten verteilt werden sollen. Troche und Turner fragten sich, ob den Film an diesem Ort überhaupt jemand mögen würde. Denn das hier war ja immer noch »Jungszone«. Aber bereits bei der ersten Vorführung drehten die Leute durch. »Gott im Himmel, sind die heiß«, sagte die Heterofrau über die Lesben auf der Leinwand. »Gebt ihr Geld, damit sie ganz schnell noch einen Film drehen kann«, sagte der Heteromann über die lesbische Regisseurin auf der Bühne. Tom Kalin, ein Sundance-Veteran, geleitete sie schützend durch die Stadt. Das erste lesbische Dinner des Sundance-Festivals wurde abgehalten und Goldwyn schrieb Festivalgeschichte, als der Filmverleih mit ihnen bereits am Eröffnungswochenende einen Distributionsvertrag abschloss. Dann kam das Marketing: so noch nie da gewesene Anzeigen zeigten zwei Frauen, die sich küssen (wobei eine davon – unbeabsichtigt oder nicht – wie ein Mann aussieht, wenn es zu dunkel gedruckt wird), dazu ein Text in krakeliger Handschrift. Im Mai kamen dann Trailer in die Kinos und wurden im Vorprogramm von anderen Qualitäts-Filmen gezeigt. Dann schlug die Presse ein: Turner hatte eine ganze Seite im »Interview«-Magazin, ihre Haare waren dabei so vor ihrem Gesicht arrangiert, dass sie wie ein Perlenvorhang aussahen, während sie als Autorin angepriesen wurde, die man im Auge behalten sollte. Rose wurde vom »Rolling Stone« als coolste Regisseurin des Jahres 1994 abgefeiert – auf den Bildern war sie gepierct und sah ziemlich heftig aus. Zusammen schafften sie es außerdem auf den zweiten Platz des »Talk of the Town«-Rankings des »New Yorker«, was an sich schon ein riesengroßes Statussymbol wäre, wenn der Autor oder die Autorin des Textes (damals war die Anonymität der Autor/innen in der »Talk«-Sparte üblich, wobei man weiß, dass Jaqueline Kennedy auch einmal einen Beitrag geschrieben hat) sich nicht darüber hinaus auch noch endlos darüber ausgelassen hätte, was für ein guter Flirt Turner sei und wie sehr die ganze Lobhudelei Troche schmeichelte und, naja, wie charmant selbstverliebt die bei-

den seien und wie sie ihre Zigaretten selbst rollten und was für wunderschöne Frauen sie seien und wie sehr sie diese Café-Tabac-Attitüde hätten 3 . Dies zeugte von einem so noch nie dagewesenen Respekt für einen lesbischen Film. Und man darf dabei nicht vergessen, dass Go Fish noch nicht einmal angelaufen war. Go Fish bietet sich als hübsche kleine Fabel dar: Der kleine Film, der von seinem Untergang gerettet wird, den Nagel auf den Kopf trifft, auf den Markt gefegt wird, während sich seine Hardcore-Fans plötzlich darum sorgen, dass der Hype in einen Backlash übergehen wird. Dass die feinen Qualitäten des Films – seine Unschuld und seine Leidenschaft – für reine Berechnung gehalten werden, sobald sich der Kontext verändert. Ängste, die sich wohl am besten in Witzen widerspiegeln wie: Wird Madonna sich die Remake-Rechte sichern? Wenn Go Fish den Respekt bekommen soll, den der Film verdient – völlig unabhängig vom und unverzerrt durch den Rezeptionskontext – ist es wichtig, den Ursprung des Films zu verstehen. Nehmen wir dazu diese zehn Ursprungsmythen als Ausgangspunkt:

Ursprung 1: A Comedy in Six Unnatural Acts 1975 schuf Jan Oxenberg A Comedy in Six Unnatural Acts, die erste (und beinahe letzte) lesbische Komödie. Als Senkrechtstarter in Sachen Political Correctness und homophobe Stereotypen war sie ihrer Zeit voraus. Der raue und politisch anspruchsvolle Film war mit einem winzigen Budget gedreht worden und wurde jahrelang auf Frauenfilmfestivals und Soireen kulturinteressierter Feministinnen gezeigt. Für mich persönlich ist Go Fish die Tochter von Comedy – der lebendige, atmende Beweis, dass lesbischer Camp wirklich existiert und sogar eine Abstammungsgeschichte hat. Leider haben ihn Troche und Turner nie gesehen.

Ursprung 2: Der Rhythmus Puerto Ricos Die Eltern von Rose Troche sind Puerto Ricaner, direkt von der Insel. Sie sagt, dass ihre Eltern nicht verstehen konnten, warum das Übersiedeln in die USA ihnen nicht automatisch die Fähigkeit gegeben hatte, ein blauäugiges, blondes Baby nach dem anderen herauszupumpen anstelle jener Kinder, die sie bekamen. Sie zogen von einem Teil des Landes in den nächsten und nötigten sie so, jährlich die Schule zu wechseln. Sie lernte dadurch, sich durchzukämpfen und Menschen zum Lachen zu bringen. Da sie über keinerlei Begriffe für Rassismus verfügte, konnte Troche nie verstehen, warum ihr Haus in der durch und durch weißen Vorstadt, die ihre Eltern bevorzugten, allerlei Spott ausgesetzt war. Oder warum der Akzent ihrer Mutter am Telefon der Grund für soziale Ächtung war. Während eines Gesprächs in einer Kneipe in Park City sieht sie sich im Raum um und fragt, was passiert wäre, wenn sie beim Sundance-Festival mit richtig starkem Akzent gesprochen hätte statt ihrer assimilierten Art zu sprechen. Das ständige Umziehen und der Community-Wechsel wurde für sie zu einem zentralen Thema: Sie ging auf eine öffentliche Universität, zu der die Studierenden pendelten und auf der

sie sich nie wirklich kennenlernten. Sie hatte Zeit, während ihrer neun Jahre an der Universität von Illinois, Chicago, eine ganze Reihe von Fächern zu studieren: Industriedesign zum Beispiel, welches einige Jahre lang ihr Hauptfach war: »Kannst du dir etwas Oberflächlicheres vorstellen, als die Außenseite von Dingen zu designen?«, witzelt Troche heute und wundert sich über ihr junges Selbst. Stattdessen ist sie ganz offensichtlich dazu übergegangen, Eingeweide zu designen.

Ursprung 3: Die Krise der Kommune Guinevere Turner spricht nicht gerne über ihre Vergangenheit oder ihre Kindheit, auch wenn sie schließlich zugibt, dass sie ein Kommunen-Kind ist: »Ich will irgendwann einmal folgendes Buch schreiben: Die Kinder der Blumenkinder.« Ich frage sie, ob sie eher ein strahlendend glückliches Kommunen-Kind oder eines mit bleibenden Spätfolgen ist. Sie legt nahe, dass sie wohl eher zur zweiten Kategorie gehört. In ihren Erfahrungen am sehr liberalen und geisteswissenschaftlichen geprägten Sarah-Lawrence-College setze sich das Thema Kommune fort – in Form einer isolierten und voneinander abhängigen Gruppe, deren Mitglieder sehr von sich selbst überzeugt waren und die geradezu kultische Züge hatte. Vermutlich ein erstklassiges Bootcamp für die lesbische Nation. Sie zog nach Chicago – weg von der Kontrolle durch die Gruppe, und versuchte zu schreiben. Sie hatte Angst, dass ihr langhaariger Heterolook es schwer für sie machen würde, Lesben zu treffen. Daher ging sie zu einem ACT-UP-Treffen, wo sie Troche kennenlernte. Der Rest ist Geschichte.

Ursprung 4: Kneipen, negativ Turner und Troche taten, was jedes junge verliebte Lesbenpaar mit Respekt vor sich selbst tun würde: Sie gingen aus. Und was sahen sie dort? »Oh nein, nicht schon wieder die Regenszene aus Desert Hearts! Nicht Personal Best! Oh, schon wieder Begierde.« Videoclips sind die gemeinsame Klammer lesbischer US -Bars in Sachen Unterhaltung. Das Dilemma besteht darin, dass es wenig zum Zusammenklammern gibt. Das Paar hatte gegen die meisten dieser Filme auch gar nichts. Im Gegenteil: Turner sah Desert Hearts mit achtzehn und war völlig davon gefesselt – vom lesbischen Paar darin genauso wie vom Film selbst. Nein, es war der Mangel an Filmen, der sie nervte. Dann kam 1991 dieser widerliche Blake-Edwards-Streifen Switch heraus. Das brachte das Fass zum Überlaufen. Troche erinnert sich: »Wir dachten, wenn die das können, können wir das auch.« Schwüre wurden abgelegt. Sie hörten auf, T-Shirts zu machen, ACT-UP-Benefiz-Performances zu inszenieren und lesbische Safer-Sex-Erotikfotos zu schießen und schufen sich ein neues Projekt. Sie würden nun stattdessen einen Film machen. »Wir fanden es großartig, ein Projekt zu haben. Es war nicht mal Arbeit aus Liebe zu der Sache. Es war überhaupt keine Arbeit.«

Ursprung 5: Kneipen, positiv Sie fanden aber auch vieles toll, was sie in Kneipen vorfanden: die Energie und Kame-

radschaft, das leidenschaftliche Bekenntnis zu Lebensentscheidungen. Und ich wage sogar zu behaupten: das Format Video. Nicht die Videoclips von Mainstream-Filmen mit historisch relevanten oder albernen Lesben, sondern die alternativen Videotapes, die seit den späten Achtzigern und frühen Neunzigern von der und für die Community produziert wurden. So wie Disco-Musik die schwule Kultur in den Siebzigern befeuert hat, befeuerte die Explosion von Bar-Videos aus meiner Sicht die lesbische Identität. Turner und Troche sehen sich in diesem Feld ganz eindeutig in einer Gefolgschaft. Troche dazu: »Ich hoffe wirklich, dass die Verbindung zwischen unserer Arbeit und der Arbeit von Menschen wie Cheryl Dunye (Philadelphia) und Sadie Benning (Milwaukee und Chicago) klar erkannt wird. Es wäre schrecklich, wenn Go Fish auf ein Podest gehoben werden würde, nur weil es ein Langspielfilm ist.« Die Sprache, die in den Videoarbeiten entwickelt wurde und dann über die Grenzen zwischen Film und Tape hinweg dialogisch gesprochen wurde, kommt jedes Jahr im Rahmen von lesbischen und (lesbisch-)schwulen Filmfestivals auf die Leinwand. Diese gehören zu den einzigen Filmfestivals, die auch Videoarbeiten gleichberechtigt in ihren Filmmix einbeziehen. Sie sind die Zukunft. Kritiker/innen allerdings bewegen sich häufig außerhalb dieser Subkultur; für sie muss Go Fish wirken, als sei der Film einfach so vom Himmel gefallen und nicht das Produkt einer Community mit einer gemeinsamen ästhetischen Stimme.

Ursprung 6: Glückliche Autorinnen schreiben glückliche Figuren »Nein, uns ging es echt mies.« Turner und Troche bestehen darauf, dass sie sich bis aufs Äußerste gestritten hätten, als sie zusammen waren, und dass Go Fish ein wohlbedachter Versuch war, sich so etwas wie lesbisches Glück vorzustellen. Sie wollten einen Feel-Good-Film machen – trotz ihrer eigenen Lebenssituation. »Jaja, das ist wunderbar«, war ihr Mantra des Lesbisch Seins. »Wir brauchten einen Ruck in unseren Leben, um uns daran zu erinnern: Mädels, lasst nicht den Kopf hängen.« Es ging ihnen darum, sich nicht unterkriegen zu lassen. Eine Zeitlang gab es einen Autounfall im Skript, einen Selbstmord und eine Konfrontation mit einigen gewalttätigen homophoben Männern. Aber all das ließen sie hinter sich. Sie behaupten auch, dass ihre Figuren, die jeden mit ihrem Charme betören, der ihren Weg kreuzt, sehr viel netter sind als sie selbst. Turner beispielweise betont, dass sie nicht so unausstehlich ist wie Max, während Troche hervorhebt, dass sie ihr vollkommen gleiche und höchstens eine andere Kappe im echten Leben trage.

Ursprung 7: Chicago Rose Troche ist ein Produkt der Chicagoer Avantgarde-Tradition. Sie will, dass ihrem Publikum bewusst ist, dass es sich da etwas Fiktives ansieht. Deshalb also diese wortstarken Übergänge zwischen den Szenen, die Emotionen und Gesten in einem Durcheinander von Oberteilen, Spielen und Händen miteinander verbinden. Sie studierte an der Universität Illinois bei Hans Schall, ihrem Helden. »Ich verdanke all das Hans«, betont sie und zollt so jenem Mann Tribut, der ihr beibrachte, wie man aus drei Minu-

ten Filmmaterial und einem Optischen Printer einen Langspielfilm machen kann. »Ich mag es, wenn der Film körnig ist.« Sie rühmt sich damit, dass sie alle optischen Effekte selbst macht und steht offen zu ihrer Avantgarde-Ausbildung. »Mein Cutter hat mich gehasst, weil der Film so viele Schnitte hat.« Troche erinnert sich daran, dass es beim Schneiden zu »Feel That Love« am Ende des Films schwierig war, eine filmische Analogie für das Scratchen im Hiphop zu finden. Sie glaubt, dass das eine Frage des Rhythmus ist – ob man in den Groove einsteigen kann. Sie witzelt darüber, dass sie selbst als Puerto Ricanerin eigentlich den Rhythmus im Blut haben müsste. »Aber ich habe das Weiß Sein inzwischen so verinnerlicht, dass ich manchmal denke, sorry, aber könnte ich vielleicht ein bisschen was von meiner Kultur zurückhaben?« Natürlich war die Universität in Illinois in dieser Hinsicht auch kein Zuckerschlecken. Wayne Boyer, ein ortansässiger Autokrat, ließ sie niemals auch nur in die Nähe des »guten« Optischen Printers.

Ursprung 8: Literatur und filmische Bildung Hier gibt es, naja, viele verschiedene Einflüsse. Für Turner, die das kreative Schreiben bei Sarah Lawrence studiert hat, waren die Werke von Jeanette Winterson der größte Einfluss. Sie ist nach wie vor ihre Heldin. Turner schreibt kurze – wirklich sehr, sehr kurze – fiktionale Texte und großartige Einzeiler. Aus diesem Grund hat Go Fish einen so kohärenten Sinn für seine Charaktere. Da jede der beiden buchstäblich die Sätze der anderen vervollständigt, startet Troche direkt eine Polemik über Turners Bestreben, die Eindringlichkeit einer Roman-Liebesgeschichte wie Winterson’s Written on the Body in einen Film zu bekommen, der sich anfühlt, riecht und atmet, wie Bücher es tun. Für Troche gab es allerdings auch warnende Beispiele und schlechte Vorbilder. So beklagt sie zu Beispiel, dass Lizzie Borden oder Chantal Akerman von ihrem lesbischen Kernpublikum hin zum Mainstream übergewechselt seien, wo Heterosexualität die Leinwand dominieren muss – sie scheut sich allerdings davor, ihre Schwestern dafür zu diskreditieren. »Ihr macht das schon, Mädels«, ist eher ihre Devise. Sie liebt I’ve Heard the Mermaids Singing (1987), Patricia Rozema ist eine weitere Heldin. Getroffen hat sie sie bisher nicht, genauso wenig wie die anderen.

Ursprung 9: Die lesbische Community Als Troche und Turner ihre lesbische Gang für den jahrelangen Dreh von Go Fish zusammentrommelten, hatten sie noch immer ein sehr euphorisches Bild vom Lesbisch Sein und von Lesben an sich. Zu Beginn bestand das Team vollständig aus Frauen, und Roche kann sich noch immer das Energiefeld erinnern, das bei diesem Aufeinandertreffen entstand. »Es gab Tage, da konnte man fünfzehn Frauen dabei beobachten, wie sie die Schienen für die Kamera verlegten.« Es war ganz offensichtlich ein großartiges Erlebnis. »In dieser Community gibt es einfach so viel Stärke«, sagt Troche, wobei sie beklagt, wie wenig die Community mobilisiert ist. Dann drehte sich der Wind, die Gang hatte plötzlich schicke Haarschnitte und Attitude, machte sich schließlich vom

Acker – nun ja, so ist sie eben auch, die Community. »Sie haben einfach irgendwann nicht mehr an uns geglaubt.« Troche und Turner haben heute eine philosophische Perspektive auf ihren Film: »Selbst wenn Lesben, die den Film sehen, sagen, ›dieser verdammte Go Fish‹, ist das schon ein Erfolg.« Wenn sie sagen, dass sie das toppen können und ihren eigenen Film machen – großartig! Soll der Film doch Nachfolgerinnen und Gegenentwürfe und Debatten provozieren, so lange er nur mehr Filme nach sich zieht. In diesem Sinne ist Go Fish vergleichbar mit einer Art Molotov-Cocktail, der wie ein Brautstrauß in Richtung der Meute geworfen wird.

Ursprung 10: Genretraditionen Das Original-Presseheft für Go Fish enthält ein faszinierendes Statement der Regisseurin. Sie spricht darin in einem Atemzug über das Bedürfnis, weiterzumachen und eine Tradition lesbischen Filmemachens aufzubauen, wie über ihren Wunsch, einfach als Filmmacherin anerkannt zu werden, punkt. Sie bedauert aber auch, dass sich die Reaktionen bislang so sehr auf den Inhalt des Filmes konzentrierten, während Kommentare über die komplexe Struktur und den assoziativen Schnitt ausblieben. Sie betont, dass das Verlangen nach einem Genre so groß ist, dass Go Fish völlig unabhängig von seinen eigentlichen Verdiensten in eine neue Schublade (»Lesbischer Film«) gesteckt wird, einfach nur, weil es darin um Lesben geht. Troche spricht weise darüber, wie ein ausgehungerter Markt seine Loyalität immer und immer wieder beweisen muss. Sie beendet das Presseheft-Statement schließlich versöhnlich wie folgt: »Ich glaube, ich sollte mich mit einem Thema beschäftigen, zu welchem ich eine Beziehung habe, und meine Kunst machen, ohne mich von der Politik zu verabschieden. Ich hoffe, dass ich, wenn ich diese Glaubensgrundsätze einhalte, den Schwung behalte, um die Herausforderungen zu meistern, die vor mir liegen.« 4 Ja, ihr macht das schon, Mädels. — Dieser Text erschien ursprünglich unter dem Titel »Goings und Comings: Go Fish« in »Sight and Sound« 4.7 (1994), S. 14–16. Für den Wiederabdruck in ihrem Buch »New Queer Cinema. The Director’s Cut« (Duke University Press Durham und London, 2013), schrieb B. Ruby Rich folgende Anmerkungen: 1 Diese und weitere Zitate von Troche und Turner stammen aus persönlichen Gesprächen mit ihnen an verschiedenen Orten und am Telefon. 2 Tatsächlich habe ich selbst einen gewissen Beitrag zu dieser Entscheidung geleistet. Die Produzentin Christine Vachon hatte mir in Sorge, dass das Festival noch keine Entscheidung getroffen hatte, eine Arbeitskopie zur Ansicht zugeschickt. Das bedeutete, dass ich einen Schneidetisch ausfindig machen musste, wo ich mir den noch unfertigen Film in seiner damaligen Fassung ansehen konnte. So lief das, bevor der Schnitt digital wurde. Ich fand den Film großartig und setzte mich beim Festival für ihn ein. 3 Siehe Elisabeth Royte, »A Couple of Lesbians, Sitting around Talking (Mostly about Their Film)«, New Yorker, 9. Mai 1994, Seite 40. »Talk of the Town«-Autor/innen werden heute im Onlinearchiv mit Namen genannt, im Original blieben sie anonym. 4 Für eine erstklassige, sehr detaillierte Studie des Films siehe Lisa Henderson, »Simple Pleasures: Lesbian Community and Go Fish«. In »Signs« 25.1 (1999), Seite 37–64. –– Übersetzung: Hanno Stecher. Für die Möglichkeit, diesen Text verwenden und übersetzen zu dürfen, gilt unser Dank Nick James (Sight & Sound), Jade Brooks und Diane Grosse (Duke University Press) und natürlich und vor allem B. Ruby Rich selbst. Guinevere Turner

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